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Die Erde heizt sich auf. Sie tut dies in beispielloser Geschwindigkeit. Nicht wenige verfallen als Folge in Fatalismus und Agonie, doch es gibt Hoffnung: Ohne zu beschönigen, versammelt Bernhard Kegel alle technischen und biologischen Möglichkeiten, um diese katastrophale Entwicklung zu stoppen. Denn es wird nicht reichen, unseren Ausstoß an Treibhausgasen zu reduzieren oder sogar einzustellen. Wir können die schlimmsten Auswirkungen der globalen Erwärmung nur dann abwenden, wenn wir der Erdatmosphäre zusätzlich in großen Mengen CO2 entziehen und in irgendeiner Weise klimaunwirksam lagern. Genau das leistet die Fotosynthese, darüber hinaus ist sie ungefährlich und lange erprobt. Das Spektrum möglicher Maßnahmen und Einsatzfelder ist groß und reicht von der Wiedervernässung und Revitalisierung der Moore über Algenfarmen, die Optimierung der Fotosynthese von Nutzpflanzen und das Bauen mit Holz bis hin zum künstlichen Blatt als Wasserstoff- und Energielieferant. Licht und Fotosynthese haben höheres Leben möglich gemacht und geformt, jetzt könnten sie helfen, es vor einer seiner schwersten Krisen zu bewahren.
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Seitenzahl: 304
Unsere Erde ist global bereits um durchschnittlich 1,2 Grad heißer als vor Beginn der Industrialisierung; in Deutschland und generell in Mitteleuropa ist der Temperaturanstieg fast doppelt so hoch. Wird das auf der Weltklimakonferenz in Paris beschlossene globale 1,5-Grad-Ziel in diesem Jahrhundert nicht eingehalten, drohen wir in klimatische Zustände abzugleiten, die die Spezies Homo sapiens in ihrer etwa 300 000 Jahre langen Geschichte noch nicht erlebt hat. Es ist höchste Zeit zu handeln.
Bernhard Kegel stellt in ›Mit Pflanzen die Welt retten‹ biologische Möglichkeiten vor, die Hoffnung geben. Denn es wird nicht reichen, unseren Ausstoß an Treibhausgasen zu reduzieren oder sogar einzustellen. Wir können die schlimmsten Auswirkungen der globalen Erwärmung nur dann abwenden, wenn wir der Erdatmosphäre zusätzlich in großen Mengen CO2 entziehen und es in irgendeiner Weise klimaunwirksam lagern. Genau das leistet die Photosynthese, darüber hinaus ist sie ungefährlich und lange erprobt. Bernhard Kegel beschreibt eine Fülle von praktikablen Lösungsansätzen; sie reichen von der Wiedervernässung trockengelegter Moore über das Anlegen von Algenfarmen und das Bauen mit Holz bis hin zur Optimierung der Photosynthese etwa in Form von künstlichen Blättern als Wasserstoff- und Energielieferanten. Licht und Photosynthese haben höheres Leben möglich gemacht und geformt; jetzt könnten sie dabei helfen, es vor einer seiner schwersten Krisen zu bewahren.
© Franziska Hauser
Bernhard Kegel, geboren 1953 in Berlin, studierte Chemie und Biologie an der Freien Universität Berlin, danach widmete er sich der Forschung sowie der Arbeit als ökologischer Gutachter und Lehrbeauftragter. Seit 1993 veröffentlichte er zahlreiche Romane und Sachbücher. Bernhard Kegels Bücher wurden mit mehreren Publizistikpreisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen bei DuMont ›Ausgestorben, um zu bleiben‹ (2018) und ›Die Natur der Zukunft‹ (2021). Der Autor lebt in Berlin.
Bernhard Kegel
MitPflanzendie Weltretten
Grüne Lösungengegen den Klimawandel
E-Book 2024
© 2024 DuMont Buchverlag, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln
Lektorat: Kerstin Thorwarth
Satz: Fagott, Ffm
E-Book Konvertierung: CPI books GmbH, Leck
Wir, die wir nicht einmal friedlich miteinander leben können, sollen die ganze Erde »managen«? Da stehen künstliche Intelligenz, Geo-Engineering und eine App-freudige, gigantomanische, von Big Tech kontrollierte Zukunft zu befürchten.[*]
Annie Proulx
Unser gängiger Freiheitsbegriff ist untauglich für das Anthropozän. Er reagiert empfindlich darauf, wenn die Mobilität in benzinverbrennenden Blechkisten angekratzt wird. Aber von der Frage, ob es in Zukunft noch Vögel gibt, bleibt er völlig unberührt.[**]
Eva von Redecker
Es ist ein Fehlschluss zu glauben, dass Klima und Wetterereignisse alles bestimmen, auch wenn sie ein wichtiger Faktor sind. Politische Entwicklungen und Kriege sind unter Umständen von größerer Bedeutung.
In meinem 1993 erschienenen Debütroman Wenzels Pilz, einer satirischen Gentechnik-Vision, die in einer unbestimmten Zukunft spielt, ist die Welt von Schokokäfern, Stadtpalmen und diversen anderen mehr oder weniger skurrilen genetisch veränderten Kreaturen bevölkert. Hauptschauplatz ist Norwegen. Begleitet von großem Medienrummel wurde dort gerade ein riesiger Gebäudekomplex eingeweiht, ein sogenannter Assimilator. Ähnliche Anlagen, die größten je von Menschen geschaffenen Bauwerke, werden in der ganzen Welt errichtet. Einen Schönheitspreis haben diese Monstren aus Beton, Stahl und Glas sicher nicht verdient, denn sie werden in fieberhafter Eile aus dem Boden gestampft, um ein drängendes Problem zu lösen: die »Erwärmung«, wie es in meiner Geschichte beschönigend genannt wird. Die Assimilatoren sollen das Treibhausgas Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen und es mithilfe gentechnisch veränderter Algen in chemische Substanzen umwandeln, die für die Ernährung von Mensch und Tier genutzt werden können.
