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Die unvergleichliche Liebe zwischen einer modernen jungen Frau und einem stolzen Krieger aus finsterer Vergangenheit!
Als die schöne Sadie Quill am Ufer eines Sees einen äußerst attraktiven nackten Mann liegen sieht, ist sie ist so fasziniert, dass sie ihn einfach fotografieren muss. Und schon steckt sie mitten in einem handfesten Streit mit dem unwiderstehlichen Fremden. Sadie glaubt ihren Ohren nicht zu trauen, als er ihr seine Identität enthüllt: Er ist ein mittelalterlicher Highland-Krieger, wild entschlossen, seine Eroberungskunst auch auf Sadies Herz anzuwenden ...
Ein Zeitreise-Roman voller romantischer Liebe, prickelnder Sinnlichkeit und tollkühner Abenteuer!
Die »Highlander«-Reihe:
Band 1: Das Herz des Highlanders
Band 2: Mit der Liebe eines Highlanders
Band 3: Der Ring des Highlanders
Band 4: Der Traum des Highlanders
Band 5: Küss niemals einen Highlander
Band 6: In den Armen des Schotten
Band 7: Lockruf der Highlands
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Seitenzahl: 443
Als die schöne Sadie Quill am Ufer eines Sees einen äußerst attraktiven nackten Mann liegen sieht, ist sie ist so fasziniert, dass sie ihn einfach fotografieren muss. Und schon steckt sie mitten in einem handfesten Streit mit dem unwiderstehlichen Fremden. Sadie glaubt ihren Ohren nicht zu trauen, als er ihr seine Identität enthüllt: Er ist ein mittelalterlicher Highland-Krieger, wild entschlossen, seine Eroberungskunst auch auf Sadies Herz anzuwenden ...
Janet Chapman ist das jüngste von fünf Kindern. Schon immer hat sie sich Geschichten ausgedacht, aber erst mit ihrem ersten Roman »Das Herz des Highlanders« begann die Gewinnerin mehrerer Preise, professionell zu schreiben. Janet Chapman lebt mit ihrem Mann, ihren zwei Söhnen, drei Katzen und einem jungen Elchbullen, der sie regelmäßig besucht, in Maine.
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Janet Chapman
Mit der Liebe eines Highlanders
Roman
Deutsch von Dr. Ingrid Rothmann
blanvalet
Die Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel »Loving the Highlander« bei Pocket Books, a divison of Simon & Schuster, Inc., New York.
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Copyright der Originalausgabe © 2003 by Janet Chapman Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2007 by Blanvalet Verlag,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Covergestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (FXQuadro; Book Cover Photos; LightField Studios; Pataradon Luangtongkum; Lumena) LH · Herstellung: sam Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-12209-6 V003
www.blanvalet.de
Gegenwart, tief in den Wäldern von Maine
Der alte Zauberer saß in versonnenem Schweigen auf dem hohen Granitfelsen, ohne das Erwachen des Waldes um sich herum wahrzunehmen, den tosenden, aus dem Felsvorsprung dringenden Wasserfall und das schimmernde Wasser, das sich gut hundert Fuß unterhalb seines Sitzes in einem brodelnden Tümpel sammelte. Seufzend kratzte Daar sich mit dem Griff seines Stabes den Bart, während seine bekümmerten Gedanken um den einsamen Angler tief unter ihm kreisten. Er hatte dem jungen Mann vor sechs Jahren einen Bärendienst erwiesen. Ja, es war unbestritten allein seine Schuld, dass Morgan MacKeages Leben diese katastrophale Wendung genommen hatte.
Daar hatte ihn mit einem Zauber belegt, der Morgans Grundherrn und Bruder Greylen MacKeage ins einundzwanzigste Jahrhundert katapultiert hatte. Es war die bislang größte Panne, die ihm als Zauberer unterlaufen war. Gewiss, Greylen hatte die Zeitreise unbeschadet überstanden, doch traf dies ebenso auf ein halbes Dutzend seiner Feinde und zwei seiner Gefolgsleute sowie auf seinen jüngeren Bruder Morgan zu. Sogar ihre verstörten Kriegsrösser hatten es geschafft, von dem Zauber mitgesogen zu werden, der sie alle auf eine fantastische Reise in die Zukunft geführt hatte.
Daar gab seinem hohen Alter die Schuld an der Panne. Er war müde und gelegentlich ein wenig vergesslich, so dass es vorkommen konnte, dass seine Zaubereien missglückten.
Morgan MacKeage hätte seit achthundert Jahren tot sein sollen, nachdem er sich einiger Ehefrauen und etwa eines Dutzends Kinder hatte erfreuen können. Stattdessen aber war der Hochland-Krieger, der tief unter ihm angelte, nun zweiunddreißig, noch immer unvermählt und einsam. Fast erschien es Daar als Sünde, dass sein Unvermögen als Magier einen so edlen, starken und intelligenten Krieger dazu verdammt hatte, sich ziel- und zwecklos treiben zu lassen.
Daar ließ unter der Bürde seiner Schuld die Schultern hängen.
Ja, das Elend dieses jungen Mannes war allein ihm, Daar, zuzuschreiben, und es war höchste Zeit, dass er wieder alles einrenkte.
Eine Frau würde vielleicht hilfreich sein.
Andererseits würde eine Frau vielleicht die Kümmernisse des jungen Mannes noch vermehren.
Daar hatte feststellen müssen, dass die Frauen des einundzwanzigsten Jahrhunderts eine höchst eigenartige Spezies darstellten. Frech, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, waren sie auch noch eigenwillig und dickköpfig. Vor allem aber waren sie viel zu unabhängig. Sie wagten es, allein zu leben, sich ihren Unterhalt durch Arbeit zu verdienen, und sehr oft verfügten sie auch noch über eigenen Besitz und nahmen in Wirtschaft und Politik wichtige Positionen ein.
Wie sollte ein Mann, der in einer Zeit geboren worden war, als Frauen Eigentum des Mannes waren, mit dermaßen unabhängigen weiblichen Wesen umgehen? Wie sollte sich ein viriler Krieger aus dem zwölften Jahrhundert in seinem neuen Leben in dieser unerhörten Zeit zurechtfinden?
Die MacKeages lebten seit nunmehr sechs Jahren in dieser modernen Welt. Sechs Jahre der Anpassung, Weiterentwicklung und der schließlichen Akzeptanz, und noch immer stand Morgan MacKeage allein da. Morgans Bruder Greylen hatte mit Frau und Tochter sein Glück gefunden und erwartete Zwillinge. Callum umwarb eine Frau in der Stadt, und Ian traf sich an zwei Abenden in der Woche heimlich mit einer Witwe. Sogar ihr einziger überlebender Feind Michael MacBain hatte einen Sohn in die Welt gesetzt und führte ein normales Leben.
Nur Morgan hielt sich abseits. Er mied nicht nur weibliche Gesellschaft, sondern die Leidenschaften des Lebens selbst. Er jagte, angelte und durchstreifte unablässig die Wälder wie auf der Suche nach etwas, das den Schmerz in seinem Inneren stillen sollte.
»Gib Acht, Alter, damit du nicht hinunterfällst und zum Fischfraß wirst.«
Fast wäre Daar beim Klang von Morgans vertrauter Stimme wirklich gefallen. Er stand auf und sah den jungen Krieger mit finster gerunzelter Stirn an.
»Du bist ein Heide, Morgan MacKeage. Einen alten Priester so zu erschrecken, dass es ihn zehn Jahre seines Lebens kostet.«
Morgan zog eine Braue hoch. »Sollte ich wieder einem Priester begegnen, werde ich meine Sünde sicher beichten.«
Daar versuchte die Schultern zu straffen und die Brust herauszustrecken, gab aber seine Bemühungen auf, als er merkte, dass es wenig nützte. »Du stehst vor einem Priester.«
Morgan zog die andere Braue hoch. »Welche Kirche nimmt einen Druiden in ihre Reihen auf?«
»Ich war Priester, lange ehe ich Magier wurde«, schoss Daar zurück und deutete auf den jungen Krieger. »Das eine widerspricht dem anderen nicht. Beide Wege führen in dieselbe Richtung.«
Morgan lachte nur leise, als er sich umdrehte und den Pfad entlangging, der zu Daars Hütte führte. »Komm, Alter, wenn du ein Frühstück möchtest«, sagte er ohne einen Blick zurück.
