Mit freundlichen Grüßen Ihre Mafia - Claudia Sagmeister - E-Book

Mit freundlichen Grüßen Ihre Mafia E-Book

Claudia Sagmeister

5,0

Beschreibung

Ein Kurzurlaub mit ihrer Mama, fünf erholsame Tage am Gardasee, sollten es für Maxi, die junge Kommissarin mit den blonden Dreadlocks werden. Doch ohne Vorwarnung steigt plötzlich auch ihre Tante Rosa in den Bus nach Italien ein und schließt sich der Reisegruppe an. Leider legt sich die eigensinnige Seniorin sofort mit einigen Mitreisenden gehörig an und wittert überall ein Verbrechen. Als sie in Bardolino plötzlich wie vom Erdboden verschwindet und sich die hiesige Polizei weigert zu ermitteln, beginnt Maxi langsam zu hinterfragen, ob ihre Tante nicht doch mit einigen Behauptungen Recht hatte, und ob bei dieser Reisegruppe tatsächlich jeder ist, wer er vorgibt zu sein?

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AnnaMoto88

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Sehr unterhaltsames, lustiges und spannendes Buch.
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Über die Autorin

Claudia Sagmeister, geboren 1972, lebt in einem kleinen Dorf in Niederbayern.

Mit ihrem Debütroman: ‚Willkommen im Leben‘, sagte der Tod landete sie binnen weniger Wochen auf der BoD-Bestsellerliste. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

Handlung und Personen dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

Für Isabell

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Prolog

Diese Reise war ein Fehler! Das hätte ich spätestens wissen müssen, als die Tante Rosa in allerletzter Minute beschlossen hatte, doch mit uns nach Italien zu fahren. Ausgerechnet die Rosa, die immer und überall das Schlimmste wittert und in jedem Südländer einen potenziellen Verbrecher vermutet. Diese Frau ist nun spurlos verschwunden, und niemand hat die leiseste Ahnung, wohin. Und jetzt sitzen wir, die Mama und ich, um zwei Uhr in der Früh in einer italienischen Questura und warten auf den Commissario.

Kapitel 1

Die ganze Geschichte hatte damit begonnen, dass die Mama ihren siebzigsten Geburtstag ansteuerte.

Meine Mama ist Witwe und lebt in einer Wohngemeinschaft mit ihrer Schwester, meiner Tante Rosa. Diese war viele Jahre lang Haushälterin eines katholischen Pfarrers gewesen, bis dieser vor etwa zwei Jahren das Zeitliche gesegnet hatte. Da nun beide quasi verwitwet waren, denn als Pfarrhaushälterin ist man ja irgendwie auch so was wie die Frau vom Pfarrer, nur halt ohne Sex – aber nix Genaues woaß ma ned -, hatten sie beschlossen, ihren Lebensabend gemeinsam zu verbringen. Sehr zu meinem Vorteil übrigens. Die Mama liebt es nämlich, sich in das Leben ihrer einzigen Tochter einzumischen. Ihr bevorzugtes Hobby ist es, bei mir anzurufen, und seit die Tante Rosa bei ihr eingezogen ist, wurde das bedeutend weniger.

Wochenlang zerbrach ich mir den Kopf, womit ich ihr zu ihrem runden Geburtstag eine Freude machen könnte.

Der Hafner, Dienststellenleiter der Polizeiinspektion Schnaipfing, wo ich seit einem Jahr als Kriminalkommissarin arbeite, riet mir zu einer schönen Topfpflanze. »Usambaraveilchen, die sind sehr robust.«

Der Knogl, mein Kollege und zugleich der gefräßigste Mensch, den ich kenne, empfahl mir – hätte ich mir ja denken können! – einen Fresskorb, was sonst?

Egal wen ich sonst noch fragte, niemand hatte eine wirklich zündende Idee. Bis ich eines Tages zufällig bei einem Streifzug durch die Altstadt von Schnaipfing an einem Reisebüro vorbeikam.

An der Eingangstür prangte die Werbung für eine Busreise an den Gardasee. Das Reiseprogramm klang vielversprechend: Drei-Sterne-Hotel, Ausflüge inklusive Shoppingtouren und als krönender Abschluss ein Opernbesuch in der Arena von Verona. Nabucco von Verdi, nachts unter freiem Himmel in einer atemberaubenden Kulisse, wenn man den Bildern auf dem Werbeplakat Glauben schenken durfte.

Perfekt! Damit würde ich gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die Mama käme endlich mal ein paar Tage aus ihrem Kaff Michlbach raus, könnte, was sie eh gern macht, nach Lust und Laune Märkte abklappern, und dann käme sie auch noch in den Genuss einer sensationellen Opernaufführung, wie es sie in unserer Gegend eher weniger gibt. Kultur und Kommerz in fünf Tagen zu einem vernünftigen Preis.

Kurz entschlossen betrat ich das Reisebüro.

»Ja, diese Busreise ist sehr beliebt. Besonders bei den älteren Herrschaften«, erklärte mir die Reisekauffrau mit einem abschätzigen Blick, als ich sie auf das Angebot ansprach.