Entstanden ist Wenzels Pilz vor fast 40 Jahren.1 Ich schreibe das nicht, um meine außergewöhnlichen prophetischen Fähigkeiten zu betonen. Sicher, der Klimawandel war in den 1980er-Jahren noch kein Thema, das in Gestalt von Wetterextremen, Waldbränden, »Klimaklebern« oder heftig umstrittenen Gesetzesvorhaben in nahezu jeder Nachrichtensendung vorkam. Doch wer an Umweltthemen interessiert war und ein wenig recherchierte, stieß schnell auf einschlägige Literatur. In der Wissenschaft ist man sich schon damals sehr wohl darüber im Klaren gewesen, dass der Treibhauseffekt und die Verbrennung fossiler Energieträger uns und der gesamten Biosphäre in einer gar nicht so fernen Zukunft gewaltige Probleme bereiten werden. Die erste Weltklimakonferenz mit Vertretern aus 53 Nationen hatte bereits im Februar 1979 in Genf stattgefunden: »Die Nationen der Welt müssen alles dafür tun, einen menschengemachten Wandel des Klimas, der das Wohlbefinden der Menschheit gefährden könnte, vorherzusehen und zu verhindern«, stand in der Abschlussdeklaration.2 1988 folgte die Gründung des Weltklimarates IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change).
Nathaniel Rich, ein US-amerikanischer Journalist und Schriftsteller, hat in seinem Buch Losing Earth von 2019 dargestellt, wie erbittert eine Gruppe von Forschern und Aktivisten um den Umweltlobbyisten Rafe Pomerance und den NASA-Wissenschaftler James Hansen seit dem Ende der 1970er-Jahre um Aufmerksamkeit für diese bedrohliche Entwicklung kämpfte – ein Kampf, der schließlich in den 1980er-Jahren in eine besonders in den USA intensiv geführte Debatte mündete.3 Und doch wurde die Chance am Ende vertan. Sage niemand, ein frühzeitiges Gegensteuern hätte keinen Unterschied gemacht. Mehr als 80 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen der Menschheit sind erst in den letzten 30 Jahren in die Atmosphäre gelangt, und von einer nachhaltigen Reduktion ist leider wenig zu erkennen. Nach einem Rückgang im Jahr 2020 ist die Welt schon 2021 mit 36 Gigatonnen wieder auf dem Vor-Corona-Niveau angekommen, und 2022 und 2023 wurden jeweils neue Höchstmarken aufgestellt. Seit 2018 bewegen sich die Emissionen auf einem nie da gewesenen hohen Niveau.4
Die vor 40 Jahren getroffenen Voraussagen der Klimaforscher und -forscherinnen haben sich weitgehend bestätigt. Global ist die Durchschnittstemperatur bis 2019 im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten um 1,1 Grad Celsius gestiegen, in Deutschland sogar um 2,3 Grad, weil sich Landmassen etwa doppelt so stark erhitzen.5 Das Jahr 2023 war so außergewöhnlich warm, dass die bis dahin geltenden Statistiken regelrecht pulverisiert wurden. »2023 war absolut absurd«, kommentierte der Klimaphysiker Reto Knutti von der ETH Zürich. »Wäre das ein Versuch im Labor, würde man als Wissenschaftler als Erstes nach einem Messfehler suchen, weil es so unplausibel ist.«6
Zwar gilt seit der Klimakonferenz in Paris im Jahr 2015 bis zum Ende des Jahrhunderts das globale 1,5-Grad-Ziel, ein Durchschnittswert, der über einen Zeitraum von 20 Jahren ermittelt wird und dessen Überschreitung daher erst mit erheblicher Verzögerung festgestellt werden kann. Betrachtet man kürzere Zeiträume, wurde dieser Wert laut dem Europäischen Klimadienst Copernicus schon überschritten. Ende Januar 2024 ging ein Zeitraum von zwölf Monaten zu Ende, in dem die globale Durchschnittstemperatur erstmalig über dem in Paris formulierten 1,5-Grad-Ziel lag,7 und im Juli 2024 endete ein Jahr, in dem diese Grenze zum ersten Mal in jedem einzelnen Monat überschritten wurde. Die Latte wackelt nicht nur. Sie ist bereits gefallen.
Dringend erforderlich wäre aber die Einhaltung der 2-Grad-Grenze, denn jenseits dieser Schwelle drohen gefährliche Kipppunkte, die ein Umsteuern unmöglich machen könnten. Da weiterhin große Mengen an Treibhausgasen emittiert werden, sieht es im Augenblick jedoch so aus, als würden wir eher auf eine um 3 Grad wärmere Welt zusteuern. Mitteleuropa und anderen Festlandmassen droht demnach bis zum Jahr 2100 eine Erhitzung um bis zu 6 Grad. Und wer wollte mit Blick auf die bislang erzielten Fortschritte ausschließen, dass es nicht sogar noch schlimmer kommen könnte?
Was das bedeutet, scheint in den Köpfen vieler politischer Akteure und breiter Kreise der Bevölkerung noch immer nicht angekommen zu sein. Offenbar, so betonen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA, China und Deutschland in einer aktuellen Studie, »tendieren wir dazu, die heute Lebenden höher zu bewerten als die, die in der Zukunft leben werden«, und seien es unsere eigenen Kinder und Enkel.8 Dabei spüren wir alle diese Entwicklung schon im Hier und Jetzt. Viele der heute jungen Menschen, und erst recht ihre Nachkommen, werden aber Bedingungen ausgesetzt sein, wie sie nie zuvor in der 300 000-jährigen Geschichte unserer Spezies auf der Erde geherrscht haben.
Drei Grad mehr im globalen Durchschnitt, auf den Kontinenten sogar doppelt so viel – das wird eine Welt sein, in der, hätten wir die Wahl, niemand von uns leben möchte.9 Weite Teile des Planeten, beinahe der gesamte Tropengürtel, wären für Menschen (und viele andere Lebewesen) nahezu unbewohnbar. Ein Aufenthalt im Freien wäre an vielen Tagen lebensgefährlich, von schwerer körperlicher Arbeit auf Baustellen, Feldern oder Plantagen gar nicht zu reden. Das gilt natürlich im Besonderen für Länder wie Indien, Pakistan oder das äquatoriale Afrika, wo Milliarden von Menschen betroffen wären. Die Auswirkungen wären aber auch in Mitteleuropa zu spüren. Die Augsburger Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann, die als einzige Ärztin im wissenschaftlichen Beirat »Globale Umweltveränderungen« der Bundesregierung sitzt, hat sich kürzlich unmissverständlich dazu geäußert: »In unseren Städten wäre es im Sommer über längere Perioden regelmäßig bis zu 40 Grad heiß oder mehr«, sagte sie. »Das werden viele Menschen nicht überleben.«10
Schmelzende Gletscher und Polkappen, steigender Meeresspiegel, Hitzewellen und andere Extremwetterlagen, Dürren, ein Mittelmeerraum, der zur Wüste tendiert, verheerende Waldbrände, Ökosysteme, die sich drastisch verändern … Sie kennen das alles.11 Niemand, wirklich niemand wird in 10, 20 oder 50 Jahren behaupten können, sie oder er habe nicht gewusst, was uns blühen würde. Und doch lehnen viele Menschen Klimaschutzmaßnahmen, die sie selbst betreffen würden, ab und bestehen auf grenzenloser Freiheit im Hier und Jetzt.
