Das Leben ist zu kurz für Buttercreme - Claudia Sagmeister - E-Book
NEUHEIT

Das Leben ist zu kurz für Buttercreme E-Book

Claudia Sagmeister

0,0

Beschreibung

Was tun, wenn die große Liebe über dreitausend Kilometer von einem entfernt lebt? Für Flugbegleiterin Sophie ist das nach vier Jahren Fernbeziehung keine große Frage. Sie verbringt mehr Zeit mit ihren besten Freunden Tine und Freddy als mit Jens. Doch der überlegt, seinen Vertrag im Ausland zu verlängern, statt mit ihr eine Familie zu gründen. Weitere drei Jahre, an denen sie sich nur einmal im Monat sehen werden und das Wochenende im Bett verbringen. Sophies Gefühlswelt gerät zunehmend durcheinander. Daran ist auch der Neue im Team, Carsten nicht ganz unschuldig. Als Jens Sophie versetzt und sie nach einer aufregenden Hochzeit ihrer Kollegin mit einem Filmriss erwacht, beschließt sie, Nägel mit Köpfen zu machen, und überrascht ihn auf Teneriffa ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 435

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.

Beliebtheit




Über die Autorin

Claudia Sagmeister, geboren 1972, lebt mit ihrer Familie in Niederbayern. Ihre Bücher landen regelmäßig auf der BoD-Bestsellerliste. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

Für »Puppe«

(Martina)

Ein Roman über beste Freunde und die große Liebe

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Prolog

Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich Jens das erste Mal traf.

Er saß in Reihe vierundzwanzig auf dem Sitz am Mittelgang auf dem Flug von Teneriffa nach München.

»Möchten Sie etwas zu trinken?«

Es traf mich wie ein Blitz, als er von seiner Zeitung auf und mir direkt in die Augen sah. Das waren die aufregendsten Augen, die ich je gesehen hatte. Wow! Blautürkis mit einem Stich ins Grüne. Ich spürte meine Knie weich werden, fühlte die Wärme in meinem Gesicht. So etwas war mir zuvor noch nie passiert. Obwohl ich es auf Kurzstrecken häufig mit attraktiven Geschäftsmännern zu tun habe. Und manch einer von ihnen ist auf einen kleinen Flirt aus.

Ich versuchte, mir daher nicht anmerken zu lassen, wie nervös er mich machte, streckte den Rücken durch und sah ihn auffordernd an.

Er lächelte mich charmant an. »Ein Glas Wasser bitte und dazu einen Weißwein.«

Ich reichte ihm das Gewünschte und wendete mich dem Fluggast neben ihm zu.

»Du bist rot geworden«, bemerkte Tine später schmunzelnd, als wir unseren Wagen verstauten. »Habe ich was verpasst?«

»Bradley Cooper auf C vierundzwanzig!«, raunte ich ihr zu.

»Niemals! Den hätte ich bemerkt.« Tine schaute natürlich sofort in die besagte Richtung.

Als habe er es bemerkt, hob der Mann in diesem Moment ebenfalls den Kopf. Unsere Blicke trafen sich.

Ertappt drehte ich mich weg. »Nicht der Echte«, beruhigte ich sie. »Aber ich finde, er sieht ihm verdammt ähnlich. Und er hat dieselben wunderschönen Augen«, schwärmte ich hingerissen.

Tine wollte sich natürlich sofort selbst davon überzeugen und durchquerte das Flugzeug, ehe ich sie stoppen konnte. Wenig später kehrte sie zurück.

»Nicht übel, aber überhaupt nicht mein Typ«, verkündete sie unbeeindruckt.

Das war mir nur recht. Tine ist eine absolute Schönheit. Lange rote Haare, Modelmaße, für die sie aber zugegebenermaßen einiges tut, und Beine bis zum Hals. Tine weiß, welche Wirkung sie auf Männer hat, und lässt keine Gelegenheit aus, sich das von ihnen bestätigen zu lassen.

Neben ihr komme ich mir wie ein Mauerblümchen vor. Obwohl ich ansonsten mit meinem Aussehen ganz zufrieden bin. Aber gegen Tine kommt so schnell keine andere Frau an. Sie hat das gewisse Etwas. Normalerweise habe ich damit kein Problem. Auch nicht, dass sie Männer wie Eintagsfliegen behandelt. Ganz im Gegenteil, es ist mir völlig egal. Wir sind beste Freundinnen, vom ersten Tag an, aber dieser eine Fluggast hatte es mir wirklich angetan. Und auch, wenn ich nicht im Traum damit rechnete, ihn wiederzusehen, wäre es ein Albtraum, wenn Tine ebenfalls Gefallen an ihm fände. Ich atmete erleichtert auf.

Tine lachte und knuffte mich leicht in die Seite. »Na los! Worauf wartest du noch? Nutz deine Chance, Sophie, solange wir in der Luft sind.«

»Bist du verrückt?« Entsetzt starrte ich sie an.

»Er trägt keinen Ehering«, fügte sie mit einem vielsagenden Blick hinzu, »außerdem scheint er sich für dich zu interessieren.«

»Quatsch«, wiegelte ich energisch ab und fühlte, wie ich schon wieder errötete.

Tine grinste schadenfroh. »Ach ja? Und wieso beobachtet er dich dann?«

Es fiel mir schwer, nicht sofort wieder in seine Richtung zu sehen, um mich zu vergewissern, aber das wäre selbst mir zu auffällig gewesen. Außerdem war ich zum Arbeiten hier und nicht, um einen Mann aufzureißen.

Die Zeit bis zur Landung in München verging leider im wahrsten Sinn des Wortes wie im Flug. Doch sooft sich die Gelegenheit ergab, versuchte ich, einen Blick auf den aufregenden Fluggast in der letzten Reihe zu erhaschen. Tine hatte recht. Unsere Blicke kreuzten sich verdächtig oft.

Beim Aussteigen reichte er mir die Hand. Der kleine Zettel mit seiner Nummer, der sich darin verbarg, wanderte unbemerkt in meine Blazertasche. Das war nun vier Jahre her.

Kapitel 1

Bremsen quietschten, dann folgte ein dumpfer Aufprall. Regungslos betrachtete ich die Szene, die sich gerade vor meinen Augen abspielte. Ein Auto hatte den Mann, der unvermittelt auf die Straße getreten war, erfasst und zu Boden geworfen. Ich konnte nicht sagen, ob er verletzt oder bereits tot war. Das Gesicht von mir abgewandt, lag er nur ein paar Meter von mir entfernt am Boden und bewegte sich nicht mehr. Die Situation wirkte surreal, denn obwohl ich mir sicher war, ihn nicht zu kennen, fühlte ich mich in gewisser Weise zu ihm hingezogen. Und während aus allen Himmelsrichtungen Menschen auf die Straße eilten, um zu helfen, stand ich weiter starr vor Entsetzen da, unfähig, irgendetwas zu unternehmen.

»Guten Morgen. Heute ist Donnerstag, der dreiundzwanzigste März. Sie hören die Sechs-Uhr-Nachrichten. Athen. Bei einem Flugzeugabsturz in Griechenland sind gestern Nachmittag alle Passagiere und die Besatzung ums Leben gekommen.«

Schweißgebadet schreckte ich hoch. Den Rest der Radiomeldung vernahm ich nur mehr mit halbem Ohr. Wochenlang schon verfolgte mich die Szene mit dem Unfall des Unbekannten nun im Schlaf.

Zuerst hielt ich es für einen ganz gewöhnlichen Albtraum. Doch nachdem er immer und immer wiederkehrte, begann ich langsam zu grübeln, welche Bedeutung ich diesem Traum zumessen sollte. Es war doch sicher nicht normal, alle paar Wochen dasselbe zu träumen?

»Guten Morgen, meine Schöne.« Jens küsste mich zärtlich auf die Wange und riss mich aus meinen Grübeleien. »Ist alles in Ordnung mit dir? Woran denkst du?« Prüfend sah er mich an.

Nach drei Jahren kannte Jens mich so gut, dass ich ihm nichts vormachen konnte. Doch so sehr ich ihn auch liebte, Jens war ein zu großer Realist, um zu verstehen, wie man sich von einem Traum aus der Ruhe bringen lassen konnte. Darum schwindelte ich ihm Kopfschmerzen vor.

