Misfits Academy – Wir gegen die Welt - Adriana Popescu - E-Book

Misfits Academy – Wir gegen die Welt E-Book

Adriana Popescu

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Beschreibung

Fünf beste Freunde – zahllose Superkräfte – drei Elite-Academien im Wettstreit

Die Freunde der Misfits-Academy müssen sich im neuen Schuljahr ganz neuen Herausforderungen stellen: Taylor sucht weiter nach dem verschollenen Dylan, June ist einem mysteriösen neuen Schüler auf der Spur, Fionn ringt mit den Folgen der Machenschaften seiner Mutter und Eric entdeckt eine ganz neue Seite seines Superskills. Derweil sind die Gerüchte über die Multiskill-Experimente von Fionns Mutter an die Öffentlichkeit gedrungen und heizen dort die politische Stimmung auf. Und dann ist da noch der geheimnisvolle Sam, zu dem Taylor sich so seltsam hingezogen fühlt, doch hinter dem sich ein ungeheures Geheimnis verbirgt, dass sie alle in Gefahr bringt ...
Das zweite Schuljahr an der Misfits-Academy beginnt: Schüler mit mentalen Superkräften in einer faszinierenden Welt erleben in dieser packenden Urban-Fantasy-Reihe die fantastischsten Abenteuer!

Die Bände der Misfits-Academy-Reihe:
Die Misfits Academy – Als wir Helden wurden (Band 1)
Die Misfits Academy – Wir gegen den Rest der Welt (Band 2)

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Seitenzahl: 512

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Adriana Popescu

MISFITS Academy

WIR GEGEN DIE WELT

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

© 2024 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Coverkonzeption: Carolin Liepins, München

unter Verwendung eines Fotos von © Shutterstock (Runrun2; Eshma; Igillustrator)

MP · Herstellung: AnG

Satz und Reproduktion: GGP Media GmbH, Pößneck

E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-31991-5V001

www.cbj-verlag.de

Für alle Misfits da draußen, die Freund*innen in Büchern finden.

Das hier ist für euch.

Die Welt der Skillz

Seit Generationen werden manche Menschen mit einer besonderen Anlage geboren, sie besitzen das sogenannte Skill-Gen. Aber selbst, wenn man das Skill-Gen hat, weiß niemand, welche Fähigkeit daraus entspringt, da diese sich erst zwischen dem 10.–13. Lebensjahr entwickelt.

Welche Ausformung der Skill im Laufe des Erwachsenwerdens eines Menschen annimmt, ist unterschiedlich und hat viel mit der Gefühlsentwicklung desjenigen zu tun. So hat June z. B., die immer schon vermutete, dass ihre Eltern sie über ihre Herkunft belügen, die Fähigkeit entwickelt, Gedanken zu lesen. Jeder Mensch bekommt letzten Endes den Skill, den er sich unbewusst am meisten wünscht. Gerade für diejenigen Jugendlichen, die einen Skill entwickeln, der auch zerstörerisch sein kann, ist das schwer zu akzeptieren.

Damit alle jugendlichen Skill-Träger ihre Fähigkeiten annehmen, verstehen und zu kontrollieren lernen, besuchen sie ab dem Zeitpunkt, an dem sie zutage treten, spezielle weiterführende Schulen: internationale Academys, die alle auf Inseln angesiedelt sind, um den Studenten den nötigen Spielraum zu geben, bis sie keine potenzielle Gefahr mehr für sich und andere sind.

Ziel ist es, dass alle lernen ihre Fähigkeiten zum Wohl der Allgemeinheit einzusetzen.

Teenager, die plötzlich mentale Superkräfte haben, nutzen diese aber natürlich auch gerne mal ganz anders. Doch auch für diese Fälle ist vorgesorgt und die Schulbehörde schickt solche Delinquenten auf die darauf spezialisierte Misfits Academy auf Guernsey.

Prolog

Erst war da – ganz kurz – die Stille vor dem großen Knall, dieser eine Moment, in dem die Welt den Atem anhält, als wüsste sie schon, was passieren wird.

Dann folgten das Chaos, die Panik und der Lärm, die in den Ohren dröhnten und die man nicht mehr vergisst. Niemals.

Genau diese perfekt orchestrierte Katastrophe, mit der niemand gerechnet hat und von der niemand Zeuge werden wollte, flimmert inzwischen über TV-Bildschirme auf der ganzen Welt, und sekündlich kommen neue Zuschauer dazu. Dank der sozialen Medien verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer.

Niemand will hinsehen und doch kann niemand wegsehen.

Die ersten Reporter vor Ort fangen an zu kommentieren, die Mikrofone fest umklammert, die Blicke in die Kamera gerichtet, in der Hoffnung, die Übertragung funktioniert noch. Es mag die Kombination von Schocks und Adrenalinschub sein, die sie weiter funktionieren lässt.

»Aktuell wissen wir nicht, was mit dem Königspaar ist, aber die Explosion war heftig und noch immer flüchten Menschen in vollkommener Panik vom Ort des Anschlags.«

Das Mikrofon in der Hand des Journalisten beginnt nun doch zu zittern, Menschen drängen die Straße entlang, in alle Richtungen, vorbei an den Kameras und den Reportern, von denen nicht alle so gefasst sind. Die Schreie werden in die Wohnzimmer des gesamten Königreichs übertragen, während der Rest der Welt noch immer den Atem anhält.

»Die Explosion ereignete sich, als die Kutsche der Royals auf den Kensington Palace zufuhr und die Parade schon fast ihr Ende erreicht hatte.« Der Reporter blinzelt einen Moment, den leeren Blick direkt in die Kamera gerichtet. »Wir wissen noch nicht, wie viele Opfer es gibt und ob sich das Königspaar unter den Toten befindet.«

In dem Chaos im Hintergrund lässt sich die Kutsche erahnen, zumindest das, was noch davon übrig ist. Sicherheitsmänner sind zu sehen, mit gezückten Waffen, und der Reporter, der noch immer die Stellung hält und die Nation über die schreckliche Situation informiert, während die meisten seiner Kollegen schon geflüchtet sind.

»Der Kronprinz befand sich nicht in der Kutsche, wie wir sehen konnten. Seine Frau und er waren nicht in der Nähe der Explosion.« Er spricht zu laut, brüllt die Worte förmlich ins Mikro, vermutlich um das Dröhnen in seinen eigenen Ohren zu übertönen. Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt noch niemand aussprechen mag, handelt es sich bei dem Kronprinzen vielleicht in diesem Moment schon um den neuen König.

»Es gab ausreichend Sicherheitspersonal, wir haben die Scharfschützen auf den Dächern gesehen und wie bei jeder Veranstaltung der Royals wurde auch im Vorfeld die Route gesichert und genau abgesucht. Gestern und heute haben wir Spürhunde dabei beobachten können. Es ist mir unverständlich, wie solch ein Anschlag passieren konnte.«

Während der unter Schock stehende Reporter in die Kamera spricht, wird in Downing Street Nummer zehn gerade panisch die Rede von Premierminister Lawrence vorbereitet und die Sicherheitsvorkehrungen im ganzen Land werden verschärft. Menschen in den U-Bahn-Stationen bleiben stehen und starren auf die Bildschirme, die immer und immer wieder dieselben Bilder ohne Ton abspielen, Angst und Verunsicherung breiten sich rasend schnell in den Adern Londons aus, schwappen über das Königreich und bis hinüber aufs europäische Festland, dann weiter bis nach Down Under und in die Vereinigen Staaten, wo alle TV-Programme für eine Sondersendung unterbrochen werden.

Erste Staatsmänner und -frauen geben ihre Statements zur aktuellen Lage ab, während alle darauf warten, wer sich zu dem Anschlag bekennen wird.

Der MI6 wertet bereits die Bilder aus, auf der Suche nach Verdächtigen, dem Sprengsatz und einem Motiv. Nur eines steht schon fest: Der Moment des Anschlags war nicht zufällig gewählt und hatte nur ein Ziel – Angst und Unsicherheit im Land zu schüren.

Und das ist gelungen.

Kapitel 1

Taylor

Die Schritte kommen näher, schnell und gezielt.

Sie wissen, wo ich bin, und werden mich finden. Fast automatisch greife ich mir an das Handgelenk, aber von meinem Armband aus Skill-Steel fehlt jede Spur.

Ein Blick über die Schulter, in die Dunkelheit, dorthin, woher die Schritte kommen. Das Adrenalin rauscht in meinen Ohren, gepusht durch die Panik, die es begleitet, und ich weiß, was zu tun ist: Nichts wie weg. Eine meiner leichtesten Übungen.

Ich konzentriere mich auf den Ort, an dem ich mich sicher fühle, wo ich Freunde gefunden und viel gelernt habe.

Die Misfits Academy.

Die altehrwürdigen Hallen der Schule, das abgenutzte Parkett in den Schulfluren, das Grün der Wände, das Tuscheln der Schüler.

Es flackert, der Wind will nach mir greifen, als sich ein vertrautes Gesicht in mein Bewusstsein drängt.

Die eisgrauen Augen, das geheimnisvolle Grinsen und die dunklen Haare, die ihm tief in die Stirn hängen, als Schutzschild gegen die Blicke der Welt.

Dylan.

Dylan, der etwas sagt …

Aber ich kann es nicht hören, und bevor ich fragen kann, was er meint, löst er sich langsam in hohen Flammen auf.

Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich nicht zurückgekommen bin. Ich will es ihm so dringend sagen, er muss wissen, dass ich ihn nicht einfach so zurückgelassen habe.

