Flussgeschmack - Peter Friesenhahn - E-Book

Flussgeschmack E-Book

Peter Friesenhahn

0,0

Beschreibung

Dieses Buch beschreibt eine Moselreise der besonderen Art. Was hilft gegen Hochwasser und Heimweh? Kann man sich nach seinem Tod in der Mosel verstreuen lassen? Gibt es den französischen Moselaner? Warum gibt es so wenig Feste an der Mosel und warum schunkeln die Moselaner so gerne? Diesen Fragen geht Peter Friesenhahn auf seine humorvolle Weise in diesem Buch nach. Die Antworten sind überraschend! Im YouTube-Kanal »Moselfilm« kann man sich zu verschiedenen Themen wie Eisgang oder Hochwasser passende Filme ansehen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 234

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



© 2018 – e-book-Ausgabe überarbeitete Ausgabe 2019 RHEIN-MOSEL-VERLAG Zell/Mosel Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel Tel 06542/5151 Fax 06542/61158 Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-89801-872-2 Ausstattung: Stefanie Thur Lektorat: Elisabeth Friesenhahn Alle Fotos, soweit nicht anders angegeben: Peter Friesenhahn

Flussgeschmack

Eine Reise mit Peter Friesenhahn

Rhein-Mosel-Verlag

Das Vorwort

Über die Mosel ist schon viel geschrieben worden, angefangen vom römischen Dichter Ausonius, der die grüne, liebliche Mosel in vielen Versen preist, bis hin zu Staatsanwälten, die mit Paragraphen und Steuerfahndern den schwarz verkauften lieblichen Mosel suchen.

Redakteure und Journalisten haben Bücher über die Mosel geschrieben, die meisten von ihnen waren aber nicht von der Mosel, waren keine Moselaner und bei einigen waren die Moselaner nicht immer ganz einverstanden mit dem, was sie über sich so lesen mussten.

Nun schreibe ich, als ein an der Mosel geborener, ein Buch über den Fluss und die Menschen, die an ihm wohnen.

Auch über die Menschen an der Mosel ist von Menschen die nicht von der Mosel waren, schon viel geschrieben worden.

Sie hätten den katholischen Blick, schrieb ein Redakteur, freundlich seien sie, aber nur, um dem Gegenüber ein paar Flaschen Wein verkaufen zu können.

Entwaffnend liebenswert seien sie, schrieb einer und ein anderer fand, dass die Moselaner kolossal sturköpfig seien. Sie würden sich von Touristen ernähren, munkelt jemand.

Einer schrieb, die Moselmenschen hätten keine Kultur und Cochem sei der Ballermann der Mosel, die Einheimischen seien alles dumpfe Moselochsen.

Große Empörung, unverschämt. Nach einem Jahr war wieder Ruhe und Cochem ist nach wie vor gut besucht.

Die Moselaner haben sogar eine eigene Nationalhymne, das »Mosellied«.

Wenn der Moselaner dieses Lied in der großen weiten Welt hört, wenn es durch Zufall vielleicht mal auf Mallorca erklingt oder auf dem Times Square, stellen sich dem Moselaner die Haare, er bekommt feuchte Augen und kann vor lauter Schluchzen und Heimweh nicht mehr mitsingen.

Hört er es aber zu Hause an der Mosel, greift er seinem Nachbarn, gerne auch der Nachbarin auf der Stelle unter die Arme und fängt sofort an zu schunkeln. Ist das schön.

Reiseführer von der Mosel gibt es wie Moselsand in den Buchläden, mit schönen, bunten Bildern, sie ähneln sich alle, einer schreibt vom andern ab, man verkauft sich gegenseitig die Fotos von den Sehenswürdigkeiten und den vielen schönen Burgen und gibt dann noch einen Reiseführer heraus. Dieses Buch ist kein Reiseführer sondern eine persönliche Reise an der Mosel entlang, zu den Menschen hier, die sich gerne Moselaner nennen.

Also, wer sind diese Menschen, die an einem Fluss leben, der schlängelnd durch die grandiose Landschaft fließt, der sich Windungen und Schleifen durch den harten Schiefer erkämpft, manchmal eine scharfe Kurve macht, fast rückwärts fließt, bestimmt nur um länger in dieser Region fließend zu verweilen. Sind die Moselaner auch so kapriziös wie ihr Fluss? Die Moselaner seien lebensfrohe, freundliche Flussbewohner mit einer heiteren Gelassenheit, so steht es in einem der vielen Bücher über die Menschen am Fluss. Ich reise an der Mosel entlang und betrachte die Mosel-Menschen wie meine Familie, in die ich hineingeboren wurde. Familie, vor der man vielleicht auch mal flieht, deren Nähe man aber auch hin und wieder sucht, mit der man auf eine tiefere Art als einem oft lieb ist, verbunden ist. Die man verstehen will, um sich selbst zu verstehen. Bei dieser Reise will ich auch herausfinden, wieviel Moselaner in mir steckt. Los geht’s.