Wieder einmal stellte ich fest, wie spießig und kleinbürgerlich Schnaipfing war. Mit meinen Dreadlocks und den zerrissenen Jeans passte ich für einige Menschen noch immer nicht ins Stadtbild. Angesäuert stellte ich gleich mal klar, dass ich diese Rentnertour nicht für mich, sondern für meine Mutter buchen wollte, und betonte, dass mir an deren Sicherheit sehr gelegen sei.

»Keine Sorge. Carlo, unser Busfahrer, ist gebürtiger Italiener und ein glänzender Reiseleiter. Er kennt die Gegend rund um den Gardasee wie seine eigene Westentasche. Und«, fügte sie ein wenig schnippisch hinzu, »bisher haben wir noch jeden wieder heil nach Hause gebracht!«

Immer noch leicht verschnupft bat ich um ein paar Tage Bedenkzeit, obwohl mir das kleine Hotel in Bardolino, in dem die Mama wohnen würde, ganz gut gefiel.

»Aber lassen Sie sich nicht zu lange Zeit. Es sind nur noch wenige Restplätze frei«, meinte die Reisekauffrau.

Ich war schon auf dem Weg zur Tür, als ich es mir spontan doch noch anders überlegte und zwei Plätze buchte. Einen für die Mama und einen für die Tante Rosa, denn ich konnte die Mama ja schlecht mutterseelenallein nach Italien schicken.

»Könnten Sie mir das bitte als Geschenk zurechtmachen?«

Die Mama freute sich wie ein Schnitzel.

»Eine Reise? Also Mädi, wirklich, mit einer Reise hätt’ ich ja nie im Leben gerechnet.«

Ja, Sie lesen richtig. Meine Mama nennt mich Mädi, und das, obwohl ich die Dreißig mittlerweile schon um ein paar Jahre überschritten habe. Egal ob es mir peinlich ist oder nicht. Dabei heiße ich Maximiliane, kurz Maxi, was ihr doch eigentlich genauso leicht von der Zunge gehen müsste. Aber egal, das ist ein anderes Thema.

Die Mama war also total aus dem Häuschen.

»Ich hab mir gedacht, die Mädi, die lädt dich sicher zum Essen ins Wirtshaus ein oder allerhöchstens zu einem Konzert. Ich weiß doch, wie dir das alles zuwider ist. Aber eine Reise, und dann auch gleich noch fünf Tage lang, also wirklich, Mädi, damit machst’ mir eine sehr große Freude. Weißt du eigentlich, dass der Papa und ich bei unserer Hochzeitsreise an den Gardasee gefahren sind? Und neun Monate später, da bist du auf die Welt gekommen.«

So genau hatte ich das gar nicht wissen wollen, aber wenn die Mama in Erinnerungen schwelgt, ist sie einfach nicht mehr zu bremsen.

»Gott, was war’s dort damals schön! Wirst sehen, Mädi, da gefällt’s dir auch.«

Ich horchte auf. »Äh, Mama ...«, rief ich zaghaft, aber chancenlos.

»Du warst ja bisher noch nie in Italien, gell? Mädi, da machen wir’s uns so richtig gemütlich, nur wir zwei.«

Je mehr sie plante, desto schwerer fiel es mir, den Irrtum richtigzustellen. Großer Gott, ich hatte doch nicht im Traum daran gedacht, dass die Mama davon ausgehen würde, wir beide würden diese Reise machen. Das tat sie aber – leider.

»Äh, Mama«, versuchte ich es noch einmal. »Die Reise ist eigentlich für dich und die Tante Rosa gedacht.«

Die Tante Rosa, die es vor Neugier, was ich der Mama wohl schenken würde, sowieso fast zerrissen hätte, war sprachlos.

Die Mama ebenfalls. Aber nur für einen Moment.

»Waaas? Du kommst gar nicht mit?«, begriff sie sichtlich enttäuscht.

Zerknirscht schüttelte ich den Kopf.

»Mama, du bist doch sonst auch immer mit der Tante Rosa unterwegs. Zum Christkindlmarkt in Salzburg, oder zum Donaudurchbruch in Weltenburg und …«

»Ja, aber das sind doch nur Tagesausflüge gewesen. Aber das hier, das ist ja ein richtiger Urlaub.«

Oh verdammt, das hatte ich ja echt sauber vermasselt. Ich bekam ein richtig schlechtes Gewissen. »Ich weiß ja auch gar nicht, ob ich da überhaupt frei bekommen würd’. Weißt du, ich habe das für euch beide gebucht, weil ihr zwei ja praktisch immer Zeit habt. Aber ich? Ich müsst’ ja auch erst mal den Hafner fragen, ob ich so kurzfristig überhaupt Urlaub nehmen könnte«, versuchte ich mich herauszureden.