Immerhin gibt es einen seit Jahren bekannten Lichtblick, der im Trommelfeuer der finsteren Nachrichten über neue Klimaextreme und im immer erbitterter geführten Streit über mögliche Gegenmaßnahmen beinahe untergegangen ist: Wenn wir es schaffen, die CO2-Emissionen auf null zu reduzieren, werden die Temperaturen nach einer Übergangszeit von wenigen Jahren nicht mehr weiter steigen.12 Für die prominente, in Oxford arbeitende Klimaforscherin Friederike Otto ist das »eine der wichtigsten Erkenntnisse der Klimatologie der vergangenen Jahre«,13 denn bisher war man davon ausgegangen, dass es nach einem Emissionsstopp noch jahrzehntelang wärmer werden würde.14
Das sollte uns Mut machen. Die immensen Anstrengungen, die nötig sind, um den Ausstoß von Treibhausgasen global zu reduzieren, würden sich lohnen und brächten im Erfolgsfall einen beinahe unmittelbaren Ertrag. Pflanzen und die von ihnen praktizierte Photosynthese könnten auf diesem Weg von großem Nutzen sein.
Doch um das Horrorszenario einer um 3 oder sogar mehr Grad aufgeheizten Welt abzuwenden, reicht das nicht aus. Auch in Zukunft wird es noch Emissionen geben, die aus heutiger Sicht unvermeidlich sind und kompensiert werden müssen, zum Beispiel im Bereich der Landwirtschaft, der Zementindustrie und bei der Müllverbrennung. »Optimistischen« Schätzungen zufolge könnten diese Rest-Emissionen 10 bis 20 Prozent der heutigen Emissionen ausmachen, global gesehen wären das mehrere Milliarden Tonnen.15 Zusätzlich müsste bereits emittiertes CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernt werden, und das in beträchtlichen Mengen. So wird in den Szenarien des IPCC16 zum 1,5-Grad-Ziel von einer Kohlendioxidentnahme in Höhe von 740 Gigatonnen bis zum Jahr 2100 ausgegangen, etwa dem Zwanzigfachen der momentan jährlich weltweit emittierten CO2-Menge. Wohlgemerkt: Diese Zahlen sind bereits in die Berechnungen eingeflossen. Erreicht die Weltgemeinschaft dieses Ziel nicht, wird es noch schwerer werden, die gemeinsam beschlossenen Vorgaben einzuhalten.
Wie soll das gehen? Es ist in jedem Fall eine Herkulesaufgabe, die unsere Gesellschaften vor gigantische Herausforderungen stellen und Unmengen an Geld erfordern wird. Elon Musk, der Google-Mutterkonzern Alphabet und andere haben Start-ups, die Technologien zur CO2-Rückholung entwickeln, bereits zwei Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Frontier, ein 925 Millionen Dollar Fonds, den unter anderem McKinsey & Co, Meta, Alphabet und Shopify aufgelegt haben, soll Firmen dafür bezahlen, dass sie Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen. Auch die US-Regierung ist mit viel Geld eingestiegen. In der Branche herrscht Goldgräberstimmung.17
Mit dem »XPRIZE Carbon Removal«, der mit insgesamt 100 Millionen US-Dollar lockt, haben Elon Musk und seine Stiftung 2021 zudem den höchstdotierten Anreizwettbewerb ins Leben gerufen, den es je gab. Die Teams, die sich bewerben, müssen eine CO2-Entfernung in der Größenordnung von 1000 Tonnen pro Jahr nachweisen, sie müssen die Kosten modellieren, die bei einer Kohlendioxidentfernung von einer Million Tonnen pro Jahr anfallen würden, und einen Plan vorlegen, wie sie in Zukunft nachhaltig in den Bereich von Gigatonnen pro Jahr vorstoßen wollen. An 15 der über 1300 Bewerber aus 88 Ländern sind schon je 1 000 000 US-Dollar ausgeschüttet worden. Kurz vor Abschluss dieses Buches sind die 20 Finalisten bekannt gegeben worden. Von einigen Konzepten dieser Teams und Start-ups wird auch auf den folgenden Seiten die Rede sein. Die Gewinner des mit 50 Millionen US-Dollar dotierten Hauptpreises werden Ende 2025 verkündet.18
Es geht ja nicht nur darum, den Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts zu begrenzen. Die Temperaturen würden nach einem Emissionsstopp – von dem wir, um das noch einmal klar zu sagen, weit entfernt sind – zwar nicht weiter steigen, sie würden aber auch nicht sinken; und je länger der Ausstieg auf sich warten lässt, desto höher liegt das Temperaturniveau, mit dem sich alle Lebewesen der Erde arrangieren müssen. Wenn wir nicht wollen, dass diese für die Menschheit und große Teile der Biosphäre gefährlichen Bedingungen über lange Zeit andauern, muss es unser Bestreben sein, den CO2-Gehalt der Atmosphäre wieder zu reduzieren, möglichst auf das Niveau der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder darunter. Wir müssen versuchen, das Fieber der Welt zu senken, auch wenn das Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dauern sollte.
Das Zauberwort heißt Carbon Capture and Storage – Technologien, die CO2 auf unterschiedliche Weise der Atmosphäre entziehen und klimaneutral deponieren. Mit den kohlendioxidreichen Abgasen aus Industrieschornsteinen klappt das schon ganz gut, aber in der Atmosphäre ist CO2, in krassem Gegensatz zu seiner Bedeutung für das Weltklima, ein Spurengas, das nicht einmal 0,1 Volumenprozent der Luftgase ausmacht. Es in großen Mengen aus der Luft zu gewinnen, kostet daher viel Energie.
