Mord in Öl - Peter Friesenhahn - E-Book

Mord in Öl E-Book

Peter Friesenhahn

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Beschreibung

Privatdetektiv Bodo Kröber entdeckt während einer Vernissage auf einem Ölbild von einer Klosterruine seltsame Hinweise. Sie deuten auf einen Mord hin, der dort vor ein paar Jahren geschah und nie aufgeklärt wurde. Bodo ermittelt und gerät in einen Strudel von gefährlichen Ereignissen. Bei den Recherchen stürzt er mit einem Hochsitz um, sein Wochenendhaus wird in Brand gesetzt und sein Hund Bisquit wird entführt. Der Entführer verlangt, dass Bodo die Recherchen sofort beendet, da sonst der Hund getötet wird. Bei einer wilden Verfolgungsjagd mit dem Hundeentführer stürzt Bodo mit seinem Wagen in die Mosel, wird aber in letzter Sekunde gerettet. Wird es ihm mit Hilfe seiner Freunde gelingen, den Fall aufzuklären?

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© 2016 E-Book Ausgabe 2016 Rhein-Mosel-Verlag Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel Tel. 06542-5151 Fax 06542-61158 Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-89801-837-1 Ausstattung: Marina Follmann

Peter Friesenhahn

Mord in Öl

Ein neuer Fall für Bodo Kröber

Mosel-Krimi

Handlung und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Sonntag

Nur ein leises Sirren war zu hören, als das ferngesteuerte Fluggerät langsam am Kirchturm hinauf und an der Uhr vorbei nach oben schwebte. Am Schallloch in fünfundzwanzig Metern Höhe angekommen, verharrte es stehend in der Luft. Die vier Elektromotoren surrten gleichmäßig.

»Geht es noch ein bisschen höher«, fragte Pastor Lenz, »vielleicht noch zwanzig Zentimeter, dann müssten wir was sehen.«

Bodo schob einen Hebel an der Fernsteuerung nach vorne und schon stieg das Fluggerät ein paar Zentimeter höher. Pastor Lenz schaute auf das iPad in seiner Hand, auf dem die Bilder der Kamera in der Drohne direkt zu sehen waren.

»Können Sie jetzt noch ein bisschen näher an das Schallloch ran fliegen?«, bat er und Bodo sagte: »Aber höchstens noch zehn Zentimeter, sonst stößt das Gerät an die Mauer!«

Er blickte konzentriert auf den Monitor der Steuerung, bediente vorsichtig den Hebel für »Vorwärts« und langsam näherte sich die Drohne dem Turm.

Pastor Lenz schaute auf den Monitor, Bodo zoomte mit der Kamera in das Schallloch der Glocken.

Plötzlich schoss blitzschnell der Falke aus seinem Versteck und schlug mit seinen Krallen nach dem Fluggerät. Federn stoben durch die Luft, der Falke stieß schrille Schreie aus. Die Drohne geriet ins Schlingern, durch den Schlag war einer ihrer Motoren ausgefallen, taumelnd verlor sie an Höhe, mit kreiselnden Bewegungen stürzte sie nach unten, Richtung Friedhof.

Mit verbissenem Gesicht stand Bodo da, er bewegte hektisch die Hebel der Steuerung und versuchte den Quadrocopter zu stabilisieren. Der Falke setzte zum zweiten Angriff an, im Sturzflug sauste er auf das Fluggerät zu.

Pastor Lenz sagte erschrocken: »Oh, mein Gott!« und trat drei Schritte zurück.

Bodo drückte den Knopf »automatische Stabilisierung«, sofort hörten die taumelnden Bewegungen auf, die Drohne normalisierte ihr Flugverhalten und kam dicht über den Gräbern wieder in den Schwebezustand. Der Falke zischte ganz nah vorbei, er stieß einen weiteren Schrei aus und schoss mit schnellen Flügelschlägen nach oben zum Schallloch, wo er auf dem Sims nervös hin und her wippte und sein Gefieder putzte.

»Das war knapp«, sagte Pastor Lenz erleichtert, »in letzter Sekunde gerettet, könnte man sagen. Da haben wir Gott sei dank noch mal Glück gehabt!«

Bodo wischte sich mit der freien Hand den Schweiß von der Stirn und sagte ganz cool: »Gelernt ist gelernt, Herr Pastor. Der liebe Gott war da eher nicht im Spiel!«

»Und ich habe schon befürchtet, das Gerät zerschellt zwischen den Gräbern!«

Bodo landete den Quadrocopter sanft auf den Betonplatten des Kirchvorhofs, dann schaltete er die Motoren aus und sagte: »So schnell stürzt mir nichts mehr ab. Am Anfang habe ich Lehrgeld bezahlt und einige Geräte bei Abstürzen verloren. Aber die Dinger werden immer unkomplizierter und leichter zu steuern, mittlerweile habe ich Routine bekommen. Aber dass der Falke angreift, damit hatte ich, ehrlich gesagt, nicht gerechnet!«

»Sie haben echt gut reagiert«, lobte Pastor Lenz, »jetzt wissen wir, dank Ihrer Hilfe, dass der Falke wieder im Turm brütet.«

»Und dass er seine Brut gegen Drohnen verteidigt! Wie viele Junge hatte er letztes Jahr?«

»Wir haben, nachdem sie geschlüpft waren, fünf gezählt, aber ein Jungvogel lag morgens tot hier unten. Vier Junge hat der Falke groß gezogen. Die Schweinerei mit dem Vogelkot war der Anlass, Sie zu bitten nachzuschauen, ob er wieder brütet. Jetzt können wir jemand beauftragen, der ein Brett unter dem Sims am Schallloch befestigt, das die Exkremente auffängt, damit sie nicht mehr die Kupferzeiger der Kirchenuhr verätzen.«

»Wenn ich jetzt noch das Kirchendach auf die undichte Stelle absuchen soll, muss ich vor dem Flug einen Propeller auswechseln.« Bodo hatte sich vor seinem Gerät niedergekniet und zeigte auf den angeknacksten Propeller: »Den muss ich ersetzen, der Vogel hat ihm arg zugesetzt.«

»Dafür musste er im Gegenzug ein paar Federn lassen«, sagte der Pastor und Bodo witzelte:

»Ja ja, wie steht schon in der Bibel? Feder um Feder, Propeller um …«

»Das Bibelwort geht anders«, sagte Pastor Lenz streng und Bodo beschloss den Mund zu halten. Mein Gott, war der evangelisch.

