Mit Herz und Verstand - Susanne Degenhardt - E-Book

Mit Herz und Verstand E-Book

Susanne Degenhardt

0,0

Beschreibung

Von Herz zu Herz Wussten Sie, dass Jane Austen neben ihren sechs Romanen auch Gebete geschrieben hat? Die englische Ausnahmeschriftstellerin zeichnete sich nicht nur durch ihren Humor, ihre Warmherzigkeit und ihren Esprit aus, sie besaß auch einen teifen Glauben. In 31 liebevollen Andachten entführt die Autorin Susanne Degenhardt in Jane Austens Welt, in ihre Erzählungen, Briefe und Gebete. Ihre feinsinnigen Gedanken zeigen, welche überraschenden Einsichten Jane Austens geliebte Geschichten über das Leben, die Wahrheit, die Hoffnung und den Glauben schenken können. Genieße 31 kleine Auszeiten mit Jane Austen – eine Wohltat für Herz & Verstand!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 207

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Susanne Degenhardt

MIT HERZundVERSTAND

31 Jane-Austen-Andachten

© 2022 Brunnen Verlag GmbH Gießen

www.brunnen-verlag.de

Idee & Lektorat: Konstanze von der Pahlen

Umschlaggestaltung: Daniela Sprenger

Umschlagillustration: Adobe Stock

Satz: Brunnen Verlag

ISBN Buch: 978-3-7655-3704-2

ISBN E-Book: 978-3-7655-7642-3

Inhalt

Vorwort

1 Spazierengehen

2 Besuche

3 Vergebung

4 Luxus

5 Dankbarkeit

6 Gebetshaltung

7 Wertvoll & geliebt

8 Hoffnungslosigkeit & Zuversicht

9 Garten

10 Nächstenliebe

11 Erschöpfung

12 Musik

13 Ermahnung

14 Langmut & Geduld

15 Wahre Schönheit

16 Klatsch & Tratsch

17 Erste Liebe

18 Pflicht

19 Anerkennung

20 Gottes Schutz

21 Vorurteil

22 Ein stolzes Herz

23 Vorbilder

24 Gabe

25 Eigene Wege gehen

26 Selbstwert

27 Segen

28 Gebet

29 Freundschaft

30 Trauer

31 Happy End

Nachwort & Dank

Quellenangaben

Endnoten

VORWORT

Meine liebe Leserin,

ganz offenbar haben du und ich eine Gemeinsamkeit: Wir lieben Jane Austens wunderschöne Romane und alle Bücher und Filme, die uns in die Welt dieser außergewöhnlichen englischen Schriftstellerin entführen. Jedenfalls vermute ich, dass das der Grund ist, weshalb du zu diesem Buch gegriffen hast.

Vielleicht warst du aber auch einfach nur neugierig, was sich zwischen diesen beiden Buchdeckeln verbirgt? Dann hat die Grafikerin alles richtig gemacht! Wunderschön illustrierte Bücher mit ebenso hübschen Covern über das Leben unserer geliebten Autorin gibt es ja bereits viele. Wir erfahren darin, wie sie lebte, dass sie Humor hatte und Sätze formulierte, die sich für Zitatesammlungen, Postkarten und Tassen bestens eignen. Dass sie das siebte Kind von acht in der Familie Austen war und viel zu früh starb.

Was fast alle Biografien jedoch außer Acht lassen, ist die Tatsache, dass Jane Austen „ein tief religiöser Mensch“ mit „christlichen Überzeugungen“ war.1 Nachdem ich nahezu alle Biografien gelesen habe, die es auf dem deutschsprachigen Markt über Jane Austen gibt, frage ich mich, warum ihr Glaube darin häufig nur eine Randnotiz ist. In ihrem Leben spielte der Glaube nämlich eine nicht unbeträchtliche Rolle.

Einen großen Anteil daran hatte sicherlich ihr Vater, George Austen, der Pfarrer war. Auch ihre Mutter Cassandra war schon in einem Pfarrhaushalt aufgewachsen. Janes ältere Brüder James und Henry führten diese Tradition fort und schlugen ebenfalls die Laufbahn eines Pfarrers ein. Und ihr Bruder Francis machte als „Offizier, der in der Kirche kniet“2, Karriere.

