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Es ist wieder richtig was los im Loiretal: Richard Ainsworths kleine Pension wird von Filmleuten in Beschlag genommen, die im Château de Valençay ein historisches Drama drehen. Als echter Cineast ist Richard natürlich Feuer und Flamme. Doch dann gerät der Dreh ins Stocken, als plötzlich ein Schauspieler unter merkwürdigen Umständen stirbt! Richard und Valérie, die inzwischen ein echtes Detektivbüro gegründet haben, wollen der Sache auf den Grund gehen. Ihre Nebentätigkeit als Sicherheitsteam beim Dreh eignet sich bestens, um undercover zu ermitteln – und um einen Mörder zu enttarnen, ist die beeindruckende Schlosskulisse gerade opulent genug. Doch kaum in den Fall eingestiegen, sind sie von Intrigen und Zerwürfnissen umgeben, gegen die jedes Drehbuch blass aussieht. Eins ist sicher: Der Mörder muss unter den Filmleuten sein. Und es wird höchste Zeit, dass ihn jemand stoppt. Sonst wird es nicht bei dem einen Todesfall bleiben …
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Seitenzahl: 389
Veröffentlichungsjahr: 2025
Ian Moore
Kriminalroman
Film ab! Erste Szene, erster Mord …
Im Loire-Tal ist richtig was los und Engländer Richard mittendrin: Seine kleine Pension wird von Filmleuten in Beschlag genommen, die im Château de Valençay ein historisches Drama drehen. Als echter Cineast ist Richard natürlich Feuer und Flamme. Doch dann gerät der Dreh ins Stocken, als plötzlich ein Schauspieler unter merkwürdigen Umständen stirbt.
Zusammen mit Dauergast Valérie will Richard der Sache auf den Grund gehen. Ihnen können die versammelten Schauspieler nichts vormachen, schließlich haben sie schon ganz andere Fälle gelöst – und um einen Mörder zu enttarnen, ist die beeindruckende Schlosskulisse gerade opulent genug. Doch kaum in die Ermittlungen eingestiegen, sind sie von Intrigen und Zerwürfnissen umgeben, gegen die jedes Drehbuch blass aussieht.
Eins ist sicher: Der Mörder muss unter den Filmleuten sein. Und es wird höchste Zeit, dass ihn jemand stoppt. Sonst wird es nicht bei einem Opfer bleiben …
«Ein herrlicher Streich. Geschickt erzählt, wirklich witzig und mit einer ironischen Distanz verfasst, die eine feinere Ära des Krimis heraufbeschwört.»
The Times über Ian Moores Krimiserie
«Gutes Essen und ein Krimi zum Totlachen. Was kann man sich in diesen dunklen Zeiten noch wünschen?»
Mark Billingham
«Mord & Croissants ist die Antwort des Loire-Tals auf Mord im Orient-Express: frech, raffiniert und überraschend – wie der Autor selbst. Ich würde ihn morgen heiraten (Richard, den Protagonisten; und Ian Moore auch).»
Cally Beaton
«Wunderbar erzählt. Und tatsächlich extrem lustig.»
Miles Jupp
Ian Moore ist ein bekannter britischer Comedian und trat in Fernsehshows und auf großen Stand-up-Bühnen auf, bevor er begann, seinen originellen Blick auf die Welt in Bücher zu verpacken, und damit sehr erfolgreich wurde. Ebenso wie sein Held Richard lebt auch der Autor seit einigen Jahren im französischen Loire-Tal, gemeinsam mit seinen drei Söhnen, seiner Frau und einer lustigen Ansammlung wilder und weniger wilder Tiere. «Mord & Croissants» war sein erster Krimi und stieg sofort auf die Times-Bestsellerliste ein, in «Mord im Chateau» ermittelt sein Held Richard ein drittes Mal im Loire-Tal.
Die Autorin und Diplomübersetzerin Barbara Ostrop arbeitet seit 1993 als literarische Übersetzerin aus dem Englischen, Französischen und Niederländischen und zählt Liebes- und Familienromane, Spannung, Historisches und Jugendromane sowie Fantasy zu ihren Schwerpunkten. Inzwischen hat sie über hundert Bücher ins Deutsche übertragen.
Die englische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel «Death at the Chateau» bei Farrago, Richmond.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2025
Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
«Death at the Chateau » Copyright © 2023 by Ian Moore
Redaktion Nadia Al Kureischi
Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München, nach dem Original von Duckworth Books, UK
ISBN 978-3-644-02186-0
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Für Niv, meine nie versiegende Inspirationsquelle
Die Sonne lugte gerade erst mit der Spitze über den Horizont hinaus, und ihre schwachen Frühmorgenstrahlen erfüllten das ferne Val de Follet allmählich mit Leben, als verabreichten sie ihm eine Bluttransfusion. Es war Mitte September und für Richard Ainsworth in dieser üblicherweise ruhigen Nische im Einzugsgebiet des Loire-Tals die beste Zeit des Jahres. Im Verlauf des Vormittags würde die Sonne den Nebel wegbrennen, der jetzt noch wie Spinnweben zwischen den Bäumen und fast schon reifen Reben hing, und der Tag würde genauso warm und träge werden wie im Hochsommer, nur ohne die Touristenscharen – sodass die Einheimischen die ruhige Landschaft wieder für sich beanspruchen konnten.
Doch so weit würde es erst am späten Vormittag sein, und der lag noch einen halben Tag entfernt. Richard hatte keine Probleme mit den frühen Morgenstunden: Für den Besitzer eines gediegenen chambre d’hôtes – oder «schicken Bed & Breakfast», wie einer seiner Gäste das Haus jüngst genannt hatte, weshalb Richard ihn vor Empörung fast rausgeschmissen hätte – gehörte es zu den grundlegendsten Anforderungen, früh am Morgen aus den Federn zu kommen. Was am heutigen Tag jedoch ungewöhnlich schien, war die Begeisterung, mit der er so schnell aus dem Bett gehüpft war, dass er sich fast den Hals verrenkt hätte. Heute war der erste Tag in einem neuen Job, und obwohl Richard Begeisterung als eine trügerische, potenziell gefährliche Gemütsverfassung betrachtete, konnte er sie nicht zügeln. Er war außerstande gewesen, das breite Lächeln zu unterdrücken, das seit dem Aufstehen in seinem Gesicht stand und dabei Muskeln beanspruchte, die normalerweise schlummerten. Ausnahmsweise einmal würde er sich gestatten, den Moment zu genießen, und wenn eine Kiefersperre, gebrochene Wangenknochen oder eine unerwartete Wendung ihn dauerhaft wie einen Idioten grinsen ließen, dann sollte es eben so sein.