Zu diesem Schuldgefühl gesellt sich jetzt auch noch dieser Schmerz in meinem Kopf, als würden alle Nervenenden rebellieren. Sofort verschwindet der Wind, nimmt das Kribbeln auf meiner Haut und das Gefühl, gleich auf dem Sprung zu sein, mit, und hinterlässt stattdessen eine Art Lähmung, die jeden klaren Gedanken unmöglich macht. Ich sacke zusammen, lehne mich erschöpft an die Wand und höre wieder die unaufhaltsam näher kommenden Schritte, kann Stimmen vernehmen, und ich weiß, sie werden mich finden, mich schnappen.

»Da ist sie!«

Es hat keinen Sinn, sich zu wehren, der Griff an meiner Schulter ist fest, und ich hebe schnell die Hände, bevor mein Mitschüler mir wehtun kann. »Ich ergebe mich!«

Doch der blöde Kerl kann es nicht lassen und will seinen Triumph auskosten.

»Weit bist du ja wirklich nicht gekommen.« Er baut sich vor mir auf und leuchtet mir mit einer Taschenlampe direkt ins Gesicht, ein selbstzufriedenes Grinsen auf den Lippen.

»Hör auf damit, Simon. Sie hat sich ergeben, verdammt noch mal.« Ivy taucht neben ihm auf und verpasst ihm einen Schlag gegen die Schulter, woraufhin Simon mich endlich loslässt.

»Schon gut, schon gut. Mr Morgan hat gesagt, die Skill-Übung soll sich wie eine echte Verfolgungsjagd anfühlen. Wenn Taylor das nicht abkann, ist das nicht mein Problem.«

Statt ihm weiter zuzuhören, geht Ivy vor mir in die Hocke und sieht mich besorgt an. »Alles okay?«

»Ja, ich war nur … alles gut.«

Auch wenn es sich überhaupt nicht gut anfühlt. Seit den Vorfällen in der Academy, und dem Brand, bei dem Dylan verschwand, ist mir keine einzige Teleportation mehr gelungen.

Ivy hält mir die Hand entgegen und hilft mir zurück auf meine wackligen Beine, denen ich noch immer nicht so recht trauen will.

»Das wird schon wieder. War ja auch viel los in letzter Zeit.«

Sie möchte nett sein, ohne mich zu bemitleiden, aber Simon lacht nur laut und schüttelt den Kopf. »Alles Ausreden. Wir haben dich in Rekordzeit geschnappt, das gibt Extra-Punkte für unser Team.« Damit deutet er den Gang entlang zurück zum Ausgang, wo der Rest der Klasse bei Mr Morgan, unserem Lehrer für Skill-Verteidigung, auf uns und den Ausgang dieser Übungseinheit wartet. Er glaubt aus mir unerklärlichen Gründen noch immer an mich und daran, dass ich meinen Skill bald wieder ohne Probleme nutzen kann.

»Wieso hast du dich nicht irgendwohin teleportiert?« Ivys geflüsterte Frage streut Salz in die Wunde, denn außer Mr Morgan weiß niemand, wie groß das Problem mit meinem Skill wirklich ist.

Und so zucke ich als Antwort nur die Schultern, weil ich ehrlich gesagt sonst keine darauf habe. Ist ja nicht so, als hätte ich es nicht immer wieder versucht.

Heute.

Gestern.

Und jeden einzelnen Tag davor.

Aber mein Skill ist weg, seit jenem Tag, an dem ich Dylan in dem unterirdischen, brennenden Labor zurückgelassen habe.

Kapitel 2

Dylan

Science Museum, South Kensington, London

Der aufkommende Schmerz wandert schleichend durch seinen Körper, eher wie ein unaufhaltsames Gefühl von Unwohlsein, das man nach einer unruhigen Nacht oder zu fettigem Essen verspürt.

Er wird es nicht sofort bemerken.

Mich nicht bemerken.

»Bleibt bitte alle zusammen!«

Die Lehrerin trägt eine Brille, die auf den ersten Blick vielleicht wie ein normales Modell aussieht, aber laut meinen Informationen hat sie einen Hang zu teuren Designerstücken. Es wundert mich kein bisschen, dass sie sich für das neue, schicke Science Museum entschieden hat, und die aufgeregt glänzenden Augen ihrer Schüler, die ihr alle wie kleine Lemminge folgen, bestätigen, dass sie damit eine gute Wahl getroffen hat.

Ich lese die Beschreibung neben dem Schaukasten mit einem Astronauten-Raumanzug, der genau so aussieht, wie man sie aus TV-Serien und Kinofilmen kennt. Mit dem kleinen Unterschied, dass dieses Exemplar tatsächlich schon mal im All getragen wurde, und zwar von Helen Sharman 1991, als sie acht Tage auf der Weltallstation Mir verbrachte.

»Helen Sharman war die erste Person aus dem Vereinigten Königreich, die an einem Weltraumflug teilnahm.«

Eine Information, die die Schüler und Schülerinnen auch einfach an der kleinen Plakette ablesen könnten, aber stattdessen von der bebrillten Lehrerin vorgetragen wird. Sofort fliegen Hände in die Höhe und ich verkneife mir ein Grinsen.

»Ja, Todd?«

Ein Junge, der kaum älter als zwölf sein kann, sieht fast etwas enttäuscht zum Raumanzug vor uns.

»Miss Jesper, wieso war der erste Astronaut von hier denn ausgerechnet eine Frau?«

Oh Todd, du musst noch viel lernen.

Miss Jesper sieht ihn einen Moment durch ihre Brille an und atmet tief ein, bevor sie antwortet: »Weil Helen Sharman die Beste war.«

»Aber sie ist eine Frau!«

Kurzes Gelächter in der Gruppe, die um ihn herum steht, aber ein warnender Blick von Miss Jesper reicht, um sie sofort verstummen zu lassen.

»Sie war die beste Wahl.«

Todd will widersprechen, überlegt es sich aber anders, und ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Jungen hinter ihm. Sein Name ist Kevin Fletcher, er ist dreizehn Jahre alt und weiß nicht, dass es Gebote von fast fünf Millionen Pfund für seinen Skill gibt. Und das aus drei verschiedenen Ländern. Vermutlich wird der Preis noch um einiges ansteigen, wenn bekannt wird, dass wir seinen Skill endlich haben. Zu meinem Glück trägt er ein Skill-Armband, das für den ahnungslosen Betrachter nur wie ein schickes Schmuckstück an seinem Handgelenk aussieht.

Zur Sicherheit ziehe ich mein kleines Notizbuch aus der Jackentasche und werfe einen Blick auf das Foto, das neben allen anderen ordentlich notierten Informationen auf der Seite klebt.

Wenn Kevin morgen aufwacht, wird er sich nicht mehr an viele Dinge erinnern. Weder an seinen Klassenkameraden Todd, der ein ziemlicher Klugscheißer zu sein scheint, noch an seine Lehrerin Miss Jesper. Und ganz sicher nicht daran, jemals ein Skillz gewesen zu sein.

Als die Schülergruppe in den Raum mit den nächsten Exponaten aufbrechen will, konzentriere ich mich auf Kevin, der noch immer begeistert den Raumanzug studiert. Es gibt genug Organe, die ich kraft meines Skills beschädigen könnte. Gebrochene Rippen sind meine Spezialität. Aber nichts davon würde hier und jetzt Sinn ergeben, sondern nur die Aufmerksamkeit auf mich lenken. Und genau das will ich verhindern.

Zu meinem Glück scheint Kevin eher der Typ Einzelgänger zu sein, denn während seine Mitschüler weiterziehen, bleibt er etwas zurück, betrachtet noch immer den Raumanzug und ein trauriges Lächeln erscheint auf seinen Lippen. Mein Magen zieht sich kurz zusammen, als ich die Einsamkeit in seinem Blick bemerke.

Jetzt nicht schwach werden, reiß dich zusammen, verdammt noch mal.

Hier ist kein Platz für Mitgefühl oder plötzlich auftretende Gewissensbisse. Stattdessen atme ich kurz durch und konzentriere meinen Skill auf ihn. Sofort greift er sich an die Brust, dort, wo sein Solarplexus liegt, verzieht kurz das Gesicht und schüttelt den Kopf, sieht sich um, aber die anderen sind schon längst weitergegangen, hängen an Miss Jespers Lippen, während sie über Raumfahrt spricht.

Kurz erhöhe ich den Schmerz, Kevin krümmt sich leicht, lehnt sich schwer atmend an die Wand und lässt seinen Blick panisch durch den Raum wandern, bis er findet, was er sucht. Das Schild mit den universellen Symbolen, die verraten, wo sich die Toilette befindet. Hastig eilt er in genau diese Richtung, und ich warte einen kurzen Moment, bevor ich mich ebenfalls in Bewegung setze und ihm folge.

Unbemerkt, wie ich hoffe. Denn in den letzten Wochen bin ich zu einem echten Profi geworden. Tauche in der Menge unter, beherrsche einen unschuldigen Gesichtsausdruck und verschwinde, bevor ich überhaupt auffallen kann. Wer hätte gedacht, dass die Jahre mit meinem Vater mich zu einem perfekten Mitarbeiter der Future-Skill-Clinic machen würden?