Nun war der Beruf eines Pfarrers damals nicht unbedingt ein Beweis dafür, dass der Glaube auch gelebt wurde, wie wir den Diskussionen zwischen Edmund Bertram, Fanny Price und den Rushworth-Geschwistern im Roman „Mansfield Park“ entnehmen können. Janes Vater, George Austen, schien jedoch nicht zu den Pfarrern zu gehören, die lediglich salbungsvolle Worte von der Kanzel erklingen ließen. Er predigte aus ganzem Herzen und lebte, was er verkündete.

Zum Gottesdienst begleitet wurde der anglikanische Geistliche, wie man Janes Briefen entnehmen kann, von der gesamten Familie – und zwar sonntags gleich zwei Mal! Die Gottesdienste dauerten jeweils zwei bis drei Stunden, und wenn die Austens mal nicht daran teilnehmen konnten, gab es daheim eine kleine Andacht: „Abends hatten wir eine Psalmenlesung und eine Predigt“3, erzählte Jane Austen ihrer Schwester am 24. Oktober 1808 in einem Brief.

Dem Jahresverlauf entsprechend wurden morgens und abends Gebete und Psalmen aus dem „Book of Common Prayer“ (Buch des gemeinsamen Gebets) gelesen, das das persönliche Glaubensleben der Mitglieder der Anglikanischen Kirche und somit auch das Leben der Autorin sehr prägte. Nicht nur im privaten Rahmen oder bei Krankenbesuchen, auch zu feierlichen Anlässen wie Taufen, Trauungen, Bestattungen und beim Abendmahl wurden Texte und Gebete daraus entnommen. Wie gut Jane Austen diese Agende kannte und verinnerlicht hatte, zeigen ihre eigenen, schriftlich festgehaltenen Gebete, die denen des Gebetbuches sehr ähnlich sind.

Gott sei Dank hat ihre Schwester Cassandra sie aufgehoben. Wie eine kleine Kostbarkeit faltete sie die Bögen Papier, auf die Jane Austen ihre Gebete notiert hatte, zusammen und beschriftete sie mit den Worten: „Prayers composed by my ever dear Sister Jane“ (Gebete, verfasst von meiner stets geliebten Schwester Jane). Sie sind uns bis heute erhalten.

Neben den Gottesdienstbesuchen und dem Gebrauch des Gebetbuches wurde natürlich in der Bibel gelesen, und zwar meistens vor dem Schlafengehen. Außerdem studierte Jane Austen gerne Predigten von anderen Geistlichen und erzählte ihrer Schwester lebhaft davon, was ihr gefallen und weniger gefallen hatte.

Den letzten und für alle sichtbaren Hinweis auf Jane Austens Glauben finden wir übrigens in der Kathedrale von Winchester. Dort heißt es auf der Grabinschrift, die Janes Brüder verfasst haben: „Sie hat dieses Leben verlassen, gestärkt durch die Geduld und die Hoffnung einer Christin.“4

Mir selbst war das bis vor wenigen Monaten nicht bewusst – und das, obwohl ich schon seit meinem sechzehnten Lebensjahr ein großer Fan von Jane Austens Romanen bin! Die Verfilmung von „Sinn und Sinnlichkeit“ mit Hugh Grant, Emma Thompson und Kate Winslet war der Auslöser dafür, dass ich vom Jane-Austen-Fieber gepackt wurde. Der Kinofilm „Emma“ mit Gwyneth Paltrow und die BBC-Serie „Stolz und Vorurteil“ verleiteten mich schließlich dazu, ihre Romane in die Hand zu nehmen. Irgendwie hat mich schon immer fasziniert, wie die Menschen damals lebten, wie es auf dem Land oder in der Stadt zuging, im Alltag, bei Teebesuchen, Gesellschaften, Bällen, wie die gesellschaftlichen Hintergründe waren und vieles mehr.

Als ich dann einen Artikel las, in dem der Journalist Markus Spieker schrieb, dass meine Lieblingsautorin eine gläubige Christin war, war ich wie elektrisiert. Ich begab mich auf eine Entdeckungsreise durch ihre Bücher und Briefe. Was genau würde ich finden?