»Glauben Sie, dass der Falke noch mal angreift?«, fragte Pastor Lenz besorgt.

Bodo befestigte den neuen Propeller und drehte ihn mit einem kleinen Schlüssel fest. »Wenn wir weit genug von seinem Nest weg bleiben, kommt er uns nicht mehr in die Quere. Wir versuchen es auf jeden Fall!«

Bodo stand auf und legte sich die Fernsteuerung um den Hals. Er startete die Motoren, und wieder stieg die Drohne in die Höhe.

Pastor Lenz schaute wieder auf den Bildschirm seines iPads.

»Wie sind Sie eigentlich darauf gekommen mit Drohnen zu arbeiten?« fragte er.

»Ganz einfach«, meinte Bodo, »als Privatdetektiv stelle ich manchmal Ermittlungen an, bei denen ich nicht gesehen werden möchte. Diese fast lautlosen Fluggeräte mit eingebauter Kamera sind ideal dafür. In unzugänglichen Gebieten, über eingezäunten Grundstücken, wo ich niemals hinkäme, da lasse ich das Ding steigen. Ich mache meine Aufnahmen und werte sie entweder direkt vor Ort oder zu Hause am Computer aus. Im Laufe der letzten Monate haben die Aufträge zugenommen, sogar das RWE wollte im letzten Monat, dass ich die Leitungen der Stromtrasse über der Mosel untersuche. Wenn ich hier fertig bin, fahre ich noch in den Hunsrück um bei der großen Solaranlage bei Altstrimmig die Module auf Beschädigungen und Verschmutzung zu untersuchen. Ich bin mit dem Gerät viel effektiver, und auch preiswerter als ein Hubschraubereinsatz. Wie gesagt, mittlerweile möchte ich auf meinen Quadrocopter nicht mehr verzichten!«

»Ist das denn erlaubt? Ich meine, es gibt doch so etwas wie eine Lufthoheit!«

»Stimmt, Herr Pastor, aber wo kein Kläger, da kein Richter! Ich bin jetzt über dem First der Kirche, wo soll die undichte Stelle sein?«

»Bitte fliegen Sie etwas nach rechts, ja, gut so, jetzt nach unten! Wenn ich richtig geschaut habe, ist dort die feuchte Stelle auf dem Kirchenspeicher. Sehen Sie was? Ich nicht!«

Bodo steuerte den Quadrocopter nach einem festgelegten Raster, um keine Stelle des Daches zu übersehen. Es war eine hochkonzentrierte Arbeit. Erschwerend kam hinzu, dass er ab und zu nach dem Sims schauen musste, auf dem der Falke immer noch nervös von einem Fuß auf den anderen wippte. Der beobachtete das Fluggerät, unternahm aber keine Anstalten einen neuen Angriff zu fliegen.

»Ich glaube, da ist was«, sagte Bodo, »ich gehe so nah ran, wie ich kann, dann zoome ich das Ganze mit der Kamera noch näher.«

Die Drohne schwebte leise sirrend ganz nah am Schieferdach.

»Herr Kröber, wir haben die Stelle gefunden«, sagte Pastor Lenz erleichtert, »sehen Sie auf den Monitor links unten, da fehlen zwei Schieferplatten.«

Bodo steuerte das Gerät so nah er konnte an die Stelle und ließ die eingebaute Kamera ein paar Aufnahmen machen.

»Sollen wir noch an anderen Stellen suchen?«

»Nein Herr Kröber, das ist die Stelle, ich bin mir sicher! So bald es geht, wird der Dachdecker informiert. Dann regnet es hoffentlich während der Predigt nicht mehr in die Kanzel und auf meinen Kopf!«

»So eine Abkühlung während der Arbeit ist doch bestimmt nicht schlecht, Herr Pastor!«, lachte Bodo, aber Hochwürden blieb ernst. Anscheinend hatte er für Bodos Humor keine Antennen.

Langsam schwebte der Quadrocopter nach unten, Bodo hielt ihn noch einmal über der Dachrinne an: »Sie brauchen auch noch ein Stück neue Dachrinne, Hochwürden! Die Schieferplatten haben beim Runterrutschen ein Loch hinein geschlagen.«

»Auch das noch«, murmelte Pastor Lenz, »ein Unglück kommt selten allein. Ja, ich sehe den Riss jetzt, Herr Kröber. Da muss halt der Dachdecker ran, was das wieder kostet!«

»Die Kirche hat doch Geld genug, Herr Pastor«, entgegnete Bodo trocken und ließ die Drohne sanft nach unten gleiten.

»Ach was! Uns laufen die Leute doch in Scharen davon. Es gibt immer weniger Kirchgänger, ich kann die Austritte im letzten Jahr kaum noch überblicken! Und die Einnahmen schrumpfen, wo soll das noch hinführen?«

Bodo landete das Fluggerät behutsam auf dem Vorplatz der Kirche und schaltete die Motoren aus.

»So, das war’s dann, Herr Lenz!«

»Vielen, vielen Dank Herr Kröber! Sie haben der Kirchengemeinde einen großen Gefallen getan, was bekommen Sie für Ihre Arbeit?«

Bodo drückte seinen Zeigefinger auf den linken Nasenflügel und blies geräuschvoll die Luft aus dem anderen Nasenloch, er dachte kurz nach, dann sagte er: »Herr Pastor, ich mache Ihrer Gemeinde eine Spende, der Aufklärungsflug war umsonst.«

»Das ist aber schön, Herr Kröber! Vielen Dank, auch im Namen des Presbyteriums! Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Hoffentlich wird der Dachdecker nicht zu teuer, wir müssen wirklich sparen.«

Bodo packte sein Fluggerät, trug es zum Auto und verstaute es im Kofferraum. Dann verabschiedete er sich von Pastor Lenz: »So, ich muss zum nächsten Einsatzort, Herr Lenz.«

»Sie arbeiten sogar am Sonntag, Herr Kröber?«

Bodo bemerkte den süffisanten Unterton und konterte: »Sie doch auch, Herr Pastor!«

Doch Hochwürden schüttelte Bodo nur dankbar und ernst die Hand und sagte: »Vergelt’s Gott.«

*

Die Solaranlage war in der Nähe des kleinen Hunsrückortes Altstrimmig, sie wurde von der Solweig AG betrieben. Mit Hilfe seines Quadrocopters würde Bodo erst aus großer Höhe die gesamte Anlage überprüfen, und dann im rasterförmigen Tiefflug Schäden und Verschmutzungen entdecken. Er parkte sein Auto auf einem Feldweg bei der Anlage. Hinter den sich in der Sonne spiegelnden Modulen befand sich das mit Stacheldraht gesicherte riesengroße Grundstück eines Kölner Industriellen, der sich hier auf dem Hunsrück den Traum von einer eigenen Ranch verwirklicht hatte. Große Granitbrocken hatte er sich aus der Schweiz kommen und zu einem Berg aufschichten lassen, echte Schweizer Gemsen kletterten auf ihnen herum, und rund um das riesengroße Grundstück war eine Pferderennbahn angelegt.

