Mord nach Drehbuch - Jean G. Goodhind - E-Book
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Jean G. Goodhind

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Beschreibung

Mord am Set In Bath wird ein Film über Jane Austen gedreht. Hotelbesitzerin Honey Driver, ihre Mutter und ihre Tochter spielen als Statisten darin mit. Als die launische Hauptdarstellerin ermordet wird, gerät Honey unter Mordverdacht und muss ihre Unschuld beweisen. Ein Muss für Freunde des modernen, aber trotzdem typisch britischen Krimis. »Skurrile Handlung und viel britischer Humor.« Brigitte »Very British, very witzig – very spannend bis zur letzten Seite.« Kieler Nachrichten

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Jean G. Goodhind

Mord nach Drehbuch

Honey Driver ermittelt

 Kriminalroman

Aus dem Englischen von Ulrike Seeberger

Impressum

Die Originalausgabe unter dem Titel

Menu for Murder erschien 2009

bei Severn House Publishers Ltd., Sutton, Surrey.

Mit einem Interview mit Jean G. Goodhind

von Ulrike Seeberger

ISBN E-Pub 978-3-8412-0131-7

ISBN PDF 978-3-8412-2131-5

ISBN Printausgabe 978-3-7466-2641-3

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Februar 2011

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die deutsche Erstausgabe erschien erstmals 2011 bei

Aufbau Taschenbuch, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Copyright © 2009 by J. G. Goodhind

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Mediabureau Di Stefano, Berlin

unter Verwendung von Motiven der Agentur iStockphoto:

© Viktoriya Yatskina, © Brandi Powell und © Bill Noll

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Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

Impressum

Inhaltsübersicht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Meine Leserinnen sollen lächeln

Leseprobe

Kapitel V

Kapitel 1

»Also? Kommst du nun, oder nicht?« Steve Doherty versuchte, die Sache total lässig anzugehen, aber Honey konnte er damit nicht hinters Licht führen. Er war ganz scharf darauf, dass sie ja sagen würde. Und sie war mindestens genauso scharf darauf, ja zu sagen.

Honey Driver, Hotelbesitzerin in Bath, hatte einen Zweitjob als Vertreterin des Hotelverbands bei der Kripo. So war ihre Bekanntschaft mit Detective Inspector Steve Doherty zustande gekommen, dem attraktiven Mann mit den prägnanten Gesichtszügen und dem vielversprechenden Sex-Appeal.

Dieser vielversprechende Sex-Appeal schien inzwischen – na ja – viel zu versprechen. Doherty hatte sie zu einem netten Wochenende zu zweit eingeladen. Seinen aufreizenden Andeutungen hatte sie entnommen, dass es wahrscheinlich mehr als nur nett werden würde. Schließlich hatte er ihr doch sogar geraten, den Flanell-Schlafanzug nicht einzupacken.

»Ein Tropfen Parfüm hinter jedem Ohr sollte eigentlich reichen«, meinte er.

»Ich trage gar keine Schlafanzüge.«

»Gut.«

Leider war sein Timing wirklich mies. »Ich kann nicht mitkommen.« Die Worte blieben ihr beinahe im Hals stecken. Sie wollte wirklich nicht ablehnen. Doherty wollte auch nicht, dass sie nein sagte. Sein frustrierter Seufzer dröhnte hohl durchs Telefon.

»Sag bloß, du hast im Hotel eine Veranstaltung der Knochen- und Pferdeleim-Gesellschaft.«

»Nein, nein, nichts dergleichen.«

Dann erklärte sie ihm, warum sie verhindert war.

In Bath wurde wieder einmal ein historischer Kostümfilm gedreht. Diesmal ging es um das Leben der berühmtesten Jungfer, die je romantische Bücher geschrieben hat: Jane Austen.

Das Filmteam war bereits in der Stadt eingetroffen. Zwei Mitglieder des Produktionsteams – der Tontechniker und der Typ, der den Lichtgenerator bediente – hatten sich in einem Zweibettzimmer im Green River Hotel eingemietet. Sie tauchten auch recht häufig in der Bar auf. Bei einer solchen Gelegenheit hatten sie Honey und ein paar andere gefragt, ob sie nicht Lust hätten, als Statisten beim Film mitzuwirken.

Vor Honeys geistigem Auge waren sofort Bilder von ihrer Wenigkeit als einer Art Sophia Loren der Jetztzeit aufgetaucht. Natürlich wollte sie mitmachen!

Das Gleiche galt für ihre Tochter Lindsey, die ohnehin eine Schwäche für alles Historische hatte.

Auch ihre nicht mehr ganz junge Mutter Gloria wollte dabei sein. Für die waren allerdings die Kostüme der entscheidende Faktor. Sie liebte wallende Gewänder und feminine Kleider. Und natürlich junge Männer in eng anliegenden Hosen.