Tatsächlich sind in den meisten Romanen von Jane Austen die Glaubensaspekte nicht besonders offensichtlich – abgesehen vielleicht von „Mansfield Park“, wo Edmund Bertram um das Ansehen der Geistlichen kämpft. Bei genauem Hinsehen kann man jedoch in allen Büchern ihre Werte, die sie aus dem christlichen Glauben zog, herauslesen, wie beispielsweise Nächstenliebe („Emma“), Vergebungsbereitschaft („Stolz und Vorurteil“) und Trauerbewältigung („Gefühl und Verstand“).

Jane Austens Briefe und die von ihr verfassten Gebete, die ich in englischen Büchern entdeckte, sind dagegen ein wesentlich stärkerer Ausdruck ihres Glaubens. Inzwischen gehen die Meinungen auseinander, ob wirklich alle drei überlieferten Gebete von ihr stammen, deshalb habe ich mich auf das eine beschränkt, das sie mit großer Wahrscheinlichkeit selbst verfasst hat, und Teile davon hier einfließen lassen.

Nun hältst du also mein Buch in den Händen! Ich lade dich ein, es dir bei einer Tasse Tee oder Kaffee gemütlich zu machen und dich von Jane Austens Worten und Gebeten, die von „Herz und Verstand“ zeugen, ebenso berühren zu lassen wie von ihrem Humor und ihrer außergewöhnlichen Beobachtungsgabe. Gönn dir mit Jane und mir eine kleine Auszeit! Mein Herzenswunsch ist es, dass du dabei unserem Schöpfer höchstpersönlich begegnest und für deinen Alltag, deine eigenen Herausforderungen und Fragen ermutigt wirst.

Das Buch ist so gestaltet, dass du dich – wenn du möchtest – auf eine einmonatige Reise begeben kannst. Auf den Spuren von Jane Austens Glauben erhaschst du einen neuen Blick auf ihr Leben. Es ist natürlich dir überlassen, ob du das Buch über einen Monat hinweg täglich oder nach Lust und Laune liest. Vielleicht möchtest du dich lieber von den Themen ansprechen und leiten lassen? Manche Andachten schließen mit einem Gebet ab, das du, wenn es dein Herz anspricht, gerne mitbeten kannst. Mithilfe der angegebenen Bibelstellen und Impulsfragen hast du die Möglichkeit, das jeweilige Thema zu vertiefen und nachwirken zu lassen.

Ich hoffe, dass Jane Austens Texte dich und deinen Glauben ebenso inspirieren wie mich während des Schreibens. Lass dich mitnehmen und eine ganz andere Seite von ihr und ihren Romanen entdecken!

Viele schöne Jane-Austen-Momente wünscht dir

deine Susanne

Spazierengehen

An einem Abend sind wir zu Fuß nach Weston gegangen, und es gefiel uns ausgezeichnet. Was gefiel uns ausgezeichnet? Weston? Nein, der Spaziergang nach Weston …5

Jane Austen in einem Brief an Cassandra am 11. Juni 1799

Jane liebte das Landleben und eine schöne Landschaft bereitete ihre große Freude.6 So ist es nicht verwunderlich, dass sie auch eine fleißige Spaziergängerin war.7 Wenn man sich Steventon ansieht, wo sie aufwuchs, kann man das nachvollziehen: Satte, grüne Hügel und enge, von Hecken eingefasste Wege laden regelrecht dazu ein, die Natur zu genießen.

Aber auch durch die Parks im hübschen Kurort Bath, wo sie später eine Zeit lang lebte, ist sie sicherlich gerne geschlendert. Dort hätte sie am liebsten in der Nähe der Grünanlage „Sydney Gardens“ gewohnt, um jeden Tag in dessen Labyrinth spazieren gehen zu können.8 Daraus wurde leider nichts. Die Familie zog an den Queen Square.

Von den Paragon Buildings9 aus, in denen sie zwei Jahre später, im Mai 1801, bei ihrer Tante und ihrem Onkel zu Gast ist, unternimmt sie erneut einen Ausflug, und zwar in Begleitung einer befreundeten Dame, die nicht näher beschrieben wird. Es zieht die beiden Frauen nach Weston, einen kleinen Ort nahe Bath, ungefähr vierzig Gehminuten entfernt und mittlerweile eingemeindet.

