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Der Mond ist das Auge der Nacht und der Spiegel menschlicher Stimmungen, Gefühle und Fantasien. Zu allen Zeiten und auf allen Kontinenten werden Mythen und Märchen über diesen wundersamen Himmelskörper erzählt. Christine Brand hat sie für Groß und Klein gesammelt und frisch zu Papier gebracht. Warum Sonne und Mond am Himmel leben. Weshalb es nur noch einen Mond gibt. Ein Heiratsantrag mit Folgen. Eine Scheidung mit Hahn. Mann oder Frau, wer lebt im Mond? Von Mondprinzessinnen und Kriegern. Von Nächten in Dunkelheit. Von Menschen, die auf den Mond reisen. Dies und vieles mehr erfährt man in diesem Band. Erzählungen aus Serbien, Nigeria, China, Brasilien, Malaysia, Estland, Madagaskar, Neuseeland, Kenia, Kamerun, Spanien, Südafrika, Russland, Großbritannien, Grönland, Japan, Australien, Indien und anderen Ländern.
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Seitenzahl: 200
Der Mond ist das Auge der Nacht und der Spiegel menschlicher Stimmungen, Gefühle und Fantasien. Zu allen Zeiten und auf allen Kontinenten werden Mythen und Märchen über diesen wundersamen Himmelskörper erzählt. Christine Brand hat sie für Groß und Klein gesammelt und frisch zu Papier gebracht.
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Christine Brand, geboren und aufgewachsen im Emmental, ist selbstständige Schriftstellerin. Zuvor war sie Reporterin beim Schweizer Fernsehen, Journalistin bei der Berner Zeitung Der Bund und Redakteurin bei der NZZ am Sonntag. Christine Brand schreibt auch Kriminalromane und lebt in Zürich.
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Christine Brand
Mond
Geschichten aus aller Welt
Mit Abbildungen
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Die Mondillustrationen im Inneren des Buchs stammen aus: Johannis Hevelii Selenographia sive lunae descriptio, 1647.
(ETH-Bibliothek Zürich, Alte und Seltene Drucke)
© by Christine Brand 2016
© by Unionsverlag, Zürich 2022
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Catrin Welz-Stein (Artothek)
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30928-9
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
Unsere Angebote für Sie
Inhaltsverzeichnis
MOND
VorwortDie drei verlorenen Monde — Nach einem Märchen aus SerbienWarum Sonne und Mond im Himmel leben — Nach einer nigerianischen SageDer Heiratsantrag — Nach einem chinesischen MärchenDer Mond in der Kokosnuss — Nach einer Legende aus BrasilienAls Sonne und Mond sich scheiden ließen — Burkina FasoDie Mondjungfrau und die Sonnenjungfrau — ChinaDie Schlange und der leere Mond — Nach einer Sage aus Insulinde, MalaysiaDer teuflische Färber des Mondes — EstlandDas Indianermädchen — Nach einer Indianer-Sage, NordamerikaDas Mondmädchen — Nach einer Legende aus MikronesienFalsche Geschwisterliebe — Nach einer Sage der Inuit, GrönlandDer vertriebene Hahn — MadagaskarDie Frau im Mond — Nach einer Sage aus ChinaMaramas Fluch — Nach einer Maori-Sage aus NeuseelandKeine gute Ehe — Nach einer Sage der Massai in KeniaDie Mondprinzessin — Nach einem Märchen aus JapanWarum Sonne und Mond sich meiden — Nach einem Märchen aus KamerunDas Auge des Himmels — Nach einer Aborigines-Sage aus AustralienWie Kweku Tsin zur Sonne wurde — Nach einer Legende aus GhanaAls Sonne, Mond und Wind dinieren gingen — Nach einem Märchen aus IndienEine vermaledeite Reise — Ein französisches VolksmärchenBuddhas Mond — Nach einer Geschichte aus IndienBahloo, der Mond — Nach einer australischen LegendeDer Schmied im Mond — Nach einer deutschen Sage aus BrandenburgMondkind — Nach einer Legende aus SpanienWarum der Mond beinahe für immer verloren ging — Nach einer keltischen Sage, GroßbritannienDie Tochter von Sonne und Mond — Nach einer Legende der Bantu, SüdafrikaDas tapfere Mädchen und der Mond — Nach einem Märchen der Tschuktschen, RusslandQaudjaqdjug — GrönlandQuellenMehr über dieses Buch
Über Christine Brand
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Es war eine Nacht, in der der Wind die Wolken vor sich hertrieb und den Vollmond stets von Neuem zum Vorschein brachte. Ich saß unter einem unendlichen Himmel, auf einem Campingplatz in der Atacama-Wüste, als mir mein Zeltnachbar Marco meine erste Mondgeschichte erzählte: die Sage eines brasilianischen Volkes, das die Nacht und mit ihr den Mond verloren hatte.
