Mit dem Pilgerstab durchs Leben - Thomas Dienberg - E-Book

Mit dem Pilgerstab durchs Leben E-Book

Thomas Dienberg

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Beschreibung

Menschen machen sich auf den Weg, verlassen ihr Zuhause, suchen nach Gott und sich selbst Diese Buch geht dem Phänomen nach, dass immer mehr Menschen, obwohl sie mit Religion nichts zu tun haben möchten, auf Pilgerreise gehen. Dem Autor geht es einerseits um die Geschichte und Spiritualität des Pilgerns. Aber viel mehr will er das menschliche Leben als einen Pilgerweg beschreiben. Dabei spielt vor allem das Verständnis der franziskanischen Spiritualität und der Aspekt des 'Pilger und Fremdling Seins' eine große Rolle. Damit verbunden ist eine Haltung, die sich nicht an Orten, nicht an Dingen und an Bildern festmacht, sondern als Offenheit gegenüber dem Leben und dem Fremden - eine Haltung, die aus einem großen Vertrauen Gott gegenüber lebt und den Menschen immer wieder aufbrechen lässt.

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Thomas Dienberg

Mit dem Pilgerstab durchs Leben

Franziskanische Akzente

herausgegeben von Mirjam Schambeck sf und Helmut Schlegel ofm

Band 33

THOMAS DIENBERG

Mit dem Pilgerstabdurchs Leben

Herzlicher Dank geht an Marie-Therese Girerd für die sorgfältige Zuarbeit bei den Korrekturen sowie an die Sponsorinnen dieses Bandes, die nicht genannt werden wollen.

Der Umwelt zuliebe verzichten wir bei unseren Büchern auf Folienverpackung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2022

© 2022 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag: wunderlichundweigand.de

Umschlagfoto: Elisabeth Wöhrle sf

Satz: Crossmediabureau, Gerolzhofen

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN

978-3-429-05733-6

978-3-429-05208-9 (PDF)

978-3-429-06565-2 (ePub)

Inhalt

1Einleitung

2Pilgerschaft des Lebens im Kontext der Postmoderne

Der Weg und das Gehen

Die Postmoderne

Das Gehen, Mobilität und Corona

Gesundheit und Mobilität

Das Gefühl der (existentiellen) Einsamkeit

Das Leben als Pilgerreise

3Über das Pilgern

Ein Blick in das Alte Testament

Ein Blick in das Neue Testament

Ein Blick in die Spiritualitätsgeschichte

4Franziskus und Klara:Pilgern als Ausdruck ihrer Lebensweise

Itineranz und Armut

Verfügbarkeit und Transformatio

Kontemplation und Einsamkeit

5Die Geschichte, Klara, Franziskus und der postmoderne Mensch

Auf dem Weg zu einer Heimat

Gemeinschaft wider die Einsamkeit

Von der Sehnsucht nach dem Ziel: die „eschatologische Gelassenheit“

Spirituelle Orte

Spiritualität als Spiritualität des Pilgerns

6Ausblick: Pilgern und (ewige) Heimat

Anmerkungen

Abkürzungsverzeichnis

Zum Weiterlesen

1Einleitung

Das Pilgern scheint trotz der Pandemie seinen Reiz und seinen Hype nicht verloren zu haben. Es prägt den Zeitgeist. Immer mehr Pilgerwege werden entdeckt, der Buch- und Zeitschriftenhandel ist voll von Vorschlägen zum Pilgern. Und wenn es nicht mehr in die Ferne gehen kann, dann eben vor die eigene Haustür. Sogenannte und definierte spirituelle Orte ziehen an. Manchmal aber ist es auch einfach die erhoffte Wegerfahrung, geteilt mit anderen, die Menschen auf die Idee des Pilgerns bringt.