In einem Brief gibt Jane ihrer Schwester einen Einblick in das Abenteuer: „Mrs Chamberlayne und ich haben, wie Du vorausgesagt hast, Freundschaft geschlossen, denn wir geben uns nun die Hand, wenn wir uns treffen. Unser grandioser Ausflug nach Weston wurde auf gestern verlegt und auf spektakuläre Weise ausgeführt. Alle Beteiligten außer uns beiden entschuldigten sich mit einer Ausrede, und so wurde ein Tête-à-Tête daraus. Aber das hätten wir auch schon nach den ersten Metern gehabt, selbst wenn die halbe Bevölkerung von Bath mit uns losmarschiert wäre.

Es hätte Dir Spaß gemacht, unser Tempo zu sehen. Wir gingen den Sion-Hügel hinauf und kehrten über die Felder zurück. Beim Bergsteigen ist Mrs Chamberlayne unschlagbar. Ich konnte nur mit Mühe mit ihr Schritt halten, wollte aber nicht um alles in der Welt zurückbleiben. Zu ebener Erde konnte ich mithalten, und so stürmten wir in praller Sonne dahin – sie ohne Sonnenschirm und mit randlosem Hut, ohne jede Pause – und überquerten den Friedhof in Weston so überstürzt, als hätten wir Angst, lebendig begraben zu werden.“10

Die Art von Janes Berichts erinnert mich sehr an Catherine Morland in „Northanger Abbey“. Dieser von ihren sechs Romanen zuletzt erschienene soll in dem Zeitraum fertiggestellt worden sein, in dem sich Jane Austen in Bath befand. Genau wie Jane macht Catherine die Kurstadt in Begleitung ihrer neu gewonnenen Freundin Isabella Thorpe unsicher und streift mit ihr durch die Straßen. Dass sie dabei Spaß und ziemlich viel zu quatschen haben, muss ich wohl nicht erwähnen.

Gehst du auch gerne spazieren? Dann hast du etwas mit Jane Austen gemeinsam. Wenn man ihre Romane mal vor dem inneren Auge vorbeiziehen lässt, stellt man fest, dass sich ihre Liebe zum Spazierengehen darin widerspiegelt. Da ist Emma, die mit Mrs Weston (interessante Namenswahl, nicht?) und Frank Churchill bei einem mehrstündigen Spaziergang durch Highbury und Hartfield streift, Fanny Price, die Sotherton Court und dessen weitläufigen Park besichtigt, und da sind Elinor und Marianne Dashwood, die sich auf ihren Spaziergängen auf windumtosten Hügeln über Mr Willoughby unterhalten und miteinander diskutieren. Nicht zu vergessen Elizabeth Bennet, die eine begeisterte Spaziergängerin ist und nicht davor zurückschreckt, dabei etwas Matsch auf die Kleidung und rote Wangen zu bekommen.

Alle diese Spaziergänge führen in den Romanen zu Begegnungen, die für die weitere Handlung von großer Bedeutung sind. Am deutlichsten wird das in „Vernunft und Gefühl“, als Marianne bei „Verzweiflungsspaziergängen“11 zweimal gerettet werden muss – von zwei verschiedenen Gentlemen. Der eine bricht ihr das Herz, der andere heilt es wieder …

Jesus war ebenfalls sehr oft „spazieren“. Die Bibel spricht an diesen Stellen zwar meist von „wandern“ oder „gehen“, aber fest steht: Jesus war, anstatt sich auf den Rücken eines Pferdes oder Esels zu schwingen, fast immer zu Fuß unterwegs. Dabei traf er viele Menschen und konnte ihnen direkt auf Augenhöhe begegnen.

Während dieser Stunden des Unterwegsseins erzählte er seinen Jüngern und anderen Zuhörern viele Gleichnisse und flocht darin ein, was es in der Natur zu entdecken gab: Vögel unter dem Himmel, einen verdorrten Strauch, Lilien, Samenkörner, Kräuter und Zweige, Füchse in ihren Gruben … Jesus nahm sie als anschauliche Beispiele, um seinen Nachfolgern Gottes Reich begreiflicher zu machen.