Er sah mich verständnisvoll an und fuhr sanft mit der Kuppe seines Zeigefingers über meine Stirn. »Die hast du in letzter Zeit aber oft. Du solltest das abklären lassen.«

Es war süß, wie er sich um mich sorgte, und es machte mir ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn anschwindelte.

»Vielleicht trinke ich einfach zu wenig«, beschwichtigte ich ihn. »Bestimmt kommt es daher.«

Jens stand auf und kam gleich darauf mit einem Glas Wasser aus der Küche zurück, das er mir reichte. Ich nahm es entgegen, trank und gab ihm das Glas zurück. Er stellte es am Boden neben dem Bett ab und schlüpfte zurück unter die Decke.

»Besser?«, fragte er mich.

»Viel besser. An diesen Service könnte ich mich gewöhnen«, fügte ich hinzu.

Jens sah mich an. »Ich weiß. Ich möchte auch viel lieber jeden Morgen neben dir aufwachen als neben meinen schnarchenden Kollegen.« Er lachte. »Aber wir wissen beide, dass das nicht geht. Noch nicht«, ergänzte er.

Ich nickte. Jens hatte damit einen wunden Punkt in unserer Beziehung angesprochen.

Dass wir nicht immer zusammen sein konnten, lag nicht daran, dass ich als Flugbegleiterin viel unterwegs war, sondern dass Jens als Projektleiter für eine Baufirma im Ausland arbeitete. Sie errichteten eine riesige Hotelanlage mit Haupt- und Nebengebäuden auf Teneriffa. Dazu Appartements für die Angestellten und eine großzügige Freizeitanlage für die Gäste. Wenigstens zwei Jahre würde es dauern, bis dieser Auftrag abgeschlossen werden konnte. So lange mussten wir noch eine Fernbeziehung führen, in der Jens nur jeweils für ein Wochenende im Monat nach Deutschland kam. Zu mir und auch weil er zum Hauptsitz der Firma musste. In der restlichen Zeit arbeitete er fast rund um die Uhr und hauste zusammen mit ein paar Kollegen in einer Container-Anlage, um jeden Cent für unsere gemeinsame Zukunft zur Seite legen zu können. Er tat mir leid, weil er für uns auf jeglichen Luxus verzichtete. Darum versuchte ich, ihm die wenige Zeit, die wir gemeinsam verbringen konnten, so schön wie möglich zu gestalten. Und natürlich nutzte ich die Zeit, die ich Strohwitwe war, flog, sooft es ging, und knauserte, um ebenfalls möglichst viel zur Seite legen zu können. Wir wussten ja beide, wofür wir es taten und dass diese Zeit in zwei Jahren hoffentlich vorbei sein würde. Es war gut, dass wir beide unsere Arbeit liebten. Beide schätzten wir die Abwechslung, beide reisten wir gerne und interessierten uns für fremde Länder und ihre Kulturen. Darum stand es auch nie zur Debatte, vorzeitig daran etwas zu ändern, solange es nicht unbedingt notwendig war. Und so bestand unser Glück aus den wenigen Stunden im Monat, die wir zusammen verbrachten, und unzähligen Telefonaten während der restlichen Zeit. Wobei auch diese immer nur kurz und unregelmäßig waren. Jens konnte mich nur aus seinem Bürocontainer anrufen, und auch nur, wenn er dort alleine war. In seiner Unterkunft gab es kein WLAN.

»Ich springe mal eben kurz unter die Dusche«, sagte ich rasch, als ich spürte, dass sich der bevorstehende Trennungsschmerz anbahnte. Gegen den war ich machtlos. »Setzt du schon mal den Kaffee für uns auf?«

Jens brummte zustimmend, kuschelte sich jedoch noch tiefer unter die Bettdecke.

Spaßhaft zwickte ich ihn in die Seite. »Hey Schlafmütze, aufstehen, Frühstück machen, los, los!«

»Sklaventreiberin!«, grummelte er, jedoch gespielt, streckte sich ausgiebig und verschwand kurz darauf nackt in Richtung Küche.

Ich hörte Geschirr klappern und verzog mich ins Bad. Dort betrachtete ich mich im Wandspiegel. Meine Figur war nicht schlecht, nur die kurzen braunen Haare standen mir wie üblich am Morgen in alle Himmelsrichtungen vom Kopf ab. Resignierend zuckte ich die Schultern und drehte das Wasser in der Dusche auf. »Ich kenne dich zwar nicht, aber ich wasche dich trotzdem!«, sagte ich zu meinem Spiegelbild, während ich zur Zahnbürste griff. Heißer Wasserdampf beschlug bereits das Glas, als ich unter die Dusche trat. Wenige Augenblicke später fühlte ich mich bedeutend besser. Das warme Wasser trug zunehmend zu meiner Entspannung bei. Ich quetschte ordentlich Gel auf die Duschblume und begann, damit in kreisenden Bewegungen meinen Körper abzureiben.

»Ich liebe diesen Duft an dir. Granatapfel, hmm.« Jens’ dunkle Stimme drang sanft in mein Ohr. Völlig unbemerkt war er ins Bad gekommen und zu mir unter die Dusche geschlüpft. Zärtlich umarmte er mich von hinten. Er nahm mir das schäumende Knäuel ab und seifte mich langsam damit ein. Dabei fuhren seine weichen Hände sanft die Rundungen meines Körpers nach.

Ich schmiegte mich an ihn. Er fühlte sich herrlich warm an, kuschelig und sehr männlich. Die Bilder des Albtraums der letzten Nacht verblassten. Sanft biss er mich in den Nacken. Mein ganzer Körper wurde von einer Gänsehaut überzogen. Langsam drehte ich mich zu ihm um und küsste ihn lang und innig.

»Ich fürchte, wir müssen jetzt wirklich aufstehen«, sagte ich leise, den Kopf an sein Schlüsselbein gelegt. »Sonst musst du ohne Frühstück los und das möchte ich nicht.« Ich seufzte traurig.

Fraglos waren wir nach der morgendlichen Dusche wieder im Bett gelandet.

»Das nehme ich gerne in Kauf. Mir reicht ein Kaffee und den bekomme ich auch im Flieger. Auch wenn die Flugbegleitung, die ihn mir servieren wird, sicher nur halb so attraktiv ist wie du«, zwinkerte er mir zu.

»Tja, um meinen Kaffee zu bekommen, müsstest du morgen früh nach Stockholm fliegen«, gab ich feixend zurück.

»Ein verlockender Gedanke.« Jens tat kurz so, als würde er darüber nachdenken. »Aber in Spanien scheint definitiv mehr Sonne und wärmer ist es auch. Da befasse ich mich viel lieber jetzt noch ausgiebig mit dir, in der kurzen Zeit, die uns noch bleibt.« Dann drehte er sich auf mich und verschloss mir den Mund mit einem Kuss.

Es wurde ein sehr kurzes Frühstück, denn wir nutzten die Zeit bis zu seiner Abreise wirklich ausgiebig. Schließlich würden nun wieder viele Tage völliger Abstinenz und Sehnsucht vor uns liegen.

Ich war verrückt nach diesem Mann, der so mir nichts, dir nichts in mein Leben geflogen war. Noch nie in meinem ganzen, nun schon vierunddreißig Jahre andauernden Leben hatte ich mich wohler gefühlt. Jens war mein absoluter Traummann.

Schneller als mir lieb war, hieß es Abschiednehmen. Mittlerweile gewohnt, fiel es mir trotzdem immer noch schwer, ihn für so lange Zeit gehen zu lassen.

Jens stand schon reisefertig im Flur, als der Taxifahrer klingelte, der ihn zum Flughafen bringen sollte. Diesen Luxus gönnten wir uns, denn er bescherte uns mindestens eine Stunde mehr Zeit zusammen, als wenn er die öffentlichen Verkehrsmittel nahm.

Vom Fenster aus warf ich ihm eine Kusshand zu, während ich tapfer die aufsteigenden Tränen unterdrückte. Ein lieb gewonnenes Abschiedsritual und Jens erwiderte es, indem er sich mit zwei Fingern die Schläfe tippte. Ich seufzte und sah dem Wagen nach, bis er meinem Blickfeld entschwand.

