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Als "James Bond des 19. Jahrhunderts" hat Detektiv Fandorin Kultstatus erlangt. Sein neuester Fall führt ihn auf das Luxusschiff "Leviathan", das 1878 auf Jungfernfahrt nach Kalkutta ist. Dort begegnet er dem französischen Kommissar Coche, der ein Jahrhundertverbrechen aufklären will: In Paris wurden Lord Littleby, ein Sammler orientalischer Kostbarkeiten, sieben seiner Bediensteten und zwei Kinder ermordet. Coche hat alle Tatverdächtigen an seinen Tisch geladen - auch den geheimnisvollen Russen Fandorin. Mit ungewöhnlichen Methoden schaltet dieser sich in die Ermittlungen ein ...
"Boris Akunin setzt auf Tempo und feine Ironie. Empfehlenswert." Westdeutsche Allgemeine Zeitung.
"Ein absolut kultverdächtiger Historienheld." Brigitte.
"Akunin erzählt in bester russischer Tradition, grotesk wie Gogol, dunkel wie Dostojewski, unterhaltsam bis zuletzt." Die Woche.
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Seitenzahl: 339
Boris Akunin
Mord auf der Leviathan
Fandorin ermittelt
Roman
Aus dem Russischen von Renate und Thomas Reschke
Die Originalausgabe unter dem Titel
Левиафан
erschien 2000 bei Sacharow-AST, Moskau.
ISBN E-Pub 978-3-8412-0156-0
ISBN PDF 978-3-8412-2156-8
ISBN Printausgabe 978-3-7466-1762-6
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2011
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Die deutsche Erstausgabe erschien 2002 bei Aufbau Taschenbuch, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
© B. Akunin 2000
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DIE SCHWARZE MAPPE DES KOMMISSARS COCHE
ERSTER TEIL - PORT SAID – ADEN
KOMMISSAR COCHE
REGINALD MILFORD-STOKES
RENATE KLEBER
CLARISSA STOMP
GINTARO AONO
ZWEITER TEIL - ADEN – BOMBAY
GINTARO AONO
CLARISSA STOMP
REGINALD MILFORD-STOKES
RENATE KLEBER
KOMMISSAR COCHE
DRITTER TEIL - BOMBAY – PALKSTRASSE
GINTARO AONO
KOMMISSAR COCHE
RENATE KLEBER
CLARISSA STOMP
REGINALD MILFORD-STOKES
Aus dem Protokoll der Tatortuntersuchung, vorgenommen am Abend des 15. März 1878 in der Villa von Lord Littleby, Rue de Grenelle (7. Pariser Arrondissement):
Aus ungeklärten Gründen befand sich die gesamte Dienerschaft im Anrichteraum im Parterre der Villa, links vom Vestibül (Raum 3 in Schema 1). Die genaue Lage der Leichen ist aus Schema 4 zu ersehen, es sind dies:
Nr. 1 der Haushofmeister Etienne Delarue, 48
Nr. 2 die Haushälterin Laura Bernard, 54
Nr. 3 der Kammerdiener des Hausherrn Marcel Proux, 28
Nr. 4 der Sohn des Haushofmeisters, Luc Delarue, 11
Nr. 5 das Stubenmädchen Arlette Foch, 19
Nr. 6 die Enkelin der Haushälterin, Anne-Marie Bernard, 6
Nr. 7 der Wächter Jean Lesage, 42, der im Spital Saint-Lazare am 16. März verstarb, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben
Nr. 8 der Wächter Patrick Trois-Bras, 29
Nr. 9 der Türsteher Jean Carpentier, 40