Kevin stößt die Tür auf und stürzt zu den Waschbecken, wo er sich abstützt, Schweiß auf der Stirn. Schnell dreht er den Wasserhahn auf, spritzt sich etwas Wasser ins Gesicht und schließt gerade die Augen, als ich hinter ihn trete und einen möglichst besorgten Ton in meine Frage lege: »Alles in Ordnung?«

Jetzt muss ich mein Gewissen, auch den letzten kleinen Rest, einfach ausschalten. Kevin dreht sich zu mir, mustert mich einen kurzen Moment und schüttelt dann den Kopf.

»Ich habe schlimme Magenkrämpfe.«

Er deutet auf seinen Bauch.

»Blinddarm?«

»Ich weiß es nicht.«

Kevin atmet schwer, dabei halte ich den Schmerz in einem erträglichen Rahmen, will es nicht übertreiben. Er soll sich nur unwohl fühlen und nicht kollabieren. Zumindest noch nicht.

»Soll ich Hilfe holen?«

Die Besorgnis in meiner Stimme überrascht mich, immerhin bin ich es, der für seine Schmerzen verantwortlich ist.

»Ich bin mit meiner Schulklasse hier, wenn Sie meine Lehrerin –«

Nur kurz lasse ich den Schmerz noch mal aufflammen, sehe, wie er zusammenzuckt und seine Knie nachgeben. Mit nur einem Schritt bin ich bei ihm, greife nach seinem Arm und halte ihn fest.

»Okay, langsam, langsam. Vielleicht solltest du dich setzen.«

Ohne auf seine Antwort zu warten, schubse ich die nächste Kabinentür auf und bugsiere ihn hinein, wo er sich auf den runtergeklappten Klositz sinken lässt.

»Vielleicht habe ich was Falsches gegessen oder so.«

Es ist die leise Panik in seiner Stimme, die mich berührt, die Angst, dass gerade etwas mit ihm passiert, das er nicht versteht, oder auch davor, dass jemand herausfindet, was er ist.

Nämlich Millionen Pfund wert, wenn ich Dr. Flare glauben will.

»Entspann dich. Es ist sicher nichts Wildes.«

»Könnten Sie meiner Lehrerin sagen, dass ich –«

Bevor er weiterreden kann, lege ich ihm die Hand auf die Schulter und lächele ihn beruhigend an.

»Keine Sorge, es ist gleich vorbei.«

Während ich das sage, drückt mein Skill ihm genau die Nervenenden zu, die ihn in eine Bewusstlosigkeit schicken. Bevor Kevin überhaupt verstehen kann, dass auch ich ein Skillz bin, fallen seine Augenlider zu, sein Körper entspannt sich augenblicklich und er sackt gegen die Wand.

Kevin Fletcher ist bereit.

Ich gehe vor ihm in die Hocke und betrachte sein unschuldiges, vollkommen entspanntes und ahnungsloses Gesicht. Genau so wird er auch wieder aufwachen – und sich an nichts von den heutigen Geschehnissen erinnern.

Aus reiner Neugier greife ich in seine Jackentasche und ziehe sein Handy und seinen Geldbeutel hervor, klappe ihn auf und schaue mir den Inhalt etwas genauer an. Er ist Schüler an der Skillz-Academy auf Islay in Schottland.

»Mr Pollack.« Ihre Stimme lässt mich erschrocken zusammenfahren, dabei sollte ich mich inzwischen daran gewöhnt haben. Als ich mich umdrehe, steht Dr. Flare mit verschränkten Armen und einem kritischen Blick, den sie auf mich gerichtet hält, vor mir. Die Tatsache, dass sie – unter anderem – einfach so durch Wände gehen kann, macht mich noch immer nervös. »Was machen Sie denn noch hier?«

»Ein paar Informationen sammeln.« Damit halte ich ihr Geldbeutel und Handy entgegen, die sie annimmt und dann zur Tür deutet.

»Verschwinden Sie besser, bevor Sie noch auffallen. Ab hier übernehmen wir.«

»Wie immer.«

Mein Job ist hiermit getan, und ich will schon an ihr vorbei, als Dr. Diane Flare nach meiner Schulter greift und sie sanft drückt.

»Sehr gut gemacht, Dylan. Ich bin stolz auf dich.«

Ihr sonst makelloses Gesicht weist als einzigen Makel eine Narbe direkt an ihrer Wange in der Form einer kleinen Flamme auf – wie passend, wenn man ihren Nachnamen bedenkt. Jedes Mal bleibt mein Blick daran hängen, als wäre diese Flammennarbe eine Erinnerung an etwas, das in einem dichten Nebel liegt. Und jedes Mal, wenn ich sie ansehe, ist da das nicht greifbare Gefühl, als müsste ich mich erinnern. Nur tue ich das nicht.

»Und jetzt verschwinde.«

Kapitel 3

Fionn

June sitzt weit über die Tastatur ihres Laptops gebeugt, die dicken Kopfhörer auf ihren Ohren blocken mein Klopfen ebenso ab, wie alle anderen Geräusche der Außenwelt.

Ich muss bei dem Anblick lächeln. Wenn June so versunken in ihre Arbeit ist, vergisst sie den Rest der Academy schnell, also klopfe ich etwas lauter gegen den Türrahmen, in dem ich stehe, aber sie reagiert nicht, und so sehe ich mich gezwungen, weiter ins Zimmer zu kommen.

»June?«

Je näher ich komme, desto lauter höre ich die Musik, die aus den Kopfhörern dröhnt und Junes Aufmerksamkeit verschluckt hat. So sanft wie möglich berühre ich ihre Schulter, was sie zusammenzucken lässt und mir einen überrascht-erbosten Blick einträgt. Schnell hebe ich die Hände und zucke entschuldigend die Schultern.

»Ich wollte dich nicht erschrecken!«

»Was?«

Sie kann mich noch immer nicht hören, und ich deute auf die Kopfhörer, die sie sich nun endlich von den Ohren zieht.

»Fionn, du hast mir fast einen Herzinfarkt verpasst!« Als müsse sie das unterstreichen, greift sie sich an die Brust und schüttelt langsam den Kopf, während ich neben ihr in die Hocke gehe.

»Das war nicht meine Absicht. Aber du warst so versunken in das hier …« Damit deute ich auf den Bildschirm ihres Laptops und erkenne darauf eine Art Datenbank, die nichts mit unserem Unterrichtsstoff zu tun zu haben scheint, und ich verstehe sehr schnell, wobei ich meine Freundin gerade ertappt habe. »Du hast dich in das Skillz-Register der Londoner Skill-Inspection gehackt?«

Sofort klappt June ihren Laptop zu, bevor ich mehr erkennen kann, und wirft einen panischen Blick in Richtung Zimmertür, die ich offen gelassen habe.

»Willst du es vielleicht noch lauter rumbrüllen?«

»Sorry. Ich wusste nicht, dass du gerade rumschnüffelst.«

»Ich recherchiere.«

Junes Mantra. Sie recherchiert, das ist ihre heimliche Leidenschaft, passend zu ihrem Skill, an den ich mich längst gewöhnt habe, weswegen ich sie inzwischen fast entspannt meine Gedanken lesen lasse.

Alle, bis auf diesen einen, den ich so tief wie möglich in mir verborgen halte. Genauso verborgen wie die Phiole, die mir meine Mutter gegeben hatte und von der ich niemandem etwas erzählt habe. Auch nicht June. Was auch jetzt wieder für Magenkrämpfe sorgt. Und die jedes Mal ein bisschen schlimmer werden, je mehr Zeit verstreicht, in der ich meine Freunde nicht einweihe.

Um nicht daran denken zu müssen, stehe ich auf und gehe zur Tür, die ich leise schließe, und wende mich dann wieder June zu. Ihr mit Skill-Steel verkleidetes Zimmer an der Academy hat so seine Vorteile. Es sorgt nämlich für jede Menge Privatsphäre und davon hatte ich in den letzten Monaten nicht so viel. Entweder sind mir Mr Morgans Schatten gefolgt oder aber irgendwelche Gerüchte über meine Familie. Womit wir wieder beim Thema wären. »Hast du was rausgefunden?«

Enttäuscht schüttelt sie den Kopf. »Dein Vater ist immer noch nicht aufgetaucht und der Name deiner Mutter fällt nirgends.«

Das hatte ich zwar nicht gemeint, aber ich nicke trotzdem.

»Aber es sind schon wieder ein paar New-Skillz geschnappt worden.«

»Lass mich raten, es wurde irgendein Laden überfallen, in Häuser eingebrochen oder Autos wurden geklaut?«

»Ja, zu allen Punkten.« Trotzdem sieht June nicht so aus, als wäre das ihre größte Sorge, winkt mich näher und öffnet wieder ihren Laptop. Eine Aufforderung, der ich nur zu gerne folge. »Es gibt allerdings neues Videomaterial zum Anschlag auf das Königspaar vor einigen Monaten.«

Selbst hier auf Guernsey waren die Menschen schockiert von dem Attentat gewesen und in einer Art Panik gefangen. Selbst Geschäfte, die nur Tee oder Kuchen verkaufen, haben seitdem Securityleute eingestellt. Neue Kundschaft wird misstrauisch beäugt und wir Misfits sind ungern gesehene Gäste.

Jetzt schleicht sich ein mulmiges Gefühl in meinen Magen. »Sag mir nicht, dass Skillz dahinterstecken.«

June atmet schwer aus und deutet auf den Monitor, wo sie, ohne hinzuschauen, ein anderes Fenster öffnet und mir den Blick auf den Ermittlungsbericht ermöglicht. Automatisch beuge ich mich über ihre Schulter und überfliege den Text, der sicher nicht nur von der Skill-Inspection, sondern auch vom MI6 als vertraulich klassifiziert worden ist.

