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++ Romantisch, witzig, spannend - der sommerliche Überraschungserfolg von Anne Lux! +++ Eigentlich ist alles perfekt, aber Stefanie findet es furchtbar: Ihr Freund Peter hat sie mit dem Kauf einer Doppelhaushälfte überrascht, doch was für viele die Erfüllung eines Traums wäre, schnürt Stefanie regelrecht die Kehle zu. Ihr Job als Texterin ist auch nicht erfüllend, sie fühlt sich verheizt und kämpft mit Intrigen. Und dann ist da noch die Sache mit den nie verwirklichten Träumen wie der Weltreise, der sie immer noch nachhängt. Als Stefanie den attraktiven Unternehmer Rolo kennenlernt, stellt dieser ihr Leben erst einmal auf den Kopf. Eine leidenschaftliche Affäre beginnt, aber der Euphorie folgt bald Ernüchterung, als Rolo sich plötzlich nicht mehr meldet. Im Nu ist Stefanie wieder im Alltag gefangen und genauso schnell mit Peter verlobt. Doch Rolo kämpft um sie – und gegen die Schatten aus seiner Vergangenheit. Er nimmt Stefanie mit auf eine aufregende Reise durch Asien, doch ihre Unsicherheit wächst: Ist eine neue Liebe wirklich die Lösung für alles, was im eigenen Leben schiefläuft? Wird sie zurechtkommen mit Rolos dreizehnjähriger Tochter, die er allein großzieht? Als die Zweifel übermächtig werden, nimmt Stefanie all ihren Mut zusammen und entschließt sich zu einem radikalen Schritt, um wirklich zu sich selbst zu finden …
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Inhaltsverzeichnis
Gewitterwarnung
Unbeständige Wetterlage
Platzregen nach schwüler Hitze
Deutliche Abkühlung
Sommer in der Stadt I
Schwirren in der Luft
Wolkenkollision
Unsichere Prognosen
Turbulenzen
Ruhe vor dem Sturm
Zwischenhoch
Wetterumschwung
Sommer in der Stadt II
Grau in Grau
Warten auf Regen
Klimawechsel
Heiter mit kühlen Momenten
Sonne und Wolken
Wind of Change
Beste Reisezeit
Epilog
Weitere Titel von Anne Lux
Über die Autorin
Anne Lux
Mitten im Sommer,
mitten ins Herz
Roman
Mai 2016
© 2016 by Anne Lux, München
Umschlaggestaltung:
Michaela Huml, büro aha!, München
Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mithilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, sind ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten. Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Die bisherigen Romane von Anne Lux in chronologischer Reihenfolge:
Liebestrilogie
Mitten im Sommer, mitten ins Herz (Bd. 1)
Alles auf Anfang, alles auf Glück (Bd. 2)
Sehnsucht nach Insel & Mehr (Bd. 3)
Cornwall-Trilogie
Tausche Alltag gegen Insel (Bd. 1)
Tausche Alltag gegen Glück (Bd. 2)
Tausche Alltag gegen Horizont (Bd. 3)
Island-Roman
Glück ist wie das Meer (Roman)
Sammelbände
Alles auf Liebe (Liebestrilogie Bd. 1–3)
Tausche Alltag gegen Cornwall (Cornwall 1 und 2)
Über das Buch
Eigentlich ist alles perfekt, aber Stefanie findet es furchtbar: Ihr Freund Peter hat sie mit dem Kauf einer Doppelhaushälfte überrascht, doch was für viele die Erfüllung eines Traums wäre, schnürt Stefanie regelrecht die Kehle zu. Ihr Job als Texterin ist auch nicht erfüllend, sie fühlt sich verheizt und kämpft mit Intrigen. Und dann ist da noch die Sache mit den nie verwirklichten Träumen wie der Weltreise, denen sie immer noch nachhängt. Als Stefanie den attraktiven Unternehmer Rolo kennenlernt, stellt dieser ihr Leben erst einmal auf den Kopf. Eine leidenschaftliche Affäre beginnt, aber der Euphorie folgt bald Ernüchterung. Als die Zweifel übermächtig werden, nimmt Stefanie all ihren Mut zusammen und entschließt sich zu einem radikalen Schritt, um wirklich zu sich selbst zu finden …
…
Ein Roman über Liebe, Selbstzweifel und den Mut, für seine Ziele und Wünsche zu kämpfen.
Um kurz vor halb sieben beschloss Stefanie Mertens, heute nicht bis fast Mitternacht in der Agentur zu bleiben. Seit sechs Wochen war sie jeden Morgen als Erste hier gewesen und über zehn Stunden später als Letzte gegangen. Seit sechs Wochen zwang sie sich, den Jahrhundertsommer zu ignorieren, der sich auf der anderen Seite der Bürofenster abspielte und jeden Abend die Münchner in Massen in die Biergärten und an die Isar trieb. Seit sechs Wochen vertröstete sie ihre Freunde und Familie auf die Zeit nach dem »krassen Projekt« und versprach für danach endlich wieder ungeteilte Aufmerksamkeit. Seit sechs Wochen sah sie Peter nur noch, wenn sie schon dabei war, die Wohnung zu verlassen, und er schlaftrunken in den Flur wankte, um ihr einen Abschiedskuss zu geben.
»Mach sie fertig, Tiger«, raunte er seit sechs Wochen täglich und vergrub seinen Kopf an ihrem Hals, bis sie sich sanft losmachte. Sein Verständnis war groß, aber er kannte sie auch gut genug, um zu wissen, dass sie sich voll und ganz der Arbeit widmete, wenn die Aufgaben es verlangten. Und dass sie es gern tat, weil sie ihren Job liebte und beruflich weiterkommen wollte. Aber seine Kompromissbereitschaft war auch nicht grenzenlos, das wusste Stefanie. Veränderungen hatten sich bei ihm eingeschlichen und sie konnte sie nicht einordnen. In letzter Zeit hatte er oft Telefonate abrupt abgebrochen, wenn sie in die Küche oder in das Schlafzimmer gekommen war, und auf ihre Nachfrage geantwortet, er habe mit Tim gesprochen, seinem besten Freund. Manchmal starrte er bei den wenigen Mahlzeiten, die sie momentan gemeinsam einnahmen, gedankenverloren aus dem Fenster und sah sie erschrocken an, wenn sie laut seinen Namen sagte.