»Nein, nein, das passt schon«, lenkte die Mama ein, obwohl ihr die Enttäuschung deutlich ins Gesicht geschrieben stand. »Dann machen wir zwei uns eben eine schöne Zeit, gell, Rosa?«

Die Tante Rosa, die eben noch genüsslich ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte in sich reingeschaufelt hatte, ließ entsetzt die Kuchengabel fallen. »Was, ich? Nach Italien zur Mafia? Ja wo denkst du denn hin! Das sind doch lauter Verbrecher. Da bringen mich keine zehn Pferde hin!« Vorwurfsvoll sah sie mich an. »Wenn du deiner Mutter schon solche Geschenke machst, dann kümmer’ dich auch gefälligst drum, dass du Urlaub kriegst!«

Mir blieb praktisch gar nichts anderes übrig, als am nächsten Morgen dem Hafner einen Urlaubsantrag vorzulegen.

»Das ist jetzt aber schon ein bisserl arg kurzfristig«, grummelte er wenig begeistert.

»Ach, wenn es nicht geht, dann geht’s halt nicht«, kam ich ihm schnell entgegen und nahm den Urlaubsantrag ziemlich erleichtert wieder an mich.

»Ausgerechnet im Juli, wenn die Schnaipfinger Trachtentage stattfinden«, schob der Hafner zur Begründung nach. »Sie wissen ja selbst, wie dünn wir besetzt sind und wie viele Leute sich da in der Stadt tummeln. Gerade da verzicht’ ich nur äußerst ungern auf mein Stammpersonal.«

»Machen Sie sich keine Gedanken, Hafner. Das ist wirklich nicht so wichtig.«

»Was haben S‘ denn vor, dass Sie so dringend frei brauchen?«

»Ach, nichts Besonderes«, wiegelte ich ab und ergänzte dummerweise: »Meine Mutter hat zum Geburtstag von mir eine Reise an den Gardasee geschenkt bekommen, und jetzt hätte sie halt gern gehabt, dass ich sie begleite. Aber ich bin mir sicher, dass sie noch jemand anderen findet, der mitfährt.«

»Ja, wenn’s um Ihre Mutter geht«, sagte der Hafner nachdenklich.

»Nein, im Ernst. Ich möchte Ihnen da keine Umstände machen. Das ist wirklich nicht so wichtig«, unterbrach ich seine Gedanken.

»Was heißt denn da Umstände und nicht so wichtig? Meisinger, seien S’ froh, dass Sie noch eine Mutter haben. Zudem so eine agile. Nein, nein, nein, so eine Bitte darf man der alten Frau auf keinen Fall abschlagen.«

Gut, dass die Mama das mit der alten Frau nicht gehört hatte. Bevor ich etwas erwidern konnte, riss mir der Hafner den Urlaubsantrag aus der Hand und haute seinen Servus drunter. »Genehmigt!«, erklärte er mir freudestrahlend, und ich bedankte mich gespielt erfreut, obwohl von Freude keine Rede sein konnte. Jetzt gab es also kein Zurück mehr. Als ich der Mama nachmittags am Telefon sagte, dass ich sie tatsächlich an den Gardasee begleiten konnte, freute sie sich so dermaßen, dass ich mich tatsächlich ein kleines bisschen mitfreute. Vielleicht würde es ja doch noch ganz nett werden.

Kapitel 2

Mittlerweile sitzen wir jetzt seit über einer Stunde in der Questura, und bisher hat sich noch niemand ernsthaft um uns gekümmert. Ich bin hundemüde.

»Ein schöner Saustall ist das hier!«, ärgere ich mich. Wenn wir bei uns in Deutschland die Leute so behandeln würden, da wäre aber Feuer am Dach. Mein lieber Scholli. Mir reicht es jetzt. Ich stehe auf und marschiere an die Absperrung.

Der Polizist, der dahinter schwer beschäftigt an seinem Schreibtisch sitzt und die Zeitung liest, schenkt mir keinen einzigen Blick, geschweige denn irgendein anderes Zeichen seiner Aufmerksamkeit. Darum haue ich ziemlich laut mit der flachen Hand auf den Tresen.

»Hallo, jemand zu Hause?« Es ist, als wäre er taub. Nicht die geringste Reaktion. »Hallo Sie?«, rufe ich noch etwas lauter in seine Richtung.

Endlich blickt er gelangweilt von seiner Zeitung hoch. »Pronto?«

»Wir warten jetzt schon ewig darauf, dass sich endlich mal jemand um uns kümmert. Hätten Sie vielleicht die Güte nachzufragen, wie lange das noch dauern wird?«

Der Beamte überschüttet mich mit einem Schwall italienischer Sätze, die ich leider mangels Sprachkenntnissen nicht verstehe.

»Wir müssen auf den Commissario warten«, übersetzt Herr Becker, einer der anderen Mitreisenden. Unser Busfahrer, der tolle Italiener, war nirgends aufzutreiben gewesen. Daher hatte sich Herr Becker, der ebenfalls italienisch spricht, netterweise angeboten, uns zur Questura zu begleiten. Dafür bin ich ihm wirklich dankbar. Obwohl ich mich tatsächlich ein wenig frage, was wir hier eigentlich sollen, denn die Rosa ist erst seit ein paar Stunden verschwunden, und es gibt keinen direkten Hinweis auf ein Gewaltverbrechen. Niemand wird uns hier weiterhelfen. Aber die Mama war von ihrer fixen Idee, Rosas Verschwinden augenblicklich bei der Polizei anzuzeigen, einfach nicht abzubringen gewesen.