Nach einem Blick auf die Forellen, die von Morgans Gürtel baumelten, entschied Daar, dass er dem Krieger zu einem späteren Zeitpunkt Anstandsunterricht erteilen würde. Schließlich hatten sie dieses Streitgespräch im Laufe der letzten zwei Jahre unzählige Male geführt, nachdem Daar sich gezwungen gesehen hatte, seine Identität als Zauberer preiszugeben, um Greylen MacKeages Frau vor Entführern zu schützen.
Und wie hatte man es ihm gedankt? Gar nicht. Man hatte ihn nicht einmal um Verzeihung gebeten, als sein kostbarer alter Stab entzweigebrochen und in einen hoch gelegenen Bergsee geworfen worden war, in denselben See übrigens, der über einen unterirdischen Bach den aus dem Felsen hervordringenden Wasserfall speiste, der das kristallklare Becken bildete und die wohlschmeckenden Forellen lieferte, die er nun zum Frühstück verspeisen würde.
»Besitzt dieser lächerliche kleine Stab richtige Zauberkraft, Druide?«, fragte Morgan, während er gemächlichen Schrittes auf Daars Hütte zuhielt.
Daar schnaubte. »Das werde ich dir auf die Nase binden«, knurrte er mit einem Blick auf das in einer Lederscheide steckende Schwert, das an Morgans Rucksack handlich mit dem Griff nach oben befestigt war. Die über drei Fuß lange Waffe überragte Morgans Kopf um ein gutes Stück. Dieses Schwert war so lang wie Greylens Schwert und ebenso imstande, Daars neuen Stab zu zerbrechen.
Morgan blieb stehen und drehte sich um, um Daar über einen Baumstamm zu helfen, der den Weg versperrte. »Kann er auch schon Brot toasten?«, fragte er.
»Er besitzt jedenfalls die Kraft, dir Sterne vor die Augen zu zaubern, wenn ich dir damit eins auf den Kopf verpasse.«
Von der Drohung offensichtlich unbeeindruckt, wandte Morgan seine Aufmerksamkeit nun einem Ding zu, das er aus seiner Tasche zog. »Was weißt du davon?«, fragte er und hielt ein drei Fuß langes orangefarbenes Plastikband in die Höhe.
Daar kniff die Augen zusammen. »Was soll das sein?«
»Keine Ahnung.« Seine Angel gegen die Brust lehnend nahm Morgan beide Hände, um das Band zu voller Länge zu dehnen und die Schrift darauf zu zeigen. »Dieses hier und etliche andere fand ich um Bäume im ganzen Tal gebunden. Und jedes trägt eine Ziffer.«
Daar tat das Band mit einer lässigen Geste ab und richtete seinen Blick stattdessen auf die Forellen. Sein lautes Magenknurren verriet, dass er Hunger hatte. »Vermutlich dient es Vermessungsleuten zur Markierung von Besitzgrenzen«, sagte er und ging weiter, nach Hause. Verdammt, er hatte Hunger und im Moment für Rätsel keine Geduld. »Damit kennzeichnet man in dieser neumodischen Zeit Landbesitz«, fuhr der Alte fort. »Es gilt nicht mehr, wenn ein Mann sagt, sein Besitz reiche bis zum Fluss oder bis zum Hügelkamm.«
Daar blieb stehen, als er merkte, dass Morgan ihm nicht folgte. »Teufel nochmal, Junge. Dein Besitz ist auf einem Plan eingezeichnet und im Wald markiert. Es ist alles auch in der Besitzurkunde eingetragen, die du bekommen hast, als dein Bruder TarStone Mountain erwarb. Damit ist heutzutage das Eigentumsrecht gesichert.«
»Es sind keine Grenzmarkierungen«, sagte Morgan, der das Band wieder in seine Tasche stopfte, als er wieder losging und Daar folgte. »Ich konnte keine erkennbare Linie feststellen.«
»Vielleicht markiert man damit Bäume, die gefällt werden sollen«, mutmaßte Daar, in Gedanken bei den Beilagen zum Fisch. Sein Blick schweifte auf der Suche nach genießbaren Pilzen über den Waldboden. »Gut möglich, dass man im Tal Abholzungen plant«, fuhr er zerstreut fort. »Die Ziffern könnten Hinweise für die Holzfäller sein.«
»Nein, ich habe ein paar Bänder auch auf dem Grund und Boden der MacKeages gefunden«, wandte Morgan ein, der nun voranging und den Alten zum Innehalten zwang, indem er ihm den Weg vertrat. »Wir holzen in diesem Tal nicht ab. Unsere Holzfäller arbeiten weiter östlich.«
Daar blickte in Morgans eindringliche grüne Augen. »Was willst du, das so wichtig ist, um zwei köstliche Forellen alt werden zu lassen?«
»Du sollst deine Zauberkunst anwenden und mir sagen, was in meinen Wäldern vorgeht.«
Daar hob seinen Stab und kratzte sich am Bart. »Ach so. Ich soll also zaubern, wenn es dir, aber nicht mir passt? So soll das jetzt gehen?«
Morgans Augen verdunkelten sich. »Gerüchte wollen wissen, dass in diesem Tal ein Naturpark angelegt werden soll, und ich möchte wissen, ob die Sache nun Fortschritte macht und die Arbeiten beginnen.«
»Und wenn es so wäre – was macht das schon aus?«
»Ich will hier keinen Park. Ein Viertel dieses Tales ist MacKeage-Land, und ich bin dagegen, etwas davon zu verkaufen.«
»Warum?«
»Es gehört uns.«
Daar sah die Hoffnung auf ein baldiges Frühstück schwinden, falls nicht hier an Ort und Stelle ein Feuer entfacht und die Forellen am Spieß gebraten wurden. Er setzte sich auf einen Baumstumpf, legte die Hände über den obersten Knoten seines Stabes und starrte zu dem jungen Krieger hoch.
»Was können dir ein paar tausend Morgen bedeuten, wenn doch dein Clan vierhunderttausend besitzt?«
»Man könnte den Park anderswo anlegen, nur nicht hier in der Nähe dieser Schlucht.«
Daar riss schließlich seine Gedanken von seinem Magen los und konzentrierte sich auf den vor ihm Stehenden. War es ein schwacher Funken, den er in diesen meist gleichmütigen waldgrünen Augen sah? Hatte etwas in diesem Wald endlich die Aufmerksamkeit Morgan MacKeages geweckt?
»Was ist an dieser Schlucht so bemerkenswert?«
Morgan hakte die Forellen von seinem Gürtel los. »Diese da«, sagte er und hielt sie in die Höhe. Ein Schwenken seiner Angelrute umfasste den ganzen Wald. »Der ganze Höhenzug. Der Bach, der geheimnisvoll aus dem Nichts kommend dem Berghang entspringt und diese Schlucht im Tal bildet. Diese Bäume. Ist dir jemals ihre Größe aufgefallen, Alter? Oder ihr gesunder Zustand? Und diese Fische«, wiederholte er und schüttelte sie leicht. »Bachforellen von Lachsformat.«
Daar ließ stirnrunzelnd langsam den Blick schweifen. Ja, die Bäume wirkten im Vergleich zu den anderen in diesem Gebiet übergroß. »Groß sind sie«, musste er zugeben. »Das ist mir noch nie aufgefallen.«
»Das kommt daher, weil sie vor nur zwei Jahren so groß wie die anderen waren.«
Die Zahl wirkte wie ein Nadelstich auf das Gedächtnis des Magiers.
»Damals landete dein Zauberstab im Tümpel«, fuhr Morgan auf Daars verwirrten Blick hin fort. »Da, der Dunst«, setzte er hinzu und schwenkte wieder seine Angel. »Siehst du? Er steigt vom Wasserfall auf und legt sich über die Schlucht.«
Daar fiel fast vom Baumstumpf, auf dem er saß. Der Dunst des Baches, der dem Bergtümpel entsprang, in dem sein alter Stab lag?
Zum Teufel. Daar wusste, dass das Wasser in diesem Tümpel besonders war, da es seinen Zauberstab enthielt, doch hatte er nie an Konsequenzen wie diese gedacht. Übergroße Fische? Riesenbäume? Ein richtiger Regenwald, wo keiner sein sollte.