Es war noch nicht einmal Mittag. Am Abend war ich mit Tine bei Freddy und seinem derzeitigen Lebensabschnittsgefährten zum Essen eingeladen. Bis dahin hatte ich noch jede Menge Zeit, die ich alleine totschlagen musste. Als Erstes fing ich damit an, das Frühstücksgeschirr zu spülen. Anschließend putzte ich das Bad, saugte die Wohnung und widmete mich als Letztes dem Schlafzimmer. Das Bett war immer noch warm. Ich nahm das Kissen und umklammerte es mit den Armen. Tief drückte ich meine Nase hinein und schnupperte daran. Es roch nach Jens.

Eigentlich wollte ich heute die Bezüge waschen. Ich ließ keine Sentimentalität aufkommen, riss ich mich am Riemen. Er kommt ja wieder. In vier Wochen. Oh mein Gott. Vier lange, einsame Wochen. Fast dreißig einsame Nächte. Resolut zog ich die Bettwäsche ab und verstaute sein Kissen in der Kommode. Dann packte ich die ganze Schmutzwäsche in einen Wäschekorb und machte mich damit auf den Weg in den Waschkeller. Vor der Wohnungstür im ersten Stock blieb ich stehen und klingelte.

Frau Schubert öffnete die Tür. Sie lächelte freundlich, als sie mich erkannte. »Na Kindchen, sind Sie wieder alleine?«

Sie kannte Jens und wusste, dass wir in einer Fernbeziehung lebten. Und gewiss hatte sie das Taxi vorhin gesehen.

Die nette alte Dame und ich waren seit meinem Einzug vor fünf Jahren Nachbarn. Anfangs hatten wir uns nur kurz gegrüßt, wenn wir uns zufällig über den Weg gelaufen waren. Mit der Zeit waren kleinere Gespräche entstanden und als ich mich einmal ausgesperrt hatte und den Schlüsseldienst anfordern musste, bot sie mir an, für den Fall der Fälle einen Ersatzschlüssel bei ihr zu hinterlegen. Das tat ich liebend gern. Und es war auch sehr praktisch, denn Jens besaß keinen eigenen Schlüssel. Er hatte immer Angst, ihn in Spanien zu verlieren, und Frau Schubert war praktisch immer da. So konnte er jederzeit in die Wohnung, wenn ich unterwegs war. Im Gegenzug überließ mir Frau Schubert ihren Reserveschlüssel, sollte ihr etwas zustoßen. Ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen konnte und umgekehrt. Frau Schubert gehörte auch nicht der Sorte Frauen an, die während der Abwesenheit in fremden Sachen schnüffelten. Und es war tatsächlich auch schon vorgekommen, dass ich sie vom Flughafen aus anrief, weil ich dachte, der Herd wäre an.

»Ja leider«, bestätigte ich ihre Frage. »Weswegen ich da bin. Ich weiß, dass Sie heute eigentlich Waschtag haben, aber ich muss morgen früh wieder los und komme erst am Dienstag zurück. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mit mir zu tauschen?«, bat ich sie.

Frau Schubert lachte. »Denken Sie, eine alte Frau wie ich hat so viel Wäsche, dass die Maschine den ganzen Tag läuft? Waschen Sie nur, so lange und viel Sie wollen. Ich habe nur ein paar Handtücher. Das rentiert sich für mich sowieso nicht. Und die Kleidung sammle ich noch bis zum nächsten Waschtag, damit die Maschine voll wird. Sonst wäre es die reinste Verschwendung.«

»Vielen Dank. Sie sind ein Schatz.« Etwas Weiches strich um meine Beine. Ich sah nach unten. Eine große, wuschelige Katze rieb ihren Kopf an meiner Wade. »Sie ist so eine Schönheit«, sagte ich, stellte den Wäschekorb ab und ging in die Hocke. Vorsichtig kraulte ich die Katze unter der Kehle, was sie sich mit einem wohligen Schnurren gefallen ließ.

»Sie mag Sie«, sagte Frau Schubert. »Nicht wahr, Poupette?« Sofort machte die Katze kehrt und stellte sich neben ihr Frauchen.

»Und wie wohlerzogen sie ist«, bemerkte ich nicht ohne Bewunderung.

Statt einer Antwort streichelte Frau Schubert ihrem Liebling den Rücken. Sie richtete sich wieder auf.

»Einen schönen Sonntag noch, Frau Schmidt.«

»Warten Sie.«

Frau Schubert stutzte.

»Ich habe ja eigentlich auch nicht so viel Wäsche. Wenn Sie möchten …« Ich zögerte. War es dumm, ihr diesen Vorschlag zu unterbreiten? Egal, nun hatte ich den Satz schon begonnen.

»Also was ich sagen wollte …«

»Ja?« Fragend sah sie mich an.

»Ich habe mir gerade gedacht, wir könnten unsere Wäsche ja auch gerne zusammenwerfen. Also nur, wenn Sie es möchten. Ich bekomme die Maschine auch nicht ganz voll. Und es wäre überhaupt kein Aufwand für mich.«

Sie sagte nichts. Dann lächelte sie plötzlich. »Das ist wirklich überaus nett von Ihnen. Vielleicht die Handtücher, wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht. Den Rest erledige ich nächste Woche. Das Waschen selbst macht mir ja nichts aus, aber die Tücher müffeln doch sehr, wenn sie zu lange liegen, und ich hänge sie immer nass auf den Balkon. Das kommt billiger, als den Trockner anzuwerfen. Trotzdem bin ich jedes Mal froh, wenn ich den schweren Korb mit den nassen Sachen die Treppen hochgeschleppt habe.«

»Das kann ich doch für Sie machen«, bot ich ihr spontan an.

»Ich muss mich doch auch noch ein bisschen bewegen und die Treppen sind sozusagen meine Gymnastik«, lachte Frau Schubert.

»Dann sagen Sie mir nächstes Mal Bescheid und wenn Sie mit dem Waschen fertig sind, trage ich für Sie die Sachen nach oben.«

»Darauf komme ich bestimmt irgendwann gerne zurück.« Die alte Dame freute sich. »Und nun hole ich Ihnen schnell die paar Tücher. Sie sind ein Engel.«

Kapitel 2

»Ist er weg?« Tine öffnete mir im Bademantel die Wohnungstür. Die Zahnbürste steckte ihr noch zwischen den Zähnen. Ihr frisch gewaschenes Haar verbarg sich unter einem türkisen Handtuchturban. Ich folgte ihr ins Bad.

»Wieso bist du noch nicht fertig angezogen?«, rügte ich sie und sah auf meine Armbanduhr. Wir waren um achtzehn Uhr mit Freddy verabredet und der hasste Unpünktlichkeit. Jetzt war es halb sechs.

»Gib mir fünf Minuten.« Tine spukte geräuschvoll die Zahnpaste ins Waschbecken. Sie schlüpfte aus dem Bademantel und streifte ein paar hautenge dunkle Jeans über. Dazu wählte sie einen dünnen cremefarbenen Pulli. Überrascht bemerkte ich die teuren Dessous, die sie trug.

»Hast du heute noch was vor?«

Sie grinste mich entschuldigend an, ohne auf meine Frage einzugehen, aber ihr Blick sprach Bände.

Ich setzte mich indes auf den Rand ihrer Badewanne und checkte meine Mails. Jens hatte mir gleich nach der Landung geschrieben, dass er gut angekommen war. Das machte er immer so. Ich antwortete mit einem Kussmund-Emoji und hoffte, dass es ihn noch erreichte, bevor er kein Netz mehr hatte.

Tine hatte in der Zwischenzeit etwas Make-up aufgelegt. »Muss Liebe schön sein«, witzelte sie und sah mich vom Spiegel aus an.

»Nur keinen Neid. Wer hat, der hat!«

»Gott bewahre«, entgegnete sie entsetzt. »Lieber gar keinen Mann als so eine verkorkste Beziehung wie eure.«

»Ha, ha, ha, das ist ja wohl der Witz des Jahres. Ich glaube, dass du im letzten Jahr wesentlich mehr Sex hattest als Jens und ich«, zog ich sie auf.