Heutzutage verbringen wir sehr viel Zeit in unseren vier Wänden, an der Uni, in der Schule, im Homeoffice, arbeiten in Büros, Ladengeschäften, medizinischen Einrichtungen und Ähnlichem und kommen nur noch selten raus. „Ich rate dir, spazieren zu gehen, die Luft wird dir guttun“12, empfiehlt Mr Bertram seiner Nichte Fanny in „Mansfield Park“ und diesen Rat gebe ich mir häufig selbst. Am liebsten schnappe ich mir abends meinen Mann und wir gehen wie Elinor und Marianne eine Runde, unterhalten uns und tauschen uns aus über das, was uns gerade beschäftigt.

Es tut meinen Augen richtig gut, den Blick in die Weite zu richten, und es passiert nicht selten, dass wir von unseren Gesprächsthemen abschweifen, abgelenkt durch das, was wir sehen. Der Anblick der Schöpfung Gottes erstaunt und erfreut uns immer wieder.

Solch eine Freude spricht auch aus den Worten des Verfassers von Psalm 19,2 (NLB): „Der Himmel verkündet die Herrlichkeit Gottes und das Firmament bezeugt seine wunderbaren Werke.“ Duftende Blumen am Wegesrand, goldene Felder, ein Regenbogen, bunt belaubte Bäume, weiß glitzernder Schnee, ein blauer oder grau verhangener Himmel, wabernder, mystischer Nebel, der alles bizarr erscheinen lässt, Vorgärten voller Blumen. Egal ob die Sonne scheint oder ob es ein bisschen regnet: Die Natur ist immer da und bereit, von uns bewundert zu werden.

Wie klein fühlen sich unsere Sorgen beim Anblick ihrer Schönheit an und Dankbarkeit erfüllt das Herz – unser „Akku“ lädt wieder auf. Die Gedanken kommen zur Ruhe, lassen sich besser ordnen.

Außerdem belebt die Bewegung an der frischen Luft unseren Geist und so würde es mich nicht wundern, wenn Jane Austen viele ihrer Romanideen und -formulierungen während solcher Spaziergänge entwickelt hat: beim träumerischen Flanieren durch Wälder, beim Beobachten anderer Menschen im Park, bei Gesprächen mit Bekannten, die sie unterwegs traf, oder bei tiefen Unterhaltungen mit ihrer Schwester Cassandra, die sie oft begleitete.

Mach es Jane doch nach: Nimm dir bei deinem nächsten Spaziergang Notizbuch und Stift mit und schreibe auf, was du siehst. Vielleicht klingen deine Notizen ja dann ganz ähnlich wie Psalm 104 …

Besuche

„… mein Lieber, du musst unbedingt Mr Bingley besuchen, wenn er eingezogen ist.“

„Das ist mehr, als ich versprechen kann.“ „Aber denk doch an deine Töchter. Was für eine Partie wäre das für eine von ihnen. … Du musst einfach hingehen. Wie können wir ihn denn besuchen, wenn du nicht gehst?“

„Du hast zu viele Bedenken. Ich bin überzeugt, Mr Bingley freut sich über euren Besuch. Ich gebe dir ein paar Zeilen mit meiner herzlichen Zustimmung mit, diejenige meiner Töchter zu heiraten, die ihm am besten gefällt.“13

Mr und Mrs Bennet in „Stolz und Vorurteil“

Ein Gerücht ist zu Mrs Bennet vorgedrungen: In Netherfield Park, einem Anwesen in der näheren Umgebung von Longbourn, soll sich ein gut aussehender, vermögender junger Mann eingemietet haben. Mrs Bennet wittert ihre Chance und bittet ihren Ehemann, dem neuen „Nachbarn“, Mr Bingley, einen Besuch abzustatten. Mit fünf unverheirateten Töchtern muss man schließlich auf Zack sein.

Doch um seine Frau ein wenig zu reizen, sträubt sich der „liebe“ Mr Bennet vorgeblich, den Weg nach Netherfield anzutreten. Sie könne den neuen Mieter doch selbst besuchen: „Ich gebe dir ein paar Zeilen mit meiner herzlichen Zustimmung mit, diejenige meiner Töchter zu heiraten, die ihm am besten gefällt“14, provoziert er seine Frau.

