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Mit dem Oldtimer durch Europa Teil I: 11.000 Kilometer zum Nordkapp und zurück Mit einer 46 Jahre alten Citroën Ami 8 ohne große Vorbereitungen zum Nordkapp zu fahren, könnte ein Abenteuer sein. Letztlich ist es jedoch ein Beweis für die besondere Zuverlässigkeit eines historischen Autos geworden. Das Buch läßt den Leser an einer reichlich verrückten Idee teilhaben, die auf ihrer ersten Etappe während der Corona-Pandemie über die skandinavischen Staaten zum Nordkapp und über das Baltikum zurück nach Deutschland führt.
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Seitenzahl: 228
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Hallo, liebe Amitista-Freunde, ich habe auf der Reise oft an Euch gedacht.
Und für Dich Wolfgang, der Du meine Ami immer so gut mit viel Witz versorgt hast.
Meine liebe Laura, erneut ein herzliches Danke dafür, dass Du mir schon wieder einen Traum erfüllt hast. Aš tave myliu
1.
Das Auto
I.
Technik und Zulassung
II.
Kosten für das Auto
III.
Umweltbilanz
2.
Die Vorgeschichte
Karte: Die Route zum Nordkapp
3.
Was mir meine Ami vorab zu sagen hat
4.
Der Zustand des Fahrzeuges
5.
Warum nur, warum?
6.
Tag 1: Drage
7.
Tag 2: Odense
8.
Tag 3: Kopenhagen
9.
Tag 4: Jönköping
10.
Tag 5: Stockholm
11.
Tag 6: Grums
12.
Tag 7: Egge
13.
Tag 8: Fortlandsvåg
14.
Tag 9: Förde
15.
Tag 10: Isfjorden
16.
Tag 11: Orkanger
17.
Tag 12: Mo i Rana
18.
Tag 13: Narvik
19.
Tag 14: Tromsø
20.
Tag 15: Alta
21.
Tag 16: Nordkapp
22.
Straßen, Tankstellen, Blitzer und Rentiere in Norwegen - Ein Mythos?
23.
Tag 17: Tuurukoskenniemi
Karte: Die Route über Finnland und das Baltikum zurück
24.
Tag 18: Rovaniemi
25.
Tag 19: Pyhäjärvi
26.
Wer weiß, wozu es gut ist?
27.
Tag 20: Merikarvia
28.
Tag 21: Merikarvia
29.
Tag 22: Espoo
30.
Tag 23: Espoo
31.
Tag 24: Tallin
32.
Immer noch Tag 24: Riga
33.
Tag 25: Kaunas
34.
Tag 26: Vilnius
35.
Tag 27: Warschau
36.
Tag 28: Bolesławiec
37.
Tag 29 - Der Katastrophentag
38.
Fazit
39.
Anhang
I.
Kilometerstände der Reise
II.
Kosten
III.
Verbrauch auf der Reise
IV.
Unterkünfte
V.
Umschlagfotos
VI.
Der Autor
Aktuelle Veröffentlichungen
Citroën Ami 8, Berline, rot
Baujahr: Februar 1975
Erstzulassung: 04.06.1975 in Frankreich
Herstellungsland: Belgien
Gewicht: 725 kg
Hubraum: 597 ccm
kW/ PS: 24/ 32,6
Km-Stand bei Abfahrt: 326.580
In meinem Besitz seit 02.09.2009
Vorbesitzer: 1 (in Frankreich) + 1 Tag Importeur
Von mir bis zur Abfahrt gefahrene km: 95.675 (ca. 7.900 km/ Jahr)
Durchschnittlicher Verbrauch im Alltag: ca. 6 l/ 100 km Normalbenzin
Durchschnittlicher Ölverbrauch im Alltag: ca. 0,5 l/ 1.000km (Motoröl 20W50)
Kaufpreis: 3.090,- €
Instandhaltungskosten bis zur Abfahrt: ca. 14.164,- € (1.180, €/ Jahr)
Laufende Kosten (Steuer/ Versicherung): ca. 3.060,- € (255,- €/ Jahr)
Kosten je Kilometer (ohne Benzin und Öl): 0,21€
CO2 für die Produktion: 10,36 t
CO2 für 19.595 Liter Benzin (326.580 km x 6 l/ 100 km) x 0,00237 t: 46.44 t
CO2 für Problemmüll: 0,04 t
CO2 Summe für Ami 8 bis zur Abfahrt: 56,84 t
Durchschnittlicher Lebenszyklus eines Benziners in Deutschland: 18 Jahre
Neuwagenproduktion (Benziner) für die Lebensdauer der Ami 8: 2,56 Fahrzeuge
CO2 für Produktion der Neufahrzeuge: 26,52 t