Stefanie seufzte. Entweder fühlte sich Peter vernachlässigt, weil sie so wenig Zeit mit ihm verbrachte, und musste deshalb Krisengespräche mit Tim führen. Oder er hatte eine Affäre und freute sich insgeheim, wenn sie anderweitig beschäftigt war. Sie musste lächeln. Letzteres war so absurd wie die Vorstellung, dass ihre Eltern einen Kurs für tantrische Körperarbeit und Massage besuchen würden. Dennoch: Die letzten Wochen waren kein Zustand gewesen und sie musste etwas ändern, für sich selbst und für Peter.
Stefanie stieß sich vom Schreibtisch ab und rollte mit ihrem Stuhl an das Fenster. Eine dichte Wolkendecke hatte den Himmel, der vor einer Stunde noch leuchtend blau gewesen war, verdunkelt. Ein Gewitter war im Anmarsch.
»Mist«, murmelte sie und überlegte kurz, doch noch ein wenig zu bleiben, entschied sich dann aber dagegen. Das Projekt war so gut wie abgeschlossen, der Kunde hochzufrieden und ihr Überstundenkonto so voll wie nie.
Stefanie griff entschlossen zur Maus, fuhr alle Programme herunter und verließ ihr Büro. Im Gang merkte sie, dass sie fröstelte. Die Klimaanlage lief immer noch auf Hochtouren, doch während der Hektik des Tages, wenn sie eingebunden war in Meetings, Telefonkonferenzen und Briefings, sorgte schon ihr erhöhter Adrenalinspiegel dafür, dass sie nicht fror.
Ihr Blick fiel auf die Tür von Reto Zöllers Büro. Sie stand leicht offen und ein schwacher Lichtstrahl fiel durch den Spalt auf den Boden. Sie machte einige Schritte darauf zu, hielt dann jedoch inne. Wenn sie jetzt zu ihm ginge, wirkte das nicht so, als würde sie bewusst zeigen wollen, dass sie selbst am Freitagabend sehr lange arbeitete? Hallo Boss, alle anderen sind schon ewig weg, aber ich, Stefanie Mertens, bin der last man standing und gebe alles für die Agentur? Und überhaupt, der Flurfunk vermeldete Widersprüchliches über den Agenturchef, der DreamDesign seit zehn Jahren durch glanzvolle wie weniger traumhafte Zeiten führte. Er grabe alles mit zwei X-Chromosomen an, was bei drei nicht auf dem Baum sei, und habe die Hälfte der Mitarbeiterinnen mit Sicherheit schon auf seiner schwarzen Büro-Ledercouch vernascht, sagten die einen, von denen, das musste fairerweise gesagt werden, die meisten männlich waren. Er sei eben sehr charmant und halte seine Kolleginnen und Kollegen gern bei Laune durch den ein oder anderen charmanten, aber durchaus intelligenten Spruch, meinte die Gegenfraktion, die wiederum überwiegend weiblich war. Stefanie gab nichts auf all die Gerüchte und Sprüche. Sie mochte und respektierte Reto und war sich sicher, dass auch er sie schätze. Wenn sie dennoch Gefahr lief, eines der verbreiteten Gerüchte zumindest als nicht abwegig zu betrachten, dachte sie an den Februar dieses Jahres, als Reto zu mehreren Morgenmeetings mit weißem Pulver unter der Nase erschienen war. Das Gerücht, er würde sich erst einmal eine »Line Koks ziehen«, wenn er im Büro angekommen war, hatte für eine Woche fast das Tagesgeschäft zum Erliegen gebracht. Aus der Welt geräumt wurde die Sache erst, als die damalige Teamassistentin Mona ihn dabei antraf, wie er an seinem Schreibtisch saß und genüsslich in einen gepuderten Faschingskrapfen biss.
Stefanie klopfte sachte. Als sich nichts rührte, öffnete sie die Tür und trat ein.
»Reto?«
Stille.
»Reto?«, wiederholte sie. »Bist du da?«
»Hmm?«, brummte jemand.
»Wo bist du?« Stefanie sah sich um. Auf Retos Schreibtisch befand sich wie immer nichts außer einem großen Flachbildschirm und einer Funkmaus. Sein schwarzer Bürostuhl war leer.
»Äh, wo genau?«
»Hier unten.« In diesem Moment erschien eine Hand auf der Schreibtischplatte, kurz darauf Reto, der sich langsam hochzog. Sein Gesicht war leicht gerötet, sein Hemd ein paar Knöpfe weiter geöffnet als während des Tages. Dunkle Haarsträhnen, die sonst akkurat nach hinten gekämmt waren, hingen in seine Stirn.
Scheiße, dachte Stefanie und machte ein paar Schritte zurück. Sie spürte, dass sie rot wurde, und verfluchte sich dafür, nicht direkt das Gebäude verlassen zu haben.
»Stefanie Mertens«, sagte Reto Zöller und atmete schwer aus. »Was kann ich für dich tun?« Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich auf seinen Stuhl fallen und sah sie erwartungsvoll an.
»Bist … bist du allein?«, stotterte sie.
»Soweit ich weiß, ja.«
»Aber wieso … was machst du unter dem Schreibtisch? Um diese Uhrzeit?«
»Gibt es eine angemessene Uhrzeit für den Aufenthalt unter einem Schreibtisch?«
»Was?«
»Es ist Freitag, die Woche war lang und hektisch, aber wem erzähle ich das, du warst ja die meiste Zeit da, und da dachte ich, ich mache rasch noch eine entspannende Übung, bevor ich nach Hause gehe, wo die Familie bereits sehnsüchtig auf mich wartet.«
»Eine Übung?«
»Ja, Yoga-Übung. Den Schmetterling. Kleiner Flügelschlag, große Wirkung. Gut für die Beweglichkeit der Beine, fördert die Durchblutung des Beckens und kräftigt den Beckenboden. Zudem öffnet er die Hüften, dehnt die Innenschenkel und macht geschmeidig auch für Sexstellungen, bei denen mir früher vielleicht schnell die Puste ausging. Meine Frau freut sich.«
Stefanie schwieg betreten. Sie wusste, dass ihr Gesicht mittlerweile dunkelrot war. Für eine Minute herrschte Schweigen, bis Reto in schallendes Gelächter ausbrach.
»Stefanie Mertens, das war ein Scherz! Entspann dich! Geh nach Hause – oder in den Biergarten, das ist ein Befehl. Fahr zu deinem Freund, sei lieb zu ihm, ich will dich bis Montag neun Uhr auf keinen Fall mehr hier sehen.«
Steffi lachte ebenfalls, wusste aber, dass es sich künstlich und übertrieben anhörte. Sie beschloss, nicht zu fragen, was er denn nun wirklich unter dem Schreibtisch gemacht hatte. Bei manchen Dingen war es besser, wenn man sie nicht wusste.