Pilgern ist ein uraltes Motiv der Menschheitsgeschichte, und wahrscheinlich pilgern Menschen, seitdem es Religion gibt, also seit Beginn der Menschheitsgeschichte. Diese ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Pilgergeschichte. Doch ist das Pilgern weitaus mehr als ein religiöses Phänomen, was ja allein daran festzumachen ist, dass viele sich auf einen der berühmtesten Pilgerwege der Welt begeben, den Camino. Nicht wenige von ihnen würden sich zwar als suchend, aber nicht als religiös bezeichnen, aber irgendwie doch spirituell, oder auch nicht? Menschen gehen auf sehr vielfältige Weise einen Pilgerweg mit einer Sehnsucht nach Heil, die tief in ihnen schlummert. In der Vergangenheit trieb im Christentum in Europa viele Menschen die Sehnsucht nach dem Heil in Jesus Christus an, die Sehnsucht nach der Berührung Gottes auf einem Pilgerweg zu einem konkreten Ziel wie zum Beispiel einem Wallfahrtsort. Gott begegnen, heil werden und das Heil finden, das Leben wieder neu bewältigen können oder schlicht und einfach das Gehen zu einem Ort mit einem konkreten Anliegen.

Pilgerwege sind zeitlich begrenzt. Sie haben ein konkretes Ziel vor Augen und wollen erlaufen werden. Der Mensch bricht auf, geht und nimmt die Strapazen eines Weges mit Höhen und Tiefen, Tälern und Bergen, kurzen und langen Etappen auf sich. Damit verlässt der Mensch sein gewohntes Lebensumfeld und bricht in die Fremde auf. Er lässt sich auf unbekanntes Terrain ein und ergeht sich etwas Neues. Pilgerwege drücken somit auch eine Dimension menschlichen Lebens aus, die sich unabhängig von konkreten Orten und Wegen festmacht: Der Pilgerweg ist wie das Leben. Auch dieses besteht aus Höhen und Tiefen, Irr- und Umwegen, aus Heimat und Fremde, aus Aufbruch und Ankunft. Das Bild des Pilgerweges ist ein Bild für die Lebensreise des Menschen.

„Die Schwestern sollen sich nichts aneignen, weder Haus noch Ort noch irgendeine Sache. Und gleichsam als Pilgerinnen und Fremdlinge in dieser Welt, die dem Herrn in Armut und Demut dienen, mögen sie voll Vertrauen um Almosen schicken“ (KlReg 8, KQ 66).

Die heilige Klara gibt mit diesen wenigen Worten das Thema dieses Buches mit seinen verschiedenen Facetten vor.

Es geht um das Pilgern, doch nicht nur um das religiöse Pilgern auf einem Weg zu einem Wallfahrtsort; nicht nur um das Pilgern à la Hape Kerkeling nach dem Motto „Ich bin dann mal weg“; nicht nur um das Pilgern als Wegerfahrung, wobei das Ziel gar nicht so wichtig ist. Nein, es geht um eine Grundhaltung im Leben des Menschen und der Christ:innen; eine Grundhaltung, die mit der Tatsache ernst macht, dass der Mensch zeit seines Lebens ein Mensch auf dem Wege ist: zu sich selbst und dem Menschen, der in ihm und ihr angelegt ist; auf dem Weg und damit auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Nie fertig, immer sehnsüchtig, oft unruhig, voller Fragen. Klara unterstreicht mit den Worten in ihrer Regel, dass die Schwestern gleichsam wie Pilgerinnen und Fremdlinge in der Welt leben sollen, eben so, als ob sie nichts haben und dem einen Ziel des Lebens entgegenstreben: dem ewigen Leben. Daraufhin ist ihr ganzes Bestreben ausgerichtet. Sie macht damit auf radikale Weise mit der Aufforderung Jesu ernst, alles zu verlassen und ihm nachzufolgen, sein Herz nicht an Dinge und Besitz zu hängen, sondern sich frei, eben arm, mit und zu ihm auf den Weg zu machen.

Hier wird ebenfalls deutlich, dass das Pilgern aus der franziskanischen Perspektive elementar mit der Haltung der Armut zu tun hat und dass diese weitaus mehr als nur ein Gelübde oder nur einen Verzicht darstellt. Armut ist eine Beziehungskategorie, die mit dem Pilgercharakter des menschlichen Lebens einhergeht und diesen unterstreicht.

