Mission Kolomoro oder: Opa in der Plastiktüte - Julia Blesken - E-Book

Mission Kolomoro oder: Opa in der Plastiktüte E-Book

Julia Blesken

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Beschreibung

Vor einem Supermarkt, am Anfang der Herbstferien, treffen sechs Kinder zufällig aufeinander: Katja, die sich mit ihren Vätern gestritten hat. Polina, die nur eben Backpulver kaufen wollte, Fridi, Mustafa und Zeck sowie Jennifer mit Rehpinscher Püppi und der Asche ihres Opas in einer Plastiktüte. Als Mustafa einen Rocker auf dem Parkplatz reinlegt, müssen die Kinder schnellstens abhauen. Ohne Handys und fast ohne Geld. Aber mit einer wichtigen Mission: Jennifers Opa soll seine letzte Ruhe in Kolomoro finden. Nur: Wie geht das, wenn man keine Ahnung hat, wo Kolomoro liegt?

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Über dieses Buch

Sechs Kinder, ein Rehpinscher und eine wichtige Mission …

 

Sie müssen nach Kolomoro. Unbedingt. Katja, Zeck, Fridi, Mustafa, Jennifer und Polina treffen sich eher zufällig und haben plötzlich ein gemeinsames Ziel: Das Versprechen halten, das Jennifer ihrem Opa gegeben hat. Der ist auch mit von der Partie, in einer Plastiktüte. Nur, wie kommt man an einen Ort, wenn man keine Ahnung hat, wo er liegt?

Es beginnt ein aufregendes Abenteuer quer durch die Großstadt, ganz ohne Handys und fast ohne Geld. Aber wenn man zusammenhält, schafft man alles. Meistens jedenfalls.

 

Ich freue mich über die Entscheidung der Jury. Das ist ein überzeugender Text: schräg und trotzdem realistisch; unterhaltsam, aber mit Substanz; professionell erzählt mit liebevoll gezeichneten Charakteren und witzigen Dialogen.

Kirsten Boie

Ein mieser Morgen

»ICHHABDIEBESCHEUERTENSCHOKOKÜSSENICHTGEGESSEN!«

Katja Pfeiffer, große grüne Brille und Wedelpferdeschwanz, steht auf der einen Seite. Papa steht auf der anderen. Zwischen Papa und Katja steht der Küchentisch. Auf dem Küchentisch steht eine Zehnerpackung Schokoküsse.

Papa zeigt auf die aufgeklappte Verpackung.

»Und warum fehlen dann schon drei? Die können doch nicht so einfach verschwinden.« Während er spricht, wird seine Stimme immer lauter. Kleine Spuckekügelchen fliegen aus seinem Mund, ein paar landen auf der weißen Tischplatte.

Katja zuckt mit den Schultern. »Weiß ich doch nicht.«

Papa sieht Katja streng an. »Also, ich hab die Schokoküsse nicht gegessen, und Tatusch schläft noch. Außerdem mag er so was gar nicht.«

»Keine Ahnung. Vielleicht ist ja eine Ratte gekommen und hat sie aufgefressen.«

»Jetzt hör aber auf!«, schreit Papa, und ein wahrer Spuckeregen ergießt sich über den Tisch. Sein Kopf ist ganz rot. Die kleine Ader an seinem Hals pocht aufgeregt. »Und sogar noch vor dem Frühstück!«

Da hat Katja Pfeiffer endgültig genug. Was hat sie mit den verschwundenen Schokoküssen zu tun? Katja stürmt los. Papa lässt sie einfach stehen.

Im Flur begegnet sie Tatusch. Er ist müde und riecht nach Vanilleduftbaum. Die schwarzen Kringellocken stehen ihm wild um den Kopf. Tatusch ist mal wieder die ganze Nacht Taxi gefahren, weil es mit dem Zeichnen im Moment nicht so gut klappt.

»Kannst du vielleicht etwas leiser schreien?«, fragt er und gähnt.

»Nein, kann ich nicht!«, schreit Katja, schlüpft in die Schuhe, nimmt ihre Jacke, stopft im Vorbeigehen noch schnell ein paar Ölmalkreiden in die Tasche und stürmt aus der Wohnung. Sie muss hier weg, wo sie so gemein verdächtigt wird, irgendwelche Schokoküsse gegessen zu haben!

Katja knallt die Tür zu und rennt die Treppen runter. Plötzlich hält sie an. Die ganze Katja Pfeiffer steht da und spürt: Etwas in ihr drin muss ganz dringend raus!

Sie zieht einen Ölmalstift aus der linken Tasche. Ketchuprot. Der Stift hat genau Hosentaschentemperatur. Sofort schießt die Energie durch ihren Arm bis in die Fingerspitzen. Sie fühlt ein Kribbeln und Brennen, als sie den Ölmaler an die Hausflurwand setzt. Es zischt richtig, wie Funken, die überspringen.

Der Stift bewegt sich wie von selbst. Ihr Herz rast. Ihre Finger sind elektrisch. An manchen Stellen ist die Wand ein bisschen kaputt und bröckelig, da muss sie doller aufdrücken, und in die rote Farbe mischen sich winzige Krümelchen vom weißen Putz. Aber das macht nichts. Die Rattenaugen blitzen. Die Nase schnuppert. Die Beine mit den Krallen zucken. Beim Körper muss sie eine Stufe nach unten gehen, und noch eine, und noch eine. Jetzt wieder zwei Stufen rauf für die Ohren.

Scharfe Nagerzähne braucht sie natürlich auch noch, so richtig schön lang und spitz. Für die Schnurrhaare muss sich Katja auf die Zehenspitzen stellen. Dann fährt sie noch mal über den Bauch. Er sieht richtig dick aus, wer weiß, was die Rättin da alles drin hat. Vielleicht drei Schokoküsse. Für den Schwanz setzt Katja den Stift an und springt.