»Ich verschwinde jetzt tatsächlich«, sagte sie. »Ich wollte dir eigentlich nur ein schönes Wochenende wünschen.«
»Das wünsche ich dir auch, Steffi. Bis Montag.«
Als sie bereits an der Tür war, räusperte er sich. Alarmiert wandte sie sich um. »Ja?«
Reto hatte mittlerweile sein Hemd wieder ordnungsgemäß zugeknöpft und sein Haar in die angestammte Position gebracht. »Steffi, ich habe durchaus zur Kenntnis genommen, wie sehr du dich für das Projekt Neumann eingesetzt hast. Dass alle jetzt so zufrieden sind, liegt vor allem an deinem Einsatz und …«
»Sorry, dass ich dich unterbreche, Reto, aber ohne die Hilfe von …«
»Hör mir kurz auf mit dem ganzen Wir-haben-das-als-Team-geschafft-Sermon, Steffi, tu mir den Gefallen. Wir wissen beide, dass es in diesem Fall nicht so war und ohne dich das ganze Ding den Bach hinuntergegangen wäre.«
Steffi erwiderte nichts. Endlich sagt es mal einer, dachte sie.
»Danke, Reto«, sagte sie dann. »Ich weiß es wirklich zu schätzen, wenn du …«
»Stopp, auch diesen Sermon möchte ich jetzt nicht hören. Pass auf, Steffi.« Er zog seinen Stuhl näher an den Schreibtisch heran, griff nach der Maus und begann hektisch zu klicken. »Am Montag möchte ich mit dir über ein neues Projekt sprechen, bei dem ich dich gerne einsetzen würde … Moment, ich habe es gleich … ich hatte das alles … eigentlich hier … gespeichert … Moment, kann sich nur noch um Stunden halten …« Retos Zeigefinger hackte auf die Maus ein, dass sie Stefanie beinahe leid tat.
»Reto?«, sagte sie vorsichtig.
»Hmm?«
»Wenn das ein Projekt von ähnlicher Größenordnung wie Neumann ist, dann weiß ich nicht, ob … Die letzte Zeit war schon sehr aufreibend und ich …«
»Es ist kein Projekt von ähnlicher Größenordnung.«
»Nein?«
»Es ist deutlich umfangreicher.«
Sie starrte ihn an.
»Es ist deutlich umfangreicher«, wiederholt Reto. »Dazu prestigeträchtiger, cooler und aufregender.« Er hörte auf, seine Maus zu traktieren, und sah sie an. »Und ich möchte nicht, dass du als Texterin daran beteiligt bist, sondern als Teamleiterin. Das hast du dir verdient – und soweit ich weiß, ist es das, was du dir schon seit Längerem wünscht.«
»Aber das ist doch kein Grund, du musst schon wirklich davon überzeugt sein, dass ich …«
Reto hob abwehrend beide Hände. »Steffi! Sei ruhig und geh einfach ins Wochenende. Okay? Meinst du wirklich, ich habe in einer Agentur wie dieser Almosen zu vergeben? Wenn ich der Meinung bin, dass jemand einen Job verdient, dann hat er ihn auch verdient und mein komplettes Vertrauen.«
Steffi lachte. »Ist ja gut. Ich bin dann weg. Grüß Sarah und die Kinder.«
»Wir sehen uns montags, Steffi. Dann erzähl ich dir auch alles zu dem neuen Projekt.«
Sie wandte sich ab und war schon fast zur Tür hinaus, als ein lautes Niesen durch das Büro schallte. Viel zu hoch, um von Reto Zöller, einem breitschultrigen trainierten Mann von über einem Meter achtzig, zu stammen. Langsam drehte sich Stefanie um. Ihr Blick traf den ihres Chefs, der stumm und langsam den Kopf schüttelte. Sie setzte an, etwas zu sagen, nickte dann jedoch nur, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.
Als sie auf die Straße trat, schlug ihr schwülwarme Luft entgegen. Dunkle Wolken türmten sich mittlerweile am Himmel und zogen in raschem Tempo über die Türme der Frauenkirche. Die Theatinerstraße war voller Menschen, die sich von dem drohenden Unwetter nicht von ihren Einkaufstouren abhalten ließen. Für einen Moment schloss Stefanie die Augen und ließ das kurze Gespräch mit Reto Revue passieren. Teamleiterin. Prestigeträchtiges Projekt. Komplette Verantwortung. Komplettes Vertrauen. Reto hatte recht, das hatte sie sich schon seit einiger Zeit gewünscht. Dass es nun so weit war, konnte sie kaum glauben. Aber es war fantastisch. Sie öffnete die Augen wieder. Oder nicht? Würde sie das alles überhaupt schaffen? Schon das letzte Projekt hatte sie an ihre Belastungsgrenze gebracht und wenn dieses jetzt noch größer war …
Eine eingehende Nachricht auf ihrem Handy unterbrach ihre Überlegungen.
Hi Liebling, kannst du schon absehen, wann du in etwa kommst?, fragte Peter. Aber kein Stress!
Ich bin unterwegs, antwortete sie. Soll ich noch irgendwas mitbringen essenstechnisch?
Nein, nicht nötig. Bring nur dich mit.
Stefanie lächelte, verstaute ihr Telefon in der Handtasche und schloss ihr Fahrrad auf, das sie direkt vor dem Gebäude geparkt hatte. Sie schob es in die Weinstraße, passierte den Marienhof, überquerte die Kaufingerstraße und schwang sich auf Höhe des Eingangs zum Café Glockenspiel in den Sattel. Im Zickzackkurs schlängelte sie sich durch den Strom der Passanten und beschloss, einen kleinen Umweg zu fahren, um noch Blumen zu kaufen, zur Feier des Tages.
Ein leises Donnergrollen war aus der Ferne zu hören. Stefanie sah zum Himmel und beschleunigte ihr Tempo.
Die meisten Stände hatten bereits geschlossen oder waren dabei zu schließen, als sie am Viktualienmarkt ankam. Bei Blumen Baur stieg sie rasch ab, kaufte einen Strauß aus Löwenmäulchen, Wiesenkerbel und Glockenblume, platzierte ihn vorsichtig in ihrer großen Tasche auf dem Gepäckträger und schwang sich wieder auf ihr Fahrrad.