Tine schoss prompt zurück: »Was ja nicht besonders schwierig ist, wenn man sich nur zwei Tage im Monat sieht.«

Ich ergab mich. »Waffenstillstand.« Für eine Debatte über meine Beziehung fehlte mir gerade jegliche Lust und Energie.

Tine drehte sich vom Waschtisch weg und neigte den Kopf nach unten. Sie öffnete den Turban, rubbelte sich kurz damit die Haare und schüttelte sie einmal durch. Dann griff sie zum Föhn und blies sie damit trocken. Zwischendurch knetete sie mit der Hand ein wenig ihre Locken durch. Das Ganze dauerte nur wenige Minuten.

Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel. »Perfekt. Wir können los.«

Ich seufzte. Es war unfair, dass manche Menschen mit nur wenigen Handgriffen aussahen wie aus dem Ei gepellt, wohingegen andere, sprich: ich, eine Ewigkeit dafür brauchten, um auch nur einigermaßen passabel auszusehen. Tine gehörte eindeutig zur ersten Gattung.

Freddys Wohnung lag nur wenige U-Bahn-Stationen von Tines entfernt. Normalerweise war diese Strecke leicht zu Fuß zu bewältigen, da wir nun aber doch ein wenig spät dran waren, wählten wir die Bahn.

»Wie schön, dass ihr da seid, ihr Süßen! Kommt rein, kommt rein.« Freddy wischte sich geschäftig die Hände an seiner Kochschürze ab, die aussah, als habe er sie eben erst angelegt, und begrüßte uns in seiner gewohnt überschwänglichen Art mit Küsschen links und rechts. »Das Essen ist sofort fertig.«

Ich wickelte die Blume aus, die ich auf dem Weg zu Tine für ihn besorgt hatte, und überreichte Freddy das Arrangement einer weißen Amaryllis mit einem großen, grünen Anthuriumblatt.

Er strahlte uns entzückt an. »Auch noch Blumen. Das wäre doch nicht nötig gewesen. Nun kommt herein, meine Süßen.« Mit großer Geste führte er uns ins Zimmer. »Kläuschen, kommst du, unsere Gäste sind da!«, flötete er durch den Flur. Dann wandte er sich wieder an uns. »Tut mir leid, ihr Süßen, aber ich muss fix zurück an den Herd, sonst war alles für die Katz’. Setzt euch schon mal, und nehmt euch bitte was zu trinken. Ich brauche noch zehn Minütchen, dann bin ich wieder bei euch. Kläuschen!! Besuch!!« Diesmal verlieh er seinem Ruf etwas mehr Nachdruck. Dann verschwand er eilig mit seiner Blume in die Küche.

Wir setzten uns an den Tisch. Freddy hatte eingedeckt wie für ein Festmahl im Königshaus. Weißes Porzellan, Silberbesteck und Stoffservietten. In zwei silbernen Leuchtern steckten neue, weiße Tafelkerzen. Rotwein- und Wassergläser standen exakt platziert, fast wie ausgemessen parat. Der dazugehörige Wein leuchtete tiefrot in einer bauchigen Karaffe.

»Es duftet himmlisch!«, rief ich in Richtung Küche. »Was gibt es denn?«

»Lass dich überraschen!«, schallte es von dort zurück.

Egal, was es gab, ich freute mich auf den Abend. Unser Freund war ein begnadeter Hobbykoch. In fast regelmäßigen Abständen lud er Tine und mich zu sich ein. Vor allem dann, wenn er wieder irgendwo ein neues Rezept entdeckt hatte, das er unbedingt ausprobieren wollte, oder wenn er etwas Besonderes ergattert hatte. Und es gab kaum etwas, was bei ihm nicht schmeckte.

Freddy scheute sich nicht davor, exotische Rezepte auszuprobieren, hatte aber gleichermaßen ein Faible für bodenständige Hausmannskost. Früher war auch Jens mit eingeladen. Gerade zu Beginn unserer Beziehung hatten wir oft zusammen mit meinen Freunden etwas unternommen. Doch mit den Jahren zogen wir uns immer mehr zurück. Jens wollte seine kostbare Freizeit mit mir allein verbringen.

Freddy hatte dafür vollstes Verständnis und passte seine Kochabende unserem Turnus an.

Tine nahm es nicht ganz so gelassen, musste sich aber fügen.

Freddy steckte den Kopf durch die Tür und blickte verwundert auf unsere leeren Gläser. »Ihr habt euch ja noch gar nichts eingeschenkt. Nehmt euch doch schon mal ein Glas Rotwein. Den habe ich letzte Woche im Duty-free-Shop in Lyon erstanden. Direkt aus Frankreich, extra für heute Abend eingeflogen.« Er zwinkerte uns verschmitzt zu. »Wenn er gut ist, hole ich nächsten Monat Nachschub. Kläuschen hat ihn vor einer halben Stunde dekantiert, damit er ausreichend atmen kann. Wo steckt der überhaupt?« Suchend sah er sich um, doch bevor wir etwas erwidern konnten, war Freddy auch schon wieder verschwunden. »Klaus! Kommst du jetzt endlich? Wir essen gleich!«

Dass Freddy die Koseform vermied, war kein gutes Zeichen. Die beiden Männer waren erst seit wenigen Monaten ein festes Paar.

Tine und ich zweifelten anfangs daran, dass sie gut zusammenpassen würden. Freddy, der extrovertierte Paradiesvogel mit seinem pedantischen Ordnungswahn, und Klaus, der eher bieder wirkende Versicherungsvertreter, der manchmal etwas unsortiert auf uns wirkte. Doch die beiden harmonierten ausgesprochen gut miteinander, und vielleicht waren es genau diese Gegensätze, die beide brauchten, um glücklich zu sein. Nach wenigen Wochen zog Klaus bei Freddy ein. Auch hier warteten Tine und ich vergeblich auf den großen Knall.

Heute jedoch schien Ärger in der Luft zu liegen, wenn man auf die Zwischentöne achtete, sobald Freddy seinen Namen rief.

»Entschuldigt bitte.« Klaus betrat leicht gehetzt das Wohnzimmer. »Ich musste unbedingt noch etwas fertig machen. Das Angebot musste heute noch raus, sonst springt mir der Kunde ab.«

Tine stand auf und küsste Kläuschen auf die Wange. »Du musst dich doch vor uns nicht rechtfertigen.«

»Wir sind ja noch gar nicht lange hier«, fügte ich beschwichtigend hinzu und begrüßte ihn ebenfalls.

»Wein?« Er hielt auffordernd die Karaffe hoch.

»Gerne«, erwiderte ich.

Kläuschen legte fachmännisch eine Serviette um den Hals der Karaffe und schenkte ein. »Darf ich dir auch Wein eingießen?«, rief er Freddy zu.

Statt einer Antwort hörte man eifriges Scheppern der Töpfe. Klaus blieb abwartend stehen und warf uns einen belustigten Blick zu. Gerade, als er die Karaffe zurückstellen wollte, kam Freddy mit einer großen, dampfenden Platte ins Zimmer.

»Natürlich sollst du mir auch Wein eingießen, was für eine Frage. Aber nimm eine Serviette, damit du nicht wieder rumkleckerst.«

Klaus’ Lächeln erstarb. Demonstrativ hielt er seinem Partner den Dekanter entgegen und zeigte auf den Tropfschutz. Wortlos goss er ihm ein.

»Piccata vom Schwein mit einer herrlich cremigen Bramata, dazu grüne Bohnen im Speckmantel«, verriet Freddy, was er Feines für uns gekocht hatte, und stellte die Servierplatte mittig auf den Tisch. Eilig huschte er zurück in die Küche, kam jedoch sofort mit einer Sauciere zurück. »Dazu eine absolut göttliche Morchel-Soße a la Hugo«, schwärmte Freddy. »Ihr werdet es lieben«, prophezeite er uns.

Das stand ohne Zweifel. Es duftete absolut verführerisch. Freddy legte jedem eine schöne Portion auf den Teller.

»Lasst es euch schmecken. Einen guten Appetit allerseits.«

Während des Essens unterhielten wir uns über den Flugplan der nächsten Woche. Kläuschen blieb dabei ziemlich wortkarg. Normalerweise beteiligte er sich an unseren Gesprächen, interessierte sich für die Maschinen, die Destinationen oder was auch immer. Heute saß er eher schweigsam daneben, redete nur, wenn er etwas gefragt wurde.