CO2 Saldo für Neufahrzeuge mit gleichem Verbrauch bei einem Lebenszyklus von 18 Jahren (Produktion: 26,52t; Problemmüll: 0,1 t; Verbrauch: 46,44 t): 73,06 t
CO2 Überschuss zugunsten der Ami 8 bei Benzinern mit gleichem Verbrauch: 16,22 t
Durchschnittlicher Lebenszyklus eines E-Autos in Deutschland: 13 Jahre
Neuwagenproduktion (E-Autos) für die Lebensdauer der Ami 8: 3,54 Fahrzeuge
CO2 für Produktion Neufahrzeuge (E-Autos): 36,67 t
CO2 Äquivalentwert für Verbrauch der Elektroautos bei 42% Emissionseinsparung: 26,94 t
CO2 Saldo Äquivalentwert für E-Autos bei einem Lebenszyklus von 13 Jahren (Produktion: 36,26 t; Problemmüll: 0,14 t; Verbrauch: 26,94 t): 63,34 t
CO2 Überschuss zugunsten der Ami 8 bei E-Fahrzeugen aktueller Produktion: 6,5 t
* Die Berechnungen erfolgen ohne Gewähr auf Richtigkeit, sie sind privater Natur und basieren auf folgenden Quellen aus den Jahren 2017 - 2021: Eurostat, Institut für Energie & Umweltforschung Heidelberg, Swedish Environmental Research Institute, Yale School of the Environment, International Council on Clean Transportation, Transport & Environment, Technischen Universität Eindhoven, Fraunhofer-Institut für Innovations- und Systemforschung, Öko-Institut, Agora Verkehrswende, Bundesumweltministerium, Dokumentation des WDR zu Umweltschäden beim Abbau von Rohstoffen für die EAutobatterie, Artikel „Wie umweltfreundlich sind E-Autos wirklich im Vergleich zu Verbrennern?“ in: AutoBild, 10.01.2022.
Seit einigen Jahren habe ich mich mit dem Gedanken befasst, mit meiner Ami eine größere Tour zu unternehmen. Bisher fahre ich mein Fräuleinchen regelmäßig mehrmals in der Woche, gelegentlich sogar täglich, auch im Winter. „Il faut rouler“, wie der Franzose so gerne zu sagen pflegt, was für einen Oldtimer dieser Art definitiv notwendig ist. Ich halte nicht viel davon, ein Auto zu besitzen, welches ich nur ein paar Tage im Jahr bewege und es ansonsten in einer Garage schön gepflegt halte. Ein Oldtimer ist für mich ein Fortbewegungsmittel, egal wie alt er ist. Er ist dafür entworfen und gebaut worden, die Wertschätzung, die der Fahrer seinem Fahrzeug entgegenbringt, liegt insbesondere darin, dass er seinem Wagen auch im Alter vertraut und an es glaubt.
Nutzt er das Fahrzeug dagegen ausschließlich als Sammelobjekt, so liebt er dieses Auto entweder und hält es entsprechend instand, vielleicht ist er auch irgendwie „infantil“ geblieben, also spielerisch in seinen Wagen verliebt oder aber er ist ein Spekulant, der lediglich auf die mögliche Wertsteigerung aus ist. Dies führt dazu, dass die teuren und seltenen Oldtimer wie Museumsstücke gehalten, sie nur gelegentlich bei Ausfahrten „gezeigt“ werden, dann aber wieder für die Eigenliebe, den Spieltrieb oder die anvisierte Wertsteigerung in diversen Garagen verschwinden. Sicherlich, dadurch werden diese Fahrzeuge vielleicht länger der Nachwelt erhalten, aber sind sie dann noch Autos, also das, wofür sie eigentlich gebaut wurden?
Es ist doch erstaunlich, dass viele Autohersteller erst in den letzten Jahren damit angefangen haben, auch ihre mobilen Vermächtnisse in eigenen Museen zu sammeln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mag dies vielleicht daran liegen, dass die Ingenieure niemals daran dachten, dass „ihre“ Autos irgendwann einen anderen Wert als den des Fahrens haben würden?