Etwas knirschte hinter ihm, es klang nach Schritten auf dem Kies, ein merkwürdiges Geräusch, fast wie ein knisterndes Rauschen. Eine gedämpfte Stimme schnauzte jemanden an. Richard tat so, als hätte er nichts gehört, und bückte sich, um den großen Flightcase zu seinen Füßen ein Stück zu verrücken. Das Dutzend roter ZERBRECHLICH-Aufkleber auf dem Metall ließ ihn zögern, das Ding überhaupt zu berühren. Wieder Knirschen, erneute gedämpfte Ermahnungen, und diesmal stand er auf, rieb sich den Nacken und ließ die sarggroße Truhe mit dem fragilen Inhalt stehen. Sie glühte in der aufgehenden Sonne, als wäre sie von einem bösen Geist besessen. Er drehte sich um, sah aber nichts, da sich die Sonne in einem der Dutzend Fenster ihm gegenüber spiegelte. Dann knirschte es erneut, dieses Mal aus der anderen Richtung, und nun erst begriff er, dass das Geräusch aus dem Walkie-Talkie in seiner Gesäßtasche kam. Dann war die ungeduldige, einschüchternde Stimme also die seiner guten Freundin mit ungewissem Status, des heimlichen Objekts seines Begehrens: der extrem anspruchsvollen Valérie d’Orçay. Sie war so bezaubernd und exotisch, dass sie Richard jedes Mal, wenn sie zusammen waren, wie die Sonne im Fenster blendete. Außerdem war sie seine neue Geschäftspartnerin, auch wenn das Wort «Partnerin» bei dieser Beschreibung wohl ziemlich vermessen war. Valérie verdiente ihren Lebensunterhalt als professionelle Kopfgeldjägerin und möglicherweise auch Killerin von internationalem Ruf, während Richard – vormals Filmhistoriker – heute von Beruf Frühstücks-Zubereiter für Touristen war. Auch er hatte einen internationalen Ruf; das konnte er mit einem Doktortitel belegen, doch in ihrer neuen Firma, in der sie als Privatermittler und Personenschützer arbeiteten, war der nicht von Nutzen. Die Firmengründung war Valéries Idee gewesen, und Richard machte selbstverständlich mit.
Er holte das Walkie-Talkie aus seiner Hosentasche und antwortete auf das bissige Gekrächze. «Ja, hier ist Richard. Over.»
«Over? Über? Über was?», kam die gereizte Antwort.
«Nein. Over. Man sagt over, wenn … man fertig ist.»
Es folgte ein Schweigen, und er vermutete, dass irgendwo im Äther ein tiefes Luftholen verloren gegangen war. «Ich wusste nicht, dass du schon einmal ein Talkie-Walkie benutzt hast.» Valérie bemühte sich, geduldig zu klingen, während sie ihm gleichzeitig klarmachte, wer wirklich das Sagen hatte. Außerdem verwendete sie das Wort «Talkie-Walkie», eine dieser Eigentümlichkeiten der französischen Sprache, in der man gern einmal ein international anerkanntes Wort nahm und trotzdem die Kontrolle darüber zu behalten versuchte. So oder so, Talkie-Walkie war eine sehr einschmeichelnde Verdrehung.
«Over ist es erst in zwanzig Minuten», erklärte sie ernst.
«Nein, man setzt ‹over› ans Ende», scherzte er, bereute es aber sofort. In den letzten Monaten hatten sie viel Zeit miteinander verbracht, doch es war Richard nicht gelungen, Ironie und Sarkasmus aus seinen Gesprächsbeiträgen zu tilgen – zwei Äußerungsweisen, die meistens direkt über Valérie hinweggingen wie ein perfekt ausgeführter Lob beim Tennis.
«Richard?» Die Schärfe in dem Geknister lag nicht nur an der Statik. «Wir sind in zwanzig Minuten bei dir.»
«Ich werde da sein», antwortete er ernst und hörte, wie die Verbindung beendet wurde.
Er setzte sich auf den großen Flightcase und fragte sich, was er in den nächsten zwanzig Minuten tun könnte, um der dräuenden Valérie den Eindruck zu vermitteln, dass er überhaupt irgendetwas getan hatte. Eigentlich war er nicht dafür verantwortlich, den Flightcase zu transportieren, aber er hatte das Gefühl, er sollte sich mehr Mühe geben und etwas unternehmen, auch wenn es noch sehr früh am Morgen war und sich kaum jemand in dieser Ecke herumtrieb. Nachdem ein weiterer Blick ihm jedoch erneut offenbart hatte, wie groß die Truhe war und dass die vier Räder auf dem Kies nicht weiterhalfen, beschloss er, sich stattdessen wenigstens für die nächsten achtzehn Minuten hinzusetzen und die Dinge im Auge zu behalten. Als nomineller Sicherheitschef war das das Mindeste, was er tun konnte.
Also setzte er sich auf den Flightcase und wandte sich erneut dem Anblick zu, wie die langsam aufgehende Sonne sich in den Fenstern und im Wasser des dekorativen Teichs spiegelte, der zwischen ihm und dem Westflügel des imposanten Château de Valençay lag. Von dort, wo er saß, konnte er die drei Hauptphasen seiner Errichtung erkennen: galloromanisch, Renaissancezeit und Aufklärung. Im Licht der Morgendämmerung ragten die zwei Kuppeln des Westflügels hoch empor. Das Château roch nach Geld und Macht, nach Luxus und Reichtum, nach politischen Ränkespielen und geschichtsverändernden Momenten, und das über einen Zeitraum von beinahe tausend Jahren. Das gefiel ihm. Er stand nicht auf Übernatürliches, aber nach seinem Empfinden strahlte der Ort Energie aus. Was hatte Orson Welles noch in Der dritte Mann über das Geschlecht der Borgias gesagt? Dreißig Jahre lang herrschten Krieg, Schrecken und Blutvergießen, und in dieser Zeit begründeten sie die Renaissance. In der Schweiz hatten sie dagegen fünfhundert Jahre brüderliche Liebe und brachten die Kuckucksuhr hervor. Richard seufzte. Das Wissen, dass das Château de Valençay, das seinerseits das Ergebnis von Kriegen, Schrecken und Blutvergießen war, in den nächsten zwanzig Minuten allein seiner Verantwortung unterstand, übte einen gewissen Druck auf ihn aus. Lieber hätte er eine Kuckucksuhr bewacht.
Er schluckte nervös, und gerade da erwachte irgendwo in dem adrett gepflegten Garten ein Pfau und stimmte sein morgendliches Gekreische an. In Richards Ohren klang es spöttisch, ein weiterer Hinweis auf den unwirklichen Luxus des Orts. Er vermisste seine ruhigeren, weniger ungestümen Hennen. Was für ein Recht hatte er eigentlich, Sicherheitschef des Châteaus zu sein? Seine Idee war es wirklich nicht gewesen, als Valérie zum ersten Mal die Gründung eines Ermittlungsbüros in den Raum gestellt hatte. Davor hatten sie bereits zwei Abenteuer miteinander bestanden – könnte man sie vielleicht Fälle oder Ermittlungen nennen? Er wusste es nicht. Aber damals war er zum größten Teil in Valéries stürmischem Kielwasser mitgeschleift worden, meist einfach nur glücklich darüber, an den tadellos gepflegten Mantelzipfeln dieser Frau zu hängen und mit ihr zusammen zu sein, denn sie war genauso berauschend geheimnisvoll und bezaubernd wie das erwachende Schloss, das er gerade behütete.
Gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit hatte es einige Anfragen gegeben, aber die hatten alle mit ehelicher Untreue zu tun gehabt. Finanziell hatte das ihr Unternehmen zwar beflügelt, aber gleichzeitig hatte es dazu geführt, dass Richard seine Trinkkumpel in der einheimischen Bar verlor und auf dem Markt böse Blicke erntete. Sie hatten ihrer Marke rasch ein neues Image verpasst und erklärt, dass sie in «Eheangelegenheiten» nicht tätig würden. Durchs Val de Follet war ein kollektiver Seufzer der Erleichterung gegangen. Seitdem war das Geschäft schleppend gelaufen, bis dieser Auftrag hereintrudelte. Valençay lag zwar streng genommen nicht innerhalb der Grenzen des Val de Follet, war aber doch nahe genug, um zur Umgebung zu gehören. In seinem neuen Job würde Richard tausend Jahre französischer und europäischer Geschichte bewachen und zudem Filmausrüstung im Wert von einigen Hunderttausend Euro. Diese stand für die Produktion von The Master Servant bereit, einem neuen Hollywood-Blockbuster. Gleichzeitig war Valérie die Personenschützerin und Leibwächterin eines der Hauptstars, der empfindsamen, wunderschönen Lionel Margaux, die Napoleons zweite Frau Marie-Louise von Österreich spielte.
