Mir - Monika Felsing - E-Book

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Monika Felsing

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Beschreibung

Wer sind wir, wer sai mir? Die neuen Coversongs in der Mundart des oberhessischen Dorfes Ober-Gleen drehen sich um Fragen, auf die es mehr als eine Antwort gibt: Was ist uns wichtig?  Wie wollen wir leben? Was verbindet uns mit Friedrich Ludwig Weidig, dem Herausgeber des "Hessischen Landboten", und seiner Frau Amalie? Mit Herbert Sondheim und Ruth Stern Gasten, die als Kinder aus Deutschland fliehen mussten? Mit dem Maler Bernhard Wald? Machen wir uns gemeinsam ein Bild davon. Und das eine oder andere Lied.

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Hessische und hochdeutsche Lieder

über uns, Europa und die Welt,

über Grundrechte und

Menschenwürde,

mit Gemälden von Bernhard Wald

(Faldon)

Herausgegeben vom Geschichtsverein Lastoria

Woas drean eas

Inhaltsverzeichnis

Wemm sai merr?

Zu wem gehören wir?

Wu schdieh merr?

Wo stehen wir?

Woas winn merr?

Was wollen wir?

Mir komme on gieh –

Wir kommen und gehen

Wer sai merr?

Wer sind wir?

Wie merr menanner imgieh –

Wie wir miteinander umgehen

Fligg ins zemm Moond –

Flieg uns zum Mond

Mir sai Waidech –

Wir sind Weidig

Wu winn merr hean?

Wohin wollen wir?

Wie winn mer läwe?

Wie wollen wir leben?

Mir sai des Problem –

Wir sind das Problem

Mir sai frehlech –

Mir zaynen frelekh – Wir sind fröhlich

Mir sai friedlech –

Wir sind friedlich

Mir sai muudech –

Wir sind mutig

Mir sai sou frai –

Wir sind so frei

Wann ech ins woas winsche deafd –

Wenn ich uns was wünschen dürfte

Daangk –

Dank

Belder –

Bilder

Lidderadur –

Literatur

Wemm sai merr?

Zu wem gehören wir?

Mir sai, wie merr sai.Wir sind, wie wir sind. Mit der Betonung auf wir (sonst heißt es im Dialekt nicht mir, sondern wie im Dativ der ersten Person Singular: merr). Die anderen sind natürlich ganz anders. Egal, wie weit die Globalisierung fortschreitet: Nicht einmal in Oberhessen gleicht ein Dorf dem nächsten, ist ein Mensch und ein Dialekt genau wie der andere, und wenn es richtig gut läuft, schmecken auch keine zwei Salzekuchen gleich. Sagen wir.Saa mir. Der Rest ist Toleranz, wie überall auf der Welt. Leewe on leewe leasse. Leben und leben lassen. Mit oder ohne Kümmel im Schmierschel. Und für die Norddeutschen unter uns: Mit oder ohne Hering zum Labskaus.

Was als Erstes da war, das Hinggel oder das Ägg, das Wir oder das Ich, ist eigentlich keine Frage. Wie hätte der einzelne Mensch in ganz alten Zeiten überleben sollen, ohne den Schutz seiner Sippe, ohne ein paar andere Keulenschwinger, mit denen er gemeinsam um die Büsche ziehen konnte? Das macht sich auch sprachlich bemerkbar. Wenn in Oberhessen früher jemand wissen wollte, mit wem er oder sie es zu tun hatte, kam die Frage: „Wu kimmsde dann her?" Und schon warst du in der ersten Schublade gelandet: Alle Einwohnerinnen und Einwohner eines Dorfes haben einen gemeinsamen Uznamen, wie ich im ersten Band der Ober-Gleen-Reihe („Gliesbeurel inner sich) erklärt und im „Owengliejer Lirrerbichelche" besungen habe („Woas sai Gliesbeurel?"). Die Ober-Gleener sind Kloßbeutel (Gliesbeurel – oder, wie ich es inzwischen schreiben würde: Gliesboirel), die Angenröder Schdäiklobber (Steineklopfer), die Alsfelder Plasderschisser (Pflasterscheißer). Als nächste Frage kam früher: „Wemm säisdèdè?" Wem gehörst du, im Sinne von: Zu wem gehörst du? Der einzelne Mensch gehört erst einmal zu einer Familie, einem Stamm, einem Haus, und hat einen Dorfnamen. Meiner ist Pauls, nach meinem Urururgroßvater Paul Felsing. Ich bin also Pauls Monnigga, mein Bruder ist Pauls Kallains. Mein Vater war Pauls Kall. Und meine Mutter, die aus Alsfeld stammt, wurde vorm Traualtar zu Pauls Helga. Wer wissen will, wie jemand mit Familiennamen heißt, wird im Owengliejer Pladd, der Mundart meines Heimatdorfes, nachhaken: „On wie schräibsdè dech?" Und wie schreibst du dich?

Ein besonderes Gefühl für Menschen und Stimmungen hat Bernhard Wald (Walde Bernadd), Jahrgang 1959. Der älteste Sohn von Karl und Erika Wald ist meines Wissens der einzige bildende Künstler, den Ober-Gleen hervorgebracht hat. Nach seinem Abitur hat er zunächst einmal ein Praktikum bei dem Grafiker Willi Weide in Alsfeld und Zivildienst beim Roten Kreuz gemacht, Kurse für Grafikdesign an der Hochschule in Darmstadt belegt und dann an der Frankfurter Uni ein paar Semester Kunst auf Lehramt studiert. Auf einen Abschluss hat er ganz bewusst verzichtet. Die formale Ausbildung an den Hochschulen, die Einengung in die Schablonen der Fachdisziplinen, war nicht sein Ding. Und so ging er 1986 als freischaffender Künstler nach Berlin, um zu malen und Trompete zu spielen. Unter seinem Künstlernamen „Faldon" hat er seine Bilder ausgestellt und in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (ngbk) in der Oranienstraße in Kreuzberg mitgearbeitet, sich unter anderem auch an der Aktion „You have been painted" (Du bist gemalt worden) beteiligt. Seit 2004 wohnt er in Marburg. Ausgestellt hat er im vergangenen Jahrzehnt in der ehemaligen Synagoge in Romrod und in der Galerie „Kunst im Kuhstall" des verstorbenen Ernst A. Bloemers in Ober-Gleen. Auch in meinem Blog Owenglie sind seit Bernhards 60. Geburtstag mehrere Dutzend seiner Bilder zu sehen. „Wirklich fantastische Bilder", hat Marie-Luise Rahe (Oddsdinnesch Mallis) aus Hüllhorst bei Minden geschrieben, wo die gebürtige Ober-Gleenerin, eine pensionierte Schulleiterin, mit ihrer Familie wohnt. „Ich hatte keine Ahnung, dass Owenglie so einen tollen Künstler hat. Ich drücke die Daumen, dass in Alsfeld, vielleicht auch in Marburg, eine Ausstellung zustande kommt." Einige der Bilder habe ich zur Illustration der Kapitel auswählen dürfen, und ich bin Bernhard sehr dankbar für sein Vertrauen. Was könnte besser zum Leitmotiv dieses Buches passen als eine dermaßen uneinheitliche Gruppe von Menschen, gemalt in so unterschiedlichen Stilen, mit so unterschiedlichen Materialien, geschaffen von ein und derselben Hand? Jedes der Bilder hat Persönlichkeit, die der porträtierten Person, vielleicht aber auch ein wenig die des Künstlers, der sich in keine Schublade stecken lässt. Freiheit war und ist sein Lebensmotto, als Mensch und als Maler.

