Sehnsucht nach Insel & Mehr - Anne Lux - E-Book

Sehnsucht nach Insel & Mehr E-Book

Anne Lux

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Beschreibung

+++ Fulminantes Finale der erfolgreichen Liebes-Trilogie +++ Der Traum vom eigenen Café, der zu platzen droht. Eine Beziehung, die nicht ideal läuft. Eine Stieftochter, die engagiert pubertiert, und eine Schwiegermutter, die spontan einzieht. Zwei Jahre nach dem turbulentesten Sommer ihres Lebens steht Stefanie erneut vor großen Herausforderungen! Um den Anstrengungen eine Weile zu entfliehen, entscheidet sie sich für einen Kurzurlaub in Island – die wunderschöne, raue Insel aus Feuer und Eis hat schließlich schon einmal zu einem Happy End für sie beigetragen. Doch dieses Mal kochen nicht nur die Emotionen hoch. Ein Vulkanausbruch sorgt für Chaos und hat Folgen, die Stefanie und alle anderen Reiseteilnehmer noch eine ganze Weile beschäftigten … Ein Roman über Liebe, Selbstzweifel und den Mut, für seine Ziele und Wünsche zu kämpfen.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Einige Wochen später …

Weitere Titel von Anne Lux

Über die Autorin

Anne Lux

Sehnsucht nach

Insel & Mehr

Roman

Mai 2017

© 2017 by Anne Lux

Franziskanerstraße 43

81669 München

Umschlaggestaltung:

Michaela Huml, büro aha!, München

Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mithilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten. Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Die bisherigen Romane von Anne Lux in chronologischer Reihenfolge:

Liebestrilogie

Mitten im Sommer, mitten ins Herz (Bd. 1)

Alles auf Anfang, alles auf Glück (Bd. 2)

Sehnsucht nach Insel & Mehr (Bd. 3)

Cornwall-Trilogie

Tausche Alltag gegen Insel (Bd. 1)

Tausche Alltag gegen Glück (Bd. 2)

Tausche Alltag gegen Horizont (Bd. 3)

Island-Roman

Glück ist wie das Meer (Roman)

Sammelbände

Alles auf Liebe (Liebestrilogie Bd. 1–3)

Tausche Alltag gegen Cornwall (Cornwall 1 und 2)

Über das Buch

Der Traum vom eigenen Café, der zu platzen droht. Eine Beziehung, die nicht ideal läuft. Eine Stieftochter, die engagiert pubertiert, und eine Schwiegermutter, die spontan einzieht. Zwei Jahre nach dem turbulentesten Sommer ihres Lebens steht Stefanie erneut vor großen Herausforderungen! Um den Anstrengungen für eine Weile zu entfliehen, entscheidet sie sich für einen Kurzurlaub in Island – die wunderschöne, raue Insel aus Feuer und Eis hat schließlich schon einmal zu einem Happy End für sie beigetragen. Doch dieses Mal kochen nicht nur die Emotionen hoch. Ein Vulkanausbruch sorgt für Chaos und hat Folgen, die Stefanie und alle anderen Reiseteilnehmer noch eine ganze Weile beschäftigten …

Kapitel 1

Ende Februar setzten sich von einem Tag auf den anderen wärmere Temperaturen durch. Allgemeine Frühjahrsmüdigkeit legte sich über München, über die Büros, Cafés, Kaufhäuser, Kindergärten, Schulen und Parks. Menschen bestiegen morgens gähnend die U-Bahn, stiegen gähnend die Stufen zur Oberfläche hinauf, begrüßten gähnend die ebenfalls gähnenden Kollegen, fuhren gähnend ihre Computer hoch, standen mittags gähnend in der Kantinenschlange und ein paar Stunden später gähnend in der überfüllten U-Bahn, den Nacken eines gähnenden Mitreisenden vor der Nase, einen Rucksack in den Rücken gepresst.

Stefanie Mertens jedoch spürte nichts von einer saisonbedingten Antriebslosigkeit. Im Gegenteil. Sie war ein Energie-Komet, der unablässig seine Bahnen zog. Ein grinsender Glückskeks auf zwei Beinen, der von morgens bis abends schwungvoll unterwegs war, ein Stern mit optimistischer Leuchtkraft, die ihren Mitmenschen zuweilen unheimlich vorkam. Ihr selbst übrigens ebenfalls. Dabei war ihr Zustand nur logisch und mit drei Wörtern zu beschreiben:

Sie. War. Glücklich.

Okay, nein. Sagen wir: mit vier Wörtern:

Sie. War. Ziemlich. Glücklich.

Ohne abschwächendes Füllwort traute sich Stefanie ihre momentane Gefühlslage nicht beschreiben. Aber sie fühlt sich gut. Ziemlich gut. Und da sie wusste, dass dieser Zustand auch schnell wieder beendet sein konnte (so wollten es die Gesetze, die das Leben schrieb), hatte sie beschlossen, ihn zu genießen.

»Du strahlst schon wieder stärker als ein Atomkraftwerk«, sagte Vanessa, ihre beste Freundin, und zog ihr T-Shirt über der Brust straff. »Ich dagegen sehe aus wie ein alternder Pornostar.«

»Ich finde deinen neuen Vorbau super«, sagte Stefanie und sah Kai, Vanessas Freund, aufmunternd an.

»Ich auch«, sagte er eifrig nickend und schien froh zu sein, dass er das einmal ganz offen sagen durfte, ohne als Busen-fixierter Lüstling abgestempelt zu werden.