Das ginge ja gar nicht, hält Mrs Bennet ihm daraufhin vor. Die Etikette erlaube es nicht! Und so sieht sie ihre Hoffnung schwinden, eine ihrer Töchter mit Mr Bingley unter die Haube zu bringen.

Doch wie sich kurz darauf zu ihrer unendlichen Erleichterung herausstellt, hat ihr Ehemann sie hinters Licht geführt: Tatsächlich war er einer der Ersten, der Mr Bingley seine Aufwartung gemacht hat. Somit muss Familie Bennet nur noch abwarten und Tee trinken, bis der unwissende Heiratskandidat sich bei ihnen zu einem Gegenbesuch einfindet.

Die Warterei und die unsäglichen Anstandsregeln raubten Mrs Bennet sicherlich den einen oder anderen Nerv. Dass sie nicht selbst das Zepter in die Hand nehmen durfte und Mr Bingley persönlich aufsuchen konnte! Aber so war es nun einmal Sitte, dass Frauen einen ihr unbekannten Mann nicht einfach so ansprechen, geschweige denn treffen durften. Erst wenn sie durch den Hausherrn miteinander bekannt gemacht worden waren, war es ihnen erlaubt, sich zu unterhalten, miteinander zu tanzen, sich zu besuchen …

Auf einen Besuch folgte gewöhnlich ein Gegenbesuch, weshalb der Strom an Besuchern nie abriss. In einem Brief an ihre Schwester erzählt Jane Austen einmal von ganz unverhofften Gästen: „Nachdem ich dies geschrieben hatte, erhielten wir einen Besuch von Mr Tom Lefroy und seinem Vetter George.“15

Da es damals noch keine Telefone oder Handys gab, mit denen Besucher ihr Kommen ankündigen konnten, musste man häufig mit Überraschungsgästen rechnen. Außerdem gab es eine offizielle Besuchszeit am Vormittag, während der man unangemeldet vorbeischneien konnte und im Morgenzimmer mit einer dampfenden Tasse Earl Grey empfangen wurde.

Und dann ging es los mit dem Austausch von Neuigkeiten – übrigens Mrs Bennets Lebenselixier! Jane Austen fand das wohl manchmal ermüdend und langweilig. Der Besuch von Tom Lefroy war ihr dagegen mit Sicherheit höchst willkommen. Er wird in den Biografien, die sich auf ihre Briefe stützen, als ihre erste große Liebe genannt.

Nicht nur zu Lebzeiten von Jane Austen hatten Besuche einen hohen Stellenwert. Auch die Bibel erzählt sowohl im Alten als auch im Neuen Testament davon, dass Gäste gerne beherbergt und königlich behandelt wurden – ihnen wurden sogar die staubigen Füße gewaschen. Von der bekanntesten Fußwaschung wird in Johannes 13,1-14 erzählt: Jesus selbst, der Sohn Gottes, kniete nieder, um seinen Jüngern voller Demut und Liebe diesen Dienst zu erweisen. Puh, entblößte Füße säubern – ein No-Go zu Jane Austens Zeit!

Jesus wurde übrigens oft von anderen eingeladen, aber genauso häufig kam er auch als Überraschungsgast. Und er war dabei ziemlich anspruchslos. Schon als Baby musste er sich mit einer einfachen Krippe in einem Stall begnügen, weil in Bethlehem keine Zimmer mehr frei waren, und als Ziehsohn eines Schreiners war er an ein einfaches, bodenständiges Leben gewöhnt. Ihm waren Anstandsregeln und der Gesellschaftsstatus anderer Menschen vollkommen egal!

So lud er sich beim Zöllner Zachäus, der schon sehr viele Menschen übers Ohr gehauen und sich unbeliebt gemacht hatte, einfach selbst ein. „Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein“, teilt er ihm mit (Lukas 19,5). Einfach so! Zachäus fackelte nicht lange und nahm Jesus voller Freude bei sich auf. Sein Besuch hinterließ einen bleibenden Eindruck und bewirkte, dass Zachäus alles, was er seinen Mitmenschen zu viel abgeknöpft hatte, um das Vierfache zurückgeben und den Armen die Hälfte abgeben wollte. Was während Jesu Besuch bei Zachäus gegessen wurde und wie die Tischdeko aussah, wurde nicht überliefert.