Mittlerweile war der Himmel fast schwarz. Stefanie spürte erste Tropfen auf ihren nackten Oberarmen, als sie auf der Reichenbachbrücke die Isar überquerte. Trotz der drohenden Kulisse über ihnen bevölkerten noch unzählige Menschen die beiden Uferseiten, lagen spärlich bekleidet auf den Wiesen oder saßen auf den steinernen Stufen, ließen die Beine ins Wasser baumeln, tranken aus Flaschen. Einige Unerschrockene legten Würste und Fleisch auf Einweggrills, wohl in dem Glauben, mit diesen Opfern den Wettergott kurzfristig noch einmal besänftigen zu können.
Stefanie nahm die Szenen im Vorbeifahren auf und fühlte sich ihnen seltsam entfremdet. War sie in diesem Sommer einmal abends an der Isar gewesen? Sie konnte es nicht mit Sicherheit sagen, die letzten Wochen verschwammen zu einem Gemisch aus schlaflosen Nächten, Morgen, an denen sie gerädert und allein ihren Kaffee in der Küche schlürfte, endlosen Meetings, nächtlichen Heimfahrten und wieder schlaflosen Nächten. Und an den Wochenenden? Sie konnte sich an einen einzigen Ausflug mit Peter erinnern, der Tag war heiß gewesen und die Stimmung schlecht. Sie hatten die Mountainbikes zu Hause gelassen, weil Stefanie keine »Lust auf Anstrengung« gehabt hatte und »einfach etwas Entspannendes« machen wollte. Sie waren an den Schliersee gefahren, wollten ihn zu Fuß umrunden und danach im Café Milchhäusl Kaffee und Kuchen genießen, aber so weit kam es nicht. Der »entspannte« Tag endete nach zwanzig Minuten Spaziergang, als Stefanie siedend heiß einfiel, dass sie am Freitag vergessen hatte, eine wichtige E-Mail zu versenden.
»Schick sie doch jetzt einfach«, hatte Peter gewagt vorzuschlagen. »Vom Smartphone aus.«
Eine halbe Stunde später befanden sie sich auf der Rückfahrt nach München. Schweigend. Peter frustriert, Stefanie nervös. Die Mail war nicht das Entscheidende gewesen, der Anhang war es. Die Datei befand sich allerdings nur auf Stefanies Bürorechner. Sie verbrachte den Rest des Tages in der Agentur, schickte die Mail und räumte dann endlich ihren Schreibtisch auf. Peter saß derweil gemütlich auf dem Balkon. Glaubte sie. Hoffte sie. Sie hatten über den missglückten Samstag nicht mehr gesprochen.
Stefanie fühlte ein Ziehen im Bauch, wenn sie daran dachte, wie sehr sie Peter in der letzten Zeit vernachlässigt hatte und wie wenig er ihr es zum Vorwurf gemacht hatte und machte.
Sie begann sich gerade auszumalen, wie anders sie jetzt erst einmal alles machen würde, als der Himmel abrupt alle Schleusen öffnete. Einem Sturzbach gleich prasselte der Regen auf die Erde.
»Scheiße!«, schrie Stefanie und stellte sich in die Pedale, um am Gasteiger Berg nicht viel Tempo einzubüßen. Sie liebte Haidhausen, fluchte aber regelmäßig über die Tatsache, dass man den Stadtteil im Münchner Osten nur über lang gestreckte Steigungen erreichte, wenn man aus dem Zentrum kam.
Am Rosenheimer Platz war sie nass bis auf die Haut. Sie schoss in die Metzstraße, bremste abrupt vor ihrem Haus, sprang vom Rad, sperrte es hastig ab, riss die Tasche vom Gepäckträger, öffnete die Tür und stürzte in den Flur.
Einen Moment hielt sie inne, um ihren Atem zu beruhigen. Im Treppenhaus war außer dem leisen Aufprallen der Wassertropfen auf das Parkett nichts zu hören. Sie lauschte in die Stille. Doch, ganz leise drang etwas aus einem der oberen Stockwerke nach unten. Tocotronic? Es klang so. Peters Musik.
Sie stieg die Treppen hinauf. Ihr Haar klebte in der Stirn und ihr T-Shirt an ihrem Körper. In ihren Sneakern quietschte es bei jedem Schritt. Als sie vor der Wohnungstür stand, fühlte sie sich wie eine geschlagene Kriegerin. Geschlagen von Wind und Wetter und Wochen voller Anspannung. Nur jetzt schnell ins Bad, umziehen, die Haare trocknen und dann … dann einfach an nichts denken und nichts tun.
Sie drehte den Schlüssel so leise wie möglich im Schloss und schlüpfte in den Flur.
»Steffi?«, drang es aus der Küche. Die Musik wurde abgestellt. Es war tatsächlich Tocotronic gewesen.
Mist, dachte Stefanie.
»Ja, ich bin’s«, rief sie bemüht fröhlich, streifte die Schuhe ab und ging auf Zehenspitzen Richtung Badezimmer. »Ich spring nur schnell unter die Dusche und …«
»He-ho, Moment, Wet-T-Shirt-Contest, oder was?«
Sie blieb wie ertappt stehen und wandte sich langsam um. »Wie bitte?«
Peter war in den Gang getreten. Er trug seine Schürze mit der Aufschrift »Chefkoch«. Erst jetzt nahm Stefanie wahr, wie intensiv es aus der Küche roch. Wahrscheinlich machte er sein thailändisches Curry.
Peter grinste. »Naja, du fährst augenscheinlich ultra-sexy durch die ganze Stadt und willst mir jetzt diesen Anblick vorenthalten.«
Stefanie drehte sich zum Wandspiegel. Tatsächlich. Ihr weißes T-Shirt war nicht nur durchnässt, sondern durchsichtig. Ihr BH und ihre Brustwarzen zeichneten sich deutlich unter dem leichten Stoff ab.
Peter kam auf sie zu und breitete die Arme aus. Stefanie wich unwillkürlich zurück.
»Vorsicht, ich bin total nass!«
»Meinst du, das stört mich auch nur im Geringsten? Komm her, du supererfolgreiche Projektbetreuerin mit dem schärfsten Body in ganz München.« Er vergrub seinen Kopf an ihrem Hals, so wie morgens, wenn er sie schlaftrunken verabschiedete. »Ich freu mich für dich, dass du jetzt das Schlimmste überstanden hast arbeitstechnisch. Und hoffe, dass jetzt in der Agentur ein Sommerloch kommt.«
»Du musst in die Küche«, sagte Stefanie leise. »Das Essen.« Sie ließ die Arme seitlich am Körper herunterhängen, um Peter nicht noch nässer zu machen, aber er hielt sie fest umschlungen und machte keine Anstalten, sie gehen zu lassen. »Herd ist heruntergedreht«, brummte er.