»Das macht der Zauber«, sagte Morgan in fast ehrfürchtigem Flüsterton. »Die gesamte Schlucht ist das Ergebnis dessen, was sich vor zwei Jahren zugetragen hat. Und ich möchte nicht, dass sie Teil eines Parks wird, durch den sich Menschenmassen wälzen. Dann würde der Zauber offenbar.«
Daar stand auf. »Ich möchte es auch nicht«, beeilte er sich, dem jungen Mann recht zu geben. »Wir müssen in dieser Sache etwas unternehmen.«
»Du musst mit Grey reden«, sagte Morgan. »Du musst ihm klarmachen, dass unser Land nicht Teil dieses Parks werden darf.«
»Ich?«
»Auf dich wird er hören.«
»Das wird er nicht. Im Moment ist er wütend auf mich. Seine Frau hat irgendwelche Tests wegen ihrer Schwangerschaft machen lassen, und dieser verdammte Arzt eröffnete Grey, dass Grace Zwillingstöchter und nicht Söhne erwartet.«
Morgan machte ein verblüfftes Gesicht. »Man kann voraussagen, ob ein ungeborenes Kind ein Junge oder ein Mädchen wird?«
Daar zuckte mit den Schultern. »Sieht so aus.« Er hatte sich mit dem Verzicht auf ein Frühstück abgefunden und ging los, den Weg zurück, den sie gekommen waren. Er wählte einen Pfad, der sie oberhalb des Wasserfalls auf einen Hügelrücken führen würde, von dem aus man das Tal überblickte. »Komm. Wir wollen prüfen, wie viel Kraft mein Stab schon besitzt.«
Morgan fiel rasch in Gleichschritt neben ihm. »Wird er mir verraten, wozu die Plastikbänder dienen?«
»Nein, er ist doch keine Kristallkugel, sondern ein Energieüberträger.«
Während sie ausschritten, befingerte Daar den glatten, zierlichen Stab, den er sich für seine Zwecke heranzog, seitdem er den alten verloren hatte. Bis jetzt wies er nur zwei Knoten auf, Anzeichen dafür, dass es mit seiner Kraft noch nicht weit her war. Sein alter Stab, den Grey mit seinem Schwert durchschlagen und dann ins Wasser geworfen hatte, war mit Knoten übersät gewesen, die die geballte Energie von vierzehnhundert Jahren in sich bargen.
»Wozu das alles?«, fragte Morgan. »Warum erklimmen wir diese Anhöhe, wenn er noch nichts bewirken kann?«
»Pst. Ich versuche mir den Wortlaut ins Gedächtnis zu rufen«, wies Daar ihn im Gehen zurecht. Zaubersprüche auswendig herzusagen, war nicht so einfach. Das letzte Mal, als er den neuen Stab für etwas Komplizierteres als zum Feuermachen ausprobieren wollte, hatte es über eine Stunde lang Mistkäfer geregnet. Er dankte Gott, dass es draußen dunkel gewesen war, als es passierte.
Erstaunlicherweise kam Morgan seiner Bitte nach, und sie langten rasch auf dem Rücken von Fireline Ridge an. Zwei Meilen hinter ihnen lag der kleine Tümpel, auf dessen Boden sein alter Stab lag, vor ihnen erstreckte sich die Schlucht, die sich ihren Weg bis zum breiten, tiefer liegenden Tal bahnte.
Daar war perplex. Von diesem Aussichtspunkt aus ließ sich der Verlauf des Baches deutlich verfolgen. Hohe, üppige Hemlocktannen, Fichten und Föhren, von einer Dunstschicht umwallt, ragten auf einem leuchtend grünen prächtigen Teppich vom Waldboden auf.
Plötzlich fing der Stab fein zu summen an. Warme, wohlbekannte Energie durchströmte seinen Arm. Daar genoss das deutliche Gefühl seines lange verlorenen Stabes mit geschlossenen Augen.
»Was ist, Alter? Was geht da vor?«, fragte Morgan und trat einen Schritt zurück, um den summenden Stab zu betrachten, der sich verdrehte und an Länge und Dicke zunahm.
»Hier. Fass an«, forderte Daar ihn auf und hielt ihm den Stab hin. »Fühle es, Morgan. Reine Lebensenergie.«
»Ich rühre das verdammte Ding nicht an.«
»Es beißt nicht«, gab Daar unwirsch von sich und stieß den Krieger in den Bauch.
Instinktiv und um sich zu schützen, fasste Morgan nach dem Stab und riss die Augen auf, als die Vibrationen aus dem warmen Kirschholz in Arm und Körper übergingen.
»So. Das ist es, Krieger. Das ist Lebenskraft. Hast du vergessen, was Leidenschaft ist?«
Morgan ließ den Stab los und trat einen Schritt zurück, wobei er die Hand an seinem Hemd rieb. »Nichts ist vergessen, Alter. Und jetzt richte deinen Stab auf das Tal und spreche deine Worte. Sag mir, was da unten vor sich geht.«
Daar wies mit dem Stab auf das Tal unter ihnen und setzte zu einem Sprechgesang in seiner uralten Sprache an. Die Knoten am Stab erwärmten sich. Der Lufthauch frischte zu einem Wind auf und ließ den Dunst in wirbelnden Schwaden um sie kreisen. Vögel und Eichhörnchen suchten eilig Deckung, das ferne Tosen des Wasserfalls wurde zu einem Flüstern.
Daar machte ein Auge auf und spähte zu Morgan hin. Dieser stand mit geballten Fäusten und geschlossenen Augen da, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, die Zähne mit aller Kraft zusammengebissen. Der Ärmste sah aus, als hielte er den Atem an.
»Es ginge besser, wenn du mithelfen würdest«, mahnte Daar. »Fass mit an, Morgan, und konzentriere dich. Erst musst du die Energie fühlen, ehe du sie mit deinem geistigen Auge wahrnehmen kannst.«
Als Morgan MacKeage langsam die Hand auf den zweiten Knoten des Stabes legte, war sein Griff so fest, dass das Holz darunter fast zersplitterte. Gemeinsam schwenkten sie den Stab, dessen Länge sich verdoppelte, über dem Tal.
»Also, sag mir nun, was du siehst, Krieger. Sag es, und ich werde es dir deuten.«
»Licht. Ich sehe Licht. Es blendet mich, doch schmerzen meine Augen nicht davon.«
»Welche Farbe hat das Licht?«
»Kannst du es selbst nicht sehen, Druide? Es ist weiß. Ich spüre die Hitze, ohne dass sie mich verbrennt. Und gelb. Ich sehe gelbe Funken.«
»Und was macht das gelbe Licht?«
»Es tanzt in Schwindel erregenden Kreisen durch das weiße Licht, als suche es etwas.«
»Was siehst du sonst noch?«
»Ein grünes Licht, das hinter dem gelben herjagt.«
Daar schwang den Stab in einem weiteren Kreis und hielt dann inne, um sich für den erwarteten Energiestoß zu wappnen. Das Licht wurde intensiver und verwirbelte die Farben zu einem blendenden Regenbogen. Der Stab zuckte hin und her und riss an ihren Händen, als die neue Energie sie mit der Gewalt eines Wirbelsturms traf.
Der Krieger war nicht darauf vorbereitet. Unter dem Schlag rücklings taumelnd, lockerte er seinen kraftvollen Griff nicht.
»Zur Hölle. Was geht da vor, Druide? Große Schwärze wirbelt durch das Licht und jagt die gelben Funken. Das gelbe Licht schwindet.«
»Und das grüne, Krieger? Was macht das grüne Licht?«
»Es jagt die Schwärze, und wenn es sie erhascht, ist nichts mehr da.«
Daar ließ den Stab los und trat zurück. Als der Wind sich legte, war sofort der Dunst wieder da und das Tosen des Wasserfalls war zu hören. Morgan wandte sich ihm zu, den wieder normal großen Stab noch immer umklammernd. Bleich und bebend warf Morgan das nun stumme Stück Holz zu Boden.
