Mord am Leuchtturm - Klaus-Peter Wolf - E-Book
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Mord am Leuchtturm E-Book

Klaus-Peter Wolf

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Beschreibung

Ihnen fehlt noch die richtige Lektüre für die schönsten Tage im Jahr? Dann brauchen Sie die Krimi-Erzählungen von Ostfrieslands-Superstar Klaus-Peter Wolf! Die Geschichten handeln von durchtriebenen Kerlen und zwielichtigen Gestalten, von raffinierten Mordplänen und einem mörderischen Dinner mit ANN KATHRIN KLAASEN. Von einer Internet-Hexe, einem magischen Ort und einem mörderischen Klassentreffen. Aber Sie lesen auch, was es mit dem Nylonstrumpfmörder auf sich hat und wie es um die Seele eines roten Ford Sierra bestellt ist. Außerdem finden Sie im Buch ein Interview, das Holger Bloem, der Herausgeber des Ostfriesland-Magazins, mit dem Autor geführt hat. Die Leser von Klaus-Peter Wolf müssen den Sommer also auf keinen Fall ohne spannende Lektüre im Strandkorb verbringen. 17 Krimi-Erzählungen - von der ostfriesischen Küste und aus dem Ruhrgebiet, die einen echt coolen Sommer versprechen!

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Klaus-Peter Wolf

Mord am Leuchtturm

17 Krimi-Erzählungen

FISCHER E-Books

Inhalt

Das mörderische KrimidinnerMamis HeldDer LeuchtturmmörderAnita und ichHexenverbrennungSonnyboyWarnungDer NylonstrumpfmörderDie VorahnungDer SchutzengelDer ErlöserUnter MenschenSandra und AnnaDie rote TasteDie Seele des Ford SierraDie InternethexeDer magische OrtInterview mit Holger Bloem, Chefredakteur des »Ostfriesland-Magazins«

Das mörderische Krimidinner

Schlimmer hätte es nicht kommen können. Greg wäre am liebsten sofort wieder umgedreht, aber so leicht kam er aus dieser Nummer ohne Gesichtsverlust nicht mehr heraus.

Okay, das Risiko, sich zu blamieren, war groß. Auf hoher See, vor Gericht und beim Fernsehen war man ganz in Gottes Hand, das wusste er nur zu gut. Aber er hatte sich trotzdem entschieden mitzumachen.

Die Regeln waren einfach: Fünf Menschen, die im weitesten Sinne etwas mit Kriminalliteratur zu tun hatten, sollten abwechselnd füreinander kochen. Die jeweiligen Gäste beurteilten dann den Gastgeber nach Punkten.

Der Gewinner sollte einen Geldpreis bekommen und eine Traumreise. Aber deshalb machte er es nicht. Den Preis wollte er als Kriminalschriftsteller ohnehin an den Weißen Ring spenden. Er unterstützte die Organisation schon lange. Sie kümmerte sich um Opfer von Gewaltverbrechen.

Traumreisen interessierten ihn nicht. Die schönsten Orte der Welt hatte er längst gesehen und sich dann dort ein Haus gekauft, wo es ihm am besten gefiel: in Ostfriesland, nicht weit entfernt vom Deich.

Er hatte zugesagt, weil es die Lieblingssendung seiner Tante Mia war. Er war bei ihr aufgewachsen, und diese Sendereihe, die seit gefühlten zwanzig Jahren lief, war ihr absoluter Fernsehliebling. Sie verpasste nie eine Sendung, nicht mal, als sie mit Lungenentzündung im Krankenhaus lag. Damals traten fünf Leute an der Kochfront an, die alle etwas mit Pferden zu tun hatten. Ein Springreiter. Ein Pferdezüchter. Ein Schauspieler, der mit Ritterfilmen bekannt geworden war. Ein Pferdeflüsterer. Und ein Pferdemetzger.

Er hatte am Bett neben ihr gesessen, und er musste ihr versprechen, wenn sich irgendwann mal die Chance bieten sollte, dann würde er mitmachen. Er hatte ihr lachend zugesagt, so, wie man sich verspricht, sich bald mal wieder zu besuchen. Doch sie hatte ihn kritisch angesehen, mit diesem Tante-Mia-Blick. Sie musste nicht viel sprechen, sie konnte vielsagend gucken, und damals sagte ihr Blick, dass sie ihm den Sprung in diese Sendung im Grunde nicht zutraute. Ja, er hatte in Talkshows Politiker beleidigt, sich mit Kritikern gestritten und war mit seinen Büchern häufig in Kultursendungen besprochen worden. Das alles zählte für Tante Mia nicht viel. Es war nett, erfreulich, aber auch langweilig. Das guckte sie nur aus Pflichtbewusstsein ihm gegenüber, wenn sie wusste, dass er in der Sendung war. Aber Spaß gemacht hatte ihr das nie. Dem Dinner hingegen fieberte sie täglich entgegen.

Im Grunde nahm er nur teil, um seiner Tante Mia zu beweisen, dass doch noch etwas aus ihm geworden war, dem Schulversager und Berufsausbildungsabbrecher.

Und jetzt das hier! Die Katastrophe. Der SuperGAU.

Gleich am ersten Abend waren sie bei Markus Speer zu Gast, dem großen Spötter vor dem Herrn. Dem narzisstischen Berufsintriganten. Sein Angstgegner.

Verdammt, wenn er das gewusst hätte … Niemals hätte er sich dieser Situation ausgesetzt. Für kein Geld in der Welt und nicht einmal für Tante Mia.

Aber die Namen aller Teilnehmer waren wirklich bis zum Schluss geheim gehalten worden. Er wusste nur, dass er am ersten Abend nach Leer kommen sollte. Dort wartete am Bahnhof ein Fahrzeug der Filmproduktion auf ihn, und er wurde zum ersten Ort kutschiert.

»Eine großzügig ausgebaute Altbauwohnung mit Blick auf den Museumshafen«, schwärmte Brigitte, die Redakteurin, die hier Realisatorin genannt wurde, und fügte strahlend hinzu: »Sie werden staunen, Herr Lee, wen wir da als ersten Gastgeber ausgesucht haben. Heute ist der Kennenlernabend. Da geht die Kamera praktisch mit Ihnen in die Wohnung, und wir filmen das erste Zusammentreffen. Benehmen Sie sich also ganz ungezwungen, tun Sie so, als ob wir nicht da wären. Soll ich Sie eigentlich mit Ihrem Pseudonym anreden oder mit Ihrem richtigen Namen?«

»Ich schreibe schon lange nicht mehr unter Greg Lee«, hatte er wie traumwandlerisch geantwortet.

Als er den Namen auf der Klingel sah, wollte sich sein Finger weigern, auf den Knopf zu drücken. Da stand Speer. Noch hoffte er auf eine zufällige Namensgleichheit. Sein Speer wohnte doch in Köln, in der großen Medienstadt. Nicht in Leer.

Dann schaffte er es doch zu klingeln.

»Halt!«, schimpfte der Kameramann. »Halt! Ich hab hier ein Problem, ich sehe in der Spiegelung der Tür den Tonarm.«

»Ich muss das aber angeln«, behauptete der Tontechniker.