»Wie zum Teufel bist du da rangekommen?«

»Fionn Flare, hast du etwa Zweifel an meinen Fähigkeiten?«

Schnell drehe ich mich zu ihr und küsse sanft ihre Wange. »Niemals. Du beeindruckst mich nur jedes Mal aufs Neue.«

»Gut zu wissen, dass du dich nicht in mein Aussehen verliebt hast.«

»Nicht ausschließlich. Ich habe mich vor allem in deine Fähigkeit, jedes Geheimnis aufzudecken, verliebt.« Jedes, nur bitte nicht meines.

»Der Anschlag an sich war von einer Terrorgruppe organisiert, die haben sich inzwischen auch dazu bekannt, wie wir wissen, aber sie haben eigentlich nichts mit uns Skillz zu tun.«

»Eigentlich?«

»Auf dem neuen Videomaterial sieht man nun allerdings einen Mann, der kurz vor der Explosion in die Hände klatscht, woraufhin die Explosion vor der Kutsche passiert. Genau dieser Mann taucht in etlichen der Videos auf, und sie zeigen aus verschiedenen Perspektiven immer das gleiche Bild. Er klatscht, etwas explodiert.«

»Ein Skillz?«

»Ja. Sie halten es für wahrscheinlich, dass die Mitglieder der Terrorgruppe sich einige Fähigkeiten gekauft haben und dann …« Sie deutet auf den Text, der auch Bilder von dem Chaos und der zerstörten Kutsche der Royals enthält. »Der König kann von Glück reden, dass er mit dem Leben davongekommen ist.«

Auch wenn er sich noch immer nicht gänzlich erholt hat, so erging es ihm und seiner Frau deutlich besser als den gut dreißig Menschen, die sich in unmittelbarer Nähe der Explosion befunden haben.

»Das ist nicht gut. Das liefert doch nur den Leuten Nahrung, die ohnehin gegen uns Skillz hetzen.« Die Stimmung hatte sich in den Monaten vor dem Anschlag ohnehin schon verschärft.

»Sag das deiner Mutter.«

Ich schließe die Augen, weil ich weiß, dass June recht hat. Meine Mutter, Dr. Diane Flare, und ihr genialer Plan, Geld mit den Fähigkeiten von uns Skillz zu machen, entwickelt sich zunehmend zu einem riesigen Problem. Junes Hand legt sich an meine Wange und sie zieht mein Gesicht noch näher zu sich heran, bis ich ihre Lippen zuerst auf meinen, dann auf meiner Wange und schließlich an meinem Ohr spüre.

»Du kannst nichts dafür, Fionn.«

»Vielleicht hätte ich mehr tun können, wenn –«

»Deine Mutter kann jederzeit aufhören. Es ist nicht deine Schuld.«

Wieso fühlt es sich dann so an? Vielleicht hätte ich es verhindern können, wenn ich mit ihr gegangen wäre? Wenn ich deutlicher an ihre Vernunft appelliert hätte.

»Fionn, seit Monaten sehe ich dabei zu, wie du mit diesem zentnerschweren schlechten Gewissen auf den Schultern rumläufst.«

»Sie ist meine Mutter.« Die wider aller Wahrscheinlichkeit den verheerenden Brand in ihrem unterirdischen Skill-Labor überlebt hat, bei dem Dylan verschwand, und die Jeremy fast in den Selbstmord getrieben hat, als sie ihm als einem der Ersten seinen Skill nahm, um ihn weiterverkaufen zu können. Aber trotz alldem ist sie noch immer meine Mum.

»Sie ist vor allem eine erwachsene Frau, die selber entscheidet, an wen sie welche Skills verkauft.«

»Du meinst: an eine Terrororganisation?«

»An die Höchstbietenden.«

Es fällt mir noch immer schwer, meine Mutter mit all diesen Überfällen und Vorkommnissen in Zusammenhang zu bringen, bei denen offensichtlich New-Skillz beteiligt waren. Ich hatte stets die Hoffnung, sie würde zur Vernunft kommen oder sich zumindest genau überlegen, an wen sie verkauft.

»Aber zumindest wird nun wohl nach ihr gefahndet«, fügt June hinzu und tippt einige Dinge in ihren Laptop. Sofort öffne ich meine Augen wieder. »Es gibt einen streng vertraulichen Ordner, der mit deinem Familiennamen gelabled ist. Aber ich konnte mich noch nicht reinhacken.« Sie bemerkt, wie sich Enttäuschung in meinen Gesichtsausdruck schleichen will, und reckt entschlossen das Kinn. »Noch nicht, Fionn. Ich bleibe dran.«

Wenn es jemand schafft, dann ohne Zweifel June, denn sie verfügt nicht nur über das nötige Know-how, sondern auch über den Ehrgeiz. Aufgeben ist für sie keine Option – auch deswegen habe ich mich in sie verliebt. Ein kurzes Lächeln stiehlt sich auf ihre Lippen. »Es gibt auch gute Neuigkeiten. Ich habe vielleicht was bezüglich Dylan rausgefunden.«

Sofort ist da dieses Leuchten in ihren Augen und ich lehne mich ein bisschen nach vorne, weil es ansteckend wirkt. Seit dem Zwischenfall mit meiner Mum haben wir nicht aufgehört, nach Dylan zu suchen.

»Er gilt als vermisst, nicht verstorben, wie du weißt.« Ein Umstand, der vor allem unsere Freundin Taylor jeden Tag mit frischer Hoffnung versorgt, und ich nicke, während June weiterspricht. »Und sie haben seine Akte wieder in den Ordner der aktiven Skillz verschoben. Die Datei wurde erst letzte Nacht bearbeitet.«

»Er ist also wirklich noch da draußen.«

Mit jedem Tag, jeder Woche und jedem Monat ohne handfeste Beweise für sein Überleben war es schwerer geworden, darauf zu hoffen.

»Zumindest scheinen sie inzwischen zu glauben, dass er noch am Leben ist.«

»Oder sie wissen es.«

June legt den Kopf etwas schief, ihre Augen funkeln fast stolz, während sie mich ansieht. »Fionn, du klingst ja schon fast so misstrauisch wie ich.«

Sie trägt ihre Skill-Steel-Mütze nicht, was sie in ihrem Zimmer auch nicht muss, und ich weiß, dass sie meine Gedanken lesen kann, wenn sie will. Aber seit unserem etwas holprigen Start haben wir uns vorgenommen, die wichtigen Dinge auszusprechen. Also frage ich: »Ist das ein Kompliment?«

Junes Lächeln wächst und sie zuckt fast gelangweilt die Schulter. Noch immer kann ich es kaum glauben, dass June mich nah genug an sich rangelassen hat, um zu sehen, dass meine Gefühle für sie echt sind.

»Fischst du etwa nach Komplimenten, Flare?«

»Ah! Ein bisschen Grundmisstrauen ist geblieben, wie ich sehen kann.«

Mein Scherz führt bei ihr zu zusammengezogenen Augenbrauen, als sie nun langsam den Kopf schüttelt. »Nicht, wenn es um dich geht.«

»Das weiß ich.«

»Ich habe noch nie einem Menschen so sehr vertraut wie dir, Fionn.«

Plötzlich ist da dieser kurze stechende Schmerz in meiner Brust, weil ich vielleicht doch eine unbedeutende Kleinigkeit vor ihr versteckt halte. Zu genau weiß ich, wie enttäuscht und verletzt sie wäre, wenn ich ihr erzähle, dass ich die Phiole mit einem Skill-Replikat meiner Mutter behalten habe. Ich hätte es vor Monaten beichten sollen, aber ich weiß nicht, wie, und je mehr Zeit vergeht, desto schwerer ist es, die Wahrheit zu sagen. Damit sie meinen wahren Gedanken nicht auf die Schliche kommen kann, schließe ich die Lücke zwischen unseren Lippen und küsse sie sanft, halte sie fest und hoffe, sie so von der Echtheit meiner Gefühle zu überzeugen – und dabei von meinen Gedanken fernzuhalten.

»Nehmt euch doch ein Zimmer.«

Taylors amüsierte Stimme unterbricht uns mitten im Kuss, und June ist es, die sich zuerst löst, die Nähe zwischen uns aber nicht aufgibt. Wir drehen uns zur Tür, wo Taylor und Ivy stehen und breit grinsend zu uns sehen.

»Genau genommen haben wir das ja schon.«

»Vielleicht solltet ihr anfangen, eine Socke an die Türklinke zu hängen, wenn ihr eure Ruhe wollt.«

Mit einem Augenzwinkern geht Taylor auf ihre Zimmerseite zu, wo sie sich erschöpft auf das Bett fallen lässt. Ivy schließt derweil die Tür und verschränkt die Arme vor der Brust.

Ich ahne, dass es Probleme gab. Mal wieder. »Ist was passiert?«

Doch bevor Taylor uns ihre Version der Geschehnisse berichten kann, funkt Ivy dazwischen, die ernst von Taylor zu uns sieht.

»Sie konnte sich nicht teleportieren und dieser blöde Simon hat sich wie der letzte Vollidiot benommen!«

»Also wie immer?« Mein Kommentar bringt mir einen genervten Blick von Ivy ein, und ich hebe entschuldigend die Hände, während June Taylor im Blick behält.

»Was ist denn genau passiert?«

Taylor zögert, vielleicht weil es ihr peinlich ist, vielleicht weil sie die Wahrheit über ihre Gefühle lieber für sich behält, auch wenn wir alle sie ohnehin schon kennen und bestens verstehen können.