Im Folgenden soll auf diese verschiedenen Perspektiven des Pilgerns eingegangen werden. Das Hauptaugenmerk allerdings liegt auf dem Pilgern als Grundhaltung des menschlichen Lebens. Ist das Pilgern eine Signatur menschlichen Lebens, so wie der Titel des Buches es aussagt, auch des modernen oder postmodernen Menschen? Und hat die Covid-19-Pandemie diese Signatur verändert? Setzt die franziskanische Spiritualität einige ganz eigene und wichtige Aspekte für das Pilgern in Zeiten einer weltweiten Krise – und darüber hinaus?

2Pilgerschaft des Lebens im Kontext der Postmoderne

Der Weg und das Gehen

Das Wegmotiv spielt eine wesentliche Rolle im Deutungskontext des Lebens. Das wird schon in der Benutzung dieses Motivs in der alltäglichen Sprache deutlich, denn es gibt viele Redewendungen und Ausdrücke rund um den Weg: „Lebensweg“, „seinen Weg gehen“, „vom Weg abkommen“, „den Weg ebnen“, „neue Wege einschlagen“, „Wege und Mittel finden“, „den Weg alles Irdischen gehen“, „Weg des geringsten Widerstandes“, „aus dem Wege gehen“, „aus dem Weg räumen“, „Steine in den Weg legen“, „nicht über den Weg trauen“, „es ist ein langer Weg bis“, „alle Wege stehen mir offen“, „hier trennen sich unsere Wege“, „auf dem besten Wege sein“, „auf halbem Wege treffen“. Der Weg und das Gehen eines Weges sind Bilder für das Leben in all seinen Facetten – und noch viel mehr.

Leben bedeutet, einen Weg zu gehen, unterwegs zu sein zu dem, was und wer der Mensch ist und sein soll, die Hoffnung nicht aufgeben und damit nicht an ein Ende kommen, sondern weitergehen, nach Pausen und Erholungen sich erneut auf den Weg machen, nicht stehen bleiben oder den Kopf in den Sand stecken. Erst mit dem Tod sind das Leben und der Lebensweg an ihr Ende gekommen. Der Mensch ist ein Mensch des Weges, ein Mensch in Bewegung, körperlich und geistig, religiös und spirituell, allein und mit anderen. Menschsein heißt, mobil zu sein, jedoch nicht im heute oftmals negativ besetzten Deutungskontext der Gesellschaftsbeschreibung, dass der häufige Wechsel des Arbeitsplatzes auch einen Ortswechsel nach sich zieht. Vielmehr geht es in der Mobilität des Menschen um eine ganzheitlich verstandene „Beweglichkeit“. Das zugrunde liegende lateinische Wort „movere“ bedeutet nichts anderes als „bewegen“. Es geht also neben der physischen und physikalischen Mobilität auch um eine räumliche, eine soziale und vor allem geistige Mobilität. Damit ist eine Mobilität gemeint, die darum weiß, dass das Leben immer unabgeschlossen, immer fragmenthaft, immer Stückwerk bleiben wird, oder positiv gewendet: Leben bedeutet Entwicklung und Fort-Schritt. Letzterer bedeutet nicht ein stetes Sich-Weiterentwickeln bis hin zu einer zu erreichenden „Endstation“ oder Vollkommenheit. Fort-Schritt heißt in diesem Kontext: Weitergehen und Weitermachen, fortschreitend auf der Suche sein und bleiben und somit das eigene Menschsein gestalten.