»Nein, das geht nicht. Verkabel ihn.«

Während er noch fast paralysiert dastand, wurde sein Hemd aus der Hose gezogen und ein Kabel an seinem Bauch entlanggeschoben. Dann ein Mikro an seinem Kragen angebracht.

Er versuchte, diese Bilder von Speer aus dem Kopf zu kriegen, um fröhlich und unbefangen in den ersten Abend zu gehen. Aber verdammt, er wurde von Speers Sätzen geflutet, wie der Medientausendsassa ihm als Regisseur für seinen neuen Film präsentiert worden war. Er sollte sein »Tatort«-Drehbuch verfilmen.

»Es ist«, hatte Speer gesagt, »im Prinzip ein gutes Buch mit zum Teil erstaunlich guten Dialogen. Aber etwas stimmt nicht … Ich kann das jetzt noch gar nicht genau spezifizieren … Also, bitte nageln Sie mich jetzt nicht auf Details fest, aber … Die Figuren stimmen einfach noch nicht … Sie fassen mich einfach noch nicht wirklich an … Ich hätte da ein paar kleine Änderungsvorschläge … Also, jetzt mal so ganz ungeschützt aus dem Bauch heraus gesagt … Wie wäre es denn, wenn das Opfer – also, die erste Leiche – nicht das Opfer wäre, sondern der Täter? Ja, da staunen Sie, was? Nicht sie bringt ihn um, sondern er sie! Man muss das Ganze ergebnisoffen diskutieren. Darauf wären Sie bestimmt gar nicht gekommen, stimmt’s? Wir kleben aber ja hier nicht am Text, wir sind ja nicht in der Schule. Schließlich soll der Film ja gut werden …«

Fast zwei Jahre lang hatte er an dem Stoff gearbeitet und für seine Durchsetzung in der Fernsehredaktion und in der Produktionsfirma gekämpft. In wenigen Sekunden rann die mühsam erbaute Sandburg durch seine Finger.

Er machte ein paar Versuche, seinen Stoff zu retten, aber es endete damit, dass Speers Name als Regisseur und Drehbuchautor genannt wurde. Ihm hatte man großzügig eine kleine Abfindung gezahlt und ihn im Abspann genannt: Frei nach einer Idee von …

Das war der Anfang einer langen Feindschaft. Immer wieder waren sie aneinandergerasselt, und jedes Duell hatte er verloren.

»Würden Sie jetzt bitte noch einmal klingeln? Wir sind soweit«, forderte der Kameramann.

Brigitte, die Realisatorin, rief: »Nein, stopp, sein Hemd hängt noch aus der Hose. Wie sieht das denn aus?!«

Er richtete seine Kleidung und klingelte noch einmal. Und Speer öffnete tatsächlich die Tür.

Er trug den üblichen Anzug in kloblau, und sein breites Gebiss leuchtete in raubtierweiß.

»Halt! Stopp! Noch mal zurück! Ich hab hier ein Brennweitenproblem. Wenn wir von außen reinkommen, säuft mir hinten das Bild ab.«

Er war dem Kameramann dankbar. Die Tür wurde noch einmal geschlossen. Er durfte erneut klingeln.

Er hatte jetzt noch eine letzte Chance zu fliehen. Er empfand diese Tür plötzlich als Tor zur Hölle, und er fragte sich: Wer geht freiwillig da durch?

»So, jetzt bitte noch einmal klingeln. Und denken Sie daran: Sie haben keine Ahnung, bei wem Sie heute zu Gast sind. Sie sind völlig überrascht!«

Er sah seinen Finger den Klingelknopf drücken. Er dachte: Hau besser ab und: Hätte ich mich doch nie darauf eingelassen. Aber sein Verstand regierte gerade dieses Raumschiff, das er seinen Körper nannte, nicht mehr. Eine unbekannte außerirdische Macht gab seinen Muskeln Befehle. Und statt wegzurennen, lieferte er seinen Blumenstrauß ab und gab Speer brav die Hand.

Der machte gleich ganz auf gute alte Freundschaft und umarmte ihn.

»Mensch, wer hätte das gedacht? Greg Lee! Welch unverhofftes Wiedersehen! Schreibst du immer noch diese Heftchengeschichten?«

»M… Meine Romane erscheinen nicht in Heftchenform.«

Speer klopfte ihm anerkennend auf die Schultern: »Na, super, Mensch! Machst du jetzt richtige Bücher?! Na, komm rein! Du bist der Letzte, die anderen sind schon da.«

Er nahm am Tisch Platz.

Scheinwerfer waren aufgebaut. Das Fernsehteam bestand aus vier Leuten, die er sah, aber da war noch ein zweites Team in der Küche, das gleich Speer beim Zubereiten der Mahlzeit filmen sollte.

Sie begrüßten sich. Speer servierte seinen Aperitif, Champagner mit einer – vermutlich tiefgefrorenen – Himbeere, die so groß und formschön war, dass sie im Glas unecht wirkte.

Er hatte Mühe, die anderen Gäste wirklich wahrzunehmen: Ann Kathrin, eine Kriminalkommissarin, die ein sympathisches Lächeln hatte, und Ludger, ein ehemaliger Häftling, der aber, wie er betonte, seine Strafe bereits abgebrummt hatte und jetzt auf der Suche nach einem Neuanfang war. Außerdem eine Schauspielerin, Julia, die schon viermal in Krimis die Leiche gespielt hatte und nun in einer großen Rolle vor der Kamera stand, aber das war noch geheim.

Sitz hier nicht steif rum, sagte er sich. Reagiere auf die anderen! Interessiere dich für sie! Überlass diesem Blender nicht wieder das Feld! Er hat schon zu oft gegen dich gewonnen … Alle haben schon ihren Aperitif ausgetrunken, nur du noch nicht …

Da nahm Speer ihm das Glas auch schon ab. »Soll ich dir lieber eine Dose Bier bringen, Greg? Champagner ist doch sowieso nicht so dein Ding, hm?« Wieder klopfte er ihm auf die Schultern. »Aber Currywurst mit Pommes rotweiß gibt’s heute bei mir nicht.«

Markus Speer verschwand in der Küche, um die Vorspeise vorzubereiten. Die vier Gäste durften sich die Wohnung ansehen und sollten dabei Rückschlüsse auf die Persönlichkeit von Speer ziehen.

Greg ging mit dem Exknacki, der eigentlich nur aus dem Fenster sehen wollte und die Aussicht »Hammer!« fand oder »Affengeil! So ein Blick und dann ganz ohne Gitter!«

Als Kriminalschriftsteller hätte Greg eigentlich gerne gewusst, warum Ludger im Gefängnis gesessen hatte. Aber er wollte ihn nicht mit so einer Frage bloßstellen. Er sah sich stattdessen Markus Speers Buchregal an. Der Mann las keine Taschenbücher, oder er entsorgte sie gleich danach im Papiermüll. Hier standen nur Hardcover-Ausgaben und Filme.

Beeindruckend fand Greg Speers Grafiksammlung. Vermutlich hatten ein paar Künstler ihm die Bilder geschenkt, mutmaßte Greg. Er sah zwei Holzschnitte von Horst Dieter Gölzenleuchter. Einen Ole West. Einen Grieshaber. Einen Reinhard Michel. Und Wolfgang Gerlach, der Erfinder der Mainzelmännchen, hatte auch eine Zeichnung beigesteuert.