Wie kommt man zu den Moselanern

Indem man vom Hunsrück oder der Eifel hinabfährt auf Serpentinenstraßen, die manchmal an Alpenpässe in der Schweiz erinnern. Kurvenreich führen sie in das schluchtenartig tief eingekerbte Moseltal hinunter. Unten im Flussgraben angekommen, fühlt sich der Reisende aber nicht etwa beengt oder beklommen, bedrückt oder bedrängt, nein, dieses von Prall- und Gleithängen geprägte Tal nimmt ihn mit spannungsvoller Ausgewogenheit in Empfang. Touristen erfahren diese Annäherung intensiver als Einheimische. Viele von ihnen fahren ja jeden Tag in den Hunsrück oder die Eifel zur Arbeit.

Gelingt es dem Einheimischen aber, die touristische Brille aufzusetzen, dann ist der Blick auf das sich öffnende Tal grandios. Die Vegetation wechselt schnell. Schon mit den ersten Weinstöcken wachsen Pflanzen und leben Tiere, die in Eifel und Hunsrück längst erfroren wären. Apollofalter, Smaragdeidechsen, Oleander, Oliven und Zitronenbäume gedeihen im mediterranen Klima.

Einer der ersten Moselreisenden war der römische Dichter Au­sonius, er fand den Blick ins Tal so beeindruckend, dass er dem Fluss viele Verse widmete.

»Tiefgrüner Strom an grasigen Ufern« hat er ihn genannt. Er muss im Sommer gekommen sein, als sich die grünen Weinberge und Wälder im Wasser der Mosel gespiegelt haben. Wäre Ausonius im Winter gekommen, hätte er andere Verse geschrieben, statt in gold-grünem Dur hätten sie in grau-braunem Moll geklungen.

Jetzt ist aber zuerst mal Sommer. Der flaschengrüne Fluss schlängelt sich in unzähligen Mäandern mehr schlendernd als zielstrebig durch das »schikanös gebirgische Terrain«, wie Goethe einst schrieb. Ohne Hektik fließt die Mosel durch Krampen, krümmt sich immer wieder in Schleifen, scheint die »Idee des Geraden« nicht zu kennen. Man könnte von einem konfusen Flussverlauf sprechen. Die Mosel sei der eigenwilligste Fluss Deutschlands heißt es. Das hieße ja, der Fluss hätte einen eigenen Willen, das ist natürlich Quatsch.

Nun ist man also angekommen und egal ob man in der Nähe von Bernkastel oder Treis-Karden mit vielen Haarnadelkurven und Serpentinen in das Moseltal gelangt, es geht gleich weiter mit Schlangenwindungen und Mäandern an diesem kapriziösen Fluss.

Als Kind habe ich es übrigens gehasst das Moseltal auf diesen kurvenreichen Straßen zu verlassen, an manchen Parkplätzen am Zeller Berg musste unser Ford 12 M eine Zwangspause einlegen, weil ich schlagartig mein Frühstück wieder los wurde.

Eine Moselreise

»Woher kommt das ganze Moselwasser?«, fragte ich als kleiner Junge.

»Von oben«, klärte mich mein Vater auf, »aus den Bergen der Vogesen.« Er schaute in einem dicken Atlas nach und konnte mir dann genau sagen: »Die Mosel entspringt in Frankreich in den Vogesen in 715 Metern Höhe, die Quelle befindet sich nahe dem Col de Bussang.«

Nun, als sieben- oder achtjähriger Junge konnte ich mit einem »Col de Bussang« wenig anfangen, aber in den Bergen und 715 Meter hoch, das war schon was. Das klang gut. Und eine Quelle war was Tolles. In unserem Wald war eine, da kam das Wasser in einer Erdmulde aus dem Boden.

Es sammelte sich und lief dann hinunter ins Tal. Wenn man mit den Fingern oder einem Ast dem Quellwasser nachbohrte, wurde das Wasser trübe und unsere Fantasie geweckt.

»Wir bohren immer weiter in den Berg hinein«, sagten wir, » bis wir an der Stelle sind, wo das Wasser gemacht wird.«

So eine Quelle war Spiel- und Lernplatz zugleich. Und bei der Moselquelle wollte ich auch gerne mal vorbeischauen. Leider hatten wir in den fünfziger Jahren noch kein Auto und so kam es erst viel später dazu, dass ich dort hinfuhr. Als ich den Führerschein und mein erstes Auto hatte, war tatsächlich meine erste größere Tour an die Flussquelle nach Frankreich.