Ich atme genervt aus und setze mich wieder zurück auf die Bank zu den anderen. Wo zum Teufel steckt sie nur? Die letzten Stunden hatten wir nur damit verbracht, nach ihr zu suchen.

Wir waren zusammen in einem netten kleinen Lokal an der Seepromenade gewesen. Die Rosa hatte ihre Medikamente im Hotel vergessen und war alleine zurückgegangen, um sie zu holen. Seither fehlt von ihr jede Spur. Nachdem wir über eine Stunde vergeblich auf sie gewartet hatten, hatte ich die Zeche bezahlt und mich gemeinsam mit der Mama auf die Suche nach ihr gemacht. Der Weg vom Lokal ins Hotel ist unkompliziert. Sie konnte sich unmöglich verlaufen haben. Doch das Zimmer, in dem sie zusammen mit der Mama wohnt, war leer. Wir fragten an der Rezeption, beim Personal, jeden, der uns über den Weg lief. Wir suchten im Speiseraum, auf der Terrasse, in den Toilettenräumen und auf jedem Flur, in jeder Etage. Nichts. Sogar in der Küche klopften wir an, denn bei der Tante Rosa ist alles möglich. Sie muss überall ihren Senf dazugeben.

Selbst Maria, die Besitzerin der Villa Franca, beteiligte sich an der Suche und sah dort nach, wo Gäste normalerweise keinen Zutritt haben. Doch auch sie kam nach kurzer Zeit mit einem bedauernden Achselzucken zurück.

Die Mama hält sich schon die längste Zeit an ihrem Rosenkranz fest und betet leise vor sich hin. »Oh Herr, gib ihr die ewige Ruhe!«

»Kannst du bitte mit deiner ewigen Beterei aufhören!«, herrsche ich sie an. »Du machst mich noch ganz kirre!«

»Das ist das Einzige, was ich momentan für sie tun kann, und es beruhigt mich«, entgegnet die Mama und betet demonstrativ weiter.

»Aber mich macht es verrückt. Du tust ja gerade so, als wär die Tante Rosa bereits tot.«

»Vielleicht ist sie das ja längst.« Sie greift in ihre Rocktasche und zieht ein Taschentuch hervor, mit dem sie sich lautstark schnäuzt. »Die Rosa hat die ganze Zeit gesagt, sie hat einen Toten gesehen, jemanden, der eindeutig ermordet worden ist. Die Banditen haben das bestimmt mitbekommen und sie deshalb auch umgebracht«, zischt sie mich kaum hörbar an.

»So ein Unsinn!«, herrsche ich sie an. »Die Rosa hat eine blühende Fantasie, das ist alles! Sie behauptet auch, dass jeder Italiener Mitglied der Mafia wäre. Und? Trotzdem ist sie mitgefahren, obwohl sie immer getönt hat, nie im Leben nach Italien zu reisen!«

Der Beamte schaut finster in unsere Richtung.

»Die Tante Rosa lebt!«, sag ich etwas leiser, aber mit Nachdruck.

»Woher willst du das denn wissen? Wenn’s noch leben tät, hätt’ sie sich schon längst bei uns gemeldet.« Leise schnieft die Mama vor sich hin.

»Womöglich kann sie das nicht. Aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sie immer noch am Leben ist.«

»Dein Wort in Gottes Gehörgang!«

Genervt von der Diskussion und der Untätigkeit des Carabinieri stehe ich auf und wandere ruhelos wie ein Tiger im Käfig hin und her. Auch wenn ich den Verschwörungstheorien der Mama bezüglich der Tante Rosa keinen Glauben schenke, frage ich mich langsam doch, wo sie wohl abgeblieben sein mag. Die strengen Blicke des Polizisten hinter dem Tresen ignoriere ich. Trotzdem scheint mein Bewegungsdrang die Sache allgemein in Gang zu setzen, denn während ich mitten im Raum stehe und mir den Bereich zwischen Nasenwurzel und Augenbrauen massiere, um mein Denkvermögen anzuregen, greift er endlich zum Telefon. Etwa zwanzig Minuten später betritt ein weiterer Beamter das Revier. Die beiden unterhalten sich aufgeregt, und Blicke wandern zu uns respektive mir herüber. Dann kommt der Neuankömmling zu uns. Er sieht ein wenig zerknittert aus, so als ob er unseretwegen aus dem Bett geholt worden wäre.

»Buongiorno, mein Name ist Commissario Andrea Salvini.«

Angenehm überrascht stelle ich fest, dass er der deutschen Sprache fast fließend mächtig ist. Nur ein leichter Akzent verrät seine Herkunft.

»Mein Kollege sagte mir, Sie möchten eine Vermisstenanzeige aufgeben. Allora. Was ist passiert?«

»Die Schwester meiner Mutter, also meine Tante, ist seit gestern Abend verschwunden, und wir haben nicht den geringsten Hinweis über ihren Verbleib«, übernehme ich die Konversation.

»Wir haben schon überall nach ihr gesucht, aber wir können sie nirgends finden!«, ruft die Mama von ihrem Sitzplatz aus dazwischen.