Für das dritte Liederbuch mit Coverstücken im Ober-Gleener Dialekt habe ich nach Melodien gesucht, die vertraut sind wie Kinderlieder oder starke Gefühle ausdrücken, mit der Identität zu tun haben und sich alleine oder auch zusammen singen lassen. Elläi. Sesomme. Ech. Du. Ihr. Mir. Einige Lieder erzählen Geschichten, wie wir sie in dem Oral-History-Projekt unseres Geschichtsvereins gehört haben, und viele handeln von Menschen, die so unterschiedlich sind und so viel oder so wenig gemeinsam haben wie wir alle. Wie mir all. In der Vergangenheit, der Gegenwart und vielleicht auch in der Zukunft. Vieles von dem, was mir im Herbst und Winter 2019 begegnet ist, habe ich zu Mundarttexten verarbeitet, und das ziemlich oft zu weihnachtlichen Melodien.

Bernhard Wald (Faldon).

Singen wir also gemeinsam Lieder über das Lebensgefühl. Wenn sich etwas verändert, dann das. Begonnen hat es mit den laufenden Bildern im Kino und im Fernsehen, dem Radio, den modernen Verkehrsmitteln und dem Telefon: Virtuelle Welten auf der Leinwand und auf dem Bildschirm machen aus Individuen eine Zuschauermasse, die Schein und Sein nicht immer auseinanderhalten kann. Mit dem Radio kamen Musik und Propagandareden in die Wohnzimmer. Schiffe, Autos, Motorräder, Züge und Flugzeuge bringen uns so schnell voran, dass der Verstand hinterherhinkt („Schbille gieh un feiern"). Gespräche sind über weite Entfernungen möglich, mit Menschen, die man nicht sieht. Mit dem Computer, dem Internet, dem Mobiltelefon und all der anderen künstlichen Intelligenz haben sich Verhaltensweisen dann noch einmal auf eine Art gewandelt, die man noch vor 20 Jahren nicht für möglich gehalten hätte, und wenn wir ehrlich sind, überblickt niemand die Chancen und Risiken wirklich. Wir drehen uns einfach auf der Straße nicht mehr um, wenn jemand „hallo" ruft, denn wir haben gelernt: Meistens telefoniert jemand. Manchmal sogar mit uns.

Ob wir nun als digitale Migranten mitzuhalten versuchen oder mit dem Smartphone in der Hand auf die Welt gekommen sind: Machen wir uns nichts vor über den „modernen Menschen". Manche unserer Vorfahren sind uns ähnlicher, als uns lieb ist. Med Oasch on Kobb. Weil sie dieselben Trottel waren wie wir und aus ihren Fehlern nichts gelernt haben. Weil sie Wünsche, Ängste, Vorurteile und Geheimnisse hatten, zu Mitgefühl, Freundschaft und Liebe fähig waren, neugierig auf das, was sie nicht kannten, und voller Sehnsucht. Einige, die vor uns da waren, verdienen unseren Respekt. Weil sie besonders gastfreundlich waren und zugleich eigensinnig. Weil sie nicht nur viel und hart gearbeitet, sondern auch ziemlich viel gefeiert haben. Weil sie ihrem Herzen gefolgt sind oder auf ihr Gewissen gehört haben und über sich selbst hinausgewachsen sind. Wir könnten uns mit ihnen solidarisch fühlen, weil sie so einsam oder so sehr in Bedrängnis waren, dass man sie einfach nur in die Arme schließen möchte. Mit einigen meiner Mundartlieder möchte ich aber auch Frauen und Männern danken, die anderen Menschen beigestanden, sich sozial oder politisch engagiert und für eine bessere Welt sogar ihr Leben oder ihre Freiheit riskiert haben. Und denen, die wenigstens ein bisschen was dazu getan haben, um die Natur, die Umwelt und das Klima zu schonen. Für uns und die, die nach uns kommen.

Das Leitmotiv „Mir" hat besonders viel mit dem dritten und vierten Band der Ober-Gleen-Reihe, „Himmel un Höll" und „Schbille gieh un feiern", zu tun, und wie immer nicht nur mit Ober-Gleen. Mein Heimatdorf ist nur ein winziger Punkt auf der Landkarte, aber wenn man genau hinsieht, erkennt man Linien, Beziehungen, Kräfte, die in die Welt und von der Welt auf dieses Dorf wirken, Schicksale, die miteinander verbunden sind oder sich zumindest ähneln. Als Historikerin und Journalistin versuche ich, solche Geflechte zu verstehen, die unsichtbaren Fäden aufzunehmen und nach Mustern zu verweben, die nicht vorgegeben sind. In unseren Zeitzeugenprojekten geht es deshalb immer ums Zusammenleben, Auseinanderleben und Überleben gestern, heute und morgen, nicht nur in Oberhessen oder Bremen, nicht nur in Deutschland, nicht nur in Mitteleuropa. Wer im Band „Himmel un Höll" einen zweiten Blick in das Kapitel über die russisch-hessischen Beziehungen wirft, erfährt zum Beispiel, was ein Ölgemälde vom Romröder Schloss mit dem Bernsteinzimmer gemeinsam hat, und lernt ganz nebenbei das russische Wort Mir. Übersetzt ins Owengliejer Pladd bedeutet es Friere. Frieren? Kaalt. Ganz kalt. Mir sprechen von Frieden, andere auf dieser Welt von: Paix. Pace. Paco. Pax. Pau. Paz. Shalom. Salam. Fred. Rahu. Heddwch. Amani. Udo. Nabadda. Hoà binh. Pyong’hwa. Pingan. Mina. Barish. Iri’ni. Shanti. Saanti. K’é. Heiwa. Hasiti. Vrede. Oder Peace. Geddemm è Schanggs.

Carolyn Schott aus Seattle (USA) 2019 in dem Dorf ihrer Ahnen.

Wu schdieh merr?