Vanessas Baby sollte im Juni auf die Welt kommen. Dann wären zwei Sommer vergangen, seitdem sich Stefanies Leben grundsätzlich verändert hatte: Trennung von Peter, ihrem langjährigen Freund, der mittlerweile mit seiner Freundin Anna ein Kind bekommen hatte. Die Affäre mit Rolo, dann eine Phase, in der sie beim Beziehungsstatus die Option »Es ist kompliziert« gewählt hätte. Zehn Monate Auszeit in Australien, die Rückkehr nach München, das Gründen einer Wohngemeinschaft, die quasi illegal war, weil die Büroräume, in die sie mit ihren Freunden Lola und Gylfi zog, nur gewerblich genutzt werden durften. Die erfolglose Jobsuche, das rasant schwindende Geld, die unangenehme Aufgabe, mit über dreißig ihre Eltern um finanzielle Unterstützung zu bitten, die Schnapsidee, mit Lola und Gylfi ein Café zu gründen, eine wunderbare Reise nach Island. Der Auszug von Lola und Gylfi, die ihr eigenes kleines Liebesnest gefunden hatten.

Ach ja, Moment: Die Schnapsidee war dann doch keine gewesen. Denn sie hatten tatsächlich ein Café eröffnet. Beziehungsweise: Sie würden sehr bald, in wenigen Tagen, eines eröffnen. Rein äußerlich war alles fertig.

In dem Ladenbüro, in das an schönen Tagen Sonnenlicht durch Schaufenster und Glastür flutete, war wochenlang gemessen, eingerichtet, gestrichen und abgeschliffen worden. Gestern hatten sie noch alles blitzblank geputzt und jetzt warteten sie auf den offiziellen Beginn des Cafébetriebs.

Die zwei Räume, die Lola und Gylfi mehrere Monate »inoffiziell« bewohnt hatten, waren frisch geweißelt und nahezu leer. In Lolas ehemaligem Zimmer standen zwei Regale mit Dingen, die nach den Aufrufen in den Stadtteilzeitungen bei ihnen eingetrudelt waren und noch auf ihren Einsatz hofften: Tischdecken und -sets, Teller, Unterteller, Tassen, Kisten mit Besteck, Kerzen, Kerzenhalter, Zuckerdosen, Salz- und Pfefferstreuer, Stoffservietten, zwei Filterkaffeemaschinen, verschiedene Teppiche und Läufer. In zwei Ecken stapelten sich jeweils mehrere Stühle.

»Wir haben so viele Sachen, wir könnten das Café jeden Monat umdekorieren«, sagte Stefanie.

»Es wird alles gut laufen, da bin ich mir sicher«, entgegnete Vanessa.

Als sie sich zum Abschied umarmten und Stefanie den üppigen Busen ihrer Freundin kurz an ihrem spürte, wurde sie für einen Moment melancholisch. Es hatte sich nicht nur in ihrem eigenen Leben viel verändert. Vanessa wurde Mutter. Sie hatte ihre Ansichten zu allem, was mit Beziehung zu tun hatte, im vergangenen Jahr radikal geändert. Aus der überzeugten Single-Frau (oder vielleicht war das »überzeugt« auch immer nur überzeugend gespielt gewesen) war eine schwangere Verlobte geworden, die mit ihrem Freund zusammenwohnte und mit ihm auch für immer zusammenbleiben wollte. Stefanie freute sich für sie. Klar. Aber manchmal, da vermisste sie die Gespräche mit der alten Vanessa, die über ihre wilden One-Night-Stands und kurzen Affären berichtete. Sie waren für Stefanie wie ein Einblick in eine Welt gewesen, die ihr als Frau in einer Langzeitbeziehung faszinierend und fremd erschienen war. In die sie gerne mal hineinblinzelte, in der sie aber nicht sein wollte. Bis sie sich selbst darin befand. Sommer, vorletztes Jahr. Aber das war eine andere Geschichte.

Als sie vor dem Haus stand, atmete sie tief durch. Die Luft fühlte sich weich an, fast samtig, die Sonne schien, und der Himmel war eindeutig mehr blau denn grau. Er war kühl, aber die scharfe Kälte war verschwunden, die München noch bis vor Kurzem im Griff gehabt hatte. Auch wenn er es sicher noch schwer haben würde in den nächsten Wochen, der Frühling würde kommen. Und mit ihm die Aussicht auf einen Sommer, der grandioser sein würde als alle anderen davor. Denn die schönste Änderung, seit sie vor fast zwei Jahren ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte, war die Sache mit Rolo. Obwohl es lange Zeit nicht so ausgesehen hatte. Sie waren zusammen und glücklich. Er liebte Stefanie über alles, das spürte sie, und Antonia, seine Tochter, hatte die neue Frau an der Seite ihres Vaters ebenfalls ins Herz geschlossen. Es war manchmal wie im Traum.

Und jetzt das Café. Es war verrückt und mutig und beides war angebracht, wenn man hin und wieder spüren wollte, dass man noch »lebendig« war, dass das »Blut noch in den Adern rauschte«. Das war dick aufgetragen, aber Gylfi hatte gelegentlich einen Hang zu Melodramatik. Gylfi und Lola. Ihre Partners in Crime, was das Café betraf, das süßeste Pärchen Münchens, das auf so verrückte Weise zusammengefunden hatte. Ihr alte Schulfreundin, die so viele Jahre aus ihrem Leben verschwunden war. Und Gylfi, der etwas durchgeknallte, liebenswerte isländische Surflehrer, den sie in Australien kennengelernt und der im letzten Sommer plötzlich vor ihr gestanden hatte. Wie lange das alles her schien. Wie oft alles schwierig gewesen war in den letzten zwei Jahren.

Aber jetzt war alles gut. Ziemlich gut.

Stefanie hüpfte fast die Treppen zur U-Bahn hinunter.

Ich bin gleich da, schrieb sie an Rolo, der eben gefragt hatte, wie der Besuch gewesen sei und wann sie denn endlich käme, er vermisse sie unendlich.