Vermutlich hatte Martha sich darüber schon einige Gedanken gemacht, als sie Jesus zu sich einlud (Lukas 10, ab Vers 38). Alles war so weit vorbereitet. Dass Jesus sich ihrem Zuhause näherte, hatte sich früh zu ihr herumgesprochen. Und tatsächlich: Bald schon kehrte der faszinierende Rabbi mitsamt seinen Jüngern bei ihr ein, legte sich zu Tisch (das war damals so üblich) und fing an zu erzählen.

Und wer setzte sich vor ihm auf den Boden? Marthas Schwester Maria! In Martha brodelte es. Sie war mit dem Zubereiten der Speisen vollkommen auf sich allein gestellt. Wir können davon ausgehen, dass sie für mindestens fünfzehn Personen kochte. Das ist keine Kleinigkeit und mit sehr viel Gemüseschneiden, Anbraten, Umrühren und Sich-um das-Herdfeuer-Kümmern verbunden.

Und wer bewirtet eigentlich die Gäste in der Zwischenzeit? Die müssen doch auch etwas trinken! Auf Maria ist aber auch kein Verlass! So bat Martha Jesus aufgebracht, er solle ihre Schwester zum Helfen auffordern. Jesus antwortete jedoch anders, als sie es sich erhofft hatte: „Martha, du bist wegen so vielem in Sorge und Unruhe, aber notwendig ist nur eines. Maria hat das Bessere gewählt, und das soll ihr nicht genommen werden“ (Lukas 10,41-42).

Was Jesus damit meint, ist: Maria genießt es, Gäste zu haben, und lauscht den Gesprächen. Sie tut das nicht, um Klatsch und Tratsch aufzuschnappen wie Mrs Bennet. Sie saugt auf, was Jesus von Gott erzählt. Und sie verfällt nicht in Stress und Hektik wie Martha, die von ihrem Besuch und Jesu Worten gar nichts mitbekommt, weil sie die ganze Zeit am „Herd“ steht und als Gastgeberin alles perfekt machen will.

Wenn mich Jesus oder Jane Austen besuchen würden, wäre ich wahrscheinlich genauso drauf wie Martha. Kündigt sich Besuch an, mache ich mir im Vorfeld immer viele Gedanken darüber, was ich kochen will, versuche, alles ordentlich und geputzt zu haben, den Tisch mit Blumen, schönen Servietten und Tischdecke einzudecken. Und wenn die Gäste da sind, bin ich oft mehr damit beschäftigt, darauf zu achten, dass alle gut versorgt sind und das Essen gut schmeckt, als das Beisammensein unverkrampft auszukosten.

Geht es dir vielleicht genauso? Der Gedanke dahinter ist ja auch kein schlechter: Wir wollen es den anderen so schön wie möglich machen. Trotzdem lenken uns die Vorbereitungen und die Sorge um das perfekte Ambiente oft davon ab, uns auf unsere Gäste zu freuen und die Gespräche zu genießen. So sind wir schon erschöpft, bevor der Besuch bei uns eintrifft.

Auch wenn Jane Austen eine Genießerin war, was das Essen betraf, war sie gleichzeitig ein ziemlich entspannter Gast, der keine sonderlich hohen Ansprüche hatte (ein „eigenes Zimmer, herrlicher Morgen, schönes Kaminfeuer“16 genügten ihr schon). Genauso ist es bei Jesus, wenn er an deine Tür klopft: Sein Augenmerk liegt auf dir, nicht auf deinem perfekt (oder nicht so perfekt) aufgeräumten Zuhause. Ihm liegt der Mensch am Herzen, den er besucht – genauso wie der ehrenwerte Mr Knightley, der sehr oft eine bestimmte Person besuchte, die ihm am Herzen lag: „… meine Besuche in Hartfield galten nur Ihnen …“17 Na, zu wem hat er das gesagt?