»Dylan.« Jedes Mal ist es sein Name, den sie als Erklärung vorbringt, wenn es um ihre Probleme beim Teleportieren geht. Und jedes Mal bricht es mir ein bisschen das Herz. »Ich denk an ihn und dann blockieren meine Gedanken. Es ist, als wäre da eine Mauer, die uns trennt und mich zugleich an Ort und Stelle hält.«

Sie fährt sich über das Gesicht, als könnte sie so auch alle unangenehmen Gedanken und Gefühle wegwischen. Jetzt erst löst sich June von mir und geht zu ihrer Mitbewohnerin und Freundin, nimmt neben ihr Platz und legt ihr die Hand auf die Schulter.

»Das tut mir leid, Taylor. Aber er ist noch da draußen. Ich habe mich ins Archiv gehackt und es gibt dort Hinweise darauf.«

Jetzt zieht Taylor die Augenbrauen nach oben und feuert einen warnenden Blick in Richtung June, die sofort den Kopf schüttelt. »Keine Sorge, sie erwischen mich nicht. Ich weiß, was ich tue! Nur sind diese Hinweise nicht das Einzige, was ich entdeckt habe.«

June erhebt sich wieder und steuert ihren Platz vor dem Schreibtisch an, wo sie ihre Finger über die Tastatur fliegen lässt, schneller, als ich es selbst von ihr gewohnt bin.

»Es gibt wohl immer mehr Anzeichen dafür, dass das Attentat auf das Königspaar von Skillz verübt wurde.«

»Klar. Noch bevor überhaupt irgendwas klar war, hieß es doch sofort, es wären Skillz gewesen.« Ivy schnaubt verächtlich und verschränkt die Arme. »Sie wollen nur die ohnehin schon schlechte Stimmung gegen uns schüren.«

»Na ja, meine Recherche hat ergeben, dass besondere Fähigkeiten für den Anschlag genutzt wurden. Allerdings tauchen die Namen der Attentäter in keinem Skillz-Archiv auf.« June unterbricht das Tippen und sieht fast etwas stolz zu uns. »Weltweit, wie ich anmerken will.«

»Soll heißen?«

»Es waren keine Skillz. Es waren Terroristen mit gekauften Fähigkeiten.« Auch wenn sie sich Mühe gibt, keinen Vorwurf mitschwingen zu lassen, so höre ich ihn doch heraus. Es ist meine Mutter, die Skills an Verbrecher verkauft und der die bedrohliche Stimmung gegenüber uns Skillz egal ist. Ganz automatisch spannen sich meine Schultern an, und ich merke, wie ich die Hitze auf meiner Haut spüre, auch wenn niemand etwas sagt, so höre ich dennoch bereits das Flüstern auf den Fluren.

»Aber es gibt Überwachungsvideos von dem Attentat.« June spricht weiter, lenkt die Aufmerksamkeit von mir zurück auf ihren Monitor.

»Das gibt es doch schon eine Weile, es ging sogar durch die Presse.«

»Aber offensichtlich existiert noch unveröffentlichtes Material.« Fast aufgeregt tippt sie weiter, ihre Finger treffen zielsicher immer die richtigen Tasten, als müsse sie keine Sekunde darüber nachdenken.

Wir sehen zu ihr, wie sie mit dem Mauszeiger auf einen Button klickt und das Video abspielt, wenn auch sehr unscharf und in Schwarz-Weiß, ohne Ton.

Sofort rücken wir noch enger zusammen, stehen Schulter an Schulter hinter June und werfen einen Blick auf das, was June im Internet, genauer gesagt in den heiligen Archiven der Skill-Inspection, gefunden hat.

Zu sehen ist ein uns inzwischen vertrautes Bild. Das Material mit der Route der Kutsche wurde ausreichend oft gezeigt, jeder weiß genau, wo die Explosion passiert ist, und auch wenn wir den genauen Zeitpunkt kennen, zucken wir jedes Mal zusammen, wenn es dann passiert.

Ohne Ton, ohne den Jubel und den Applaus der Menschenmenge fühlt sich diese Szene dennoch fremd an, als wäre sie gar nicht echt. Wir sehen, wie die Kutsche sich unaufhaltsam dem Kensington Palace nähert, und Taylor rückt näher zu uns, als könnten wir verhindern, was gleich auf dem Bildschirm geschehen wird. Ivy sieht genau dann weg, als die Explosion erfolgt und June die Pausentaste betätigt.

»Hier! Dieser Typ hier klatscht genau vor dem Moment, in dem die Kutsche explodiert.« June deutet auf einen Typen, der nicht älter als dreißig sein kann und grinsend auf dem Standbild erscheint. »Sein Name ist Samuel Kent. Ich habe alles zu ihm recherchiert. Weder bei ihm noch bei einer anderen Person aus seiner Familie ist je ein Skill-Gen nachgewiesen worden.«

Sie spult kurz zurück und wieder klatscht er breit grinsend, wie so viele der Zuschauer. Doch nachdem Panik und Chaos ausbrechen, ist er der Einzige, dessen Gesichtsausdruck sich nicht schlagartig wandelt. Sein Grinsen bleibt unverändert, er bleibt unberührt von alldem stehen, betrachtet die Szene zufrieden, dreht sich dann in aller Ruhe um und geht mit selbstsicheren Schritten davon, während alle anderen um ihr Leben rennen.

»Aber er kann das doch nicht alleine gewesen –«

Die Tür hinter uns wird geöffnet, und sofort fahren Taylor, Ivy und ich herum, bilden einen menschlichen Schutzschild vor June und dem Laptop, um neugierige Blicke zu verhindern, aber es ist nur Eric, der im Türrahmen auftaucht.

»Hier seid ihr, und ich warte in der Cafeteria auf euch …« Sein Blick huscht von mir zu den anderen, weil er sofort merkt, dass etwas nicht stimmt, auch wenn er auf eigenen Wunsch ein Skill-Steel-Armband trägt. Seit einigen Wochen setzt er seine besondere Begabung, mit der er nicht nur die Gefühle anderer Menschen lesen, sondern auch manipulieren kann, nur noch in Mr Morgans Kurs ein. Schnell schließt er die Tür hinter sich und kommt weiter ins Zimmer.

»Was ist passiert?«

Doch bevor ich ihm erklären kann, was er verpasst hat, zieht June wieder unsere Aufmerksamkeit auf sich.

»Ach du Scheiße!«

Sie haut lautstark auf eine Taste, und Eric kommt zu uns, sodass wir nun alle gebannt auf das pausierende Video der Überwachungskamera starren. June hat ein weiteres Gesicht in der Menge entdeckt, das ihre Aufmerksamkeit erregt hat und das ich dort niemals erwartet hätte. Wie bei Samuel Kent, erkenne ich auch im Gesicht des Mannes, den June nun heranzoomt, keine Panik oder Hektik.

Ich beuge mich weit nach vorne, betrachte den großen Mann, der in einem schwarzen Mantel und mit stoischem Blick dasteht. Auch wenn das Bild sicher keine HD-Auflösung bietet und das Standbild etwas unscharf ist, erkenne ich ihn sofort, wie auch all meine Freunde.

Das markante Kinn, der perfekt gestutzte Bart und die klaren Augen, in denen ich immer Verständnis gefunden habe.

»Das kann nicht sein.«

Doch es gibt keinen Zweifel daran, wessen Gesicht da den Bildschirm erfüllt, als June noch etwas näher ranzoomt und mein Herz noch tiefer sinkt.

»Professor Sculder.«

Kapitel 4

Dylan

Die Gänsehaut begleitet mich wie ein treuer Freund bei jedem Schritt, auch wenn die Handwerker und Techniker ihr Bestes tun, um uns vergessen zu lassen, was für ein Ort das hier vor einer Weile noch war. Es riecht nach frischer Farbe und frischem Holz, über unseren Köpfen werden neue Stromkabel installiert, Mineralwolle zum Dämmen liegt auf dem Boden neben zahlreichen Werkzeugen, und obwohl alles eher an eine Baustelle erinnert, kommen uns immer wieder Mitarbeiter in weißen, sterilen Kitteln entgegen. Dazwischen begegnen uns die Handwerker, die alle eine gewisse Leere im Blick haben, als wüssten sie am Ende des Arbeitstages nicht mehr so recht, was sie eigentlich getan haben.

Und das ist auch besser so.

Dr. Diane Flare geht neben mir her, nickt den Mitarbeitern lächelnd zu und weiß genau, dass ihr die Blicke der Menschen folgen, wenn sie den Flur entlangschreitet. Ich dagegen sehe neben ihr vermutlich wie ein dahergelaufener Typ aus, der nicht so recht ins Bild passen mag, als hätte sie mich irgendwo aufgegabelt.

Nur wo?

»Haben Sie sich keinen besseren Ort für Ihre Firma aussuchen können?« Ich deute auf alles um uns herum, das triste Mauerwerk dieser ehemaligen Irrenanstalt, in dem vielleicht noch immer Erinnerungen stecken, an das, was in diesem Gebäude alles passiert ist. Doch Dr. Flare lächelt nur unschuldig, so wie immer.

»Manchmal kann man sich die Dinge nicht aussuchen, Dylan. Unsere Geldgeber haben uns hier ein kleines Paradies zur Verfügung gestellt.«

Ein Paradies für sie und ihre Forschung, die von zahlungskräftigen Kunden finanziert wird. Manche Türen, an denen wir vorbeikommen, haben kreisrunde kleine Fenster in der Mitte, die einen flüchtigen Blick ins Innere des Raumes ermöglichen. Nicht immer gefällt mir, was ich dort sehe.