Mein Bruder und ein Freund begleiteten mich auf dieser ersten Auslandsreise.

Als Autofahrer lernte ich nun die serpentinenreichen Straßen rund um den »Col de Bussang« kennen und als wir die steinerne Quellfassung erreichten, die »Source de la Moselle«, waren wir ein wenig enttäuscht.

Eine Steinsäule stand etwas verloren auf einem sonst leeren Platz.

Aus einem Mauerloch lief aus einem steinernen »M« ein Rinnsal in ein steinernes Becken.

Der Überlauf ließ das Wasser in eine Steinrinne fließen, die sich über den öden, großen von Hecken umstandenen Platz schlängelte. In die Mauer war ein Messingband eingelassen, das den Lauf der Mosel ungefähr darstellte. An vielen Schleifen und Mäandern waren die Namen der Städte und Dörfer eingraviert, an denen die Mosel vorbeifloss. Bussang, Nancy, Metz, Trier, Bernkastel, Traben-Trarbach, Zell. Wir vermissten den Namen unseres Ortes, viel später erfuhr ich, dass eine Gemeinde viel Geld bezahlen musste, um auf dieser Steinmauer als Ortsname zu erscheinen. So viel Geld hatte unsere Gemeinde anscheinend nicht gehabt. Bad Bertrich schon, komisch, der Ort liegt zwar nicht an der Mosel, aber auf der Mauer ist er als Moselort erwähnt.

Übrigens, die Mosel entspringt hier in den Vogesen nicht bei Kilometer 0, nein, sie ist ja was Besonderes, die Elbe, der Rhein, die Lahn, alle Flüsse fangen bei 0 an.

Sie aber fängt bei Kilometer 544 an und fließt bei Flusskilometer 0 in Koblenz in den Rhein.

Reichlich kapriziös, dieser Fluss. Das lässt er schon am Anfang spüren.

Wir machten damals einen Spaziergang in den Wald hinter der Quellfassung und wollten die eigentliche Quelle suchen. Der öde, steinerne Platz hier ist ja nur für Touristen gemacht, so dachten wir. Gleich hinter dem Platz geht es steil in die Vogesenberge. Aus unzähligen Mulden, kleinen Tälern, aus der Höhe kommen kleine Bäche, Rinnsale, vereinigen sich, werden größer, fließen an moosbewachsenen Felsen vorbei, schlängeln sich durch Gebüsch und Farne, bilden erste kleine Wasserfälle, ein unglaublicher Wasserreichtum ist am »Col de Bussang«.

Es war für uns nicht auszumachen, wer von den vielen kleinen Wasserläufen die Original Moselquelle war. Wir fuhren sogar bis auf den Gipfel des Drumont, den Berg hinter der Quelle. Oben in 1200 Metern Höhe wehte die Tricolore und wir hatten einen wunderbaren Blick auf die vor uns liegende Vogesenlandschaft.

»Ganz einfach«, sagten wir damals, »der Berg Drumont ist das Quellgebiet der französischen Mosel.«

Zurück am Parkplatz machten wir in den Papierkörben noch eine Entdeckung, die ich bei den folgenden Besuchen an der Quelle immer wieder bestätigt bekam: Leere, ausgetrunkene Moselweinflaschen. Mal lag ein leeres »Piesporter Goldtröpfchen,« mal eine ausgetrunkene »Zeller Schwarze Katz« in den Abfallkörben des Platzes.

Leere französische Weinflaschen habe ich dort nie entdeckt.

Natürlich hatten wir damals eine Flasche Moselriesling dabei. Wir prosteten dem Rinnsal Mosel zu, ein Hoch auf den Fluss, die leere Flasche »Pündericher Marienburg« kam natürlich zu den anderen, leeren Moselweinflaschen in den Abfallkorb.

In diesem Moment fühlte ich mich als Moselaner. Als dazu gehörig, so können leere Weinflaschen Identität stiften.

Seit der ersten Tour bin ich schon öfter wieder hier gewesen, hier begann zum Beispiel eine Tandemtour, die ich mit meiner Frau in den achtziger Jahren nach dem Motto »Von der Quelle bis zur Mündung« machte.

Auch zu Filmaufnahmen für einen gleichnamigen Film war ich immer wieder mal da.

Und immer der neugierige, dann belustigte Blick in die Papierkörbe. Wer von wo an der Mosel war hier gewesen?