Stefanie spürte, wie leichte Ungeduld in ihr aufstieg. Mit sanftem Druck löste sie sich aus der Umklammerung und küsste Peter flüchtig auf die Wange. »Ich bin gleich ganz bei dir. Nur zehn Minuten, okay?«
Sie wusste nicht, warum sie so übertrieben flötete, es schien ihr einfach die beste Strategie zu sein, um rasch aus den nassen Klamotten zu kommen – und zwar nicht im Beisein Peters. Er wandte sich seufzend ab und verschwand in der Küche. »Zehn Minuten, okay?«, rief er noch.
Sie schloss die Badezimmertür hinter sich und atmete tief durch. Alles okay, sagt sie sich. Alles super. Jetzt einfach schnell umziehen und guter Laune zurückkommen, dann ist der Abend gerettet und Peter zufrieden. Ihr Blick blieb an ihrem Spiegelbild haften, an den dunklen langen Haaren, die sich wie schwarze Schlangen an ihren Kopf pressten, an ihren blauen Augen, die Peter gerne »gletscherblau« nannte, und an ihren Brüsten, denen er schon so viele Namen gegeben hatte, dass sie sich nicht mehr an alle erinnern konnte. Einige hatten mit Obst zu tun, rund und nicht allzu klein. Sie seufzte und begann sich auszuziehen. Als sie kurz darauf aus der Dusche stieg, schlüpfte sie in ihren Bademantel, schlang einen Handtuchturban um die Haare und ging in die Küche.
»Zehn Minuten, hm?« Peter stand am Herd und wandte sich nicht um, als sie eintrat.
Sie war nicht sicher, ob er die Bemerkung belustigt meinte, und beschloss, sie zu ignorieren. »Ist Apfelsaft da?«, fragte sie und öffnete den Kühlschrank.
»Nein, aber immer noch der Holundersaft von deiner Mutter. Bevor wir das nächste Mal zu deinen Eltern fahren, sollten wir ihn zumindest probieren, um – hola, im Bademantel siehst du auch nicht gerade unscharf aus.«
Stefanie sah an sich herunter und wieder zu Peter. »Das war … jetzt eigentlich nur die Schnelllösung und nicht …«
»Gefällt mir gut, die Schnelllösung.« Sie sah, wie er erneut den Herd herunterdrehte und auf sie zukam. »Es gibt für fast alles eine Schnelllösung.«
»Peter, ich dachte, wir essen jetzt erst mal gemütlich und ich erzähl dir, was Reto heute …«
»Kannst du danach«, sagte er, zog sie zu sich heran und küsste sie auf den Mund. Seine andere Hand glitt unter den Bademantel.
Stefanie erwiderte seinen Kuss, doch ihr Kopf dröhnte. Sie hörte ihren Magen knurren und fühlte sich von einem Moment auf den anderen schwindelig. Sie hörte Peter leise brummen und spürte seine Lippen auf ihrer Schulter. Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf und zogen rasant vorbei, Bilder aus der Agentur, immer wieder aus der Agentur, zuletzt Reto Zöller hinter seinem Schreibtisch, dann ihre Mutter, die sie vorwurfsvoll ansah, ihre beste Freundin Vanessa, die sich lauthals mit anderen amüsierte, ihre Oma, die sie längst wieder einmal anrufen müsste …
»Steffi?«
… das Fitnessstudio, das sie seit Monaten nur noch im Vorbeifahren gesehen hatte, ihren Balkon, den sie dieses Jahr endlich bepflanzen wollten, die …
»Steffi??«
Sie schreckte auf. Peter stand vor ihr und sah sie eindringlich an. Der Bademantel lag wieder akkurat über ihren Schultern.
»Oje, ich muss kurz weggetreten sein«, sagte sie.
»Kann man wohl sagen«, sagte Peter resigniert und wandte sich wieder zum Herd. »Essen ist in zwei Minuten fertig.«
Sie schlang die Arme von hinten um hin. »Tut mir leid«, sagte sie leise. »Der Geruch von deinem Essen hat mich ganz betört.« Sie lachte hektisch auf und presste ihren Kopf an seinen Rücken. »Nachher machen wir es uns gemütlich, okay?«
Zwei Stunden später lagen sie im Bett. Sie hatten fast schweigend gegessen und nach dem Einräumen der Spülmaschine war Stefanie von Erschöpfung so übermannt worden, dass sie nur noch zum Zähneputzen in der Lage war und danach sofort ins Bett ging.
Peter kam bald nach ihr, schmiegte sich von hinten so fest an sie, dass sie den Atem anhielt, aber er tat nichts weiter.
»Hoffentlich wird morgen ein schönerer Tag«, murmelte er.
Sie wusste nicht, ob er das Wetter und oder etwas anderes meinte.
»Ja«, sagte sie deshalb nur.
Kurze Zeit später war Peter eingeschlafen, Stefanies Müdigkeit dagegen verflogen. Sie lauschte seinen regelmäßigen Atemzügen, dann dem Gewitter, das nur noch als entferntes Donnern auszumachen war.
Stefanie schlug die Augen auf und die Bettdecke zurück, schwang die Beine aus dem Bett, setzte sich auf und wollte sich eben hochstemmen, als sie stoppte. Etwas war anders. Das Gewitter, das in der Nacht noch stundenlang leise gegrollt und sie ebenso lang wach gehalten hatte, war verstummt. Auch Verkehrslärm war keiner zu hören, nur das Lachen eines Kindes, kurz darauf eine Fahrradklingel, dann herrschte wieder Stille. Sie sah auf den Funkwecker auf ihrem Nachttisch und sprang abrupt auf. Schon 7.30 Uhr! Sie hatte verschlafen! Normalerweise war sie spätestens um acht im Büro, auch am Wochenende, weil sie in dieser ersten Stunde, wenn noch keiner der Kollegen da war, am besten arbeiten konnte und konzentriertes Arbeiten gerade bei einem Projekt wie diesem unerlässlich war, wenn man gut und verlässlich liefern – sie hielt einen Moment inne und setzte sich wieder auf den Bettrand. Sie musste nicht aufstehen. Das Projekt war abgeschlossen, es war Wochenende und sie hatte frei. Richtig frei. Das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit. Langsam ließ sie sich wieder zurücksinken, zog die leichte Decke bis an das Kinn und beobachtete die Sonnenstrahlen, die durch die Jalousien drangen, und die Staubwolken, die im Licht tanzten. Ein unverplanter Tag lag vor ihr und sie musste sich eingestehen, dass die Aussicht auf so viele freie Stunden fast überfordernd war. Die vergangenen Wochen waren so durchgetaktet gewesen, so strukturiert, dass sie sich keine Gedanken darüber machen musste, wie sie sie gestalten wollte. Es war ihr vorgegeben, wie sie gestalten musste. Vielleicht könnte sie heute endlich Vanessa treffen oder mit Sandra telefonieren oder auch mit ihrer Mutter, vielleicht könnte ihr Friseur sie spontan zwischenschieben, ihre Haare sahen nämlich regelrecht fürchterlich aus, und eine Pediküre war auch dringend angesagt, wenn es ihre nackten Füße diesen Sommer noch einmal an die Isar oder ins Schwimmbad schaffen sollten.