Die Bitte, dass Valérie und Richard für ihren persönlichen Schutz und als Sicherheitsdienst auf dem Filmset zuständig sein sollten, war von Lionel Margaux selbst geäußert worden. Ihre Mutter und Valérie waren Freundinnen, und als die junge Lionel während der Filmarbeiten in Paris das Opfer eines Stalkers geworden war, hatte man beschlossen, die Produktion nach Valençay zu verlegen, unter großen Kosten, wenn auch mit einem kleineren Team. Der Film war eine französisch-amerikanische Koproduktion, und die Schauspielerin stellte den wichtigsten Teil des französischen Beitrags dar, daher war Geld kein Thema. Außerdem hatte die PR-Abteilung erklärt, nichts könne besser sein, als die Innenszenen dort aufzunehmen, wo sie historisch gesehen zu verorten waren.
Richard sah auf seine Armbanduhr und fragte sich, ob er sich vielleicht kurz auf dem Hof und der Zugangsbrücke umschauen sollte, die den schon lange ausgetrockneten Schlossgraben überspannte. Sollte er nach Scharfschützen Ausschau halten? Könnte ein Stalker sich eines Scharfschützen bedienen? Oder umgekehrt sogar ein Scharfschütze eines Stalkers? Er hatte keine Ahnung, aber trotzdem sollte er sich einmal rasch auf dem weiteren Gelände umschauen, und so schritt er durch das zentrale Empfangsgewölbe unter dem Donjon hinaus aus dem Hof – auf Zehenspitzen, ohne zu wissen, warum. Alles war unheimlich still, selbst die Wasserspeier wirkten schläfrig, und so machte er kehrt und ging zurück, wo er hergekommen war, vorbei am Wasserbecken in der Cour d’Honneur und zum Jardin de la Duchesse, der zumindest bei Tag einen großartigen Blick auf diese Seite des Tals bot.
Er stieg die Steintreppe in den Garten hinunter und empfand zum ersten Mal Anspannung. Die beiden Statuen, je eine in zwei symmetrischen Blumenbeeten, waren von der Morgensonne halb angeleuchtet, und dadurch wirkten sie bedrohlich. Richard packte seine schwere Taschenlampe fester und versuchte, nicht über die Tatsache nachzudenken, dass ihm schon ein paar Statuen Angst einjagten. Dann war ein potenziell mörderischer Stalker vermutlich überhaupt nicht seine Kragenweite. Vielleicht sollte er doch besser anbieten, sich in Zukunft eher auf das Verwaltungsgeschäft der Firma zu konzentrieren.
«Er dort!» Die Stimme war tief und autoritär, weshalb Richard mitten im Schritt verharrte. Die abgehackten englischen Silben wirkten durch eine kontinentale Färbung etwas weicher, aber das lenkte nicht von der Stimme und von der dahinter zu vermutenden Person ab, die offensichtlich sehr an Macht und ihren Gebrauch gewöhnt war. «He, was fällt ihm ein, so früh am Tag durch meinen Garten zu streifen? Ich sollte ihn verprügeln lassen!»
Richard drehte sich langsam um, während ein Mann auf der anderen Seite der Treppe aus dem Schatten trat. Ein ausgeprägtes Hinken machte seine Bewegungen mühsam.
«Nun? Erklär er sich, Monsieur!»
Die aristokratische Körperhaltung und Sprache schienen aus dem 19. Jahrhundert zu stammen, und das Gleiche galt für die gepuderte Perücke. Die tief sitzende Jogginghose und die Turnschuhe waren dagegen mit Sicherheit nicht historisch, und einen Moment lang glaubte Richard, er sei zufällig auf den Stalker getroffen. Ein Verrückter, der ein Auftreten wie zur Zeit der Aufklärung fetischisierte und süchtig auf Freizeitkleidung war.
«Heute trifft der Kaiser ein, junger Mann. Da will ich nicht, dass Unbekannte sich in meinem Garten tummeln!»
Mit langsamen Schritten kam der Mann auf Richard zugehinkt. Er war mittelgroß oder eher klein, die Perücke saß hoch in seiner Stirn, und sein Teint war blass. Obwohl er nicht an Richards Körpergröße heranreichte, machte ihn die Autorität, die er ausstrahlte, größer. Und dann ließ Richard beinahe seine Taschenlampe fallen. Es dämmerte ihm: Das hier war überhaupt kein Stalker, sondern vielmehr Dominic Burdett, Hollywoodstar seit seinem achten Lebensjahr und einer der großen Filmschauspieler seiner Generation. Die Hingabe, mit der er seine Rollen ausfüllte, grenzte bekanntermaßen an Obsession, und das Method Acting hatte ihn manchmal einem Zusammenbruch nahegebracht. Krasse Gewichtszu- oder -abnahme und strapaziöse, manchmal gefährliche Recherchen konnten ebenfalls dazugehören, alles im Namen seiner Kunst. Während dies also kein Stalker war, zeigte sich in der Figur auf eine eigenartige Weise auch nicht Dominic Burdett. Sondern vielmehr Seine Durchlaucht Fürst Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, Besitzer des Château de Valençay und Hauptprotagonist des Films. Burdett war in seine Rolle geschlüpft, Freizeitkleidung hin oder her.
Richard hörte, wie oberhalb der Treppe ein Motorrad röhrend durch das Tor des Donjon fuhr und schlitternd auf dem Kies im Hof zum Stehen kam. Verdammt, dachte er. Dort sollte ich doch sein! Er rannte die Treppe zur Hälfte hinauf, blieb noch einmal stehen und drehte sich zu der Gestalt unter ihm um. «Äh», sagte er. «Entschuldigung, Euer Durchlaucht.» Dann eilte er zum Innenhof weiter.
Unmittelbar vor dem Eingang zum Set hatte ein Motorrad mit zwei Fahrern gehalten, und Richards Herz schlug schneller. Beide Fahrer trugen schwere Motorradkleidung und hatten die Helme noch auf. Das klassische Outfit des modernen Killers, sagte er sich, wobei er sich nur auf etwas stützte, was er einmal gelesen hatte. Sollte er sich ihnen nähern? Nun, schließlich war das seine Aufgabe. Doch wenn sein Instinkt ihn nicht trog, gehörte kein Märtyrertum zu seinem Job.
«Äh, entschuldigen Sie, aber Sie können nicht mit dem Motorrad hier reinkommen.» Als konfrontativer Eröffnungszug gegenüber zwei möglicherweise verzweifelten Killern ließen seine Worte einiges zu wünschen übrig, und er bereute sein Verhalten, als der Fahrer langsam den Helm abnahm.
«Oh, Sie jagen mir eine Heidenangst ein! Der Plan hat sich geändert, hat Madame Ihnen das nicht gesagt?» Die furchterregende Madame Tablier, seit Jahren seine Putzfrau, Geißel der Krankheitserreger und der verbindlichen Nettigkeiten, blickte sich um. «Diese ganzen Fenster da würde ich nicht putzen wollen», sagte sie und zeigte auf die Schlossfassade, während Richard einen Seufzer der Erleichterung ausstieß. Dann legte auch der Sozius mit hektischen Gesten seinen Helm ab und schüttelte das lange, blonde Haar. Lionel Margaux, die angesagteste Frau im französischen Kino, jedoch mit einer zarten, verängstigten Ausstrahlung. Eine Verletzlichkeit, die sie beinahe durchscheinend wirken ließ.