Die Leichen Nr. 1–6 befanden sich in sitzender Stellung rund um den großen Küchentisch: Nr. 1–3 mit dem Kopf auf den gekreuzten Armen, Nr. 4 mit der Wange auf den flachen Händen, Nr. 5 auf dem Stuhl zurückgelehnt und Nr. 6 auf dem Schoß von Nr. 2 sitzend. Nr. 1– 6 hatten ruhige Gesichter ohne die geringsten Anzeichen von Angst oder Leiden. Die Leichen Nr. 7–9 lagen, wie aus dem Schema ersichtlich, in einiger Entfernung vom Tisch. Nr. 7 hielt eine Trillerpfeife in der Hand, doch keiner der Nachbarn hat an dem betreffenden Abend einen Pfiff gehört. In den Gesichtern von Nr. 8 und 9 ist Entsetzen oder zumindest äußerste Verwunderung zu erkennen (die photographischen Aufnahmen werden morgen früh vorgelegt). Es gibt keine Kampfspuren. Körperliche Verletzungen wurden bei einer ersten Untersuchnung nicht entdeckt. Die Todesursache zu ermitteln ist ohne Obduktion unmöglich. An Hand der Leichenstarre stellte der Gerichtsmediziner Maître Bernheim fest, daß der Tod zu verschiedenen Zeiten eingetreten ist, zwischen 22 Uhr (Nr. 6) und 6 Uhr, während Nr. 7, wie schon erwähnt, später im Spital verstarb. Ohne den Ergebnissen des medizinischen Gutachtens vorgreifen zu wollen, wage ich zu behaupten, daß alle Opfer unter der Einwirkung eines starken Giftes mit schnell einschläferndem Effekt standen, und der Zeitpunkt des Herzstillstands war abhängig entweder von der Giftdosis oder von der physischen Stabilität des jeweiligen Vergifteten.
Die Eingangstür der Villa war angelehnt. Ein Fenster der Orangerie (Punkt 8 in Schema 1) zeigte deutliche Einbruchspuren: Die Scheibe war zerschlagen, und auf der lockeren Erde unter dem Fenster fand sich der undeutliche Abdruck eines Männerschuhs mit einer 26 Zentimeter langen Sohle, vorn spitz und der Absatz mit Eisen beschlagen (die photographischen Aufnahmen werden nachgereicht). Wahrscheinlich ist der Täter vom Garten her ins Haus eingedrungen, und zwar nachdem die Dienerschaft vergiftet und eingeschläfert war, sonst hätte sie das Klirren des Glases gehört. Unbegreiflich ist, warum der Täter, als die Bediensteten schon unschädlich gemacht waren, durch den Garten das Haus betrat — er hätte ja seelenruhig die Tür des Anrichteraums benutzen können. Wie dem auch sei, der Täter stieg von der Orangerie hinauf in den ersten Stock, wo die persönlichen Gemächer von Lord Littleby liegen (Schema 2). Wie aus dem Schema ersichtlich, gibt es in der linken Hälfte des ersten Stocks nur zwei Räume: den Saal mit der Sammlung indischer Raritäten und das unmittelbar angrenzende Schlafzimmer des Hausherrn. Die Leiche Lord Littlebys ist in Schema 2 als Nr. 10 eingezeichnet (als Umriß). Der Lord trug eine Hausjacke und eine Tuchhose, der rechte Fuß war dick mit einer Binde umwickelt. Eine erste Untersuchung der Leiche ergab, daß der Tod durch einen ungewöhnlich heftigen Schlag mit einem länglichen schweren Gegenstand auf den Schädel eintrat. Der Schlag wurde von vorn geführt. Der Teppich ist auf mehrere Meter ringsum mit Blut und Gehirnmasse vollgespritzt. Spritzer sind auch auf der zerschlagenen Glasvitrine, in der sich, nach einem Schildchen zu urteilen, eine Statuette des indischen Gottes Schiwa (Schrift auf dem Schildchen: »Bangalore. 2. H. d. 17. Jh., Gold«) befand. Die verschwundene Skulptur hatte vor dem Hintergrund bunter indischer Tücher gestanden, von denen auch eines fehlt.
