Mit dem Herzen der Löwin - Julia Onken - E-Book

Mit dem Herzen der Löwin E-Book

Julia Onken

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Beschreibung

Selbstbewusstsein zurückgewinnen mit dem Herzen der Löwin: Julia Onken, eine Ikone des psychologischen Feminismus, analysiert die Gründe weiblicher Selbstentwertung und macht zugleich eine Vielzahl konkreter Vorschläge, wie Frauen ihre verlorene Stärke zurückgewinnen können. Mangelndes weibliches Selbstbewusstsein hat viele Gesichter. Frauen zweifeln ihre Fähigkeiten an und wagen nicht, ihre Talente zu entwickeln. Sie harren in vergifteten Beziehungen aus, stehen einen Krisenmarathon nach dem anderen durch und sind immer noch davon überzeugt, etwas falsch zu machen. Sie erbringen höchste Leistungen und zweifeln dennoch an ihrer Kompetenz. Noch immer bestimmt das männlich dominierte Denken, wie Frauen sich zu fühlen haben. Julia Onken zeigt, wie Frauen Schritt für Schritt ihr eigenes Selbst finden und behaupten.

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Julia Onken

Mit dem Herzen der Löwin

Warum Frauen ihr Selbstbewusstsein verlieren und wie sie es zurückgewinnen

C.H.Beck

Zum Buch

Selbstbewusstsein zurückgewinnen mit dem Herzen der Löwin

Julia Onken analysiert bestechend klar die Gründe weiblicher Selbstentwertung und macht konkrete Vorschläge, wie Frauen ihre verlorene Stärke zurückgewinnen können:

–Schließe einen Vertrag mit dir ab, Entwertungen nicht hinzunehmen, sondern sie öffentlich zu machen.

– Verzichte darauf, dass andere dich besonders schön, besonders anziehend oder sonst außergewöhnlich aufregend finden sollten.

– Trenne dich von den «Energiekillern»: jenen Personen, bei denen bereits der Gedanke an sie genügt, sich elend zu fühlen.

– Habe keine unnötige Angst vor Aggression. Lerne an erster Stelle, Nein zu sagen: Nein, ich will nicht! Nein, das mache ich nicht!

– Und vor allem: Liebe dich selbst!

Über die Autorin

Julia Onken ist diplomierte Psychologin, Psychotherapeutin und Leiterin des Frauenseminars Bodensee. Von ihr sind bei C.H.Beck u.a. lieferbar: Eigentlich ist alles schief gelaufen. Mein Weg zum Glück (32011), Vatermänner. Ein Bericht über die Vater-Tochter-Beziehung und ihren Einfluss auf die Partnerschaft (62012), Feuerzeichenfrau. Ein Bericht über die Wechseljahre (72014); Im Garten der neuen Freiheiten. Ein Reiseführer für die späten Jahre (2015); Rabentöchter. Warum ich meine Mutter trotzdem liebe (32018).

Inhalt

Vorweg

ZURÜCK ZUM ANFANG

Der wunde Punkt

Rückbau – so wird’s gemacht

Zurück zur eigenen Mutter

Schluss mit der Selbstentwertung

Energiekiller rauswerfen

Büßerhemd ausziehen

Misstrauen verabschieden

Die Grünkraft sprießen lassen

Und wenn der Partner schlappmacht?

Umdenken

BILANZ

Feministisches Possenspiel

Im falschen Film

Spurensuche

Unerwünscht

Im Anfang war die Frau

Der hohe Preis der Weiblichkeit

Merkmal Differenz

Aggression – die unterdrückte Kraft

PSYCHOLOGIE – DIE LOGIK DER PSYCHE

Reflektieren statt ignorieren

Vom Beichtstuhl zur Couch

Was hat das Selbst mit mir zu tun?