Dass es trotzdem gelingen kann, zeigt zum Beispiel das Schweizer Unternehmen Climeworks der beiden deutschen Ingenieure Jan Wurzbacher und Christoph Gebald, das im Frühjahr 2022 eine Kapitalspritze von 650 Millionen US-Dollar erhalten hat, unter anderem von einer großen Schweizer Versicherungsgruppe und dem Investor Baillie Gifford, der sein Geld früher in Tesla und Amazon anlegte.19
Climeworks nennt seine Methode Direct Air Capture (DAC): Riesige Ventilatoren saugen Luft an, schicken sie durch Spezialfilter, setzen das daran gebundene CO2 durch Erhitzen wieder frei und pumpen es dann zusammen mit Wasser in den Untergrund, wo es mit den im Basaltgestein enthaltenen Salzen reagiert, buchstäblich versteinert und für Tausende von Jahren verbleibt.
Nach einer Pilotanlage in der Schweiz arbeitet nun seit 2021 in Hellisheiði, Island, eine erste Großanlage namens »Orca«, die der Atmosphäre bei vollem Betrieb jährlich 4000 Tonnen CO2 entzieht. Für das Verpressen in den Untergrund sorgt, unter futuristisch anmutenden Kuppeln, der Climeworks-Nachbar CarbFix, ein Tochterunternehmen des isländischen Energieversorgers Orkuveita Reykjavíkur.
4000 Tonnen CO2, das entspricht den jährlichen Emissionen, die 250 US-Bürger verursachen – nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein also. Doch in Sichtweite von »Orca« entsteht bereits »Mammoth«, eine wesentlich größere Anlage, die der Luft jährlich 36 000 Tonnen CO2 entziehen wird. Und dieses »Up-Scaling« soll weitergehen. Bis zum Jahr 2030 will Climeworks die Megatonnen-, bis 2050 eine Gigatonnenkapazität erreicht haben. Spätestens dann wäre die Vision der Assimilatoren aus Wenzels Pilz in Gestalt von riesigen, überall auf der Welt errichteten DAC-Maschinen Wirklichkeit geworden. Fehlen nur noch die Algen, aber auch die werden in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Wir werden darauf zurückkommen (Kap. 6).
Es gibt andere Konzepte als das von Climeworks und CarbFix, mit anderer Methodik, aber dem gleichen Ziel, und eine Forschergruppe um Ryan Hanna von der University of California in San Diego hat nachgerechnet: Das Ganze ist zwar Zukunftsmusik, aber kein Hirngespinst.20 Bis zum Ende des Jahrhunderts wäre es tatsächlich möglich, auf diese Weise um die 840 Gigatonnen Kohlendioxid pro Jahr aus der Atmosphäre zu entfernen. Die Kosten wären allerdings enorm, denn wir würden viele dieser Anlagen benötigen, Zigtausende. Das würde jährliche Investitionen von 1,2 bis 1,9 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts erfordern, insgesamt einen Betrag von bis zu 1,38 Billionen US-Dollar. Unklar ist zudem, woher die Energie für alle diese Anlagen kommen soll. Nicht überall stehen in der Nähe emissionsfreie Geothermiekraftwerke zur Verfügung wie auf Island.
Technische Lösungen der Kohlendioxidentnahme wie die von Climeworks müssen in unserem Zusammenhang natürlich erwähnt werden, aber sie sind nicht Thema dieses Buches.
Ich möchte einen anderen Weg erkunden. Man könnte ihn den »sanften« oder »grünen Weg« nennen oder den »biologischen«; es ist ein Weg, der sich auf die Fähigkeiten ausgewiesener Experten der Kohlenstofffixierung stützt – die der Pflanzen. Was die Nutzbarmachung atmosphärischen Kohlendioxids angeht, haben sie einen unerreichbar weiten Erfahrungshorizont aufzuweisen. Zu ihrer Expertise gehört, dass sie die auf diesem Planeten herrschenden Bedingungen vor langer Zeit mehrfach völlig umgekrempelt haben und dass sie seit Hunderten von Millionen Jahren zuverlässig, still, effektiv und erfolgreich ein der Luft entnommenes Kohlenstoffatom an das andere hängen und dabei auch noch Sauerstoff produzieren, das Gas, das für uns überlebenswichtig ist. Sie tun das, um selbst zu wachsen, und schaffen so, gewissermaßen nebenbei, die Existenzgrundlage für Millionen von Tierarten einschließlich des Menschen.
Jeder großtechnischen Lösung haben Pflanzen gleich mehreres voraus, von Ressourcen- und Energieverbrauch sowie ästhetischen Fragen gar nicht zu reden: Indem sie Schatten spenden und kühlend wirken, können Pflanzen uns dabei unterstützen, mit den schon jetzt unvermeidlichen Folgen des Klimawandels fertigzuwerden, vor allem in Städten. Ihre Biomasse sorgt für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion, und mit den daraus zu gewinnenden Gasen leisten sie einen Beitrag zur klimaneutralen Energieversorgung, dessen Potenzial wir noch bei Weitem nicht ausgeschöpft haben. Gleichzeitig sind sie entscheidend für die Bewältigung der zweiten großen Zukunftskrise, in der wir uns längst befinden: dem Sterben der Tiere, der Defaunation und dem Schwinden der biologischen Vielfalt. Manche sagen, diese Krise werde uns noch härter treffen.21
Welchen Beitrag können Pflanzen für die Lösung unserer Zukunftsprobleme leisten? Dieser Frage will ich auf den folgenden Seiten nachgehen, und vielleicht wird es Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, dabei am Ende genauso gehen wie mir: Sie werden überrascht sein über die Vielfalt an Ideen und Ansätzen, die dabei angedacht oder bereits verfolgt werden.
Als ich mit der Arbeit an diesem Buch begann, wusste ich nicht, wie genau das Resultat aussehen würde, und ich habe mir Mühe gegeben, meine Recherchen möglichst ergebnisoffen anzugehen. Es ergibt ja keinen Sinn, Fragen zu stellen, deren Antworten man auch ohne die nötige Fachkenntnis schon vorher zu kennen glaubt, schon gar nicht in einer Situation, in der wir händeringend effektive Bewältigungsstrategien brauchen. Die Gefahr wäre groß, dass dann, wie man so schön sagt, der Wunsch der Vater des Gedankens würde. Denn natürlich hoffte ich, ich würde am Ende ein positives Fazit ziehen können. Ich bin Biologe, grüne, sanfte, natürliche Lösungen sind mir sehr sympathisch – wenn es sie denn gibt.