Doch nicht nur an ausgetrunkenen Moselweinflaschen, sondern auch an anderen offensichtlicheren Zeichen merkt man, dass viele Moselaner hier zu diesem öden Platz pilgern, man sieht auf einer hölzernen Bank, dass die Pensionäre der Moselwasserkraftwerke ihrem indirektem Arbeitgeber, dem Fluss, ein Dankbarkeitsvotivtäfelchen angebracht haben. Noch eine andere Tafel: der Jahrgang 1939 aus Graach war hier. Celine und Stephan aus Bernkastel haben 1998 ihren Namen in die Bank eingeritzt, die Wanderburschen Peter, Gerhard und Ewald aus Trier haben ebenfalls der Quelle einen Besuch abgestattet. Aber kein Franzose hat sich hier verewigt.

Das macht mich nachdenklich.

Keine leeren Rotweinflaschen, keine französischen Votivtafeln.

Es stellt sich mir nun die Frage, gibt es den französischen Moselaner? Dieser Frage will ich bei meiner neuen Reise nachgehen. Denn von hier aus fließt die Mosel 280 Kilometer durch Frankreich. Somit fließt sie länger durch Frankreich als durch Deutschland.

Los geht’s mit meiner Reise der Mosel entlang.

Zuerst wandere ich einige Meter an dem kleinen Bach entlang. Am ersten Haus schlängelt er sich vorbei, unter der ersten kleinen Holzbrücke der erste glucksende Wasserfall, dann ein kleiner See, durch den der Bach fließt.

Dann sehe ich, nur wenige hundert Meter hinter dem Quellplatz, ein kleines rundes Häuschen.

In dem entspringt die Thermalquelle »Source Marie«. Das Wasser prickelt ein bisschen und schmeckt zart und klar. Also, wenn ich bei uns in der Mosel schwimme, bade ich auch ein bisschen in Thermalwasser, ein lustiger Gedanke. Der kleine Moselbach wird jetzt schnell größer, fließt klar und sauber durch Bussang, den ersten Ort an der Mosel und schon nach wenigen Kilometern wird er durch die vielen Zuflüsse zum breiten Wiesenbach.

An einem ersten Wehr ist an der Seite eine Fischtreppe angebracht, leider durch Unrat und Wurzelwerk verstopft. Gleich dahinter steht ein Mann mit einer Angel im strömenden Gewässer. Er hat hüfthohe Stiefel an und wirft in einem bestimmten Rhythmus immer wieder die Angel aus.

Er will mit Fliegen Forellen fangen, denn am Wehr sieht man ab und zu diese Fische springen.

Die nächsten Dörfer und Orte durch die die Mosel fließt, machen einen abgehängten Eindruck, viele leerstehende Häuser und Geschäfte, verfallene Gehöfte, die Straßen sind in schlechtem Zustand und die wöchentlichen Märkte in den Ortschaften bieten recht wenig Auswahl. Aber in jedem dieser kleinen Dörfer steht ein gepflegtes Kriegerdenkmal. Oft martialisch bestückt mit Granaten als Zaun, Kanonenrohren, die in Richtung Osten zeigen, bunten Plastikblumen, Soldatenfiguren aus Stein und überall über diesen Denkmälern weht die Tricolore.

Und noch eine Kleinigkeit fällt mir auf, die Kirchturmuhren in allen diesen Dörfern gehen immer ganz genau.

Der Bach Moselle fängt an zu mäandern und so fließt er bis Remiremont, einer ersten, typisch französischen Kleinstadt. Unter blumengeschmückten Laubengängen einige Geschäfte mit Spezialitäten der Region. Im »Salon de thé« handgefertigte Schokoladen. In einem Restaurant gibt es truite, also Forelle aus der Mosel, bestimmt bringt der Angler vom Wehr seinen Fang hierher. Bei unserer Tandemtour bestellte meine Frau eine schmackhafte Forelle aus der jungen Mosel, für mich gab’s Lammkotelett, das sich durch einen Übersetzungsfehler meinerseits als Lammhirn entpuppte.

Na ja. Hätte ich doch besser französisch gelernt. Es war auf jeden Fall ein neues Geschmackserlebnis.

Durch das weitläufige Vogesental fließt der immer breiter werdende Bach und die ersten Kajakfahrer sind auf dem Wasser unterwegs.

Vor Épinal weht auf einem Hügel die amerikanische Flagge. Seltsam. Ich fahre auf sie zu und lande auf einem gigantischen Grabhügel. Hier liegen über 5000 amerikanische Soldaten, die bei den Schlachten hier in der Region 1944 im Krieg gegen die Deutschen gefallen sind.

Als ich mit meiner Fototasche bewaffnet in das Areal gehe, folgt mir eine französische Polizistin.

Was ich in der Tasche habe? fragt sie und ist erleichtert als sie nur Fotoequipment entdeckt.