Die unheilvolle Allianz

Freuds Doppelfehler

Das Unbewusste weiß mehr über mich

Übertragung – «Déjà vu»

Widerstand – Modell Vatikan

SCHLUSS MIT DEM SCHWESTERNSTREIT

Angriff aus den eigenen Reihen

«Frauen mag ich nicht»

Mit den Wölfen heulen

Fürsorge durch die Hintertür

Was nicht sein darf, gibt es nicht

«Frauen sind selbst schuld»

Den eigenen Unwert auf andere übertragen

Zurück zur eigenen Würde

Anmerkungen

Vorweg

Als ich vor 20 Jahren das Buch «Herrin im eigenen Haus. Weshalb Frauen ihr Selbstbewusstsein verlieren und wie sie es zurückgewinnen» geschrieben hatte, ging ich davon aus, dass sich vieles im Umbruch befinde und wir bald dort ankommen, wo wir hingehören, und erreichen, was uns zusteht: rundum gleichberechtigt zu sein. Das war ein Irrtum. Die Faktenlage ist kein Grund zur Freude, im Gegenteil. Je länger ich mich damit auseinandersetze, umso deutlicher enthüllt sich mir allmählich das Drama «Frausein» in seiner ganzen Tiefendimension – was es bedeutet, eine Frau in dieser Gesellschaft zu sein.

Es gibt Frauen – vor allem jüngere –, die können diese Problematik nicht erkennen. Sie fühlen sich selbstsicher, wählen den Beruf oder ein Studium, das ihrer Neigung entspricht, bestimmen über ihr Leben und fühlen sich in keiner Weise benachteiligt oder gar diskriminiert. Das ist erfreulich und heißt immerhin, dass sich für einige, wenn auch nur für wenige, eine Veränderung abzuzeichnen beginnt. Aber leider hat sich das noch nicht in allen Kreisen niedergeschlagen, und es gibt also keinen Grund, die Hände zufrieden in den Schoß zu legen und zu sagen: «Emanzipation ist nicht mein Ding. Danke, mir geht es gut. Mein Mann. Mein Kind. Mein Haus.» Gerade wenn wir bereits einiges für uns selbst erreicht haben, sollten wir uns den Blick aus der eigenen Wohlfühlperspektive nicht trüben lassen. Wirksamer wäre es, achtsam darüber zu wachen, dass bereits Erreichtes nicht verflacht oder gar in den alten Zustand zurückkippt. Deshalb war es mir ein Anliegen, das Buch «Herrin im eigenen Haus» nochmals gründlich zu überarbeiten, die vielen Gespräche und Diskussionen, die ich inzwischen mit Frauen geführt habe, einfließen zu lassen, thematisch zu ergänzen und zu vertiefen.

Dass die Auseinandersetzung mit der Frauengeschichte nicht einfach ist, weiß ich aus eigener Erfahrung. Bei jedem erneuten Umpflügen der eigenen Biografie entdeckte ich unbearbeitetes Ackerland. Hätte ich nicht die Möglichkeit gehabt, mich in kleinen Schritten zu nähern, wäre es schwierig geworden, dem Ausmaß der vielen erlittenen Kränkungen und Verletzungen zu begegnen und diese aufzuarbeiten. Zudem musste ich zuerst einen Kreis von Frauen um mich wissen, von denen ich mich in schmerzlichen Momenten der Bewusstwerdung begleitet fühlte. Damit wir uns recht verstehen: Ich war als Mädchen weder männlicher Gewalt ausgesetzt, noch habe ich sexuellen Missbrauch über mich ergehen lassen müssen. Ich spreche von den ganz alltäglichen Verletzungen, von den «selbstverständlichen» Verstümmelungen, die sich in aller Öffentlichkeit abspielen. Ich erinnere mich, als ich an einem Sonntag Christa Mulacks Buch «Das Mädchen ohne Hände»[1] las. Hinterher kotzte ich die ganze Nacht.

Einige Autorinnen haben bei mir Hebammendienst geleistet und mir geholfen, Abgeschobenes, Ausgegrenztes in mir freizuschaufeln und wieder ins Bewusstsein zu bringen. Sie sind meine engsten Vertrauten, meine Freundinnen – auch wenn ich sie persönlich nicht kenne. Und jene Frauen, mit denen mich zum Teil eine jahrzehntelange innige Freundschaft verbindet, haben mir unendlich geholfen. Ich habe mich dank ihrer Begleitung auf den Weg machen können, um mich mir wieder anzunähern und zu mir zurückzufinden. Manchmal irrte ich im Kreis oder ging im Zickzackkurs. Immer aber fühlte ich mich von weiblichen Helferinnen beschützt.