»Nur wenige Sterbliche erlebten, was dir zuteilwurde. Was hältst du von meiner Gabe?«
»Sie sagte mir nichts, Alter. Ich sah nur Farben.«
»Morgan, ich habe dir alles gesagt. Du konntest eben einen Blick auf die Energien tun, die in diesem Tal spürbar sind. Und auf die Gefühle.«
»Gefühle?«
»So ist es. Kam dir das grüne Licht nicht bekannt vor? War es nicht der gleiche Grünton wie im MacKeage-Tartan, den du trägst?«
»Wenn das Grün mich darstellt, wer ist dann das Gelbe?«
Daar grinste. »Jemand, dem du erst begegnen musst.«
»Die Person, die die Bänder anbrachte? Ist sie das gelbe Licht?«
Daars Grinsen wurde breiter. »Schon möglich.«
Morgan furchte die Stirn. »Und das Schwarz?«
»Ach, das Schwarz. Das ist eine andere Lebenskraft. Etwas, das deinem Tal einen Besuch abstattet.«
»Etwas? Oder jemand?«
Daar zuckte mit den Schultern und bückte sich nach seinem Stab. »Das Böse nimmt meist menschliche Gestalt an, wenn es Menschen heimsucht.«
»Dann stellt das Schwarz etwas Böses dar? Und es wird kommen?«
»Nein, Krieger, es ist bereits da. Aber auch etwas Gutes. Vergiss das gelbe Licht nicht, Morgan. Es lag ebenso über deinem Tal.«
»Aber auch dieses konnte ich nicht erhaschen.«
»Weil du mehr hinter dem Schwarz her warst.«
Morgans Seufzer fegte mit so viel Kraft über Daar hinweg, dass dieser einen Schritt zurückwich. Morgan MacKeage sah aus, als stünde er vor einem heftigen Gefühlsausbruch. Gut so. Der Mangel an Leidenschaft war behoben.
Daar gebot Morgans Ausbruch mit erhobener Hand Einhalt. »Sprich mit deinem Bruder«, schlug er rasch vor. »Bitte Greylen, dir dieses Tal zu überlassen. Und dann baue dir hier ein Haus. Er wird dir deine Bitte nicht abschlagen.«
Ein verblüffender Vorschlag, wie die Miene des Kriegers verriet. »Du meinst, ich sollte mir hier ein Haus bauen?«
»Ein schöner Ort, um eine Familie zu gründen«, sagte Daar und setzte nachdenklich hinzu: »Die Stärke der Lichter, die wir sahen, lässt mich vermuten, dass dir mindestens zwei Monate bleiben, ehe du in dieses Geheimnis richtig hineingezogen wirst. Bis dahin müsstest du ein Haus errichtet haben können. Dann wird dein Besitzanspruch nicht mehr anfechtbar sein. Damit wird der Bedrohung durch einen Park in dieser Schlucht ein Ende gemacht.«
Morgan lief rot an. »Ich gründe keine Familie«, murmelte er. »Und ich brauche kein Haus.«
Nun ja, dachte Daar bei sich. Er wollte keine Kinder? Das war neu. Eine beunruhigende Neuigkeit angesichts der Stärke der Leidenschaft, die Daar eben in den Lichtern gesehen hatte.
Dass er Morgan davon etwas verriet, kam nicht in Frage. Nein, manche Dinge entdeckte man am besten selbst.
So wie das Geschlecht ungeborener Kinder, beispielsweise.
»Aber warum?«, fragte Daar. »Jeder Krieger wünscht sich Söhne.«
Morgan rieb sich mit seiner großen Hand den Nacken. »Dank dir, Druide, bin ich kein Krieger mehr. Ich bin nur ein Mann, den es gar nicht mehr geben sollte. Ich bin nichts.«
»Das stimmt doch nicht. Du lebst, Morgan MacKeage, ob du es willst oder nicht. Du bist jetzt Grundbesitzer und Mitglied dieser Gemeinde. Du leitest mit deinem Clan einen Ski-Ort.«
Darüber konnte Morgan nur lachen. »Tagsüber platziere ich die Hinterteile der Leute auf einem Ski-Lift und bringe jeden Winter damit zu, mit einer Schneefräse bergauf und bergab zu fahren und die Pisten perfekt zu pflegen. Nennst du das eine edle Tätigkeit?«
»Und Jagd und Fischerei sind edel?«
»Ich füttere dich durch, Alter«, knurrte Morgan.
Sein Knurren wurde von einem anderen beantwortet, das aus dem Dunst gleich unter ihnen drang.
Morgan fuhr herum und zog gleichzeitig geschmeidig sein Schwert.
»Du wirst doch Faol nichts antun«, sagte Daar und trat auf ihn zu, um die Hand auf den Schwertgriff zu legen. »Er ist mein Haustier.«
»Ein Wolf?«, fragte Morgan, der den gälischen Namen für das wilde Tier erkannte. Er versuchte mit seinen Blicken den Nebel zu durchdringen und sah dann Daar kurz an. »Du hältst einen Wolf als Haustier?«
»Ja, sieht im Moment so aus. Erst vorige Woche erschien er an meiner Tür.«
»In diesem Land gibt es keine Wölfe.«
Daar zog die Schultern hoch. »Vielleicht sind sie nur klug genug, um sich nicht blicken zu lassen.«
Endlich zeigte Faol sich und trat still aus dem Nebel, den Kopf gesenkt, die Nackenhaare gesträubt. Morgan packte Daar an den Schultern und schob den Zauberer rasch hinter sich, ehe er wieder sein Schwert hob.
Der Wolf knurrte.
Daar schnaubte. »Zwei Krieger, von denen jeder mich vor dem anderen schützt. Runter mit dem Schwert«, sagte er und trat zwischen die beiden. »Faol kann dir helfen«, fügte er hinzu und sah Morgan dabei an.
»Wobei helfen?«
»Denk an dein Tal, an die Lichter, die Schwärze … Faol kann dir helfen festzustellen, was da vorgeht.«
Morgan sah ungläubig drein. »Er ist ein Wolf.«
»Ja, Krieger, das ist er. Aber wie du ist er ohne Ziel, ohne Richtung. Ihm fehlt ein tüchtiger Kampf, der sein Blut in Wallung bringt.«
Morgan blickte über Daars Kopf hinweg zu Faol hin, dann sah er wieder den Zauberer aus nachdenklich zusammengekniffenen Augen an. »Ist er ein Geschöpf deiner Zauberkunst, Druide? Hast du den Wolf mir zum Ärgernis geschaffen?«
Eine Hand auf dem Herzen, legte Daar den Kopf in den Nacken, um ein wachsames Auge zum Himmel zu richten. »Gott soll mich tot umfallen lassen, wenn ich lüge. Faol ist so echt wie mein Bart. Er stand vor acht Tagen auf meiner Schwelle.«
Morgans Miene blieb skeptisch. Er senkte langsam sein Schwert, bis die Spitze den Boden berührte. Mit der freien Hand riss er eine Forelle von seinem Gürtel und warf sie dem Wolf vor.
Faol trat vor, bis er über dem Fisch stand, und knurrte wieder.
Morgan schnaubte. »Ein feines Haustier.«
Besorgt, dass Morgan ihr Frühstück verschenkte, ging Daar daran, Feuerholz zu sammeln. Bei Gott, es würde etwas Essbares geben, ehe ihm die Sinne schwanden. Rasch häufte er ein paar Zweige auf, hielt seinen Stab daran und murmelte etwas vor sich hin.
Das Holz fing sofort Feuer.
»Ich werde mich zivilisierter aufführen, wenn du mir eine der Forellen zuwirfst«, sagte er dann. »Ignoriere das Tier und schneide ein paar Spieße zu, auf denen wir unser Frühstück braten können. Neben dir kann ein Mensch glatt verhungern.«
Morgan brauchte noch eine gute Minute, bis er sich rührte. Als er schließlich sicher sein konnte, dass Faol mehr daran lag, seine Forelle zu bewachen, als sie beide zu verschlingen, steckte Morgan sein Schwert ein und zückte den Dolch. Er befreite einen Ahornschössling vom Laub und schnitt zwei tadellose runde Spieße zurecht, spießte die drei übrigen Fische auf und ging an das nun knisternde Feuer. Dabei versäumte er es keinen Augenblick, den Wolf genau im Auge zu behalten.
»Würdest du mir deinen Dolch borgen?«, fragte Daar, als die Forellen brieten.