»Wann haben Sie sie denn zuletzt gesehen?«

»Das dürfte so gegen neunzehn Uhr gewesen sein.«

Der Commissario wirft erst einen Blick auf seine Armbanduhr, dann sieht er mich fast ungläubig an.

»Gestern? Wir sprechen vom vergangenen Abend?«

Ich nicke etwas verlegen. »Ja.«

»Wie alt ist Ihre Tante denn?«

»Äh …!«

»Dreiundsiebzig!«, ruft die Mama ungeduldig. Dabei wirft sie mir einen tadelnden Blick zu.

Ja Himmel! Was interessiert denn mich, wie alt die Tante Rosa ist?

»Ist die Dame in irgendeiner Weise auf Hilfe von anderen angewiesen?«

»Nein.«

»Braucht sie dringend Medikamente? Leidet sie zum Beispiel an Diabetes, Alzheimer et cetera?«

Ich werfe einen fragenden Blick in Richtung meiner Mama.

»Wassertabletten nimmt sie ein und etwas gegen ihren hohen Blutdruck, aber sonst ist die Rosa pumperlg’sund!«, kommt es prompt von ihr.

»Also geistig ist bei der Dame alles in Ordnung?«

Daran hab ich zwar manchmal so meine Zweifel, aber auch diese Frage beantworte ich mit Ja.

»Dann, Signora …?«

»Meisinger«, stelle ich mich vor.

»Dann, Signora Meisinger, so leid es mir tut, ist es bei uns in Italien genauso wie bei Ihnen in Deutschland. Wir müssen vierundzwanzig Stunden abwarten, bevor wir sie suchen lassen können, mi dispiace.«

»Aber die Rosa kennt sich doch hier gar nicht aus, und sie spricht auch kein einziges Wort italienisch.«

Die Mama ist bei diesen Worten aufgestanden und auf den Commissario zugegangen. Jetzt steht sie dicht vor ihm. Nur die Absperrung trennt die beiden voneinander, und das ist vielleicht ganz gut so, denn so, wie sie sich gerade echauffiert, kann ich für nichts garantieren.

Der Polizist scheint derlei Gefühlsausbrüche zu kennen, denn er lenkt beschwichtigend ein.

»Nachdem ich dem Ganzen entnehme, dass es sich um eine gesunde Dame in den besten Jahren handelt, schlage ich vor, Sie gehen jetzt zurück in Ihr Hotel und suchen selbst noch einmal die Gegend nach ihr ab. Fragen Sie die Angestellten Ihres Hotels oder die anderen Gäste, ob sie von jemandem gesehen worden ist.«

»Ja was glauben S’ denn, was wir in den letzten Stunden g’macht haben? Wir haben schon alles abgesucht, mehrmals, aber wir haben sie nirgendwo g’funden! Sonst wären wir doch jetzt nicht hier und würden Sie um Hilfe bitten.« Die Mama ist in Rage.

»Dann können Sie nicht mehr tun, als abzuwarten.«

»Abwarten?«, empört sich die Mama. »Ja was denn abwarten?«

»Dass Ihre Schwester zurückkommt. Signora Meisinger, es ist jetzt halb vier Uhr morgens. Vielleicht hat sie sich vom lebhaften Nachtleben in Bardolino anstecken lassen.«

»Vom Nachtleben? Die Rosa? Ha! Sie haben ja keine Ahnung, von wem Sie reden! Aber ihr Italiener, ihr nehmt ja immer alles auf die leichte Schulter. Ihr steckt alle zusammen unter einer Decke!«, giftet sie den Commissario an.

Ich trete ihr auf den Fuß, um sie zum Schweigen zu bringen, vergeblich.

»Aua! Lass das, ich habe doch recht!«

Salvini tut so, als habe er den vorletzten Satz nicht gehört. »Sie haben recht, ich kenne Ihre Frau Schwester nicht. Aber ich kenne die deutschen Touristen und wie sie sich in unserem herrlichen Land benehmen. Was denken Sie, wie oft es vorkommt, dass einer Ihrer Landsleute bei uns als vermisst gemeldet wird, und dann stellt sich heraus, dass er oder sie die Nacht in einem anderen Bett verbracht oder dank des Alkohols nicht mehr zurück ins Hotel gefunden hat.«

Könnten Blicke töten, müsste er auf der Stelle mausetot umfallen.

»Jetzt hören S’ mir einmal gut zu. Die Rosa hat beobachtet, wie ein Mensch …«

»Er hat leider recht«, falle ich ihr ins Wort. Das fehlte noch, dass die Mama dem Beamten jetzt die Hirngespinste der Rosa auftischt. »Bei uns läuft das in der Tat genauso ab.«

»Ein ausgemachter Blödsinn ist das. Der hat ja keine Ahnung. Der kennt sie ja gar nicht, sonst käme der ja nie auf eine so hirnrissige Idee von wegen die Rosa und das Nachtleben von Bardolino! Ha!« Sie lacht laut auf. »So eins hatte sie ja nicht einmal in Michlbach!«