Ich weiß also, dass innere Heilung vorwiegend durch die Begleitung anderer Frauen möglich wird. Nicht weil ich den Mann ausgrenzen will, sondern weil der Mann einen grundsätzlich anderen Erfahrungshintergrund mitbringt und er sich durch die oft heftig ausbrechende Wut, die der Dominanz und Herrschaft der Männer über die Frauen gilt, persönlich angegriffen fühlt und sich als Verursacher erlebt – auch wenn er sich in seiner persönlichen Lebensführung von patriarchalem Gehabe weit distanziert. Schließlich gibt es viele Männer, die durch das Patriarchat selbst schwer geschädigt, gedemütigt und gekränkt wurden, denen die Auseinandersetzung ein mindestens ebenso großes Anliegen ist. Aber sie haben eine andere Geschichte, denn sie gehörten trotz allem immer dem Geschlecht der Sieger an. Und vielleicht ist es auch gut, wenn wir uns zunächst geschlechtsspezifisch in den eigenen Reihen auseinandersetzen, uns gegenseitig schwesterlich begleiten und unsere Verletzungen aufarbeiten. Nicht um auf eine Geschlechtertrennung hinzustreben, sondern um letztlich eine echte gleichberechtigte Partnerschaft anzustreben, frei von biografischen Rückständen und Überlagerungen.

Weil mir aus meiner eigenen Biografie bewusst geworden ist, wie wichtig Frauen für Frauen beim Verarbeiten seelischer Verletzungen sind, ist es mir ein Bedürfnis, dasjenige, was ich an Zuwendung und Hilfe erfahren habe, an andere Frauen weiterzugeben. Mein Ziel ist es, aufzuzeigen, was dazu geführt hat, dass wir unser Selbstbewusstsein, unser Selbstwertgefühl und die Fähigkeit, uns selbst zu behaupten, verloren oder teilweise eingebüßt haben, und was wir tun müssen, um alles zurückzugewinnen.

Noch etwas: Ich will mich als Verfasserin dieses Buches mit meinen eigenen Erfahrungen zu erkennen geben. Dazu zählen meine Unzulänglichkeiten, mein Bemühen und Ringen, Erkenntnisse in Handlungen umzusetzen. Dies schließt selbstverständlich auch das Eingeständnis ein, etwas theoretisch begriffen zu haben und trotzdem immer noch in alten Mustern herumzutappen. Auch das gehört dazu.

ZURÜCK ZUM ANFANG

Der wunde Punkt

Mangelndes Selbstbewusstsein hat viele Gesichter. Die meisten Frauen kennen das Gefühl der Verunsicherung, das sich auf verschiedenste Bereiche erstreckt und sich oft nicht klar umreißen und benennen lässt. Mangelndes Selbstbewusstsein zeigt sich darin, dass Frauen ihre Fähigkeiten anzweifeln und nicht wagen, ihre Talente und Begabungen zu entwickeln und umzusetzen. Mangelndes Selbstbewusstsein zeigt sich darin, dass Frauen in toxischen Beziehungen ausharren, sich wie besessen um Verbesserung und Auseinandersetzung kümmern, einen Krisenmarathon nach dem anderen durchstehen und immer noch davon überzeugt sind, etwas falsch zu machen. Mangelndes Selbstbewusstsein zeigt sich darin, dass Frauen ihr Bestes geben und dafür das Geringste an Lob, Anerkennung und Lohn erhalten und diese Unverhältnismäßigkeit von Aufwand und Ertrag noch als gerechtfertigt hinnehmen. Mangelndes Selbstbewusstsein zeigt sich aber auch darin, dass Frauen höchste Leistungen erbringen und dennoch an ihrer Kompetenz zweifeln. Es zeigt sich im Hin- und Herpendeln zwischen Größenfantasien, alles schaffen zu müssen, alles im Griff zu haben, und andererseits einem abgrundtiefen Unwerterleben, zu nichts zu taugen. Es zeigt sich darin, dass Frauen oft in einem Begabungsstau gefangen sind, nicht mehr hinausfinden und entweder unter chronischer Unzufriedenheit leiden, gar depressiv werden oder eine eigenartige und oft irritierende Selbstüberschätzung an den Tag legen.[2] Es zeigt sich aber auch im unermüdlichen Streben nach Perfektion, sei es einer perfekt funktionierenden Familie, der perfekten beruflichen Performance oder dem steten Drang, einen perfekten Körper zu erlangen.[3]