Im Dorf wurde gemunkelt, dass der ›Herr General‹, wie er genannt wurde, hier mit reichen Geschäftsfreunden illegale Pferderennen mit hohen Wetteinsätzen abhielt. Außer dem Schreiner des Dorfes, der alle Möbel für das Haus exklusiv in Handarbeit hergestellt hatte, war noch keiner der Dörfler in das Anwesen hinein gekommen, und der Schreiner war zur Verschwiegenheit verpflichtet worden, gegen eine fünfstellige Summe, so lautete das Gerücht. Aber Klatsch und Tratsch waren im Dorf die eine Sache, um dieses Anwesen jedoch rankten sich Gerüchte und geheimnisvolle Geschichten. Bodo hatte aus beruflicher Neugier vor einigen Jahren mehr wissen wollen über diesen sagenhaften General, aber er hatte keinen Erfolg gehabt. Noch nicht einmal im Internet war etwas in Erfahrung zu bringen. Vielleicht, so hatte er damals gedacht, wollte der General nur seine Ruhe haben. Und die hatte er hier, am Rande des stillen, kleinen Hunsrückdorfes wohl gefunden.

Bodo nahm den Quadrocopter aus dem Kofferraum und überprüfte als erstes die Leistung der Batterien. Mit sechzig Prozent konnte er noch eine halbe Stunde fliegen, das müsste reichen, um die gesamte Anlage auf Beschädigungen und Verschmutzungen zu untersuchen. Er tauschte die Chipkarten von Video und Fotokamera aus: Kirche raus und Solweig rein. Dann verstaute er die benutzten Karten, setzte sich die Sonnenbrille auf und startete die Motoren. Zuerst wollte er aus größerer Höhe ein paar Videoaufnahmen machen, ehe er dann im langsamem Tiefflug über die einzelnen Module an den entsprechenden, auffälligen Stellen Fotos machte. Sirrend stieg die Drohne auf, Bodo bewegte sie in ungefähr vierzig Metern Höhe und ließ sie dort, genau über der Mitte des Solarfelds schweben. Die Sonne stand für sein Unternehmen ungünstig, im Monitor seiner Fernsteuerung sah er nur das gleißende Licht der spiegelnden Solarmodule. Um weniger Reflexionen auf dem Monitor zu haben, steuerte er das Gerät etwas nach hinten, jetzt wurde die Sicht besser. Bodo hörte einen Schuss, die Drohne stürzte sofort taumelnd, zersplittert in viele Einzelteile, hinter die Nadelbäume auf das eingezäunte Grundstück des Generals. Betäubt stand Bodo noch einen Moment da, seine Finger bewegten automatisch die Hebel der Steuerung.

Was war das denn? Das darf doch nicht wahr sein, zweitausend Euro vom Himmel geholt! Himmelarschundzwirn, wer war das gewesen?

Er nahm die Fernsteuerung, legte sie in den Kofferraum und setzte sich einen Moment lang auf die Kante. Er holte tief Luft und dachte nach. Fakt war: irgendjemand hatte seine Drohne mit einem Gewehrschuss, wahrscheinlich einem Schrotgeschoss wie beim Tontaubenschießen, vom Himmel geholt. Von welchem Teil des Himmels aber? War er zu weit über das Gelände des ›Generals‹ geflogen? Bodo dachte an den theoretischen Teil seiner Flugprüfung, wie war das noch gewesen?

›Der Himmel über den deutschen Grundstücken gehört der Bundesrepublik Deutschland, und zwar ganz.‹

Eben hatte er noch mit Pastor Lenz über die Lufthoheit gesprochen. Was würde der Pastor jetzt sagen? »Die kleinen Sünden bestraft der liebe Gott sofort, Herr Kröber!«

Bodo dachte: ›Ja, Herr Kröber, was nun, Herr Kröber? Keine Ahnung, lieber Bodo!‹

»So eine Scheiße«, fluchte er laut und schlug mit der Faust gegen den Kotflügel.

Was tun? Sollte er versuchen mit den Bewohnern Kontakt aufzunehmen oder sollte er die Sache auf sich beruhen lassen? Das Gerät war so oder so verloren. Instinktiv wusste er, es könnte auch einen Riesenärger geben.

Wütend schlug er den Kofferraum zu und fuhr durch das kleine Dorf. Hinter einem Wäldchen befand sich der Stacheldraht bewehrte Eingang zum Gelände des ›Generals‹. Bodo stellte sein Auto ab und ging zum zweiflügeligen Tor. Rechts und links waren Überwachungskameras angebracht, die sich lautlos drehten und ihn ins Visier nahmen. Er drückte den Knopf der Sprechanlage, auch hier war eine Kamera. Was musste der Mann Angst haben! Oder wollte er wirklich nur seine Ruhe? Nichts geschah, die beiden Kameras am Tor blieben auf ihn gerichtet. Er drückte noch einmal den Klingelknopf, keine Reaktion. Wenn jetzt wenigstens ein wild bellender Schäferhund hinter dem Zaun auftauchen würde, dachte Bodo, das wäre normal, aber gar keine Reaktion? Seltsam, er schaute in die Kameras und rief: »Mein Name ist Kröber. Ich komme wegen dem Quadrocopter, den Sie mir gerade zerschossen haben. Ich sollte im Auftrag der Solweig AG das Solarfeld überprüfen und bin wohl ein bisschen weit in Ihr Areal reingekommen. Aber Ihre Reaktion finde ich unverhältnismäßig! Hallo! Können wir nicht mal kurz miteinander reden?«