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Signora«, schlägt Salvini nun einen versöhnlicheren Tonfall an. »Sie beschreiben mir jetzt ganz genau, wie Ihre Frau Schwester aussieht und was sie gestern, als Sie sie zuletzt gesehen haben, getragen hat. Dann gehen Sie zurück in Ihr Hotel. Sollte sie in der Zwischenzeit zurückgekommen sein, va tutto bene. Ansonsten schreiben Sie alles auf, was Ihnen zum Verschwinden der Signora einfällt. Ob sie sich etwas ansehen wollte, ob sie mit jemandem Streit hatte. Egal. Woran Sie sich erinnern. Wenn Ihre Schwester bis zum Abend immer noch nicht zurückgekehrt ist, rufen Sie mich an.«

»Und bis dahin unternehmen Sie nix?«

»Doch, ich telefoniere in der Zwischenzeit die Krankenhäuser der Umgebung ab und erkundige mich, ob in den letzten Stunden eine Frau eingeliefert wurde, die Ihrer Beschreibung entspricht. Oder haben Sie das auch schon gemacht?«

Nein, so weit waren wir noch nicht gekommen. Und es ärgert mich ein bisschen, dass ich an das Naheliegendste nicht selbst gedacht habe.

Dass die Rosa vielleicht einen Unfall gehabt haben könnte, leuchtet auch der Mama ein. Wie aus der Pistole geschossen beschreibt sie dem Beamten bis ins kleinste Detail das Aussehen und die Kleidung der Tante Rosa. Ich bin begeistert.

»Wieso sprechen Sie eigentlich so gut deutsch?«, frage ich Salvini noch, bevor wir uns auf den Rückweg ins Hotel machen.

»Ich habe einige Jahre in München gearbeitet«, erklärt er grinsend. »Wie Sie sehen, bin ich mit der Sprache und der Mentalität Ihrer Gegend bestens vertraut.«

Wir verabschieden uns, gefolgt von unserem Begleiter, der während der ganzen Zeit stumm wie ein Fisch auf der Bank gesessen und zugehört hat.

Draußen vor der Tür läuft die Mama noch einmal zur Hochform auf. »Andrea! Ein Mann mit einem Frauennamen. Was soll man von so einem schon erwarten. Andrea Salvini! Ein neumodischer Unfug ist das.«

»Entschuldigen Sie, meine Teuerste, wenn ich mich einmische, aber in Italien ist dieser Name durchaus üblich und gebräuchlich für Frauen und Männer. Genauso wie Simone übrigens«, mischt sich Herr Becker, unser Italienkenner, wissend ein.

Die Mama winkt genervt ab. »Warum hast‘ denn dem Kommissar nicht erzählt, dass die Rosa eine Leiche entdeckt hat?«, giftet sie mich stattdessen an.

»Um Gottes willen, was sagen Sie da?« Herr Becker ist sichtlich bestürzt. »Etwa bei uns im Hotel?«

»Nein, aber Sie werden vermutlich aus allen Wolken fallen, wenn ich Ihnen verrate, wo.«

»Das behältst du jetzt bitte für dich! Ich will nicht, dass uns jemand noch wegen Verleumdung anzeigt«, stoppe ich ihren Redefluss. Aber sie denkt gar nicht daran, aufzuhören.

»Die Rosa ist sich absolut sicher gewesen, dass der Mann ermordet worden ist und auf direktem Weg entsorgt werden sollte.«

»Mama!«, unterbreche ich warnend ihren Erzähldrang. »Dafür gibt es überhaupt keine Beweise. Das ist bloß wieder eine von ihren Fantastereien.«

»Natürlich hat sie Beweise«, behauptet die Mama stur. »Auf ihrem Fotoapparat. Sie hat gesagt, sie habe ein paar sehr aufschlussreiche Bilder geschossen. Also praktisch Beweisfotos.« Die Mama kann sich gar nicht mehr beruhigen. »Oder dieser fürchterliche Streit, den sie angeblich mit angehört hat. Was ist dann damit? Und auf einmal ist es still gewesen, hat sie gesagt. Totenstill! Kein Laut. Nichts mehr.« Theatralisch schildert sie die Szene, wie Tante Rosa sie beschrieben hatte.

»Nein, das ist ja entsetzlich!«, ruft Herr Becker aus. »Ich habe ja schon einige Fahrten nach Italien mitgemacht, aber so etwas habe ich bisher noch nie erlebt.« Er greift sichtlich nervös nach einem Stofftaschentuch in seiner Jackentasche und wischt sich über die Stirn.

»Da siehst du, was du mit deinem Unsinn anrichtest. Der arme Herr Becker kann heute Nacht bestimmt nicht schlafen, wenn du ihm solche Gruselmärchen auftischst!«, tadle ich die Mama.

Die schüttelt sich ab. »Und was ist mit der armen Rosa, hä?«, keift sie zurück.

»Das hätten Sie wirklich dem Commissario mitteilen müssen«, bestärkt sie Herr Becker.

»Ich bin überzeugt, es gibt für alles eine logische Erklärung«, sage ich. »Auch dafür, wo die Tante Rosa abgeblieben ist. Ich würde sagen, wir schauen jetzt noch mal im Hotel, ob sie nicht mittlerweile zurückgekommen ist.«

»Und wenn nicht?«, zweifelt die Mama.