Mangelndes Selbstbewusstsein zeigt sich darin, auf altbewährte weibliche Strategien zu setzen, den Körper zu bewirtschaften und gewinnbringend einzusetzen. Sei es, indem sich die Frau mittels körperlicher Attraktivität einen höheren Status via Partnerschaft aneignet oder sich einer Vermessung ihrer Leiblichkeit aussetzt – wie das in den sozialen Medien und in TV-Sendungen zelebriert wird. Der große Andrang junger Frauen, deren höchstes Ziel es ist, sich vor laufender Kamera begutachten zu lassen, zeigt, wie gering das Gefühl von Selbstachtung entwickelt ist. Dahinter steckt eine tief sitzende Verunsicherung über den eigenen Selbstwert.

Mangelndes Selbstbewusstsein kann sich aber auch darin zeigen, nach außen Stärke, Autonomie und Selbstsicherheit stets flott zu demonstrieren, von niemandem Hilfe zu erwarten oder gar in Anspruch zu nehmen. Denn oft ist das nur die Kehrseite der Verunsicherung über den eigenen Selbstwert. Und schließlich dokumentiert sich mangelndes Selbstbewusstsein darin, dass Frauen den Mund halten, die Zähne zusammenbeißen und denen, die es wagen, die Dinge offen beim Namen zu nennen, in den Rücken fallen, statt selbstsicher und selbstbewusst ihre Meinung zu vertreten und zu kämpfen. Frauen, die unter mangelndem Selbstbewusstsein leiden, sind also durchaus normal. Sie entsprechen der Norm.

Für einige Frauen klingt das fremd, beinahe beleidigend, schließlich erleben sie die Welt ganz anders. Sie wollen mit Feminismus und Frauenbewegung nichts zu tun haben oder aber definieren sie neu: Der alte Feminismus sei Schnee von gestern, ihnen stehe heutzutage die Welt offen, sie könnten jeden Beruf erlernen, jedes Studium absolvieren. Die Frau von heute sei selbstbewusst, einer erfolgreichen Karriere stehe nichts mehr im Wege. Theoretisch ist gegen diese Argumentation nichts einzuwenden, zumal sie höchst erstrebenswerte Ziele beschreibt. Die Realität sieht indessen anders aus. Wo sind die erfolgreichen Frauen, die in der Lage sind, locker vom Hocker Beruf und Familie problemlos unter einen Hut zu bringen? Wo sind die taffen Frauen, die Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung ausüben? Wo sind die Frauen, die sich aufgrund ihrer Intelligenz und ihrer Kompetenzen einen lukrativen Posten ergattert haben? Wo sind die Frauen, die eine Vom-Tellerwäscher-zum Millionär-Karriere hingelegt haben? Wo sind die einflussreichen CEOs, Managerinnen und Konzernchefinnen, die dank ihrer Machtposition ihren Geschlechtsgenossinnen den Steigbügel hinhalten können? Es sind wenige. Wahrscheinlich fallen uns einige Namen dazu ein. Schauen wir aber genauer hin, sind es lediglich vereinzelte Fälle, und in unbarmherziger Deutlichkeit sichtbar wird das weibliche Grundthema: defekter Selbstwert und als Folge davon mangelndes Selbstbewusstsein. Und daran hat sich kaum etwas geändert.