An der gegenüberliegenden Wand hingen ein Matisse, ein Klee und ein kleiner Picasso. Entweder Originale oder sehr gelungene Fälschungen.

Als die Vorspeise serviert wurde, einigten alle sich darauf, sich zu duzen; auch das Filmteam wollte nur noch mit Vornamen angeredet werden.

Es gab Teriyaki-Lachs an Honig-Limetten-Senfsauce und Rucolasalat im Parmesankörbchen mit einer Sylter Auster obendrauf.

Dieses Parmesankörbchen hätten sie und ihr Mann auch schon mal versucht, sagte Ann Kathrin, die Kommissarin. Aber es sei ihnen damals misslungen.

Ob man das fertig kaufen könne oder ob es selbstgemacht sei, fragte Julia, die Schauspielerin, und zog sich damit einen verächtlichen Blick von Markus Speer zu.

Es könne, betonte er, nur mit frisch geriebenem Parmesan gelingen, nie mit diesem Trockenpulver aus der Tüte. Dann – mit frisch geriebenem Parmesan – sei es allerdings gar kein Problem. Einfach mit ein bisschen Mehl vermengen und dann pfannkuchenförmig in einer fettlosen, nicht zu heißen Pfanne, anschmelzen, dann vorsichtig herausheben und über einer umgedrehten Tasse erkalten lassen.

Er sah sich nach seinen Ausführungen selbstverliebt in der Runde um, als hätte er gerade die Relativitätstheorie massentauglich unters Volk gestreut und hoffe nun darauf, verstanden zu werden.

Speer gab damit an, dass er den Autor ja kenne. Er habe mal ein verunglücktes Drehbuch von ihm retten dürfen. Als Drehbuchdoktor sozusagen. Es sei dann doch noch ein ganz netter Film geworden.

»Ich weiß«, sagte Julia, »ich war die Leiche am Anfang. Ich wurde umgebracht, bevor ich etwas sagen konnte.«

Ein kurzes, betretenes Schweigen trat ein, weil weder der Regisseur noch der Autor des Films sich an sie erinnert hatten.

Dann hoffte Greg Lee, seinen Kopf als Autor aus der Schlinge ziehen zu können und den Schwarzen Peter an den Regisseur weiterzureichen, indem er sagte: »In meiner ursprünglichen Fassung gingen dem Mord zwei Szenen im Biergarten voraus. Da hättest du Text gehabt, Julia.«

Markus Speer lachte mit vollem Lachsmund: »Ja, ja, das Drehbuch war viel zu verquatscht, darüber waren wir uns alle von Anfang an einig.«

Ludger gab dem Gastgeber recht: »Also, ich finde es auch immer besser, wenn es in Filmen richtig zur Sache geht. Dieses endlose Gelabere gehört doch ins Stadttheater.«

»In meiner Ursprungsfassung war sie die Täterin, nicht das Opfer. Das wäre eine große Rolle gewesen«, stellte Greg klar.

Julia sah aus, als könne sie jeden Moment anfangen zu heulen.

Die Filmbeleuchtung heizte den Raum enorm auf, fand Greg und fuhr sich mit dem Finger zwischen Hals und Kragen entlang. Doch das gefiel dem Tontechniker nicht.

Jetzt nahm Markus Speer Julias Hand, sah sie an und sagte: »Wenn ich es recht bedenke, war das damals eine Fehlentscheidung. Du hättest eine größere Rolle verdient. Aber damals, als ich diese belanglosen Sätze aus dem Buch gestrichen hatte, da kannte ich dich ja noch nicht. Außerdem hast du etwas Besseres verdient. Eine richtig gute Rolle in einem Kinofilm. Mir schwebt da auch schon etwas vor.«

Julia wusste nicht, wie ihr geschah. Sie wurde unterm Make-up rot.

Die Realisatorin sagte: »Schade, das war gerade sehr anrührend, aber leider hat Ann Kathrin in die Kamera geguckt. Ihr sollt doch so tun, als ob wir nicht da wären.«

Ann Kathrin entschuldigte sich und sah jetzt zu Ludger, der sein Parmesankörbchen mit dem Finger hielt und daran herumknusperte.

»Ja … äh … darf man das denn nicht? Ist das jetzt so, als würde ich die Dekoration mitessen?«

»Als würde man die Pommes mit Schale auffressen? Nein, so ist es nicht«, lachte Speer. »Bei mir kann alles, was auf dem Teller ist, mitgegessen werden.«

Julia hatte ihre Auster nicht angerührt.

»Das«, so erklärte Speer ihr, »ist sozusagen die Hauptspeise bei jedem guten Filmfestival. Ich kenne ein paar Stars, die bestellen sich zum Frühstück zwölf Austern und einen schwarzen Kaffee.«

Ludger grinste. »Ja, weil Austern wie Viagra wirken, aber keine Kopfschmerzen machen.«

»Ach«, konterte Speer, »macht Viagra Kopfschmerzen? Da hast du wohl mehr Erfahrung als ich.«

Ludger verzog sauer die Lippen. Greg sah sehr wohl, dass seine Faust sich um die Gabel ballte, bis die Knöchel seiner Finger weiß wurden.

Der Kameramann nahm alles dankbar mit. Davon lebte die Sendung. Der Programmdirektor hatte es seinen Leuten immer wieder gepredigt: Für einen spannenden Fernsehabend braucht man drei Dinge: Konflikt! Konflikt! Konflikt!

Nun, da hatten sie mit Speer genau den richtigen Mann ausgesucht, um mit seiner provozierenden, selbstherrlichen Art Konflikte heraufzubeschwören.

Er setzte bei Ludger gleich noch eins drauf: »Zu einem Krimidinner gehört natürlich auch ein echter Ganove wie du. Aber sag mir, weshalb hast du gesessen?«

Weil Ludger nicht sofort antwortete, versuchte die Kommissarin der Situation die Peinlichkeit zu nehmen und sagte: »Mich interessiert mehr, auf was für einen tollen Hauptgang wir uns nach dieser köstlichen Vorspeise freuen dürfen.«

Julia nickte, aber Speer spottete: »Jedenfalls warst du kein Kunstdieb, sonst wäre dir bestimmt aufgefallen, dass hier ein paar wertvolle Originale an den Wänden hängen.«

»Sind die echt?«, fragte Ann Kathrin, froh darüber, dass das Thema gewechselt wurde. »Einen Gölzenleuchter und einen Ole West habe ich auch zu Hause. Die konnte ich mir leisten, die anderen wohl eher nicht.«

Speer nickte gewichtig, und Greg zischte: »Die anderen sind echte Kujaus.«

Aber den Gag verstanden nur Ann Kathrin, die darüber lachen konnte, und Speer, der ihn als Attacke auf seine Kunstsammlerehre ansah.

Die Realisatorin brach das Gespräch ab: »Tut mir leid, aber so schön eure Unterhaltung auch läuft … Markus muss jetzt in die Küche. Wir kommen sonst voll aus dem Zeitplan.«

Markus Speer tat ausnahmsweise widerspruchslos, was eine Frau ihm sagte.

Der Kameramann forderte von Greg: »Kann ich das mit den echten Kujaus noch mal haben? Wir hatten Probleme mit dem Licht. Ich nehm dich jetzt am besten ganz close.«

Es war ein Freudenfest für Greg. Er holte tief Luft und schoss die zwei Worte wie Giftpfeile ab.