Nichts geschah. Bodo wartete noch eine Weile, dann zuckte er ratlos die Schultern und sagte laut in Richtung Kamera: »Sie hören von mir!«

Er ging zum Auto und fuhr schlecht gelaunt Richtung Mosel. Genau dieser Auftrag der Solweig AG hätte ihn ein Stück weit aus seiner finanziellen Misere befreit. Er rechnete und überlegte: Geld bekam er noch von Bauer Albrecht für die Installierung einer Überwachungskamera. Ein Dieb zapfte immer wieder aus dem Fuhrpark des Bauern Diesel ab, und das meis­tens nachts. So hatte Bodo eine Kamera mit Nachtsichtfunktion installiert. Das war nicht ganz billig und Bauer Albrecht war im Zahlungsrückstand. Bei Schiffseigner Schottel hatte er auch noch Außenstände, der hatte die Rechnung für die erfolgreiche Überführung der Taschendiebe auf seinen Ausflugsschiffen immer noch nicht bezahlt. Da musste er noch einmal nachfragen, bevor er eine Mahnung schreiben würde. Sein Freund Berthold hatte ihn gewarnt, er kannte sich mit Matrosen und Kapitänen auf dem Fluss aus. ›Alles elende Piraten, von wegen christliche Seefahrt!‹ rief er immer, und er hatte wohl recht. Aber selbst wenn beide bezahlen würden, eine neue Drohne kostete mehr als das, was noch ausstand.

Und schon wieder Claire, seine Freundin anpumpen? Ausgeschlossen!

Montag

»Nein Herr Kröber, wir können Ihnen keinen Kredit mehr gewähren, beim besten Willen nicht!

Ihr letzter Kredit in Höhe von 10.000 € ist noch nicht zurückgezahlt, und da wollen Sie schon wieder …«

»Ja ich weiß, Herr Stieglitz, aber ich hatte in letzter Zeit etwas Pech, und da brauche ich, so als Überbrückung gewissermaßen …«

»Nein, und nochmals nein«, unterbrach ihn der Kundenberater. »Es tut mir ja auch leid, aber unsere Bank hat ihre Regeln. Haben Sie denn nichts zurückgelegt für Notfälle wie diesen? Haben Sie vielleicht noch Geldanlagen, auf die Sie zurückgreifen können? Festgeld oder einen Sparbrief, den man beleihen könnte?«

Bodo schaute betreten zu Boden und sagte: »Nein, leider nicht, aber es kommen demnächst wieder bessere Zeiten.«

Stieglitz saß da in seinem Businesszwirn, Anzug, helles Hemd und eine bunte Krawatte, die nicht zum übrigen Outfit passte, er fragte: »Bessere Zeiten? Was meinen Sie damit, haben Sie wieder Ermittlungsaufträge?«

»Ja, sogar mehrere auf einmal. Deshalb sage ich ja, es wird demnächst besser mit meiner finanziellen Situation. Aber dafür, dass ich überhaupt arbeiten kann, brauche ich ja das Geld. Ich muss bei einigen Sachen in Vorleistung gehen, neue Geräte anschaffen, tanken und so weiter. Wenn Sie mir einen Kredit bewilligen, kann ich die Ermittlungen aufnehmen und verdiene Geld, das ich Ihnen bringe und so meine Schulden bei Ihnen begleiche.«

»Darf ich fragen, was das für Ermittlungen sind?« Neugierig strich sich der Bankangestellte über seine gegelten Haare.

»Eigentlich ist das nichts Öffentliches, aber Sie sind ja dem Bankgeheimnis verpflichtet, Herr Stieglitz. Also, ich bin im Auftrag von Rechtsanwalt Kirchhoff unterwegs, ich bin so gut wie fertig mit den Recherchen. Ich brauche nur noch den letzten Beweis, den ich mir am Wochenende holen werde.«

Der Bankangestellte, in dem Hochnäsigkeit und Neugier miteinander kämpften, fragte beiläufig:

»Und was bringt das in so einem Fall für ein Honorar?«

»Das kommt auf die Schadenssumme und die Schwierigkeiten der Ermittlungen an«, antwortete Bodo ausweichend, »aber ich bin noch an einem anderen Fall dran, der ebenfalls bald abgeschlossen werden könnte.«

Der Angestellte drehte sich mit seinem ledernen Bürostuhl hin und her, er hatte die Hände gefaltet und führte sie zum Gesicht. Dann schüttelte er den Kopf: »Ich weiß nicht, Herr Kröber. Könnte, hätte … das klingt nicht zuverlässig. Es bietet für mich nicht genug Sicherheiten, um Ihnen noch einmal einen Kredit zu geben. Haben Sie denn schon einmal überlegt, eine feste Anstellung anzunehmen? Ich meine, wo jeden Monat was reinkommt, regelmäßig! Sie sind doch noch jung genug, um einer geregelten Arbeit nachzugehen. Es könnte ja auch halbtags sein, wäre das nichts für Sie?«

Bodo atmete hörbar aus. ›Was für ein blöder Sack‹, dachte er und schaute dem Mann tief in die Augen. Der wich seinem Blick aus. Er spielte mit dem Kugelschreiber auf der Glasplatte und fragte dann: »Oder können Sie sich nicht vorstellen einem geregelten Beruf nachzugehen? Ich meine, das mit dem Rumschnüffeln in anderer Leute Sachen ist doch auch nicht immer der optimale Beruf, oder?«

Bodo drückte seine Nase nach rechts und dachte nach. Dann ließ er hörbar die Luft durch die Nase entweichen und sagte schließlich: »Lassen Sie das mal meine Sorge sein! Wenn ich Sie hier so sehe, wäre das auch nicht unbedingt mein Traumjob, acht Stunden am Tag Taler zu zählen.«

Bevor der Angestellte etwas erwidern konnte, machte Bodo, innerlich wütend, aber nach außen ganz ruhig, ein Angebot: »Ich hätte da noch ein Grundstück, das ich Ihnen als Sicherheit anbieten, zur Not verkaufen könnte.«

»Warum sagen Sie das nicht gleich, Herr Kröber? Das hört sich gut an! Ein Grundstück, wie groß ist es denn?« Er setzte sich gerade und ordnete die Papiere, die er auf dem Tisch liegen hatte.