Vielleicht hast du jetzt Lust bekommen, dir in dieser Woche einen Gast (oder mehrere Gäste) einzuladen? Dann notiere dir bitte auch Folgendes auf deiner To-do-Liste:

Ich freue mich auf den Besuch.

Ich mache mir keinen Stress.

Es muss nicht perfekt sein.

Vergebung

Der Ball in Kampshott ist heute Abend, und ich habe ihm [ihrem Bruder Charles] eine Einladung besorgt, obwohl ich nicht so rücksichtsvoll war, ihm auch eine Partnerin zu besorgen. Aber anders als Eliza Bailey ist er nicht im Begriff zu sterben und deshalb vermutlich fähig, sich selbst eine Partnerin zu besorgen. Ich glaube, ich habe Dir gesagt, dass der Ball am Montagabend stattfinden sollte, dafür und für all die anderen falschen Nachrichten, die ich Dir zugemutet habe, bitte ich Dich nun untertänig um Vergebung.18

Jane Austen in einem Brief an Cassandra vom 8./9. Januar 1799

Ich stelle mir bildlich vor, wie Jane im Pfarrhaus in Steventon, ihrem ersten Zuhause, an einem alten, mit Kerben übersäten Tisch sitzt und beim Verfassen dieses Briefes an ihre Schwester vor sich hin grinst. Nicht nur die Vorfreude auf den bevorstehenden Ball kommt darin deutlich zum Ausdruck, sondern auch das Augenzwinkern in ihrer Bitte um Vergebung. Bei den „falschen Nachrichten“ (welche es außerdem waren, geht aus dem Brief nicht hervor) muss es sich wohl um Lappalien gehandelt haben; ein Versehen, das Cassandra, die zu diesem Zeitpunkt bei ihrem Bruder in Godmersham Park zu Besuch ist, ihrer geliebten Schwester mit Sicherheit sofort vergeben hat – vielleicht ebenfalls mit einem Lächeln auf den Lippen.

In den Beziehungen zwischen Jane Austens Romanfiguren ging es nicht immer so reibungslos zu wie zwischen Jane und Cassandra. Und du wirst überrascht sein, welchen von ihnen es schwerfiel zu vergeben!

Einer von ihnen ist Mr Knightley! Du hast richtig gelesen: Ausgerechnet der tugendhafte, weise Mr Knightley, der Emma im gleichnamigen Roman immer wieder auf die richtige „Spur“ bringen muss, kann nur schwerlich über seinen Schatten springen. Er regt sich tüchtig über jemanden auf, der ganz Highbury zum Narren gehalten hat: Frank Churchill. „Er braucht nur etwas zu sagen, und schon geben seine Freunde sich alle Mühe, ihm zu seinem Glück zu verhelfen. Er hat alle missbraucht – und sie warten nur darauf, ihm zu vergeben. Er ist wirklich ein Glückskind“19, macht Mr Knightley Emma gegenüber seinem Frust Luft. Denn auch sie hat Frank Churchill längst vergeben, dass er ihr seine Liebe vorgegaukelt hat. Knightleys Äußerung hingegen können wir entnehmen, dass er mit Frank Churchills Verhalten so seine Probleme hat. Zwar hat Frank Churchill ihm persönlich nichts angetan, aber er hat Anlass dazu gegeben, dass Knightley sich in den vergangenen Wochen sehr um Emma gesorgt hat. Die Avancen, die Frank ihr gemacht hat, schienen auf Gegenliebe zu stoßen und so war ein gebrochenes Herz bei Knightleys Freundin aus Kindheitstagen beinahe vorprogrammiert.

Ein anderer, der erst mal nicht verzeihen kann, ist Mr Darcy in „Stolz und Vorurteil“: Er trägt seiner Tante, Lady Catherine de Bourgh, ihr Verhalten nach. Bei einem Spontanbesuch bei den Bennets hatte sie nämlich versucht, Elizabeth eine Verbindung mit Mr Darcy auszureden, weil er (angeblich) einer anderen jungen Dame versprochen sei – ihrer Tochter. Dass ihr Neffe Elizabeth trotz ihrer Missbilligung heiratet, erbost sie sehr und so lässt sie „ihren Gefühlen auf die ihr eigene Art freien Lauf“20