Was wäre, wenn es den Mond nicht gäbe? Ohne den Mond wären wir nicht das, was wir heute sind. Mehr noch: Wir wären wohl überhaupt nicht hier. Denn den größten Entwicklungsschub erfuhr das Leben bei seiner Entstehung im Grenzbereich zwischen Wasser und Land, im Wechselspiel von Ebbe und Flut. Die Gezeiten, maßgeblich vom Mond beeinflusst, waren einst viel ausgeprägter, weil der Mond noch keine 380 000, sondern nur etwa 30 Kilometer von der Erde entfernt war. Gut möglich also, dass wir ohne den Mond im Stadium des Einzellers stecken geblieben wären.
Hätte es mit der Menschwerdung trotzdem geklappt, dann wären wir ohne Mond kaum hochgeschossene, aufrecht gehende Wesen geworden. Wahrscheinlich wären wir schwere, kleinwüchsige, mehrbeinige Geschöpfe. Denn ohne den Einfluss des Mondes würde sich die Erde dreimal so schnell drehen wie heute, und die dadurch andauernden Sturmwinde in Orkanstärke würden uns ständig wegpusten. Auch ob sich unser Sprachorgan bei den tosenden Dauerstürmen als Mittel zur Kommunikation entwickelt hätte, ist fraglich.
Es ist anders gekommen. Der Mond steht am Himmel, der Mensch ist Mensch geworden, und er hat sprechen gelernt. Er kann Geschichten erzählen, sie von Generation zu Generation weitertragen; Geschichten darüber, wie es kam, dass ebendieser Mond seine Runden dreht, und was es mit den Flecken auf sich hat, die sein Aussehen prägen.
Diese beiden Fragen treiben uns Menschen um, seit wir in den Mond schauen. Die Geschichte über die verlorene Nacht aus Brasilien war die erste von vielen, die ich auf meinen Reisen, bei Freunden aus allen Ländern, in fast vergessenen Büchern gefunden und gesammelt habe. In Südamerika – wie auch in Japan – sind es unter anderem Sagen darüber, wie der Hase in den Mond kam. Auch in Europa können wir den liegenden Hasen erkennen; Sie müssen nur den Kopf rechtwinklig nach links neigen, wenn Sie zum Mond hinaufschauen. Dennoch drehen sich europäische Sagen vor allem darum, was der Mann auf dem Mond zu suchen hat. In China oder Indien wiederum erkennen die Menschen dort oben eine Prinzessin. Und immer wieder mal taucht ein Hahn als Geselle von Sonne und Mond auf. Stammt die Sage aus einem warmen, südlichen Land, ist die heiß glühende Sonne in der dortigen Sprache meist männlich – der Mond mit seinem lieblichen, sanften Licht hingegen weiblich. In den kalten Ländern des Nordens, wo die Sonne ersehnte Wärme bringt, ist es gerade umgekehrt. Ich habe die alten Sagen voller fantastischer Erklärungen über die Entstehung und das Wesen des Mondes zusammengetragen, in einer modernen Sprache neu erzählt, und mir erlaubt, sie hin und wieder ein bisschen zu würzen und mit dem einen Detail oder der anderen Anekdote zu ergänzen.
Die Fragen um den Mond haben indes nicht nur Geschichtenerfinder inspiriert, sondern auch die großen Denker beschäftigt. Schon Aristoteles hat sich den Kopf darüber zerbrochen, warum der Mond nicht rein, sondern befleckt ist. Er bestritt die Theorie seiner Philosophenkollegen, die den Mond als Spiegel der Erde deuteten und in seinen Flecken die Umrisse von irdischen Kontinenten und Meeren wiederzuerkennen glaubten. Aristoteles kam zum Schluss, dass die dunklen Stellen auf der Oberfläche des Mondes nichts anderes waren als das, was er zu sehen glaubte; nämlich zufällige dunkle Flecken.