Rückbau – so wird’s gemacht

Mangelndes Selbstbewusstsein ist nicht etwa angeboren, sondern wurde durch die vielfachen Entwertungen erworben, die ein weiblicher Mensch von den ersten Tagen an erlebt. Wir kommen mit allen Anlagen zur Welt, ein natürliches und gutes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Ist uns das nicht geglückt, dann müssen wir nicht etwas Neues hinzulernen, sondern lediglich den Weg zurück zu unserem Ursprung wiederfinden, um all die Überlagerungen abzutragen. Das Fremde, Übergestülpte loszuwerden heißt, das falsche Haus «rückzubauen», damit das eigene sichtbar und wieder bewohnbar wird.

Sowohl das Erkennen von ungünstigen Umständen als auch direkt anwendbare Strategien können uns im Alltag hilfreich und nützlich sein, das verlorene Selbstbewusstsein zurückzuerobern. Durch die Erforschung der Ursachen – welche Einflüsse haben unserem einst intakten Selbstbewusstsein zugesetzt? – gelingt es uns, die Hintergründe besser verstehen zu lernen, die zu seiner Einbuße geführt haben. Ebenfalls zeigt uns ein Blick in die Vergangenheit, welchen Entwertungen Frauen früherer Generationen ausgesetzt waren und was sie zu bewältigen hatten, um einigermaßen über die Runden zu kommen.

Wir arbeiten auf mehreren Ebenen. Einmal im persönlichen Bereich, in dem es darum geht, die eigene Würde zurückzugewinnen, den eigenen Selbstwert zu restaurieren, um selbstbewusst über die Gestaltung und Entfaltung unseres Lebens zu bestimmen. Zum anderen geht es darum, in sämtlichen gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Belangen mitzumischen, mitzubestimmen und mitzugestalten. Es ist ein kollektives Anliegen für alle Frauen – für die, die nach uns kommen, ebenso wie für die vielen, die vor uns auf dieser Welt waren und keine Möglichkeit hatten, sich für ihre Rechte einzusetzen. Wir rehabilitieren also auch unsere Mütter und Großmütter im Nachhinein, sorgen dafür, dass ihre Opfer nicht umsonst waren, weil wir uns ihre Lektionen hinter die Ohren geschrieben haben.

Da ich dich nicht mit theoretischen Erklärungen und Ausflügen zu lange auf die Folter spannen will, möchte ich zuerst einige praktische Hinweise vorstellen, die sich direkt im alltäglichen Leben umsetzen lassen. Und erst hinterher werden wir uns die unterschiedlichen und schädigenden Einflüsse, denen Frauen ausgesetzt waren und heute noch sind, unter die Lupe nehmen und genauer ansehen.

Wir beginnen also mit uns selbst und stellen uns in den Fokus unserer Betrachtung. Bereits diese Haltung ist ein Bruch mit dem ungeschriebenen Gesetz, sich nicht so wichtig zu nehmen. Sich mit sich selbst beschäftigen, mehr über sich erfahren zu wollen, sich um sich kümmern gehört nicht zum Pflichtprogramm weiblichen Daseins. Die meisten Frauen haben gelernt, sich vor allem um das Wohl anderer zu sorgen, dabei gehen die eigenen Bedürfnisse und Wünsche leicht vergessen. Wenn wir nun unsere eigene Person in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit stellen und unsere Anliegen ernst nehmen, kann es sein, dass aus unserem familiären Umfeld wenig Unterstützung oder gar Applaus zu vernehmen ist. Wir müssen stets eines im Auge behalten und uns immer darüber im Klaren sein: Wir schwimmen gegen den Strom.

Deshalb sollten wir mit einberechnen, uns zwischendurch Erholungsphasen zu gönnen, in denen wir ausruhen können. Wir tun gut daran, zu bedenken, dass es sich besser in Gruppen stromaufwärts schwimmt. Hinderliche Stromschnellen sind oft nur zu überwinden, wenn wir Seilschaften bilden. Und weil die meisten Frauen eine beste Freundin haben, ist das die erste Adresse, an die wir uns wenden. Je besser es uns gelingt, eine realistische Einschätzung der zu erwartenden Schwierigkeiten einzuplanen, umso besser werden wir damit umgehen und mögliche Rückschläge nicht gleich als persönliches Versagen verbuchen. Das heißt, dass wir uns sensibilisieren und mit hellwachen Augen und größter Aufmerksamkeit alles aufnehmen und registrieren, um uns weder von dem wohligen Gefühl einlullen zu lassen, dass alles anders und besser als früher sei, noch in eine trostlose Resignation zu verfallen, die nicht nur unseren Tatendrang lähmt, sondern auch unsere Lebensfreude dämpft.