Zwei Stufen abwärts. Zufrieden betrachtet sie den langen Rattenschwanz, der wie ein Seil auf den letzten Treppenabsatz herabhängt.

Die Rättin hat Charakter, das muss man schon sagen. In ihren Augen, da ist so ein Blitzen drin. Einen Moment bleibt Katja vor dem Bild stehen und wartet. Doch nichts passiert.

Sie steckt den Stiftstummel wieder in die Hosentasche, wenigstens fühlt sie sich jetzt besser, viel besser sogar.

Wie gut, dass Katja Pfeiffer, weltbeste Kritzlerin, immer ein paar Stifte in der Tasche hat.

Im Hausflur riecht es nach Kartoffelpuffern. Ihr Magen fühlt sich ziemlich leer an. Während sie die Treppen runtersteigt, denkt sie sehnsüchtig an die Packung mit den Schokoküssen auf dem Tisch. Immerhin sind ja noch ein paar übrig. Plötzlich bleibt sie stehen.

Katja zögert. Es ist wirklich ziemlich hoch. Egal. Die letzten sechs Stufen springt sie. Die Fliesen sind feucht, die Schuhe rutschen weg, und im nächsten Moment landet Katja auch schon auf dem Po. Da sitzt sie, mitten auf dem Hausflurboden. Klar, heute ist ja auch Montag, da wischt die Schleuss immer die Treppen. Vor der Schleuss hat Papa mächtige Angst. Wenn die beim Treppenwischen nächste Woche die Riesenratte entdeckt, gibt es Ärger! Riesenärger! Aber Papa ist schließlich selber schuld. Katja rappelt sich hoch. Gebrochen ist jedenfalls nichts. Nur der Po tut ein kleines bisschen weh.

Sie zieht die Haustür auf und reibt ihre Hand an der Hose ab. Der eklige Metallgeruch der Klinke bleibt immer so an der Haut kleben. Auch wenn man nur eine Blitzsekunde anfasst. Jetzt riecht ihre Hand nicht mehr nach warmen Ölkreiden, sondern nach Wischwasser, Meister Proper Frühlingserwachen und Türklinken. Was für ein mieser Morgen!

Die Haustür knarrt. Katja Pfeiffer blinzelt in die helle Sonne und kneift die Lider zu. Dann schiebt sie erst mal ihre Brille zurecht.

Im nächsten Moment macht ihr Herz einen kleinen Sprung: Da drüben, auf dem Parkplatz vom Supermarkt, steht Zeck.

Musti in Schwierigkeiten

Katja schlüpft aus der Tür. Zecks Rücken – natürlich nicht nur der, aber der Rest wird von zwei riesigen Dobermännern verdeckt – steckt im olivgrünen Parka, für den es jetzt eigentlich noch zu warm ist, aber so was interessiert Zeck ja nicht im Geringsten. Der Parka muss sein. Die Mütze auch. Ohne geht nicht, sagt Zeck. Und der, der da hinter dem olivgrünen Parka vorguckt, ist Fridi. Viel ist nicht von ihm zu sehen. Nur manchmal ein bisschen blondes Haar oder ein Stückchen grünes T-Shirt, je nachdem, wohin Zeck sich gerade bewegt. Zeck und Fridi, die gehen beide in ihre Klasse. Fridi heißt eigentlich Fridolin, aber er mag seinen Namen nicht so. Wie Zeck in echt heißt, hat Katja vergessen, weil Zeck meint, seinen Namen sucht man sich am besten selber aus, da weiß man, woran man ist, und es kann nichts schiefgehen.

Während Katja zu ihnen über die Straße schlendert, sieht sie zum Küchenfenster rauf. Natürlich, da steht Papa.

Dann muss sie ihm ja wenigstens nicht mehr Bescheid sagen.

»Na«, sagt Katja. »Gut, dass endlich Ferien sind.«

Fridi und Zeck nicken, aber sie sind mit ihren Gedanken ganz woanders, das sieht man. »Ich hab von meinen Eltern Geld gekriegt für die letzte Mathearbeit.« Zeck grinst. »Zwei fünfzig hab ich schon ausgegeben, und vom Rest will ich jetzt was kaufen. Nur weiß ich nicht, was, und Fridi hier ist auch keine wirkliche Hilfe.«

Zeck boxt Fridi ein bisschen in die Seite. Fridi zieht verlegen die Schultern hoch.

»Mal sehen, vielleicht kann ich euch ja helfen«, sagt Katja. Mit solchen Dingen kennt sie sich fantastisch aus.

Zeck hat genau drei Euro fünfzig. Komischerweise ist es gar nicht so leicht, zu entscheiden, wie man das Geld am besten anlegt. Zeck ist für zwei Tüten Chips, eine davon auf jeden Fall Zwiebelringe, und eine Flasche Cola. Fridi ist ganz scharf auf Kaugummis, Colakracher, Center Shocks und Brausestangen. Katja Pfeiffer will, ganz klar, eine Zehnerpackung Schokoküsse.

Von den Brausestangen muss man immer die Hälfte wegschmeißen, weil die Spucke irgendwann alles verklebt und das Brausepulver zu bröseligen Klumpen wird. Chips und Cola dagegen sind eine handfeste Sache, findet Zeck.

Fridi soll pünktlich zum Mittagessen hoch. Er hat Schiss, dass seine Mutter dann die Zwiebelringe riecht, was Quatsch ist, weil, so viele Stunden hält sich der Geruch im Mund auch nicht, da ist sich Katja Pfeiffer ziemlich sicher. Die Sache ist die, dass Fridi einfach vor allem Schiss hat, sogar vor dem Mittagessen. Heute gibt es Brokkoli-Auflauf mit Schafskäse. Und Fridi weiß jetzt schon, dass er kein bisschen davon runterkriegt. Er isst nämlich überhaupt nichts, was grün ist, außer Brausestangen und Kaugummis.