Später meinten Wissenschaftler, die Flecken seien der Beweis dafür, dass der Mond gleich der Erde Vertiefungen aufweise, die Wasser oder dunkle Luft enthielten. Auch Leonardo da Vinci verfasste eine Studie über den rätselhaften Himmelskörper: Er hielt die dunklen Stellen für Land – die hellen für Wasser. Galileo Galilei rückte dem Mond mit einem selbst gebauten Teleskop mit zwanzigfacher Vergrößerung näher. Er glaubte nicht daran, dass dort oben Wasser und Leben existierten.
Auch über die Entstehung des Mondes wurde heftig gestritten. Charles Darwins Sohn behauptete, der Mond habe sich von der Erde abgespalten. Um 1900 verbreitete sich die Theorie, der Mond sei im Vorbeiflug von der Erdanziehung eingefangen worden. Carl Friedrich von Weizsäcker erklärte 1944, der Mond und die Erde seien als Schwesternplaneten gemeinsam auf gleiche Art und Weise entstanden. Und in den Sechzigerjahren machte die Idee die Runde, der Mond sei das Produkt aus mehreren Monden, die zusammengestoßen seien. Heute glaubt man an den großen Knall: an die Kollisionstheorie. Demnach ist nahe der Geburtsstunde unseres Sonnensystems ein Himmelskörper, wahrscheinlich etwa so groß wie der Mars, in die Erde gekracht. Brocken der Erde und dieses Himmelskörpers wurden zurück ins Weltall geschleudert, und einige davon verdichteten sich zu dem, was wir heute Mond nennen. Und die Flecken? Klein, wie der neue Mond war, kühlte er rasch ab – und Trümmer, größer als ganze Gebirgszüge, die nach all den Turbulenzen und Karambolagen im Weltraum herumflogen und dabei den Mond trafen, hinterließen ihre Spuren; die Krater.
So weit, vereinfacht, die Erkenntnisse der heutigen Wissenschaft. Aber vielleicht ist die letzte Weisheit noch nicht gefunden. Womöglich stellt sich irgendwann heraus, dass alles ganz anders war. So könnte der Mond doch das Auge eines Ungeheuers sein, das am Himmel hängen geblieben ist, wie die Aborigines einst glaubten. Und die schwarzen Flecken auf dem Mond sind Überreste des Teers, den ihm der Teufel anschmierte, weil er sich bei seinen nächtlichen Untaten durch den Mondschein gestört fühlte, wie die Balten meinten. Sicher ist: Würde es den Mond nicht geben, müsste man ihn erfinden. Nichts wäre, wie es ist, würde der Himmelskörper fehlen, der seit jeher mit so großer Kraft auf unseren Planeten einwirkt und der uns Menschen seit Jahrtausenden fasziniert. Und die Fragen nach dem Wie und dem Warum? Vielleicht dürfen wir uns für einmal ganz einfach an jene Geschichte halten, die uns am besten gefällt.
Nach einem Märchen aus Serbien
Der Mond kommt, wenn der Tag geht. Dann setzt er sich an den Himmel und wirft seinen Schein auf die Welt. Bis er sich am Morgen wieder schlafen legt. Das war nicht immer so: In einer anderen Zeit, da war der Mond Tag und Nacht am Leuchten. Und er war nicht allein.
Ein alter Rabe kennt die Geschichte. Er weiß, wie es früher auf der Erde und in ihrem Himmel zu- und hergegangen ist. Damals, als alles noch seine Ordnung hatte. Der Rabe erzählt es jedem, der ihm zuhören mag: In dieser weit entfernten Zeit, in dieser fast vergessenen Vergangenheit, standen nicht nur einer, sondern vier Monde am Himmel.
Für jene Menschen, die unachtsam waren und sich keine Mühe gaben, sahen die vier Monde alle genau gleich aus. Wer aber mit aufmerksamen Augen hinauf zum Himmel blickte, erkannte, dass jeder Mond ganz eigen war. Der eine war ebenflächig und schimmerte im Grün des Mooses. Der zweite sah etwas verkratert aus; die Buckel und Löcher auf seiner Oberfläche erinnerten mal an das Gesicht eines Mannes, mal an einen liegenden Hasen mit langen Ohren. Er schien in einem gelblich sanften Weiß. Der dritte Mond hatte auffallend rote Backen. Der vierte Mond schließlich war ein bisschen größer als die drei anderen, bläulicher auch. Er trug eine Mütze und schien nicht ganz kugelrund zu sein. Er war ein wenig aus der Form geraten.