»Wieso so nachdenklich?« Dr. Flare hakt sich bei mir unter, als wären wir beste Freunde oder so was, und ich bekämpfe den Impuls, mich ihrer Nähe sofort zu entziehen.

»Ich frage mich nur manchmal, wieso mir manche Erinnerungen fehlen.«

Sie zieht ihre Augenbrauen zusammen und sieht mich abwartend an, ob ich noch mehr sage, aber ich wüsste nicht, was. Sanft tätschelt sie meinen Arm.

»Darüber haben wir doch schon gesprochen. Du bist ein sehr starker Skillz, Dylan. Zu deinem eigenen Schutz haben wir einige Erinnerungen auslöschen müssen. Nur so kannst du dein volles Potenzial ausschöpfen.«

Zu meinem eigenen Schutz. Zu gerne würde ich wissen wollen, wer entschieden hat, welche Erinnerungen mir bleiben dürfen und welche nicht.

Flare sieht mich mitfühlend an und tätschelt meinen Arm. »Mach dir nicht so viele Sorgen. Es war kein guter Ort, an dem du vorher warst. Aber hier geht es dir doch hervorragend oder nicht?« Ihr Blick wird weicher, fast liebevoll. Ihre Schritte verlangsamen sich, bis wir schließlich stehen bleiben. »Und jetzt passe ich auf dich auf.«

Sie passt auf mich auf. Das weckt ein gutes und erstaunlich warmes Gefühl in meinem Inneren. Auch wenn ein Teil davon merkwürdig dunkel und diffus bleibt, als wäre eine Nebelwand zwischen mir und einem Teil meiner Vergangenheit, die ich nicht durchbrechen kann. Und vielleicht auch nicht soll, weil mir nicht gefallen könnte, was ich dort finden werde.

»Vertraust du mir, Dylan?«

Eine gute Frage. Ich will instinktiv nicken, muss aber hier an diesem Ort, zwischen den massiven Steinmauern einer 1848 erbauten ehemaligen psychiatrischen Anstalt außerhalb Londons, erst einmal innerlich Anlauf nehmen, um das auch überzeugend rüberzubringen.

»Selbstverständlich vertraue ich Ihnen, Dr. Flare.« Auch wenn Sie hier gerade eine hochmoderne, aber irgendwie nach außen getarnte Forschungseinrichtung entstehen lassen …

»Diane, nicht Dr. Flare.« Sie drückt meinen Arm und lächelt etwas breiter, was ihr Gesichter jünger wirken lässt und nicht so verbissen wie sonst. Nur die Narbe in ihrem Gesicht passt nicht so ganz zu ihrem sonst perfekten Aussehen. »Auch dank dir machen wir große Fortschritte und bald dürfen wir die neue Forschungsstation hier eröffnen. Du hast uns da einen sehr spannenden jungen Skillz beschafft.« Sie setzt sich wieder in Bewegung, zieht mich mit sich und steuert eine der neuen Stahltüren an, die erst kürzlich installiert wurden und so gar nicht zu dem Look der ehemaligen Anstalt passen wollen. Ohne dabei die Tasten an der Eingabefläche zu berühren, tippt sie einen streng geheimen Code ein. Sofort klicken die Türen schwungvoll auf, als hätten sie nur auf unser Eintreten gewartet und ein weiß gekachelter Flur erstreckt sich meterlang vor uns.

»Willst du den Skillz näher kennenlernen?«

Unsicherheit zieht in meinen Körper ein und ich zucke die Schultern, aber Diane nickt nur in Richtung Flur. »Er könnte unsere Arbeit unheimlich erleichtern.«

Als würde sie mein Zögern bemerken, macht sie den ersten Schritt über die Schwelle und hält mir dann die Hand entgegen. »Nur keine Angst, Dylan. Es wird Zeit für die Zukunft.«

Kapitel 5

Taylor

Auch nachdem wir das Video mehrere Male angeschaut haben, können wir nicht verstehen, was wir da gesehen haben. Fionns Enttäuschung und Wut wird durch die steigende Raumtemperatur deutlich spürbar, da er seinen Feuer-Skill nicht immer ganz im Griff hat. June versucht ihn zu beruhigen, aber er schüttelt nur den Kopf und beginnt nervös auf und ab zu gehen.

»Das macht gar keinen Sinn. Professor Sculder würde bei so was doch niemals mitmachen.«

Seit dem Verschwinden von Fionns Eltern ist der Direktor der Academy als Vormund eingesprungen und kümmert sich seitdem um ihn. Verständlich also, dass dieses Video Fionn ziemlich aus der Bahn wirft. Aber auch ich sitze in einer Art Schockstarre zwischen Eric und Ivy auf meinem Bett und versuche eine Erklärung für Professor Sculders Anwesenheit am Ort des Anschlags zu finden.

»Professor Sculder war in letzter Zeit immer mal wieder für ein paar Tage abwesend, angeblich auf Tagungen. Aber er würde so was doch nie tun.« Erics Worte klingen so voller Zweifel, dass nicht mal er sie wirklich zu glauben scheint.

»Professor Sculder hat eine Vergangenheit als Fox Boy. Er war mit deinem Vater in einer Clique, wer weiß, vielleicht haben wir uns alle in ihm getäuscht und er arbeitet noch immer mit deinem Dad zusammen.« Ivy, die grundsätzlich niemandem so schnell traut, bringt die Argumente auf den Tisch, die wir alle nicht wahrhaben wollen.

»Ziehen wir jetzt auch noch meinen Vater mit rein, ja?« Fionn funkelt Ivy böse an, auch wenn er seinen Vater sonst selten verteidigt.

June ist es schließlich, die eine Eskalation zu verhindern weiß. »Unsinn! Ich habe seine Gedanken gelesen! Und niemals habe ich auch nur irgendwas Verdächtiges mitgekriegt. Nie!« Sie verschränkt die Arme, ihr Blick ist entschlossen, und ich weiß, dass sie nicht lügen würde. Nicht, wenn es um so was geht.

»Ich bin dafür, dass wir ihn einfach damit konfrontieren!«

Fionn will schon zur Tür, als June ihm in den Weg tritt. »Und wie wollen wir ihm erklären, dass wir das Video gesehen habe? Meine komplette Recherche würde auffliegen und das würde jede Menge Staub aufwirbeln. Vom Ärger, der mir dann droht, ganz zu schweigen.«

Das lässt Fionn zumindest kurz zögern, aber die Funken, die zwischen seinen Fingern hin und her fliegen, machen nur zu deutlich, wie es in seinem Inneren aussieht. »Was schlägst du stattdessen vor?«

June zuckt nur die Schultern, weil auch sie verunsichert ist. Für gewöhnlich vertraut sie auf ihren Gedankenlese-Skill und die Ergebnisse ihrer eigenen Recherche, aber diesmal scheint auch sie ratlos. Bisher war es leicht, Professor Sculder zu vertrauen, er war immer auf unserer Seite, und ich hatte das Gefühl, dass er einer von uns ist.

»Was, wenn das Video ein Fake ist? Inzwischen ist so was doch leicht machbar.« Ivy, die Professor Sculder vielleicht vertraut hat, aber nie ein ausgesprochener Fan war, erhebt sich von meinem Bett und geht zu der Pflanze am Fensterbrett, wo sie mit ihren Fingern über die Blätter fährt, als würde sie ein Haustier streicheln.

»Ich habe das Video geprüft. Es ist echt. Leider.« June deutet auf den Laptop, der mit so ziemlich jeder Software ausgestattet ist, auch mit solcher, die man offiziell gar nicht kaufen kann. Aber June ist eben June, und wenn es darum geht, ihre Recherchen durchzuführen, überspringt selbst sie hier und da die Grenzen der Legalität.

»Was für eine Motivation hätte Professor Sculder denn, mit diesen Terroristen gemeinsame Sache zu machen?« Fionn fährt sich durch die Haare und schließt die Augen. Er kämpft mit sich und seinen Emotionen, was immer bedeutet, hier könnte jeden Moment etwas in Flammen aufgehen.

»Leute, ich glaube, wir bekommen Besuch!« Ivy deutet aus dem Fenster in den Innenhof der Academy und wir eilen alle neben sie, um einen Blick auf die dunklen Autos ohne Nummernschilder zu erhaschen.

»Was zum Henker will die Skill-Inspection hier?«

Mehrere Männer in schwarzen Anzügen steigen aus den Autos, sie sehen aus wie die Typen, die mich damals am Venice Beach aufgegabelt haben. Ihre entschlossenen Gesichter lassen nichts Gutes erahnen. Sie öffnen die Tür des letzten Wagens und Mr McAllister steigt aus, richtet erst mal seinen Anzug und sieht sich dann einen Moment um. Sein Blick wandert an der Mauer der Academy nach oben, bis er unser Fenster findet, wo wir alle sofort in Deckung gehen, auch wenn ich sicher bin, dass er uns entdeckt hat.

Auf Fionns Stirn bilden sich nachdenkliche Falten und er spricht das aus, was wir alle denken. »Shit, das sieht nach richtig Ärger aus.«

June, die bereits wieder aufgestanden ist, wirft einen Blick auf ihren Schreibtisch, der in den letzten Wochen und Monaten so was wie die Zentrale unserer Suchaktion nach Dylan und Fionns Mutter geworden ist.