Es standen edle Weine auf dem Tisch, aber Julia brauchte ein Glas Wasser und Ludger ein Bier.

Nach dem Hauptgang, Languste Bellevue mit Scheiben von Schwarzer Trüffel und einer langatmigen Erzählung, wo und wann Speer diesen Klassiker der Meeresfrüchteküche zum ersten Mal probiert hatte und wie es ihm dann doch gelang, dieses Gericht raffiniert zu verfeinern, zog sich jeweils ein Kamerateam mit zwei Gästen zum Gespräch zurück.

Greg wurde zusammen mit der Kommissarin Ann Kathrin im Schlafzimmer befragt. Die zwei lagen auf dem Wasserbett zwischen dicken Kissen mit Samtbezügen. Eine riesige Fototapete, schwarzweiß, mit dem Kopf von Humphrey Bogart, dominierte den Raum.

Nachdem die Kamera ihre Position gefunden hatte, bat die Realisatorin Ann Kathrin und Greg, sie mit Klaus anzureden.

Ann Kathrin lachte: »Mit Klaus?«

»Ja, der kommentiert doch immer das Geschehen, aber man sieht ihn nie. Er ist auch nie wirklich beim Dreh mit dabei. Aber die Leute sollen denken, dass er alle Fragen stellt.«

Für Greg war das eine Selbstverständlichkeit. Aber Ann Kathrin war ein bisschen enttäuscht. »Ich fand den immer so besonders klasse. Auch seine Fragen und seine kleinen Scherze …«

Brigitte, die Realisatorin setzte sich neben den Kameramann. »Ich hoffe, ihr zwei fühlt euch wohl, so gemeinsam im Wasserbett …«

Beide lachten.

»So, dann erzählt mir doch mal. Was habt ihr denn für einen Eindruck von eurem Gastgeber? Wie ist der denn so?«

Greg und Ann Kathrin sahen sich an. Dann begann Ann Kathrin: »Also, er ist selbstbewusst. Ich glaube auch, er kocht wirklich gerne …«

»Obwohl er sich normalerweise lieber bekochen lässt«, warf Greg ein.

»Ja«, bestätigte Ann Kathrin, »er ist schon ein Lebemann, denke ich.«

»Er ist«, sagte Greg, »ein typischer Fernsehmensch. Alles ist auf Wirkung bedacht. Mehr Oberfläche als Tiefgang. Er will halt beeindrucken, und er möchte gerne bewundert werden.«

Brigitte fragte nach: »Höre ich da eine gewisse Kritik heraus?«

»Hm … kann man wohl sagen. Mir geht seine ganze aufgeblasene Art mächtig auf den Keks. Also, ich hab mich ja auch aus der Fernseharbeit wesentlich zurückgezogen und konzentriere mich jetzt voll auf meine Romane, weil ich mit Typen wir ihm nie wieder etwas zu tun haben wollte. Das ist mir heute Abend erst richtig klargeworden.«

Die Realisatorin freute sich. Greg mochte ihre professionelle Art sehr. Sie war klar und genau, und sie wusste, was sie wollte.

»Heißt das, du wirst ihm weniger Punkte fürs Essen geben, weil dir seine Art nicht gefällt oder weil ihr euch von früher her kennt? Er hat mal ein Drehbuch von dir gerettet, sagt er.«

»Gerettet? Verunstaltet hat er es! Verwüstet! Er ist vermutlich mehr ein Krimineller als Ludger. Er hat mir mein Buch ja im Grunde gestohlen.«

Ann Kathrin rutschte ein Stückchen von Greg weg, um ihn besser anschauen zu können. Sie hatte sich eigentlich auf einen schönen Abend gefreut, auf ein aufregendes, aber konfliktfreies Miteinander. Dieser Traum zerschellte gerade.

»Aber es gibt«, sagte sie, »doch ein Urheberrecht.«

Greg nickte. »Ja, gibt es. Aber seine Buchrechte verliert man beim Film schneller als fünf Euro beim Hütchenspiel hinterm Hauptbahnhof.«

Brigitte hakte nach: »Wie wirst du ihn also bewerten, Greg?«

»Ich warte erst mal das Dessert ab. Ich vermute, es wird wieder aus dem Versuch bestehen, mehr zu scheinen als zu sein.«

»Also, mir hat es bisher sehr gut geschmeckt«, sagte Ann Kathrin und versuchte einzurenken. Die Rolle der Streitschlichterin spielte sie im Kommissariat öfter. Manchmal, so hatte sie gelernt, konnte eine Frau ganz gut zwischen den Kampfhähnen vermitteln. In der Dienststelle galt sie als Mediatorin, ja, in Krisensituationen wurde sie oft zur Deeskalation eingesetzt.

»Ich finde, er kocht ganz ausgezeichnet, und er ist eben, wie er ist«, fügte sie hinzu.

Plötzlich legte Greg los. Brigitte ahnte es Sekunden zuvor und gab dem Kameramann einen Wink. Gregs Körper straffte sich, und er räusperte sich. Solche Momente sagten der Realisatorin, dass gleich jemand mit etwas Unangenehmem herausplatzen könnte. Genau so war es.

»Das Ganze heißt doch Krimidinner. Da vermisse ich das – nun ja, das Kriminelle. Dieses Foto von Bogart da an der Wand, das reicht mir nicht. Ich meine … Markus hat ein paar mehr oder weniger gute Kriminalfilme gedreht. Aber ich hätte mir einfach mehr von ihm erhofft. Irgendeine Inszenierung.«

»Was denn zum Beispiel?«, wollte Brigitte wissen.

»Naja, eine kleine Showeinlage oder wenigstens ein bisschen Dekoration.«

»Du hast also so etwas geplant, Greg?«

»Na klar.«

»Ich auch«, sagte Ann Kathrin.

Das Dessert bestand aus einem selbstgemachten Vanilleeis mit Schwarzbrotbröckchen darin, auf einem Fruchtspiegel aus Waldbeeren. Auf den ersten Blick sah es aus wie ein Stracciatella, schmeckte dann aber auf eine irritierende Art anders. Neu. Besser.

Greg gestand sich grummelnd ein, dass er dieses Eis mochte. Es war verdammt das beste Eis, das er in den letzten Jahren gegessen hatte.

Jeder Gast sollte jetzt einzeln und von den anderen unbeobachtet, draußen vor dem Haus seine Wertung abgeben und danach mit einem Taxi nach Hause fahren, das von der Filmproduktion gerufen und bezahlt wurde. Auf jeden Fall sollte verhindert werden, dass ein Gast nach ein paar Gläsern Wein noch selbst Auto fuhr. Die erfolgreiche Fernsehreihe sollte nicht durch solche Schlagzeilen in schlechten Ruf gebracht werden.

Auf einer Skala von Null bis Zehn sollte Greg jetzt den Gastgeber bewerten, wobei Zehn die beste und Null die schlechteste Note war.

Menschlich, dachte Greg, müsste er eine Null minus bekommen, aber tiefer als Null ging es ja leider nicht.

Für die nicht vorhandene Krimidinner-Dekoration war sowieso eine Null fällig. Das Essen war bis auf den Nachtisch aufgeblasene Mittelmäßigkeit, also höchstens eine Fünf.