Stefanie lächelte. Sie hatten sich lediglich zwei Stunden nicht gesehen. Sie setzte sich schwungvoll auf einen freien Platz und strahlte so, dass der ältere Herr, der ihr gegenübersaß, unwillkürlich lächelte.

Als die Bahn die Haltestelle verließ und im Tunnel verschwand, verfinsterte sich draußen der Himmel. Die Sonne hatte ihr Bestes gegeben, aber jetzt verschwand sie hinter grauen Wolken, die sich unerbittlich aufgebaut hatten.

Kapitel 2

Gylfi Tryggvarson öffnete den Rollladen ein wenig. Sonnenstrahlen fielen schräg durch die Ritzen in den Raum. Es würde ein schöner Tag werden.

Gylfi schloss die Augen und dachte an Island, an die klare Frühjahrsluft dort, wenn die letzten Schneereste an den baumlosen Hängen schmolzen, an die Rückkehr der Papageientaucher und ihr charakteristisches Schnattern, wenn sie ihre Bruthöhlen in den Klippen bezogen. Je näher die Café-Eröffnung rückte, desto häufiger wanderten seine Gedanken in seine Heimat. Er wusste nicht genau, warum das so war. Ob es ein schlechtes Zeichen war, ein Hinweis darauf, dass er eigentlich woanders sein wollte. Fast acht Monate waren seit seiner Ankunft in München vergangen und er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal eine so lange Zeitspanne am selben Ort verbracht hatte.

Lola bewegte sich im Schlaf und seufzte. Er wandte sich um. Ein Sonnenstrahl fiel direkt auf ihren nackten Rücken, als wolle er Gylfi den Grund zeigen, warum er hier am Fenster einer Wohnung in der Münchner Au stand und bald in etwa zwei Kilometern Luftlinie das Café Reykjavík eröffnen würde. Er betrachtete, wie sich ihre Schultern leicht hoben und senkten, und war gerade im Begriff, hinzugehen und sie zu streicheln, als sein Handy klingelte.

Rasch nahm er es und ging auf den Flur. »Elli?«

Er hörte nur ein Knacken und Rascheln, dann ein heftiges Keuchen.

»Elli, alles in Ordnung bei dir?«

Es gab einen dumpfen Knall, dann wieder ein Knacken.

»Oh, Gylfi«, war dann zu hören.

»Elli, was ist los? Brauchst du Hilfe? Soll ich einen …?«

»Nein, nein.« Ihre Stimme war plötzlich so nah und laut, dass Gylfi das Telefon von sich weghielt. Elli kam mit ihrem neuen Handy offensichtlich noch nicht gut zurecht. »Mir geht es zwar den Umständen entsprechend schlecht, aber ich bin kein Fall für den Notarzt.«

»Was ist denn passiert? Was für Umstände?«

»Könnt ihr schnell vorbeikommen? Steffi habe ich auch schon Bescheid gesagt. Sie und Rolo sind unterwegs.«

Gylfi sah auf seine nackten Beine, die winterblass aus den Boxershorts ragten. »Wir kommen so schnell wie möglich, Elli.«

Ihre Kaffeetassen standen gefüllt, aber unberührt vor ihnen. Stefanie ließ das Papier sinken und schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das nicht. Das muss ein Irrtum sein. Ein verfrühter Aprilscherz!«

»Lass mal sehen«, sagte Rolo und nahm ihr das Schreiben ab. »Hmm. Sieht mir nicht nach Scherz aus. Eher ziemlich offiziell.« Er sah verstohlen auf die Uhr. Stefanie wusste, dass er wichtige Termine hatte, und war ihm dankbar, dass er dennoch mitgekommen war.

»Es ist offiziell.« Elli sah ihn streng über den Rand ihrer goldgerahmten Lesebrille an. »Daran gibt es keinen Zweifel.«

Stefanie ließ sich auf einen Stuhl sinken und sah sich um. Die maßgefertigte Holztheke, die dem anfänglichen Provisorium gefolgt war. Dahinter eine blau gestrichene Wand und drei weiße Regale mit Tellern, Tassen, Gläsern. Eine Spüle, die sie nach einigen Schwierigkeiten mit dem Wasseranschluss dort installieren konnten. Vier weiße Tische, die zwar nicht identisch waren, sich nach dem Abbeizen und Streichen aber sehr ähnelten. Neun Holzstühle, alle unterschiedlich in Form und Farbe, aber mit denselben blauen Kissen auf der Sitzfläche. Das wandfüllende Bild mit dem Blick über die Dächer von Reykjavík, aufgenommen von der Aussichtsplattform der Hallgrímskirkja, auf der sie letztes Jahr selbst gestanden war. Das Stäbchenparkett, das sie an einigen Stellen ausgebessert hatten. Ihr Blick wanderte zurück zur Theke. Auf ihr stand der »halbautomatische Profi-Kaffeevollautomat«, den Rolo ihr geschenkt hatte und den sie inzwischen auf den Namen Luigi getauft hatten. So hieß der Kellner in Rolos Lieblingscafé La Stanza, der die Maschine wiederum an Rolo weitervererbt hatte. Luigi sollte das Herzstück in ihrem Café Reykjavík werden. Er war blank geschrubbt und glänzte silbern. Doch Luigi würde ein düsteres Dasein führen, sobald kein Sonnenlicht mehr durch Fenster und Schaufenster drang.

»Herr Jansson weiß doch, dass wir bald eröffnen«, sagte Stefanie. »Wieso will er ausgerechnet jetzt das Haus einrüsten und renovieren?« Sie sah fragend in die Runde.