»Die Frage lautet nur: Ärger für wen?«

Kapitel 6

Eric

June wird immer blasser, während sie ihren Laptop vom Strom nimmt, in eine Tasche stopft und hinter ihre Klamotten in den Schrank legt. »Ich habe keine Spuren hinterlassen und war aus allen Programmen raus, bevor sie mich hätten bemerken können.«

Niemand ist so vorsichtig und unschlagbar beim Recherchieren wie June, das wissen wir alle, und so schüttele ich den Kopf und deute in Richtung Tür. »Mein Tipp ist: Professor Sculder. Immerhin hat die Skill-Inspection das Video sicherlich auch gesehen.«

»Stehen wir hier nicht dumm rum, finden wir es heraus!« Fionn führt unseren kleinen Trupp an, als wir in den Flur treten und anschließend die Treppen nach unten in Richtung Eingangsbereich eilen.

Taylor, die dicht neben mir geht, wirkt außer Atem, und ich greife schnell nach ihrer Hand, die ich kurz drücke; ein Versuch, ihr Mut zu machen oder ihr zumindest ein bisschen die Panik zu nehmen. Denn mit dem Skill-Steel-Armband kann ich meine Fähigkeit, Emotionen zu beeinflussen, nicht nutzen, also muss ich andere Möglichkeiten finden. Zumindest bekomme ich ein Lächeln zurück, wenn auch kein besonders überzeugendes.

Kaum haben wir die letzte Stufe erreicht, betreten Mr McAllister und die Anzugmänner das Gebäude, sehen sich kurz um, bevor sie ihre Schritte zielsicher in die Richtung Direktorat lenken. Sie bemerken nicht mal, dass wir ihnen folgen, so zielstrebig sind sie, und ich ahne, dass ich mit meiner Vermutung Recht behalten werde.

Einige der anderen Schüler beobachten irritiert die Männer, denn es ist nicht gerade üblich, dass die Skill-Inspection in unserer Academy einfällt – schon gar nicht in Begleitung vom Leiter der Schulbehörde persönlich. Nicht mal dann, wenn ein Misfit mal wieder Mist gebaut hat. Für gewöhnlich regelt Professor Sculder das dann intern.

»Was ist denn hier los?« Miss Baker, die Sekretärin, die wie immer an ihrem Schreibtisch vor Professor Sculders Büro sitzt, sieht überrascht aus, als die Entourage eintritt.

»Bleiben Sie ruhig sitzen, Miss Baker, wir wollen zu Professor Sculder.«

»Mr McAllister. Haben Sie denn einen Termin?«

»Nein. Dieser Besuch ist leider sehr kurzfristig geplant worden.« Er deutet zur Bürotür, aber Miss Baker schüttelt den Kopf.

»Tut mir leid, er ist gerade in einer Besprechung!«

Doch davon lässt sich hier niemand aufhalten. Mr McAllister klopft nicht mal an, öffnet ohne Vorwarnung die Tür und betritt das Büro, in dem ich Professor Sculder und Mr Morgan gemeinsam mit Dr. Gibson sitzen sehe.

»Gentlemen … oh Mr McAllister.« Professor Sculder erhebt sich lächelnd, bis sich eine Spur Irritation in seinen Blick schleicht, als sein Vorgesetzter mit den Männern das Büro betritt. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Dominic, es tut mir leid, hier so reinplatzen zu müssen, aber ich komme mit schlechten Nachrichten.«

»Ist etwas passiert?«

Mr McAllister räuspert sich, sein Unbehagen ist deutlich spürbar. »Professor Dominic Sculder, wir sind hier, um Sie mitzunehmen. Wir haben Grund zur Annahme, dass Sie an einem Terroranschlag beteiligt waren.«

Professor Sculder sieht von Mr McAllister zu Mr Morgan, der ebenso irritiert wirkt, wie alle anderen. »Außerdem sind Sie zusätzlich mit sofortiger Wirkung vom Amt des Schulleiters der Misfits Academy enthoben.« Dieser Teil scheint Mr McAllister besonders schwerzufallen, kann er seinem Kollegen dabei doch kaum in die Augen sehen.

Mr Morgan erhebt sich und mit ihm seine Schatten, die ihn begleiten, wo auch immer er ist, aber Professor Sculder bedeutet seinem Freund, sich zurückzuhalten.

»Darf ich fragen, was genau mir vorgeworfen wird?«

»Das würde ich gerne an einem anderen Ort besprechen.« Damit meint er ohne Zuschauer, ohne diese Schüler und nach einem Blick zu Mr Morgan sicher auch ohne ihn und seinen Skill.

Professor Sculder nickt nachdenklich und sieht schließlich zu Mr Morgan. »Lucas, du übernimmst in meiner Abwesenheit die Leitung, bis ich zurück bin.«

Mr Morgan will etwas erwidern, als Mr McAllister den Kopf schüttelt. »Das wird nicht nötig sein, Mr Sculder.«

»Sie meinen Professor Sculder!« Alle Köpfe wenden sich in unsere Richtung, weil Fionn Mr McAllister korrigiert hat. Erst jetzt bemerkt auch Professor Sculder, dass wir hier im Schlepptau aufgetaucht sind. Sofort wird sein Blick etwas weicher, als er von uns zu Fionn sieht.

»Was macht ihr denn hier? Habt ihr nicht etwas anderes zu tun?« Obwohl er lächelt, entgeht mir die Warnung nicht, dass es besser wäre, wenn wir uns zurückziehen würden. Doch niemand von uns denkt daran, auch nur einen Schritt von hier wegzugehen. Schon gar nicht Fionn, der sich jetzt an all den Männern vorbeidrückt, die sofort zurückweichen, weil die Hitze, die von ihm ausgeht, sie überrascht.

»Sie können Professor Sculder nicht einfach so mitnehmen!« Funken fliegen zwischen Fionns Fingern, und dann ist da eine Flamme, wenn auch klein, die grell leuchtet und die Männer weiter zurückweichen lässt. Selbst jetzt, nachdem er das Video gesehen hat, glaubt er noch immer an unseren Direktor.

»Fionn, hör auf damit! Du bringst dich nur in Schwierigkeiten!«

Professor Sculders Worte sorgen zumindest dafür, dass die Flamme unter Kontrolle bleibt, aber Fionns Blick ist wütend auf die Männer und Mr McAllister gerichtet.

»Was wird Professor Sculder denn vorgeworfen?« Ohne eine Antwort wird Fionn sich nicht beruhigen, dabei kennen wir sie schon längst, haben das Video gesehen und ich sehe die Bilder noch immer vor meinem inneren Auge. Neben mir zieht June ihre Mütze langsam vom Kopf und lässt sie unter ihren Pullover verschwinden.

Du willst Professor Sculders Gedanken lesen?

Sie nickt, ohne mich anzusehen, hält ihren Blick stur auf unseren Schulleiter gerichtet.

Mr McAllister räuspert sich schließlich und zuckt die Schultern, nicht bereit, seinen schicken Anzug in Flammen aufgehen zu lassen. »Wir haben Grund zu der Annahme, dass Professor Sculder in terroristische Handlungen der sogenannten New-Skillz-Bewegung verstrickt ist. Aus diesem Grund muss ich ihn bitten, uns zu begleiten.«

Professor Sculder wirkt von dieser Anschuldigung unbeeindruckt, doch Dr. Gibson, die bisher nur stumme Zuschauerin war, entfährt ein lautes Lachen. »Das ist eine lächerliche Anschuldigung!«

»Mag sein, Ma’am, aber ich sehe mich gezwungen zu reagieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieser Vorfall es in die Medien schafft.« Mr McAllister zieht sehr langsam einen gefalteten Zettel aus der Brusttasche seines dunklen Jacketts und reicht ihn an Fionn vorbei zu Professor Sculder, der das Papier wortlos annimmt. June, die noch immer nur auf Professor Sculder fokussiert ist, zieht nachdenklich die Augenbrauen zusammen, und ich würde so gerne wissen, was sie gerade denkt. Oder besser gesagt: was Professor Sculder gerade denkt.

»Ich werde selbstverständlich mitkommen und meine Unschuld beweisen. Aber es gibt wahrlich keinen Grund, diese Academy in meiner Abwesenheit zu schließen, Peter.«

Die Academy schließen? Ich sehe zu Taylor, die das eben Gesagte ebenfalls nicht glauben kann und mit offenem Mund dasteht.

»Tut uns leid, Dominic, ich habe alles versucht, wurde aber überstimmt. Du weißt, dass wir uns schlechte Presse im Moment nicht leisten können.« Kurz sieht er zu Fionn, bevor er weiterspricht. »Wir Skillz haben uns in letzter Zeit nicht gerade viele Freunde unter den übrigen Menschen gemacht und die Skepsis wächst. Seitdem nicht nur Multi-Skillz, sondern auch New-Skillz aufgetaucht sind, haben wir alle Hände voll damit zu tun, die Öffentlichkeit zu beruhigen.«

»Was geschieht mit meinen Schülern?«

»Alle hier ansässigen Schüler werden auf andere Academys verteilt.«

Jetzt ist es Taylor, die meine Hand drückt, weil meine Panik so deutlich zu spüren ist, dass kein Skill nötig ist, um das zu erkennen.

Wir werden also aufgeteilt.

Kapitel 7

Fionn

Sie verzichten auf Skill-Steel-Handschellen, als sie Professor Sculder durch das Schulgebäude in Richtung Innenhof führen, was er nur Mr McAllister zu verdanken hat, der neben uns hergeht.