Wo stehen wir?

Einander zuzuhören, wäre schon mal ein Anfang. Ein großer Schritt in die richtige Richtung. Das gilt für die Vereinten Nationen, für Europa und nicht zuletzt für die ost-west-nord-süd-deutsche Gegenwart. Drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall hocken immer noch Leute in Talkshows zusammen und unterscheiden nach einer Weile diplomatischen Geplänkels irgendwann messerscharf zwischen „Wir" und „Ihr", als gäbe es die deutschdeutsche Grenze noch oder wieder. Weil sie nicht dazu in der Lage sind, das Gemeinsame zu sehen. Und weil jeder glaubt, etwas Besonderes zu sein. Es wundert mich nicht, dass das beste Buch, dass ich bisher über die Wendezeit gelesen habe, weder von einem Ossi noch von einer Wessi stammt, sondern von einer Aussi, einer Australierin: Anna Funders „Stasiland" ist schon fast mit Studds Terkels „The Good War" (Der gute Krieg – über das Lebensgefühl der Menschen in den USA im Zweiten Weltkrieg) vergleichbar oder mit „Hope dies last" (Die Hoffnung stirbt zuletzt), seinem Oral-History-Buch über Leute, die sich für eine gute Sache engagieren. Auch wenn sie auf scheinbar verlorenem Posten stehen.

Aus der Geschichte der einen und der Geschichte der anderen ist keine bundesrepublikanische Gegenwart geworden, und längst nicht alle, die Erfahrungen mit einem Unrechtsregime haben, sind heute überzeugte Demokratinnen und Demokraten. Das Verfahren gegen die Mörderbande NSU hat gezeigt, wie blind die Justiz auf dem rechten Auge war. Und es geht weiter. In Kassel ist im Sommer 2019 der Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) auf der Terrasse seines Hauses von einem Rechtsextremen erschossen worden, weil er die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung verteidigt und sich gegen Fremdenfeindlichkeit ausgesprochen hatte. In Sachsen und Thüringen finden 2019 viele Leute nichts dabei, Faschisten ihre Stimme zu geben, selbst dann, wenn sie selbst gar nicht rechtsextrem sind. In Hannover demonstrieren Neonazis gegen namentlich genannte Journalisten, unter anderem, weil einer von ihnen 2018 einen Film über einen ehemaligen SS-Mann gedreht hatte. Nicht nur der Deutsche Journalistenverband (DJV) verfolgt die medienfeindliche Entwicklung mit Sorge. „Zu Gewalt kam es insbesondere am Rande rechtspopulistischer Veranstaltungen und Kundgebungen", heißt es auf der Website von Reporter ohne Grenzen. „Bei Demonstrationen in Chemnitz im Sommer 2018 schlugen Protestierende filmenden Journalistinnen und Journalisten wiederholt gegen das Handy oder die Kamera oder griffen sie mit Vorwürfen wie ,Lügenpresse’ verbal an." In den USA werden Berufskolleginnen und Berufskollegen auf Veranstaltungen der Republikaner wie „Volksfeinde" (enemy of the people) behandelt. Und die oberhessische Holocaustüberlebende Ruth Stern Gasten („An Accidental American"/„Zufällig Amerikanerin") fühlt sich von Donald Trumps Wortwahl an Reden von Adolf Hitler erinnert.

Im November 2019 zogen also die Neonazis durch Hannover, um Journalisten einzuschüchtern. Der inzwischen verstorbene ehemalige SS-Mann, für den sie abwechselnd „Gerechtigkeit" und „Rache" forderten, war 1944 an einem Massaker an 86 Zivilisten in Ascq (Nordfrankreich) beteiligt gewesen und 1949 von einem französischen Gericht in Abwesenheit für dieses Kriegsverbrechen verurteilt worden. Unbehelligt und ohne die Morde zu bereuen, lebte er bis zu seinem Tod in Niedersachsen. Für die Rechten ist er ein Held. Und der Journalist der Gegner, den es einzuschüchtern gilt. Die Polizei hat die Demo verboten, und das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat der klagenden, als verfassungsfeindlich eingestuften NPD Recht gegeben. Ein Blick in die Zeitung vom Vortag: Der Chef des deutschen Feuerwehrverbandes, der eine türkischstämmige Geschäftsführerin eingestellt und vor einer Unterwanderung der Feuerwehren durch die AfD gewarnt hat, wird von seinen Vorstandskollegen zum Rücktritt gedrängt und bekommt Hass- und Drohmails der übelsten Sorte. Dazu zu schweigen, wäre fatal. Es wird Zeit, Tacheles zu reden. Vielleicht sogar über Gefühle und Motive zu sprechen. Über die Grenzen des Anstands. Und über Glaubwürdigkeit, über die Suche nach der Wahrheit.

Über das Lebensgefühl in der untergehenden DDR hat die Zeitung, für die ich arbeite, im Spätsommer 1989 eine Glosse veröffentlicht, die ich abgeliefert hatte, samt Ostwitz über Erich Honecker. Ich war auf der Hochzeit einer Freundin in der Nähe von Leipzig gewesen und hatte auf der Feier und in der Bahn mit Leuten gesprochen, die zögerten, ein Land zu verlassen, das trotz allem ihre Heimat war und nun langsam zerbröselte („Himmel un Höll"), und die sich von anderen verlassen fühlten.

Bleiben oder gehen? Die Frage haben sich Generationen von jungen Menschen auf dem Land gestellt, wenn sie sich nach Freiheiten und beruflichen Chancen sehnten, von denen man in den Dörfern und Kleinstädten auch in den Achtzigern nur träumen konnte. Und manchen ließ man keine Wahl. „Bürger verändern das Gesicht einer Stadt" ist das Motto des Museums in Kirtorf. Und dabei wird leicht vergessen: Wer, wie die Kirtorfer oder die Ober-Gleener Jüdinnen und Juden, vor den Nazis ins Ausland geflohen oder umgebracht worden ist, hinterlässt eine Lücke. Es sind Wunden gerissen worden, die nicht von selbst verheilen. Das Haus Speier in der Dorfmitte von Angenrod, dessen letzte Bewohner am 7. September 1942 erst nach Theresienstadt verschleppt und in Auschwitz ermordet worden sind, stand jahrzehntelang leer, weil der überlebende Sohn mit dem Zerfall ein Zeichen setzen wollte. Ehrenamtliche haben das 200 Jahre alte Fachwerkhaus in eine Gedenkstätte in Erinnerung an Johanna Speier (Jahrgang 1898), geborene Weisenbach, Leopold Speier (1875), Liselotte Speier (1933) und Alfred Speier (1927), Minna Wertheim (1892), geborene Löwenthal, Sally Wertheim (1888), Frieda Abt (1874), geborene Bauer, und Bertha Oppenheimer (1888) verwandelt, wollen aber auch, wie unser Geschichtsverein Lastoria mit dem Hörbuch „Jiddisch Leben’’, an jüdisches Leben vor und nach dem Holocaust erinnern.