Mary Jane lehnte dankend ab, was niemanden überraschte. Die hoteleigene Expertin für das Paranormale schaute nur verwirrt, als man sie fragte, ob sie Lust hätte, sich in die Regency-Zeit zurückversetzen zu lassen. »Ich begegne doch jeden Tag Menschen aus der Regency-Zeit«, antwortete sie schließlich. Sie bezog sich damit auf Sir Cedric, den vormaligen Bewohner des Zimmers, das sie gegenwärtig ihr eigen nannte. Angeblich war er einer ihrer Vorfahren und stattete ihr gelegentlich Besuche ab, obwohl er bereits 1792 verstorben war.

Jedenfalls hatte die Sache mit den Statistenrollen so geklungen, als würde es ein Riesenspaß werden. Es würde ein bisschen wie Schuleschwänzen sein. Sie würden rumsitzen, von nichts Gefährlicherem als einer Kamera »geschossen« werden und sich bekochen lassen. Die leicht beschwipsten Teammitglieder versicherten, als Statisten würden sie den größten Teil ihrer Zeit mit Lesen oder Scrabble-Spielen verbringen.

»Schade. Du ahnst ja nicht, was dir entgeht«, meinte Doherty.

Er hatte recht. Sie versuchten schon ewig und drei Tage, sich endlich zusammenzutun, aber irgendwas war immer dazwischengekommen.

»Wie wäre es denn mit nächster Woche?«, fragte Honey hoffnungsvoll.

»Bis dahin kann alles Mögliche passieren. Vielleicht habe ich Dienst. Bist du sicher, dass du es dir nicht noch einmal überlegen willst?«

»Das geht nicht«, antwortete sie. Sie hatte bereits fest zugesagt.

»Egal. Ich kann noch andere Abmachungen treffen«, erwiderte er und fügte hinzu, er würde sich bald wieder melden.

Honey war versucht – außerordentlich versucht –, ihn zu fragen, was – oder wen – er bei diesen anderen Abmachungen wohl im Sinn hatte. Geht dich einen feuchten Kehricht an, ermahnte sie sich und legte den Hörer auf. Zum Teufel, aber es fiel ihr verdammt schwer, völliges Desinteresse zu heucheln. Die Vorstellung von dem, was hätte sein können, ging ihr nicht aus dem Kopf und trieb ihr das Blut in die Wangen. Es wurde ihr ziemlich heiß dabei, wesentlich heißer als am nächsten Morgen.

Leider wollten die Filmleute die ruhigere Wintersaison ausnutzen und machten die Filmaufnahmen im Februar. Und die Dreharbeiten fingen früh an. Sehr früh.

Da standen sie also um sechs Uhr morgens und froren sich den Hintern ab.

»Ich habe gehört, diese Martyna Manderley soll eine richtige Zimtzicke sein«, meinte Lindsey. »Nicht gerade die optimale Besetzung für die Rolle der Jane Austen. Wusstest du, dass die Bath eigentlich gar nicht sonderlich gemocht hat?«

Honey fröstelte. »Sie hat der Stadt wahrscheinlich in einem Februar den ersten Besuch abgestattet.«

Lindsey erwiderte, das wüsste sie nicht so genau, und schlug weiter mit den Armen um sich.

Die eleganten Häuser um den Circus sahen aus, als schliefen sie noch alle. Am Himmel zeigte sich nicht die geringste Vorahnung einer Morgendämmerung, und ein eiskalter Wind biss ihnen in die Nasen.

Honeys Mutter hielt eifrig Ausschau nach gut aussehenden jungen Männern in eng sitzenden Reithosen.

Angelockt vom Duft des brutzelnden Specks lungerten einige fröstelnde Statisten um den Cateringwagen herum. Eine junge Frau mit wirren Haaren tauchte aus dem Kostümwagen auf. Im Mundwinkel baumelte ihr eine Lakritzzigarette. Davon kriegt sie wenigstens keinen Lungenkrebs, überlegte Honey.

Die junge Frau musterte mit kleinen, tief liegenden Augen die Statisten.

Die sieht aus, als hätte sie Röntgenaugen, dachte sich Honey. Wie sonst konnte sie ahnen, welche Kleidergrößen und Körperformen unter den dicken Mänteln, Pullovern und Wollschals verborgen waren, in die sie alle eingemummelt waren?

»Sie, Sie und Sie.«

»Ich?«, fragte Honey und tippte sich an die Brust.

»Sie nicht! Sie!«, antwortete die junge Frau. Sie deutete auf Honeys Mutter und eine kleine Gestalt, die neben ihr stand.

Gloria lächelte triumphierend. »Ja, ja, ja«, murmelte sie, und der Atemhauch wehte ihr aus dem Mund wie Dampf aus einem Kessel.