Es mag sein, dass insbesondere die hochpreisigen Fahrzeuge auch schon bei ihrer Entstehung einen gewissen „Ewigkeitswert“ erlangen sollten. Dies ist sicherlich bei einigen Sportwagen, Edelkarossen oder der Ikone des Fahrzeugbaus, der „Göttin“, der Citroën DS, dem Auto, welches sogar als Kunstobjekt im Museum of Modern Art ausgestellt wurde, der Fall aber bei den „kleinen“ Wagen für den alltäglichen Bedarf war dies sicherlich nie so wirklich eine wichtige Frage.
Diese Autos sollten zuerst einmal den Fahrer mit den Passagieren sowie irgendwelchem Zeugs von A nach B bringen. Dabei war auch eine gewisse Zuverlässigkeit gewünscht, die aber bei kostengünstigen Produktionen leider nicht immer gegeben war. Einer meiner ersten Oldtimer war z. B. der phänomenal schöne Fiat 500, Baujahr 1970, ein wirklich kleines Autochen, ein Witz auf der Straße, der jedoch meistens für Aufsehen sorgte, insbesondere dann, wenn er mal wieder auf einer Kreuzung liegen blieb. Ein Charakteristikum dieses minimalistischen Fahrzeuges schien seine Unzuverlässigkeit zu sein, damals wie heute ...
Aber da gibt es noch diese (wenigen) preiswerten Oldtimer, die auch nach 40 und mehr Jahren an Zuverlässigkeit nur selten zu überbieten sind, wozu sicherlich der Käfer und die Ente gehören, um nur zwei zu nennen, beides Fahrzeuge, die auch heute noch gelegentlich für unter 10.000 € zu bekommen sind, wenn auch immer seltener.
Es ist erstaunlich, wenn man mit der Ami fährt, ein Fahrzeug, das damals zur unteren Mittelklasse gehörte, so kommt man sich heute vor, als führe man in einer Sardinenbüchse herum zwischen all diesen immer riesiger werdenden Karossen, die unsere Straßen mittlerweile bevölkern. Manchmal stehe ich an einer Kreuzung neben einem dieser monströsen SUV und schaue zu diesen aggressiv wirkenden Gefährten auf, dann überkommt mich immer ein Gefühl der Beklemmung, denn ich weiß, dass diese Geschosse bei einem Zusammenprall auf mich wie ein 30-Tonner wirken werden. Die dortigen Fahrer sind hinter einer Armada von Hightech geschützt, sie machen sich keine Gedanken mehr darüber, dass sie eigentlich eine Waffe auf der Straße führen, eine Waffe zudem, von der sie zu 100 % abhängig sind, die beim Versagen all der Sicherheitselektronik von den Fahrern nicht mehr zu beherrschen ist. Denn welcher Autofahrer eines solchen Fahrzeuges kann beim Ausfall der Servolenkung dieses Drei-Tonnen-Gefährt noch lenken, wer kann beim Versagen der Bremshydraulik dieses Fahrzeug aus z. B. 200 km/h noch zum Stehen bringen?
Mein Autochen wiegt dagegen gerade mal etwas über 700 kg, hat weder Servolenkung noch Bremskraftverstärker, für den Fall, dass die Handbremse nicht genug Kraft aufbringt, führe ich immer zwei Unterlegkeile mit, die ich dann als Standbremsen nutzen kann. Ich will nicht sagen, dass all diese Hightech unnütz sei, aber sie verleitet die modernen Autofahrer dazu, sich gehörig zu überschätzen, die Technik gibt ihnen das Gefühl, etwas zu beherrschen, was eigentlich sie beherrscht.
In meinem Fräuleinchen dagegen muss ich, wie jeder Oldtimerfahrer, ein Zusammenspiel mit dem Auto suchen, eine Ausgewogenheit zwischen meinem Wollen und den Launen des Autos, das so viel mehr Charakter und Eigensinn aufbringt als jedes Fahrzeug aus heutiger Zeit. Mein Auto „spricht“ immer wieder mit mir - das werden alle Oldtimerfahrer, die regelmäßig ihr Gefährt bewegen, bestätigen -, ich muss zuhören um zu verstehen, was es mir zu sagen hat. Höre ich nicht richtig hin, beachte ich nicht die Zeichen - die, zugegeben, manchmal nicht leicht zu verstehen sind -, so habe ich über kurz oder lang Ärger.