Morgan studierte die ihm entgegengestreckte Hand. »Wofür?« , fragte er und warf wieder einen kurzen Blick auf Faol.
»Ich muss etwas erledigen, während das Frühstück brät.«
Der Highlander zögerte, sichtlich nicht willens, seine Waffe herzugeben, während er sich in Sprungweite eines Wolfes befand.
»Er frisst lieber die Forelle als uns«, beruhigte Daar ihn, der noch immer mit ausgestreckter Hand vor ihm stand. Er grinste den Krieger an. »Oder hast du Angst, mich zu bewaffnen?«
Der Blick aus grünen Augen, der ihn nun traf, war dazu angetan, einen Menschen in Stein zu verwandeln. Einen Augenblick lang befürchtete Daar, dass sich bei diesem Krieger echte Leidenschaft gefährlich gegen jeden wenden konnte, der sie weckte.
Schließlich überließ Morgan dem Alten seinen Dolch und zog dann rasch sein Schwert, das er über seine Knie legte. Auf diese Bewegung hin hob Faol den Kopf.
»Hast du die Augen gesehen?«, fragte Daar und zeigte mit dem Dolch auf Faol. »Siehst du, wie er den Kopf leicht schräg hält? Kommt er dir nicht bekannt vor?«
Morgans und Faols Blicke trafen sich. Jeder schien entschlossen, dem Blick des anderen standzuhalten.
»Nein«, sagte Morgan, ohne den Blickkontakt zu brechen. »Er ist nur ein Wolf.«
Daar seufzte und setzte die scharfe Seite der Klinge an den kleinen Knoten in der Mitte seines Stabes an. Morgan war erst ein Junge von neun Jahren gewesen, als Duncan Mac-Keage das Zeitliche gesegnet hatte. Ein Neunjähriger hatte nicht viel Zeit gehabt, so etwas wie die Augenfarbe seines Vaters wahrzunehmen.
»Was machst du da?«, fragte Morgan, dessen Aufmerksamkeit vom Wolf abgelenkt wurde, als er bemerkte, dass Daar den Stab mit seinem Dolch bearbeitete.
»Ich dachte eben, dass du Hilfe haben solltest, wenn du dich auf den Weg machen willst, den zu gehen du entschlossen scheinst«, sagte Daar, der den hartnäckigen Knoten herausstemmen wollte. Der Stab zischte protestierend und fing zu vibrieren an.
»Ich möchte mit deiner Zauberei nichts zu tun haben«, sagte Morgan und ging rasch zurück, um sich um die Forellen zu kümmern. »Lass deinen kostbaren Stab ganz. Du brauchst seine Kraft mehr als ich.«
Daar schenkte Morgan keine Beachtung. Sein fauchender Stab legte es darauf an, seine Hand zu verbrennen, während er sich unter Drehungen und Windungen Funken sprühend der Klinge entzog.
Faol erhob sich heulend. Er ließ seine Forelle im Stich und hielt auf den Wald zu. Auch Morgan stand auf, das Schwert in der Hand, auch er bewegte sich auf den schützenden Wald zu.
Mit dem tiefen Aufheulen eines verwundeten Tieres sprang der Knoten plötzlich vom Stab ab und rollte über den Waldboden, eine Spur flackernder roter Flammen hinter sich herziehend. Jaulend verschwand Faol zwischen den Bäumen. Morgan packte Daar um die Mitte, hob ihn von seinem Baumstumpf und zog ihn mit sich in den Wald. Hinter einer großen Fichte blieben sie stehen und sahen zu, wie der zornige Holzknoten in irren Kreisen umherrollte und sprühend und zischend einen Funkenregenbogen hinterließ.
»Bist du übergeschnappt, Alter?«, flüsterte Morgan. »Du sollst den Zauber nicht erzürnen.«
Daar entwand sich Morgans Griff und ging zurück zum Baumstumpf. Er hob seinen nunmehr verstümmelten Stab auf und strich sanft darüber. »Gib mir dein Halsband«, sagte er zu Morgan, während er seinen bebenden Stab zu beschwichtigen versuchte.
»Warum?«
Daar blickte auf. »Weil es höchste Zeit ist, dass du auf dieses heidnische Amulett verzichtest – eine nutzlose Krücke, die dir nicht hilft.«
Morgan griff nach dem Stein an seinem Hals. »Ich trage es schon viele Jahre.«
»Die alte Dorna war keine richtige Hexe. Lebt sie etwa noch und kann ihre schwarze Magie ausüben? Die alte Vettel ist seit achthundert Jahren tot. Sie verdiente sich ihr Leben mit einfältigen Männern und verzweifelten Frauen. Der Stein nützt nichts.«
»Ich bin nicht einfältig.«
»Nein. Du bist aber auch nicht bereit, von deinem alten Glauben abzulassen. Hast du in sechs Jahren nichts dazugelernt? Dieses Ding, das man Wissenschaft nennt, hat alles, was Dorna praktizierte und was du Zauberei nennst, entkräftet.«
»Und wie erklärt die Wissenschaft dich?«
»Das kann sie nicht. Wird es nie können. Manche Dinge bleiben dem Glauben überlassen.«
Eine Erklärung, die dem Highlander nicht zusagte, wenn Daar dessen Miene richtig deutete. Morgan griff erst schützend nach seinem Amulett, riss dann aber das Band vom Hals. »Hier«, sagte er und reichte es dem alten Mann.
Der Zauberer ließ den glatten Stein vom Band heruntergleiten und auf den Boden fallen. »Reich mir bitte den Knoten«, bat er und deutete mit dem Stab auf das nun reglose Stückchen Kirschholz.
Morgan erbleichte. »Du wirst ihn aufheben«, flüsterte er.
Der Astknoten lehnte leise summend an einem Felsblock. Mit einem Seufzer der Ungeduld stieß der alte Zauberer sich vom Baumstumpf ab und hob das Holzstück auf. Er schloss ein Auge und kniff das andere zusammen, um die Schnur aus ungegerbtem Leder durch den Knoten zu ziehen.
»Da ist ja gar keine Öffnung«, sagte Morgan, der hinter ihn trat. »Man kann eine weiche Schnur nicht durch festes Holz ziehen.«
Die Lederschnur glitt geschmeidig durch das rotierende Holzstück. Daar verknotete sie rasch und drehte sich zu Morgan um.
Der Krieger wich zurück und hob eine Hand. »Bleib mir mit diesem Ding vom Leib.«
»Es beißt nicht«, fuhr Daar ihn an. »So, beuge dich vor, damit ich es dir um den Hals legen kann.«
»Ich sagte, dass ich deinen Hokuspokus nicht möchte.«
»Und ich glaube, es wird eine Zeit kommen, wenn du den Zauber brauchen wirst«, entgegnete Daar. »Wenn nicht für dich, dann für das Tal. Denk an das gelbe Licht … es wurde von der Schwärze verschlungen.«
Er ließ eine mahnende Geste folgen. »Nur weil du deine Reise vor sechs Jahren überlebtest, heißt das nicht, dass du diese auch überstehen wirst. Du bist ein wilder Kämpfer, Morgan MacKeage. Und jetzt hör mir gut zu. Du bist nicht unbesiegbar. Die Schwärze ist eine mächtige Lebenskraft ohne Güte, Mitgefühl oder Gewissen. Sie verschlingt alles, was sich ihr in den Weg stellt – dich, das gelbe Licht und schließlich dieses ganze Tal, wenn sie es schafft, dich auszutricksen. Dieses kleine Stückchen meines Stabes wird deine stärkste Waffe gegen sie sein.«
Der Krieger brauchte eine Weile, um Daars Worte zu verdauen.
Schließlich beugte Morgan sich vor und senkte den Kopf, damit der Zauberer ihm die Schnur um den Hals legen konnte. Dann schob Daar den Astknoten in die Mitte von Morgans Brust, als dieser sich aufrichtete.
»Wenn es wirken soll, musst du daran glauben«, erklärte Daar, der zurücktrat, um sein Werk zu bewundern. »Und ihm deine Intelligenz leihen. Dieser Knoten besitzt nicht von sich aus Kraft. Du musst selbst herausfinden, wie du ihn am besten stärkst.«
Reglos wie die Berge sah Morgan ihn finster und mit angehaltenem Atem an. »Wie …« Er schluckte schwer. »Wie geht das?«
Der Alte tat die Frage mit einer Handbewegung ab. »Das wirst du zu gegebener Zeit selbst sehen.«
Er gab Morgan seinen Dolch zurück. Als fürchte er, durch jähe Bewegungen auf der Stelle verbrannt zu werden, streckte der Krieger vorsichtig die Hand aus und nahm die Waffe entgegen, die er langsam zurück in seinen Gürtel steckte.