Die vier Monde waren fleißig; sie leuchteten sowohl bei Nacht als auch bei Tag. Die vielen Aufgaben, die es für Monde nun mal zu erledigen gab, hatten sie untereinander aufgeteilt. Der erste, der schummrig grüne, passte wie ein Hirte auf die Sterne auf. Er führte sie über ihre himmlische Bahn, mit einem Stock in der Hand, damit er damit poltern und fuchteln konnte, wenn sie von ihrem Weg abkommen wollten. Er wies den Sternen die Richtung und lehrte sie, zu leuchten und zu funkeln.
Der zweite Mond, der mit den Kratern und Hügeln im Gesicht, war der freundlichste von allen. Er leuchtete den Menschen den Weg, wenn die Sonne nicht für sie schien. Er warf seinen mattgelben Schimmer auf die Erde, dem die Nachtreisenden und die Leittiere der Herden folgten.
Der dritte Mond mit seinen roten Backen fand, dass er die schönste der Mondaufgaben übernommen hatte: Er brachte die guten Träume. Wenn er kam, streute er seinen Zauberstaub über die Wimpern der schlafenden Kinder. Deren Wangen verfärbten sich rötlich wie die seinen, und ihre Gesichter schienen aufzublühen, wenn die Träume sie streiften.
Der vierte Mond hatte sich entschieden, sich in allen Gewässern zu spiegeln und tief hinunter bis auf deren Grund zu scheinen: in Seen und in Brunnen, in Flüssen und in allen Meeren auf der Erde. Er tauchte die Unterwasserwelten in sein bläuliches Licht.
Jeder Mond hatte seine Aufgabe, alles hatte seine Ordnung.
Doch dann kam der Tag, der alles verändern sollte. Es geschah, als der vierte Mond seine Mütze verlor. Er hätte es wohl gar nicht gemerkt, hätte ihn nicht der zweite Mond darauf angesprochen: »Was hast du mit deiner Mütze gemacht?«
Erschrocken griff sich der vierte Mond an den Kopf. Die Mütze war weg! Sie musste ihm, während er sich im Wasser spiegelte, in den Fluss gefallen sein. Diese Mütze trug er schon so lange, wie er zurückdenken konnte. Ohne sie kam er sich nackt vor, es fühlte sich an, als fehlte ein Teil seiner selbst.
Verzweifelt suchte er seine Mütze, während der zweite Mond für ihn schien. Er tauchte hinein ins Wasser, immer von Neuem. Er weckte die Fische und bat sie um Hilfe, er ließ die Fischer mit ihren Ruten nach der Mütze angeln. Doch sie war nicht zu finden. Hatte jemand die Mütze vor ihm gefunden und hielt sie nun versteckt, um ihn vor aller Welt bloßzustellen, wenn er so ganz ohne Mütze am Himmel stand?
Wer konnte das bloß gewesen sein? Der zweite Mond, der ihm bei der Suche geholfen hatte, kam nicht infrage; der war viel zu freundlich. Aber wo waren eigentlich die beiden anderen Monde gewesen, als er sie gebraucht hätte? Plötzlich war sich der vierte Mond sicher: Der erste und der dritte Mond hatten die Mütze an sich genommen! Ihnen beiden traute er einen solch üblen Scherz ohne Weiteres zu. Das durfte er sich nicht gefallen lassen! Er fasste einen Plan, wie er sich seine Mütze zurückerobern wollte.
Mit einer List lockte er seine beiden Kollegen hinauf in das alte Schloss, in dem längst kein König mehr wohnte. Er behauptete, er müsse ihnen ganz dringend etwas zeigen, dort oben im Verlies. Als die beiden ihre Nasen in das düstere Loch hineinsteckten, schlug der vierte Mond hinter ihnen die Tür zu und schob den Riegel vor.
»Ihr werdet hier nicht eher herauskommen, bis ich meine Mütze zurückhabe!«, rief er durch die schwere Holztür. Dann nahm er einen Stuhl und setzte sich als Wächter davor. Er würde sich nicht von der Stelle rühren, bis er seine Mütze wiederhatte. Ganz egal, wie lange dies dauern mochte, ganz egal, wie sehr die beiden Monde bettelten und jammerten. Ja, er war ein geduldiger Mond. Und ein sturer.