»Dann legen wir uns trotzdem alle ein wenig schlafen und warten die nächsten Stunden ab. Salvini wird sich melden, wenn er mehr weiß.«

Die Mama zögert noch. Ratlos sieht sie Becker an, als hätte der eine Lösung parat.

»Ihre Tochter hat recht. Sicher hat sie sich schon wieder eingefunden und wundert sich, wo wir alle abgeblieben sind.«

Kapitel 3

Aber die Rosa ist nicht im Hotel.

Auch Maria, die Wirtin, hat in der Zwischenzeit nichts über ihren Verbleib herausfinden können. »Es tut mir so leid. Kann ich noch etwa für Sie tun?«

Ich bestelle der Mama noch einen doppelten Ramazzotti, damit sie besser schlafen kann.

Herr Becker, den die ganze Geschichte sichtlich mitzunehmen scheint, verabschiedet sich sofort auf sein Zimmer.

»Ich möchte nicht, dass du jedem auf die Nase bindest, was die Rosa gesehen oder gehört haben will. Das sind reine Spekulationen und Vermutungen«, komme ich nochmals auf das Gespräch von vorhin zu sprechen.

»Warum glaubst’ es denn nicht?«

»Weil die Rosa gerne mal übertreibt, wie wir beide sehr gut wissen, in jeglicher Hinsicht. Oder kennst du außer ihr noch jemanden, der in einem Lokal zuerst die Toiletten kontrolliert, bevor er bereit ist, dort zu essen? Nur um zu sehen, ob es dort auch hygienisch einwandfrei zugeht?«

Es ist schier unglaublich, aber das ist in der Tat eine der Marotten meiner Tante. Sie beharrt auf dem Standpunkt, so wie die Toilette sehe auch die Küche eines Hauses in puncto Sauberkeit aus.

»Du kennst doch ihre Einstellung. Sie ist davon überzeugt, dass jeder Italiener automatisch ein Mafioso ist. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es für ihr Verschwinden eine ganz banale Erklärung gibt.«

Die Mama leert ihren Ramazzotti in einem Zug und knallt das Glas auf den Tresen an der Rezeption. »Ich bin ehrlich enttäuscht von dir, Mädi«, sagt sie und sieht mich dabei nicht einmal mehr an. »Ich geh jetzt auf mein Zimmer.«

Schweigend begleite ich sie dahin. Als wir vor ihrer Tür ankommen, stellen wir zu unserem Erstaunen fest, dass diese nur angelehnt ist. Die Mama will schon schnurstracks hineinmarschieren, in der Hoffnung, die Rosa sei zurückgekommen, aber ich halte sie im letzten Moment zurück und bedeute ihr, ganz leise zu sein. Angestrengt lausche ich auf irgendein Geräusch aus dem Zimmer. Die Tante Rosa hat ein massives Problem mit ihren Nebenhöhlen, weshalb sie normalerweise schnarcht wie ein Sägewerk. Doch es ist nicht das Geringste zu hören. Also stoße ich mit Schwung die Zimmertür auf. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass sich niemand darin aufhält, nehme ich mir das Bad vor. Doch auch dort ist niemand.

»Ja wie schaut’s denn da aus?«, ruft die Mama hinter mir so entsetzt, dass ich schleunigst zu ihr ins Zimmer zurückkehre. Tatsächlich sehe auch ich erst jetzt, dass die Kleidung der beiden wild im Zimmer verstreut ist und sämtliche Schubladen der Kommode bis zum Anschlag herausgezogen wurden. Hier hat eindeutig jemand etwas gesucht, und das war gewiss nicht unsere ordnungsliebende Rosa.

»Was machst du denn da? Hab ich dir nicht deutlich signalisiert, draußen zu bleiben?«, gehe ich die Mama an, die mitten im Zimmer steht.

Sie ignoriert meine Bemerkung. »Jetzt schau dir einmal diesen Saustall an. Alles durchwühlt«, sagt sie und schickt sich schon an, die Sachen vom Boden aufzuheben.

»Finger weg, nichts anfassen!«, schreie ich sie an.

Erschrocken fährt sie hoch. »Was schreist’ denn so?« Dann schaut sie mich mit einem durchdringenden Blick an. »Siehst du, Mädi, ich hab’s dir ja gesagt! Ich fürchte, die Rosa ist in großer Gefahr!«

Jetzt glaub ich es fast selber.

Der Commissario kommt aus dem Zimmer zu uns auf den Gang. Er hat noch einige Fragen. Währenddessen sind drinnen zwei weitere Beamte damit beschäftigt, Spuren zu sichern.

»Sie behaupten also, bevor Sie zur Questura kamen, sah es hier noch nicht so aus?«, wendet er sich fragend an mich.

»Ja glauben Sie vielleicht, wir hinterlassen so einen Saustall?«, regt sich die Mama schon wieder auf.

Er hebt beschwichtigend die Hände. »Können Sie sagen, ob etwas fehlt?«

»Woher soll ich denn das wissen? Ich hab ja nix anfassen dürfen! Meine Tochter hat mich sofort hinausgeschickt, damit ich bloß nix durcheinanderbringe – in dem Chaos!«, empört sie sich.