Auch wer aus freien Stücken weggeht, verändert etwas im Leben aller anderen. Höfe sterben, Läden sterben, Vereine und Kirchengemeinden bluten aus, die Gassen sind leer, selbst wenn sich für die Häuser neue Besitzer finden. Manche Türen sind bai (angelehnt oder zumindest nur geschlossen), andere abgesperrt. Oder haben nicht einmal mehr eine Klinke.

Insenn Hoop

(I hope that I don’t fall in love with you)

Insenn Hoop schdidd doa, wu err schuh friejer schdann.

Voo dè Dahlie sai die Bliere obgefann.

Die Katz eas duud, on off dè Huud,

doa rechd kenner mieh Hää.

Du freechsd dech, woas doas med merr dudd?

Widdes ächd weasse? Näi.

Insenn Hoop schdidd doa, wu err schuh friejer schdann.

Off dè Dräbbeschduufe sass ech ob on zu.

huh off woas gewoadd, es liss merr goar käi Ruh.

Doch woas aach koom,

es liff vierbai oo insem klenne Doaf.

Die Zääd vergeang, mir woarn eller,

on als noch viel zè broav.

Off dè Dräbbeschduufe sass ech ob on zu.

Insenn Hoop schdidd doa, wu err schuh friejer schdann.

Eas derr äächendlech die Schinnel offgefann,

die doa gläich fälld, wie die sech häld,

on mir leasse ins gieh.

Woas winn merr dann, woas duh merr dann,

woas feanne merr dann schie?

Insenn Hoop schdidd doa, wu err schuh friejer schdann.

Unser Hof

Unser Hof steht da, wo er schon früher stand.

Von der Dahlie sind die Blüten abgefalln.

Die Katz ist tot, und auf der Hut (einem Flurstück) recht

keiner mehr Heu.

Du fragst dich, was das mit mir tut?

Willst du’s echt wissen? Nee.

Unser Hof steht da, wo er schon früher stand.

Auf den Treppenstufen saß ich ab und zu,

hab auf was gewartet, es ließ mir gar kei’ Ruh.

Doch was auch kam, es lief vorbei an unsrem kleinen

Dorf.

Die Zeit verging, wir warn älter,

und immer noch (viel) zu brav.

Auf den Treppenstufen saß ich ab und zu.

Unser Hof steht da, wo er schon früher stand.

Ist dir eigentlich die Schindel aufgefalln,

die da gleich fällt, wie die sich hält,

und wir lassen uns gehn.

Was wolln wir denn, was tun wir denn,

was finden wir denn schön?

Unser Hof steht da, wo er schon früher stand.

Traurige Musik tröstet, das ist inzwischen wissenschaftlich belegt. Wir haben es geahnt, als wir Tom Waits gehört haben. Ihn und so andere Musiker, die klangen, als hätten sie das Leben schon hinter sich. In der ehemaligen Ober-Gleener Synagoge haben wir für die CD „Läurer Lirrer" im Sommer 2018 mit allen, die dabei sein wollten, ein Lied von Joan Baez und Pete Seeger eingesungen, „We Shall Overcome", den Protestsong, der aus der Kirche kam. Wie die Demonstrantinnen und Demonstranten in Leipzig, die montags „Wir sind das Volk" riefen. Die von der Armee im Juni 1989 getöteten chinesischen Studentinnen und Studenten auf dem „Platz des „Himmlischen Friedens", die jungen Leute aus dem „Arabischen Frühling" oder die Demonstrantinnen und Demonstranten heute in Hongkong. Die „samtenen" Revolutionärinnen und Revolutionäre in Prag haben im November 1989 die Fahne der Freiheit (Nämest) hochgehalten, als die Mauer in Berlin gefallen war. Eben noch hatten die zurückgelassenen Trabbis in der Nähe der westdeutschen Botschaft das Straßenbild geprägt. „Die Luft ist schön, das Meer ist noch schöner, am schönsten aber sind lächelnde Gesichter. Der Tisch hält etwas aus, die Berge halten noch mehr aus, aber am meisten hält der Glaube der Menschen aus. Mächtig ist die Waffe, mächtiger ist immer noch die Gerechtigkeit, am mächtigsten aber ist es, die Wahrheit auszusprechen", sang Jaroslav Hutka, einer der Mitunterzeichner der „Charta 77", der eigens aus dem erzwungenen Exil zurückgekehrt war und aussah wie John Lennon in seiner bärtigen Zeit, am 25. November 1989 vor 800 000 Menschen. „Groß ist die Erde, umgeben von Wasser. Was aber ist das Allergrößte? Die Freiheit des Menschen."

Sammed

(Marseillaise)

Voo Sammed

woar die Rewwoludsjon,

dè Herbsd dè Friehling däd vollenn,

on dè Wenselsploads voller Mensche,

on die Heazze schluuche fier ouch.

Dess kenn kaale Weand ausem Osde

on käi Wolgge ausem Wesd’

die Herbsdzaidluuse derrd!

Beadda wier schdols off ouch gewäse

on dè Kwidde wier Trabbi gefoahn!

Hirschinska hädd iwwer ouch geschriwwe,

Rosa hädd è Reed gehaan!

On dann, on dann

sai eeneche rechds obgebooche,

schdadd bai ouch zè haan.

Samt

Aus Samt war die Revolution,

der Herbst vollendete den Frühling,

und der Wenzelsplatz voller Menschen,

und die Herzen schlugen für euch.

Dass kein kalter Wind aus dem Osten

und keine Wolke aus dem West’

die Herbstzeitlosen dörrt!

Bertha wär stolz auf euch gewesen,

und der Quidde wär Trabbi gefahrn!

Jirschinska hätt’ über euch geschrieben,

Rosa hätt’ eine Rede gehalten!

Und dann, und dann,

sind einige rechts abgebogen,

anstatt zu euch zu halten.

Der Bremer Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde (1858-1941) ist vor langer Zeit in Genf gestorben, die Sozialdemokratin und Pazifistin Rosa Luxemburg (1871-1919) gemeinsam mit dem gleichaltrigen Marxisten und Antimilitaristen Karl Liebknecht von Angehörigen der Garde-Kavallerie-Schützen-Division der Preußischen Armee gemeuchelt worden. Im Frühjahr 1968 sang Marta Kubišová das Lied „Modlitba pro Martu", „Gebet für Marta" („Lass mein Gebet zu den Herzen sprechen, die nicht, wie Blumen vom Frost, von der Zeit des Zorns verbrannt sind") in der Stadt, in der die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (1843-1914) im Kinsky Palais auf dem Altstädter Ring zur Welt gekommen war. Sowjetische Panzer hatten den „Prager Frühling" niedergewalzt. Auch am 17. November 1989 hatte die Polizei zugeschlagen, doch wenige Tage später blieb alles friedlich. Und überall hingen selbstgemalte Plakate wie „Jsme št’astni" in Prag. Wir sind glücklich.