Bis heute sitzt der vierte Mond neben der Tür zum Schlossverlies, in das er die beiden anderen Monde gesperrt hat. Seit jenem Tag ist keiner der drei Monde wieder am Himmel aufgetaucht: Einer wollte nicht – zwei konnten nicht.
Nur ein einziger Mond ist übrig geblieben. Er kam sich zwar verlassen vor, aber er hatte ja einen Eid geschworen, für immer den Lebewesen auf der Erde zu leuchten. Und weil er ein menschenfreundlicher Mond war, übernahm er zusätzlich die Aufgaben der drei anderen und erledigte fortan ganz allein die Arbeit von vieren. Was ziemlich beschwerlich war. Schon bald fürchtete er, wegen Überanstrengung zu erlöschen.
Darum hat der einzig übrig gebliebene Mond mit der Sonne und den Sternen einen Pakt geschlossen. Von nun an würde die Sonne am Tag am Himmel stehen, und er würde gemeinsam mit den Sternen nur noch in der Nacht unterwegs sein. So konnte er tagsüber schlafen und Kraft sammeln, damit er in der Nacht wieder kräftig leuchten konnte.
Der letzte Mond macht seine Arbeit gut. Weder die Sterne noch die Nachtreisenden, weder die Leittiere der Herden noch die träumenden Kinder haben sich je über ihn beschwert.
Nur manchmal, wenn er nicht einschlafen kann, weil er Sehnsucht hat nach den bunten Farben der Erde im Sonnenlicht, nach dem Singen der Vögel und dem Lachen der Menschen, dann stiehlt er sich am helllichten Tag an den Himmel und lächelt auf die Welt hinab.
Nach einer nigerianischen Sage
Vor so langer Zeit, dass sich nur die ältesten der alten Männer daran erinnern können, war der Himmel sternenleer. Denn die Sterne waren noch gar nicht geboren, und die Sonne und der Mond standen nicht wie heute hoch über den Wolken, sondern lebten auf der Erde. Sie wohnten zusammen in einem Haus, fast wie ein altes Ehepaar, und hatten seit vielen Jahren einen gemeinsamen besten Freund: das Wasser. Die drei Freunde Sonne, Mond und Wasser hatten keine Geheimnisse voreinander. Brauchte die Sonne einmal einen Rat, war das Wasser stets mit einer Weisheit zur Stelle. Plagte den Mond eine Sorge, spendete das Wasser ihm Trost. Und wusste das Wasser einmal nicht weiter, halfen ihm der Mond und die Sonne mit ihrer Klugheit aus. Sonne und Mond besuchten – wie das beste Freunde so tun – das Wasser oft und regelmäßig. Sie gingen bei ihm ein und aus, fast so, als wäre das Heim des Wassers ihr zweites Zuhause.
Das Wasser hingegen hatte sich noch kein einziges Mal auf den Weg gemacht, um die Sonne und den Mond in ihrem Haus zu besuchen. Der Sonne war dies gar nicht recht. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie und der Mond immer nur Gäste, nie aber Gastgeber waren. Und ja, sie war auch ein bisschen beleidigt, und sie fragte sich, warum das Wasser sie nie besuchen wollte. Als die Sonne und der Mond zum tausendeinhundertsiebenunddreißigsten Mal beim Wasser zu Besuch waren, konnte die Sonne nicht länger an sich halten. Endlich stellte sie jene Frage, die sie ihrem Freund, dem Wasser, schon lange stellen wollte. »Wir haben dich bereits tausendeinhundertsiebenunddreißig Mal besucht – du aber bist noch kein einziges Mal zu uns gekommen.« Sie schaute das Wasser halb tadelnd, halb schüchtern an. »Warum besuchst du uns eigentlich nie?«
Das Wasser räusperte sich, zögerte mit seiner Antwort. Wellen schwappten über seine Augen, als es verlegen blinzelte. »Liebe Sonne, lieber Mond. Es hat einen einfachen Grund, warum ich nicht zu euch komme: Euer Haus ist leider nicht groß genug für mich.« Betreten blickte das Wasser zuerst zum Mond und dann zur Sonne. Es fiel ihm schwer weiterzusprechen, denn es wollte seine Freunde nicht verletzen. »Ihr müsst wissen: Ich habe viele Freunde, die immer bei mir sind und die ich nicht zurücklassen kann. Käme ich mit all den Wesen auf Besuch, die mit mir und in mir leben, würden wir euch aus eurem Haus geradezu rausspülen.«
Denn das Wasser mit all seinen Fischen und Krabben und Seepferdchen und Quallen und Tintenfischen und Korallen passte nie und nimmer in das kleine Häuschen von Sonne und Mond hinein.