»Ich verspreche dir eine schnelle Aufklärung, aber wir müssen im Moment demonstrieren, dass wir jedes Indiz sehr ernst nehmen.« Er sieht Professor Sculder entschuldigend an. »Bevor die anderen auf die Idee kommen und es selber übernehmen wollen.«

»Wer sind die anderen?«

Während die Skill-Inspektoren ein gutes Stück hinter uns gehen, lasse ich Professor Sculder und Mr McAllister nicht aus den Augen und folge ihnen im Gleichschritt.

»Ich würde mal so weit gehen und sagen: die britische Regierung. Es ist die Rede von verschärften Gesetzen für Skillz.«

»Wieso?«, kann ich es mir nicht verkneifen zu fragen.

Mr McAllister bleibt kurz stehen, sein knallharter Blick trifft mich wie ein rechter Schwinger. »Frag das deine Mutter, die gefährliche Skillz an verschiedene Terrororganisationen verkauft!«

Mum verkauft also tatsächlich Skills an Verbrecher. Und mir hat sie zum Abschied einen ganz besonderen dagelassen, den ich samt Kapsel noch immer versteckt halte. Mein Herz schlägt mir ohnehin schon die ganze Zeit bis zum Hals, aber jetzt verliere ich kurz die Kontrolle, und das Feuer in meiner Hand, das bisher nicht größer als die Flamme eines Feuerzeugs war, explodiert in einer Stichflamme, die Mr McAllister zurückweichen lässt.

»Fionn!« Es ist Professor Sculders strenge Stimme, die mich durchatmen lässt. »Behalte einen kühlen Kopf, verdammt noch mal.«

»Entschuldigung, ich war nur …« Überrascht. Meine Mutter, die irgendwo da draußen ist, setzt ihren Plan also eiskalt weiter in die Tat um, ignoriert dabei, dass sie uns echten Skillz damit nur schadet.

Professor Sculder sieht zu Mr McAllister, als wir die Autos im Innenhof erreicht haben. »Kriege ich einige Minuten mit Fionn alleine?« Mr McAllister will schon ablehnen. »Bitte, Peter.«

Schließlich nickt Mr McAllister und bedeutet seinen Männern, schon mal einzusteigen, bevor sein Blick mich streift und jede Freundlichkeit daraus verschwindet.

»Nur ein paar Minuten.«

Wir warten, bis er in einen der Wagen gestiegen ist, bevor ich mich zu Professor Sculder drehe, der für meinen Geschmack noch immer viel zu entspannt wirkt.

»Waren Sie an diesem Anschlag beteiligt?«

Professor Sculder sieht nicht zu mir, macht keine Anstalten zu antworten, und ich werde immer ungeduldiger, weil ich es einfach aus seinem Mund hören will.

»Frag doch June, sie hat vorhin meine Gedanken gelesen, nicht wahr?«

»Ich will es aber von Ihnen hören.«

»Was denkst du, Fionn?«

Mein Herz mag die Antwort kennen, aber mein Verstand kann nicht vergessen, was ich gesehen habe. »Ich weiß eben nicht, was ich denken soll. Wir haben das Video gesehen.«

Jetzt dreht er sich ganz zu mir, die Augenbrauen fragend nach oben gezogen, aber ich zucke nur die Schultern. »Die haben auf jeden Fall Beweise gegen Sie, Professor.«

»Ein Video, ja?«

»Sie sind deutlich am Tatort zu erkennen. Wenn Sie mir einen Grund nennen können, versuche ich es zu verstehen, aber so?«

»Sie haben ein Video. Das überrascht mich nicht.« Er atmet schwer aus und sieht mich ernst an. »Ich bin unschuldig und werde das beweisen. Aber du, Fionn, du musst einen kühlen Kopf bewahren. Sie warten nur darauf, dass wir Skillz ihnen jetzt Gründe liefern, ihre Gesetze gegen uns zu verschärfen. Was auch immer sie mit dir und den anderen vorhaben, ihr müsst auf der Hut sein!«

Ein ziemlich großer Kloß breitet sich in meinem Hals aus, drückt bedrohlich auf den Kehlkopf, aber ich nicke und sehe plötzlich in einem sehr wilden Kurzfilm all meine Momente an dieser Academy als Kopfkino. Mein erstes Treffen mit Professor Sculder, die unzähligen Male in seinem Büro, die Strenge, die über Jahre einer großen Milde mir gegenüber gewichen ist.

»Ich will nichts von einem Feuer oder Verbrennungen deiner neuen Mitschüler hören, hast du verstanden?« Professor Sculder holt mich und meine Gedanken wieder in die Gegenwart und ich nicke, versuche, seinem Blick standzuhalten.

»Ja, Sir.«

Professor Sculder hat immer an mich geglaubt, auch als mein Vater mich belächelt hat und ich nicht wusste, was ich mit meinem Skill überhaupt anfangen sollte. Wenn ich ehrlich bin, hat er mehr an mich geglaubt, als mein Vater es je getan hat. Vollkommen egal, wer uns sehen kann, ich schlinge meine Arme um ihn und drücke ihn fest an mich.

Zu meiner Überraschung erwidert er die Umarmung.

»Du bist ein feiner Kerl, Fionn Flare. Lass dir da draußen ja nichts anderes einreden.« Ich nicke, komme mir wie ein kleiner Junge vor, der nicht alleine sein will, und wünschte, ich könnte die Zeit anhalten oder zumindest verlangsamen. »Pass auf die anderen auf, hörst du?« Dann lässt er mich los und zwinkert mir zu, auch wenn sein Lächeln traurig bleibt. »Wir sehen uns wieder.«

Dieser Mann, der hier vor mir steht, kann nicht der gleiche Mann sein, der mitten in London an einem Terroranschlag auf die Royals beteiligt gewesen sein soll. Und ich werde ganz sicher nicht aufgeben, bevor ich nicht weiß, was wirklich an dem Tag passiert ist. Ein kurzes Nicken, dann dreht er sich abrupt um und steigt ohne weitere Abschiedsworte in eines der schwarzen Autos, dessen Tür sofort geschlossen wird.

Ich balle meine Hände zu Fäusten, ersticke meine Flamme und sehe zu, wie die Autos in einer geordneten Kolonne mit perfektem Abstand vom Hof und schließlich durch das eiserne Tor mit dem Schulwappen fahren.

»Mach dir keine Sorgen um ihn, wir holen ihn da schon wieder raus.« Mr Morgan und seine Schatten treten neben mich, bevor er mir die Hand auf die Schulter legt.

»Sie wollen die Academy für immer schließen, nicht wahr? Darum geht es hier wirklich, oder?«

»Ich befürchte, das ist ein Teil ihres Plans, ja.«

»Aber wieso?«

»Genau das gilt es herauszufinden.«

Erst jetzt finde ich den Mut, mich zu ihm herumzudrehen. »Was wird aus uns Misfits?« Wenn jemand immer die ungeschönte Wahrheit ausgesprochen hat, dann ist das Mr Morgan, der blumige Umschreibungen für überflüssig hält und mich auch jetzt nicht enttäuscht.

»Sie werden die Elite-Skillz auf Elite-Academys bringen und alle anderen dahin abschieben, wo gerade Platz ist.«

»Großartig.« Dann kann ich mir meine Zukunft ja schon ausmalen.

»Ich werde versuchen, euch im Auge zu behalten. Mehr kann ich im Moment nicht anbieten, weil sie die Dinge ohne unser Mitspracherecht entscheiden.«

»Wann müssen wir weg?«

Er spürt, dass ich vor dieser Antwort am meisten Angst habe, denn es bedeutet nicht nur einen Abschied von dieser Academy, die in den letzten Jahren mein Zuhause geworden ist, sondern auch von meinen Freunden – und von June.

»Morgen.«

»So schnell?«

»Sie wollen keine Zeit verlieren. Einige Eltern werden ihre Kinder heute schon holen lassen.«

»Ich nehme an, mein Vater taucht nicht einfach so aus seinem Versteck auf, um mich abzuholen.« Und ehrlich gesagt, würde ich das auch nicht wollen.

Mr Morgan drückt meine Schulter. »Wir geben nicht auf, Fionn. Die Misfits Academy wird wieder öffnen und dann holen wir euch zurück. Das verspreche ich dir.«

»Wie können Sie da so sicher sein?«

Mr Morgans Lächeln wird breiter, so wie ich es an ihm kenne, wenn er uns in seinem Kurs vor eine neue Herausforderung stellt.

»Weil das hier mein Zuhause ist und ich es niemals kampflos aufgeben werde.« Er lehnt sich zu mir. »Und du auch nicht.«

Kapitel 8

Dylan

»Kevin Fletcher stammt aus einer reinen Elite-Skillz-Familie, und wenn man ihn betrachtet, dann erkennt man all seine Vorfahren in seinen Gesichtszügen. Die Strenge seines Vaters in den erstaunlich dünnen Lippen, die Gutherzigkeit seiner Mutter in den warmen braunen Augen.«

Dr. Flare referiert so frei über den Jungen, der festgeschnallt auf einem der Behandlungsstühle sitzt, als wäre er nicht anwesend oder zumindest nicht bei Bewusstsein, dabei sind seine soeben erwähnten warmen braunen Augen gerade panisch aufgerissen auf uns gerichtet.

»Mr Fletcher, ich muss sagen, es ist mir eine Ehre, Sie hier in meinem bescheidenen Labor empfangen zu dürfen.«