»Und, was machst du diese Woche, Klaus, wenn Freddy unterwegs ist?«

Bevor Klaus antworten konnte, schnitt Freddy ihm bereits das Wort ab und übernahm das Reden für ihn: »Ach was soll er schon großartig machen ohne mich. Er langweilt sich vermutlich zu Tode. Mein Kläuschen kann sich ja noch nicht einmal selbst etwas zu essen machen.«

»Ja, es grenzt fast an ein Wunder, dass ich die letzten fast fünfzig Jahre meines Lebens ohne Freddy überleben konnte«, ergänzte Klaus ironisch.

Freddy bemerkte den Unterton nicht. »Gut, wenn man eine Mutter hat, nicht wahr?«

»Ich hatte auch schon vor dir Beziehungen, mein Liebling. Und stell dir vor, darunter gab es tatsächlich Männer, die ebenfalls kochen konnten.«

Freddy winkte unbeeindruckt ab. »Aber sicher nicht so gut wie ich. Schmeckt es euch?«

»Diese Morchel-Soße ist wirklich der absolute Hammer«, schwärmte ich und tunkte den letzten Rest mit einem Stück Weißbrot aus meinem Teller. »Findest du nicht auch?«, wandte ich mich an Klaus, um dem Gespräch wieder eine positivere Wendung zu geben. Außerdem hatten wir uns bisher fast ausschließlich über unsere Arbeit unterhalten und Klaus war dabei sehr stumm gewesen. Ich konnte mir denken, dass er es als einziger »Nichtflieger« in dieser Runde nicht einfach hatte.

»Hm, ja, ganz köstlich«, erwiderte er knapp, ohne den Blick vom Teller zu heben.

»Du kannst auch ruhig, ohne dass man dich danach fragen muss, sagen, dass es dir schmeckt!«, monierte Freddy.

»Man kommt bei dir ja kaum zu Wort.«

Freddy legte die Gabel beiseite, tupfte sich mit seiner Stoffserviette die Mundwinkel und blickte seinen Lebensgefährten erwartungsvoll mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Klaus seufzte tief. »Es schmeckt sehr gut. Vielen Dank für dieses köstliche Mahl, lieber Freddy.« Sein Lächeln wirkte wie eine Grimasse.

Freddy nickte huldvoll. »Na bitte, geht doch.« Dann deutete er mit dem Zeigefinger auf Klaus’ Teller. »Und gekleckert hast du auch wieder!«, tadelte er. »Nun guck mal, wie das Tischtuch aussieht.«

Tine warf mir einen schnellen Blick zu und räusperte sich vernehmlich. »Mir ist leider auch ein kleines Missgeschick passiert, Freddy, tut mir leid.«

»Nicht so schlimm, mein Liebchen. Ich hätte sie ja sowieso gewaschen.« Dabei tätschelte er ihr liebevoll die Hand.

Man merkte Klaus die aufsteigende Wut an, trotzdem aß er stumm weiter.

Um die angespannte Stimmung aufzulösen, fragte ich: »Wer ist eigentlich dieser geheimnisvolle Hugo?«

»Hugo!?«, rief Freddy entzückt aus. »Hugo ist ein ganz wunderbarer Koch. Er ist mit uns geflogen, vor vier Wochen, von Valencia nach München. Er war vor einigen Jahren Chefkoch im lè petit cuisine in Zürich. Ich war dort einmal ganz zufällig mit Kollegen zum Essen. Da habe ich diese Soße schone einmal gegessen. Ich habe ihn natürlich sofort wiedererkannt, als ich ihn in der Maschine sah, und habe ihn angesprochen. Das hat ihn sehr gefreut. Er war mit drei Leuten eines Fernsehteams unterwegs. Sie haben zusammen Filmaufnahmen für eine Kochshow gemacht. Zuerst in Spanien, danach folgen noch welche in der Schweiz. Ein sehr interessanter Mann ist das, leider hetero! Der hätte mir sonst gefährlich werden können. Wie sagt man, die Liebe geht durch den Magen«, zitierte er.

Ich bemerkte, dass Klaus bei Freddys enthusiastischen Schilderungen von diesem Ausnahmekoch die Zähne zusammenbiss. Seine Wangenknochen traten stark hervor. Als spüre er meinen Blick, sah er auf und griff dann nach seinem Weinglas.

Ich lächelte ihm mitfühlend zu. Freddy plapperte manchmal sehr unüberlegt vor sich hin. Ich glaube, es war ihm gar nicht bewusst, dass er mit seinem Gerede andere Menschen verletzen konnte.

»Er hat mir dann tatsächlich das Rezept für diese göttliche Soße verraten, als ich ihn darauf ansprach. Natürlich topsecret, das versteht sich. Aber ich darf mich jederzeit bei ihm melden, hat er gesagt und mir seine Nummer gegeben.« Freddy zwinkerte uns verschwörerisch zu. »Ich habe heute einen riesigen Topf voll Soße gekocht, obwohl Morcheln so was von teuer sind. Aber ich wollte das Rezept natürlich sofort ausprobieren und sehen, ob es genauso schmeckt wie damals in Zürich. Außerdem hat Hugo davon geschwärmt, dass es seine Lieblingssoße ist. Und was soll ich sagen, ich hatte Glück. Ich habe diese Pilze tatsächlich zu einem Spitzenpreis im Internet bekommen. Wenn ihr lieb seid gebe, ich euch was von der Soße mit nach Hause.« Er war ganz in seinem Element.

»Für mich nicht«, sagte Tine schnell. »Ich habe heute noch eine Verabredung. Aber sie ist ehrlich superlecker!«

»Und ich bin die nächsten Tage unterwegs«, lehnte ich entschuldigend ab. »Aber Klaus wird sich bestimmt darüber freuen«, ergänzte ich mit einem vorsichtigen Seitenblick auf Klaus.

»Um Himmels willen. Hast du eine Ahnung, wie viel Sahne in dieser Soße ist. Keine Ahnung, wie Hugo das macht, wo er doch ständig probieren muss, aber der ist gertenschlank. Und mein Kläuschen setzt auch so schon etwas Speck an. Die Kalorien von heute reichen für die ganze Woche. Ab morgen ist bei ihm wieder Diät angesagt. Nein, nein, Schätzchen, ich pack dir die Soße in eine Schale, dann kannst du sie auch einfrieren. Wenn dein Jens das nächste Mal nach Hause kommt, musst du nur noch ein paar Nudeln kochen, fertig. Sie schmeckt nämlich auch ganz hervorragend zu Spaghetti. Dazu ein schöner Weißwein. Perfekt!«

Ich glaube nicht, dass er seinen Partner absichtlich provozieren wollte, doch die Art und Weise, wie er auf seine Figur anspielte und gleichzeitig von einem anderen Mann schwärmte, brachte bei Klaus das Fass zum Überlaufen. Geräuschvoll schob er den Stuhl nach hinten und erhob sich vom Tisch.

»Ihr entschuldigt mich?«, wandte er sich an Tine und mich. »Ich habe noch einiges an Arbeit zu erledigen.« Seinen Partner würdigte er keines Blickes.

»Du kannst zumindest deinen Teller abräumen! Ich habe schließlich den ganzen Abend in der Küche gestanden und gekocht. Es wäre schön gewesen, wenn du wenigstens den Abwasch übernommen hättest, aber bitte, wenn du noch arbeiten musst, lass dich von mir nicht aufhalten. Dann mach ich das eben auch noch alleine«, beschwerte sich Freddy wie eine beleidigte Hausfrau.

»Lass mal, Klaus«, ging ich schnell dazwischen. »Ich helfe Freddy dabei. Ich mach’ das wirklich gerne. Zu Hause wartet niemand auf mich, also habe ich jede Menge Zeit und so kann ich mich wenigstens ein bisschen für das leckere Essen revanchieren.«

Klaus lächelte mich flüchtig an. Dann stapelte er sein benutztes Geschirr und verschwand wortlos in der Küche.

Freddy atmete genervt aus.