Glücklich sei er heute noch, jeden einzelnen Morgen, wenn er aufwache, sagt Leo Pavlát, der Direktor des Jüdischen Museums in Prag, als wir im November 2019 gemeinsam mit Yale Strom und Elizabeth Schwartz aus San Diego in seinem Büro sitzen. Die beiden haben gerade ein Konzert in der Maisel Synagoge gegeben, Yale stellt Fotos aus, die er ab 1981 bei Reisen durch Osteuropa gemacht hat, und zeigt seinen Dokumentarfilm „The last Klezmer". Als Amerikaner mit einem Geigenkasten ist er in der damaligen Tschechoslowakei von der Staatssicherheit beobachtet worden, aber was ihm wirklich Angst gemacht hat, war die Securitate in Rumänien. Mit einem Volkslied hat er die Geheimdienstmitarbeiter davon überzeugt, dass er Lieder sammelte und kein amerikanischer Spion war. Wie er es erzählt, erinnert es ein bisschen an „Eins, zwei, drei" von Billy Wilder (1906-2002), der Komödie aus dem Kalten Krieg, unterlegt mit Klezmer.

Jahrzehnte später ist alles entspannt. Hunderttausende feiern in den Straßen. Abends leuchtet es überall weiß, blau und rot. Ergraute Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sprechen zu uns von den Fassaden. Stelzenläufer tragen Uniform. Und in der Nationalstraße und auf dem Wenzelsplatz begleitet uns auf Schritt und Tritt die Musik der tschechischen Blumenkinder.

„We shall overcome", die Hymne der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, war nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst einmal ein Streiklied afroamerikanischer Tabakarbeiterinnen gewesen und lange davor ein Gospel, geschrieben 1901 von dem Geistlichen Charles Albert Tindley unter dem Titel „We Will Overcome Some Day". In den Achtzigern sangen es in Deutschland praktisch alle, die friedensbewegt waren. Nur die oberhessische Variante gab es damals noch nicht. Und was den Titel angeht: Ähnlichkeiten mit einem Satz der Kanzlerin aus dem Jahr 2015 sind weder rein zufällig noch parteipolitisch irgendwie von Bedeutung. Was, sollten wir uns fragen, sagt es über unser Land aus, wenn ein Ausspruch, der Mut machen sollte, Unmut und sogar Hass auslösen kann?

Mir schaffe doas

(We shall overcome)

Mir, mir schaffe woas! Mir, mir schaffe doas!

Mir, mir schaffe doas enn Doag!

Oh, diep ean mir drean, doa glääb ech,

mir schaffe’s. On lhr aach.

Mir gieh Haand ean Haand, mir gieh Haand ean Haand,

mir gieh Haand ean Haand irjendwann.

Oh, diep ean mir drean, doa glääb ech,

mir schaffe’s. On lhr aach.

Mir firchd ins nit mieh, mir firchd ins nit mieh,

mir firchd ins nit emmo voo dir.

Oh, diep ean mir drean, doa glääb ech,

mir schaffe’s. On ihr aach.

Aach ean Ost on West, aach ean Sied on Noadd,

off dè gaanse Weald, irjendwann.

Gaans diep ean mir drean, doa glääb ech,

mir, mir schaffe’s donnomo.

Wir schaffen das

(We shall overcome)

Wir, wir schaffen was! Wir, wir schaffen das!

Wir, wir schaffen das eines Tags!

Oh, tief in mir drin, da glaub ich,

wir schaffen’s. Ihr auch.

Wir gehen Hand in Hand, wir gehen Hand in Hand,

wir gehen Hand in Hand irgendwann.

Oh, tief in mir drin, da glaub ich,

wir schaffen’s. Ihr auch.

Wir fürchten uns nicht mehr,

wir fürchten uns nicht mehr,

wir fürchten uns nicht mal vor dir.

Oh, tief in mir drin, da glaub ich,

wir schaffen’s. Ihr auch.

Auch in Ost und West, auch in Süd und Nord,

auf der ganzen Welt irgendwann.

Ganz tief in mir drin, da glaub ich,

wir, wir schaffen’s doch noch mal.

Im Herbst und Winter 2019 hat sich der Blick in den Rückspiegel der Geschichte besonders häufig gelohnt. Wer noch Briefe mit Marken verschickt, wird mit schöner Regelmäßigkeit an runde Geburts- oder Todestage und echte Jubiläen erinnert: 200 Jahre zweite, verbesserte Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen, „gesammelt durch die Brüder Grimm" (für Bremerinnen und Bremer: 200 Jahre Bremer Stadtmusikanten, Märchen unter anderem aus dem Raum Paderborn und dem Fürstentum Münster), 100 Jahre Frauenwahlrecht, 100. Geburtstag Helmut und Loki Schmidt (nicht etwa als gemeinsame Marke, eine 70er für ihn, eine 45er für sie), 100 Jahre Bauhaus, 100 Jahre Universität Hamburg, 100 Jahre Volkshochschulen, 150 Jahre Deutscher Alpenverein, 50 Jahre erste Mondlandung, 100 Jahre Weimarer Reichsverfassung, 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt, 200. Geburtstag von Clara Schumann, 500 Jahre Reformierte Kirche, 50 Jahre Chipkarte, 100. Geburtstag von Annemarie Renger, 150. Geburtstag von Elke Lasker-Schüler, 200. Geburtstag von Theodor Fontane. Nicht zu vergessen die Reihen „Fernsehlegenden" („Beatclub"), „Aufrechte Demokraten" (Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der die Auschwitzprozesse in Frankfurt am Main in Gang gesetzt hat, und der 1922 von antisemitischen Rechten ermordete liberale Reichskanzler Walther Rathenau) oder „Helden der Kindheit" (Heidi, Pippi Langstrumpf). Und 30 Jahre Bremen für mich. Der 80. Geburtstag meiner Mutter. Der 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs. Und 70 Jahre Grundgesetz.