Da ist nichts zu machen, jeder will an diesem herrlichen Tag am Anfang der Herbstferien etwas anderes, und ihre Verhandlungen geraten ins Stocken. Dabei zählt Fridi eigentlich nicht so richtig. Wenn man ehrlich ist, kommt es nur auf Zeck und Katja Pfeiffer an.

Zeck starrt in den Himmel. Katja Pfeiffer zieht einen Stift aus der Hosentasche und malt eine kleine Ratte auf den Asphalt. Diesmal colarot. Die Ratte zwinkert ihr ein winziges bisschen zu, ganz so, als wüsste sie schon etwas, das Katja Pfeiffer noch nicht weiß. Vielleicht bildet sie es sich auch bloß ein.

Die Herbstsonne ist warm und mild. Der Wind kommt von links. Immer, wenn der Wind von links kommt, riecht es auf dem Parkplatz nach den Dämpfen der Schokoladenfabrik, zartbitter und ein bisschen marzipanig, und im Mund kriegt man dann so einen komischen Geschmack. Vor allem aber kriegt man noch mehr Lust auf Süßes.

Katja überlegt. Zeck hat das Geld, also kann Zeck irgendwie auch bestimmen. Logisch. Katja hat nur eine Chance, sie muss es so anstellen, dass alle plötzlich riesige Lust auf Schokoküsse kriegen. Vor allem Zeck. »Wenn ich an die weiße Füllung denke«, sagt sie schwärmerisch und fährt sich mit der Zunge über die Lippen. »Wie süß und schaumig die ist und so klebrig im Mund schmilzt, und unten die knusprige Waffel dran.«

Katja selbst kriegt sofort riesige Lust auf Schokoküsse. Zeck guckt sie nur mit gerunzelter Stirn von der Seite an. Fridi versteht überhaupt nichts. Mist. So klappt das jedenfalls nicht.

Katja denkt scharf nach. Wie bekommt sie es bloß hin, dass die anderen machen, was sie will? Da zuckt der Gedanke wie ein Blitz durch ihren Kopf: »Wer fünf Schokoküsse hintereinander schafft, der kriegt was von mir!«

Was für eine Wahnsinnsidee, Katja Pfeiffer!

Vor allem, weil sie sich da gar keine Sorgen machen muss. Fridi schafft höchstens eineinhalb, Zeck, wenn es hoch kommt, drei. Katja Pfeiffer aber kriegt locker fünf Schokoküsse hin, wahrscheinlich wären sechs auch noch okay, und der siebte würde bestimmt irgendwie auch noch reingehen.

Zeck guckt ein bisschen misstrauisch. »Kommt drauf an, was denn?«

»Weiß ich noch nicht, was Tolles!« Katja zuckt mit den Schultern.

»Du kannst mir viel erzählen«, meint Zeck, »und nachher sind’s nur wieder zwei Eier oder ’n paar Hosenknöpfe, nee, nee, so läuft das nicht.«

Auf einem Schulausflug in den Zoo hatte Katja mit Zeck nämlich mal gewettet, wer sich traute, aus dem Goldfischbecken zwei Euro zu klauen, und Zeck hatte ganz klar gewonnen. Denn während Katja mühsam und unter großer Anstrengung, nicht reinzufallen, am Ende nur 20 Cent rausgefischt hatte – die nassen Ärmel gab’s gratis dazu –, war Zeck aufs Ganze gegangen und hatte gleich alle Ein- und Zweieurostücke, an die irgendwie ranzukommen war, aus dem Becken geholt.

»Das Risiko muss sich schließlich lohnen«, hatte Zeck gesagt, »ich mach mich doch nicht für zwei Euro nass und kassiere auch noch ’nen Anschiss.«

Damals hatte Katja ihre Wettschulden mit zwei gekochten Eiern beglichen, die Papa ihr als Proviant eingepackt hatte. Zuerst war Zeck sauer, aber Zeck ist zum Glück nie lange sauer, dann kommt meistens eine Idee. Dieses Mal auch. Die Eier hatte Zeck gegen zwei Tüten Chinanudeln von Mustafa getauscht und die mit Simon gegen eine Bifi mit Schrippe. Auf diese Art hatte Zeck es tatsächlich geschafft, am Ende mit einem Schokoriegel und einer Capri-Sonne dazustehen, wovon Katja jeweils die Hälfte abbekommen hatte. »Waren ja schließlich deine Eier«, hatte Zeck gesagt und gegrinst.

Von den dreizehn rausgefischten Euro waren sie nachher zu Burger King gegangen, vegane Burger essen. Zu der Zeit war Zeck Vegetarier.

Katja seufzt. Diesmal wird es nicht so einfach gehen.

Fridi steht immer noch mit so hochgezogenen Schultern da, sicher hat er Angst, dass seine Mutter mal aus dem Fenster guckt. Es ist so warm, dass er sich seine Jacke um den Bauch gebunden hat. Fridi hat wieder sein Krümelmonster-T-Shirt an, das mit der blauen, felligen Gestalt, die sich gerade einen riesigen Keks in den Mund schiebt. Darüber steht: Ich bin ein Krümelmonster. Und darunter: Ich esse gerne Kekse.

Katja überlegt. Papa findet Auf-dem-Parkplatz-Rumstehen sicher auch nicht so gut, aber er kann auf weite Entfernungen zum Glück nicht so richtig sehen.

Und Zeck denkt wahrscheinlich gerade darüber nach, wie am Ende Chips und Cola rauskommen. Zecks Füße stecken schon in den schweren Winterschuhen. Die Jacke ist offen, der Wind lässt sie flattern wie Flügel.