Rolo hatte sich neben sie gesetzt und ihre Hand genommen. Als ihre Augen auf ihn trafen, wich er ihrem Blick aus. Lola stand am Fenster und starrte hinaus. Gylfi stützte sich mit beiden Händen auf die Theke und schüttelte den Kopf. Elli nahm ihre Brille ab und fuhr sich verstohlen über die Augen.

»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Stefanie lauter.

Im Raum war es still. Als draußen eine Trambahn vorbeifuhr, schien Lola etwas zu sagen, aber es war nicht zu verstehen.

»Was meinst du, Lola?«, fragte Stefanie, aber irgendetwas an Lolas Haltung verriet ihr bereits, was kommen würde.

Lola wandte sich um. »Was wir machen? Nicht eröffnen, natürlich«, sagte sie. Sie ignorierte Gylfi, der hörbar schnaufte. »Wir brauchen doch kein Café eröffnen, wenn es zwei Wochen später verhängt ist und zur Dunkelkammer wird! Wer setzt sich denn zum Kaffeetrinken in einen finsteren Raum, vor allem, wenn das Wetter jetzt immer besser wird? Ein Stammgast vielleicht, klar, aber wir haben keine Stammgäste! Niemand kennt uns! Und außerdem: Wir haben hier«, sie machte eine ausladende Bewegung mit der Hand, »mehrheitlich mit Möbeln vom Sperrmüll eingerichtet. Klar – es sieht alles ganz putzig aus, aber es wird niemand allein deswegen kommen, um sich die innovative Inneneinrichtung anzusehen.« Sie hob den Zeigefinger, als Gylfi etwas erwidern wollte. »Nein, Moment. Auch draußen können die Menschen nicht sitzen, falls du das anmerken wolltest! Wer trinkt schon gern seinen Kaffee unter Bauplanen und lässt sich regelmäßig Staub in die Tasse rieseln?«

Sie wandte sich wieder um. Eine Weile sagte niemand etwas. Elli begann leise zu schluchzen und verließ den Raum.

Schließlich räusperte sich Gylfi. »Lola, sweetheart, wir müssen einfach mal mit Herrn Jansson reden. Vielleicht ist alles gar nicht so schlimm, wie wir denken, und …«

Lola drehte sich erneut um. »Gylfi, sei nicht naiv«, zischte sie. »Jansson ist ein Vermieter der üblen Sorte, ein ganz unangenehmer Zeitgenosse. Das wissen wir alle. Alles, was ihr mir von ihm erzählt habt, war grauenvoll. Wenn er das Haus einrüsten will, dann macht er das auch. Wieso sollte er dieses Schreiben aus Versehen verschickt haben? Da steht drin, dass eingerüstet wird und nicht, dass er gerade überlegt, es einzurüsten. Es wird passieren. Punktum.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wandte sich wieder zum Fenster.

»Ich werde ihn trotzdem heute Abend anrufen«, sagte Stefanie matt. Sie konnte nicht verstehen, dass Herr Jansson ihnen so einen Strich durch die Rechnung machte. Er hatte bei ihrem ersten und bis dato einzigem Treffen zu erkennen gegeben, dass er die Idee mit dem Café gut fand. Hatte er den Eröffnungstermin schlicht vergessen, weil sie danach monatelang nicht mehr mit ihm darüber gesprochen hatten? Oder weil er sich noch um viele andere »Objekte«, wie er es genannt hatte, in München kümmern musste und die Sache mit dem Café einfach untergegangen war?

Es stimmte, was Lola sagte, er war kein sympathischer Mensch. Aber ein Arschloch war er nicht.

»Dieser Jansson ist ein fürchterliches Arschloch!«

Stefanie drehte sich erschrocken um. Elli war zurück in den Raum gekommen. Vor drei Wochen hatten sie alle zusammen ihren siebzigsten Geburtstag gefeiert, im Bräuhaus im Tal, und ihr zu diesem Anlass ein neues Handy geschenkt, weil ihr altes regelmäßig den Geist aufgab. Denn Elli Holzapfel musste erreichbar sein. Sie war rasch zentraler Bestandteil rund um das Vorhaben Café Reykjavík geworden. Seit zwei Jahrzehnten lebte sie in dem Haus, war etwa halb so lang Witwe und der ungewöhnlichen Wohngemeinschaft nicht von Anfang an, aber sehr rasch zugetan gewesen. Sie und ihre Freundinnen Adele und Bärbel bildeten das Team der »Back-Omis«, die das neue Café mit Kuchen, Torten, Muffins und anderem Gebäck versorgen sollten.

Jetzt stand sie vor ihnen, die runden Backen stark gerötet, die Lesebrille auf die äußerste Nasenspitze gerutscht, und sah sie aus funkelnden Augen an.

»Der Jansson ist ein Arschloch«, wiederholte sie und aus ihrem Mund, dem sonst nie ein hartes Wort entkam, hörte es sich so ungeheuerlich an, dass Stefanie sie verblüfft anstarrte.

»Wieso?«, fragte Gylfi schließlich.

»Ich glaube, er weiß, dass ihr hinter seinem Rücken hier gewohnt habt. Als Wohngemeinschaft in seinen gewerblich vermieteten Räumen. Ohne ihm etwas zu sagen. Diese Renovierungssache ist mit Sicherheit seine Rache dafür.«

»Ich glaube nicht, dass er es weiß«, sagte Stefanie. »Als er hier war, hatten wir doch ein geniales Ablenkmanöver, oder?« Sie sah von Lola und Gylfi und dann wieder zu Elli. »Oder?«

Elli wich ihrem Blick aus, nahm die Brille ab und wischte sich wieder hastig über die Augen.