Aus dem Bericht Doktor Bernheims über die Ergebnisse der pathologisch-anatomischen Untersuchung der Leichen aus der Rue de Grenelle:
Wenn aber die Todesursache Lord Littlebys (Leiche Nr. 10) klar ist und nur die Gewalt des Schlags, der den Schädelknochen in sieben Trümmer spaltete, als ungewöhnlich anzusehen ist, so war das Bild bei den Leichen Nr. 1–9 weniger deutlich und erforderte nicht nur eine Obduktion, sondern auch eine chemische Laboruntersuchung. Die Aufgabe wurde ein wenig dadurch erleichtert, daß J. Lesage (Nr. 7) zunächst noch lebte. Nach einigen charakteristischen Merkmalen (Pupillen wie Stecknadelköpfe, flacher Atem, kalte klebrige Haut, gerötete Lippen und Ohrläppchen) könnte man auf Morphiumvergiftung tippen. Leider waren wir bei der ersten Untersuchung am Tatort von der scheinbar offenkundigen Version der oralen Gifteinnahme ausgegangen und hatten deshalb nur die Mundhöhle und den Rachen der Toten sorgfältig untersucht. Als wir dort nichts Pathologisches fanden, gerieten wir in eine Sackgasse. Erst bei der Untersuchung im Schauhaus wurde bei jeder der neun Leichen ein kaum sichtbarer Injektionseinstich in der linken Ellenbeuge entdeckt. Obwohl das meine Kompetenz übersteigt, erlaube ich mir, mit hinreichender Überzeugung anzunehmen, daß die Injektionen von einer Person gemacht wurden, die mit solchen Prozeduren große Erfahrung hat. Zu dieser Schlußfolgerung führten mich zwei Umstände: 1. Die Injektionen wurden höchst akkurat ausgeführt, und keine der Leichen wies ein Hämatom auf. 2. Die narkotische Bewußtlosigkeit tritt normalerweise nach drei Minuten ein, und das bedeutet, daß alle neun Injektionen innerhalb dieser Zeit erfolgten. Entweder waren mehrere Täter am Werk (wenig wahrscheinlich) oder nur einer mit wahrhaft erstaunlicher Fertigkeit, selbst wenn wir davon ausgehen, daß er zuvor für jeden eine aufgezogene Spritze bereitgelegt hatte. In der Tat ist schwer vorstellbar, daß jemand mit gesundem Menschenverstand den Arm für die Injektion hinhält, wenn vor seinen Augen schon ein anderer das Bewußtsein verloren hat. Mein Assistent Maître Joly ist allerdings der Meinung, alle diese Leute könnten in einem Zustand der hypnotischen Trance gewesen sein, aber in meiner langjährigen Arbeit ist mir noch nichts Derartiges vorgekommen. Ich möchte die Aufmerksamkeit des Herrn Kommissars auch darauf lenken, daß die Leichen Nr. 7–9 in einer Haltung dalagen, die auf Erschrecken hindeutete. Ich vermute, die drei bekamen die Injektionen als letzte (oder sie hatten größere Widerstandskraft) und begriffen, bevor sie das Bewußtsein verloren, daß mit den anderen Bediensteten etwas Verdächtiges geschah. Die Laboranalyse hat ergeben, daß bereits ein Drittel der verabfolgten Morphiumdosis zum Tode geführt hätte. Nach dem Zustand der Leiche des 6-jährigen Mädchens zu urteilen, das als erste sterben mußte, wurden die Injektionen am 15. März zwischen zwischen 21 und 22 Uhr gegeben.
ZEHN LEBEN FÜR EINE GOLDENE GOTTESFIGUR!
Ein entsetzliches Verbrechen in einem vornehmen Wohnviertel
Heute, am 16. März, spricht ganz Paris von dem Verbrechen, welches das Blut in den Adern gefrieren läßt und die wohlgesittete Stille in der aristokratischen Rue de Grenelle zerrissen hat. Der Korrespondent der »Revue Parisienne« eilte an den Ort der Tragödie und ist bereit, die berechtigte Neugier unserer Leser zu befriedigen.