Katja muss gut überlegen. Zeck ist ziemlich schlau. Und zwar auf eine ganz besondere Art: Wenn jemand was in der Klasse verloren hat und die Lehrerin fragt: »Wisst ihr, von wem das ist?«, riecht Zeck erst mal dran und weiß dann meistens gleich Bescheid.

Der letzte Pullover war von Jennifer Klar. »Eindeutiger Fall von Kuschelweich und 196er«, hat Zeck gemeint, und das stimmte auch.

Jennifers Mutter ist Busfahrerin der Linie 196, und immer, wenn Jennifer bei niemandem sonst bleiben kann, begleitet sie ihre Mutter zur Schicht. Die ganze Nacht fährt sie mit dem Bus durch die Gegend. Jennifer macht dann ihre Schularbeiten und isst dabei Chips und hört MP3-Player. Klar, dass ihr Pullover nach 196er riecht. Obwohl da noch was anderes ist, nicht nur der Geruch von Bus und Weichspüler, da ist noch was.

Ein bisschen beneidet Katja Jennifer Klar, sie würde auch gerne mal die ganze Nacht in der Stadt unterwegs sein, aber obwohl Tatusch Taxi fährt, darf Katja nachts nie auch nur ein klitzekleines bisschen mit ihm mitfahren. »Kommt ja gar nicht infrage«, meint Tatusch. Katja seufzt. Wenigstens ein Schokokuss wäre jetzt nicht schlecht.

 

Dahinten ist Mustafa, er schlendert langsam und mit gesenktem Kopf über den Parkplatz. Mit den Turnschuhen wischt er durch den Staub, vielleicht tritt er auch etwas vor sich her, so genau ist das nicht zu erkennen. Als er sie sieht, kommt er zu ihnen rüber. Er trägt sein Juventus-Turin-Trikot, das ihm ein bisschen zu klein ist und über der Brust spannt, er ist die Nummer 7, Ronaldo.

»Hallo, Ronaldo.« Zeck grinst. Sonst freut sich Mustafa, wenn ihn jemand Ronaldo nennt, heute nicht.

»Was ist los?«, fragt Katja.

»Alles scheiße«, sagt Mustafa. »Ich hab grad unseren Wellensittich gekillt.«

Die Kinder starren ihn an. »War aber echt nur aus Versehen, Mann«, meint Mustafa, als er ihre entsetzten Gesichter sieht, »ich wollte ihn nur mal bisschen halten, kraulen oder so, und der hackt mit seinem Schnabel gleich so richtig rein in meine Haut, ich hab mich so erschreckt, ich schwöre, da hab ich zugedrückt.«

Mustafa macht eine Pause. Er steht mit hängenden Schultern da.

»War gar nicht doll«, meint er schließlich, »ich hab gar nicht fest gedrückt, ehrlich. Aber ich hab einfach so viel Kraft.« Er sieht die Kinder an. Fridi schluckt so laut, dass man es hören kann.

»War ja nur ’n Wellensittich«, meint Zeck und legt Mustafa die Hand auf die Schultern.

»Ja, Mann, aber meine anne bringt mich um.« Mustafa sieht so aus, als würde er diese Möglichkeit tatsächlich in Betracht ziehen.

»Doch nicht wegen so ’nem Vogel«, meint Katja tröstend, sie kennt Mustafas Mutter, sie ist klein und rund wie Mustafa und macht die wunderbarsten Gözleme der Welt, und alle müssen bei ihr immer essen.

Musti wischt mit den Turnschuhen ein bisschen im Staub herum. »Am Anfang war alles gut. So ein süßes Vögelchen, richtig putzig, aber der hat gar nichts gemacht die ganze Zeit. War mir zu langweilig. Und so laut, ich schwöre. Jeden Morgen hat der mich aufgeweckt. Und überall immer Dreck. So kleine Federn und so. Aber meine Mutter ist immer hingekommen zu ihm, hat bei ihm Kartoffeln geschält und Gemüse, hat mit ihm geredet und Futter gegeben, und manchmal hat sie ihm so ein Haus rangemacht zum Baden, und sie hat sich gefreut, wenn er da reingeflattert ist, noch mehr als er. Ich schwöre, sie hat den Vogel lieber als mich!«

Zeck und Katja fangen beide an zu lachen.

Fridi hat ein bisschen Angst vor dem starken Mustafa, der jetzt ganz aus Versehen sogar Vögel zerquetscht, sodass Fridi lieber nicht lacht.

Mustafa wischt sich mit der kleinen, gut gepolsterten Hand und den abgekauten Fingernägeln das dichte schwarze Haar aus der Stirn.

»Ich schöre, ich bin tot«, murmelt er, »aber konnte ich ja nicht wissen, dass der nichts aushält, gleich stirbt bei jedem kleinen bisschen.« Mustafa steckt die Hand in die Tasche seiner Jogginghose, und die Kinder starren gebannt auf das, was da zwischen seinen Fingern liegt, als er sie wieder herauszieht: ein türkisblauer Wellensittich.

Zeck findet zuerst die Sprache wieder. »Bist du verrückt? Warum schleppst du den toten Vogel mit dir rum?«

Mustafa senkt den Blick auf den Wellensittich. »Ich wusste nicht, wohin damit, Mann. Ich hab so Angst gehabt, dass gleich meine Mutter ins Zimmer kommt, da hab ich ihn schnell in die Tasche gesteckt und hab gesagt, ich geh runter. Dabei wollte ich fernsehen, Monstertrucks gucken. Oder bisschen zocken, Playstation spielen.«

Er streichelt mit einem Finger über die blauen Federn. »Ich konnte ihn doch nicht einfach in die Mülltonne werfen«, meint er.