»Ach, noch etwas, Morgan. Du darfst auch nicht andeutungsweise verraten, was hier heute vor sich ging, schon gar nicht deinem Bruder. Kein Wort von dem ungewöhnlichen Zustand dieser Schlucht, von deiner Vision oder meinem speziellen Geschenk«, sagte Daar, auf den Astknoten deutend. »Greylen soll nicht wissen, dass ein Teil meines alten Stabes noch existiert, vor allem aber soll er nicht wissen, dass mein neuer Stab an Kraft zunimmt.«
Erstes Anzeichen dafür, dass Morgan sich wieder entspannte, war sein zu einem Grinsen hochgezogener Mundwinkel. »Keine Angst, Alter, ich verrate nichts.«
Plötzlich zuckte Daars Nase. Was brannte hier? Er blickte um sich. Die kleinen Brände, die der Funken sprühende Astknorren entfacht hatte, waren erloschen. Das Lagerfeuer aber brannte hell.
»Verdammt! Die Fische!« Der Knoten um seinen Hals war vergessen, als Morgan ans Feuer stürzte und die Forellen aus den Flammen zog. Er hob sie in die Höhe und drehte sich grinsend zu Daar um.
»Keine Sorge, sie sind nur von außen ein wenig angebrannt.«
Morgan trat gegen das Feuer und erstickte die Flammen, so dass nur ein paar glosende Teile blieben. Dann legte er die Fische auf die Glut, um sie langsam fertig zu braten. Daar gesellte sich wieder zu ihm, und gemeinsam setzten sie sich ans Feuer.
Morgan blickte zum Wald hin, in die Richtung, in die Faol gerannt war. »Glaubst du, dass er zurückkommt?«, fragte er.
»Ja. Er ist sicher nicht weit. Vermutlich beobachtet er uns jetzt.«
Als Morgan zögernd nach der Halsschnur aus ungegerbtem Leder griff und langsam die Faust über dem Astknoten schloss, wurden seine Augen groß vor Staunen.
»Er ist warm.«
Daar nickte. »Ja. Er war zornig, weil er von der kollektiven Energie des Stabes getrennt wurde«, erklärte er. »Jetzt ist er zufrieden. Er spürt deine Kraft, Krieger. Er wird dich mit aller Kraft schützen.«
Faol kehrte still an den Rand der Lichtung zurück und ließ sich neben seiner Forelle nieder. Diesmal ließ Morgan sein Schwert und den Dolch stecken. Stattdessen galt die Aufmerksamkeit von Krieger und Wolf dem um Morgans Hals hängenden Astknoten. Faol sah zu, als Morgan ihn kurz betastete, ehe er ihn seinen Blicken entzog und unter sein Hemd steckte.
Daar lächelte. Alles, was sich heute zugetragen hatte, war gut. Morgan war durch ein Geheimnis, das einen lohnenden Kampf verhieß, seine Lebenslust zurückgegeben worden.
Faol hatte ebenfalls eine neue Aufgabe gefunden.
Und Daars Schuldgefühl war ein wenig beschwichtigt.
Nach zehn langen Minuten des Wartens war die Forelle endlich fertig. Als Daar zusah, wie der Schotte fachmännisch ihr Frühstück von den Spießen zog, wurde der Zauberer an einen ähnlichen Moment vor fast achthundert Jahren erinnert. Auch damals hatte es ein Lagerfeuer gegeben, und der alte Laird MacKeage hatte seinen zwei kleinen Söhnen beigebracht, wie man seinen Fang zubereitet.
Was würde Duncan MacKeage heute von seinen Söhnen halten, von ihren Schwierigkeiten und ihrer unglaublichen Zeitreise? Wäre er stolz, wie sie sich gehalten hatten und jetzt ihr neues Leben meisterten?
Oder wusste Duncan es bereits?
Daar warf Faol einen Blick zu. Das Tier saß ähnlich wie Morgan da, entspannt, aber für alle Fälle sprungbereit. Zum wiederholten Male seit acht Tagen fragte Daar sich, welche Macht einen Wolf aus der Wildnis gelockt und bewogen haben mochte, sich unter Menschen zu begeben. Zum wiederholten Mal entschied er, dass es ihn nicht so sehr interessierte, als dass er der Sache auf den Grund gehen wollte.
Sieben Wochen später
Sadie Quill kniff in der hellen Mittagssonne die Augen zusammen und richtete ihre Aufmerksamkeit angestrengt auf das gegenüberliegende Ufer des Kaltwassersees. Mit angehaltenem Atem und darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, beobachtete sie das junge Elchkalb, das langsam ins Wasser zu seiner Mutter stakste. Das Kalb war erst drei Monate alt. Die Art, wie es zögernd aus der Deckung trat, verriet, dass es bereits ein paar Überlebenslektionen mitbekommen hatte.
Mutter Elch hob den Kopf, um zu sehen, wie es vorankam. Wasser lief ihr aus dem Maul, während sie an dem saftigen Grün kaute, das sie vom Boden des Sees abgerissen hatte. Erschreckt vom kalten Wasser, das ihm ins Gesicht tropfte, stakste das Kalb rückwärts und fiel auf dem rutschigen Ufer aufs Hinterteil. Sein wütendes, protestierendes Röhren beeindruckte seine Mutter nicht im Geringsten, da ihr Kopf bereits wieder unter der Wasseroberfläche steckte.
Sadie unterdrückte ein Lachen und hob die Kamera, um das lange Teleobjektiv durch das Geißblattgebüsch zu schieben, in dem sie sich versteckte. Diese Szene war unbezahlbar, einer der Gründe, weshalb sie ihre Arbeit so liebte.
Sie konnte ihr Glück noch immer nicht fassen. Sie wurde bezahlt, um Pläne für einen Naturpark auszuarbeiten. Sie suchte geeignetes Gelände für Wanderwege und Camps und legte ein Verzeichnis jener Punkte an, die von besonderem Interesse waren oder von Tieren bevorzugt aufgesucht wurden. Die letzten zehn Wochen waren wie ein angenehmer Traum verlaufen, aus dem sie nie erwachen wollte.
Nun, es war zum überwiegenden Teil traumhaft gewesen, bis auf den Umstand, dass gewisse Bereiche ihrer Arbeit sabotiert wurden, doch war der Diebstahl der Markier-Bänder eigentlich nur ein Ärgernis und kein echter Rückschlag. Die orangefarbenen Bänder waren nur ein sichtbares Zeichen für ihr Projekt. Sie hatte sich die Koordinaten auf einer großen Wandkarte in ihrer Hütte notiert und konnte sie mit Hilfe ihres tragbaren GPS-Gerätes orten.
Es war also nur eine Unannehmlichkeit, dass irgendein kurzsichtiger Idiot sich einbildete, er könne die Schaffung eines Naturparks verzögern, indem er die Bänder klaute. Trotzdem hatte Sadie die Anlage von Wanderwegen momentan hintangestellt, in der Hoffnung, der Typ würde glauben, er hätte gewonnen.
In dieser Woche hatte sie die Flora und Fauna des Tales erkundet und sich die Stellen angemerkt, die für künftige Wanderer von Interesse sein würden.
Auf Drängen seiner Mutter wagte sich das Kalb wieder in das seichte Wasser der geschützten Bucht. Sadie drückte den Auslöser ihrer Kamera und spulte den Film weiter, und zwar dank der Erfindungsgabe ihres Vaters, der die Mechanik der Kamera verfeinert hatte, völlig geräuschlos.
Sadie und ihr Dad hatten dieses Waldgebiet jahrelang durchstreift, hatten Fotos geschossen wie sie eben jetzt. Dass er heute nicht mit ihr unterwegs war, schmerzte Sadie und erfüllte ihr Herz mit Kummer.
Frank Quill hatte Sadie die Kunst gelehrt, sich unter Tieren lautlos zu bewegen. Sie verdankte ihm nicht nur die Liebe zur Natur, sondern auch den Respekt vor ihr.