Sie sah Richard mit entsetztem Blick an. «Ich möchte niemals wieder Motorrad fahren!», sagte sie am Rand der Tränen. «Dann lebe ich, glaube ich, lieber mit einem Stalker.»
«Ha!», schnaubte Madame Tablier. «So was nennt man Dankbarkeit!»
Richard nahm Lionel Margaux’ Helm entgegen, als diese von Madame Tabliers Motorrad abstieg. Sollte man geglaubt haben, sie könne auf diese Weise eintreffen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, war durch die figurbetonende Kluft und ihr langes blondes Haar, das unter dem Helm herauswehte, zweifellos die gegenteilige Wirkung erzielt worden. Richard wäre nicht verwundert, wenn sie auf dem Weg eine Spur von Auffahrunfällen hinter sich hergezogen hätte, weil Landarbeiter und Frühaufsteher unter den vignerons, den Winzern, sich die Hälse nach ihr verrenkt hätten. Der Gegensatz zu Madame Tabliers lederner Motorradjacke mit Fransen an den Ärmeln und Johnny-Hallyday-Aufdruck war markant. Und ebenso unübersehbar war die Tatsache, dass Madame Tablier darunter noch immer ihre Schürze trug, jederzeit für einen Putzeinsatz bereit. Es ließ ihn nachdenklich zurück, dass ihm das nicht sofort aufgefallen war, als das Motorrad einfuhr. Als Sicherheitsdienstleister musste er definitiv an seiner Coolness und Beobachtungsgabe arbeiten.
Erneut erwachte Richards Funkgerät zum Leben. «Ist Lionel Margaux inzwischen eingetroffen?» Valéries Tonfall war ernst, und sie sprach langsam, damit es auch gewiss kein Missverständnis gab.
«Ja.» Richard antwortete genauso deutlich. «Lionel Margaux ist wohlbehalten eingetroffen. Over.» Er sprach jedes Wort betont klar aus und verlieh ihm den frischen Schwung eines BBC-Sprechers der Fünfzigerjahre.
«Wieso redest du so, Richard?» Einige Sekunden später stand Valérie unmittelbar hinter ihm im Eingang des Châteaus, einen verwirrten, etwas gereizten Ausdruck im Gesicht, das im Licht der aufgehenden Sonne golden schimmerte.
«Ich … äh …» Er schluckte und konnte nur mühsam den Blick von ihr wenden. «Wie bist du hergekommen?», fragte er. Er riss sich so gut wie möglich zusammen, doch der Versuch, die Kontrolle zu erlangen, verpuffte vollständig, da er immer noch ins Walkie-Talkie sprach.
Valérie gab ihm keine Antwort; vielmehr bedachte sie ihn mit der typischsten Ausprägung eines gallischen Achselzuckens, als wäre die Frage ohne jede Bedeutung. Sie schob die Sonnenbrille, die unvermeidlich auf ihrem Kopf saß, vor die Augen und hob das Gesicht ein wenig, um Sonne aufzufangen. Sie trug einen beigefarbenen, zweiteiligen Hosenanzug aus Tweed. Die Hose war ausgebeult und der einzige Knopf der Jacke geschlossen. Ihr schwarzer Rollkragenpullover passte zu ihrer schwarzen Baskenmütze und war das i-Tüpfelchen für ihren Look. Richard hatte keine Ahnung, ob das, was er jetzt bei sich «Résistance-Schick» nannte, ein praktisches Outfit für Sicherheitsleute am Filmset war – aber das galt ja auch für alles, was er selbst konnte und wusste –, doch als ein Staunen erregender Auftritt im Marlene-Dietrich-Stil war Valéries Erscheinen wohl kaum zu toppen.
«Meine liebe Tante», wandte Lionel sich an Valérie, während sie den Reißverschluss ihrer Jacke öffnete, «dir ist doch klar, dass ich dich wegen deines Aussehens vom Filmset verbannen lassen könnte? Du stellst den schönen, bezaubernden Star in den Schatten!» Ihr Humor war herzlich, echt und weit entfernt von dem in den Medien vermittelten Ruf der Schauspielerin als kalt und unnahbar.
«Ach, weißt du, das hier ist nur meine Arbeitskleidung», antwortete Valérie, und ihre gespielte Bescheidenheit blieb in der Luft hängen wie der Morgendunst zwischen den Reben.
«Genau wie meine», krächzte Madame Tablier. «Und wenn Sie jetzt nichts dagegen haben, und das haben Sie ja normalerweise nicht, fahre ich zurück und mache den Abwasch.»
«Würden Sie bitte Passepartout füttern», bat Valérie dringlich. «Ich habe ihn heute Morgen ausschlafen lassen.»
«Ja, mache ich. Was frisst er denn so? Filet mignon?»
Valérie beachtete die ältere Frau entweder nicht oder war der Meinung, die Antwort Ja liege auf der Hand. «Und machen Sie bitte auch einen kleinen Spaziergang mit ihm, wenn das möglich ist. Danke, Madame.»
Von all den Anblicken und inneren Bildern, die Richard an diesem Morgen durch den Kopf schwirrten, war die Vorstellung einer Madame Tablier in Johnny-Hallyday-Motorradkluft, einen Motorradhelm auf dem Kopf und einen verwöhnten Chihuahua an einer edelsteinbesetzten Leine hinter sich herführend, möglicherweise am faszinierendsten, doch es gelang ihm nicht, lange dabei zu verweilen.
«Und jetzt, Richard, bringe ich Lionel zur Maske», sagte Valérie. «Unterdessen möchte ich, dass du ein Auge aufs Filmset hältst.»
«Jawohl, Sir!» Erneut ging der Scherz an Valérie vorbei, doch er bemerkte, dass ein winziges Lächeln um Lionels Lippen spielte. «Worauf genau soll ich achten?»
«Auf die Leute; halte insbesondere nach Fremden Ausschau.» Valérie wandte sich ab.
«Aber für mich sind sie alle unbekannt! Was soll ich eigentlich machen? Auf dem Set herumspazieren und mich den Leuten vorstellen?» Doch die beiden Frauen hatten sich bereits umgedreht und gingen über den Hof Richtung Wiese, wo die Wohnwagen mit Maske und Garderobe standen.
«Genialer Gedanke, Richard!», antwortete Valérie, ohne sich zu ihm umzudrehen. «Alle sollen wissen, dass du die Lage im Griff hast.»
Aus dem Mund einer anderen Person hätte das schnippisch klingen können, doch so etwas gab es bei Valérie d’Orçay nicht. Während sie davongingen, betrat Richard das Schloss und bog durch einen kleinen Vorraum in den Hauptspeisesaal ein, der das Setting der heute zu filmenden Szene war. Er trat vorsichtig ein; die in ihre leise Arbeit vertieften Profis wirkten in ihren Vorbereitungen auf den Dreh wuselig wie Bienen – man meinte, ein zufriedenes Summen zu hören, da jeder seine Rolle kannte und sie erledigte. Der Anblick, der sich bot, war Richard so vertraut und tröstlich, weil er genau das Bild eines Traums zeigte, das ihm seit seiner Kindheit immer wieder vor Augen gestanden hatte, sobald es um sein Lieblingsthema Film ging.