»Was ist denn, Elli? Weiß du irgendwas, was wir nicht wissen?«

»Ich glaube, dass … Ich fürchte, ich habe … Ach herrje, aber ihr dürft mir nicht böse sein.«

Gylfi ging auf sie zu. »Wie könnten wir dir jemals böse sein, Elli? Nach allem, was du für uns …«

»Ich habe das mit der Wohngemeinschaft verraten.«

Auf halbem Weg blieb Gylfi stehen. »Wie bitte?«

»Ich habe der Frau Pax hier im Haus in einem an sich netten Gespräch mal davon erzählt, dass ihr keine Bürogemeinschaft seid und hier quasi wohnt. Und dass ich viel bei euch bin. Es ist mir so rausgerutscht. Sie hat zwar gelacht, aber grüßt mich seitdem nicht mal mehr. Sie muss es ihm gesagt haben.«

Wieder war es für einige Sekunden totenstill im Raum.

»Und das hat er monatelang für sich behalten, um uns dann umso gewaltiger vor den Karren zu fahren«, sagte Lola tonlos und ohne sich umzudrehen.

»Das muss er uns erst einmal beweisen, dass wir hier privat gewohnt haben!«, sagte Gylfi. »Ich wüsste nicht, woran er das noch erkennen will.«

»Äh …«, begann Stefanie.

»Mach dir keine Sorgen, Elli«, sagte Gylfi, »er kann uns nichts nachweisen.«

»Äh«, wiederholte Stefanie. »Gylfi, ich wohne hier noch.«

»Du bringst all deine privaten Dinge so schnell wie möglich zu Rolo und dann merkt im Handumdrehen niemand mehr, dass hier jemals Menschen gelebt haben.«

»Äh, das werde ich nicht, ich kann nicht einfach …«

Sie sah zu Rolo, der nur mit den Schultern zuckte.

»Leute!« Lola war herumgewirbelt. »Hört auf damit! Das mit dem Café hat sich erledigt. Es war alles für die Katz. Die ganze Zeit und das ganze Geld. Alles umsonst. Wir können die Sachen sofort wieder rausschaffen und …«

Ein Klopfen unterbrach sie. Alle zuckten erschrocken zusammen. Vor der Glastür standen zwei junge Frauen, die eine blond, die andere dunkelhaarig, und winkten. Gylfi ging rasch zur Scheibe, zögerte kurz und öffnete die Tür dann schwungvoll.

»Góðandaginn«, sagte er. »Willkommen im Café Reykjavík.«

»Habt ihr denn schon auf?«, fragte die Blonde. »Wir waren uns nicht ganz sicher.«

»Wir haben nicht ge…«, begann Lola, aber Gylfi unterbrach sie: »Wir haben quasi inoffiziell geöffnet«, sagte er, ignorierte den funkelnden Blick seiner Freundin und bat die zwei Frauen mit einer Armbewegung herein. »Noch haben wir nicht viel da, aber Kaffee kann ich euch schon anbieten. Bitteschön, setzt euch.«

Verlegen lächelnd traten die Frauen ein, nickten in die Runde und nahmen dann an dem Tisch in der Mitte des Raumes Platz, angestarrt von allen Anwesenden wie zwei Marsmännchen.

»Ähm«, sagte die Dunkelhaarige und schaute verstohlen zu Elli, die sich gerade kräftig schnäuzte. »Also, ich hätte gerne einen Cappuccino.« Sie stieß ihrer Freundin in die Seite. Diese beobachtete gebannt Lola, die jetzt wie ein gefangener Tiger auf und ab lief und leise vor sich hin murmelte.

»Äh, für mich auch.« Die Frau riss sich von dem Anblick los. »Was habt ihr denn für Kuchen?«

Als die ersten Gäste das Café Reykjavík wieder verlassen hatten, ließ sich Gylfi auf den Stuhl neben Stefanie sinken. Lola war bald nach dem Eintreffen der Frauen gegangen, ebenso Elli, die, so sagte sie, noch weitere Rezepte testen wollte. Rolo hatte sich auf den Weg ins Büro gemacht.

»Was meinst du?«, fragte Stefanie nach einer Weile.

Gylfi drehte die Kaffeetasse in seiner Hand. »Ich meine …«, fing er an. »Ich meine, dass man wegen einem Idioten wie Jansson nicht kampflos aufgeben sollte.«

Stefanie nickte. »Das finde ich auch. Er kann uns doch erst einmal nicht einfach auf die Straße setzen, oder?«

»Gut.« Gylfi stand auf. »Schön, dass wir das so schnell geklärt haben.«

»Redest du mit Lola und Elli?«

»Yupp. Und du mit Jansson.«

»Yes.«

»Und du ziehst so schnell wie möglich hier aus?«

»Jawoll.«

Als es draußen zu dämmern begann, zog Stefanie die Jalousie vor Tür und Schaufenster nach unten. Sie löschte das Licht, setzte sich wieder und horchte in sich hinein, ob da bereits Panik, Frust und Resignation im Anmarsch waren. Verwunderlich wäre es nicht. Das Scheitern des Cafés wäre eine Katastrophe. Sie hatte sich seit Wochen nicht mehr um einen Job gekümmert. Sie lebte von einer monatlichen »Apanage«, wie Rolo die regelmäßige Zahlung ihrer Eltern scherzhaft nannte, und sie hatte ihrem Vater, aber mehr noch ihrer Mutter hoch und heilig versprochen, dass sie die Unterstützung nur für ein paar Monate bräuchte. Bis das Café offen war. Dann würde sie sich mit Lola und Gylfi in Teilzeit darum kümmern und nebenbei etwas »Richtiges« arbeiten. Gylfi hatte seinen Teilzeit-Job im Surferladen Red Potato, Lola arbeitete fünfundzwanzig Stunden in einem Büro für Innenarchitektur.