»Das war sehr umsichtig von Ihnen«, wendet Salvini sich lobend an mich. »Die meisten Leute hätten angefangen, Dinge aufzuheben oder nachzusehen, ob etwas gestohlen wurde. Dabei können wertvolle Spuren verloren gehen.«

»Meine Tochter weiß schon, was sie tut. Die kennt sich mit so was aus. Schließlich ist sie selber Polizistin!«, erwidert die Mama schnippisch. Schon die ganze Zeit lässt sie den Beamten spüren, was sie von ihm hält. Nichts! Er ist bei ihr unten durch, wie man so schön sagt, weil er ihr auf dem Präsidium nicht geglaubt und Tante Rosas Verschwinden nicht ernst genommen hat.

»Sie sind eine Kollegin, eine poliziotta?« Salvini zieht erstaunt die Augenbrauen hoch und mustert mich von oben bis unten.

Ich kenne diesen Blick. Mein Dienststellenleiter hat mich vor einem Jahr genauso angesehen, als ich mich damals bei ihm in Schnaipfing vorgestellt habe. Es war für ihn absolut undenkbar, dass eine Frau in diesem Beruf einen ebenso guten Job macht wie ein Mann. Und besonders meine Frisur fand er problematisch. Ich trage Dreadlocks. In einer niederbayerischen Kleinstadt ist so etwas unmöglich. Eigentlich habe ich gedacht, der italienische Kollege wäre da offener. Aber da habe ich mich wohl getäuscht. Am liebsten würde ich ihm unter die Nase reiben, dass ich Kriminalkommissarin bin, entscheide mich aber aus einem Impuls heraus anders und erwidere mit einem knappen: »Si.«

Für einen winzigen Moment sehe ich Missmut in seinen Augen aufblitzen, doch er hat sich schnell wieder unter Kontrolle. »Nun, dann wird es für Sie ein Leichtes sein, uns eine detaillierte Auflistung zu erstellen, was gestohlen wurde oder mit wem Ihre Tante Streit hatte et cetera. Sie können uns jederzeit mit Informationen unterstützen, sollte Ihnen noch etwas auffallen beziehungsweise zum Sachverhalt einfallen«, entgegnet er hochmütig. »Ansonsten«, sein Tonfall gewinnt an Schärfe und wird zum Befehl, »erwarte ich, dass Sie sich aus den Ermittlungen komplett heraushalten. Das ist unsere Aufgabe.« Er rudert zurück. »Ich erwarte Sie noch vor Mittag in der Questura. Wir benötigen Ihre Fingerabdrücke zum Abgleich mit denen, die wir hier gerade sichern. Addio!« Mit diesen Worten dreht er sich um und schließt die Tür vor unserer Nase.

»So ein aufgeblasener Chauvinist!«, schnaube ich aufgebracht.

»Du lässt dich doch hoffentlich von dem nicht einschüchtern, Mädi?«, entrüstet sich die Mama. »Gell, wir suchen trotzdem nach der Rosa?«

»Darauf kannst du Gift nehmen. Und der Commissario kann sich eines hinter die Ohren schreiben«, zische ich zwischen den Zähnen durch, »italienische Augen sind vielleicht schöner, aber deutsche sehen schärfer! Versuch doch bitte mal, dich ganz genau zu erinnern«, fordere ich die Mama auf, als wir wieder unter uns sind. »Was konkret hat die Rosa erzählt? Selbst das kleinste Detail kann wichtig sein.«

Den Rest der Nacht hat die Mama in meinem Zimmer verbracht, während in ihrem noch stundenlang die Spurensicherung zugange gewesen ist. Außerdem hätte ich sie nach diesen neuerlichen Ereignissen sowieso nicht alleine gelassen. An Schlaf war freilich nicht mehr zu denken. Zu aufgewühlt sind wir beide aus lauter Sorge um die Rosa. Nun sitzen wir übernächtigt am Frühstückstisch und rekapitulieren gemeinsam, was seit unserer Abfahrt in Michlbach alles passiert ist.

Kapitel 4

Michlbach. Da war es schon losgegangen.

Ich war bereits in Schnaipfing in den Reisebus gestiegen und hatte der Mama einen Sitzplatz am Fenster freigehalten, obwohl sie während der Nachtfahrt sicher nur wenig zu sehen bekommen würde. Aber da hatte sie es komfortabler. Schließlich war es ihre Reise, und sie war die Hauptperson. Als der Bus dann endlich in Michlbach hielt, sah ich, dass die Mama gemeinsam mit der Tante Rosa an der Bushaltestelle stand.

Wie nett, dachte ich. Sie bringt die Mama noch zum Busbahnhof. Erst auf den zweiten Blick bemerkte ich, dass auch die Tante Rosa ein Köfferchen bei sich trug.

Die Mama winkte mir ganz aufgeregt zu und rief, kaum dass sie die Stufen zum Bus hochgeklettert war: »Mädi, stell dir vor …!« Doch sie kam gar nicht dazu, den Satz zu vollenden, denn dicht auf ihren Fersen folgte die Tante Rosa und rief fröhlich: »Ich komm jetzt doch mit!«