Das Gesicht der Sonne spiegelte ihre grenzenlose Enttäuschung. Ihr Schein erblasste, aber nur kurz. Dann leuchtete die Sonne auf einen Schlag wieder so kräftig, dass Wasser und Mond die Augen zusammenkneifen mussten. Sie ließ auf den Wellen des Wassers Tausende Lichter tanzen, denn ihr war eine Idee zugeflogen. »Wie wäre es, wenn der Mond und ich ein neues Haus bauen würden? Ein größeres? Würdest du uns dann besuchen kommen?«
Das Wasser zögerte zweifelnd. Doch es wollte die Sonne nicht wieder blass und traurig sehen. »Wenn ihr wirklich möchtet, dass ich euch besuche, dann müsst ihr ein gewaltiges Haus bauen. Es muss größer sein als alles, was ihr euch vorstellen könnt. Denn meine Freunde, die in mir leben, sind zahlreich, und sie brauchen jede Menge Platz.«
Die Sonne war begeistert und gab ihr Versprechen: »Wir werden ein so großes Haus bauen, wie du es noch nie gesehen hast!« Sie schubste den Mond an, damit er auch etwas dazu sagte. Doch er zuckte nur mit den Schultern und lächelte zaghaft. Er war nicht sicher, ob er sich freuen sollte. Wird es uns gelingen, ein Haus zu bauen, in dem das Wasser mit all seinen Wesen Platz findet?, fragte er sich. Aber der Mond war keiner, der zu viel nachdachte, sondern einer, der anpackte. »Na, dann wissen wir wenigstens, was wir zu tun haben«, sagte er schließlich schmunzelnd zur Sonne. Längst hatte er sich an ihre verrückten Ideen gewöhnt. Und so begannen der Mond und die Sonne schon am nächsten Tag mit der Arbeit, damit sie das Wasser mit all seinen Freunden bald als Gäste empfangen konnten. Stein um Stein schichteten sie aufeinander, die Mauern wurden höher und höher und reichten schon bald hinauf bis zu den Wolken.
Siebenundsiebzig Tage lang bauten sie an diesem Haus, das größer war als alles, was man sich vorstellen kann. Dann endlich kam der feierliche Augenblick: Sonne und Mond überreichten dem Wasser ihre Einladung. »Wir möchten dich gerne als Gast willkommen heißen.« Die Sonne strahlte dunkelrot. Auch das sanfte Licht des Mondes erschien dem Wasser anders als sonst, goldiger.
»Ich freue mich sehr«, sagte das Wasser und meinte es auch so. Obwohl es noch immer nicht überzeugt war, dass dieser Besuch wirklich eine gute Idee war.
Am Sonntag war der Moment gekommen. Das Wasser konnte das höchste Gebäude des Universums schon von Weitem sehen. Als es sein Ziel beinahe erreicht hatte, sprang ein Fisch aus seinen Wellen hoch. »Sonne!«, rief der Fisch laut aus. »Sonne! Ist es in eurem Haus auch wirklich sicher für das Wasser, wenn wir euch besuchen kommen?«
»Klar ist unser Haus sicher, wir haben es selbst gebaut. Sag unserem Freund, er könne sorgenfrei eintreten.«
Das Wasser begann erneut zu fließen, und die Fische und Krabben und Quallen und Seesterne und all die anderen Tiere, die im Wasser lebten, strömten in das Haus. Es dauerte nicht lange, da stand das Wasser bereits kniehoch in den Zimmern. Das war ihm gar nicht recht. »Denkt ihr immer noch, dass es sicher genug ist?«, fragte das Wasser seine beiden Freunde.
»Klar, mach dir keine Sorgen«, meinte die Sonne.
»Wird schon gut gehen«, sagte der Mond.
Also sprudelte mehr und mehr Wasser in das Haus. Schon bald stand es mannshoch. Das Wasser zögerte wieder. »Wollt ihr wirklich, dass noch mehr von mir und meinen Freunden in euer Haus eintreten?«
»Kommt herein, unser Haus ist euer Haus«, strahlte die Sonne.
»Sei unbesorgt, Wasser, wir haben das Haus bestimmt groß genug gebaut«, versicherte der Mond.