Nur sie, Stefanie, hatte sich seit vergangenem Herbst ausschließlich um das Café gekümmert. Sie konnte nicht genau sagen, warum. Sie wollte sich einfach nicht wieder verheddern. In einem Strudel aus Stress und Überforderung und überzogenen Erwartungen wie vor zwei Jahren. Sie wollte mehr im Moment leben. Mehr Zeit haben. Blöd nur, dass das fast ausschließlich Lotto-Gewinnern und reichen Erben vorbehalten war.

Sie lauschte erneut.

Es war okay. Noch. Ihr Herz schlug ruhig und gleichmäßig, ihr Atem ging normal.

Rolo hatte mehrmals angeboten, ihr Geld zu leihen, aber das kam für sie nicht infrage, und nicht nur deshalb, weil Rolos Unternehmen gerade nicht gut lief. Vor einigen Jahren hatte er beschlossen, das ehemalige Textilunternehmen seines Vaters zu aktivieren, das in den Achtzigerjahren pleite gegangen war. Nach Schließung der Fabrik lagerten die Maschinen – die Strickmaschinen, Webstühle et cetera – viele Jahre bei einem anderen ehemaligen Textilhersteller in Ansbach, bis Rolo alles in kleinerem Rahmen wieder zum Leben erweckte. Wolf Pack hieß das Label, unter dem er moderne T-Shirts aus hochwertigem Material vertrieb, die auf den alten Webstühlen von damals hergestellt wurden. Es lief gut am Anfang, aber seit einigen Monaten waren die Absätze im Keller. Rolo war viel unterwegs und oft erschöpft. Stefanie hatte ihm manchmal vom Fortgang des Cafés berichtet, aber nicht oft. Wenn sie Zeit zu zweit hatten, dann sprachen sie über etwas anderes. Sie bereute auch schon, dass sie ihm von der Sache mit der Renovierung erzählt und ihn heute mitgenommen hatte, weil es ihn nur beunruhigte. Und weil er sie dann wieder freundlich, aber mit Nachdruck darauf hinweisen würde, sich auch noch einen »richtigen« Job zu suchen. Selbstständig zu sein sei eben schwer, würde er sagen. Nicht das Richtige für jeden. »Ich will einfach, dass du glücklich bist«, würde er sagen. »Dass du keine Sorgen hast.«

Stefanie seufzte und wartete ein paar Momente. Dann nahm sie ihr Handy und wählte die Nummer ihres Vermieters Holger Jansson.

Kapitel 3

»Schmeckt es euch nicht?«, fragte Rolo.

»Doch«, sagte Stefanie, stocherte aber weiter auf ihrem Teller herum.

»Schon«, murmelte Antonia. »Ich hab nur vorher schon was gegessen.«

»Alles klar«, sagte Rolo. »Und du, Steffi?«

»Ich hab mit Jansson telefoniert«, sagte sie hastig und bereute es im selben Augenblick. Sie hatte keine Lust, das Telefonat hier beim Abendessen auszuwälzen.

»Okay, verstehe. Sehr schlimm?«

Stefanie warf einen raschen Blick zu Antonia, bevor sie fortfuhr. »Wie zu erwarten«, sagte sie betont gleichmütig und zuckte mit den Schultern. »Er hatte von unserer WG erfahren, findet es nicht ganz in Ordnung, dass wir in den Büroräumen gewohnt haben, und so weiter und so weiter.«

»Und die Sache mit der Einrüstung?«

»Ja, die kommt. Er meinte, das habe er zeitlich wohl durcheinandergebracht mit der Eröffnung des Cafés.« Sie legte die Gabel zur Seite und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. »Tat ihm auch leid.«

Das war alles gelogen und sie wusste, dass Rolo sie durchschaute. Aber wenn sie den Wortlaut des Gesprächs wiedergeben würde, wäre es auch mit seinem Appetit vorbei. Und nicht nur heute.

»Wissen Sie, Frau Mertens«, hatte Herr Jansson gesagt und seine Stimme hatte geschnarrt wie bei einem Sprecher aus einem uralten Radio, »ich bin ganz sicher kein Unmensch. Ich lasse über alles mit mir reden. Ich verstehe viel und bin offen. Aber ich lass mich nicht für dumm verkaufen. Und das Schauspiel, das Sie bei meinem Besuch aufgeführt haben, war ein riesengroßes Kasperltheater mit dem einzigen Ziel, mich für dumm zu verkaufen. Da hört dann der Spaß auch bei mir auf. Das mit dem Café hätte ich niemals erlaubt, wenn ich damals gewusst hätte, dass Sie in den Räumen nicht nur arbeiten, sondern auch essen, schlafen und sonst etwas tun. Arbeiten vermutlich am allerwenigsten.«

Das war noch der angenehmere Teil des Monologs, der zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Minuten gedauert hatte. Stefanie hatte die Augen geschlossen und das Handy etwas von sich weggehalten. Erst als Jansson ihr süffisant »alles, alles erdenklich Gute für die Eröffnung« wünschte, im selben Atemzug von einer »Anzeige« sprach, die wegen des Missbrauchs der gewerblichen Räume bald ins Haus flattern würde, und dann drohte, das Mietverhältnis zu kündigen, hielt sie das Handy wieder an ihr Ohr. Mit ruhiger Stimme teilte sie ihm mit, dass sie nicht wisse, wovon er rede, dass die Räumlichkeiten von Anbeginn ausschließlich geschäftlich genutzt worden und die hinteren Räume auch immer noch Büroräume seien. Dass es sie befremde, dass er der Aussage einer Hausbewohnerin einfach glaube, ohne sie zu überprüfen, dass sie aber von nun an gerne alles ihrem Anwalt übergeben werde. Es gebe keinerlei Grundlage für seine Vorwürfe.