Richard gab sich keinen wilden Gefühlsschwankungen hin, er war ein sehr stetiger Mensch. Eine Art grummelige Zufriedenheit war seine normale Gemütsverfassung, doch falls es überhaupt etwas gab, das ihn garantiert zum Lächeln brachte und das Kind in ihm hervorlockte, so war es die Ansicht, die sich ihm jetzt bot. Die Fenster des Raums waren verdunkelt, sodass es einem wie Abend vorkam. Die einzige Beleuchtung kam von einem riesigen Filmlicht, dem Führungslicht, wie es seines Wissens hieß. Manchmal ging jemand vor dem Licht vorbei und wurde von seinem Schein als Silhouette umrissen – und genau das war das entscheidende Bild für Richard und raubte ihm kurz den Atem. In den Büchern über das Hollywood der 1930er-Jahre, die er als Junge gesammelt hatte, hatte er diese Art von Bild immer geliebt. Es versprach so viel, enthielt so viel Romantik, Spannung und Zauber. Jetzt sah er es genauso wie in den alten Büchern seiner Kindheit, nämlich schwarz-weiß. Er setzte sich behutsam auf einen in der Nähe stehenden Regiestuhl, unfähig, den Blick von all dem Wundervollen zu wenden – als hätte er sein ganzes Leben darauf gewartet. Er verlor sich vollkommen darin, wieder ganz Kind.
«Oho, Sie sitzen schon; andere Menschen müssen arbeiten.»
Sosehr ihn der Anblick der Filmleute auch in Beschlag nahm, der Eiseskälte eines Überfalls von Madame Tablier hielt er nicht stand.
«Ich dachte, Sie wären zurückgefahren», flüsterte er, ohne sie anzusehen.
«Keine Sorge, ich bin auf dem Weg. Ich hatte aber vergessen, Ihnen das hier zu geben; Sie haben es auf dem Tisch liegen lassen, obwohl Sie doch Ordnung schaffen sollten.» Vorwurfsvoll hielt sie ihm ein Blatt Papier vor die Nase, genau in sein Sichtfeld, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.
Sicher war es die Liste der Schauspieler und der Filmcrew, die er am Vorabend zusammengestellt hatte, zum Teil mit neu gekauften Nachschlagewerken, zum Teil mit welchen aus seinem eigenen Wissensfundus. Sehr sorgfältig, manche würden vielleicht eigensinnig sagen, hatte er dabei seine Online-Nemesis vermieden, die ihn seine Stelle als Filmhistoriker gekostet hatte, die Internet Movie Database – die IMDb.com.
«Ach ja, danke», sagte er, ohne aufzublicken, noch immer ergriffen von kindlichem Staunen.
«Haben Sie mitbekommen, was ich gesagt habe?», fragte Madame Tablier mit einem Anklang echter Sorge, die irgendwo unter der harten Schale ihrer Persönlichkeit verborgen war. Richards Aufmerksamkeit galt jedoch anderen Dingen, und so stieß sie ein missbilligendes Zischeln aus und wandte sich zum Gehen. Dabei lief sie direkt in einen riesigen Mann und prallte beinahe von seinem steinharten Körper ab. Einen Augenblick lang legte sie Richard Halt suchend die Hand auf die Schulter. Sie zog sie zwar sofort wieder zurück, riss ihn damit aber trotzdem aus seiner Versunkenheit.
Als er aufblickte, sah er den Riesen über Madame Tablier aufragen. Er war über eins neunzig groß, hatte den Körperbau einer kleinen Gebirgskette und trug Shorts, schwere Arbeitsstiefel, ein enges T-Shirt und einen locker um den vorgewölbten Bauch herabhängenden Werkzeuggürtel. Noch auffälliger war der Wust von Haaren auf seinem Kopf. Wallendes graues Haupthaar, das sich irgendwo, vermutlich bei den Brillenbügeln, mit seinem ebenso voluminösen Bart traf. Er sah aus wie ein alter Löwe. Richard warf einen Blick auf seine Liste: Alain Petit, Chefbeleuchter und Grip, am Filmset der Mann für alles. Widersinnigerweise, wenn man seine Mähne bedachte, trug er den Spitznamen «Le Loup», der Wolf.
«Die Drahtschere», knurrte er zu Madame Tablier hinunter.
«Was ist mit der?», knurrte sie zurück, was Petit ein bisschen überrumpelte.
«Wo ist sie?» Er beschloss anscheinend, Feuer mit Feuer zu bekämpfen.
«Woher zum Teufel soll ich das wissen?»
Richard wusste, dass es hier nur einen Sieger geben konnte.
«Nun», Petit zögerte und beging damit einen fatalen Fehler, «wenn man hier irgendwo irgendwas ablegt, ist es sofort verschwunden!»
Sie musterte ihn von oben bis unten, was ohne Weiteres zu der Art von Nackenschmerzen hätte führen können, an denen Richard litt. Dann kam sie anscheinend zu einem Entschluss und sagte: «Ich habe Ersatz in meiner Werkzeugkiste. Kommen Sie mit.»
Alain «Le Loup» Petit, der selbsterklärte harte Kerl des Films, der einmal Burt Reynolds niedergeschlagen hatte, weil der Star einen seiner Techniker gekränkt hatte, tat recht kleinlaut wie geheißen.
Richard wandte sich wieder dem Filmset zu. Da hatte er nun das Inbild des alten Hollywood in dieser ruhigen ländlichen Ecke Frankreichs, seine beiden Welten waren also zusammengestoßen. Die Schatten tanzten, während die Crew leise und professionell ihren jeweiligen Aufgaben nachging. Er schüttelte den Kopf, versuchte, sich zu konzentrieren, und sagte sich, dass dies eine gute Gelegenheit war, einige Gesichter mit Namen zu verbinden. Er öffnete die Liste mit den Namen der Schauspieler und Crewmitarbeiter, die er angefertigt hatte. Die meisten Namen konnte er sofort mit den anwesenden Personen in Beziehung setzen. Der Kameramann war Brian Grace, ein etwa sechzigjähriger, schlanker Mann mit sich bauschendem weißem Haar. Er trug Jeanskleidung und hatte dazu ein leuchtend buntes Seidentuch locker um den Hals gebunden, was ihm ein französisches Aussehen gab. Richard wusste allerdings, dass er in Wirklichkeit Australier war und drei Oscars gewonnen hatte. Er stand hinter der großen Kamera, beugte sich manchmal zu ihr vor und unterhielt sich dabei mit einer hochgewachsenen Frau an seiner Seite. Sie hatte sich Kopfhörer um den Hals gelegt, und ihr langes, dunkles Haar hing lose über die Schultern und eine Weste mit Dutzenden von Taschen, die alle voller Werkzeug und Filmband waren. Dies war Stella Gonzales, Tonfrau, Spanierin und ebenfalls mit mehreren Oscars ausgezeichnet. Der Film muss ein ganz schönes Budget zur Verfügung haben, um sich solche Talente leisten zu können, dachte Richard. Dabei war für die Szenen im Château nur eine Rumpfmannschaft aus Paris gekommen.