Bei neuen Autos ist das in der Regel nicht so, die Elektronik verschleiert jedes Problem vor mir und macht sich erst bemerkbar, wenn ich mit dem Wagen in die Werkstatt muss oder einfach am Straßenrand liegen bleibe. Dann rufe ich eine der Pannenhilfen und hoffe, dass der „Engel“ mir vor Ort helfen kann, was aber meist nicht mehr der Fall ist, denn die Elektronikteile sind so verbaut, dass ohne Werkstatt nichts mehr geht. Bei meiner Ami dagegen liegt die Chance der direkten Hilfe bei gut 50 %, denn manchmal müssen nur eine nach 45 Jahren gerissene Leitung überbrückt werden oder ein beherzter Schlag mit einem Hammer löst irgendein festgefahrenes Teil, sodass ich auf eigenen Rädern zur nächsten Werkstatt fahren kann.
In Litauen hatte ich z. B. vor vielen Jahren im Winter mit meiner damals rund 30 Jahre alten Ente einen Unfall: In einer Kurve geriet ich auf schneeglatter Fahrbahn ins Schleudern, überließ es meinem „Brumm-Brumm“, die Situation zu retten, was sie auch ganz gekonnt machte, sie „sprang“ über den begrünten Mittelstreifen, schaukelte sich gerade, stieß nirgendwo dagegen, niemand wurde verletzt und sie fuhr noch immer. Am nächsten Tag brachte ich sie in eine „Werkstatt“, wo zwei muskelbepackte Männer ihre verzogene Karosserie erst mal wieder einigermaßen gerade zogen, allerdings konnten sie sonst nichts machen, es war damals die erste Ente, die nach Litauen gekommen war ... Aber sie, dieses seltsame Gefährt, mit dem ich in jenem Jahr mit meiner Frau rund 50.000 km durch Europa kutschiert war, brachte mich die tausend Kilometer über damals noch teilweise waghalsige polnische Landstraßen bis nach Hamburg, wo sie dann leider aber doch ihr Leben lassen musste - welch ein Verlust! Und damit wären wir dann bei dem, was mir meine Ami vorab zu sagen hat ...
Karte: Die Route zum NordkappKarte © by umap.openstreetmap.fr
Es war an einem Nachmittag, etwa zwei Wochen vor der geplanten Reise. Meine Frau war mit ihrem Auto von der Arbeit zum Treffpunkt in einer kleinen Stadt am Neckar gekommen, von wo aus wir mit unserem Sohnemann zur Covid-Impfung gingen. Zu diesem Treffen war ich natürlich mit meiner Ami gefahren. Sie steht normalerweise in einer Garage, aus der ich sie für meine (alltäglichen) Fahrten hole.
Manchmal, wenn sie längere Zeit nicht gefahren wurde, möchte sie nicht so recht aufwachen, ich muss etwas herumdoktern, mit dem Choke spielen oder gar den Motor mit der Kurbel - ja, die Ami besaß sogar in ihren letzten Ausführungen am Ende der 70er-Jahre noch immer eine Kurbel, mit der man den Motor zwar nicht starten, ihm aber für den Start gehörige Hilfe geben konnte - etwas lockern. Aber irgendwann springt sie dann doch an.
Diesmal war dies nicht der Fall gewesen, sie startete wie eine Eins, es erstaunte mich allerdings, dass sie, die sonst so wenig Sprit schluckte, an diesem Tag sich als kleine Säuferin zeigte. Ich musste also unterwegs tanken, wodurch ich zum Treffpunkt wirklich auf den allerletzten Drücker kam.
Nach der Impfung besuchten wir bei Sonnenschein noch eine Eisdiele gegenüber der Praxis, dann gingen wir zum Parkplatz, wo sich unsere Fahrzeuge befanden. Meine Frau wollte mit unserem Sohn fahren, beide standen bereits bei ihrem Wagen an einer anderen Stelle auf dem Platz, als ich eine kleine Menschenansammlung bei meinem Auto sah, darunter auch eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes und zwei Arbeiter des Bauhofes, deren Fahrzeug unweit des Meinen stand. Ich dachte schon, es wäre vielleicht ein Ast von dem Baum, unter dem meine Ami wartete, auf dieselbe gefallen, doch dann erkannte ich den Sand um mein Fräuleinchen herum, was nichts Gutes erahnen ließ. Ich rief sofort meiner Frau, noch nicht zu fahren, und gemeinsam traten wir zu den Anwesenden.