Wie wahrscheinlich alle meine Leserinnen und Leser habe ich über Jahrzehnte ein für einen Westeuropäer normales Leben geführt. Ich bin geflogen, nicht übermäßig viel, bin Auto gefahren, habe meine Wohnung geheizt, elektrische Geräte benutzt und habe konsumiert, und es macht mir wirklich schwer zu schaffen, dass ich mit diesem Lebensstil, der uns allen selbstverständlich erscheint, mit zu den gewaltigen Problemen beigetragen habe, vor denen die Welt heute steht. Dazu muss man sich den Verlockungen der Moderne nicht einmal besonders exzessiv hingegeben haben. Andere, die viel weniger dazu beigetragen haben als ich, werden infolge des Klimawandels womöglich ihre Heimat verlieren oder nie da gewesenen Extremereignissen ausgesetzt sein.
Das ist die bittere und keineswegs neue Erkenntnis, vor der wir alle stehen und nicht länger davonlaufen können. Wir müssen uns endlich ehrlich machen, aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und die riesige träge Flotte unserer Gesellschaften auf einen neuen Kurs bringen – das sind wir denen, die nach uns kommen, schuldig. Wie schwer das wird, erfahren wir tagtäglich aus den Nachrichten.
Können Pflanzen uns dabei helfen? Ich habe nach ehrlichen Antworten auf diese Frage gesucht. Deshalb ist dies keine unreflektierte Lobeshymne auf das, was man heutzutage »naturbasierte Lösungen« nennt. Fehleinschätzungen sind immer möglich. So funktioniert Wissenschaft: Die Kenntnisse von heute werden durch die neuen, tiefergehenden, differenzierteren Einsichten von morgen ersetzt. Das kann im Einzelfall ein anstrengendes Umdenken erfordern.
Wissenschaft fußt zu einem großen Teil auf Erkenntnissen, die in der Vergangenheit gewonnen wurden. Das damalige Hin und Her, der Streit der Meinungen, in den sich mitunter auch außerwissenschaftliche Akteure und Interessen einmischten und der schließlich in allgemein anerkanntes Wissen mündete, liegt hinter uns, ist entschieden und, falls die Öffentlichkeit überhaupt Notiz davon genommen hat, vergessen.
Was jedoch den Klimawandel angeht, so befinden wir uns wie zu Coronazeiten mitten in einem höchst dynamischen Geschehen; der Streit der Meinungen und Konzepte, die Diskussionen und unterschiedlichen Interpretationen werden im Hier und Jetzt und in aller Öffentlichkeit ausgetragen. Wer für jeden Einzelfall bereits gesichertes Wissen erwartet, wird womöglich enttäuscht. Vieles ist im Fluss, es kann gar nicht anders sein. Beispiele dafür werden Sie auch auf den folgenden Seiten kennenlernen.
Für Menschen außerhalb der Expertenkreise ist das nicht immer leicht auszuhalten. Viel zu viele wenden sich verwirrt oder genervt ab, weil sie notwendige Diskussionen und Klärungsprozesse nicht verstehen oder als Nichtwissen und Ratlosigkeit fehlinterpretieren. Im schlimmsten Fall werden sie zu Leugnern und wenden sich vermeintlich einfachen Lösungen von Scharlatanen und Verschwörungsszenarien zu. Sollte diese Haltung um sich greifen, werden wir mit Sicherheit scheitern. Zuversicht und die Bereitschaft zu wirklicher Veränderung sind das Einzige, was uns voranbringt.
Ein Eindruck wäre nach der Lektüre dieses Buches fatal: zu glauben, dass die Pflanzen, die Biologie, die mit dem Klimawandel zusammenhängenden Probleme schon für uns regeln werden und wir uns zurücklehnen und weitermachen können wie bisher.
Nein, um diese beispiellose planetare Herausforderung des Klimawandels zu meistern, werden wir viele unterschiedliche Wege verfolgen müssen. Wir werden Climeworks-Maschinenungetüme genauso nutzen wie das Potenzial der Pflanzen, brauchen die erneuerbaren Energien genauso wie die Reduktion des Fleischkonsums und die Benutzung von Fahrrädern, wo immer es möglich ist. Wir benötigen nicht weniger, sondern netto null Emissionen und werden dafür nach jedem Strohhalm greifen müssen, der sich uns bietet. Vieles spricht aber dafür, dass wir am Ende sagen werden: Ohne die Pflanzen, ohne die »grünen Helfer« als Verbündete hätten wir diese dramatische Phase der Menschheitsgeschichte nicht oder nur mit heftigsten Blessuren überstanden.
Um zu verstehen, wie Pflanzen uns im Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen unterstützen können, sollten wir zunächst ihre überragende Rolle im Naturhaushalt betrachten und uns einen Überblick über die Ausgangssituation und ihre Entstehung verschaffen. Danach werden wir uns damit beschäftigen, was im Einzelnen getan wird oder getan werden könnte.
In diesem Buch und bei diesem Thema geht es oft um Tonnen oder Gramm, um Masseeinheiten also. Solange die sich auf bekannte Dinge und vertraute Größenordnungen beziehen, ist das für die meisten Menschen kein Problem. Wer gern kocht oder bäckt, weiß, dass ein gehäufter Esslöffel Mehl etwa 20 Gramm wiegt. Bei Tonnen wird es schon schwieriger, aber wenn man hört, dass ein Pkw heute zwischen 1 und 1,8 Tonnen, im Mittel also etwa 1,5 Tonnen wiegt, hat man eine Vorstellung. Ein durchschnittliches Pferd wiegt etwa eine halbe Tonne, ein ausgewachsener Elefantenbulle kann bis zu 6 Tonnen auf die Waage bringen. So weit, so gut.
Aber geht es Ihnen vielleicht so wie mir: Haben Sie auch Schwierigkeiten, sich Tonnen von Luft oder Kohlendioxid vorzustellen? Gase sind doch … nun ja … fast nichts. Haben die überhaupt eine Masse?