»Es macht mir wirklich nichts aus, dir zu helfen«, beteuerte ich. »Im Gegenteil, eigentlich habe ich noch gar keine Lust, nach Hause zu gehen. Die erste Nacht ohne Jens ist für mich immer besonders schlimm, weil ich weiß, dass es jetzt wieder ewig dauert, bis wir uns wiedersehen. Zumindest kommt es mir wie eine Ewigkeit vor und mein Bett fühlt sich so leer an.«

Freddy tätschelte mir mitfühlend den Handrücken.

»Also ich gehe davon aus, dass mein Bett heute auch leer bleibt.« Tine checkte kurz ihr Handy. »Aber alleine schlafen werde ich trotzdem nicht.« Sie zwinkerte uns zu. »Ihr seid mir nicht böse, wenn ich mich jetzt verabschiede?«

Wir verneinten.

Sie küsste Freddy auf die Wange und warf mir eine Kusshand zu. »Danke für das wunderbare Essen.« Dann war sie weg.

»Da waren es nur noch zwei.« Ich prostete Freddy mit meinem fast leeren Weinglas zu.

»Noch ein Schlückchen?« Er hielt die Karaffe hoch.

»Lass uns zuerst den Abwasch erledigen. Sonst bin ich zu müde, um noch irgendetwas zu tun.«

Freddy fing bereits an, das schmutzige Geschirr abzuräumen. »Wie gesagt, ich hatte ja gekocht. Es wäre Kläuschens Part gewesen aufzuräumen.«

»Lass ihn doch, wenn er noch arbeiten muss.«

»Wer’s glaubt!«

»Dicke Luft bei euch?«

Freddy winkte ab. »Das Übliche. Wir streiten in letzter Zeit ziemlich oft. Auch weil ich finde, dass es an der Zeit ist, seine Familie kennenzulernen, aber Kläuschen will sich damit noch Zeit lassen. Ich frage mich wozu. Wir sind ein Paar, wir wohnen zusammen, da ist es doch völlig normal, wenn wir einen Schritt weiter gehen.«

»Du hast ihn heute ein paarmal ziemlich provoziert«, warf ich vorsichtig ein.

»Er ist sich meiner viel zu sicher. Es schadet nicht, wenn er weiß, dass es außer ihm noch andere Männer gibt, die ich gut finde. Auch wenn die leider auf Frauen stehen.«

»Mich würde es verletzen, wenn Jens in meiner Gegenwart von anderen Frauen schwärmen würde.«

»Vielleicht ist es ihm doch nicht so ernst mit uns, wie ich geglaubt habe. Oder er schämt sich für mich.«

»Das ist doch totaler Unsinn, und du weißt das auch. Du bist ein ganz toller Mensch. Klaus liebt dich. Hör auf damit, dir so etwas einzureden. Er wird seine Gründe haben, warum er noch Zeit braucht. Vielleicht ist seine Familie kompliziert. Oder sie haben irgendwelche Leichen im Keller«, mutmaßte ich augenzwinkernd. »Du solltest ihm vertrauen. Das ist das Wichtigste bei einer Beziehung. Sonst läufst du Gefahr, dass es mit euch in die Brüche geht, und das täte mir echt leid.«

»Das sagt sich so leicht.«

»Schau mal, Jens und ich sind wesentlich länger zusammen als ihr beide. Ich kenne weder Kollegen von ihm noch Freunde, geschweige denn seine Mutter.«

Freddy starrte mich mit offenem Mund an. »Das ist nicht dein Ernst!«

»Mein vollster, aber dafür gibt es auch eine ganz einfache Erklärung. Seine Mutter hat Alzheimer und fürchtet sich daher vor fremden Menschen. Sie lebt ziemlich zurückgezogen in ihrem Haus in der Nähe bei Bergisch Gladbach und wird dort von einer ausländischen Pflegekraft betreut. Jens skypt einmal die Woche mit ihnen und erkundigt sich, wie es ihr geht. Manchmal klappt es ganz gut, und dann gibt es wieder Zeiten, da erkennt sie ihren eigenen Sohn nicht mehr.«

Ergriffen fasste Freddy sich an die Brust. »Gott, wie traurig.«

»Ich kann damit leben. Auch damit, dass er den ganzen Urlaub bei ihr verbringt. Er ist ihr einziger Verwandter und muss sich um alles kümmern. Vom Ausland aus ist das sehr schwierig.«

»Das könnte ich nicht aushalten. Wenn ich verliebt bin, möchte ich meinen Partner immer und überall um mich haben.«

»Hätte ich die Wahl, wäre mir das auch lieber, aber Jens hat von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Ich wusste, worauf ich mich einließ, und darum ist es für mich in Ordnung.«

Das war ein bisschen gelogen. Lächerliche zwei bis drei Tage im Monat gehörten ausschließlich mir und mittlerweile war es mir nicht mehr genug. Doch wenn ich das Thema bei Jens anschnitt, blockte er sofort ab. Solange seine Mutter lebte, musste ich ihn mit ihr teilen.

»Wer weiß, wie lange sie noch da ist«, betonte er immer, wenn ich Forderungen nach einem gemeinsamen Urlaub stellte.

Ich hätte auch kein Problem damit gehabt, ihn nach Bergisch Gladbach zu begleiten, nur um mehr Zeit mit ihm verbringen zu können. Tagsüber hätte er sich um seine Mutter und alle wichtigen Angelegenheiten kümmern können, und ich hätte ihn dabei so gut wie möglich unterstützt. Aber die Nächte hätten uns gehört. Diese Option stand für Jens jedoch nicht zur Debatte. Zu umfangreich sei der ganze Schreibkram, der sich während seiner Abwesenheit anhäufen würde. Die Abrechnungen mit dem Pflegedienst und alles andere, was zu erledigen sei. Es gab nicht die geringste Chance für mich, Jens lehnte meine Begleitung kategorisch ab. Auch weil die polnische Arbeitskraft während seines Urlaubs zu ihrer Familie in ihre Heimat reiste und er deshalb rund um die Uhr für seine Mutter verfügbar sein müsse.

Ich schluckte die Kröte und sah es ein.

Freddy war schwer beeindruckt. »Schätzchen, du bist eine Heilige. So eine Beziehung wäre mein Tod.«

Kapitel 3

»Delta zehn braucht Extension«, rief mir Tine zu.

Ich griff in eines der Ablagefächer für Gurtverlängerungen. Der Passagier in Reihe zehn war leider so beleibt, dass der normale Sicherheitsgurt nicht ausreichte, um ihn anzuschnallen. Mit dem Verbindungsstück klappte es problemlos.

»Habt ihr den Passagier auf B vierunddreißig schon gesehen? Das ist vielleicht ein schöner Mann.« Freddy kam gerade vom Kontrollgang zurück und verschloss das letzte Gepäckfach.

Tine warf ihm einen mahnenden Blick zu. Sie hatte ihn wohl gehört. Es war einer der seltenen Flüge, auf denen wir das Glück hatten, zusammen eingeteilt zu werden, und dann auch noch mit einem Overnight.