»Na, meine Hübsche, wie ist der ersten Morgen in Freiheit nach so langer Knechtschaft?« Eine Hand fasste von hinten an ihren Bauch und fuhr langsam nach oben, umfasste eine ihrer Brüste und verharrte dort.
Und Peter. Natürlich könnte sie endlich wieder etwas mit Peter unternehmen.
»Hm«, machte sie und streckte die Arme nach oben aus. »Fühlt sich ziemlich gut an.« Langsam drehte sie sich um. Peters Gesicht war direkt vor ihrem. Sie sah in seine warmen braunen Augen, ließ den Blick wandern über seinen schön geschwungenen Mund, die kleine Narbe über der rechten Braue, die er sich als Jugendlicher beim Eishockeyspielen zugezogen hatte, die dichten dunkelblonden Haare. Langsam strich sie ihm über die Wange, fühlte die kurzen Bartstoppeln und beugte sich zu ihm.
»Fühlt sich richtig, richtig gut an.«
Sie küsste ihn auf die Nase, richtete sich auf und schwang die Beine aus dem Bett. Sie wollte gerade aufstehen, als sich Peters Hand erneut fest um ihren Bauch schlang.
»Bleib«, sagte er und seine Stimme war noch heiser vom Schlaf.
Stefanie sah einen Moment auf die Hand, löste sie dann vorsichtig und stand auf. »Ich will erst mal duschen.«
Peter stieß einen leisen Seufzer aus und ließ sich zurück auf sein Kissen fallen.
»Dann fühl ich mich wohler. Bin gleich wieder da.«
»Bist du nicht.«
Sie war schon an der Tür und wandte sich um. »Wie bitte?«
»Du hast mich schon verstanden. Weißt du, es ist eigentlich normal, wenn ich mit der Frau, die ich liebe, ab und an schlafen will. Zumindest einmal im Quartal. Für dich scheint das aber geradezu abartig zu sein.« Er drehte sich zur Seite und schloss die Augen.
Stefanie blieb einen Moment sprachlos stehen.
»Hör zu«, sagt sie dann und bemühte sich um einen unbeschwerten Tonfall. »Folgender Vorschlag: Ich hole jetzt frische Semmeln, wir frühstücken gemütlich und dann gehe ich ins Fitnessstudio, weil mir ein wenig Bewegung nach all der Rumsitzerei wirklich gut tun würde, und dann schauen wir, was uns der Tag so bringt, okay?«
»Von mir aus«, sagte Peter, ohne die Augen zu öffnen. »Aber ich hole die Semmeln. Ich brauche frische Luft.«
»Okay«, sagte Stefanie.
»Dann kannst du erst mal in Ruhe duschen.«
»Super, danke.«
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, setzte sie sich auf einen der Küchenstühle. Super, danke. Sie sprach mit ihrem Freund wie mit einem Kollegen, der ihr einen längst überfälligen Text zukommen ließ, der dann auch noch schlecht war. Machte sie das schon länger? Kopfschüttelnd erhob sie sich und beschloss, mit Peter am Abend über die letzten Wochen zu sprechen.
Sie duschte sich rasch und packte dann ihre Sportsachen. Als sie die Tasche in den Flur stellte, hörte sie jemanden im Treppenhaus sprechen. Sie hielt inne. Es war Peter, der anscheinend telefonierte. Er klang heiter. Sie hörte, wie er den Schlüssel ins Schloss steckte und ihn drehte.
»Ich bin dir wirklich dankbar für alles, was du getan hast«, hörte sie ihn sagen. »Ruf dich wieder an, ja? Bin jetzt daheim und kann nicht mehr reden.« Die letzten Worte waren fast geflüstert.
Stefanie fühlte augenblicklich einen Kloß im Hals. Wer war diese Person, die in der Lage zu sein schien, Peters Laune innerhalb kürzester Zeit von unterirdisch in blendend zu verwandeln?
Er trat in den Flur. Seine Wangen waren immer noch gerötet, jetzt aber nicht mehr von Erregung und Wut, sondern augenscheinlich von Freude. Stefanie schluckte. Als er sie sah, zwinkerte er mehrmals rasch hintereinander, etwas, was er immer machte, wenn er nervös war.
»Alles klar?«, fragte sie.
»Alles klar«, sagte er rasch und hob die Tüte. »Hab dir zwei von den Dinkelsemmeln mitgebracht, die du so magst.«
»Super, danke.«
»War gar nichts los beim Bäcker für einen Samstag. So, jetzt mach ich gleich Kaffee und dann können wir loslegen. Wann wolltest du noch mal zum Sport?«
»Hmm?«
»Wann du zum Trainieren wolltest? Du weißt schon, deine«, er rieb sich den Bauch, »angeblich problematische, aber in meinen Augen superschöne Zone trainieren, haha.«
Er benimmt sich wie ein Klischee, dachte Steffi und folgte ihm wortlos in die Küche. Das kann alles nicht wahr sein, ich muss im falschen Film sein.
Peter legte die Semmeln in den Brotkorb und warf die Tüte in den Mülleimer. »Huch, der ist auch schon wieder voll«, sagte er. »Ich bring ihn rasch runter, ja? Bin grad so in Fahrt, gleich wieder da!«
Sie beobachtete stumm, wie er pfeifend die Mülltüte nahm, nach seinem Schlüssel griff und verschwand.
Rasch trat sie in den Flur. Peters Handy lag auf der Kommode neben der Tür. Eine heiße Welle der Scham überkam sie bei dem Gedanken daran, was sie gleich tun würde. Sie kannte das Sperrmuster von Peters Telefon. Sie hatte ihn einmal beim Eintippen beobachtet und sich die Nummernkombination gemerkt. Nicht aus Kalkül. Ihr Gedächtnis für Zahlen war seit jeher gut.