Es stellte sich heraus, dass mein Auto seinen Treibstoff durch eine Leckage im Motorraum verlor. Die Männer des Bauhofes hatten nicht nur Bindemittel um das Fahrzeug verteilt, sondern auch eine Ölwanne unter meinen Wagen geschoben, die sich aber bedrohlich schnell mit Benzin füllte ... Mist, ich hatte ja gerade eben erst vollgetankt, das waren also gute 25 Liter, die da rauskommen würden! Die wirklich nette Mitarbeiterin des Ordnungsamtes, welches sich zum Glück gleich auf der anderen Seite des Platzes befand, hatte bereits versucht, ein Tuch um die offene Benzinleitung zu legen, was aber nicht geglückt war. Jetzt kroch meine Frau im Kostüm, beherzt wie immer, an den Vorderrädern vorbei unter die Stelle, wo es so bedrohlich tropfte, und probierte irgendwie die Leitung wieder aufzustecken. Aber auch das misslang.
Inzwischen hatte ich beim Pannendienst angerufen, der mir einen Abschleppwagen besorgen wollte. Da meine Ami aber regelhaft auf einem Schlepper transportiert wird, fragte ich das anrufende Abschleppunternehmen, ob die denn auch Werkzeug und Ersatzteile für eine „Erste Hilfe“ bei sich hätten, da ich davon ausginge, man könne die Leitung durchaus vor Ort so reparieren, dass ich auf eigenen Rädern bis zur nächsten Werkstatt fahren könnte. Die Antwort war erst mal ein lapidares „Nein“, entweder abschleppen oder gar nichts.
Ein weiterer Anruf beim Pannendienst ließ dann aber doch das Kommen eines „Gelben Engels“ zu, der etwa 30 Minuten später auftauchte. In der Zwischenzeit liefen mein Sohn und ich zur Ordnungshüterin, die in ihrem Büro tatsächlich zwei Kabelbinder fand, mit der meine Frau mit ihren zarten Fingern zumindest den Benzinstrom etwas verlangsamen konnte.
Als der „Engel“ ankam, schob er sich nach kurzer Sichtung und einigen erklärenden Worten meinerseits unter mein Fahrzeug. Schnell erkannte er die Richtigkeit der von mir geäußerten Option, und er friemelte eine provisorische Verbindung der nach 45 Jahren gerissenen Benzinleitung zusammen. Danach begleitete er unseren Konvoi erst mal bis zur nächsten Tankstelle, wo ich mit dem letzten Tropfen einrollte und dann für den Mindestbetrag von fünf Euro tankte. Während dieses Vorgangs kümmerte sich mein gelber Mann um einen Lieferwagen, dessen Vorderrad massiv Luft verlor. Schließlich ging es weiter zur nächsten Citroën-Werkstatt, die ich vorab telefonisch informiert hatte. Die Ami musste allerdings draußen stehen bleiben, denn die Werkstatt hatte bereits Feierabend und würde sich den Wagen erst am folgenden Tag ansehen können.
Die Reparatur selbst war dann einfach und kostete auch nicht viel, es zeigte sich jedoch, dass eine Achsmanschette defekt war und getauscht werden musste, was bei meiner Ami kein Ding ist.
Was hatte sie mir aber nun genau sagen wollen? Wollte sie etwa doch nicht die große Reise antreten? Oder hatte sie mir lediglich sagen wollen, Bernhard, mein Lieber, du solltest mich vor der Abreise doch noch mal in einer Werkstatt durchchecken lassen, das ist ja wohl das Mindeste?
Ich entschied mich für die zweite Option und fuhr sie einige Tage später zu einer kleinen Inspektion. Es wurde nicht viel repariert, lediglich das Getriebeöl musste getauscht werden, denn es befanden sich einige Späne darin, womit wir beim Zustand meines Wägelchens vor der Abreise angekommen wären.