»Und vielen Dank für die Wünsche für das Café«, hatte sie zum Abschluss gesagt. »Es würde uns freuen, wenn Sie zur Eröffnung kämen.«

Rolo fegte ein paar Brotkrumen auf der Tischoberfläche mit der rechten Hand zusammen. »Klingt doch ganz human.«

»Ja, schon okay.« Stefanie rollte hastig Nudeln auf die Gabel. »Muss halt jetzt schnell ausziehen«, fügte sie mit vollem Mund hinzu. »Wird alles.«

Rolo sah zu seiner Tochter. Antonia zupfte an den Spitzen ihrer Haare, die ihr mittlerweile bis fast an die Taille reichten. Als sie den Blick ihres Vaters bemerkte, hielt sie inne und zog fragend die Augenbrauen hoch.

Stefanie schluckte schnell herunter. »Ich kann sicher vorübergehend zu Lola und Gylfi. Sie sind meine Anwesenheit ja gewohnt.«

»Oder in ein cooles Hotel«, sagte Antonia und widmete sich wieder ihren Haarspitzen.

Rolo holte hörbar Luft. »Naja, da gibt es sicher Alternativen.«

Stefanies Gabel drehte sich in rasantem Tempo um die nächste Portion Nudeln. »Na klar.«

»Papa, ist es okay, wenn ich raufgehe?«, fragte Antonia, und Stefanie war erleichtert, als sie die Schritte der Vierzehnjährigen auf der Treppe in den ersten Stock hörte.

Natürlich hätte es Antonia nicht so gemeint, beteuerte Rolo. Sie sei ein Teenager und manchmal ploppten Worte so unvermutet aus ihrem Mund wie eine Kaugummiblase.

»Für sie ist die Vorstellung, wochenlang in einem Hotel zu wohnen, tatsächlich schlicht cool«, sagte er.

»Ich fände es auch nicht sooo schlecht«, murmelte Stefanie und lächelte schief. »Vor allem, wenn es mir jemand finanziert.«

Rolo nahm ihre Hand. »Süße. Wenn du willst, buche ich dich ein halbes Jahr im Bayerischen Hof ein.« Er küsste ihre Finger. »Aber ich hätte noch eine bessere Lösung: Du ziehst einfach zu mir.«

»Zu euch.«

»Zu uns, ja.«

»Ich habe irgendwie nicht das Gefühl, dass Antonia davon begeistert wäre.«

»Wegen der Bemerkung mit dem Hotel?«

Stefanie zuckte mit den Schultern. »Generell.«

»Sie hat überhaupt nichts dagegen, wenn du einziehst.«

»Und das weißt du, weil …?«

»Weil ich mit ihr darüber gesprochen habe.«

Stefanie sah ihn überrascht an. »Wirklich? Wann?«

»Immer mal wieder.«

»Und sie meinte, es sei okay.«

»Dass es okay sei, waren genau ihre Worte.«

»Also nur okay und nicht supertoll.«

»Stefanie, sie ist ein Teenager, wir beide sind ohnehin furchtbar peinlich, da ist ein Okay das Beste, was wir kriegen können.«

»Okay.«

»Viel wichtiger ist doch etwas ganz anderes.«

Stefanie wich seinem Blick aus, als er die Frage stellte: »Willst du überhaupt zu uns ziehen?«

Stefanie hielt eine Bürste in der linken Hand und drehte sie hin und her. Fasziniert und angeekelt zugleich betrachtete sie die dicken Büschel Haare, die zwischen den Borsten steckten. Waren das nur ihre? Oder auch die von Gylfi? Lola hatte eine eigene Bürste gehabt und sie immer vor ihrem isländischen Mitbewohner mit dem wuscheligen Kopfbewuchs versteckt. Mittlerweile teilten sie sich mit Sicherheit auch die Bürste. Stefanie sah sich um. Das war es. Nur noch Seife, Handtücher, Toilettenpapier, WC-Bürste, Saugglocke, Desinfektionsspray. Früher oder später würden sie noch einen Papiertuchspender an der Wand anbringen, dann würde nichts mehr an ein privates Badezimmer erinnern. Keine Bademäntel mehr an dem Haken an der Wand, keine bunten Plastikbecher mit Zahnbürsten mehr auf dem Spiegelbrett, keine Armada von Shampoo- und Duschgelflaschen auf dem Badewannenrand.

Stefanie trat in den Flur, an dessen Wänden Schwarzweißaufnahmen aus Island und Australien hingen, die im letzten Jahr entstanden waren. Auch hier war alles okay. Als Stefanie in die Küche gehen wollte, klingelte es zweimal. Sie hatte kaum einen Schritt Richtung Tür getan, als es heftig zu klopfen begann.

»Aufmachen!«, rief jemand laut. »Sofort.«

Gleich sagt er noch, dass hier die Polizei ist, dachte Stefanie, die Horst Janssons Stimme sofort erkannt hatte. Kurz war sie zusammengezuckt, dann hatte sie sich gefangen und beschlossen, ihm ruhig entgegenzutreten. Er hatte sich nicht angemeldet, natürlich, er wollte sie »auf frischer Tat ertappen«, aber sie war schneller gewesen.

»Ich komme«, rief sie. Schwungvoll öffnete sie die Tür, bemerkte im selben Moment die Bürste in ihrer linken Hand und versteckte sie rasch hinter dem Rücken. »Herr Jansson«, sagte sie dann. Mehr nicht. Gerade war ihr nicht nach einer Begrüßungsfloskel.

Ihr Vermieter stand dicht vor ihr und hatte die Faust, mit der geklopft hatte, noch in die Luft gereckt. Seine Gesichtsfarbe tendierte zu hummerfarben, was seiner Aufregung oder seinem monatelangen Aufenthalt in Malta geschuldet sein konnte. Auf der Insel verbrachte er traditionell die Wintermonate. Seine wenigen Haare schienen von der inneren Erregung angesteckt und standen wirr vom Kopf ab.