Sie ist zur Überwachung des Areals angestellt und tut ganz souverän ihre Pflicht. Man hat hier Angst vor Anschlägen, die Franzosen hatten die letzten Jahre leider genug davon. Ich erkläre was ich vorhabe, ein Buch über die Mosel. Sie fragt was darin vorkomme. Auf jeden Fall dieser amerikanische Friedhof, um immer wieder die Sinnlosigkeit des Krieges zu schildern.

In Épinal wird der kleine Fluss zum ersten mal korsettiert, eingezwängt zwischen Ufermauern, ein typisch französischer Umgang mit Gewässern. Hier mitten in den Vogesen gibt es den ersten Hafen. Das Wasser wird an einem Wehr der Mosel abgezweigt. Alte Péniches und umgebaute Lastkähne liegen hier und dienen als Hausboote.

Und hier in Épinal beginnt nun der »Canal de l’Est« und der »Canal des Vosges.«

Der »Canal de l’Est« führt unter Einbeziehung anderer Kanäle und Flüsse bis zum Mittelmeer. Unglaublich, mit dem Schiff von den Vogesen zum Mittelmeer. Eine schöne Vorstellung.

Der »Canal des Vosges« führt nun bis Nancy immer dicht an der Mosel entlang, manchmal führt er sogar über eine Brücke, ein Schauspiel wenn ein Schiff darüber fährt, unten die Mosel und oben die Kanalbrücke mit einem Schiff.

Einige Ortschaften haben Ankerstellen angelegt, an denen die Schiffe Wasser und Sprit tanken können, ich komme mit Bootstouristen aus Schottland ins Gespräch, die mit einem gecharterten niederländischen Schiff unterwegs sind.

»Sehr beruhigend, diese Reise«, meinen sie.

Viele Baggerseen im Tal zeugen vom früheren Kiesabbau. Manche von ihnen sind zu Naherholungsgebieten geworden, an denen die Franzosen am Wochenende gerne Picknick machen.

Ich sehe von einer Brücke aus eine schöne Stelle am Moselufer. Durch die Pflanzen am Ufer bahne ich mir einen Weg zum Wasser. Was mir an einer Sandbank am Wasser auffällt ist der Geruch.

Hier riecht der Fluss genau so wie bei uns an der Mittelmosel.

In Neuve Maison ist der Beginn der Großschifffahrt. Ein großes Hafenbecken in dem die Schiffe be- und entladen werden. Hier liegt die »Luma«, ein Schiff das ich kenne, Heimathafen ist Trier und es ist auch oft auf der Mittelmosel zu sehen. Der Kapitän erzählt mir, zwei Tage braucht er für die Tour von hier bis nach Trier in den Hafen, wo das Schiff wieder entladen wird.

Zufall; mit seinem Vater habe ich vor vielen Jahren auf dem Schiff ein Interview über das Hochwasser geführt.

Um Nancy macht die Mosel einen Bogen, nur der abgezweigte Kanal für die Transportschiffe fließt durch die Stadt. Ich fahre der ursprünglichen Mosel nach. Die macht nun einen Umweg, eine erste große Schleife und fließt an ihrer westlichsten Stelle an Toul vorbei. Die Stadt ist mit dicken Befestigungsmauern und engen Eingangstoren versehen, Vauban hat hier eine Meisterleistung vollbracht. Vor den umlaufenden hohen Mauern hat er Wassergräben ausheben lassen, um die Feinde abzuhalten. Natürlich sind die Gräben mit Moselwasser gefüllt. In Toul will ich die Kathedrale besichtigen, aber ich bin zu früh unterwegs, als ich rein will, ist sie noch verschlossen.

Ein paar Minuten Autofahrt und ich lande in den Weinbergen der Côtes de Toul. Hier befindet sich das erste Weinbaugebiet der Mosel. Es werden fruchtige, helle Roséweine angebaut, seit langem ist der »Vin Gris« das Markenzeichen.

Es ist ein blasser Rosé aus roten Trauben, der wie ein Weißwein gekeltert wird, der Most wird nur kurz auf der Maische gelagert, so entsteht die blasse Farbe. Ich kaufe mir in Bruley, einem kleinen Weinort, eine Flasche davon. Der erste Moselwein. Meinen »Reisebegleiter« nenne ich ihn.

Ein leichter Wein, der abends gut zu frischem Baguette mit Hähnchenfleisch passt.

Die kleinen Weindörfer machen einen aufgeräumten Eindruck, überall sind alte Keltern aufgestellt, mit Blumen bepflanzt und der helle Stein der hier verbaut wird, wirkt freundlich und einladend.

Von Toul aus fließt die Mosel wieder nach Osten um kurz hinter Nancy nach Norden Richtung Metz abzubiegen.