Meine Ami in Isfjorden
Nun ja, meine Ami ist ein Gebrauchsfahrzeug, sie ist nicht unbedingt die Schönste, insbesondere ihr Kleid bedürfte dringend einer Auffrischung, sprich, sie müsste an diversen Stellen gestopft werden und benötigt einen neuen Lack. Aber der Motor läuft ganz passabel und sie erreicht noch immer (nach längerer Zeit versteht sich) ihre Höchstgeschwindigkeit von immerhin 125 Stundenkilometern. Überholen kann ich auf gerader Strecke sogar auch recht zügig, alles gut also.
Allerdings hatte ich vor fast drei Jahren das Getriebe tauschen müssen, da es aktuell keine original Ami-Getriebe auf dem Markt gab, musste es ein Teil von einer Charlston-Ente sein, das zum Glück auch passte.
Bei einer längeren Fahrt an die Ostsee war das Getriebe auf der Rückfahrt bei praller Sonne heiß gelaufen und mein Wägelchen hatte an den Vorboten der Kasseler Berge einfach nicht mehr ziehen wollen. Damals war sie abgeschleppt worden, mein Sohn und ich mussten mit dem Zug nach Hause fahren. Allerdings erklärte sich der Pannendienst mit einem Sammeltransport zu meiner Werkstatt einverstanden, nachdem der Wert meiner Ami für ausreichend hoch eingestuft wurde, was mich natürlich sehr freute.
Als sie dann endlich nach einer Woche angekommen war und ich dort mit den schlimmsten Befürchtungen anrief, stellte sich heraus, dass sie nach all der Abkühlung wie durch ein Wunder artig lief, jedoch beim Schalten in den dritten Gang fürchterlich zu kratzen begonnen hatte. Wenn ich aber ganz langsam und geschmeidig schalte, geht es, und, na ja, auch nach der ganzen großen Tour funktioniert das Getriebe noch immer ...!
Wie war jedoch der sonstige Zustand meiner zukünftigen Vagabundin? Die Reifen waren einigermaßen in Schuss, mussten also nicht gewechselt werden; die Bremsen griffen noch ausreichend, nur die Handbremse wollte nicht mehr richtig feste zupacken. Der Motor ölte ein wenig, aber wie man so schön sagt: Wenn ein alter Motor nicht ein wenig ölt, dann ist er wohl kaputt. Sonst schien eigentlich alles ok zu sein, einer Abfahrt stand nur eine kleine Ergänzung im Wege, denn für das Navi auf meinem Handy benötigte ich einen USB-Ladeanschluss, den ich schnell selbst einbaute. Außerdem hatte ich noch Ersatzlampen und -Zündkerzen dabei, einen Zündkerzenschlüssel besorgte ich mir auf die Schnelle im Baumarkt (großer Fehler! - dazu aber später). Die Füllstände für die Wischeranlage und die Bremsen sowie das Ersatzrad geprüft, dann konnte ich mit den letzten Vorbereitungen beginnen - ach nein: Ich musste ja noch Motorenöl 20W50 kaufen und das in ausreichender Menge, also schnell einen 5-Liter-Kanister Öl bestellt (zwei Liter hatte ich bereits, sodass ich mit insgesamt sieben Litern fahren würde, was auch durchaus reichte).
Im Internet fand ich dann immer wieder beängstigende Hinweise auf die fehlenden Tankstellen in Nordnorwegen, weswegen ich mir auch tatsächlich einen Ersatzbenzinkanister besorgte, den ich kein einziges Mal benötigte, denn es gibt genügend Tankmöglichkeiten da oben, wenn man nur ab und zu mal auf seinen Tankanzeiger schauen würde, ihr Dödelheinis aus dem Netz ...!
So, und nun stand ich kurz vor der Abfahrt, es stellte sich die Frage, warum wollte ich diese Strapazen wirklich auf mich nehmen? Meine Frau glaubte sowieso nicht daran, dass meine Ami diese Strecke durchhalten würde, und auch viele andere Freunde hielten meinen Gedanken für ziemlich verrückt. Warum also, warum?
Na ja, ich hatte gerade meinen sechzigsten Geburtstag vor mir, überlegte, ob ich angesichts von Corona nun doch eine größere Geburtstagsfeier veranstalten sollte, was eben aber auch einiges an Planung mit sich bringen würde, vielleicht sogar Frust, denn sicherlich würden nicht alle Eingeladenen wirklich kommen können oder wollen.