Aber dann vor der Kamera draußen, als der ostfriesische Wind an seinem nassgeschwitzten Hemd zerrte und der Sauerstoff der Lunge guttat, da hörte er sich sagen: »Ich gebe unserem Gastgeber für seine Bemühungen acht Punkte.«

Er stieg ins Taxi und fragte sich: Habe ich gerade wirklich acht Punkte gesagt? Nicht null? Was ist mit mir los? Warum stehe ich nicht klar zu mir? Warum nutze ich nicht endlich meine Chance, es ihm heimzuzahlen? Will ich mich bei ihm einschleimen, weil er ja später auch wieder über mich urteilen wird? Aber er erfährt doch erst am Ende des Spiels, wie alles gelaufen ist. Was bin ich nur für ein feiger Versager? Ich lehne mich einmal kurz auf, und dann klappe ich gleich wieder zusammen.

Greg wollte noch nicht nach Hause. Er konnte sich nicht vorstellen, in seinem Bett zu liegen. Undenkbar, jetzt zu schlafen. Er war hellwach, und die Gefühle fuhren Achterbahn in ihm. Er war voller Hass auf Speer und Wut auf sich selbst. Am liebsten wäre er zurückgefahren, um die Punktevergabe noch einmal zu wiederholen.

Er ließ sich nach Norddeich bringen und stieg an der Mole aus. Auf den Dalben saßen Möwen und beäugten ihn. Er hielt den Kopf in den Wind und ging zum Deichkamm.

Es war Ebbe. Der Mond spiegelte sich tausendfach in Prielen und Pfützen. Greg setzte sich. Etwas krabbelte schnell weg. Er nahm nur die Bewegung langer Beine wahr.

Der Wind brachte Klarheit in seinen Kopf, und plötzlich hatte alles eine Logik. Die losen roten Fäden verknüpften sich wie von selbst zu einem kunstvollen Tuch.

Ja, er würde Speer umbringen. Darauf lief alles hinaus.

Der miese Selbstdarsteller, der selbstgefällige Intrigant, musste sterben. Bei einem Krimidinner. Wenn das nicht originell war!

Plötzlich fand er es lustig. Der ganze Verlauf dieses Abends bekam einen Sinn.

Markus Speer hatte sich kein bisschen verändert. Er war dasselbe alte Ekel geblieben. Er bat praktisch darum, dass ihn endlich jemand beseitigte.

Greg dachte an seine ersten Manuskripte, als es noch gar keine Computer gab. Abgetippt auf einer alten Olivetti und vorgeschrieben mit spitzen Bleistiften in ein Heft. Damals gehörte der Radiergummi – mit einer harten blauen und einer weichen roten Seite – zu seiner Standardausrüstung. So wie er falsche Worte aus dem Text radierte, durch Kürzen und Streichen mieser Stellen seine Erzählung schliff und durch das Tilgen von überflüssigen Adjektiven der Sprache Klarheit gab statt Schwülstigkeit, genau so musste Speer ausradiert werden, um die Welt schöner und liebenswerter zu machen.

Er hatte nie Gewissensbisse, wenn er ein störendes Wort aus dem Text entfernte. Im Gegenteil. Er fühlte sich danach großartig. Durch konsequente Reduktion entstanden die spannendsten Storys und die würzigsten Saucen. Warum sollte er sich jetzt dabei schlecht fühlen? War nicht sein ganzes Leben ein fast geradliniges Zusteuern auf genau diese Tat?

Er lachte laut gegen den Wind und hörte sich an wie die Möwe, die den kleinen Krebs, der gerade vor ihm geflohen war, drei Meter weiter in Stücke hackte. Ja, so war die Natur.

Wie viele Morde hatte er schon begangen? Also, in seinem Werk. Literarische und filmische. Er wusste es nicht.

Er begann nachzuzählen und ging jeden einzelnen Mord durch. Dabei überprüfte er die jeweilige Mordart auf ihre Brauchbarkeit in Bezug auf Markus Speer.

Er kam auf vierundfünfzig Morde an Menschen. Er hatte Äxte, Pfeile, Stahlschlingen und natürlich Messer und Schusswaffen benutzt. Er war wahrlich ein Fachmann des Tötens.

In einer Talkshow hatte Speer gesagt, dass er sich nach der Lektüre des letzten Greg-Lee-Thrillers Sorgen um die geistige Gesundheit des Autors mache.

Greg hatte nicht darauf reagieren können, er war nicht zu Gast in dieser Talkshow gewesen. Er hatte sie zu Hause im Fernsehsessel angesehen.

Speer hatte die Chance wahrlich genutzt, um auszuteilen.

»Die Kulturszene, gerade im Krimi- und Thrillerbereich, wird von Psychopathen beherrscht, die, statt in Therapie zu gehen, dicke Bücher schreiben«, hatte er behauptet.

Greg wog ab, was für Speers Tod die angemessene Waffe war. Er selbst war am letzten Tag als Gastgeber dran. Diesen Abend sollte Speer nicht überleben. Ein bisschen Arsen in den Nachtisch, und der große Regisseur würde unter Schmerzen den Löffel abgeben. In einem Dessert mit Mandeln und Marzipan ließ sich Arsen wunderbar geschmacklich verstecken.

Er sah der Möwe zu, die den Krebs verspeiste und sich gegen die Fresskonkurrenten zur Wehr setzen musste, die versuchten, ihr die Beute abzujagen.

Das Leben, dachte Greg, ist ein einziges Hauen und Stechen. Du warst viel zu lange Opfer. Jetzt bricht eine neue Ära an.

Das Flügelschlagen der kämpfenden Möwen hörte sich für ihn an wie frenetischer Beifall eines begeisterten Publikums.

Er fühlte sich leichter, durchströmt, ja beseelt von diesem Gedanken. Er flanierte jetzt auf dem Deichkamm. Es war, als sei er erst jetzt wirklich Teil dieser Welt geworden. Endlich bereit, seinen Platz nicht nur einzunehmen, sondern auch zu verteidigen.

An der Tötungsmethode wollte er noch ein bisschen arbeiten. Sie war ihm noch nicht ausgereift genug. Zu unspektakulär. Zu wenig raffiniert. Aber vielleicht auch gerade deswegen perfekt. Niemand würde überhaupt an Giftmord denken. Immerhin aßen sie alle die gleichen Speisen, und die Kamera hätte ihm sogar beim Kochen zugesehen. Ein Mord, der gar nicht als solcher erkannt wurde, löste keine Ermittlungen aus und blieb folglich unentdeckt.

Ja, er, der Krimiautor, würde den perfekten Mord begehen. Und zwar vor laufender Kamera.

 

Der nächste Abend fand in der ältesten ostfriesischen Stadt, Norden, statt. Die Kriminalkommissarin Ann Kathrin Klaasen, über die Markus Speer inzwischen per Internetrecherche einiges in Erfahrung gebracht hatte, hatte offensichtlich bei ihrer Vorstellung tiefgestapelt. Sie galt als Verhörspezialistin der ostfriesischen Polizei und hatte mehrere Serienkiller dingfest gemacht. Im Grunde war sie eine Berühmtheit.