Bodo ging in Gedanken um sein Gartengrundstück auf der Schafswiese herum. Er dachte an die alten Apfelbäume, an die Brombeersträucher, die Beete mit Lauch und Sellerie, an seinen Sieg über die Schnecken im Salatbeet, an die blühende Glyzinie, die sich am Gartenhaus empor rankte. Und er dachte an Claire und an die wunderschönen Sommerabende auf der Veranda, an die Grillabende mit Berthold und Madeleine, ihren Freunden und den Nachbarn. Er sagte: »Siebenhundert Quadratmeter.«

»Was, so groß ist das Baugrundstück?«

Und ohne zu zögern antwortete Bodo: »Ja, so groß.« Dass man auf ein Gartengrundstück nur ein sechzehn Quadratmeter großes Häuschen bauen durfte, musste der Bankmensch ja nicht gleich wissen, dachte Bodo.

»Ja, Herr Kröber, das ändert natürlich die Lage. Ich schlage Ihnen vor, ich bespreche mich mit meinem Kollegen, und wenn wir ein Ergebnis haben, rufe ich Sie an. Spätestens nächste Woche.«

Bodo stand schnell auf, er fingerte eine Visitenkarte aus seiner Jackentasche und legte sie auf den Tisch, neben den Kugelschreiber. »Ja, prima Herr Stieglitz, das machen wir dann so.«

Er drehte sich um und marschierte grußlos aus dem Raum.

Stieglitz schüttelte den Kopf, nahm die Visitenkarte auf und las halblaut: »Bodo Kröber, Privatdetektei für Ermittlungen, Überprüfungen und Beweissicherung.«

Er legte sie auf seinen Ablagekorb und brummte: »Armseliger Schnüffler.«

»Arrogantes Arschloch«, sagte Bodo, als er den Glaspalast der Bank verließ.

»Eingebildeter Fatzke! Kaum über die Lehrjahre hinaus, benimmt er sich schon wie ein Chef.«

Er setzte sich aufs Rad und fuhr an der Mosel entlang zu Claires Buchladen. Er stellte das Rad in den Ständer und trat durch die offen stehende Tür ein.

Bisquit, der hellbraune Labrador begrüßte ihn schwanzwedelnd, und Claire winkte ihm zu, sie war mit einer Kundin im Gespräch. Bodo winkte zurück und sagte: »Ich geh eine Runde mit dem Hund.«

»Danke, Bodo«, erwiderte Claire und wandte sich wieder ihrer Kundin zu.

Bodo nahm den Hund an die Leine und ging durch die Fußgängerzone, in der er viele englische Laute hörte, anscheinend hatte ein Flusskreuzfahrtschiff angelegt. Viele ältere Herrschaften mit einem ganz eigenen Chic flanierten durch die Zeller Fußgängerzone. Einige der Leute trugen Plastiktüten und kleine Tragekartons, aus denen Flaschenhälse ragten.

»Nice this little town, isn’t it?«

Er ging am Schwarze-Katz-Brunnen vorbei und sah die »River-Melody« am Festmacher liegen. Das Schiff fuhr unter Schweizer Flagge, und vorne am Bug waren Zahlen angebracht: Länge 140 Meter, Breite 11,50. Eigner: Viking Basel. Zwei Matrosen in Schwimmwesten waren damit beschäftigt, mit Hochdruckreinigern das Deck sauber zu machen. Er ging mit dem Hund weiter am Schiff entlang, die gläserne Eingangstür wurde bewacht von einem glatzköpfigen, jungen Kerl, der Oberarme wie Schiffstaue hatte. Am Heck angekommen konnte er einen Blick in die Küche werfen. Zwei Köche in schwarzer Kochkluft standen an der offenen Tür, sie rauchten und unterhielten sich. Ein Geruch von angebratenen Zwiebeln, Fleisch und Knoblauch lag über dem Wasser.

Bodo blieb stehen: »Entschuldigung, woher kommen Sie und wohin geht die Reise?«

Einer der Köche warf seinen Zigarettenstummel ins Wasser, kam einen Schritt näher und sagte: »Gestartet sind wir in Basel, dann immer den Rhein hinab bis Koblenz. Jetzt machen wir einen Abstecher nach Trier, und wenn die Engländer alle Trümmer und alten Steine in der Stadt gesehen haben, fahren wir wieder zurück nach Koblenz, und dann den Rhein hinunter über Köln bis nach Rotterdam.«

»Ist so eine Kreuzfahrt teuer?« fragte Bodo.

Der andere Koch zeigte mit dem Finger nach vorne: »Dort an der Eingangstür steht ein Ständer mit Prospekten. Nehmen Sie sich ruhig ein Faltblatt heraus! Da ist alles drin, was Sie wissen müssen.«

Bodo schnupperte in Richtung offen stehender Küchentür: »Und was gibt’s heute Mittag zu essen, Rindfleisch vielleicht?«

»Gute Nase, der Herr! Wir machen als Hauptgang Roastbeef mit Gemüse.«

»Wenn es so schmeckt wie es riecht, na dann, guten Appetit«, meinte Bodo und ging zur Eingangstür. Neben dem bulligen Security-Menschen stand der Ständer, den er eben übersehen hatte. Bodo ging den Anlegesteg zum Schiff hoch und nahm sich ein Faltblatt heraus. Der Glatzkopf schaute Bodo an, lächelte und sagte ganz freundlich: »Gruezi, der Herr!« Er machte einen Schritt auf den Ständer zu, zog noch einen bunten Prospekt heraus und gab ihn Bodo: »Der ischt für unsere Wintersaison und die Feschttage, und hinten ischt noch ein Preisausschreiben anhängig.«

»Vielen Dank«, sagte Bodo überrascht. Er nahm die Prospekte, ging einige Schritte an der Uferpromenade entlang, setzte sich auf eine freie Bank und blätterte in den Flusskreuzfahrten.

»Bei einer Kreuzfahrt auf Rhein, Main und Mosel bekommt das Wort Urlaub eine neue Bedeutung«, las er, »unvergleichliche Uferausblicke auf Burgen und Fachwerkidylle. Die Kabinen auf dem Schiff sind vergleichbar mit Zimmern eines Vier-Sterne-Hotels. Exzellente Gastronomie.«

Bodo drehte den Prospekt um und suchte den Preis: 1.400 € pro Person für sieben Tage.