Das können alle verstehen.

»Nee«, sagt Katja, »das macht man nicht.«

»Echt nicht.« Zeck nickt. »War richtig, dass du ihn mitgenommen hast.«

»Hat er denn einen Namen?«, fragt Katja.

Mustafa schüttelt den Kopf. »Er heißt nur Vogel.«

Katja zieht ein Taschentuch aus der Jacke und streicht es glatt. »Da kannst du ihn einwickeln«, meint sie.

Mustafa nickt, er wickelt Vogel ein bisschen ungeschickt in das Taschentuch. »Warum hast du mich auch gezwickt«, meint er mit ganz sanfter Stimme. »Du könntest noch leben, Mann«, und seufzend fügt er hinzu: »Und ich auch.«

Sie stehen nebeneinander und schauen auf das weiße Paket, aus dem nur die Krallen unten rausgucken. Musti stöhnt. »Ich schwöre. Ich stecke jetzt RICHTIG in Schwierigkeiten wegen dir.«

Die Mission geht los

»Also, was ist jetzt?«, fragt Zeck ungeduldig. Die drei Euro fünfzig klimpern. »Wir haben nämlich ein Geschäft am Laufen«, erklärt Zeck Mustafa mit wichtigem Gesicht.

Mustafa stopft Vogel etwas unsanft wieder in die Hosentasche und hört gar nicht richtig zu, er ist mit seinen Gedanken wohl gerade noch bei Vogel, vielleicht auch bei seiner Playstation und allem, was er jetzt verpasst. Traurig betrachtet er einen Erdnussflip auf dem Parkplatzboden und seufzt.

Katja überlegt angestrengt. Es muss natürlich etwas sein, was Zeck unbedingt haben will, am besten etwas, das man nicht kaufen kann, denn Geld hat Zeck genug: Immer, wenn Zeck eine schlechte Note kriegt, und das kommt ziemlich oft vor, weil Zeck meistens vor lauter Nachdenken keine Zeit zum Lernen bleibt und sowieso findet, Schule wird überbewertet, rücken die Eltern bei jeder Sechs, die Zeck schreibt, sechs Euro raus und fünf Euro bei jeder Fünf. Eine Vier ist nicht so schlecht, dass man Trost braucht, finden Tillmann und Ute, und für noch bessere Noten muss man nicht noch extra belohnt werden. Da freut man sich ohnehin.

Aber manchmal kriegt Zeck auch einfach nur so was, weil seine Eltern ziemlich in Ordnung sind. Auf diese Weise kommt viel zusammen, und Zeck hat niemals echte Geldnot, außer ein bisschen in den Ferien, wie jetzt.

Bei Fridi ist es genau umgekehrt. Der kriegt drei Euro für jede Eins und einen Euro für jede Zwei, und bei allem, was schlechter ist, Schimpfe. Sein Papa ist unheimlich streng. Aber Fridi schreibt sowieso fast nur Einsen, vor schlechten Noten hat er nämlich noch mehr Schiss als vor Brokkoli-Auflauf mit Schafskäse.

Fridis Geld wandert ins Sparschwein. Von dem Schwein hat seine Mutter als Einzige den Schlüssel, das ist eigentlich gemein. Aber immerhin weiß Fridi, dass er ein kleines Vermögen besitzt, auch wenn er nicht rankommt.

An sein großes Vermögen kommt er auch nicht ran, das liegt auf der Bank. Seine ganze Familie spart für ihn, sämtliche Tanten, Großeltern und die Erbtante aus Wanne-Eickel.

Nur Katja besitzt kein Vermögen, weder ein großes noch ein kleines. Sie kriegt nie was, ganz egal, ob sie gute oder schlechte Noten schreibt. Ihre Väter finden das Belohnen von Noten mit Geld totalen Quatsch, egal wie rum. Das ist ziemlich ungerecht. Denn Zecks Methode wäre für Katja durchaus lohnenswert, in Mathe schreibt sie immer mindestens eine Fünf, darauf ist Verlass.

»Also?« Zeck sieht Katja prüfend an. Aber Katja Pfeiffer fällt beim besten Willen nichts ein. Zeck gehört nicht zu der Sorte, die sich für Fußballbilder, Sammelkarten oder Lego interessiert.

»Die Wette gilt, wenn du mir einen Leguan malst, einen lebendigen, mein ich«, flüstert Zeck und grinst verstohlen.

»Du spinnst wohl!« Katja schleudert Zeck einen wütenden Blick entgegen. Dann senkt sie die Stimme: »So funktioniert das nicht. Das hab ich dir schon hundert Mal gesagt, meine Figuren werden nur unter bestimmten …«, Katja weiß nicht, wie genau sie das erklären soll, »nur unter bestimmten Umständen lebendig. Das hat was mit Energie zu tun. Verstehst du? Das kann man nicht planen wie Einkaufen oder Hausaufgaben machen oder so. Das passiert einfach.«

»Und wie genau passiert das?«, flüstert Zeck.

Katja überlegt: »Na, wenn der Energieaustausch stimmt. Und dazu muss ich beim Malen so richtig geladen sein. Voll Wut oder so. Außerdem machen meine Figuren, sind sie einmal auf der Welt, sowieso, was sie wollen. Sie gehorchen mir nicht. Und verschenken kann man sie schon gar nicht!« Katja guckt Zeck an. »Sie suchen sich selbst aus, mit wem sie zusammen sein wollen.«

»Schon gut, schon gut.« Zeck zuckt mit den Schultern. »Ich mein ja nur, wäre schön gewesen.«

Katja starrt auf den Boden. Leider bewegt sich die kleine Ratte da unten kein bisschen. Bestimmt mögen Ratten Erdnussflips genauso gerne wie Schokoküsse, denkt Katja und schiebt den Flip mit der Schuhspitze ein Stück näher an die Ratte heran.