Und jetzt dankte sie es ihm auf die einzige Weise, die ihr zu Gebote stand, indem sie mithalf, ihm zu Ehren einen Naturpark anzulegen.
Die Mutterkuh hob plötzlich den Kopf und richtete den Blick auf das offene Wasser. Sadie benutzte das Teleobjektiv, um die ruhige Wasseroberfläche abzusuchen. Dort … unweit des gegenüberliegenden Ufers war Bewegung auszumachen.
Etwas schwamm auf sie zu.
Sadie beugte sich vor, um besser sehen zu können. Die Elchkuh hörte sie, schwenkte blitzschnell den Kopf in ihre Richtung und starrte sie direkt an. Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke.
In diesen Wäldern gab es kaum etwas, das einen ausgewachsenen Elch bedrohte, doch musste ein Muttertier besonders auf der Hut sein, da ihr Kalb verletzlich war. Sadies Gegenwart und das heranschwimmende Objekt waren offensichtlich mehr, als eine Elchkuh ertragen konnte. Sie stieß ein leises warnendes Knurren aus und trat, ihr Kalb vor sich herschubsend, aus der Bucht.
Mit einem bedauernden Seufzer, weil sie das Tier verscheucht hatte, wandte Sadie ihre Aufmerksamkeit wieder dem See zu. Sie konnte sich nicht vorstellen, was über die größte Ausdehnung der Wasserfläche schwimmen mochte, wenn es doch viel einfacher war, das Ufer zu umrunden. Die meisten Tiere waren von Natur aus bequem, besser gesagt, sie setzten ihre Energie umsichtiger ein.
Was immer auf sie zuschwamm, war zu klein, um ein Elch zu sein, und zu groß für eine Moschusratte oder einen Fischotter. Sadie stellte das Objektiv schärfer ein und setzte ihre Beobachtung fort, bis sie schließlich Arme unterscheiden konnte. Sich hebend und senkend bahnten sie sich einen Weg durchs Wasser.
Arme? Durchschwamm ein Mensch den See?
Sadie konnte die Menschen, denen sie im Sommer begegnet war, an Fingern und Zehen abzählen: Kajakfahrer, die vor neun Wochen das letzte Frühjahrsschmelzwasser genutzt hatten, ein Biologe, ein Wildhüter, eine kleine Anglergruppe und zwei Pilzsammler, ein Ehepaar in mittleren Jahren aus Pine Creek.
Sadie verkroch sich tiefer ins Gebüsch und achtete darauf, dass sie gut verborgen blieb, während er immer näher kam. Ja, nun konnte sie sehen, dass es ein Mann war. Und dass er breite Schultern und lange, kräftige Arme hatte, die das Wasser mit erstaunlicher Leichtigkeit durchschnitten.
Die kleine Bucht, in der sie sich verbarg und auf die er zuhielt, war mit Steinblöcken übersät. Der Schwimmer bewegte sich mit träger, rhythmischer Anmut auf einen der größeren Felsbrocken zu. Er legte zwei Hände auf den Stein und zog sich mit einer einzigen kraftvollen, fließenden Bewegung aus dem Wasser.
Sadie zwinkerte, dann riss sie ihren Blick vom Sucher los. Es bedurfte nicht der Deutlichkeit des Teleobjektivs, um zu erkennen, dass der Mann nackt war.
Wieder blickte sie durch die Kamera und stellte die Schärfe ein. Nackt wie am Tag seiner Geburt saß er auf dem Felsblock, strich sich das Haar aus dem Gesicht und wrang es in einem Pferdeschwanz im Nacken aus.
Verflixt … das schulterlange dunkelblonde Haar des Burschen war fast so lang wie ihres. Sadie schob den Zoom ihres Objektivs näher heran und richtete ihn auf den Oberkörper des Mannes. Fast wäre ihr die Kamera aus der Hand geglitten, als er in den Brennpunkt rückte. Er war mächtig, und das war keine optische Täuschung. Seine Schultern füllten den Sucher aus, und als er beide Hände hob, um sich das Wasser von der Stirn zu wischen, dehnte sein Brustkorb sich zu Proportionen, die eines Herkules würdig waren.
Sadie registrierte, dass der Kerl von seiner Schwimmtour gar nicht außer Atem war. Seine breite und muskelbepackte Brust, die mit einer dichten, nassen, dunklen Haarmatte bedeckt war, hob und senkte sich in einem gleichmäßigen Rhythmus, als hätte er nur ein paar Stufen erklommen.
Wer war dieser Halbgott des Waldes?
Sadie zoomte sich noch näher heran und nahm sein Gesicht aufs Korn. Aus dem Ort kannte sie ihn nicht. Sie war erst seit einigen Monaten wieder zurück in der Gegend um Pine Creek und war nur sechs- oder siebenmal in den Ort gefahren, um sich mit Vorräten einzudecken, doch hätte sie sich ein so markantes und gut aussehendes Gesicht an einem Mann dieser Größe gemerkt. Ganz sicher wären ihr so auffallend grüne Augen in einem so umwerfend tollen Gesicht im Gedächtnis geblieben. Sein von einem rötlich blonden Mehrtagesbart verbrämtes Kinn war kantig, streng und wirkte eigensinnig. Um den kräftigen Hals trug er ein Lederband mit einer merkwürdig geformten Kugel, die ihm auf die Brust hing.
Sadie stellte das Teleobjektiv wieder so ein, dass sie seinen Körper als Ganzes im Sucher hatte. Sein Leib war flach und muskulös. Er hatte lange, kraftvoll wirkende Schenkel, ausgeprägte Waden, und sogar seine Füße, die er ins Wasser baumeln ließ, verrieten Kraft.
Der Mann sah aus wie aus festem Granit gehauen.
Und er saß so schräg, dass der Anstand gewahrt wurde. Zu schade. Man bekam nicht alle Tage so viel reine, unverfälschte Männlichkeit vorgesetzt. Ungeachtet ihres eigenen Schamgefühls, weil sie so unverholen voyeuristisch war, wünschte Sadie sich, er würde sich ein ganz klein wenig in ihre Richtung drehen. Sie war neugierig, verdammt nochmal, und sie entschuldigte sich deswegen nicht.
Sie mochte Männer. Besonders die großen, wie diesen Burschen hier. Sadie war in Strümpfen eins dreiundachtzig, und wenn sie sich unterhielt, dann meist mit den hohen Stirnen der Männer, die sie kannte. Seit sie in die Pubertät gekommen und in die Höhe geschossen war, hatte Sadie sich gewünscht, klein zu sein. Wie die Heldinnen der Liebesromane, die sie mit Begeisterung verschlang, wollte sie leidenschaftlich, schön und zierlich sein. Und sie hatte es satt, nur über eine dieser Eigenschaften zu verfügen.
Fast alles, was Sadie zu ihren Gunsten anführen konnte, war ihre Leidenschaftlichkeit. Sie war einmal nahe daran gewesen, eine Schönheit zu werden, bis vor acht Jahren ein verhängnisvoller Brand im Haus dieser Verheißung ein Ende bereitet hatte. So sehr sie sich das Gegenteil gewünscht hatte, war sie bis zu ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag gewachsen. Sie war größer als die meisten Männer, die sie kannte, und ihre Größe steckte zur Gänze in der Länge ihrer Jeans.
Sie hätte ihre Stiefel verwettet, dass die Hosenbeine des Burschen auf dem Felsblock mindestens sechsunddreißig Zoll maßen und er sich sein Hemd vom Ständer für Übergrößen geangelt hatte.
Das Bild in ihrem Sucher wackelte plötzlich, und Sadie empfand einen Moment des Bedauerns, dass alles nur ein Traum gewesen war.
Bis sie merkte, dass der Sucher sich beschlagen hatte.
Nun ja, ihr war ungewöhnlich warm. Und ihr Atem ging etwas angestrengter als normal.
Wow. Entweder empfand sie Gewissensbisse, weil sie die heimliche Beobachterin spielte, oder aber sie empfand eine köstliche kleine Anwandlung von Lust.
Sadie kümmerte es keinen Deut, was davon es war, und sie hielt auch nicht inne. Sie wischte mit dem Rücken ihrer behandschuhten Rechten den Sucher trocken, ehe sie wieder hindurchsah.