»Freddy!«, mahnte ich mit hochgezogenen Augenbrauen. »Du bist in festen Händen, also hör auf, dich für andere Männer zu interessieren.«

»Keine Sorge, bei uns ist wieder alles in Ordnung. Kläuschen hat sich letzte Woche ganz süß bei mir dafür entschuldigt, dass er beim Abendessen so schlecht gelaunt war.«

»Besonders nett warst du zu ihm aber auch nicht. Ständig hast du ihn provoziert oder versucht, ihn eifersüchtig zu machen. Eigentlich hättest du dich bei ihm entschuldigen müssen.«

Freddy blickte mich entgeistert an. »Also das sehe ich ganz anders. Klaus weiß, dass ich ihn niemals betrügen würde. Aber gucken darf man doch. Ich weiß ja auch nicht, was Klaus so treibt, wenn ich in der Luft bin. Wer sagt mir denn, dass er sich da nicht mit anderen Männern trifft?«

Ich schüttelte den Kopf. »Du redest Blödsinn.«

»Außerdem hat er sich am Sonntag unmöglich verhalten«, fuhr er daraufhin fort. »Erst lässt er mich die ganze Arbeit alleine machen, obwohl er weiß, dass wir Gäste bekommen, dann erscheint er erst zur Essenszeit auf der Bildfläche und als krönenden Abschluss kleckert er herum wie ein kleines Kind, obwohl ich mir solche Mühe mit dem Tisch gegeben habe. Da darf man doch wohl verärgert sein.«

»Ach komm. Was macht es für einen Unterschied, wer die Tischdecke einsaut? Bei Tine war es okay, bei Klaus machst du ein Fass auf?«

»Er passt einfach nie auf.«

»Es kommt auf dasselbe Ergebnis raus. Du musstest sie im Anschluss so oder so waschen. Wenn du ein Problem damit hast, lass sie das nächste Mal einfach weg. Der Tisch ist mit einem Lappen sofort wieder blitzblank gewischt.«

»Aber es sieht viel schöner aus mit weißer Tischwäsche.«

»Freddy, was ich dir damit sagen möchte, ist, dass ich glaube, ihr habt viele sinnlose Diskussionen um Nichtigkeiten. Du musst lernen, das Leben gelassener zu nehmen. Und vor allen Dingen solltest du mehr Vertrauen zu deinem Partner haben.«

»Entschuldigt bitte, wenn ich eure traute Zweisamkeit störe«, unterbrach uns Tine, »aber wir starten demnächst. Würde es euch was ausmachen, die Notfallübung durchzuführen? Eure Privatgespräche könnt ihr später führen, wenn wir gelandet sind.«

Als Kabinenchef duldete sie keine Nachlässigkeiten. Jedes Crewmitglied hatte seine Aufgabe zu erledigen und es herrschte ein striktes Zeitmanagement, das einzuhalten war. Funktionierte das nicht tadellos, bekamen selbst ihre Freunde einen rauen Ton zu hören. Allerdings trennte sie Berufliches und Privates strikt voneinander. So blieb, was im Flugzeug geschah, für gewöhnlich in der Luft.

Später, beim Verstauen der Getränkewagen, steckte mir Janine einen Umschlag zu.

»Was ist das?«

»Meine Kündigung.« Mein verdutzter Blick brachte sie zum Lachen. »Die Einladung zu meiner Hochzeit. Ich hoffe doch, du hast flugfrei?« Sie strahlte übers ganze Gesicht.

Janine war schon lange mit einem Piloten liiert, der für eine englische Linie flog. Es war absehbar, dass die beiden heiraten würden. Leider bedeutete es gleichzeitig, dass Janine in naher Zukunft bei uns aufhören würde. Somit lag sie mit dem Wort Kündigung nicht unbedingt falsch.

»Wir wünschen uns so sehr, dass das Wetter mitspielt. Wir planen nämlich ein Fest im Freien. Nichts Großes, Familie und ein paar Freunde, etwa sechzig Personen.«

Ich freute mich für sie und versprach, beim Request das Datum der Hochzeit zu berücksichtigen. Und ich musste es Jens schnellstmöglich mitteilen. Es war mir wichtig, ihn an diesem Tag dabeizuhaben.

Auch Janine und Ron hatten es nicht leicht. Die Flugpläne unterschiedlicher Gesellschaften so abzustimmen, dass genügend Zeit füreinander blieb, stellte beide oft vor eine gewaltige Herausforderung. Janine überlegte gelegentlich sogar, den Arbeitgeber zu wechseln. Nun war es also so weit. Vielleicht würde sie auch gar nicht mehr fliegen und sich stattdessen mit der Familienplanung befassen. Sie hatte mir erzählt, dass sie auch Kinder haben wollten.

Ich beneidete sie darum, dass ihr Traum nun wieder ein Stück näher rückte. Gerne hätte ich das von mir auch behauptet. Jens hatte früher immer abgeblockt, wenn ich darauf zu sprechen kam. Wir planten zwar, in ein paar Jahren ein kleines Haus zu kaufen, um endlich zusammenzuziehen. Das Thema Ehe und Kinder vermied er aber, so gut es ging. Doch meine biologische Uhr tickte unaufhaltsam. Möglicherweise war Janines Fest die passende Gelegenheit, meinem Schatz einen Denkanstoß über unsere gemeinsame Zukunft zu geben. Tine und Freddy hatten ebenfalls eine Einladung erhalten. Wir würden alle zusammen hingehen, wenn es der Flugplan erlaubte.

Jetzt musste ich nur noch Jens überreden, sein freies Wochenende auf das Datum der Vermählung zu legen, dann stand einem perfekten Fest nichts mehr im Wege. Normalerweise nahm ich mit meinem Flugplan Rücksicht auf ihn. Diesmal müsste er sich mir anpassen. Das war nur fair.

Für einen kurzen Moment erwog ich, die Hochzeit vor ihm zu verheimlichen und ihn einfach damit zu überrumpeln. Doch dann bekam ich ein schlechtes Gewissen. Jens freute sich immer so auf die Zweisamkeit mit mir, auf das Kuscheln und die langen, zärtlichen Nächte. Ich würde ihm damit die ganze Freude nehmen und auch die Entspannung, die er so dringend brauchte, wenn er nach Hause kam. Und sicher hätte er dann auch nicht die passende Kleidung für so einen Anlass dabei.

Ich drückte Janine kurz an mich und ließ die Einladung in der Innentasche meines Blazers verschwinden, ehe Tine mich erneut tadeln konnte. Sobald wir in Kairo gelandet waren und das Flugzeug verlassen hatten, schickte ich Jens eine Sprachnachricht, dass es wichtige Neuigkeiten gab, die ich dringend mit ihm zu bereden hätte.

Kaum hatte ich das Handy weggelegt, rief er zurück.

»Hey du, was ist los?«

»Ich hatte nicht erwartet, dass du Zeit hast, um die Nachricht abzuhören. Wie geht es dir?«

»Wir sind gut im Zeitplan, trotzdem jede Menge Arbeit. Ich bin gerade auf dem Weg in den Bürocontainer, um mir einen Kaffee zu holen, dann muss ich sofort zurück zur Baustelle. Du klangst so aufgeregt, ist etwas passiert?«

»Ich habe heute etwas Wunderschönes erfahren, eine tolle Neuigkeit!«, rief ich aufgedreht in den Hörer.

Jens war zunächst verstummt. Ich dachte erst, die Verbindung sei unterbrochen, dann vernahm ich ein zögerliches: »Okay?«

Ich weiß nicht, was mich in diesem Moment ritt, doch mit einem Mal bekam ich Lust, ihn ein wenig auf die Schippe zu nehmen. Wie würde seine Reaktion ausfallen, wenn er nicht sofort erfuhr, dass diese Neuigkeit die Einladung zu einer Hochzeit war? Es gab auch andere Ereignisse, die eine Frau, sprich: ich, als »wunderschön« empfinden konnte, eine Schwangerschaft zum Beispiel. Ich wäre vor Glück außer mir, wenn ich von Jens ein Kind erwarten würde. Ich drückte mich daher absichtlich zweideutig aus, um zu sehen, was passierte. »Es ist etwas, dass uns beide betrifft.«

Am anderen Ende herrschte absolute Stille. Jens hatte es wohl die Sprache verschlagen, darum fuhr ich fort: »Rate doch mal. Kannst du dir nicht denken, was es sein könnte?«

Er räusperte sich. »Öhm – Sophie …« Er stockte mit der Antwort. Ich sah ihn direkt vor mir, wie er sich gerade nervös mit der Hand durchs Haar fuhr. Das machte er immer, wenn er überfordert oder verunsichert war. »Ich habe jetzt echt keine Zeit zum Rätselraten. Wie gesagt«, er räusperte sich wieder, »ich muss gleich wieder zurück zum Bau. Es ist gerade echt stressig. Entweder kommst du zum Punkt, oder wir verschieben das Gespräch bis zum Abend.«

»Wir sind zu einer Hochzeit eingeladen.« Ich machte mir nicht die Mühe, meine Enttäuschung über seine Reaktion zu verbergen.

»Das war’s?«

»Ja!« Knappe Frage, knappe Antwort.

»Okay.« Er atmete hörbar auf. »Puh! Ich dachte schon …« Er lachte erleichtert auf. Das verletzte mich noch mehr.

»Was dachtest du?« Die Frage fiel schärfer aus als gewollt.