Heute früh läutete der Postbote Jacques Le Chien wie gewöhnlich kurz nach sieben an der Tür der eleganten zweigeschossigen Villa, die dem bekannten britischen Kunstsammler Lord Littleby gehört. Als der Türsteher Carpentier, der die Post für Seine Erlaucht stets persönlich entgegennimmt, nicht öffnete, wunderte sich Herr Le Chien. Er bemerkte, daß die Eingangstür nur angelehnt war, und betrat die Diele. Gleich darauf rannte der 70 jährige Postveteran mit wildem Geheul zurück auf die Straße. Die alarmierte Polizei entdeckte im Hause ein wahres Totenreich – sieben Bedienstete und zwei Kinder (den 11jährigen Sohn des Haushofmeisters und die 6 jährige Enkelin der Haushälterin) im ewigen Schlaf. Die Polizisten stiegen zum ersten Stock hinauf und fanden den Hausherrn, Lord Littleby, in einer Blutlache. Er war in der Schatzkammer ermordet worden, in der er seine berühmte Sammlung fernöstlicher Raritäten aufbewahrte. Der 55jährige Engländer war in der vornehmen Gesellschaft unserer Hauptstadt kein Unbekannter. Er galt als Exzentriker und Eigenbrötler, doch Archäologen und Orientologen sahen in Lord Littleby einen seriösen Kenner der indischen Geschichte. Mehrmalige Versuche der Direktion des Louvre, dem Lord einzelne Exponate seiner vielfältigen Sammlung abzukaufen, stießen auf entrüstete Ablehnung. Der Verstorbene schätzte insbesondere die einzigartige goldene Statuette des Gottes Schiwa, die von Experten auf mindestens eine halbe Million Francs taxiert wird. Der Lord, der ein ängstlicher und argwöhnischer Mensch war, hatte große Furcht vor Dieben, und in der Schatzkammer standen Tag und Nacht zwei bewaffnete Wächter.
Wir wissen nicht, warum die Wächter ihren Posten verließen und ins Parterre hinuntergingen. Wir wissen nicht, über welche unbekannte Macht der Täter verfügte, um alle Bewohner des Hauses seinem Willen gefügig zu machen, ohne daß sie den geringsten Widerstand leisteten (die Polizei nimmt an, daß ein schnell wirkendes Gift eingesetzt wurde). Klar ist nur, daß der Verbrecher den Hausherrn nicht in der Villa vermutet hatte. Damit ist wohl die bestialische Grausamkeit zu erklären, mit welcher der angesehene Sammler getötet wurde. Der Mörder dürfte den Tatort in Panik verlassen haben. Jedenfalls nahm er nur die Statuette und eines der bunten indischen Tücher mit, die in derselben Vitrine ausgestellt waren. Das Tuch wurde sicherlich benötigt, um den goldenen Schiwa einzuwickeln, da sonst der Glanz der Statuette die Aufmerksamkeit eines späten Passanten hätte erregen können. Die übrigen Kostbarkeiten, an denen die Sammlung reich ist, blieben unberührt. Wie wir ermitteln konnten, war Lord Littleby gestern nur zufällig zu Hause, durch eine verhängnisvolle Verquickung von Umständen. Er wollte eigentlich ins Kurbad fahren, war aber wegen eines plötzlichen Podagraanfalls daheim geblieben – zu seinem Unglück.
Der Zynismus des Massenmords in der Rue de Grenelle ist bestürzend. Welche Mißachtung von Menschenleben! Welch ungeheuerliche Grausamkeit! Und wofür? Für einen goldenen Götzen, der jetzt gar nicht mehr verkauft werden kann! Sollte die Schiwafigur jedoch eingeschmolzen werden, so wird sie sich in einen gewöhnlichen Zweikilogoldbarren verwandeln. Zweihundert Gramm des gelben Metalls – das ist der Wert, den der Verbrecher jedem der zehn vernichteten Menschenleben beimaß. O tempora, o mores! rufen wir mit Cicero.
Es gibt jedoch Grund zu der Annahme, daß die unerhörte Untat nicht ungestraft bleiben wird. Der erfahrenste Ermittler der Pariser Präfektur, Gustave Coche, der mit der Untersuchung betraut ist, teilte uns im Vertrauen mit, daß die Polizei über ein wichtiges Corpus delicti verfügt. Der Kommissar ist sich absolut sicher, daß der Schuldige bald hinter Gittern sitzen wird. Auf unsere Frage, ob das Verbrechen von einem Berufsräuber verübt wurde, lächelte Monsieur Coche verschmitzt in seinen grauen Schnauzbart und antwortete geheimnisvoll: »Nein, der Faden führt in die gute Gesellschaft.« Mehr konnte meine Wenigkeit nicht aus ihm herausholen.