Außer Zeck kennt niemand das Geheimnis von Katja Pfeiffer und ihren Kritzelfiguren. Das Gute ist, dass die meisten Menschen gar nicht an so was glauben, deshalb sehen sie auch nichts. Noch nicht mal Papa und Tatusch wissen Bescheid. Ihre erste lebendige Kritzelfigur war Eddi, die dicke Spinne. Papa hatte sie beim Saubermachen unter Katjas Bett entdeckt und sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit gebracht, doch leider hatte sich Eddi vor Papa und dem Staubsauger mindestens genauso erschreckt und – bevor Katja noch irgendetwas machen konnte – zum offenen Fenster rausgestürzt. Obwohl ihre Figuren sowieso nie lange leben, meistens nur ein paar Minuten, war das doch ein sehr trauriges Ende, selbst für eine Kritzelspinne. Aber Katja Pfeiffer weiß genau, bald sind ihre Kritzelfiguren so stark, dass sie es schaffen, für länger aus ihren Bildern zu verschwinden. Irgendwann, da schaffen sie den wahren Sprung ins Leben, ganz sicher.

Die kleine Ratte aber sitzt noch immer bewegungslos da und hat den Erdnussflip nicht angerührt. Schokoküsse sind eben doch besser!

Zeck guckt ein bisschen ungeduldig rüber zum Supermarkt und kickt mit den Winterschuhen über den Asphalt. Wahrscheinlich hat Zeck die Nase voll davon, hier stundenlang rumzustehen.

Fridi macht ein ganz sehnsüchtiges Gesicht, er denkt bestimmt gerade an Colakracher und Kaugummis. Musti zieht sich sein T-Shirt über den Bauch.

Katja seufzt. Eigentlich kann sie die Wette jetzt sowieso vergessen. Gegen Mustafa hat sie keine Chance. Wenn’s drauf ankommt, vertilgt der eine Zehnerpackung Schokoküsse ganz alleine.

Zeck hat die warme Fellmütze abgenommen, eigentlich ist es ja mehr eine Kappe, und sie in die Jacke gestopft. Irgendwo singt ein Vogel. Zeck hält seinen Kopf in die laue Luft.

Dahinten kommt eine kleine Gestalt auf sie zu, sie trägt einen rosa Fransenpullover und schwenkt mit der einen Hand eine Plastiktüte über dem Kopf. In der anderen hält sie eine Leine, an deren Ende ein winziger Hund hängt.

Bei jedem Schritt schlorrt sie mit ihren etwas zu großen Cowboystiefeln über den Asphalt, dabei zeigen ihre Fußspitzen leicht nach innen, und es sieht so aus, als würde sie jeden Moment hinfallen. Die Tüte schwingt über ihrem Kopf wie ein Lasso. Als die Gestalt näher kommt, erkennt man, dass sie eine kurze Jeans trägt und schwarze Perlonstrumpfhosen mit einer Laufmasche über dem rechten Knie.

Kein Zweifel, das ist Jennifer Klar.

Sie schlurft über den Parkplatz zu ihnen rüber.

»Hey«, sagt Jennifer »was macht ihr?« Die Tüte kreist noch immer über ihrem Kopf. Ihre Lippen sind ganz blau.

»Nichts, wir stehen hier nur so rum«, meint Katja, »und du?«

»Ich geh mit Püppi. Sie muss ab und zu mal raus, sonst pinkelt sie auf den Teppich. Ist eh langweilig, immer drinnen.«

Püppi tänzelt an der Bordsteinkante entlang.

»Ist das ein Hund?«, fragt Musti ungläubig. »Sieht aus wie eine Ratte, Mann.«

Alle gucken auf das Hundchen mit den riesigen braunen Augen.

»Ist ein Rehpinscher«, sagt Jennifer, »die sind so klein. Nur Püppi ist noch kleiner, weil sie bei der Geburt einen Schaden abgekriegt hat.«

Darauf weiß keiner so richtig, was er sagen soll.

»Tut mir leid«, murmelt Katja schließlich.

»Ist nicht schlimm, das Gute ist, dass sie es ja gar nicht weiß«, meint Jennifer. »Und Mama sagt, ist eigentlich auch praktischer so, weil, da passt sie in ihre Handtasche.«

Püppi zieht an der Leine. Jennifer macht einen Schritt nach vorn und holt dabei mit ihrer Tüte, die sie noch immer kreisen lässt, so weit aus, dass Zeck sie fast gegen den Kopf bekommt.

»Pass doch auf!«, ruft Zeck und springt gerade noch zur Seite.

Jennifer Klar bricht in der Bewegung ab, die Tüte gerät ins Stocken und schleift über den Boden, etwas klirrt, es rumpelt und kracht. Jennifer steckt den Kopf in die Tüte. »Alles klar«, meint sie und kichert. Der Witz ist alt, keiner kann mehr drüber lachen außer Jennifer Klar selbst.

Am Himmel zieht laut kreischend ein Vogelschwarm vorüber.

»Mensch, was hast du denn da drin?«, fragt Zeck. Auch Katja ist neugierig. Nur Musti schweigt. Vielleicht muss er grad an Vogel denken, der jetzt nicht mehr am Himmel fliegen kann.

»Meinen Opa«, sagt Jennifer Klar mit einer Stimme, die etwa so klingt, als würde sie sagen »einen Wirsingkohl« oder »einen Sack Kartoffeln«.

»Deinen Opa?« Jetzt hebt sogar Mustafa den Kopf.

»Opa ist schon tot.«

Die Kinder gucken Jennifer Klar an, sie verstehen nicht so richtig.