In der Ecke stand ein gestresst wirkender Mann von etwa sechzig, dessen glänzender, maßgeschneiderter Anzug nicht zum Setting zu passen schien. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, und man sah die grauen Wurzeln seiner zurückgekämmten schwarzen Haare, deren Farbe herauswuchs. Mit demselben Tuch, mit dem er sich gerade die Stirn gewischt hatte, putzte er nun die Gläser im dicken Rahmen seiner Brille. Außerdem kaute er auf einer nicht angesteckten Zigarre herum. Hätte man das Klischee eines nervösen, an einem Magengeschwür leidenden Hollywood-Produzenten beschreiben sollen, so traf es auf Ben-Hur Friedman zu. Der nach dem Filmklassiker benannte Mann gehörte zum alten Hollywood-Adel, denn er war der Enkel des legendären Produzenten Isaac Friedman, einem der Gründungsväter des klassischen Kinos. Neben Friedman stand – nicht weniger gestresst – eine schick gekleidete Dame, die sich nervös die Hände rieb und offensichtlich versuchte, Friedman etwas zu erklären, das er nicht hören wollte. Richard war sich nicht sicher, vermutete aber, dass sie Dr. Amorette Arthur war, ehemalige Fernsehhistorikerin, die jetzt dauerhaft in Valençay wohnte und die Produktion beriet; irgendetwas ging ihr eindeutig gegen den Strich.
Auf einem Regiestuhl hinter diesen beiden saß eine ernst dreinblickende Frau mit Baseball-Kappe, auch sie mit Brille. In der einen Hand hielt sie Unterlagen, vermutlich das Drehbuch, und in der anderen einen Stift. Sie war, wie Richard wusste, Sacha Vizard-Guy, die zur bekannten neuen Riege der europäischen Filmregisseure gehörte. Sie wurde schon lange von Hollywood umworben, hatte aber bisher nicht nachgegeben und war eigensinnig bei Arthouse-Produktionen mit kleinem Budget geblieben. Sie lächelte nicht und bildete einen krassen Gegensatz zu dem neben ihr stehenden jungen Mann, der ebenfalls aufs Drehbuch konzentriert war und ein Energiebündel zu sein schien. Er wirkte fast genauso begeistert wie Richard, der so glücklich war, auf dem Set zu sein. Vermutlich war er der Regieassistent, schloss Richard, und schaute auf seine Namensliste: Samuel Friedman, also wohl mit dem Produzenten verwandt. Gelegentlich blickten Regisseurin und Assistent auf und deuteten auf den großen Esstisch in der Mitte des Raums, Mittelpunkt der nächsten Szene.
Die Ruhe am Set wurde von Napoleon selbst durchbrochen. Im Herankommen hörte man ihn im Flur herumschreien, wo er mit einem gar nicht zu Napoleon passenden amerikanischen Akzent Mitarbeiter anblaffte. Reed Turnbulls Name hatte für Filme einmal automatisch einen Spitzenplatz in den Kinocharts bedeutet; er war ein Action-Held, ein romantischer Held, ein Sexsymbol und ein ganzer Kerl. Noch immer war er ein Weltstar, und offensichtlich ließ er das heraushängen. Außerdem war er das, was man «schwierig» nennt, und er schien entschlossen, seinem Ruf gerecht zu werden.
«Wenn er so verdammt mächtig war, wieso hat der Kerl sich dann wie ein Weibsbild angezogen? Das hier sind doch keine Hosen, das sind Strumpfhosen!» Etwas krachte auf den Boden, aber keiner schien darauf zu achten, und man ließ es auf sich beruhen. «In dieser Szene muss ich mich setzen, Mensch noch mal; muss ich dieses Zeug tragen? Du da – ja, du – geh und frag die Regisseurin, ob ich dieses Zeug tragen muss.»
Die einzige Person, die das zu beachten schien, war Dominic Burdett, der aus dem Garten hereingeschlendert war und nun am Esstisch saß, einen Ausdruck väterlicher Beschämung im Gesicht. Diesen Ausdruck, das war Richard klar, hätte seine Figur Talleyrand gezeigt, wenn der echte Napoleon sich in einem Wutanfall hätte gehen lassen. Neben dem sitzenden Burdett stand der französische Schauspieler Gilbertine, jung und gut aussehend, aber nicht mit fein ziselierten Zügen, sondern eher stämmig und daher die perfekte Besetzung für den berühmten Koch Marie-Antonin Carême, Erfinder der Profiteroles, der französischen Windbeutel, wenn Richard sich richtig erinnerte, und Talleyrands persönlicher Chefkoch im Château de Valençay.
Nun fehlte nur noch eine einzige Person, und sie traf eilig ein, setzte sich Burdett gegenüber und studierte das Drehbuch, wozu sie eine Brille so hielt, als wäre sie ein Vergrößerungsglas. Sie wirkte nervös, nervöser als man es von einer Frau mit ihrer Erfahrung und ihrem Talent erwarten sollte, aber andererseits versuchte Jennifer Davies sich an einem Comeback. Nervenzusammenbruch und Scheidung, beides von den Medien eifrig kommentiert, Entzugskliniken und ihre der Karriere keineswegs förderlichen Interviews über die grausame Behandlung von Schauspielerinnen «eines gewissen Alters» hatten ihre einst strahlende Laufbahn beschädigt. Obwohl Jennifer Davies und Reed Turnbull dasselbe Alter hatten und in einem Filmrenner der Achtzigerjahre als jugendliches Liebespaar berühmt geworden waren, spielte sie Letizia Bonaparte, Napoleons Mutter.
«Hallo, Mutter!» Mit einem grausamen Lächeln begrüßte Reed Turnbull die Schauspielkollegin. Es war beinahe ein Zähnefletschen, und Richard erwartete fast, dass die arme Frau zusammenbrechen würde, da sie auch so schon reichlich angespannt wirkte.
Sie blickte auf und schaute umständlich durch ihre Brille auf Turnbull. «Oh, Reed, ich denke immer noch, du hast die falschen Maße, um den Kaiser zu spielen!» Turnbull wölbte die Brust. «Napoleon war größer.»
Turnbulls Gesicht lief rot an, und er stolzierte davon. «Wo ist mein Stuhl?», schrie er. «Wo ist mein gottverdammter Stuhl?»
Richard blickte sich um und versuchte, im Voraus zu entdecken, wen der nächste Wutausbruch des Stars treffen könnte. Plötzlich merkte er mit einem immer stärkeren Gefühl von Peinlichkeit und drohendem Verhängnis, dass er derjenige sein würde. Er saß auf Reed Turnbulls Stuhl.
«Was machen Sie verdammt noch mal auf meinem Stuhl?», schrie der. «Nur weil ihr Franzosen für einen Teil des Films bezahlt, denkt ihr wohl, ihr könnt machen, was ihr wollt, ja?» Nach Richards Meinung war das für einen Napoleon eine merkwürdige Äußerung, doch Turnbull war noch nicht fertig, und er wusste jetzt, dass alle im Raum der Szene ihre volle Aufmerksamkeit schenkten. «Ich habe es so satt, dass man mir bei diesem Film keinen Respekt zeigt! Friedman!» Er rief es laut, ohne sich nach ihm umzuschauen. «Friedman, ich möchte, dass dieser Kerl rausgeschmissen wird, und es ist mir scheißegal, ob er der gottverdammte Präsident selbst ist, klar?»
Schweigen senkte sich über das Set, und eine unerträgliche Anspannung entstand. Genau in diesem Moment erwachte Richards Walkie-Talkie knisternd zum Leben: «Richard.» Ohne dass Valérie es wusste, schallte ihre Stimme durch den ganzen Raum. «Versuche bitte, dich in der Nähe der Schauspieler unauffällig zu verhalten, sie sind ein wenig launisch, denke ich. Bist du so gut?»