Das Problem entsteht durch die großen Zahlen, die für die meisten Menschen abstrakte Größen sind, weil sie sie mit keinen konkreten Mengen in Verbindung bringen können. Im Zusammenhang mit den CO2-Emissionen ist oft von »Gigatonnen« (Gt) oder »Petagramm« (Pg) die Rede. Beides bezeichnet die gleiche Masse, nämlich eine Milliarde (109) Tonnen beziehungsweise eine Billiarde (1015) Gramm. Wie kann Gas so unvorstellbar viel wiegen? Oder anders gefragt: Wie viel Gas hat eine derart gigantische Masse? Ich vermute, Sie werden überrascht sein, wie wenig das ist. (Masse und Gewicht setzen wir hier der Einfachheit halber gleich.)
Wie Flüssigkeiten oder Feststoffe bestehen Gase aus Atomen oder Molekülen, sind also, wenn auch meist unsichtbar, Materie und besitzen deshalb eine Masse. So wiegt 1 Kubikmeter Luft etwa 1,3 Kilogramm, nicht viel für ein so großes Volumen, aber weit davon entfernt, nichts zu sein.
Da sich über uns eine gewaltige kilometerhohe Luftsäule auftürmt, sollte demzufolge ein nicht unerhebliches Gewicht auf uns lasten, und das tut es natürlich auch. Es sind ungefähr 17 Tonnen, etwa 1 Kilogramm pro Quadratzentimeter Körperoberfläche. Allerdings spüren wir davon nichts, weil unsere Zellen einen gleich großen Druck entgegensetzen. Wir merken es nur, wenn sich dieses auf uns lastende Gewicht schnell verändert, zum Beispiel wenn wir in einem Flugzeug aufsteigen oder im Meer abtauchen.
Stellen Sie sich nun einen Luftwürfel von 120 Metern Kantenlänge vor, etwa ein Fußballfeld lang, breit und hoch. Ein solcher Würfel würde gut 1,7 Millionen Kubikmeter Luft enthalten, wäre mit mehr als 2200 Tonnen so schwer wie 11 große Blauwale und enthielte, neben anderen Gasen, eine Tonne CO2. Eine Tonne reines CO2, darauf beziehen sich die Emissionsangaben, würde einen Würfel von nicht ganz 8 Metern Kantenlänge füllen, grob gesagt: ein kleines Einfamilienhaus. Das ist in etwa die Menge, die wir emittieren, wenn wir mit einem Benzin verbrennenden Auto 5000 Kilometer weit fahren, ungefähr von Hamburg nach Madrid und wieder zurück.
Laut dem Global Carbon Project erreichte die von der Menschheit im Jahr 2022 emittierte CO2-Menge mit 36,6 Gigatonnen einen neuen Höchstwert. In Würfelform besäße diese Menge reinen Kohlendioxids eine Kantenlänge von 2,64 Kilometern. Ein Würfel dieser Größe, bestehend aus den Kohlendioxidemissionen eines einzigen Jahres, würde beispielsweise von der Zugspitze, Deutschlands höchstem Berg, nur um gut 320 Meter überragt werden.
Über die Berge hob sich die Sonne, leuchtete in klarer Majestät in ein freundliches, aber enges Tal und weckte zu fröhlichem Leben die Geschöpfe, die geschaffen sind, an der Sonne ihres Lebens sich zu freuen.1
So beginnt die berühmte Novelle Die schwarze Spinne von Jeremias Gotthelf, erschienen im Jahr 1842 – ein Satz, der ungeachtet der grausigen Geschichte, die der Schweizer Schriftsteller erzählt, sofort Urlaubsgefühle weckt und gute Laune macht.
Aber wer ist hier gemeint? »Geschöpfe, die geschaffen sind, an der Sonne ihres Lebens sich zu freuen« – sind wir das nicht alle? Die Menschen auf jeden Fall, Lichtmangel schlägt uns aufs Gemüt. Aber dieses »wir alle« ist umfassender gemeint. Es schließt alles ein, was kreucht und fleucht, fast die gesamte Tierwelt der Erde.
Pflanzen hatte Gotthelf wohl nicht im Blick; das »fröhliche Leben«, von dem er spricht, ist ihre Sache eher nicht, dabei gilt der Satz für sie im Besonderen. Die im Licht des beginnenden Tages jubilierende Vogelschar, die Fuchsfähe, die in der Morgensonne aufmerksam über das Spiel ihrer Welpen wacht, die Libellen, die pfeilschnell über die im Morgenlicht glitzernde Wasseroberfläche schießen – ohne Pflanzen gäbe es das alles nicht. Sie sind es, die die Strahlung der Sonne als Energiequelle anzapfen und so ein fröhliches Treiben überhaupt erst möglich machen. Durch das Wunder der Photosynthese. Nur Pflanzen und einige Bakterien sind dazu in der Lage – man kann es gar nicht oft genug betonen.
Strahlung, die nicht genutzt wird, ist für immer verloren, aber die Sonne liefert zuverlässig und unaufhörlich, und dank eines evolutionären Geniestreichs reicht Pflanzen nur 1 Prozent dieser Strahlungsenergie, um mithilfe von chemischen Verbindungen aus Luft und Boden Biomasse aufzubauen, zu wachsen und die eigenen Lebensprozesse zu unterhalten. Sie sind die sogenannten Primärproduzenten, und ihre wichtigsten chemischen Baustoffe sind CO2 und Wasser.
Man nennt diese Lebensweise »photoautotroph«, was so viel heißt wie: sich mithilfe von Licht selbst ernährend. Entwickelt hat sie sich nicht erst mit den ersten Pflanzenzellen, sondern lange vorher, in einer Zeit, in der auf der Erde ausschließlich Bakterien und Archaeen lebten, einzellige Organismen ohne Zellkern.2 Die Entdeckung, dass sich die Strahlung der Sonne zur Energiegewinnung nutzen lässt, scheint schon kurz nach der Entstehung des Lebens erfolgt zu sein, vor etwa vier Milliarden Jahren, aber erst eine bis anderthalb Milliarden Jahre später entwickelten die Cyanobakterien eine Form der Photosynthese, bei der Wasser genutzt und Sauerstoff freigesetzt wird, die sogenannte oxygene Photosynthese – eine Innovation mit dramatischen Konsequenzen. Die Entstehung echter Landpflanzen vor etwa 475 Millionen Jahren lag da noch in ferner Zukunft.