Hinter Jansson wartete ein Herr, der ihm auf den ersten Blick verblüffend ähnlich sah: groß, untersetzte Statur, schütteres Haar, kräftiger Bauch, Anzughose, langer dunkler Mantel. Dennoch unterschied sich der Mann in einer Sache deutlich von Jansson: Seine Augen wirkten freundlich, während die von Jansson jetzt in Klaus-Kinski-Manier an Stefanie vorbei in den Flur schielten.

»Frau Mertens, wir würden gerne kurz mit Ihnen sprechen, wenn es möglich ist«, sagte er. »Das hier ist Ludwig Wildmoser, mein Anwalt. Seit über dreißig Jahren.«

Stefanie nickte Herrn Wildmoser zu, der als Antwort lediglich kurz zwinkerte.

»Dürfen wir hereinkommen?«, fragte Horst Jansson und senkte langsam seine Faust, nachdem Stefanie diese pikiert gemustert hatte.

»Selbstverständlich«, sagte sie. »Wenn Sie nur bitte Ihre Schuhe gut abstreifen würden. Es ist alles frisch geputzt für die Eröffnung.«

Herr Jansson murmelte etwas Unverständliches und rieb seine Schuhe stakkatoartig über die Fußmatte, bevor er eintrat.

»Wollen wir uns in die Küche setzen?«, fragte Stefanie. »Kann ich Ihnen etwas anbieten? Wasser? Kaffee? Vielleicht einen …«

»Frau Mertens, wir sind nicht zum gemütlichen Kaffeekränzchen gekommen, wie Sie sich sicher denken können. Ich möchte mit Ihnen über die vergangenen Monate sprechen. Könnten Sie uns zuallererst die Räumlichkeiten zeigen?«

Stefanie warf Herrn Wildmoser einen fragenden Blick zu.

»Das wäre sehr nett von Ihnen«, sagte er.

»Natürlich, kein Problem«, sagte sie. »Hier gleich ist das Bad, daneben die Küche. Schauen Sie ruhig hinein.«

Herr Jansson wartete kurz vor der Badezimmertür und öffnete sie dann so schnell, als wolle er darin einen Einbrecher überraschen.

»Willst du auch, Ludwig?«, fragte er, nachdem sein Kopf wieder erschienen war.

Herr Wildmoser winkte ab. »Nein, danke. Sehen wir uns doch gleich den Rest an, Horst.«

Jansson warf einen raschen Blick in die Küche. »Sie wissen schon, dass für eine Teilgastronomie bestimmte Richtlinien bezüglich der Belüftung bestehen. Haben Sie sich darum irgendwie gekümmert?«

»Das wissen wir natürlich«, sagte Stefanie. »In dieser Küche wird nach der Café-Eröffnung nicht mehr gekocht, gebacken und vorbereitet als in jeder deutschen Durchschnittsküche auch. Die allermeisten Kuchen werden in den Küchen unserer externen Bäckerinnen hergestellt und dann hierhergebracht. Wir haben ja auch nur ein Tagescafé mit begrenzten Öffnungszeiten und sehr kleinem Angebot. Soll ich Ihnen die Zulassungen …«

»Nein, lassen Sie mal«, sagte Jansson unwirsch. »Machen wir weiter.«

»Bitte einmal geradeaus durch«, sagte Stefanie und wies mit der Hand nach vorne.

Beide Männer hielten inne und starrten auf die haarige Bürste. Jansson wandte sich mit angewiderter Miene ab und stapfte weiter.

»Haben Sie sich noch ein bisschen zurechtgemacht vor dem hohen Besuch«, sagte Herr Wildmoser leise und zwinkerte erneut. »Kriegen wir schon hin«, fügte er noch eine Spur leiser hinzu.

Stefanie legte die Bürste rasch auf die Kommode im Flur und folgte den beiden in Lolas ehemaliges Zimmer.

»Hier ist quasi unser Lager«, erklärte sie. »Ersatzgeschirr, Ersatzmöbel. Wir haben ja durch einen Aufruf in verschiedenen Stadtteilzeitungen unglaublich viel …«

»Bitte weiter«, unterbrach Herr Jansson sie.

»Das hier soll das Büro werden, in dem wir alle administrativen Aufgaben erledigen, die das Café betreffen«, sagte Stefanie, als sie in ihrem früheren Zimmer standen, das inzwischen vollkommen leer war. »Und hier drüben«, sie ging wieder in den Flur und betrat Gylfis ehemaliges Zimmer, »ist unser jetziges Büro, in dem Frau Brückner und ich unserer selbstständigen Tätigkeit als Texterin beziehungsweise Innenarchitektin nachgehen.« Sie sagte es leichthin und hoffte, dass sie nicht rot geworden war. »Von dem Erfolg des Cafés hängt es ab, ob wir diesen Tätigkeiten weiterhin nachgehen oder das Café räumlich möglicherweise ausbauen. Das ist aber alles Zukunftsmusik«, fügte sie rasch hinzu, als Herr Jansson sich jetzt abrupt zu ihr umdrehte.

»Und in welchem Raum hier haben Sie geschlafen?«, fragte er scharf.

Stefanie tat, als überlege sie. »Geschlafen, hmm. Ich kann mich erinnern, dass ich ein-, zweimal extrem lange gearbeitet und dann auf dem Sofa geschlafen habe, das wir damals noch hatten. Und nicht nach Hause bin, weil es so spät war. Beziehungsweise so früh. Das Sofa stand«, sie wandte sich um und wies auf ihr ehemaliges Zimmer, »in diesem Raum.

---ENDE DER LESEPROBE---