«Mr. Ainsworth, nicht wahr?» Es war der Produzent Ben-Hur Friedman, der Richard sanft beim Ellenbogen ergriff und aus der Lavaflut von Reed Turnbulls Zorn heraussteuerte. «Unser Sicherheitsmann, richtig? Ich habe eine Aufgabe für Sie.» Richard ließ sich wegführen, bemüht, so wenig betroffen zu schauen, wie es vielleicht typisch für einen Sicherheitsmann wäre, wenn er von einem kleinen Mann mit Napoleon-Komplex angegangen wurde, der als Napoleon verkleidet war. Außerdem versuchte er, seine grauenhafte Verlegenheit darüber zu verbergen, dass er den weltberühmten Reed Turnbull in Rage gebracht hatte.
«Ich heiße Ben und bin der Produzent.» Der amerikanische Akzent gefiel Richard, und dass Ben gestresst wirkte, gefiel ihm ebenfalls, denn damit konnte er sich sehr gut identifizieren, und so fühlte er sich auf der Stelle wohl mit ihm. «Wegen Reed brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen», fügte Friedman mit einem gezwungenen Lachen hinzu und schob die Brille mit dem dicken Rahmen höher auf die Nase. «Sie gehören erst zur Film-Familie, wenn Reed Turnbull Sie rausgeschmissen hat. Kommen Sie mit, ich möchte, dass Sie jemanden kennenlernen …»
Er führte Richard auf die andere Seite des Sets, weg von dem noch immer schäumenden Filmstar, doch da trat ihnen die gelehrtenhafte Historikerin Amorette Arthur in den Weg. Zum Zeichen für ihren Frust nahm sie die Brille ab.
«Monsieur Friedman, ich muss wirklich …»
«Ja, sofort, Amorette, vielleicht gleich.» Friedman stürmte an ihr vorbei, noch immer Richard am Ellenbogen neben sich herführend. «Diese Lady gibt einfach keine Ruhe, äh …» Er blieb stehen und sah Richard fragend an.
«Richard Ainsworth, Sicherheitsdienst?» Richard wiederholte seine Berufsbezeichnung beinahe wie eine Frage, womit er jeden trügerischen Anschein von Autorität sanft fahren ließ.
«Richard. Genau. Sicherheitsdienst. Genau.» Sie gingen weiter. «Wissen Sie irgendwas über das Filmgeschäft, Richard?» Friedman wartete die Antwort nicht ab. «Diese Lady ist unsere historische Beraterin; hysterisch würde es besser treffen. Verstehen Sie mich nicht falsch, sie ist eine glänzende Historikerin, wie man mir gesagt hat, und widmet sich ihrem Gebiet mit großer Leidenschaft. Aber!» Er blieb erneut stehen. «Sie weiß nichts über das Filmgeschäft.» Es war fast eine Verteidigungsrede. «Nur weil ein Film in der Vergangenheit spielt, heißt das nicht, dass er Fakten braucht, oder?»
Wie immer konnte Richard sich für keine Seite entscheiden, doch er spürte, dass Mr. Friedman sich ein wenig Rückhalt wünschte. «Nicht notwendigerweise, nein», antwortete er, wobei er sich vergewisserte, dass Madame Arthur außer Hörweite war. «Mir fallen viele Filme ein, die das mit den Fakten ein bisschen locker sahen: Königin für tausend Tage oder von Sternbergs Die scharlachrote Kaiserin – beides übrigens gute Filme.»
«Sehen Sie!» Friedman strahlte ihn über seine nicht brennende Zigarre hinweg an und breitete die Arme aus.
«Natürlich gibt es immer noch John Wayne, wie er Dschingis Khan spielte, ha!», fuhr Richard lachend fort und gab dann eine seiner John-Wayne-Imitationen zum Besten. «Auf Gedeih und Verderb, sie ist mein Schicksal!», zitierte er und lachte noch mehr. Dann bemerkte er, dass Ben-Hur Friedman nicht mitlachte.
«In diesem Film hat mein Großvater mitgespielt», sagte er mit verletzter Miene.
«Ganz großartiges Kino!», erwiderte Richard rasch.
Ein peinlicher Moment entstand, in dem der Produzent Richard begutachtete, und dann strahlte er ihn erneut an. «He, aber es ist toll, einen richtigen Filmfan in der Familie zu haben!» Er führte ihn weiter, vorbei an den Schauspielern am Tisch, die sich entweder auf ihre Zeilen konzentrierten oder von Samuel Friedman umschwirrt wurden. Brian Grace und Stella Gonzales waren noch immer in ein Gespräch über Beleuchtung und Ton vertieft, während Sacha, die Regisseurin, anscheinend bewusst darauf achtete, alle zu ignorieren.
«Sam, hast du einen Moment Zeit?», rief Friedman Samuel herbei.
«Hi, Onkel!»
«Das hier ist Richard, der Mann vom Sicherheitsdienst.» Richard hatte das Gefühl, dass seine Berufsbezeichnung von Minute zu Minute lächerlicher wurde. «Richard, das hier ist Sam, der RA – Regieassistent, aber das weißt du wahrscheinlich bereits. Er hat die Fäden in der Hand. Wenn du irgendwas brauchst, wende dich an Sam. Okay, Sam, wo ist der alte Mann?»
Samuel strahlte Richard an und deutete in eine Ecke, wo ein winziger alter Herr saß. Verwirrenderweise war er ebenfalls als Napoleon gekleidet, trug aber eine zerbeulte alte Baskenmütze.
«Du sprichst Französisch, Richard? Ja, natürlich. Der alte Mann dort, äh …» Der Produzent stockte.
«Corbeau», half Samuel nach einem Blick in seine Notizen aus. «Régis Corbeau.»
«Stimmt, Corbeau. Er wird bei dieser ersten Einstellung statt Reed hier sitzen. Er ist der älteste Mann von Valençay, nämlich …»
«Hundertzwei.»
«Hundertzwei, genau. Einhundertundzwei Jahre ist er alt, ist das nicht ein Ding?» Richard musterte den alten Herrn. Es war wirklich ein Ding; tatsächlich sah er älter aus. «Wir haben ein paar Einheimische einbezogen», fuhr Friedman fort, «weil wir in letzter Minute hierhergekommen sind; wir wollten die Leute nicht verärgern, und so sagten wir: ‹Können einige von Ihnen im Film mitspielen?› Und dieser Mann, äh …»
«Corbeau, Régis Corbeau.» Samuel sprang erneut für ihn ein.
«Ja, Corbeau, nun, das ist gute Werbung. Ein Kriegsheld und so.» Friedman sah Richard verschwörerisch an und fuhr flüsternd fort: «Außerdem ist er ungefähr so groß wie Reed.»
«Und auch vom Alter her gar nicht so weit von ihm entfernt», fügte Samuel hinzu, ebenfalls flüsternd.
«Ich stelle Sie ihm vor», unterbrach Friedman ihn, «mir scheint, er ist ein bisschen verängstigt. Vielleicht können Sie dafür sorgen, dass er sich entspannt.»
«Ben!» Das war Sacha Vizard-Guy, die Regisseurin, die jetzt das Drehbuch hochhielt, als wollte sie damit eine Fliege erschlagen. «Wir müssen allmählich das Set frei machen, bitte.» Ihre tiefe Stimme und der starke französische Akzent verliehen ihren Worten zusätzliche Autorität.
«Ja, Sacha.» Friedman wirkte jetzt wieder gestresst. «Das ist das Problem mit einer ausgedünnten Crew, Richard. Ich muss einspringen und untergeordnete Tätigkeiten ausführen. Sacha, das hier ist Richard vom Sicherheitsdienst.»
Sie warf Richard einen so unangenehm durchdringenden Blick zu, dass er sich wie unter Röntgenstrahlen fühlte. «Der Sicherheitsmann», sagte sie langsam. «Sie kommen ein bisschen spät.» Da sie den kalten Blick nicht von Richard wandte, bekam er schreckliche Schuldgefühle, obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, weswegen.