»Ach du lieber Schreck, da ist ja eine Mittelmeer-Kreuzfahrt auf der Aida billiger als so eine Flusskreuzfahrt!« Bodo überschlug im Kopf: Erstens, bei seinem derzeitigen Kontostand war ja noch nicht einmal ein Kurzurlaub im Schwarzwald drin, und zweitens: wer wollte schon diese langweiligen Schiffsfahrten auf deutschen Flüssen mit lauter friedhofsblonden, alten Menschen verbringen? Die exzellente Gastronomie würde ihn allerdings reizen, und das erinnerte ihn an seinen Hunger. »Komm, Bisquit, auf geht’s!«

Er stand auf und ging zu Claires Buchhandlung. Sie öffnete gerade ein Paket mit bestellten Büchern. Bodo machte den Hund los, Bisquit legte sich auf seine Decke und sah aus dem Fenster.

»Was Wichtiges?«, fragte Claire und zeigte auf die Prospekte, die Bodo noch in der Hand hielt.

»Ach, nur Werbung von den schwimmenden Mumientransporten«, sagte Bodo lachend und legte die Faltblätter auf den Tisch. Claire grinste und sagte: »Irgendwann, und schneller als du denkst, gehören wir dazu! Ich bin gespannt, ob du dann auch noch so respektlos über die ältere Generation herziehst.«

»Man darf doch wohl noch einen Spaß machen.«

Claire kam auf ihn zu, gab ihm einen Kuss, strich ihm über den Kopf und zupfte ein Haar heraus. »Au!« zuckte Bodo zusammen. »Was machst du da?«

»Ich mach dich jünger«, lachte Claire und hielt ihm ein graues Haar hin. »Was war auf der Bank? Hast du Erfolg gehabt?«

»Eher nicht«, meinte Bodo und schüttelte den Kopf, »der Heini von der Bank will mir keinen Kredit mehr geben, obwohl ich ihm von meiner guten Auftragslage erzählt habe. Scheiß Situation, das Ganze!«

»Manchmal ist es wirklich wie verhext«, sagte Claire und zeigte auf das ausgepackte Buchpaket.

»Bei mir ist auch Ebbe. Noch nicht einmal zehn bestellte Bücher in dieser Woche! Die ganze Welt bestellt bei Amazon und Co, und wir Buchhändler leben irgendwann nur noch von Radiergummis, Illustrierten und Ansichtskarten. Es wird immer schlimmer, ich sehe schon den Laden den Bach runtergehen, wenn nicht irgendetwas Außergewöhnliches passiert.«

Bodo zuckte resigniert mit den Schultern: »Keine Ahnung was passieren muss, dass wir beide endlich mal auf einen grünen Zweig kommen.«

Claire meinte: »Grüner Zweig ist gut! Den holen wir uns am Wochenende auf der Schafswiese. Spätestens am Samstag fahren wir hoch und übernachten im Blockhaus. Dann machen wir einen Plan, wie was aus uns beiden wird. Außerdem muss die Wiese gemäht und die Hecke zum Nachbarn geschnitten werden. Und wir müssen die Johannisbeeren ernten, das bringt uns hoffentlich auf andere Gedanken!«

Bodo nickte: »Gute Idee, Claire!«

Und schlagartig fiel ihm das Gespräch mit dem Bankangestellten wieder ein. Siebenhundert Quadratmeter, das waren nicht nur banale siebenhundert Quadratmeter! Sein Herz, und erst recht Claires Herz hingen an diesem Gartenparadies, das Grundstück würde er nie hergeben! Claire durfte nie erfahren, dass er mit dem Banker über einen eventuellen Verkauf gesprochen hatte.

»Ist was Bodo?« Claire schaute ihn fragend an: »Du stehst da wie versteinert. Was denkst du?«

»Ach, mir ist gerade was eingefallen. Ich muss heute noch nach Traben-Trarbach zu Herrn Kirchhoff, dem Rechtsanwalt«, lenkte er ab, »der hat noch einen Auftrag für mich, ich hör mir das mal an. Jetzt mach ich mir was zu essen, ich hab vielleicht einen Hunger!«

»Gut, Bodo, dann bis heute Abend.«

Nachdem Bodo seine Fertig-Pizza ›Salami con Funghi‹ gegessen hatte, fuhr er nach Traben-Trarbach. Auf dem Parkplatz am Moselufer stellte er sein Auto ab und ging in die Brückenstraße zur Kanzlei von Rechtsanwalt Kirchhoff und Kollegen. Einige Fälle hatte der umtriebige Anwalt ihm schon zugeschoben. Es waren zwar keine großen Sachen, aber es war immer interessant.

Als Bodo im Bürohaus die Treppe hochstieg, erinnerte er sich an den Weindieb in der großen Kellerei. Der Angestellte hatte im großen Stil Wein beiseite geschafft und seinen Bekannten und Freunden weiter verkauft. Bodo hatte sich eine Woche als Kellerarbeiter anstellen lassen, so war er ihm auf die Schliche gekommen.

Frau Wagner am Empfang begrüßte Bodo und wies mit der Hand auf die offen stehende Tür:

»Herr Kirchhoff erwartet Sie bereits, Herr Kröber! Einen Kaffee, wie immer?«

»Danke, Frau Wagner, gerne.«

Bodo trat ein, Kirchhoff stand hinter seinem Schreibtisch auf und begrüßte ihn herzlich, mit kräftigem Händedruck. Bodo hatte in diesem Büro noch nie einen Aktenordner gesehen, auf dem edlen alten Holztisch stand ein Laptop, sonst nichts. An den Wänden hingen großformatige Bilder mit moderner Malerei, ein blaues, neues war hinzu gekommen. Trotz der Hitze trug Kirchhoff eine rote Samtfliege und einen hellbraunen Cordanzug, bei dem an den Ellbogen schwarze Lederflicken aufgenäht waren.

»Guten Tag, Herr Kröber, nehmen Sie Platz. Wie geht es Ihnen und Ihrer Frau?«

»Freundin, Herr Kirchhoff, Freundin. Claire und ich sind immer noch nicht verheiratet.«

»Aber Sie sind doch schon lange zusammen, nicht wahr?«

»Bestimmt über fünfzehn Jahre, Herr Kirchhoff. Genau weiß ich es nicht.«

»Auf jeden Fall sind Sie länger zusammen als manche Ehe hält! Machen Sie weiter so, Herr Kröber, ich sehe ja bei uns in der Kanzlei, wie viele Ehen nach kurzer Zeit schon wieder geschieden werden.«

»Was kann ich für Sie tun Herr Kirchhoff?«, fragte Bodo.