Markus Speer ahnte, dass sie ihm heute Abend die Show stehlen könnte. Auf der kulinarischen Ebene traute er ihr wenig zu, aber ein Krimidinner war vermutlich genau ihr Ding.

In der Küche ließ sie sich von ihrem Ehemann und Kollegen unterstützen. Frank Weller, der als ihre »Schnibbelhilfe« vorgestellt wurde.

Auf Greg wirkte das so, als ob Ann Kathrin überhaupt nicht kochen könnte und er normalerweise den Kochlöffel schwingen würde. Aber aus irgendeinem Grund hatte man sie ausgesucht. Vermutlich, weil sie so etwas wie die Galionsfigur der ostfriesischen Kripo war.

Sie hatte die Wohnung im Distelkamp mit weißroten Absperrbändern der Polizei in die Illusion eines Tatorts verwandelt.

Greg fand ihre Buchregale spannend. Sie waren praktisch zweigeteilt. Einmal jede Menge Kriminalromane, darunter auch drei von ihm selbst, und dann nur noch Kinderbücher. Die Wohnung sah aber nicht so aus, als ob hier kleine Kinder leben würden. Sammelt sie Kinderbücher?, dachte er grinsend.

Die Schnibbelhilfe Weller outete sich als Krimifan und fragte Greg, ob er bereit sei, die Bücher zu signieren. Greg tat es. Speer dagegen fand es albern.

Auf dem Tisch stand kein edles Geschirr, sondern für jeden Gast ein Plastiktablett. Daneben lag sehr schlichtes Kantinenbesteck.

»Na«, spottete Speer, »da erwartet uns heute ja wohl eine ganz besondere Gaumenfreude. Wonach riecht es denn hier? Erbsensuppe?«

»Nein«, antwortete Ann Kathrin, »Graupensuppe. Außerdem ein Joghurt und Labskaus mit Spiegelei. Ein Festessen in jeder JVA.«

Speer galt als sehr wortgewandt und schlagfertig, aber jetzt blieb ihm für einen Moment der Kommentar im Hals stecken.

Er musste sich mit dem Tablett in der Küche anstellen, wo Weller jedem mit einem langen Kochlöffel etwas auf die Teller klatschte. Ann Kathrin ließ dann das Ei darübergleiten und sagte: »Salz und Pfeffer stehen auf dem Tisch. Alkohol gibt es natürlich nicht, aber Filterkaffee und gutes, ostfriesisches Leitungswasser. Außerdem einen Saft für jeden, aus selbstgepflückten Äpfeln und Birnen aus eigenem Garten.«

Greg fand das originell. Krimimäßig. Witzig. Passend zum Motto.

Ludger behauptete, so gut sei das Essen während seiner Haftzeit selten gewesen. Er aß alles auf und kratzte sogar mit dem Löffel den Teller aus, wollte aber doch nicht gerne auf ein Bier und ein Schnäpschen danach verzichten.

Julia pickte nur von ihrem Essen, war aber begeistert von der »authentischen Krimiatmosphäre«.

Markus Speer hatte inzwischen seine Worte wiedergefunden und machte seinem Ruf als Spötter alle Ehre: »Ich dachte, es geht hier ums Kochen, und da hast du, liebe Ann Kathrin, auf ganzer Linie geradezu kriminell versagt. Man staunt, was man selbst bei einer Graupensuppe noch falsch machen kann. Meine Großmutter konnte daraus ein herrliches, schmackhaftes Gericht zaubern. Ich persönlich lege ja mehr Wert auf gute Küche als auf …«, er tippte gegen die Absperrbänder, »solchen Hokuspokus.«

»Ach«, sagte Greg spitz, »ein bisschen mehr Mühe mit der Dekoration hättest du dir schon auch geben können, Mark. Dann hätte es gestern vielleicht für zehn Punkte gereicht.«

Julia spielte mit ihrem Messer und sagte gedankenverloren: »Umbringen kann man damit jedenfalls niemanden. Die Messer sind stumpf.«

»Das ist im Knast auch so«, lachte Ludger, und Ann Kathrin fügte hinzu: »Aus gutem Grund.«

Speer fühlte sich an Hans Falladas Wer einmal aus dem Blechnapf frisst erinnert. Er schob das Essen weg und verzog den Mund. »Nein, das hat mir der Arzt verboten.«

Die Realisatorin tauschte mit dem Kameramann Blicke. Sie waren beide mit dem Abend sehr zufrieden.

»Hast du«, flüsterte sie ihm zu, »dieses Klatschen mit der Kelle auf dem Teller beim Austeilen der Speisen, oder müssen wir das nachdrehen?«

»Nein, hab ich. Ein Träumchen.«

Ann Kathrin wurde in der Küche gefragt, wie sie glaube, dass ihr Abend bei den Gästen angekommen sei.

»Ich bewerbe mich hier ja nicht als Fünf-Sterne-Köchin«, sagte sie, und es klang nach Rechtfertigung. »Ich wollte ein bisschen Erlebnisgastronomie der anderen Art machen. Eigentlich koche ich ja nicht wirklich gut. Mein Mann, der jetzt nur Schnibbelhilfe sein durfte, mit dem koche ich gemeinsam. So als Paarerfahrung ist das ganz schön nach einem arbeitsreichen Tag. Aber meistens hat er dann die Regie, und ich bin die Schnibbelhilfe.«

Draußen gab Speer ihr null Punkte »für dieses grässliche, ungenießbare Gematsche«. Gleichzeitig erklärte er, wie man aus Roten Beten, Matjes, Kartoffeln und Äpfeln das norddeutsche Traditionsgericht Labskaus zu einem Gaumenschmeichler werden lassen könnte, statt »diese Pampe daraus zu machen, die uns da lieblos in den Napf gepappt wurde«.

Dann hielt er sich plötzlich vor laufender Kamera kurz den Mund zu und fragte gespielt ängstlich: »Oh – werde ich jetzt verhaftet, wenn die Frau Kommissarin das erfährt?«

Greg gab ihr neun Punkte. Das Essen hatte ihm zwar überhaupt nicht geschmeckt, aber es gefiel ihm, wie Ann Kathrin Mark gegen sich aufgebracht hatte. Er mochte originelle Ideen und Menschen, die den Mut hatten, sie umzusetzen. Und dieses Dinner war originell, wenn auch leider nicht sehr schmackhaft.

Auf dem Heimweg bat er den Taxifahrer, bei Gittis Grill zu halten, wo er sich eine Bratwurst mit doppelt Senf holte.

 

Der nächste Tag, es war ein Mittwoch, war für ostfriesische Verhältnisse ungewöhnlich schwül. In Greetsiel wehte nicht mal direkt am Hafen ein sanftes Lüftchen.

Julia war so aufgeregt wie bei ihrem ersten Casting. Zweimal schwitzte sie ihre Kleidung durch und musste sich umziehen, während der Fisch im Herd garte.

Sie hatte sich zusammen mit ihren Freundinnen Kitty und Gesa von der Schauspielschule eine kleine Showeinlage ausgedacht. Zum Dessert gab es Fruchtspieße mit weißer und dunkler Kuvertüre, dazu einen Bauchtanz, den die drei »Hula-Hula-Tanz« nannten. Dabei jonglierten sie mit Früchten und sangen Zwei Apfelsinen im Haar und an den Hüften Bananen von France Gall, was Speer mit dem Satz kommentierte: »Als Leiche hattest du mir besser gefallen, Julia.«

Ihr Schwertfisch an Mangosalat war ihm viel zu trocken. Er hätte ihn sich glasiger gewünscht.