»Ach nichts. Ist nicht so wichtig.« Einen Moment schwiegen wir beide. Dann sagte Jens: »Hör zu, die Statiker warten auf mich. Wir reden später. Lass uns am Abend telefonieren, ja? Mach’s gut, ich liebe dich!«

Ehe ich irgendetwas erwidern konnte, hatte er bereits aufgelegt. Er hatte nicht einmal nachgefragt, wer heiratete, ob es Freunde oder Verwandte waren oder wann das besagte Event steigen würde. Nichts davon schien ihn zu interessieren. Es war offensichtlich, dass er dachte, ich sei schwanger. Dass das der Grund für meine Aufregung sei. Und er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sein Entsetzen darüber oder besser gesagt, seine Erleichterung, dass dem nicht so war, vor mir zu verbergen. Wütend steckte ich das Handy in die Handtasche zurück. Warum hatte er überhaupt zurückgerufen, wenn er keine Zeit zum Reden hatte? Meine Nachricht hatte er ja so interpretiert, dass es sich für mich um etwas Wichtiges handelte, was ich mit ihm zu bereden hatte. So etwas besprach man doch nicht in ein paar Sekunden. Missmutig scharrte ich mit den Fußspitzen über den Fliesenboden.

Tine, die nicht weit von mir entfernt stand, nahm verwundert ihre In-Ears heraus. »Ärger?«

»Männer!«, gab ich verächtlich zurück.

Sie sah kurz auf ihre Armbanduhr. »Unser Shuttlebus müsste bereits da sein. Lass uns später im Hotel darüber reden.«

»Es geht um Janines Hochzeit«, begann ich zögerlich, als wir eine Stunde später vor unserem Tee in der Hotelbar saßen.

»Aha, und du kannst nicht dabei sein?«

»Doch.«

Tine überlegte. »Du willst den Bräutigam selbst heiraten?«

Unwillkürlich musste ich lachen. »Verlockender Gedanke, Ron ist ziemlich attraktiv, aber nein.«

»Dann weiß ich nicht, wo dein Problem liegt.«

Ich erzählte ihr von dem Gespräch mit Jens. Tine hörte aufmerksam zu, ohne mich zu unterbrechen.

»Verstehe. Und weil er nicht sofort in Jubel über das Ereignis ausbricht, bist du jetzt eingeschnappt«, konstatierte sie.

»Er sollte annehmen, dass ich schwanger bin, doch stattdessen war er erleichtert, dass es nur irgendeine x-beliebige Hochzeit ist«, erklärte ich schmollend.

Tine zog die Augenbrauen zusammen und sah mich lange an. »Nenn mir einen vernünftigen Grund, warum er sich drüber freuen sollte? Ihr plant doch gar keine Kinder, oder habe ich was nicht mitbekommen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Jetzt noch nicht. Aber ein Kind zu erwarten, wenn man sich liebt, ist doch trotzdem etwas ganz Wunderbares«, versuchte ich, sie trotzig zu überzeugen.

»Absolut.« Dann ergänzte sie: »Wenn man sich Nachwuchs wünscht. Wenn man eine Familie plant. Wenn man zusammenlebt und nicht Tausende Kilometer voneinander entfernt. Wenn man …«

»Hör auf!« Ich hielt mir die Ohren zu. »Du hast ja recht. Aber ich wünsche mir so sehr, irgendwann eine kleine Familie zu haben«, gab ich traurig zurück.

»Und Jens? Ist er derselben Ansicht wie du?«

Darauf konnte ich ihr keine ehrliche Antwort geben. Ich schwieg.

»Es wäre der denkbar schlechteste Zeitpunkt für ein Kind. Sei ehrlich, Sophie. Eine Schwangerschaft, jetzt, würde euer beider Leben total auf den Kopf stellen. Nichts wäre mehr wie vorher. Es würde alles nur noch viel komplizierter machen. Du müsstest von heute auf morgen aufhören zu fliegen. Wärst mit dem Kind völlig auf dich allein gestellt, von der finanziellen Belastung einmal abgesehen. Oder würdest du von Jens erwarten, dass er seinen Beruf aufgibt und sich hier in Deutschland etwas Neues sucht, um bei euch zu sein? Vergiss es! Er liebt seinen Job genauso wie du. Er verdient damit eine Menge Geld. Den Traum vom Haus könntet ihr vorerst begraben, denn dass er hier in der Nähe eine gleichwertige Stelle bekommt, läuft gegen null. Also noch einmal. Warum bitte schön sollte er über so eine Neuigkeit Luftsprünge machen?«

Tine hatte mit jedem einzelnen Punkt recht. Es fiel mir schwer, es einzugestehen. Aber wenn ich ehrlich mit mir ins Gewissen ging, war es so. Ich nickte müde und unterdrückte eine Träne.

»Wenn es für dich so wichtig ist, dass du mit deiner Familienplanung nicht mehr länger warten willst, musst du mit Jens sprechen. Vielleicht findet ihr eine Lösung, die für euch beide passt. Eure Fernbeziehung ist für mich sowieso wie eine Liebe in der Warteschleife und wenn du ehrlich bist, kann es mit euch nicht ewig so weitergehen.«

Tine sprach an, was ich mir selbst schon oft gedacht hatte. Ich hatte mich die letzten Jahre mit diesem Zustand nur zufriedengegeben, weil es nicht anders ging und weil ich es nicht anders kannte, aber mittlerweile wollte ich mehr. Es reichte mir nicht mehr, ihn nur hin und wieder zu sehen. Neunzig Prozent unseres Lebens verbrachten wir getrennt voneinander. Ich wollte ihn aber zu hundert Prozent für mich haben. Darum nahm ich mir Tines Rat fest zu Herzen und beschloss, bald mit Jens darüber zu sprechen.

Erst sehr spät am Abend meldete Jens sich wieder bei mir. Ich war bereits eingenickt und etwas schlaftrunken, als ich das Gespräch annahm. Jens schien es gar nicht aufzufallen.

»Hey du! Tut mir leid, dass ich heute so kurz angebunden war. Ich stehe hier ziemlich unter Stress, weil es Probleme mit der Baustelle gibt. Wir werden mit dem Gießen der Decken nicht fertig und hinken im Zeitplan hinterher. Der Konzern macht deswegen ordentlich Druck und jetzt ist auch noch einer der Kräne kaputt und wir müssen auf das Ersatzteil aus Deutschland warten.«

Normalerweise hätte ich ihm jetzt gut zugeredet und Mut gemacht, dass sich alles regeln würde. Heute nicht. Ich fühlte mich total ausgelaugt. Jens fiel meine Einsilbigkeit auf.

»Aber jetzt genug gejammert«, schwenkte er um. »Erzähl doch mal. Du hast gesagt, wir sind zu einer Hochzeit eingeladen. Das ist doch wirklich mal was Schönes. Kenne ich die beiden?«

Sein ehrliches Interesse versöhnte mich etwas. Ich erzählte von Janine und Ron, wie sie sich kennengelernt hatten und dass auch sie bisher in einer Fernbeziehung lebten.

»Aber damit ist nun Schluss. Janine wird bald nach der Hochzeit bei uns aufhören. Vielleicht hört sie auch ganz mit der Fliegerei auf, wer weiß.«

»Ja, die beiden sind wirklich zu beneiden«, sagte er.

Ich hielt die Luft an. Kam da noch mehr? Jens räusperte sich.

»Ja?« Erwartungsvoll presste ich den Hörer ans Ohr.

»Wann findet denn dieses denkwürdige Ereignis statt?«

Enttäuscht ließ ich die Schultern sinken. Nach einem Blick auf die Einladung gab ich ihm das Datum durch.

»Weißt du schon, was du anziehen wirst? Ich möchte schließlich farblich zur schönsten Frau der Feier passen, damit jeder sieht, dass wir zusammengehören!«

»Heißt das, du kommst mit?«, erkundigte ich mich hoffnungsvoll.

»Auf alle Fälle. Da sind mit Sicherheit einige Kollegen des Bräutigams eingeladen. Ich möchte doch nicht, dass dir irgend so ein flotter Flugkapitän den Kopf verdreht und mit dir davonfliegt. Du gehörst zu mir und das darf auch jeder sehen.«