Auf halbem Weg zwischen Nancy und Metz liegt beiderseits der Mosel die Stadt Pont-à-Mousson. Eher unauffällig, aber sie hat etwas Besonderes, auf dem man nicht nur in Frankreich herumtrampelt. Eine Stahlproduktion, in der Gullideckel und Stahlröhren für die Kanalisation in der ganzen Welt hergestellt werden. Die Fabrik ragt mit ihren hohen Schloten und riesigen Anlagen über alle Kirchen der Stadt. Am steinernen Moselufer sehe ich ein niederländisches Kajütboot, das Ehepaar wirkt ganz locker und erzählt, sie kommen den Rhein und die Mosel hoch, wollen bis nach Épinal, dann zur Saône und dann mal sehen. Vielleicht Südfrankreich, vielleicht zurück in die Niederlande, sie wissen es noch nicht. Sie lassen sich im wahrsten Sinne treiben. Als ich über die Brücke in Pont-à-Mousson fahre, sehe ich an den Pfeilern Baumstämme, Büsche, Palettenteile und angeschwemmten Unrat. Aha! Die haben hier oben auch mit Hochwasser zu tun.

Mein Reise geht weiter an der Mosel entlang nach Metz.

Es ist eine landwirtschaftlich geprägte Region. Auf den Wiesen stehen schwarzbunte Kühe und auf den Äckern liegen Heuballen, der Himmel ist blau und ein paar Schönwetterwolken segeln über das friedliche Land.

Ein geschichtsträchtiges Hinweisschild auf eine besondere Stelle am Fluss macht mich neugierig.

Hier ging es im September 1944 gar nicht friedlich zu. Am Moselufer erzählen einige Tafeln anschaulich die Kriegsgeschichte, in der die Amerikaner mit kleinen Booten bei Nacht und Nebel hier den Fluss überquerten um strategische Vorteile zu haben. Bei diesem Unterfangen gab es auf beiden Seiten große Verluste und ich muss wieder an den Grabhügel bei Épinal denken.

In Metz wird die Mosel abgezweigt und ins Stadtgebiet geleitet.Viele kleine Kanäle durchziehen die Stadt, auf einigen liegen wunderschöne Hausboote und einen Hafen für Freizeitschiffer hat die Stadt auch. Von da aus zweigt wieder ein Wasserarm ab, der aber nur bei besonderen Gelegenheiten geflutet wird, dann wird die Mosel zum Wildwasser, auf dem Kajakfahrer mitten in der Stadt ihre Wettbewerbe austragen. Blumengeschmückte Brücken führen über die Kanäle, ein sehr schönes Stadtbild.

Ich suche am Ufer nach einem Personenschiff, auf dem ich einen Ausflug auf dem Wasser machen kann. In allen deutschen Moselstädten gibt es diese Anlegestellen, aber hier in Frankreich – leider Fehlanzeige. Liegt es an der relativ flachen Gegend? Man sieht vom Wasser aus nur landwirtschaftlich genutzten Boden, keine Weinberge und keine Burgen, was soll man da auf dem Wasser? Oder liegt es an der Mentalität? Fahren die Franzosen nicht gerne mit einem Ausflugsschiff? Jedenfalls fahre ich mit dem Auto weiter immer am Fluss entlang.

In der Nähe von Amnéville wieder ein Umschlagplatz für Kohle, Koks und alles was schwarz staubt. Baggerschaufeln greifen kreischend in den Bauch eines Schiffes, schwenken übers Hafengelände und der Kohlehügel wird immer höher und ragt wie ein Vulkanberg in den Himmel.

Radlader schaufeln die staubige schwarze Ladung und bringen sie in eine Ecke des Geländes.

Dabei produzieren sie dreckige Luft und sogar hier legt sich der Kohlenstaub auf am anderen Ufer stehende Ruhebänke.

Nun verlaufen viele Röhren und Gasleitungen links und rechts der Mosel, manchmal überqueren sie den Fluss und viele Sprayer und Graffitikünstler haben sich auf den Leitungen verewigt.

Ich bin in Thionville und treffe Alain, der hier aufgewachsen ist. Er erzählt mir, sein Opa war der letzte Bademeister im Naturschwimmbad am Ufer in der Stadt. Der Opa habe aus der damals noch nicht kanalisierten Mosel einigen Menschen das Leben gerettet. Das Ufer sieht heute ein bisschen anders aus. Gerade in Thionville ist der Fluss erschreckend zugebaut, rechts und links vom Ufer hohe Mauern. Eisenbahnbrücken, Gasrohre und Staustufenmauern runden das Bild eines eingezwängten Flusses ab. Dazu hat Vauban links und rechts seine abschreckenden Verteidigungsmauern hinterlassen. An der steinernen Uferpromenade sind bunte Schirme aufgestellt. Imbissbuden, ein Waffelbäcker und ein Stand mit Wildschweinspezialitäten sollen das Ambiente aufpeppen, aber dieser Versuch macht das Ufer auch nicht gemütlicher.