Mobilität kann man als eine „moderne Tugend“ bezeichnen, die in dem gerade beschriebenen Sinne weitaus mehr ist als ein Sich-einlassen-Können auf neue Situationen und Umzüge, die sich aufgrund der beruflichen Situation heute oftmals ergeben. Mobilität ist auch weitaus mehr als Flexibilität. Mobilität meint, ganz im Sinne einer Spiritualität des Gehens, sich selbst, dem Geheimnis des Lebens und Gott auf der Spur zu bleiben, der inneren Sehnsucht nachzugehen und sich selbst treu zu bleiben. Oder mit anderen Worten, den Herausforderungen des Lebens nicht aus dem Weg zu gehen und Schritt für Schritt seinen Lebensweg mit den unterschiedlichsten Etappen immer wieder neu in Angriff zu nehmen, in diesem Sinne also nicht stehenbleiben, sondern weitergehen. Natürlich gehören dazu auch Momente der Ruhe, des Innehaltens und der Pausen.

So ist jeder Lebensweg ein einzigartiger Weg, geprägt von vielen individuellen Erfahrungen, ein Weg mit Kreuzungen, Seitenwegen, Kurven, steilen An- und Abstiegen, mit eintönigen Landschaften und aufregenden Herausforderungen, oftmals auch ein Weg mit Umwegen, die auch ihr Gutes haben können, denn oftmals führt erst ein Umweg zum Ziel. Oft ist ein Umweg der richtige Weg, der Gefahren ausweichen lässt, neue und ungeahnte Erfahrungen machen lässt und Ausblicke schenkt, die man sonst so nie gesehen hätte – und letztlich führen auch sie zum Ziel. Es hat vielleicht länger gedauert und der Weg war weiter als gedacht. Und doch war er vielleicht besser, schöner und sicherer, als der direkte Weg es gewesen wäre. Umwege gibt es auch immer wieder auf dem Lebensweg, und oftmals entdeckt man dann erst im Nachhinein, dass der Umweg in Wirklichkeit gar kein Umweg war, sondern den Menschen erst zu dem geführt hat, was er/sie wollte. So ist der Umweg nicht immer ein notwendiges Übel, sondern kann auch eine Bereicherung sein und sogar den eigentlichen Weg in einer Lebensphase des Menschen darstellen. Das ist im Übrigen auch die Erfahrung vieler Pilger:innen. Zunächst der Ärger über die verlängerte Wegstrecke, dann aber oft auch das ungläubige Staunen über einen phantastischen Ausblick oder eine unverhoffte Begegnung, die den ersten Ärger vergessen lassen.

Das Leben ist ein ständiger Weg mit einem Ende, das abrupt und ungewiss ist, erhofft, gläubig angenommen oder heftig abgelehnt werden kann: der Tod. Wie der Mensch diese letzte Etappe seines/ihres Lebens geht, das hängt vielfach auch von dem bisherigen Lebensweg ab. Leben und seinen Lebensweg gehen bedeutet, um mit den Worten von Karl Rahner zu sprechen, ein „Seinmüssen zum Tode“. Da erscheint es doch das Beste, vor dieser letzten Etappe und Realität des Lebens nicht die Augen zu verschließen, sondern ihr frühzeitig schon im Leben zu begegnen und mit ihr zu rechnen. Ist der Tod das Ziel des Lebens und der Lebensreise, so wie ein Wallfahrtsort oft das Ziel einer Pilgerreise ist? Das endgültige Aus und der unbekannte Neubeginn?

Sein Leben als einen Weg verstehen, den der und die Einzelne gestalten und gehen muss, auf dem gleichzeitig Überraschendes geschehen kann, sich auch auf die letzte Etappe des Lebens, den Tod, einzulassen, das kann zu Haltungen führen, die im Leben wichtig sind und die Fülle des Lebens erst so richtig spürbar werden lassen: das Sich-Einlassen auf Fremdes und Ungewohntes, auf „Fremde und andere“, aber auch das Sich-Einlassen auf eine mögliche göttliche Wirklichkeit im Leben und das Zulassenkönnen, dass Gott so ganz anders in die Welt kommt, als man es vielleicht erwartet: in einem kleinen Kind, am Wegesrand, gefährdet und zerbrechlich, als ein Mensch, der seinen Weg erst noch einmal gehen muss, der unfertig und unvollkommen ist. Gott begegnet dem Menschen in der Welt oftmals in überraschender Weise, so ganz anders als erwartet.