Schon Cyanobakterien, die überwiegend im Wasser leben, begannen, an Land mikrobielle Matten zu bilden, und veränderten so das Erscheinungsbild der Erde. Viel drastischere Effekte bewirkte aber der von ihnen zu Lande und zu Wasser produzierte Sauerstoff. Es dauerte sehr lange, bis er in der Atmosphäre ankam und sich dort anreicherte. Irgendwann wurde aber eine kritische Schwelle überschritten, und dieses für uns so lebenswichtige Gas stürzte die Welt in ein beispielloses Chaos, und zwar in die »Große Sauerstoffkatastrophe« (great oxygenation event, GOE) vor etwa 2,4 Milliarden Jahren. Einzellige Organismen, die seit Urzeiten an eine sauerstofffreie Umwelt gewöhnt waren, sahen sich mit stetig steigenden Konzentrationen eines reaktiven und für sie giftigen Stoffes konfrontiert, der völlig neue Bedingungen schuf. Die Folge war nicht nur das wahrscheinlich größte Massenaussterben der Erdgeschichte, der Sauerstoff oxidierte auch das in der Atmosphäre viel höher als heute konzentrierte Methan, ein potentes Treibhausgas. Da damals auch die vulkanischen Aktivitäten nachließen und dadurch keine größeren Mengen an Kohlendioxid mehr in die Atmosphäre gelangten, fiel langsam die Temperatur, und die Erde erstarrte in einer Folge von Kaltzeiten, die als »huronische Vereisung« bekannt sind. Die Gletscher reichten mindestens bis in die Subtropen. Gleichzeitig begann ein vollkommen neues Kapitel in der Geschichte des Lebens. So viel zur Macht der Photosynthese.
Ihre Biomasse machte Pflanzen selbst zu einer interessanten Ressource, zur Nahrung und nachwachsenden Energie- und Kohlenstoffquelle für Lebensformen, die nicht zur photosynthetischen Selbstversorgung fähig sind: für Tiere. Zweifellos wären Pflanzen auch weiterhin ohne diese Plagegeister zurechtgekommen, doch die Evolution fragt nicht um Erlaubnis, bevor sie Neues schafft. Sie belohnt diejenigen, die sich ungenutzte Ressourcen erschließen. Was ohne Tiere aus den friedlichen Urpflanzen geworden wäre, mag sich ausmalen, wer will. In jedem Fall hätten ihre Nachfahren wohl nie bunte Blüten, süßen Nektar, betörende Düfte und schmackhafte Früchte hervorgebracht, um Bestäuber und Samenverteiler anzulocken.
Seitdem es Tiere gibt, fließt also ein Teil des von Pflanzen aufgenommenen und mithilfe des Sonnenlichts in ihren Geweben gespeicherten Kohlenstoffs in die Mäuler, Darmschlingen und schließlich die Gewebe dieser Konsumenten, der Pflanzenfresser oder Phytophagen.3 Wie viel das ist, hängt von den jeweiligen Ökosystemen ab. In den Ozeanen vertilgen Tiere mitunter bis zu 80 Prozent der pflanzlichen Biomasse, an Land erheblich weniger, in nordischen Wäldern sind es nur 1 bis 3 Prozent.
Obwohl Pflanzen nur einen winzigen Bruchteil der einfallenden Strahlungsenergie nutzen, reicht noch viel weniger, nämlich nur ein bis drei Hundertstel dieser in Kohlenstoffverbindungen gebundenen Energie, um ein Riesenheer an Pflanzenfressern zu unterhalten. Es sind Tiere, die auf organische Verbindungen angewiesen sind, die andere – die Produzenten – aufgebaut haben. Enzyme in ihrem Darm zerlegen die Pflanzenstoffe in kleinere Moleküle, aus denen die Phytophagen ihre eigenen Körper aufbauen. Einen Teil »veratmen« sie mithilfe von Sauerstoff und setzen so die darin gebundene Energie wieder frei. Unverdauliches wird ausgeschieden und von Spezialisten weiterverarbeitet, von Pilzen, Mikroben und allerlei Klein- und Kleinstgetier. Am Ende der Kette entsteht immer das, was auch an ihrem Anfang stand: Kohlendioxid und Wasser. Von der Energie, die sie aufgenommen haben, ist in den Körpern der Pflanzenfresser nur noch ein Zehntel übrig geblieben. Ein erheblicher Teil ist als Wärme verloren gegangen, den Rest verbrauchen die Vegetarier unter den Tieren für ihre Bewegung und zur Aufrechterhaltung ihrer Körperfunktionen.
Übrigens – das wird oft vergessen: Auch Pflanzen atmen. Natürlich! Sie erzeugen Sauerstoff nicht nur, sie verbrauchen ihn auch. Pflanzen produzieren die energiereichen Verbindungen ja nicht, damit Tiere sich mit ihnen die Bäuche vollschlagen, sondern um ihre eigenen Lebensprozesse zu unterhalten. Der Verbrauch fällt besonders nachts auf, wenn mangels Licht keine Photosynthese stattfinden kann. Unter dem Strich fällt die pflanzliche Sauerstoffbilanz aber deutlich positiv aus.
Daran – noch eine gute Nachricht – wird sich wohl auch in einer wärmeren Welt nichts Wesentliches ändern. Lange Zeit befürchtete man, dass die pflanzliche CO2-Produktion durch Atmung mit steigenden Temperaturen stark zunehmen würde. Sie übertrifft die menschlichen Emissionen pro Jahr deutlich, sodass eine Zunahme dramatische Effekte hätte und den Klimawandel weiter antreiben würde. Mehrjährige und aufwendige Untersuchungen in Minnesota, USA, gaben jedoch Entwarnung. Erstmals wurden dort an 1200 jungen Bäumen aus zehn nordamerikanischen Arten, die künstlich einer 3,4 °C höheren Temperatur ausgesetzt wurden, über mehrere Jahre hinweg genaue Messungen durchgeführt. Das Ergebnis: Die Bäume passten sich an. Zwar erzeugten sie tatsächlich 5 Prozent mehr CO2 als Bäume, die bei kühleren Umgebungstemperaturen wuchsen. Aufgrund des bisherigen Kenntnisstands hatten die Forscherinnen und Forscher aber mit einer deutlich höheren Mehrproduktion von über 20 Prozent gerechnet.4
In den Körpern durchschnittlicher Pflanzenfresser bleibt von der auf die Erde treffenden Strahlungsenergie nur noch 0,01 Prozent übrig. Das klingt nach wenig, ist aber mehr als genug, um die Existenz einer weiteren großen Gruppe von Lebewesen zu garantieren – jener Tiere, die ihrerseits Pflanzenfresser verzehren, der Raubtiere oder Prädatoren also. Es gibt und gab sie in allen Lebensräumen und in den verschiedensten Größen und Gestalten, vom Marienkäfer bis zum T. rex, vom Stichling bis zum Riesenhai Megalodon, vom Rotkehlchen bis zum Terrorvogel Diatryma.