Sie nahm das Telefon, entsperrte es und rief die Rufliste auf. Letzte gewählte Nummer: Hanni. Heute, 9.08 Uhr. Hanni? Sie hatte den Namen noch nie gehört. Hanni ohne Nachnamen. Kannte Peter sie besser? Wie von selbst bewegte sich ihr Daumen auf den Namen und drückte leicht. Die Verbindung wurde aufgebaut. Langsam führte sie das Handy an ihr Ohr und hielt den Atem an.
Eine tiefe Frauenstimme meldete sich, lachend. »Na, du kannst heute ja gar nicht genug bekommen.«
Stefanie blieb der Mund offen stehen.
»Hallo?«, hörte sie die Stimme sagen. »Peter?«
Stefanie legte auf. Sie hielt das Handy weit von sich entfernt und betrachtete es wie ein widerliches Insekt. In diesem Moment hörte sie Peters Schritte auf der Treppe, legte das Telefon schnell zurück, huschte in die Küche und begann, den Tisch zu decken.
»So, da bin ich wieder. Gibt’s schon Kaffee?«
»In fünf Minuten.«
»Ich kann auch machen.«
»Okay.« Sag nicht wieder Super, danke, befahl sie sich.
Peters Telefon klingelte und er verschwand im Flur. Scheiße, dachte Stefanie und drückte das Geschirrtuch fest an ihre Brust. Scheiße, scheiße, scheiße.
Es klingelte immer noch.
»Willst du nicht rangehen?«, rief sie. Ihre Stimme zitterte leicht.
Das Klingeln hörte auf. Peter kam in die Küche, das stumme Telefon in der Hand.
»Hast du weggedrückt?«, fragte Stefanie und hoffte, dass er ihr nicht anhörte, wie aufgewühlt sie war.
»Ja, war nicht wichtig. Nicht jetzt.«
Fragt ihn doch einfach, wer es war, dachte sie. Ganz normal, wie du es sonst auch manchmal machst. Los, frag ihn! Doch sie befürchtete, dass sie die Frage nur so schrill und spitz stellen könnte, dass Peter sofort bemerken würde, dass etwas nicht stimmte.
Während des Frühstücks erzählte Peter von einem neuen Fall und dem Hund eines Klienten, der in die Kanzlei gemacht und seinen Vater in Rage versetzt hatte, doch Stefanie hörte nur mit einem Ohr zu und antwortete einsilbig. Ihre Gedanken kreisten um die unbekannte Hanni. Hatte Peter in den letzten Wochen mit ihr geredet, wenn er Gespräche hastig abgebrochen hatte, nur weil Stefanie in den Raum gekommen war? Hatte er an sie gedacht, wenn seine Blicke sich bei den Mahlzeiten im Nichts verloren? Oder gab es für alles eine ganz einfach Erklärung?
»Steffi?«
»Hm, ja?
»Was wolltest du mir von Reto erzählen?«
»Ach, nichts. Erzähl ich später.«
»Du, wäre es in Ordnung, wenn ich mich mittags kurz mit Michi im Biergarten treffe?«
»Mit Michi? Wann habt ihr das denn ausgemacht?«
»Schon Mitte der Woche. Ich hab ihm halt gesagt, dass es nur geht, wenn wir beide nichts Größeres machen.«
»Klar, ist völlig in Ordnung.«
»Wir könnten ja dann am Nachmittag an die Isar oder so.«
»Hmm, ja. Lass uns einfach schauen, wie das Wetter sich entwickelt, okay?«
»So machen wir es.«
Eine Stunde später verließ Stefanie die Wohnung. Noch im Treppenhaus kramte sie ihr Handy aus der Tasche und schrieb an Vanessa:
Hi. Können wir uns heute Abend treffen? Quasi Notfall.
Die Antwort kam dreißig Sekunden später.
Sorry, Süße, dieses Wochenende ist ganz schlecht. Heute noch Kongress, morgen fahr ich mit Till bisschen weg.
Stefanie blieb stehen und seufzte. Till jetzt also. War es nicht das letzte Mal ein Marlon gewesen? Der Sieht-aus-wie-Marlon-Brando-aber-in-seinen-schlanken-Jahren-Marlon? Ihr Telefon brummte erneut.
Ich trau mich ja kaum fragen, aber wie sieht es denn montags nach der Arbeit aus? Da könnte ich!
Stefanie lächelte. Du wirst es kaum glauben, tippte sie. Aber ICH kann da auch! Wann und wo?
In meinem Hood natürlich. Und wenn’s schön wird, bitte volle Kanne Gärtnerplatz. Schön ums Rondell sitzen. ;-) Um sieben in Robinson’s Bar?
Abgemacht. Bis dann, freu mich!
Ich mich erst! Kaum zu glauben! Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen?? Weihnachten?
Haha. So schlimm ist es auch nicht. Seh dich übermorgen!!
Bis dann! Schönes Wochenende und liebe Grüße an den lieben Peter.
Richte ich aus, tippte Stefanie und murmelte dann: »Der liebe Peter macht hier gerade möglicherweise ganz schlimme Sachen.«
Sie horchte einen Moment in sich hinein und wunderte sich, dass sie nicht wütender war. Verzweifelt. Unfähig, sich zu rühren, unfähig, Peter ruhig gegenüberzusetzen und so zu tun, als sei alles in Ordnung. Lag es daran, dass sie ihm einfach nicht zutraute, dass er sich heimlich mit einer anderen Frau treffen würde? Geschweige denn, dass er eine Affäre mit ihr haben mochte? Aber was machte sie da so sicher? Weil sich immer alles als harmlos herausgestellt hatte, wenn Freundinnen oder Kolleginnen ihr von Partnern erzählten, die sich angeblich seltsam verhielten? Die auffällig oft noch »lange arbeiten« mussten? Ausnahmslos alle Frauen hatten – wenn es ihnen möglich war – das Handy ihres Partners oder seine E-Mails überprüft, Jacken- und Sporttaschen untersucht, um auf einen untrüglichen Beweis zu stoßen, dass er sie betrog. Oder zumindest daran dachte. Oder immerhin mit einer Frau in Kontakt war, von der er noch nie erzählt hatte.
Stefanie verzog das Gesicht bei dem Gedanken daran, dass sie nun auch dazugehörte. Zu den Frauen, die das Telefon ihres Partners überprüften. Ihn kontrollierten. Ihm hinterherspionierten und seine Privatsphäre missachteten. Die ihm nicht vertrauten. Gespenster sahen und im Grunde an mangelndem Selbstvertrauen litten. Denn genau das war es in den meisten Fällen: eine aus zu wenig Selbstwert gespeiste Angst, betrogen oder vom Partner verlassen zu werden.