Nach den zehn Geboten aus dem Alten Testament („Gliesbeurel inner sech", nicht zu vergessen das elfte: „Leass dech nit erwesche.") und den 30 Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die die Vereinten Nationen 1948 beschlossen haben („Himmel un Höll"), kommt jetzt die Preisfrage: Wie viele Artikel hat unser deutsches Grundgesetz? Honnerdseggsonveazzech. Im ersten Abschnitt stehen die 19 Artikel, die die Grundrechte ausmachen. In den Artikeln 20 bis 37 werden im zweiten Abschnitt des Grundgesetzes die Staatsform und das Verhältnis von Bund und Ländern beschrieben. In den nächsten drei Abschnitten geht es in 32 weiteren Artikeln um die Verfassungsorgane Bundestag, Bundesrat, Gemeinsamer Ausschuss, Bundespräsident und Bundesregierung. Der siebte Abschnitt, Artikel 70 bis 82, erläutert die Kompetenzen von Bund und Ländern bei der Gesetzgebung, im nächsten regeln neun Artikel die Ausführung der Gesetze, die Bundesverwaltung und die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern. Die Artikel 92 bis 104 im neunten Abschnitt sind der Rechtsprechung gewidmet. Im zehnten Abschnitt geht es um das Finanzwesen und den Verteidigungsfall, im elften unter anderem um Übergangsbestimmungen. Und dann wären wir bei 146.

Dieses Grundgesetz, die freiheitlich-demokratische Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, ist die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben in Freiheit. In der Präambel – fast schon ein hessisches Wort (Bräambel, nicht zu verwechseln mit brumbe(l)n, für nörgeln oder grummeln) – wird klargestellt, um wen es hier geht: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben. Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk." Und da die Deutschen kein Geschlecht kennen, sind zur Abwechslung wirklich einmal alle gemeint. Waibsloid, Mannsloid, alle Loid. Ich verteile die Artikel mit den Grundrechten willkürlich über diesen Band, um sie uns allen in Erinnerung zu rufen. Zusammen stehen sie fier Eenechkääd on Rächd on Fraihääd. Zusammen sind sie unsres Glückes Unterpfand.

In Artikel 1 des Grundgesetzes steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht."Dem Mensche sai Wirde rihrd käis oo. Merr musse esdemiern on schedse. Mir missesse esdemiern on schedse. Ich sing gerne ihr Lied.

Woas winn merr?

Was wollen wir?

In Artikel 2 des Grundgesetzes heißt es: „jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich."Jeder voo ins hodd des Rächd, sou zè läwe, wiesemm bassd. Solaangk merr die Rächde voo annern Mensche nit verledse on ins ooschdennech benomme. Mir sai frai.

Ja, was wollen wir denn? Eine der wichtigsten Fragen im Leben und beim Blick in die Speisekarte. Die Antwort könnte jeden Tag anders ausfallen. Aber es schadet auch nichts, ein paar Lieblingsgerichte zu haben. Und ein paar Wünsche und Werte. Aus den Resten machen wir Kwer-dorch-dè-Coadde (Quer durch den Garten), die Ursuppe der oberhessischen Gemüseküche. Seit die ersten italienischen, chinesischen, griechischen, jugoslawischen und türkischen Restaurants in Hessen aufgemacht haben und viele, viele andere Länderküchen nachgekommen sind, werden Gerichte auch nördlich des Mains gelegentlich mit Oregano, Sambal Olek oder Sojasoße gewürzt. Knowweloch haben wir schon vorher gegessen, wenn auch meist in dè ruure Woaschd, dè Schdragge, der salamiähnlichen Mettwurst, und Omma Lina hat zum Wellholz gegriffen und Bandnudeln gemacht, wenn es Rendflääsch med Mirch (Rindfleisch mit Meerrettichsoße) geben sollte. Nudenn, die heute Pasta heißen. Und Mirch, der immer noch Mirch heißt, eine Soße, so scharf wie Wasabi, die selbst die weinen lässt, die gar nicht noh om Wasser gebaut haben.

Der Vogelsberg ist Europas größter Schildvulkan, und manche Dörfer im Vogelsbergkreis mögen etwas abgelegen sein oder sehr langsamen Internetempfang haben, aber das macht die Oberhessen noch lange nicht zum Bergvolk ohne Kontakt zur Außenwelt. Im Gegenteil: Wer in Deutschland auf dem kürzesten Weg von Nord nach Süd will, muss bei uns durch. Auch der King of Rock’n’Roll, der sich in seiner Zeit als GI auch in Heimertshausen blicken ließ. „In der Wetterau tanzte der Elvis schon Rock’n’Roll. Mir sin die Midde von Deutschland, ja, mir sin das Tor zur Welt. Mir sin muldikuldi, mir sin dörflisch, grad, wie’s gefällt", singen Christina Schmid, Christine Bär, Julia Hofmann und Mareike Bender von „Allegria Acapella" als „Hessisch Mädche" auf die Melodie von „All about that bass" von Meghan Trainor. „Mir sin doch gar net bäid"

Bös’ (bies) war das erste Frankfurter „Hessemädche" auf der Bühne auch nicht: Lia Wöhr (1911-1994), die Putzfrau Siebenhals aus den „Hesselbachs" und von 1966 bis 1987 die Wirtin im „Blauen Bock". Ganz nebenbei war sie auch Fernsehproduzentin, Ballettmeisterin, international gefragte Opernregisseurin und Dirigentin, sie hatte in Operetten gesungen, war im Kabarett aufgetreten, hatte als Souffleuse und Conferencière gearbeitet, als Alleinunterhalterin und Hörfunksprecherin. Ihr Frankfurt hat sie überall hin mitgenommen. „Wo ich steh", wurde sie als Achtzigjährige zitiert, „wo ich steh, da ist Hessen." Und niemand hätte gewagt, einer Stolze-Preisträgerin zu widersprechen. Wurim aach?

Die Hesselbachs

(All about that bass)

Dommwoashäsdnhiedomm...

Die Hesselbachs, die woarn doch goar nit schlächd,

goar nicht schlächd, goar nit schlächd

glääb merrsch ruich,

die woarn doch goar nit schlächd,

goar nit schlächd, doas eas sou,

die woarn doch goar nit schlächd,

goar nit schlächd, ech schbrech derrsch,

die woarn doch goar nit schlächd,

goar nit schlächd, nit schlächd, nit schlächd!

Dè Babba Hesselbach

woar joa schwinn owenaus,

on wanner kräische dääd,

dann waggenn Wänn on Haus,

Doas fill goar nit sou off,

heh mächd sech haald bluus Lofd,

wie Lui (dè) Fieness,

awwer enn Hess!

Die Mamma sääd „ei, Kall",

on schwadsd dann goar nit mieh,

on will aach naut mieh hirrn,

es schmolld sech goar zè schieh!

Sie wääs, es nodsd joa naut,

nor eam Rächd zè sai.

Woahrhääd med Dreggrändche?

(Doa) eas naut dèbai!

Joa, eam Fennseh, doa gobb’s

nit viel zè wehn,

on die Hesselbachs harre

woas zè verzehn!

Woas zè verzehrt! Woas zè verzehn!