Ludger betonte, dieses Essen sei deutlich besser als der Knastfraß gestern Abend, dabei schwang eine gewisse Animosität gegen Polizei und Justiz mit.

Aber dann brach zwischen Kitty und Gesa ein Streit aus. Er explodierte geradezu. Es ging um einen Mann, den niemand der anderen Anwesenden kannte. Angeblich, zischte Gesa, hätte Kitty, die sie plötzlich »gottverdammte Bitch« nannte, etwas mit ihrem Typen.

Zunächst lehnte sich Speer entspannt zurück und sah amüsiert zu, während Ann Kathrin sofort in Alarmbereitschaft war, weil sie wusste, dass solche Auseinandersetzungen eskalieren konnten.

Ludger schüttelte, als die zwei aufeinander losgingen, nur den Kopf und maulte: »Frauen …« Als die eine der anderen an den Haaren zog, fügte er hinzu: »Fehlt nur der Schlamm. Ich mag Frauencatchen im Schlamm.«

Julia ging dazwischen und versuchte, ihre Freundinnen zu trennen. Plötzlich hatte eine der zwei Streithennen ein Messer in der Hand und stach wutentbrannt zu.

Kitty mit den großen, geschwungenen Lippen, die so herrlich lachen konnte und diesen verführerischen Hüftschwung draufhatte, hielt sich den Bauch. Blut spritzte zwischen ihren Fingern hoch. Sie fiel mit offenem Mund und weitaufgerissenen Augen auf die Knie.

Ann Kathrin sprang herbei und stieß dabei ihren Stuhl um.

Julia kreischte.

Ludger brüllte: »Ach du Scheiße!«

Schon hatte Ann Kathrin Gesa entwaffnet und ihr den rechten Arm auf den Rücken gedreht. Gesa lag auf dem Bauch. Ann Kathrin drückte ihren Kopf auf den Boden.

»Beruhigen Sie sich«, forderte Ann Kathrin. »Geben Sie auf. Jede Gegenwehr ist sinnlos.«

»Aua! Sie tun mir weh, verdammt! Aua!«, schrie Gesa.

Kitty hob gleich beide Arme wie jemand, der sich ergibt. »Nicht doch«, rief sie. »Das ist Theaterblut!«

Ann Kathrin ließ Gesa los und hob das Messer auf. Die Klinge ließ sich in den Schaft drücken. Ein Theatermesser.

Ann Kathrin stand unschlüssig im Raum. Gesa erhob sich und blickte zur Kamera. Brigitte zeigte ihr den erhobenen Mittelfinger.

Speer war blass um die Nase, lachte aber jetzt laut. »Hahaha, unsere Kommissarin ist voll drauf reingefallen!« Dann klatschte er demonstrativ Beifall. »Bravo! Das nenne ich Theater!« In das Lächeln von Julia stieß er dann seinen Satz wie einen Dreizack: »Schmierentheater, aber Theater.«

»Wir wollten«, erklärte Julia sich, »euch ein kleines, geheimes Theaterstück spielen. Wir treten damit auch in Restaurants auf.«

»Also«, lachte Ludger, »mir hat’s gefallen. Voll krass!«

Ann Kathrin zupfte sich die Kleidung zurecht. »Es sah verdammt echt aus. Ich komme mir jetzt ein bisschen blöd vor. Ich hoffe, ich habe Sie nicht verletzt, Gesa.«

Die schüttelte den Kopf und rieb sich den Ellbogen des rechten Arms.

Ann Kathrin gab Julia zehn Punkte. Vielleicht auch, weil sie sich ein bisschen schämte.

Als Greg aus Greetsiel zurückfuhr, saß er still hinten im Taxi. Der Fahrer wollte mit ihm reden. Seine Frau las angeblich Romane von Greg Lee. Normalerweise wäre Greg auf das Gesprächsangebot eingegangen, doch heute amüsierte ihn ein Gedanke, den er mit niemandem teilen konnte. Gerade waren alle auf eine gefakte Mordattacke reingefallen. Den echten Mord aber würde niemand als solchen wahrnehmen.

Er hatte bereits alles besorgt, was dazu notwendig war. Er fühlte sich großartig und freute sich auf den Abend bei Ludger.

Ich hoffe, du genießt es auch, Speer, du Mistsau. Denn übermorgen bist du tot, du miese, kleine Dreckschleuder, dachte Greg.

 

Zurück in Leer hatte Markus Speer zunächst wenig Lust, in seine Wohnung zurückzukehren. Er wollte jetzt nicht alleine sein und verspürte gleichzeitig nicht genug Energie in sich, um noch einen One-Night-Stand klarzumachen. Er hatte keine Lust, jetzt noch an irgendeiner Theke zwei Stunden Süßholz zu raspeln, um dann endlich zum Schuss zu kommen.

Ja, in Köln wäre das jetzt gar kein Problem gewesen, da hätte er aus einem Notizbuch einfach ein paar Telefonnummern gefischt und seine Angel ausgeworfen. All diese Statistinnen, die so gerne richtige Schauspielerinnen werden wollten, waren das Futter in seinem Haifischbecken.

Aber hier in Leer gab es so eine Szene gar nicht, oder er hatte sie noch nicht entdeckt. Seine Kontakte waren noch sehr beschränkt auf Zufallsbekanntschaften.

Er hatte in Köln nicht daran geglaubt, dass Inga ihn wirklich rausschmeißen würde. Sie war für ihn so eine Tuaregfrau, wie er sie nannte, die stumm alles ertrugen, als sei nichts geschehen.

Aber dann war sie plötzlich ausgeflippt, hatte das reiche, verwöhnte Unternehmertöchterchen heraushängen lassen und war zu ihrem Vater gelaufen. Der sollte die Sache für sie klären.

Er hatte Markus Speer unmissverständlich klargemacht, dass er ihn noch nie leiden konnte und was das Wort Ehevertrag eigentlich zu bedeuten hatte. Darauf hatte der Vater bestanden, und jetzt zog er diese Karte. Das großbürgerliche Haus in Lindenthal, nicht weit vom Stadtwald entfernt, war seit achtzig Jahren im Familienbesitz und sollte es auch bleiben. Er musste ausziehen und durfte in die ostfriesische Ferienwohnung am Museumshafen ziehen.

Das alles eigentlich nur, weil er sich, verdammt nochmal, Gesichter von Frauen einfach nicht merken konnte. Es war eine Katastrophe, gerade für ihn als Regisseur.

Jede Frau ist gekränkt, wenn man sie nach einer gemeinsamen Nacht nicht wiedererkennt. Schauspielerinnen verzeihen so etwas nie. Das hatte er gelernt. Sie trugen ihre Verletzungen wie einen Panzer und konnten zu gemeinen Giftspritzen werden, aber es war bei ihm eine Art psychischer oder vielleicht gar genetischer Defekt. Er erinnerte sich an jeden Mann, mit dem er mal ein Bier im Stehen getrunken hatte. Frauen vergaß er einfach. Seine Mutter und seine Noch-Ehefrau vielleicht ausgenommen. Aber auch da war er sich nicht wirklich sicher.