Auf der anderen Seite hegte ich ja schon lange den Gedanken, mit meiner Ami eine umfangreichere Tour zu unternehmen, eigentlich nur einen ersten Teil meiner Europareise, die mich in drei großen Etappen über den Kontinent reisen lassen sollte: Der Plan sah zuerst eine Südwest-Route vor, von Deutschland über die Schweiz, Lichtenstein, Frankreich, Monaco, Andorra, Spanien, Gibraltar, Portugal, von dort auf dem Landweg bis zum Kanal, dann nach England, Wales, Irland, Nordirland, Schottland, die Niederlande, Belgien und Luxemburg in die Heimat; danach eine Nord-Route - das ist die Route, die ich hier beschreiben werde -; schließlich eine Südost-Route, die mich von Deutschland über Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Serbien, Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Albanien, Mazedonien, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Italien, Vatikan, San Marino und Österreich erneut nach Hause führen sollte. Man sieht, dass ich auf diesen Touren die Länder östlich der EU sowie die Inselstaaten Malta, Zypern und Island auslassen wollte, da hier für relativ kurze Straßenetappen recht lange Entfernungen mit einer Fähre zurückzulegen wären beziehungsweise die Sicherheitslage für mich alleine mit einem Oldtimer als zu kritisch angesehen wurde.
Sinn und Zweck dieser ganzen Plackerei sollte sein, mir einerseits einen lang gehegten Traum zu erfüllen, andererseits zu beweisen, dass ein alltagstauglicher kleiner Oldtimer ohne jede größere Vorbereitung in der Lage wäre, diese Strecken zu bewältigen.
Ich überlegte also hin und her, erwägte das Für und Wider der Geburtstagsfeier sowie der Reise und entschied mich schließlich für die Nord-Tour, weil Corona mir nur bedingt eine der anderen beiden Routen erlaubte. Da ich, wie der Rest der Familie, vollständig geimpft war, konnte ich die Reise Richtung Norden tatsächlich wagen. Nachdem ich meine Frau und unseren Sohn über meine Pläne informiert hatte, die eine mich wohlwollend für verrückt hielt, der andere sich auf die „elternlosen“ Tage freute, erkundigte ich mich über die planbaren Rückreisemöglichkeiten, würde mein Autochen unterwegs irgendwo in Nordeuropa irreparabel liegen bleiben.
Da unsere Familie sich auf meiner Rückreise für einen zweiwöchigen Urlaub in Litauen treffen wollte, musste ich zusätzliche Varianten einplanen, damit ich auch ohne Auto zum Urlaubsziel gelangen könnte.
Dann waren endlich alle Ungereimtheiten geklärt, die einzelnen Tagesetappen geplant, alle Informationen zu den Covid-Beschränkungen für die Einreisen herausgesucht, Essen und Getränke für die erste Zeit, Notzelt, Schlafsack und Isomatte sowie Kleidung verstaut, Motorenöl, Ersatzkanister, Feuerlöscher, Abschleppseil und Werkzeug neben dem Erste-Hilfe-Material, der Warnweste und dem Warndreieck gelagert, die Notstraßenkarten für den Fall, dass das Navi versagen sollte ebenfalls griffbereit - es konnte also losgehen.
Zwei Wikinger spielen auf einer Lure, Kopenhagen
(Buchen im Odenwald - Drage bei Hamburg - zurückgelegte Strecke: 610 km)
Im Gegensatz zu meiner Frau, die bei Reisen immer gerne mit dem Blick auf die Uhr - „wir sind schon wieder eine Stunde zu spät losgefahren ...“ - startet, lasse ich meine Abreise ganz ruhig angehen: Gegen Mittag gehe ich zu meiner Ami, die bereits am Vorabend gepackt in der Garage wartet. Noch mal eine Ölkontrolle durchgeführt, das Navi eingestellt, den Motor angeworfen, der sogar beim ersten Versuch sofort lauthals zu brummen beginnt, wie schön, wie schön, und dann über Walldürn nach Amorbach, wo ich Auto und Ersatzkanister volltanke.