»Wie jetzt?«, fragt Zeck. »Du willst sagen, dass da in der Plastiktüte dein toter Opa drin ist?«

Jennifer Klar nickt und zieht die Schlaufen der Tüte so weit auseinander, dass die Kinder reingucken können. Da drinnen liegt ein weißes Gefäß mit Deckel.

»Du verarschst uns!« Mustafa starrt auf das Gefäß. »Da könnte alles drin sein. Suppe, Nudeln, Reis, Kekse …« Er beginnt alles aufzuzählen, was in dem Gefäß seiner Meinung nach drin sein könnte. Aber ein Opa?

Da bückt sich Jennifer Klar und zieht den Deckel ab, es macht plopp, ungefähr so, als wenn man ein Einweckglas mit Kirschen öffnet, und dann halten sie ihre Köpfe dicht über ein … ja, es ist ein gräuliches Pulver.

»Das ist Opa«, sagt Jennifer. »Also, Opas Asche.« Sie guckt auf das Pulver und nimmt ein bisschen was davon in die Hand. »Ganz weich«, meint sie. »Wollt ihr mal fühlen?«

Zeck und Katja schütteln den Kopf.

Mustafa springt entsetzt zurück. »Ich bin doch nicht bescheuert, Mann.«

Jennifer guckt verträumt in das Gefäß. Dann zieht sie die Finger raus, klemmt sich die Leine unter den Arm und drückt den Deckel wieder ganz fest drauf.

Keiner sagt ein Wort.

»Das ist noch abgefahrener, als einen toten Vogel in der Hosentasche mit sich rumzutragen«, meint Zeck.

»Absolut.« Katja nickt.

»Findet ihr?«, fragt Jennifer und zuckt mit einer Achsel.

Jennifer Klar scheint absolut nichts ungewöhnlich daran zu finden, ihren toten Opa in einer Plastiktüte mit sich rumzuschleppen.

»Hast du noch nie was von Totenruhe gehört?«, fragt Mustafa streng. Und als Zeck und Katja ihm einen Blick zuwerfen, meint er schnell: »Das hier ist ein Vogel«, er deutet auf seine Hosentasche, »aber das da ist ein Mensch, Mann, ein echter. Ich schwöre, ist ja wohl ein kleiner Unterschied.«

Jennifer Klar zuckt mit den Schultern, diesmal mit beiden. »Ich nehm Opa überall hin mit.« Sie greift mit der Hand, in der sie auch schon die Leine hält, wieder nach der Tüte. Püppi zieht. Die Tüte schlenkert. Jennifer Klar sortiert neu: Leine rechts, Opa links.

»Also, ich hab Opa versprochen, dass ich auf ihn aufpasse«, erklärt sie, »er will nämlich in seinem Strebergarten verstreut werden. In Kolomoro. Da war er am liebsten. Bloß, in Deutschland ist das nicht erlaubt. Da kriegt man die Asche von den Toten nicht so einfach mit und kann damit machen, was man will.«

»Aber ich dachte, das da ist die Asche von deinem Opa?« So ganz hat Katja es noch nicht begriffen.

Jennifer lächelt. »Opa hat einen kleinen Umweg gemacht, über Holland.«

»Also ist dein Opa in Holland gestorben?«, fragt Zeck.

Jennifer Klar schüttelt den Kopf. »Da lag Opa schon tot im Sarg, als er nach Holland gefahren ist, und dann wurde er da verbrannt, weil man in Holland die Asche von seinen Leuten einfach mit nach Hause kriegt, und dann kam er in so einem schwarzen Plastikding wieder zurück. Ich hab ihn in die Schüssel hier geschüttet, die hat sogar Saugverschluss, Oma hat früher immer Kohlrouladen reingelegt, die mochte Opa so gerne, na ja, und jetzt kann er da drin eben nach Kolomoro.«

Mit einem Mal sieht Jennifer bekümmert aus. »Ich glaube aber, Mama will ihn gar nicht nach Kolomoro bringen«, meint sie traurig. »Sie fährt immer so viel Bus, und da hat sie keine Lust mehr, sich ins Auto zu setzen. Darum hab ich Opa ja auch versprochen, auf ihn aufzupassen, weil, Opa hat sich so was auch schon gedacht. Er hat lieber schon alles vorher geregelt und bezahlt, ist nämlich ganz schön teuer, so ein Abstecher nach Holland. Fand Mama auch übertrieben, aber sie konnte ja nichts machen. War ja Opa sein letzter Wille. Nur, das mit dem Garten hat Opa vorher nicht geregelt gekriegt. Ging ja auch schlecht.«

Jennifer Klar guckt auf die Tüte in ihrer Hand. »Ich hab mit Opa abgemacht, dass ich ihn da hinbringe. Nicht dass Mama ihn nach der ganzen Mühe einfach wegschüttet.«

»Und wie willst du das anstellen?«, fragt Katja. »Ich mein, dass du ihn in den Schrebergarten kriegst?«

»Weiß nicht«, meint Jennifer, »das Problem ist auch, dass Mama den Strebergarten bald verkaufen will. Sie braucht das Geld. Wir haben nämlich zweitausend Euro Schulden bei Bernd.«

Jennifer schaukelt die Plastiktüte. Dann sagt sie: »Ich glaub, Mama macht es echt nicht. Die wartet, bis ich irgendwann in der Schule bin, und dann bringt sie Opa einfach weg, irgendwo anders hin. Weil, sie ist immer so müde nach dem Busfahren. Vielleicht kippt sie ihn einfach ins Klo.«

Sie macht eine Pause, es scheint so, als ob sie mit ihren Gedanken einen Moment ganz woanders ist.