Babba Hesselbach hoddse all

schdragg geschdaald!

Nor die Saniererin,

die lissenn gaans kaald.

Die lissenn kaald!

Die Hesselbachs, die woarn doch goar nit schlächd,

goar nicht schlächd, goar nit schlächd

glääb merrsch ruich,

die woarn doch goar nit schlächd,

goar nit schlächd, doas eas sou,

die woarn doch goar nit schlächd,

goar nit schlächd, ech schbrech derrsch,

die woarn doch goar nit schlächd,

goar nit schlächd, sonnern ächd, sonnern ächd!

Die Hesselbachs

Dummwasheißtdennhierdumm...

Die Hesselbachs, die warn doch gar nit schlecht,

gar nicht schlecht, gar nicht schlecht

glaub mir’s ruhig,

die warn doch gar nicht schlecht,

gar nicht schlecht, das ist so,

die warn doch gar nicht schlecht,

gar nicht schlecht, ich sag dir’s,

die warn doch gar nicht schlecht,

gar nicht schlecht, nicht schlecht, nicht schlecht!

Der Babba Hesselbach

war schnell außer sich,

und wenn er schrie,

dann wackeln Wänd’ und Haus.

Das fiel gar nicht so auf,

er macht sich halt bloß Luft,

wie Louis de Funès,

aber ein Hess!

Die Mamma sagt, „ei, Kall",

und redet dann gar nicht mehr,

und will auch nichts mehr hörn,

es schmollt sich gar zu schön!

Sie weiß, es nützt ja nichts,

nur im Recht zu sein.

Wahrheit mit Dreckrändchen?

(Da) ist nichts dabei.

Ja, im Fernsehn, da gab’s

nicht viel zu wähln,

und die Hesselbachs hatten

was zu erzähln!

Was zu erzähln! Was zu erzähln!

Babba Hesselbach hat sie alle

rund gemacht (wörtlich: gerade gestellt)!

Nur die Saniererin,

die ließ ihn ganz kalt.

Die ließ ihn ganz kalt.

Die Hesselbachs, die warn doch gar nit schlecht,

gar nicht schlecht, gar nicht schlecht

glaub mir’s ruhig,

die warn doch gar nicht schlecht,

gar nicht schlecht, das ist so,

die warn doch gar nicht schlecht,

gar nicht schlecht, ich sag dir’s,

die warn doch gar nicht schlecht,

gar nicht schlecht, sondern echt, sondern echt!

Der Coversong eines Coversongs. Die Kultserie aus den Sechzigern mit ihrem Autor Wolf Schmidt (1913-1977) als scharfzüngigem, cholerischem, hessensgutem Kleinverleger Karl Hesselbach und der Frankfurterin Liesel Christ 0919-1996) als allzeit leicht beleidigter, streitlustiger und harmoniesüchtiger Marie Hesselbach (Mamma sinngemäß: „Ja, ich weiß, es ist alles meine Schuld!" Babba. „Sei net so habgierig, Mamma, lass uns auch noch was iwwerich!") ist so viel besser als ihr Ruf außerhalb von Hessen. Besonders sehenswert sind die Folgen „Das Dreckrändchen" und „Die Spezialistin", die heute „Die Beraterin" hieße und gegen ein hohes Honorar mit fast denselben praxisfernen Ideen daherkäme. Weniger bekannt ist: Als Journalist, Kabarettist und ehemaliger Kriegsberichterstatter hat Wolf Schmidt auch Beiträge zur Völkerverständigung geleistet (zitiert auf der Internetseite zu Babba Hesselbach): „Es lässt sich reden mit den Hessen (wenn sie einen zu Wort kommen lassen), und es lässt sich gut auskommen mit ihnen, wenn man nicht alles so wörtlich nimmt, was den Nichthessen im ersten Moment vor den Kopf stößt." Echte Hessen waren für ihn leicht zu erkennen: „So stur kammer sich gar net stelle, wie mir sinn!" Falls Gliesbeurel das zugäben, würden sie es mit den Worten tun: So schdur kammer sech goar nit schdenn, wie mir sai. Ansonsten aber hat sich der gebürtige Owwerhesse und weitgereiste Friddberjer Wolf Schmidt wenig Illusionen über das hessische Regionalgemüt gemacht: „Wie also sind die Hessen wirklich? Unter uns gesagt: genauso wie die andern auch. Nicht besser und nicht schlechter. Es gibt sone und solche." On Zwerche on Iwwerzwerche, würden Gliesbeurel sagen. Leute, die ein bisschen neben sich stehen, und solche, die se nit all dè Rain nooch (nicht alle der Reihe nach) haben. „Ei, du krissd die Dier net zu!", würde Babba Hesselbach anmerken, wenn ihn das überrascht hätte. Und die Mamma Hesselbach würde ausrufen: „Gehnse foadd!" Kurz übersetzt: Ach, du liebes Bisschen! Sowas aber auch! Nur halt nicht ganz so vornehm.

Buten un binnen, wagen un winnen. Der mundartliche Wahlspruch der Bremer Hansekaufleute prangt auf der vergoldeten Fassade des Schütting am Bremer Marktplatz. Vom Rathaus und auch vom Parlamentsgebäude aus, dem Sitz der Bremischen Bürgerschaft, ist die Inschrift gut zu erkennen, wenn man Stielaugen macht. So ein Mutmacher hat in Oberhessen gefehlt: Dois on drean, woache on geweann!. Viele Bauern und Handwerker auf dem Land achteten früher darauf, es mit niemandem zu verderben, auf den sie noch angewiesen sein konnten. Man mochte es gemiedlech, gerigglech (praktisch) und sicher. Das hat die Mentalität geprägt. „Medde Welf mussde hoin", soll meine Omma Lina oft gesagt haben. Ich kann mich nicht daran erinnern, das jemals von ihr gehört zu haben, aber ich weiß, wie schwer sie es als Halbwaise nach dem Ersten Weltkrieg gehabt hat. Mit den Wölfen musst du heulen – wenn sie dich nicht fressen sollen. Rotkäppchen, wohin man blickt.

In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."Alle sai vierem Geseds glääch. Mannsloid on Waibsloid huh die glääche Rächde. Und das haben wir unter anderem der Sozialdemokratin Elisabeth Selbert (1896-1986), geborene Rhode aus Kassel, und drei weiteren Politikerinnen zu verdanken. Die woar äi voo dè Midder voom Grondgeseds. Sie war eine der Mütter des Grundgesetzes. Und eine Weggefährtin von Philipp Scheidemann (SPD), dem früheren Oberbürgermeister von Kassel, der am 9. November 1918 in Berlin die Republik ausgerufen hatte. Am selben Tag wie Karl Liebknecht, der Urgroßneffe von Friedrich Ludwig und Amalie Weidig, wenn auch unter etwas anderen Vorzeichen.