Über das Verhältnis der Franzosen zum Fluss meint Alain, anders als die Menschen in Deutschland, fühlen sich die Leute am französischen Teil der Mosel nicht als Moselaner. Sie wohnen halt da, weiter ist da nichts, kein Lied, keine Verbundenheit. Der Fluss, so sagt er, ist für die Franzosen nur Schifffahrtstraße und Transportweg, das ist gerade hier in Thionville gut zu sehen.

Gleich hinter Thionville qualmt das Kernkraftwerk Cattenom mit seinen vier Kühltürmen. Unglaublich, in Sichtweite des qualmenden Giganten eine Gärtnerei, Blumen und Gemüse werden hier angebaut und angeboten. Strahlend schöne Zucchini, Gurken, Becquerels und Kürbisse.

Die Franzosen gehen eben ganz anders mit den Atomen um als wir. Das Monstrum erinnert mich immer an den Brief, den wir dem Kraftwerksbetreiber in den achtziger Jahren geschrieben haben.

Wir hatten damals ein Haus am Moselufer gekauft und schon kleinere Hochwässer in der unteren Etage gehabt. Wir überlegten: haben wir, wenn das Moselwasser im Haus steht, dann auch Radioaktivität im Haus, denn von Cattenom bis zu uns sind es nur läppische 150 Flusskilometer.

Man hält es nicht für möglich, wir bekamen einen Brief zurück, der uns dermaßen beruhigte. Erstens sei im Moselwasser keine schädliche Atomstrahlung vom Kernkraftwerk Cattenom. Zweitens, angenommen, aber unwahrscheinlich, wenn doch Strahlung im Wasser wäre, sollten wir doch über jedes Hochwasser im Haus froh sein, denn durch das viele Wasser im Fluss würde die Konzentration verringert, und im Übrigen sei in jedem Sprudelwasser aus dem Schwarzwald mehr Radioaktivität.

Na ja, die Franzosen haben eben einen eigenen Humor und was Kernkraft angeht: sie haben Angst, dass was ausgeht, wenn bei ihnen zu viel angeht, deshalb haben sie sich abhängig gemacht und prozentual die meisten Atomkraftwerke in Europa hingestellt. In unmittelbarer Nähe ein See, aus dem das Kühlwasser entnommen wird und davor ein Wohnmobilstellplatz. Wie schön.

Die Wohnmobile dürfen übrigens aus den hier aufgestellten Stromzapfsäulen kostenlos ihren Strom nehmen. Und man sieht, wo der Strom produziert wird.

Ich fahre durch den Ort Cattenom – ein eher unscheinbares Dorf – und überquere die Mosel auf einer einspurigen Brücke. Mir fällt immer wieder die Freundlichkeit der französischen Autofahrer auf, sie warten hier an der engen Stelle, lassen mich rüber, sie halten an Zebrastreifen, merci und bon voyage.

Da ich mich bei dieser Reise so nah an der Mosel halten will wie es eben geht, muss ich im nächsten Dorf wieder über den Fluss. Ein Hinweisschild an der Brücke zur »route des vins«.

Doch ich sehe keine Weinberge sondern weidende Kühe, das scheint eher eine Milchstraße als eine Weinstraße zu sein. Es geht eine Anhöhe hinauf und das nächste Dorf heißt Berg-sur-Moselle.

Ein Bauerndorf, in dem es auch so riecht. Mitten im Ort, vor einem Kuhstall ein Automat, aus dem man nach Einwurf von drei Euro frischen Käse entnehmen kann.

Das ist neu für mich, den Käse aus dem Automaten möchte ich haben, ich schaue mir die französische Bedienungsanleitung an und übersetze: »Zuerst den Karussellknopf drücken und das ausgewählte Stück in die Mitte setzen.«

Ich drücke, tatsächlich bewegt sich im Innern ein Förderband und bringt den ausgesuchten Artikel, einen Kuhkäse in der Plastikschale, in die Mitte. »Jetzt bezahlen.«

Ich krame in der Hosentasche und werfe eine Zweieuromünze und noch einen Euro ein.

Passieren tut nichts und ich drücke nach einer Wartezeit auf »Abbrechen«.

Es rappelt und drei eiskalte Euromünzen kommen zurück.

Wechseln kann er also und die Kühltemperatur ist auch in Ordnung.