Als Stefanie langsam durch die Wörthstraße Richtung Fitnessstudio rollte, nahm sie sich zwei Dinge vor: Sie würde abends mit Peter über ihren Verdacht sprechen. Und sie würde nie mehr sein Handy kontrollieren oder ihn in irgendeiner anderen Art hintergehen.
Als Stefanie vom Studio zurück in die leere Wohnung gekommen war, verschwitzt und erschöpft von Sport und der Heimfahrt in der Mittagshitze, hatte sie es genossen, allein zu sein, sich in aller Ruhe geduscht, die zweite Dinkelsemmel mit Käse belegt und auf dem Balkon gegessen, sich dann einen Kaffee gemacht und ihn entspannt getrunken.
Sie hatte beschlossen, erst mit Vanessa zu sprechen, bevor sie Peter mit ihren Gedanken konfrontieren würde. Vielleicht würde ihre Freundin, die sie seit dem Kindergarten kannte, die Dinge zurechtrücken. Stefanie wunderte sich immer noch, wie rasch sie sich nach Peters seltsamem Verhalten wieder beruhigt hatte. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte?
Peter war zwei Stunden nach ihr heimgekommen, eindeutig angetrunken, aber auf heitere Weise. Er hatte noch einmal einen Anruf in Stefanies Beisein weggedrückt und verhielt sich danach so unbefangen, dass sie davon fast angesteckt wurde. Sie blieben in freundlicher Distanz zueinander, auch den Sonntag über, der sich grau, verregnet und deutlich kühler zeigte. Stefanie saß fast ununterbrochen am Küchentisch, schrieb Mails und Kurznachrichten an seit Wochen vernachlässigte Freundinnen, erzählte, entschuldigte, erklärte, schlug baldige Treffen vor. Peter verbrachte den Tag mehrheitlich auf der Couch im Wohnzimmer, den Laptop auf dem Schoß und mit geröteten Wangen tippend, und Stefanie fragte nicht, was er machte.
Als sie sich am nächsten Morgen um halb neun auf ihr Fahrrad schwang, war sie froh, der seltsamen Atmosphäre für mindestens zwölf Stunden nicht ausgesetzt zu sein. Noch herrschten angenehm kühle Temperaturen, aber der Himmel war blau und wolkenlos und kündigte einen heißen Tag an.
Sie beschleunigte und ihre Haare flatterten im Wind, als sie den Berg am Kulturzentrum hinunterfuhr, mit Schwung die Kreuzung vor dem Müllerschen Volksbad überquerte und auf die Ludwigsbrücke einbog.
Zehn Minuten später sperrte sie ihr Rad ab und betrat den gelben Altbau, dessen zweiten und dritten Stock die Agentur einnahm. Sie nahm zwei Stufen auf einmal und kam leicht außer Atem vor der Doppelglastür mit dem Agenturschild an, stieß sie auf und atmete den vertrauten Montagsgeruch ein, der aus einer dezenten Putzmittelnote und dem Duft nach frischem Kaffee bestand.
Der Empfang war leer. Lore verteilte vermutlich die Samstagspost oder war unterwegs, um sich, wie sie selbst zu sagen pflegte, »briefen« zu lassen über das, was ihre Kolleginnen und Kollegen am Wochenende erlebt hatten. Lore arbeitete erst seit einem Jahr in der Agentur und warf gern mit vermeintlichen Fachbegriffen aus der Branche um sich, nicht, weil sie sich wichtigmachen wollte, sondern weil sie alles aufsaugte wie ein Schwamm, alles faszinierend und verwunderlich fand, was die »jungen Leute« da trieben. Mit sechsundfünfzig Jahren war sie die älteste Frau in der Agentur und mit ihrem auberginefarbenen Haar, ihrer untersetzten Figur und dem üppigen Busen, den sie meistens in zeltartige Blusen hüllte, auch optisch eine Ausnahmeerscheinung.
»Mütterlich«, hatte sie Reto Zöller kurz nach ihrer Einstellung gegenüber Stefanie einmal genannt und angefügt, dass jede Agentur »eine gute Seele« brauche. Dass er die gute Seele, die ursprünglich Altenpflegerin gewesen war und sich dann aufgrund chronischer Rückenprobleme zur Bürokauffrau hatte umschulen lassen, mittlerweile entweder tagelang ignorierte oder sie wegen irgendeiner Nichtigkeit anblaffte, nahm Lore ihm nicht übel.
»Der Reddo is aa nur a Mo«, pflegte sie dann zu sagen und verriet ihre Aufgeregtheit lediglich durch den ausgeprägten Einsatz ihres fränkischen Heimatdialekts.
Um zu ihrem Büro zu gelangen, musste Stefanie an der Küche vorbei, aus der eine aufgeregte Stimme drang. Stefanie rollte mit den Augen.
Jessica. Wieder einmal die Aufmerksamkeit aller auf sich ziehend. Jessica stammte aus Hamburg und war erst vor einigen Monaten für den Job in der Agentur nach München gezogen, um die zweijährige Fernbeziehung zu ihrem Freund Martin endlich zu beenden. Kurz nach dem Einzug in eine Dreizimmeraltbauwohnung im Glockenbachviertel fand Jessica verdächtige Nachrichten auf Martins Handy (da war es wieder, das Kontrollieren, aber in diesem Fall war es berechtigt gewesen), stellte ihn zur Rede und stieß auf so wenig Gegenwehr, dass sie noch am selben Tag in ein Hotel zog, da sie noch niemanden kannte, bei dem sie hätte unterkommen können. Inzwischen wohnte sie in einer Einzimmerwohnung in Giesing (ein Viertel, das sie grässlich fand) und schimpfte seit Wochen abwechselnd über München (eine Stadt, die sie nicht mochte), die Männer im Allgemeinen (eine Spezies, die ihr in Zukunft gestohlen bleiben konnte) und Martin im Speziellen (ein Vertreter dieser Spezies, den sie hasste). Stefanie hatte zu Beginn Mitleid gehabt und sich öfter als Gesprächspartnerin angeboten, doch mittlerweile musste sie sich eingestehen, dass sie Martin verstand. Jessica war auf ihre eigenen Belange fixiert und so ausdauernd dabei, anderen die Schuld an allem zu geben, auch in der Arbeit, dass Stefanie wieder auf Distanz zu ihr gegangen war.