»Die kennt sich aber aus«, zischelte Lindsey aus dem Mundwinkel.

»Und noch Sie«, blaffte die junge Frau und deutete auf Lindsey.

Honey blieb allein und mit knurrendem Magen zurück.

»Mich haben sie auch nicht ausgesucht«, meinte der große, hagere Mann, der neben ihr stand.

Er nippte Kaffee aus einem Styroporbecher.

»Allerdings hatte ich eine ziemlich gute Weihnachtssaison«, fügte er hinzu. »Ich war im Weihnachtsspiel die hintere Hälfte von einem Pferd. Nicht gerade eine Starrolle, aber zumindest stand ich auf der Bühne. Und darum geht’s doch, nicht?«

»Nein«, meinte Honey. »Ich wollte niemals die hintere Hälfte von irgendwas sein.«

Er schaute verständnislos zu ihr hinunter, als könne er ihre Sichtweise überhaupt nicht begreifen. Auf den Brettern zu stehen, die die Welt bedeuten, das war für ihn einfach alles. Er sagte nur: »Oh!« und entfernte sich ernüchtert.

Na ja, da habe ich ja wirklich jemanden mit meiner Schauspielkunst zutiefst bewegt, überlegte Honey und bereute ihre Antwort schon. Sie war einfach ein Morgenmuffel. Und an einem kalten Morgen war es noch einen Zacken schlimmer. Wenn sie im Hotel so früh aus den Federn musste, war es dort zumindest warm.

Hier draußen war die Kälte erbarmungslos. Wie alle anderen trampelte Honey auf der Stelle und schlug mit den Armen um sich.

»Da gibt es einen Bus, wo wir sitzen können«, sagte jemand neben ihr.

Sie lächelte und nickte. »Ich weiß.«

Natürlich wusste sie das, aber ihre Finger und Zehen würden schon noch ein bisschen durchhalten. Sie wollte sehen, in welche Kostüme man ihre Mutter und ihre Tochter gesteckt hatte.

Zehn Minuten später ging die Tür des Kostümwagens auf, und die beiden kamen mit Musselinkleidern unter ihren Wintermänteln und Häubchen auf dem Kopf heraus.

»Ich habe drauf bestanden, dass ich mein Unterhemd anbehalten darf«, verkündete ihr Mutter. »Und ich habe um einen Schal gebeten.«

»Und einen bekommen«, murmelte Lindsey, die auch um einen gebeten, aber keinen bekommen hatte und langsam bläulich anlief. Sie vergrub ihr Gesicht im Kragen ihres wattierten Mantels wie eine Schildkröte, die sich auf den Winterschlaf vorbereitet. »Musselin ist so dünn«, grummelte sie.

Gloria Cross linste an ihrer Tochter vorbei. »Ist das da drüben Martyna Manderley?«

Alle Augen wandten sich in die Richtung, in die Gloria gedeutet hatte. Eine sehr attraktive junge Frau hielt ihren hellvioletten Rock hoch gerafft, während jemand von der Kostümabteilung ihr die Beinwärmer zurechtzog.

»Die ist ein bisschen groß für Jane Austen«, meinte Lindsey, die immer höchsten Wert auf historische Genauigkeit legte.

»Sie ist sehr hübsch«, wandte Gloria ein. »Und so schlank. Wusstet ihr, dass sie eine Million für Fotos und so in der Zeitschrift Hello! bekommen hat?«

»So viel Geld ist niemand wert«, meckerte Honey.

»Du bist voreingenommen«, erwiderte ihre Mutter. »Und neidisch!«

»Wieso sollte ich das sein?«, blaffte Honey empört.

»Weil sie gut aussieht, Geld hat und elegant ist.«

»Ah, aber hat sie auch Hirn?«, fragte Honey.

Lindsey zuckte die Achseln. »Irgendjemand muss doch denken, dass sie so viel Geld wert ist.«

»Hm«, murmelte Honey ärgerlich. »Und zwar eine ganze Million!«

Inzwischen wurden weitere Statisten ausgewählt und herangewinkt.

Honey schaute zu. Sie fand es faszinierend: Die Leute verschwanden mit Jeans und Pullovern in dem Wohnwagen und kamen mit Schutenhüten und weich fließenden Kleidern wieder heraus. Es lag ein erbitterter Wettbewerb in der Luft, wer das schönste Kostüm hatte.

»Meines ist aus reiner Seide. Ich bin eine elegante junge Städterin.«

»Ich soll eine Gouvernante sein.«

»Und ich ein Gemüsehöker, was immer das sein mag«, erklärte ein kleiner Mann mit Knollennase und einer Augenklappe.