»Es handelt sich um folgendes, also, es gibt da …«

Frau Wagner klopfte, trat ein und stellte ein Tablett mit zwei Tassen auf den Tisch. Dann ging sie wieder und schloss dabei geräuschlos die Tür.

Kirchhoff nahm den Kaffee mit Milch, Bodo mit viel Milch und Zucker.

»Also, folgendes, Herr Kröber. Es geht um Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Angestellte eines Betriebes hat, wie sie sagt, Probleme mit dem Rücken. Die Diagnose lautet ›schwerer Bandscheibenvorfall‹, und sie ist krank geschrieben. Während dieser Zeit wird sie aber von einer Kollegin auf einem Rockkonzert gesehen, wie sie wie verrückt tanzt und rum hampelt. Außerdem, sagt die Kollegin, habe sie sie im Baumarkt in Enkirch beim Einkauf von schweren Holzpfosten für den Garten beobachtet. Das hat sie ihrem Chef erzählt. Der mahnt die Frau schriftlich ab, im Wiederholungsfall droht ihr die Kündigung. Und dagegen will die Angestellte Widerspruch einlegen. Sie behauptet, es sei eine Verwechslung, ihre Kollegin wolle sie diffamieren. Und so weiter, das ganze Programm. Unsere Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass die Abmahnung für nicht rechtens befunden wird.«

»Das ist bestimmt nur ein Zickenkrieg, wie er in vielen Büros abläuft«, meinte Bodo.

»Ich glaube nicht«, sagte Kirchhoff. »Ich mache meine Arbeit schon sehr lange, dabei habe ich mir ein bisschen Menschenkenntnis erworben. Als die Frau Schwaab hier war und ihr Anliegen vortrug, trat sie dabei sehr forsch, aggressiv und laut auf. Sie hatte sich gut informiert, sie wusste zum Beispiel, dass es nicht zur Kernkompetenz eines Arbeitgebers gehört, den Gesundheitszustand seiner Mitarbeiter zu beurteilen. Sie pocht auf ihr ärztliches Attest, das ja vielleicht – unter uns gesagt – von einem wohlwollenden Arzt ausgestellt wurde. Nichtsdes­totrotz, ich habe sie kennen gelernt und bitte Sie, Herr Kröber, ehe wir etwas in Sachen Abmahnung unternehmen um eine Observierung dieser Dame. Sie scheint mir, um es vorsichtig auszudrücken, nicht ganz ehrlich zu sein. Als ich sie direkt darauf ansprach, verwickelte sie sich gleich in Widersprüche und lästerte über ihre Kollegen und ihren Chef.«

»Das mit dem Krankfeiern und Blaumachen ist richtig Mode geworden«, sagte Bodo. »Ich kenne auch welche, die sich damit brüsten, wie lange sie angeblich schon krank sind und trotzdem ihre Kohle kriegen.«

Kirchhoff entrüstete sich: »Es hängt ja oft der ganze Betrieb mit dran, der Arbeitsablauf wird gestört, die restlichen Kollegen müssen mehr arbeiten, Termine werden verschoben, das ist nicht gut für einen Betrieb! Also Herr Kröber, übernehmen Sie unsere Mandantin?«

»Wenn es zu den gleichen Bedingungen ist wie immer, gerne! Nur eine Bitte hätte ich noch«, Bodo druckste ein wenig herum, »könnten Sie mir einen Vorschuss geben? Ich bin im Moment ein bisschen knapp bei Kasse!«

»Wie das denn, Herr Kröber? Laufen die Geschäfte nicht so, wie sie laufen sollten?«

»Doch, eigentlich schon. Aber man hat mir am Sonntag meinen Aufklärungs-Quadrocopter zerschossen. Jetzt könnten Sie etwas für mich tun, Herr Kirchhoff!« Und Bodo erzählte Kirchhoff die Geschichte mit der Drohne, die über dem Gelände des Generals abgeschossen worden war. Während er erzählte, machte sich Kirchhoff Notizen. Er fragte immer wieder nach Einzelheiten und zum Schluss sagte er: »Das übernehme ich gerne, Herr Kröber! Da kommen ein paar juristische Probleme auf den General zu! So einfach gar keine Reaktion zu zeigen ist in diesem Fall nicht angebracht. Ich kümmere mich um das weitere Prozedere, da müsste ich nochmal im Strafgesetzbuch nachlesen, das kriegen wir hin. Und wegen dem Vorschuss, Herr Kröber, ich sag Frau Wagner Bescheid, dass sie Ihnen … wieviel benötigen Sie?«

»Sagen wir, 500 € reichen fürs erste«, sagte Bodo.

»Dass Frau Wagner Ihnen 500 € anweist, ist das in Ordnung? Hier habe ich ein Foto und die Adresse der zu observierenden Frau. Hier ist die Adresse ihres Betriebs, es ist übrigens eine Fensterfabrik im Traben-Trarbacher Industriegebiet. Wie lange, glauben Sie, benötigen Sie, bis Sie zu einem gerichtsverwertbaren Ergebnis kommen?«

»Das kann ich schlecht vorher beurteilen, es kommt auf die Situation an. Aber ich fange sofort mit den Recherchen an, ich fahre gleich noch zu ihrer Adresse und schaue mich mal in ihrem näheren Umfeld um. Wenn ich länger oder auch nachts observiere, muss ich gute Stellen zum Parken finden, Stellen, an denen ich nicht gleich auffalle. Wollen Sie mein Observierungs-Protokoll täglich, oder reicht es Ihnen nach vier Tagen?«

»Ach, Herr Kröber, wenn es Ihnen nichts ausmacht, machen wir es wie immer. Schicken Sie mir nach jedem Ereignis per E-Mail ein Protokoll.«

»Einverstanden, dann mache ich mich gleich auf den Weg.«

»Alles klar, Herr Kröber, und nun gutes Gelingen! Bin gespannt was dabei herauskommt. Und mit dem General lege ich mich gerne an!«