Drei Tage später wurde verkündet, dass nun auch Frauen in Deutschland wählen und gewählt werden dürfen. Das Wahlalter lag bei 20 Jahren, für Männer wie für Frauen. Am 19. Januar 1919 kandidierten 300 Frauen. 82 Prozent der weiblichen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, und 37 weibliche Abgeordnete hielten Einzug in der Nationalversammlung. 37 von 423 im Parlament. Es waren 8,7 Prozent, und es sollte in der zweiten Nachkriegszeit Jahrzehnte dauern, bis 15 Prozent überschritten waren. Inzwischen liegt der weibliche Anteil bei etwa 30 Prozent, wobei die rechtsextreme AfD auf etwa 11 Prozent Frauen kommt und die grüne Partei auf 58 Prozent. Am 19. Februar 1919 trat die Sozialdemokratin Marie Juchacz im Reichstag ans Rednerpult: „Meine Herren und Damen! Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen kann. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist." Die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm hat diesen Tag nicht mehr erlebt. Mehrere Jahrzehnte zuvor hatte sie die Frauen aufgefordert: „Fordert das Stimmrecht, denn über das Stimmrecht geht der Weg der Selbstständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau."

Das Glück der Frau. In unserem Ober-Gleen-Projekt haben wir die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen immer wieder danach gefragt, was sie froh, um nicht zu sagen, glücklich, macht. Unsere Vorfahren waren da zurückhaltend, um weder Neid noch Unglück heraufzubeschwören, und nahmen auch selten das Wort Liebe in den Mund. „Ech sai derr gudd", ich bin dir gut, war dann schon fast ein Gefühlsausbruch. Und wenn es zur Silberhochzeit hieß „Mir schaffe gudd menanner" (Wir arbeiten gut miteinander), dann war die Ehe in Ordnung. Und die Kinder? Hauptsach, gesond. Hauptsache, gesund.

Wann ech merr woas winsche deaffd

(Wenn ich mir was wünschen dürfte)

Wann ech merr woas winsche deaffd,

käm ech ean Verläächehääd.

Woas ech merr dann winsche sollt,

è schlemm oder è gurre Zääd.

Wann ech merr woas winsche deaffd,

mechd ech è bess-che glegglech sai.

Denn wann ech goar zè gligglech wier,

härrech Heemwieh noochemm Draurechsai.

Das melancholische Lied von Friedrich Hollaender aus der Weimarer Zeit, gesungen von Marlene Dietrich, ist Herbert Sondheim im Gedächtnis geblieben (Hörbuch „Jiddisch Leben"). Der Ober-Gleener ist als Kind mit seinen Schwestern Addi und Rita, seinen Eltern und seiner Tante Bertha vor den Nazis in die USA geflohen. Und er, der seine Tante Betty Bär und seinen Cousin Alfred, seine Tante Grete und seinen Onkel Hermann Sondheim im Holocaust verloren hatte, als Halbwaise in New York zum Lebensunterhalt seiner Familie beitragen musste und in der Schifffahrtsbranche Karriere gemacht hat, hatte nur die ersten beiden Zeilen in Erinnerung behalten. Er hatte sie so verstanden, dass man doch eigentlich mit seinem Leben zufrieden sein kann: „Wenn ich mir was wünschen dürfte, käm ich in Verlegenheit." Wie in dem Kanon, den er vielleicht noch auf Hochdeutsch aus seiner Kinderzeit kannte.

Fruh zè sai, bedeaff es wingk

Fruh zè sai, bedeaff es wingk,

on wer fruh eas, eas enn Keenech.

Froh zu sein, bedarf es wenig

Froh zu sein, bedarf es wenig,

und wer froh ist, ist ein König.

Oder in der Variante:

Beschdussd eas nit beschrubbd

Beschdussd eas nit beschrubbd

wer nit offbassd, weadd bedubbd.

Bescheuert ist nicht bekloppt

Bescheuert ist nicht bekloppt,

wer nicht aufpasst, wird betrogen.

Der Kanon zu vier Stimmen, komponiert von dem Violinisten, Organisten und Komponisten Heinrich Leberecht August Mühling (1786-1847) aus Raguhn bei Bitterfeld, ist früher häufig auf Geburtstagen vorgetragen worden. Wie das Gedicht, das Herbert Sondheim in seiner Kindheit auswendig gelernt hat (siehe „Himmel un Höll" und das Hörbuch „Jiddisch Leben"): „Ich bin klein, mein Herz ist klein (rein), Mama, du sollst glücklich sein." In den Achtzigern hat er seiner Frau Beatrice sein Heimatdorf gezeigt. Seine jüngste Tochter Robin Smolen, geborene Sondheim, war im September 2019 das erste Mal in Oberhessen. Über die Begegnungen in Storndorf, Ober-Gleen und Angenrod habe ich auf meiner Website berichtet. Und zur Feier des Tages könnten wir noch einen Kanon singen, geschrieben von Werner Gneist (1898-1980) im Jahr 1925, als er Volksschullehrer und Chorleiter im Kreis Bunzlau (Schlesien) war:

Vill Glegg on vill Seeje

Vill Glegg on vill Seeje off all denne Wääje,

Gesondhääd on Fruhseann sai aach med dèbai!

Viel Glück und viel Segen

Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen,

Gesundheit und Frohsinn sei auch mit dabei!

In Artikel 4 des Grundgesetzes heißt es: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden."Mir deaffe gläwe, woas mir winn. Inser Geweasse eas frai.

Was macht die Menschen glücklich oder wenigstens zufrieden? Auch das ist längst ein Forschungsgegenstand. Gerade erst ist eine Studie im Auftrag der Post veröffentlicht worden, nach der die Deutschen sich wohler fühlen, als sie zugeben wollen. Warum? Das fällt unter Briefgeheimnis. Gesondhääd on Wohlschdaand sai aach med dèbai. Gesundheit und Wohlstand sei auch mit dabei", singen manche immerhin auch in „Viel Glück und viel Segen". Und da ist was dran. Mitte der Siebziger hat der Wirtschaftswissenschaftler Richard Easterling in 20 Ländern beobachtet, dass die Zufriedenheit mit den Einkommen stieg. Ab einem bestimmten Wohlstand macht Geld alleine dann nicht mehr glücklich (Easterling-Paradox). Prestige, sinnvolle Arbeit, Familie oder Freundschaft, ein selbstbestimmtes Leben, Anerkennung, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe und Gesundheit sind dann entscheidender.

Spätestens seit der Bankenkrise von 2008 ist Sicherheit vielen Menschen wichtig geworden. Solange sie sich nicht am untersten Ende der Leiter wiederfinden und sich