G. du Roy
WELCH EIN FANG!
Der goldene Schiwa ist gefunden! Das »Verbrechen des Jahrhunderts« in der Rue de Grenelle – das Werk eines Irren?
Gestern, am 17. März, gegen achtzehn Uhr angelte der 13jährige Pierre B. bei der Pont des Invalides. Sein Angelhaken verhedderte sich am Grund, so daß der Junge ins kalte Wasser steigen mußte. (»Ich wär ja schön blöd, den englischen Haken unten zu lassen«, sagte der junge Angler zu unserem Reporter.) Pierres Mut wurde belohnt: Der Haken war nicht an einem gewöhnlichen Wurzelknorren hängengeblieben, sondern an einem gewichtigen Gegenstand, der zur Hälfte im Schlamm versunken war. Aus dem Wasser gezogen, erstrahlte der Gegenstand in überirdischem Glanz und blendete den verwunderten Fischer. Pierres Vater, Sergeant im Ruhestand und Veteran von Sedan, erriet sofort, daß es der berühmte goldene Schiwa war, um dessentwillen vorgestern zehn Menschen ermordet worden waren, und brachte die Statuette auf die Präfektur.
Wie ist das zu verstehen? Der Verbrecher, der vor der kaltblütigen und raffinierten Ermordung so vieler Menschen nicht zurückschreckte, will die Beute seiner ungeheuerlichen Untat nicht behalten! Die Untersuchung steckt in einer Sackgasse. Viele neigen wohl zu der Annahme, daß in dem Mörder verspätet das Gewissen erwachte und er voller Entsetzen die goldene Götzenfigur ins Wasser warf. Manche glauben sogar, daß sich der Verbrecher in der Nähe ertränkte. Die Polizei, nicht minder romantisch, findet in der Inkonsequenz der Handlungen des Täters deutliche Anzeichen von Wahnsinn.
Ob wir wohl irgendwann die wahren Hintergründe dieser grauenhaften, unfaßbaren Geschichte erfahren?
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ERSTER TEIL
In Port Said kam ein neuer Passagier an Bord der »Leviathan«, er hatte die letzte freie Kabine der ersten Klasse, die Nr. 18, und Gustave Coches Stimmung besserte sich sogleich. Der Neue sah vielversprechend aus: zurückhaltende und gemessene Bewegungen, undurchdringliche Miene, ein schönes Gesicht, das auf den ersten Blick ganz jung wirkte, doch als er die Melone abnahm, kamen überraschend weiße Schläfen zum Vorschein. Interessantes Exemplar, entschied der Kommissar. Man sieht sofort, ein Mann mit Charakter und, wie man so sagt, mit Vergangenheit. Zweifellos ein Kunde für Coche.
Der Passagier kam die Schiffstreppe hoch und schwenkte eine Reisetasche. Schwitzende Träger schleppten sein ansehnliches Gepäck: teure knarrende Koffer, gediegene Taschen aus Schweinsleder, umfangreiche Bücherpakete und sogar ein Klappfahrrad (ein großes und zwei kleine Räder und ein Bündel blanke Metallrohre). Den Zug beschlossen zwei arme Kerle, die sich mit eindrucksvollen Hanteln plagten.
Das Herz des Kommissars Coche, dieses alten Spürhundes (wie er sich gern selbst nannte), erbebte vor Jagdeifer, als er bei dem Neuen nicht das goldene Abzeichen mit dem Wal sah, nicht auf dem seidenen Revers des stutzerhaften Sommerpaletots, nicht am Jackett und auch nicht an der Uhrkette. Warm, ganz warm, dachte Coche, während er den Fant unter buschigen Augenbrauen hervor beobachtete und dabei sein geliebtes Tonpfeifchen paffte. Wieso war er eigentlich davon ausgegangen, daß der Mörder den Dampfer in Southhampton besteigen würde? Das Verbrechen war am 15. März verübt worden, und heute war schon der 1. April. Er konnte nach Port Said gefahren sein, während die »Leviathan« Westeuropa umschiffte. Paßte doch alles zusammen: vom Typ her verdächtig plus Ticket erster Klasse plus das Wichtigste – er hatte keinen goldenen Wal.
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