«Kommen Sie, Richard, gehen wir zu Monsieur Corbeau.» Richard war dankbar für Samuels Eingreifen und auch voller Hoffnung, dass Monsieur Corbeau sich in diesem von Spannungen erfüllten Raum als Verbündeter erweisen könnte. Wie ja gewissermaßen auch Richard war er ein Einheimischer.
«Monsieur Corbeau?»
Der alte Mann saß auf einem antik wirkenden Stuhl in einer Ecke des Raums. Er schaute durch einen Spalt in dem verhängten Fenster, einen sehnsüchtigen Ausdruck im Gesicht. Sehnsucht danach, überall anderswo zu sein, nur nicht hier. Als Samuel zu ihm trat, blickte er mit einem nervösen Lächeln auf.
«Monsieur Corbeau?», wiederholte Samuel. «Das ist Richard Ainsworth.» Damit eilte er davon, da jemand am Set nach ihm rief.
Trotz seines Alters stand der alte Mann rasch auf und reichte Richard die Hand. Ein rüstiges Lächeln öffnete sein zuvor so besorgtes Gesicht, und seine wässrigen Augen strahlten vor Herzlichkeit.
«Monsieur Ainsworth», sagte er. «Es ist mir eine große Ehre.» Richard erwiderte sein Lächeln und schüttelte ihm die Hand.
«Alles okay, Monsieur Corbeau. Ich bin nicht berühmt. Ich lebe in Saint-Sauver.» Dass Richard Französisch sprach, sorgte dafür, dass der alte Mann sich entspannte. Der kicherte, und seine Augen tränten sogar noch mehr.
«Was für eine Erleichterung.» Er klopfte Richard auf die Brust. «Heute sind mir massenhaft Leute vorgestellt worden, und alle schienen der Meinung zu sein, ich sollte wissen, wer sie sind.» Kopfschüttelnd setzte er sich wieder. «Eigentlich müsste ich jetzt daheim sein; ich habe noch im Garten zu tun.»
Richard fand einen Stuhl und setzte sich neben ihn. «Dann sind Sie also nicht aus freien Stücken hier?»
«Oh nein! Das hier ist überhaupt nichts für mich!» Corbeau deutete auf seinen napoleonischen Waffenrock. «Ich bin hundertzwei Jahre alt und habe mein ganzes Leben lang gegen Uniformen gekämpft.» Erneut grinste er. «Und jetzt, jetzt haben sie mich also endlich in eine gesteckt!» Lächelnd schüttelte er den Kopf. «Monsieur Ainsworth? Werden Sie niemals alt. Falls aber doch, werden Sie keinesfalls der Älteste! Hier in der Gegend benutzt man Sie dann wie eine Trophäe und staubt Sie für Zeremonien ab!» Wieder kicherte er. Ein Mann, der in eine Situation geraten war, über die er keine Kontrolle hatte, und der sich achselzuckend still und leise darin behauptete. Richard konnte einen Geistesverwandten erkennen, wenn er ihn traf.
«Hoffentlich dauert es nicht zu lange», sagte er, da ihm bereits aufgefallen war, dass Reed Turnbulls Neigung zum Jähzorn dafür sorgte, dass die Leute sich beeilten.
«Ja, das hoffe ich sehr», stimmte der alte Mann ernst zu. «Um elf habe ich einen Termin beim Arzt. Er hob die linke Hand, die mit einem schmuddeligen Verband umwickelt war. «Das hier muss ich neu verbinden lassen. Letzte Woche habe ich mir in den Finger geschnitten, als ich dem alten Marchant mit seinen Reben half. Und immer noch sickert etwas Flüssiges heraus.» Er machte ein angemessen verlegenes Gesicht.
«Na ja, wenigstens spielen Sie Napoleon», scherzte Richard. «Da können Sie Ihre Hand in der Knopfleiste verstecken!»
Beide lachten, und der alte Mann wischte sich dabei die Augen.
«Monsieur Corbeau?» Sie schauten auf und sahen Ben-Hur vor sich stehen, den üblichen besorgten Ausdruck im Gesicht. Richard stand auf, weil er annahm, dass ein «Sicherheitsmann» das in so einer Situation tun würde, und der alte Mann folgte seinem Beispiel. «Monsieur Corbeau, ich habe die Ehre, Ihnen einen unserer Stars vorzustellen, Mr. Reed Turnbull.»
Friedman trat beiseite, während Richard übersetzte, und gab damit den Blick auf den kleinen, finster blickenden Turnbull frei, der denselben Uniformrock trug wie der alte Corbeau, wenn auch mit mehr Autorität, das musste man sagen. Allerdings schien das Corbeau nicht im Geringsten zu stören, denn er blickte ihm lächelnd in die Augen.
«Es ist mir eine Ehre, Monsieur.» Er streckte dem Schauspieler die Hand hin, doch dieser sah sie entweder nicht oder überging die Geste einfach, während er sich ganz darauf konzentrierte, sich höher aufzurichten als sein «Double». Es klappte nicht, und Corbeau setzte sich kichernd hin.
«Monsieur Corbeau.» Samuel trat zu der Gruppe. «Wir sind jetzt so weit.» Corbeau stand erneut auf, nahm seine Baskenmütze ab und legte sie ordentlich auf den Stuhl. Mit wässrigen Augen lächelte er Richard an und wurde davongeführt.
«Ah, die Magie des Films», sagte Friedman senior, der ebenfalls lächelte. «Die Kamera wird hinter dem alten Mann stehen und sich auf die anderen konzentrieren. Keiner wird ahnen, dass die Gestalt in der Aufnahme nicht die von Reed ist.» Er beugte sich näher zu Richard vor. «Nur wird es vermutlich reibungsloser gehen.»
Samuel platzierte den alten Mann, und Brian Grace und Stella Gonzales stellten sich hinter ihn, die Kamera und das Mikrofon bereit. Valérie kam mit der überwältigend schönen, aber sehr blassen Lionel herein, die sich Corbeau gegenübersetzte, zwischen Napoleons Mutter – Jennifer Davies – und Fürst Talleyrand – oder zumindest Dominic Burdett, was dem Fürsten so nahe kam, wie es möglich war. Mit vor Konzentration gerunzelter Stirn erteilte Sacha Vizard-Guy von der Seite leise Regieanweisungen. Auf Amorette Arthurs pingelige Einmischung hin rückte Samuel die Gedecke auf dem Tisch noch ein wenig zurecht, verstellte ein Dekantiergefäß mit Wein ein kleines Stück nach links, wischte ein Glas ab und stellte Fingerschälchen neben das dekorative Dessert, eine Croquembouche, wie Richard wusste – eine Pyramide von Profiteroles. Sacha wies Samuel an, alles wieder so zurückzustellen, wie es gewesen war, wobei es nur um Zentimeter ging, und die Historikerin errötete vor Zorn. Trotz der kleinen Unstimmigkeit war Richard von diesem Augenmerk aufs Detail beeindruckt und hatte das Gefühl, er sollte den Atem anhalten.
«Hoffentlich ist das kein echter Wein in der Flasche da», witzelte Turnbull aus dem Dunkeln. «Wir wollen schließlich nicht, dass meine Mutter vor dem Ende der Szene betrunken ist.»
«Bist du immer noch da, Reed?», antwortete Jennifer Davies ruhig. «Solltest du dir nicht langsam mal deine Schuhe mit den hohen Absätzen anziehen?»