Er war zum vierten Mal verheiratet und hätte Mühe gehabt, seine ersten drei Ehefrauen zu beschreiben. Auf Fotos verwechselte er sie.

Einmal hatte er einem angeblichen Freund, dem Filmproduzenten Herbert Simon, davon erzählt. Als könnten Filmproduzenten und Regisseure jemals wirklich Freunde sein … Er kam sich jetzt noch blöd vor deswegen.

Herbert Simon hatte es natürlich überall herumerzählt, dass der große Speer, der so gefühlvolle Liebesszenen inszenieren konnte wie kein zweiter, sich nicht an die Augenfarbe seiner Ehefrau oder seiner Hauptdarstellerinnen erinnern konnte. Frauen seien für ihn nur Gebrauchsgegenstände, und wer erinnere sich schon noch an eine Flasche Wein, die er geleert habe. Der Geschmack bliebe vielleicht im Gedächtnis, aber doch nicht die Farbe des Etiketts.

Wie viel Ärger hatte ihm diese kleine Gedächtnisschwäche schon eingebracht … und wie viel Freude? Denn seit es sich in der Branche – dank Herbert Simon – herumgesprochen hatte, versuchten einige ganz entschlossene Schauspielerinnen, sich doch noch in sein Frauengedächtnis einzuprägen. Diese Bemühungen hatte er sehr genossen, auch wenn sie wohl das Ende seiner vierten Ehe bedeuteten, was ihm finanziell sehr wehtat.

Er trank noch ein Bier im Stehen im Taraxacum und dann, als er in seine Wohnung zurückkam, traf es ihn hart.

Die Tür oben aufgebrochen.

Die Bilder von den Wänden entfernt.

Die Schubladen durchsucht.

Sein PC stand noch da.

Hier war jemand gezielt vorgegangen, und hier wusste jemand, dass er erst spät zurückkommen würde.

Er rief die Polizei. Als Regisseur von Kriminalfilmen war es eine Art Recherche für ihn – mit diesem Gedanken versüßte er sich das Zuschauen. Er fand aber die Arbeit der Kriminaltechniker wenig filmisch und fühlte sich auch nicht besonders ernst genommen. Hier wurde nicht die gesamte Leeraner Polizei aus dem Bett geklingelt, weil bei ihm eingebrochen worden war.

Speer kochte vor Wut.

Ein verpennt aussehender Kripomann, der gleich zu Anfang erklärte, er sei aus Vertretungsgründen hier und eigentlich beim K1 mit wichtigeren Dingen beschäftigt, nahm den Fall auf und grinste: »Na, so ein Krimidinner wird doch durch so einen Einbruch erst perfekt.«

Er hieß, wenn Speer sich nicht verhört hatte, Rupert. Ob es sein Vor- oder Nachname war, wusste Speer nicht. Jedenfalls dozierte dieser Rupert, er, Speer, solle sich nicht so aufregen, Niedersachsen sei das sicherste Bundesland der Welt. Ja, er sagte »der Welt«. Es habe hier zwar vierzehntausendfünfhundertachtundneunzig Wohnungseinbrüche im letzten Jahr gegeben, aber dafür sei die Zahl der Morde gesunken. Bundesweit würden nur sechzehn Prozent aller Einbrüche aufgeklärt, in Niedersachsen dagegen gut ein Viertel aller Täter gefasst. Es habe am Wochenende in Leer gut ein Dutzend Einbrüche gegeben, und er könne noch froh sein, bei ihm sei ja nichts verwüstet worden. Der Vandalismus bei Einbrüchen sei meist das größere Problem. Hier hätte ja nur einer ein paar Bilder geklaut.

»Ein paar Bilder?!«, schrie Speer. »Das waren Klee, Picasso, Matisse, Grieshaber, Gölzenleuchter und …«

Er merkte, dass die Namen Rupert nicht beeindruckten, darum stoppte er die Aufzählung.

»Was war der ganze Kram denn wert?«

»Kram?«

»Naja, die Bilder. Waren die versichert?«

»Ja, also … ist das denn nicht in der Hausratversicherung? Ich bin doch gegen Diebstahl versichert … glaube ich.«

Rupert trumpfte auf: »Ja, damit befasst man sich immer erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Das kennen wir. Wie sahen die Bilder denn aus? Manchmal tauchen Sachen ja auf dem Flohmarkt wieder auf oder bei Ebay.«

Speer stöhnte gequält auf.

 

Ludger hatte mit Hilfe seiner Freundin, einer Floristin aus Emden-Barenburg, die Doppelhaushälfte in ein Blumenmeer verwandelt. Jeder würde verstehen, so lachte er in Ann Kathrins Richtung, dass er im Gegensatz zu ihr alles getan habe, um keine Knastatmosphäre aufkommen zu lassen. Davon hätte er genug gehabt.

Brigitte wollte diese Szene gleich noch einmal haben, aber aus einer anderen Kameraperspektive, denn sie fand »den Knacki und die Kommissarin als Bild hitverdächtig«.

Dann stellte Ludger seine Frau vor, deren Schönheit den Kameramann von den Leuten ablenkte, um die es eigentlich gehen sollte.

»Wie«, so raunte er Brigitte ins Ohr, »kommen solche Typen immer an so tolle Frauen?«

Wenn du wüsstest, dachte Greg. Die miesesten Schweine, wie Speer, die wirken wie ein Magnet auf bestimmte Frauen, die in der Liebe nicht das Glück suchen, sondern die Bestätigung ihrer eigenen Wertlosigkeit, die sie als Kinder erfahren haben.

Aber das sagte er nicht, sondern er hatte vor, den Abend mit seinem Erzfeind zu genießen, wissend, dass er ihn morgen beseitigen würde.

Greg kämpfte mit sich. Sollte er sich nett verhalten, um unverdächtig zu wirken, falls doch herauskam, dass Markus vergiftet worden war? Oder war es gerade deswegen klug, heute voll auf Konfrontation zu gehen? Sollte er ihn attackieren, bloßstellen und in eine Duellsituation bringen, um hinterher sagen zu können: Also bitte, Leute, wenn ich vorgehabt hätte, ihn zu töten, dann wäre ich wohl kaum so dumm gewesen, ihn vor der Kamera anzugreifen. Für wie blöd haltet ihr mich eigentlich?

War das zu sehr um die Ecke gedacht? Überkonstruiert, wie Kritiker es seinen Kriminalromanen manchmal vorwarfen?

Der Aperitif schimmerte rötlich-orange, sah irgendwie künstlich aus und war eine Mischung aus Prosecco, Eiswürfeln, Limetten, Minze und Aperol. Er schmeckte nach Rhabarber und Bitterorange. Nicht ganz Ann Kathrins Geschmack, aber die anderen fanden den Drink wohl gut.

Greg hatte sich noch nicht entschieden, ob er nun Markus Speer attackieren wollte oder nicht, da war bereits zum Schneiden dicke Luft zu spüren. Es gab wieder einen Rundgang durch die Wohnung und eine Besichtigung.

Greg ging mit Speer, der sich nicht genierte, Schubladen zu öffnen und hineinzusehen. Dann standen sie vor einer Tür, daran hing ein Schild aus irgendeinem Hotel: Bitte nicht stören.