Sich sensibilisieren heißt, die Antennen auf Empfang stellen; heißt, sich darüber bewusst zu werden, dass es letztlich kein bloßer Zeitvertreib ist, sich ein wenig um die eigene Persönlichkeitsentwicklung und um die Rechte der Frauen zu kümmern, sondern eine höchst drängende Aufgabe, die übernommen werden muss. Ich bin davon überzeugt: Würde eine Göttinnen-Konferenz einberufen und wir könnten als winzige Mäuschen dem Verhandlungsgespräch zuhören, erführen wir, dass sie fest mit unserem Einsatz rechnen und auf uns zählen.

Vielleicht möchtest du den einen oder anderen hier gemachten Vorschlag im Hinblick auf eigene Ideen und Wünsche modifizieren. Vielleicht liefern dir meine Überlegungen lediglich Impulse, um etwas ganz Eigenes ins Auge zu fassen, das nur speziell für dich richtig ist. Das ist gut so. Ich verstehe mich als Schrittmacherin, als Impulssetzerin. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.

Um mich selbst davor zu schützen, schlappzumachen oder gar das Handtuch zu werfen, habe ich mit mir einen Vertrag abgeschlossen, den ich dir hier vorstellen will. Vielleicht hast du Lust, eine ebenso klare Entscheidung zu treffen, einen Kontrakt mit dir zu schließen, indem du dich verpflichtest, dich künftig auf bestimmte Werte zu berufen. Überprüfe, ob es eventuell einzelne Worte oder Sätze gibt, die auch für dich passen oder ob du dir lieber einen eigenen Text zusammenstellen möchtest.

Lass dich also anregen:

Ich will alles daran setzen,

was in meiner Kraft steht,

Weiblichkeit zu schützen.

Ich will die Rechte mit allen mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für alle Frauen einfordern, um ihnen zu ihrer angestammten Macht zurückzuverhelfen.

Ich will mit offenen Augen sehen,

ich will mit kritischen Ohren hören

und Augen und Ohren in ihrer Wahrnehmung

sensibilisieren und schärfen,

damit ich Entwertungen, die sich gegen andere Frauen

oder auch gegen mich richten,

sofort erkenne.

Ich will den Mund aufmachen

und Kritik üben,

ich will das Unrecht öffentlich machen,

ich will so lange streiten und kämpfen,

bis ich die Würde der Frau zurückerobert habe.

Sollte ich für mich persönlich einen Sieg errungen haben,

dann will ich um Beistand bitten, dass mir meine

komfortable Situation

nicht das Hirn vernebelt:

Göttinnen, gebt mir keine Ruhe,

bis alle Frauen, junge und alte,

die, die mir besonders nah sind,

sowie jene, die mir nicht besonders sympathisch sind,

ihre Würde zurückgewonnen haben.

Zurück zur eigenen Mutter

Ja, du hast richtig gelesen! Wenn du dir dein Selbstbewusstsein zurückerobern willst, geht an der Auseinandersetzung mit der eigenen Mutter kein Weg vorbei. Damit wir uns aber recht verstehen, es geht nicht darum, sich nochmals mit der Mutter zu zoffen, ihr Vorhaltungen für Versäumnisse an den Kopf zu werfen und sie für das eigene Unglück verantwortlich machen zu wollen. Deine Mutter ist längst in einer anderen Lebensphase angekommen, in der die Frage der Mutterschaft wahrscheinlich nicht mehr die zentrale Rolle für sie spielt. Vielleicht ist sie bereits im Ruhestand, hat andere Themen, die sie beschäftigen. Oder aber sie ist bereits verstorben, was sogar für eine intensive Auseinandersetzung mit ihr von Vorteil sein könnte. Es geht nämlich um die verinnerlichte Mutter, um das Bild, das wir von ihr gebastelt haben. Wir führen also unsere Auseinandersetzung in unserem Innenbereich und benötigen sie dafür nicht als Gesprächspartnerin.