Doch die Weitergabe der in organische Kohlenstoffverbindungen konvertierten Lichtenergie ist hier noch nicht am Ende angekommen. Indem ein Vogel, der gerade ein räuberisches Insekt aufgepickt hat, selbst in den Fängen eines Wiesels landen kann und das wiederum im Schnabel eines Uhus, baut sich auf den Phytophagen ein mehr oder weniger kompliziertes Netz von Konsumenten zweiter, dritter, selten sogar vierter und fünfter Ordnung auf. Von Stufe zu Stufe dieses Energieflusses geht ein beträchtlicher und wachsender Teil als Wärme verloren, nimmt die Körpermasse der Konsumenten zu, wachsen die Gebiete, die die Tiere durchstreifen müssen, um ausreichend Beute zu machen, und sinkt die Zahl der Individuen, die auf diese Weise noch auf ihre Kosten kommen. Ein Superräuber, der sich von Topprädatoren ernährt, ist energetisch unmöglich.
Die Vielfalt des Lebens auf diesem Planeten hängt von der Energie der Sonnenstrahlung ab und von der Fähigkeit der Pflanzen, sich diese Energie nutzbar zu machen, sie unter Verbrauch von CO2 in energiereichen chemischen Verbindungen zu speichern. Sie wird – mit großen Verlusten – von Stufe zu Stufe weitergegeben, bis sie mit Tod und Zersetzung der Organismen endgültig in Wärme aufgeht und auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Das dabei frei werdende Kohlendioxid ist bereit für einen neuen Zyklus.
Leben, wie wir es kennen, basiert auf Kohlenstoff, der, verglichen mit anderen Elementen, auf der Erde eher selten ist. Sein Anteil an der Gesamtmasse des Planeten beträgt nur 0,01 Prozent, was etwa 75 Millionen Gigatonnen entspricht, die zum weitaus überwiegenden Teil als Karbonate dauerhaft in den Gesteinen der Erdkruste gespeichert sind. Dagegen fallen die etwa 40 000 Gigatonnen Kohlenstoff, die in den Ozeanen und dort vor allem in der Tiefsee gespeichert sind, kaum ins Gewicht.5
Der kleinste, in unserem Zusammenhang aber bedeutsamste Teil des irdischen Kohlenstoffvorrats befindet sich in der Atmosphäre – vor allem in Form von Kohlendioxid6 – und in der toten und lebenden Biomasse von Organismen. Atmosphäre und Biosphäre stehen dabei in regem Austausch. Während Landvegetation und Meerespflanzen im Zuge der Photosynthese CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen und verbrauchen (etwa 120 bzw. 90 Gt pro Jahr), geben es alle lebenden Organismen durch ihre Atmung in etwa gleicher Größenordnung wieder ab; jedenfalls war das in den letzten fast 12 000 Jahren so, dem Holozän, in dem sich die gesamte Zivilisationsgeschichte der Menschheit abspielte. Die CO2-Konzentration der Atmosphäre blieb weitgehend konstant und das Klima bemerkenswert stabil.
Die Zusammensetzung der Atmosphäre dieser Zeit kann anhand von winzigen Lufteinschlüssen im Gletschereis direkt gemessen werden. Da aus der Antarktis mittlerweile mehrere Eisbohrkerne vorliegen, die an verschiedenen Standorten mit jeweils unterschiedlichen Bedingungen gewonnen wurden, lassen sich die Ergebnisse auch gut absichern und gelten als sehr zuverlässig. Im Rahmen des European Project for Ice Coring in Antarctica (EPICA) wurde eine Bohrung (»Dome C«) tiefer als 3000 Meter ins Eis getrieben und endete nur wenige Meter über dem Grund. Der gewonnene Eiskern enthält wertvolle Informationen über die Klimageschichte der letzten 800 000 Jahre und somit über mindestens acht Eiszeitzyklen.7
Daher wissen wir, dass der CO2-Gehalt der Atmosphäre während der Kaltzeiten bei 180 bis 210 parts per million (ppm) lag und in den warmen Zwischeneiszeiten auf 280 bis 300 ppm anstieg. Ausgelöst wurde dieses großklimatische Hin und Her durch regelmäßig auftretende Schwankungen der Erdbahn, die sogenannten Milanković-Zyklen, also nicht durch die steigenden Kohlendioxidkonzentrationen. Diese folgten den Temperaturen erst im Abstand von einigen Jahrhunderten,8 weil Wärme CO2-produzierende Lebensprozesse wie die Atmung oder die Zersetzung von organischem Material ankurbelt. Der wachsende CO2-Gehalt der Atmosphäre wirkte sich dann aber verstärkend aus und trieb die Temperaturen durch den Treibhauseffekt weiter in die Höhe – ein klassischer positiver Rückkopplungseffekt.9
Genauso verhält es sich übrigens mit dem wichtigsten aller Treibhausgase: dem Wasserdampf. Je mehr sich die Erde erwärmt, desto höher ist der Wasserdampfgehalt der Atmosphäre und desto stärker der davon ausgehende Treibhauseffekt. Beeinflussen können wir diese Prozesse nicht, deshalb konzentrieren wir uns auf das CO2.
Gut 280 ppm betrug die Kohlendioxidkonzentration auch vor dem Beginn der Industrialisierung in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dann entfachten die Menschen ihre von fossilen Energien genährten Feuer und sorgten innerhalb eines erdgeschichtlichen Wimpernschlags für einen Anstieg, der in den letzten 66 Millionen Jahren, also seit dem Aussterben der Dinosaurier, ohne Beispiel ist.10