Der Mann lag nun ausgestreckt auf dem Felsen, die Arme unter dem Kopf, die Augen gegen die Sonne geschlossen, während er sich wie ein satter Bär in der Wärme aalte.
Plötzlich fiel es Sadie ein, dass sie durch den Sucher einer Kamera blickte. Warum sollte sie wegen ein paar Bildern Gewissensbisse bekommen, wenn dieser Bursche nackt im Wald umherspazierte? Die Frage war nur, wo sie sein Foto in ihrem Pflanzenkatalog unterbringen sollte.
An der Spitze der Nahrungskette vermutlich.
So gut wie sicher, dass der Mann eingeschlafen war, betätigte Sadie den Verschluss und spulte den Film weiter. Sie zoomte das Objektiv ein und schoss wieder ein Foto.
Doch als sie den Film für die nächste Aufnahme weiterspulte, sprang der Mann blitzschnell auf, so rasch, dass seine Bewegung verschwamm. Und plötzlich blickte er direkt zu dem Gebüsch, in dem sie sich versteckte.
Verdammt. Er konnte es nicht gehört haben. Selbst Tiere hörten das verdammte Ding nicht, und deren Leben hing von einem guten Gehör ab.
Sadie hielt den Atem an, ob aus Angst oder weil er ihr nun einen totalen Frontalanblick bot, konnte sie nicht unterscheiden.
Sie knipste ihn ein letztes Mal und bewegte sich rückwärts, um aus dem Buschwerk herauszukommen. Dummerweise richtete sie sich auf, bemerkte aber sofort ihren Fehler, als sie sich dem Hünen direkt gegenübersah, nur durch hundert Yards Wasser getrennt.
Sie konnte sich nicht rühren. Er war prachtvoll anzusehen, wie er einem Halbgott ähnlich dastand und der Blick seiner durchdringenden grünen Augen ihre Füße festnagelte.
»Los, Quill«, flüsterte sie, ohne den Blickkontakt zu brechen. »Rühr dich und nütze deinen Vorsprung.«
Auch das musste er gehört haben, da er vor ihr aktiv wurde. Er sprang ins Wasser und schwamm auf sie zu.
Sadie griff nach ihrem Rucksack und hielt auf den Wald zu. Sie verfiel in Laufschritt, als sie den verwachsenen Pfad erreichte, und rannte schnell und zielstrebig zu ihrer Hütte.
Sie schmunzelte, als der Wald nur so vorüberflog.
Der Schwimmer hatte keine Chance, sie einzuholen. Erst musste er ans Ufer, dann musste er den Pfad finden und die Richtung feststellen, die sie eingeschlagen hatte. Sadies lange Beine bewältigten die Strecke mühelos, und der Adrenalinschub, der durch ihre Adern schoss, ließ sie laut auflachen.
Das war ihre Stärke. Es gab nur wenige, die mit ihr mithalten konnten. Und ein barfüßiger Tramper, der aussah, als brächte er über sechzig Pfund mehr als sie auf die Waage, schon gar nicht. Es bedurfte großer Energie, um so viel Gewicht über den gewundenen Pfad zu befördern, sich ständig ducken und Zweigen und umgestürzten Baumstämmen ausweichen zu müssen.
Ja, ihre langen Beine verschafften ihr einen Vorteil und würden die Dummheit wiedergutmachen, die sie begangen hatte, als sie das Recht eines Fremden auf Alleinsein gestört hatte.
Nach einer Weile nahm sie ihr Tempo zurück, besaß aber nicht den Mut, stehen zu bleiben. Nur ein Irrer würde ihr folgen, aber schließlich würde auch nur ein Verrückter nackt in einem Kaltwassersee schwimmen.
Sadie lief also weiter, beschränkte sich aber auf das Tempo einer Joggerin.
Bis sie hinter sich einen Zweig knacken hörte.
Sie warf einen Blick über die Schulter und hätte aufgeschrien, wenn sie einen Laut herausgebracht hätte. Der Mann aus dem See war fünfzig Fuß hinter ihr. Sadie drehte sich wieder um, um zu sehen, wohin sie trat. Wieder erlebte sie einen Adrenalinstoß.
Der Anblick eines splitternackten Mannes mit wirrem Haar und aufgerissenen Augen, der ihr nachsetzte, war dazu angetan, in jedem Mädchen den Wunsch zu wecken, es wäre am Morgen im Bett geblieben. Sadie rannte, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her. Jetzt konnte sie schon seine Schritte hinter sich hören, spürte praktisch seinen Atem im Nacken.
Sie fasste nach einer kleinen Zeder, um eine Wegbiegung zu nehmen, und das war der Moment, in dem er sie einholte und sie mit einem Ganzkörperangriff traf. Sadie war nach Schreien zumute, doch hatte er ihr das bisschen Luft, das sie noch hatte, herausgeschlagen. Sie rollten ein Stück, und Sadie holte mit ihrer Kamera gegen seinen Kopf aus. Der Schlag entlockte ihm ein verblüfftes Brummen. Er packte ihre wild um sich schlagenden Arme, während sie weiterrollten.
Als sie schließlich zum Stillstand kamen, lag er auf ihr … und ihre Hände wurden an den Gelenken über ihrem Kopf festgehalten … und ihr Rücken wurde gegen die Erde gedrückt … und sie hatte sich noch nie im Leben so sehr geängstigt.
Sadie wollte nun wirklich schreien, doch war ihre Kehle wie zugeschnürt. Sie stemmte sich gegen den Boden und versuchte den Mann abzuwerfen, während sie gleichzeitig um sich trat.
Nun verlagerte er sein Gewicht und saß nicht mehr auf ihr, sondern legte sich auf sie und hielt ihre Beine mit seinen fest.
Sadie erstarrte schlagartig. Es wurde immer schlimmer. Jetzt lag ein nackter Irrer auf ihr – und sie trug Shorts.
O Gott. Aus der Nähe gesehen, war er kein Halbgott mehr. Er war ein richtiger Gott, vielleicht sogar Adonis persönlich. Seine ausladenden Schultern und die erstaunlich breite Brust verdunkelten ihr die Sicht. Sein warmer Atem strich über ihr Gesicht. Sadie spürte jedes Zoll seiner muskulösen Beine, und sie spürte noch etwas … etwas anderes, das ihren nackten Schenkel berührte. Etwas Festes.
Er war erregt, entweder von der Aufregung oder der Verfolgung, von ihrer anzüglichen Stellung oder der Vorfreude auf das, was er plante. Sadie war nicht mehr nach Schreien zumute. Sie war einer Ohnmacht nahe.
Tatsächlich schloss sie die Augen, um nicht in sein triumphierendes, sehr männliches Gesicht blicken zu müssen. Warum rührte er sich nicht?
Dann schlug sie die Augen wieder auf und sah, dass er ihre Hände anstarrte, die er noch immer über ihrem Kopf festhielt. Sie öffnete sofort ihre bloße Linke und ließ die Kamera auf den Boden fallen.
Noch immer starrte er über ihren Kopf auf die Hand.
Er griff nach oben und zog an dem Handschuh, in dem ihre Rechte steckte. Sadie ballte sie zur Faust, damit er ihr den Handschuh nicht ausziehen konnte. Für einen Augenblick von seiner Absicht abgelenkt, sah er ihr ins Gesicht.
Sie drehte den Kopf weg.
Er drehte ihr Kinn zu sich, strich dann sachte mit dem Daumen über ihre Unterlippe und beobachtete dies fasziniert.
Du lieber Gott! Würde er sie küssen?
Seine Finger wanderten über ihr Gesicht nach unten, über ihr Kinn, zum Hals, und Sadie spürte, wie er die Öffnung ihrer Bluse berührte. Sie verdrehte sich verzweifelt und versuchte, in den Arm zu beißen, der ihre Hände über dem Kopf festhielt.
Da senkte er sich mit vollem Gewicht auf sie, dass Sadie die Luft wegblieb. Verdammt. Ihr war nicht klar gewesen, dass er sich vorher gezügelt hatte. Sie hielt still, und er hob sich leicht und gestattete ihr ein kurzes Atemholen.
Ihre Blicke trafen sich.
Aus seinem langen blonden Haar tropfte ihr Wasser auf