Wenn du mit deiner Mutter Probleme hast, dich von ihr zu wenig beachtet, geliebt oder umsorgt gefühlt hast, dann liegt die Formel ziemlich klar auf dem Tisch: Sie hat deine Erwartungen nur teilweise oder gar nicht erfüllt. Vielleicht hast du als Kind sogar unter ihr gelitten, fühltest dich schlecht behandelt, zurückgesetzt oder gar abgelehnt. Vielleicht hast du dich für sie auch geschämt, es war dir peinlich, wenn sie in der Öffentlichkeit in Erscheinung trat. Wenn du eine Scheidung der Eltern miterlebt hast, dann warst du ohnehin in einem Wechselbad der Gefühle hin- und hergerissen. Als Tochter hast du dich eher mit dem Leid der Mutter identifiziert und hast mit ihr gelitten. Es könnte auch sein, dass du für ihr Verhalten nur Verachtung übrig hattest, weil du es nicht mitansehen konntest, wie sie sich als hilfloses Opfer inszenierte und gleichzeitig als Täterin dem geliebten Vater Schmerz zugefügt hat. Das alles macht das Verhältnis zur eigenen Mutter äußerst schwierig. Und es leuchtet durchaus ein, wenn viele Töchter voller Überzeugung sagen: «So wie sie, nie!»

Mutter

Ich trage dich wie eine Wunde

auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.

Sie schmerzt nicht immer. Und es fließt

das Herz sich nicht draus tot.

Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre

Blut im Munde.

Gottfried Benn

Denn klar ist, dass Töchter auf ihre Mütter stolz sein wollen; sie möchten sagen können: «Seht her, diese wunderbare Frau ist meine Mutter. Und ich bin die Tochter von dieser großartigen Frau. So wie sie möchte ich auch einmal werden.» Zweifellos ist es für einige Frauen möglich, sich auf ein gutes Mutter-Tochter-Verhältnis zu berufen. Aber für viele trifft dies nicht zu. Für eine Tochter bedeutet es eine fundamentale Kränkung, die für sie als Identifikationsfigur vorgesehene Frau beschädigt und entwertet zu erleben. Dann gerät auch unser Selbstwertgefühl unter die Räder, längst bevor wir uns gezielt damit auseinandergesetzt haben. Wenn das Bild der Mutter angeschlagen ist, erhält das Selbstbild der Tochter ebenfalls Schlagseite. Deshalb ist es sinnvoll, zuerst das ursprüngliche Bild einer Revision zu unterziehen.

In der Beurteilung der Mutter hilft uns vor allem, wenn wir sie aus der Mutterrolle entlassen und sie einfach als Mensch zu sehen versuchen. Mütter sind eben in erster Linie Menschen, mit ihrer eigenen Geschichte, die sie zu bewältigen haben. Und die Rolle der Mutter ist lediglich mit einer Amtsträgerschaft zu vergleichen, die mit bestimmten Funktionen und Aufgaben verbunden ist. Viele Frauen wählen dieses Amt nicht bewusst am Schreibtisch und sind sich der Konsequenzen nicht bewusst. Bei den meisten geschieht es einfach. Es kommt wie ein Naturereignis über uns, und wir versuchen, den Anforderungen irgendwie gerecht zu werden. Einige scheitern an den hohen an sie gestellten Aufgaben, sie sind nicht einmal in der Lage, in sich so etwas wie Mutterliebe zu finden.

Wir können aber der Frage Mutterschaft nur einigermaßen gerecht werden, wenn wir unsere Mutter zunächst einfach als Mensch anerkennen. Dies ist zweifellos nicht einfach, weil wir sie bisher ja immer aus der Perspektive der Tochter wahrgenommen haben. Wenn wir ihr aber zugestehen, dass sie neben ihrer Rolle noch ein eigenes Dasein führte, mit eigenen Wünschen, Anliegen, Hoffnungen, Sehnsüchten usw., die sie zu verwirklichen trachtete, dann enthüllt sich vielleicht vor uns ein Mensch in seiner ganzen Tragweite – und auch Tragik.