»Mama sagt, das, was da drin ist, hat nichts mit Opa zu tun. Opa ist in unserem Herzen, aber das stimmt nicht.« Jennifer schwenkt die Tüte ein bisschen. »Weil, was ist das sonst da drin?«

Und so, wie Jennifer Klar das sagt, hört es sich ganz logisch an.

Sie stehen alle fünf auf dem Parkplatz und gucken auf Opa in der Plastiktüte.

»Also, was willst du jetzt machen?«, fragt Katja.

Jennifer Klar zuckt mit den Schultern. »Ich pass einfach nur auf.«

»Aber was ist, wenn die Ferien vorbei sind? Du kannst deinen Opa doch nicht in der Plastiktüte mit zur Schule nehmen«, meint Zeck.

»Stimmt auch wieder.« Jennifer Klar denkt einen Augenblick nach. Sie pustet eine Ponyfranse in die Luft. »Ich hab’s«, sagt sie plötzlich, und ihre Augen blitzen, »ihr müsst mir helfen, Opa nach Kolomoro zu bringen.« Sie sieht sich um, dann senkt sie die Stimme und raunt: »Opa hat gesagt, er hat da auch was versteckt. Mama glaubt das nicht, sie denkt, das ist nur ein Trick, um sie nach Kolomoro zu locken, aber ich weiß, dass Opa nicht lügt.«

»Was ist es denn?«, fragt Mustafa mit großen Augen. »Geld oder so?« Seine Stimme klingt auf einmal wie elektrisch.

Jennifer Klar zuckt mit den Schultern. »Weiß nicht. Hat Opa nicht gesagt.«

»Und du hast ihn nicht gefragt?«, staunt jetzt auch Katja.

»Nö«, meint Jennifer, »hab ich vergessen.«

Die Kinder sehen sich an. Mustafa ist sofort begeistert, endlich passiert mal was, besser als im Fernsehen. In Fridi rattert es, er überlegt wohl, ob man es rechtzeitig bis zum Mittagessen schaffen kann. Was Zeck denkt, kann man nie so genau wissen, aber Zeck findet grundsätzlich alles interessant, was anders ist, und Jennifer Klars toten Opa in einem Schrebergarten zu verstreuen, so viel steht fest, ist ja wohl mal etwas ganz anderes. Und wenn man dabei sogar noch einen Schatz findet …

Und Katja Pfeiffer?

Katja Pfeiffer hat plötzlich alle Schokoküsse dieser Welt vergessen. Und vielleicht, denkt sie mit einem Blick zum Küchenfenster, ist es auch ganz gut, nicht so schnell nach Hause zu kommen, wenn man gerade eine dicke rote Ratte auf die Hausflurwand gemalt hat.

Jennifer dreht die Tütenschlaufen nervös immer weiter zusammen.

»Also, was ist, helft ihr mir?« Sie sieht die Kinder an. Püppi bellt. Opa in der Plastiktüte dreht ein paar Runden an ihrem Handgelenk.

»Klar!«, meint Katja Pfeiffer, die immer hilfsbereit ist – wenn es drauf ankommt, jedenfalls –, und jetzt, das spüren sie alle, kommt es drauf an. »Wir bringen deinen Opa alle zusammen nach Kolomoro.«

»Okay, wir haben eine Mission«, sagt Mustafa mit wichtigem Gesicht. »Jede Mission fängt an mit Geld. Ohne Geld, da bist du gleich tot. Also, alles Geld her.«

Mustafa sieht sie der Reihe nach an. Er selbst beginnt in den Taschen seiner Jogginghose zu suchen, dabei macht er ein etwas gequältes Gesicht, wahrscheinlich, weil Vogel sich in der Tasche so breitmacht.

Dann, endlich, streckt er seine Hand mit einem blanken Zweieurostück darauf aus.

»Zu Hause hab ich klar mehr«, meint er entschuldigend, »aber holen geht ja nicht.« Er gibt Vogel in seiner Hosentasche einen leichten Klaps. »Nur wegen dir, Mann.«

Zeck legt die drei Euro fünfzig dazu.

Fridi zieht mit rotem Kopf ein Portemonnaie aus der Jackentasche und nestelt umständlich einen Euro hervor, sein Taschengeld für diese Woche.

»Na, viel is es ja nich.« Mustafa zieht die Augenbrauen hoch. »Aber besser als nichts. Gib her!«

Jennifer Klar klemmt sich die pinke Leine wieder unter den Arm, öffnet den Reißverschluss ihrer Bauchtasche und fasst hinein. Sie wühlt mit der Hand ein bisschen herum. »Mama hat mir Geld gegeben, ich soll mir Currywurst mit Pommes zum Mittag kaufen.«

Püppi zieht, die Leine rutscht, Jennifer klemmt sie zwischen die Knie. Es dauert eine Ewigkeit. Als sie die Hand wieder öffnet, liegt zwischen Schnipseln, Sand, einem Kaugummi, Hundekuchen, einem Wagenchip, einem orangen und einem gelben Flummi auch ein Euro in ihrer Hand.

»Wie?«, fragt Mustafa etwas erstaunt. »Ich dachte, deine Mutter hat dir Geld gegeben?«

Jennifer Klar nickt. Sie reicht ihm den Euro, kippt alles zurück in die Bauchtasche und wischt sich die sandige Hand an der Jeans ab.

Mustafa hält ihr die Münze entgegen. »Das da reicht aber nicht für Currywurst und Pommes«, stellt er fachmännisch fest.

»Also, ich bin da vorhin an so ’nem Automaten vorbeigekommen«, meint Jennifer, »mit Flummis und so.«

Mustafa sieht sie verständnislos an.

»Sie hat sich davon zwei Flummis gekauft«, hilft Katja ihm auf die Sprünge und seufzt, denn sie würde liebend gerne auch mal ein paar Automatengeschäfte tätigen.