Doch plötzlich schickt mich das Navi in eine andere Richtung, ich habe eigentlich den Weg über Aschaffenburg geplant, doch die Elektronik jagt mich an Miltenberg und Wertheim auf der Landstraße am wunderbaren Main entlang zur A3, danach durch Würzburg auf die A7. Vielleicht rechnerisch die kürzeste und eventuell sogar „schnellste“ Verbindung, doch letztlich eine ziemliche Zeitverschwendung - es soll nicht das einzige Mal bleiben, dass mein Navi mich in die Irre leiten wird ... Trotz der landschaftlich schönen Strecke am Main kann ich das nicht so recht genießen, denn es gibt kaum ein Vorankommen.
Aber auch auf den deutschen Autobahnen sieht es ja nicht besonders gut aus, auf meiner Fahrt gen Norden muss ich insgesamt dreimal in Staus verweilen, was bei den sommerlichen Temperaturen nicht gerade angenehm in meiner Ami ist, zumal sie durch die Sonne und das nur sehr langsame Fahren oder gar Stehen als luftgekühlter Wagen leicht überhitzt.
Mein Rekord auf der Strecke nach Hamburg mit einem anderen Auto liegt einige Jahre zurück, ich war mit meiner damals siebenjährigen Tochter zu einem Vortanzen an der Hamburger Ballettschule unterwegs, geriet aber am Hattenbacher Dreieck in einen absoluten Megastau, der sich in Richtung Norden dahinzog. Da auf meinem Weg kein Vorankommen zu erkennen war, nahm ich die Abfahrt nach Frankfurt, also eigentlich gen Süden, fuhr viele Kilometer an dem nordwärts sich dahin ziehenden Stau entlang, sah, wie die Polizei nach einigen Kilometern auf der Gegenspur zumindest die Pkw auf einen Waldweg ableitete, denn im Radio wurde bereits bekannt gegeben, dass der Verkehr in Frankfurt durch diesen langen Stau zusammenzubrechen drohte. Bei der nächsten sich mir bietenden Gelegenheit bog ich von der Autobahn auf eine Landstraße ab und kurvte - damals noch ohne Navi - irgendwie Richtung Norden, bis mir ein Schild nach über einer Stunde Fahrt den Weg erneut zur Autobahn nördlich des Kirchheimer Dreiecks wies. Auf der Autobahn angekommen hatte ich für weit über hundert Kilometer kein Auto mehr neben mir, es kam einfach niemand durch, auch die ausgewiesenen Umleitungen hatten im Verkehr schon längst einen Kollaps erlitten. Ich hatte damals unglaubliches Glück, erreichte sogar rechtzeitig unseren Termin, denn am nächsten Tag erfuhr ich aus den Medien, dass sich der Stau erst am frühen Morgen aufgelöst hatte, dabei insgesamt eine Länge von über 180 Kilometern erreichend.
Aber ich war ja immerhin angekommen, was mir einige Jahre später auf derselben Strecke mit meiner Ami nicht mehr gelang, da ich zwischen Frankfurt und Hamburg in sage und schreibe sieben langen Staus stand, diese bei jeder Gelegenheit umfuhr, wobei ich für mich bis dahin unbekannte nette Gegenden Deutschlands befuhr und schließlich am späten Abend, nachdem ich alle meine Termine für den Tag absagen musste, an meiner Unterkunft auf dem Lande ankam, die ich überwiegend dadurch erreichte, dass ich nach Himmelsrichtung navigierte, die mir ein besserer Wegweiser war als das mitgeführte Navi.
Aber zurück zu dieser Reise: Aufgrund der Hitze halte ich immer mal wieder auf einem Parkplatz für eine kleine Pause an, versuche die aufsteigenden Temperaturen durch eine geöffnete Motorhaube abzuwenden, was natürlich dann auf einem Rastplatz zu einer wohlwollenden Frage führt, ob der „Gelbe Engel“, der gerade an einem Camper neuerer Bauart versucht, die Lenkung zu reparieren, auch zu mir kommen solle, um meinem Fräuleinchen behilflich zu sein. Wirklich nett und fürsorglich, aber ich erkläre den besorgten Oldtimerfans, dass meine Freundin nur etwas Belüftung benötigt.
Dann weiter dem leichten Regen entgegen, der mich am Zielort an der Elbe leider erwartet. Aber: Die erste Etappe ist nach rund neun Stunden - mit fast zwei Stunden Pausen, von denen ich über eine Stunde im Stau stehe - geschafft, ein gutes Essen bei Freunden wartet auf mich.
In der Altstadt von Odense
(Drage - Odense - 353 km - zurückgelegte Strecke: 963 km)