Ich gebe noch nicht auf, der Automat ist so modern, dass er sogar Kreditkarten nimmt. Meine mag er wohl nicht, beim Einschub ertönt eine blecherne Automatenstimme, die ich aber nicht verstehe. Mein Französisch? Die Tür zum Kuhstall ist auf, ich höre Stimmen, gehe näher und rufe: »Hallo.«

Die Kühe gucken mich an, als ob sie sagen wollten: »Der ist zu blöd für unseren Automaten.«

Unverrichteter Dinge fahre ich nun nach Contz-les-Bains, nun tauchen endlich Weinberge auf, die letzten an der französischen Mosel und ich suche im Ort einen Winzer, der mir eine Flasche aus diesem Weinbaugebiet verkauft.

Begrüßt werde ich vom Chef persönlich und als ich den typischen Wein der Gegend haben will, gibt er mir einen 2017er Auxerrois, der 2018 in Paris eine Goldmedaille bekommen hat. Nicht nur das, seine Familie hat schon Wein an den Hof von Marie Antoinette geliefert. Ich bin gespannt auf diesen Wein von der französischen Mosel.

Als er das Nummernschild meines Autos sieht fragt er interessiert: »Zell? Zell an der Mittelmosel?«

Als ich bejahe lacht er und zeigt auf zwei Edelstahlfässer, die im Hof stehen.

»Abe isch letzte Woch gekauft in Zell bei Firma Kessler.«

Der Wein war übrigens von ausgezeichneter Qualität, gelbgrüne Farbe, ein reiches Bouquet, aber ein bisschen wenig Säure. Eben ein typischer Auxerrois.

Gleich hinter dem Ort sehe ich am Moselufer ein kleines Häuschen. »St. Hieronimusquelle« steht darauf und aus einem Rohr sprudelt sauberes Wasser, das aber auf dem Boden und in der Einfassung eine rote Spur hinterlässt, das Wasser ist stark eisenhaltig und der Name Contz-les-Bains ergibt für mich auf einmal einen Sinn.

Also das Thermalwasser von Bussang am Anfang der französischen Mosel und nun hier das eisenhaltige Wasser, ich freue mich auf das nächste Bad im Fluss. Das kann nur gesund sein.

Hunger macht sich bemerkbar, auf der anderen Moselseite liegt Sierck-les-Bains und da kenne ich einen Supermarkt. Ich besorge Baguette, Pastete und Käse für die Weiterfahrt. Auch suche ich hier die Toilette auf und finde ein Raiffeisenklo: »Einer für alle.«

Na auf jeden Fall besser als die französischen Stehklos von früher mit dem Loch zwischen den beiden geriffelten Porzellanhälften.

Unterhalb der ersten großen Burganlage an der Mosel fahre ich Richtung Dreiländereck.

Am Ortsende der letzten französischen Gemeinde Apach eine Überraschung: Da steht der Eiffelturm.

Nicht ganz so groß wie der in Paris, aber immerhin, ein Nachbau, der sich sehen lassen kann. Ob er jetzt als letzter Gruß für den Wegfahrenden oder ein französischer Willkommensgruß für den Ankommenden ist, ist eine Frage der Fahrperspektive.

Nachts ist er sogar beleuchtet.

Gleich dahinter eine Bücherzelle, aber eine, die hier ins Dreiländereck passt. Bücher in drei Sprachen sind in ihr vertreten, ein internationaler Bücherkasten also, der mit Stuhl und Licht sogar nachts zu Füßen des Eiffelturms zum Lesen einlädt.

Und in Sichtweite der Dreiländergrill. Als dieses Gebäude noch als Zollstation fungierte, war ich hier bei der Einreise nach Deutschland immer etwas nervös. Billiger Sprit und Zigaretten waren der Grund für einen Grenzübertritt nach Luxemburg gewesen. Nicht dass ich etwa einige Schachteln Zigaretten zu viel dabei gehabt hätte, nein, es waren die strengen Blicke der Zöllner, der harsche Ton: »Machen Sie mal den Kofferraum auf!« Oft ein hechelnder Schäferhund, der meine VW Limousine Baujahr 1977 beschnupperte. Zu allem Überfluss hatte dieses Auto zwei zu öffnende Kofferräume. An den Wänden der Zollstation hingen damals Fahndungsplakate der Baader-Meinhof-Bande.

Wie oft wurden wir hier von den strengen Beamten misstrauisch beäugt. Heute hängt hier eine Speisekarte und der Chef empfängt seine Gäste freundlich lächelnd und empfiehlt seine internationalen Speisen.

Auf der gegenüberliegenden Moselseite liegt Schengen, das Ufer ist sehr interessant gestaltet.