Bodo trank im Stehen seinen letzten Schluck Kaffee aus, er bedankte und verabschiedete sich bei Kirchhoff und ging mit den Papieren zum Auto. Wütend riss er einen Zettel ab, der in der Zwischenzeit von einem freundlichen Ordnungshüter unter den Scheibenwischer geklemmt worden war. Er setzte sich in seinen alten Golf GTI und fuhr über die Brücke auf die andere Moselseite in den Stadtteil Traben. Er fuhr in die Köveniger Straße ein und näherte sich langsam der genannten Adresse. Es war ein Mietshaus mit vielen Parteien, ein kasernenähnlicher Bau, der übrig geblieben war von der französischen Besatzung. Bodo stellte sich in eine Parklücke und stieg aus. Er ging ein paar Schritte und fand in der Bergstraße eine geeignete Stelle, an der er nicht gleich gesehen wurde, von hier hatte er den Hauseingang im Blick. Das würde eine Überwachung werden, die ihm jetzt schon nicht gefiel: stundenlang im Auto sitzen und warten, dass Frau Schwaab aus dem Haus käme. Wenn sie denn überhaupt auftauchte! Bodo ging die Bergstraße noch ein Stück weiter hoch um auszuschließen, dass es an dem Mietshaus einen zweiten Ausgang gab.

Dann fuhr er nach Zell zurück. Eigentlich hätte er auf der geraden Strecke zwischen Traben-Trarbach und Enkirch hundert fahren können, aber die Leute in den Wohnmobilen vor ihm wollten die Mosellandschaft genießen. In Enkirch sah er den riesengroßen Wohnmobilstellplatz am Moselufer gut gefüllt, alles weiße Kästen, die, so hatte er den Eindruck, jedes Jahr größer wurden. Im Sommer konnte die Gemeinde keine bessere Einnahmequelle haben, dachte er, ehe er in Richtung Zell weiterfuhr. Während der Fahrt ging er im Kopf noch durch, was er für die Observierung morgen brauchen würde, Kamera: Batterien laden, Laptop: Akku nachschauen, Nachtsichtgerät. Tanken musste er auch noch. Eine neue Thermoskanne stand noch auf seinem Programm, und eine Fünf-Minuten-Terrine, um wenigstens einmal am Tag etwas Warmes im Magen zu haben. Ein paar belegte Brötchen, so käme er schon über einen langen Überwachungstag. Am Zeller Katzenkreisel bog er auf die Brücke ein und fuhr hoch zum Supermarkt. Er tankte voll und stellte das Auto auf den Parkplatz. Auch hier fielen ihm die mächtigen Wohnmobile auf. Viele hatten holländische Autokennzeichen. Holland hatte Ferien und der Supermarkt war ein beliebtes Einkaufsziel. Er ging ohne Einkaufswagen in den Supermarkt, fand nach längerer Suche eine Thermosflasche bei den Haushaltswaren, dann besorgte er sich eine Fünf-Minuten-Terrine Asia Art mit Bambussprossen und Hühnerfleisch und nahm aus dem Weinregal noch einen Riesling für den Abend mit.

An der Kasse traf er Thomas Schmelzer, einen alten Schulkameraden. Schmelzers Einkaufswagen war gut gefüllt mit Grillfleisch, Würsten und Baguettes. In der unteren Etage des Wagens waren zwei Bierkästen.

»Hallo, Thomas! Was hast du denn vor?«

»Geburtstag, Bodo! Ich werde morgen vierzig, das wird groß gefeiert.«

»Na dann viel Spaß! Gratulieren tue ich dir später.«

»Bist du schon vierzig, Bodo, oder wirst du es noch?«

Bodo grinste und meinte: »Ich hoffe, ich werde es noch. Im Dezember bin ich dran, Thomas.«

»Man kommt aus dem Feiern kaum noch raus«, sagte Thomas und schob seinen Wagen ein Stück nach vorne, Richtung Kasse. »Am Wochenende haben wir dann 150-jähriges Bestehen der freiwilligen Feuerwehr und die Woche drauf haben wir unser Klassentreffen. Du kommst doch Bodo, oder?«

»Klar«, sagte Bodo, »ich bin sehr gespannt auf ein paar Leute, die ich jahrelang nicht mehr gesehen habe.«

»Gestern habe ich Elvira getroffen, sie wusste, dass sogar der Klaus aus Amerika kommen will.«

»Sag bloß! Den habe ich seit der Schulzeit nicht mehr gesehen! Was ist aus dem geworden, weißt du was?«

»So viel ich weiß, ist er in der Entwicklungsabteilung von Chrysler gelandet.«

»Das passt zu ihm«, sagte Bodo, »der hat schon ganz früh seinen VW Käfer so getunt, dass kein BMW eine Chance gegen ihn hatte.«

»Ja, aber nur beim Spurt«, lachte Thomas, »nur beim Spurt!«

Wieder konnte Thomas seinen Einkaufswagen der Kasse ein Stück näher bringen, bald hatten die Holländer vor ihm alle ihre Sachen aufs Band gelegt. Jetzt stockte es wieder, die Kassiererin hielt ein Kleidungsstück hoch und rief bei der Nachbarkasse um Hilfe.

»Sonja, wat is dat für en Nummer?«

Die Nachbarkassiererin drehte sich um, schaute kurz und rief: »Gib mal 19988 ein, das müsste klappen.«

Thomas sah zu Bodo hin und sagte: »Komm Bodo, geh vor, du mit deinen drei Teilen da, ich hab Zeit.«

»Danke, Thomas! Wir sehen uns dann nächste Woche beim Klassentreffen um zehn Uhr im Weinhaus Mayer. Mach’s gut, tschüss!«

Bodo fuhr runter nach Zell, er parkte den Wagen, sah auf die Uhr und holte Claire am Laden ab.

»Hallo Bodo, gehst du eigentlich nachher mit auf die Vernissage?« begrüßte ihn Claire.

»Welche Vernissage?« fragte Bodo.

»Ich dachte, wir hätten darüber gesprochen, die Vernissage der Kunstgilde Mosel in der Stadthalle.«

»Sind das die mit den Ölschinken?«

»Ölbilder sind auch dabei, aber auch tolle Gouachen und Aquarelle von der Mosellandschaft. Es gibt auch was zu essen.«

»Ach ja, zu essen? Ja dann … bin ich begeistert von dieser Vernissage, nichts wie hin!«

»Sei so lieb und bring Bisquit nach Hause, ich geh schon mal vor.«

Bisquit hatte seinen Namen gehört und hob den Kopf.

»Komm Hund, ab nach Hause«, sagte Bodo. Er streichelte ihm über den Kopf und nahm ihn an die Leine.