Honey hatte sich inzwischen damit abgefunden, dass sie wohl als Beobachterin am Rand sitzen bleiben würde, und kuschelte sich tiefer in ihre dicke, mit Vlies gefütterte Jacke.

Ihr war es schnurzpiepegal, dass sie kein weich fließendes Elfenkleidchen tragen würde! Mein Gott, es war Februar!

Plötzlich hörte man lautes Zischen, und blauer Rauch wehte durch die Luft. Alle Nasen wandten sich dem Cateringwagen zu.

»O je, Frühstück«, sagte Honey plötzlich.

»Smudger«, ergänzte Lindsey, ehe sie mit den anderen Kostümierten weggescheucht wurde.

»Genau.«

Als Honey das Telefon aus der kuscheligen Jackentasche zog, wurde ihr erneut bewusst, wie eiskalt es hier war und wie mollig warm es im Green River Hotel wäre.

Also, was soll das denn? Wo ist denn die begeisterte Schauspielerin, die irgendwo tief in dir steckt?, ermahnte sie sich. Das Wichtigste zuerst. Sie musste Smudger, ihren Chefkoch, aus dem Bett klingeln. Die Gäste im Green River Hotel erwarteten ein Frühstück mit Speck, Würstchen und allen Schikanen. Das würden sie wahrscheinlich nicht bekommen, wenn Smudger nicht bald anfing, Eier aufzuschlagen und Speck zu braten.

Smudger hatte versprochen, mit dem Handy auf dem Kopfkissen zu schlafen.

Honey verzog sich an eine Stelle zwischen dem Pferch für die Statisten und dem geheiligten Boden, wo der Regisseurmit der Hauptstarstellerin redete. Es war noch nicht sonderlich hell, und obwohl das Display ihres Mobiltelefons beleuchtet war, brauchte sie doch etwas mehr Licht, um die richtigen Tasten zu drücken.

Sie hatte nicht bemerkt, dass ihre kleine Aktion ein Problem darstellte – bis sie eine schrille Stimme hörte, die die morgendliche Ruhe zerriss.

»Schafft die da sofort weg!«

Honey merkte, dass die Gestalt in zartem Lila, die wie eine Harpyie kreischte, mit dem Finger auf sie zeigte.

Unbeirrt machte sie weiter. Smudger meldete sich schlaftrunken.

»Frühstück!«, verkündete Honey, so laut sie sich traute, und erhielt als Antwort nur ein gedämpftes »Mh«.

»Bist du schon aufgestanden?«

»Gerade dabei.«

Er klang sehr angeschlagen.

»Jetzt ein Bein unter der Zudecke hervorstrecken. Okay? Und jetzt den Fuß auf den Boden setzen.«

Sie hörte ihn stöhnen. »Großer Gott!«

»Was ist denn los?«

»Der Boden ist eiskalt.«

Honey hatte ihre Aufgabe erledigt und klappte das Telefon wieder zu. Smudger stand mit einem Bein auf dem Boden. Wo der rechte Fuß vorangegangen war, würde auch bald der linke folgen.

Martyna Manderley, die mit den Millionen-Fotos, kam mit gerafften Röcken zu ihr herüberstolziert. Unter ihrem Musselingewand trug sie schwarze Leggings und Beinwärmer.

Honey linste auf die polierte Kralle, die wie ein Dolch auf ihr Herz gerichtet war. »Tut mir leid. Ich bin wohl in die falsche Kulisse geraten. Ich war für einen Film über Jane Austen eingeteilt, und nicht für Draculas Tochter«, sagte sie mit einem kleinen Lächeln.

Das fand Martyna überhaupt nicht komisch.

»Geben Sie mir sofort das Telefon!«

Honey verbarg ihre Hand hinter dem Rücken. »Nein. Das ist meins.«

Nun gesellte sich ein Mann mittleren Alters mit Samtbarett und Barbour-Jacke zu ihnen. Er hatte einen meterlangen Pferdeschwanz und drei verschiedene Ringe im rechten Ohr. Er streckte die Hand aus. »Tut mir leid, aber wir erlauben am Set keine Handys.«

»Tut mir auch leid, aber das ist mein Telefon, und wenn ich jemanden anrufen möchte, dann mache ich das.«

Martyna Manderley knurrte wütend, drohte ihr mit dem Finger, der in einem Spitzenhandschuh steckte. Damenhaftes Benehmen war anders. »Anrufen, ich lass mich doch nicht verarschen! Du hast Fotos für irgendein kleines Käseblättchen gemacht, du hinterlistiges Miststück!«

Honey schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Na, na, können wir denn überzeugend unsere Rolle verkörpern, wenn wir solche bösen Wörter benutzen?«

Martynas wunderschönes Gesicht erstarrte zu einer eisigen Maske. Sie kreischte weiter: »Schafft die Frau vom Set, oder ich gehe!«

Der Regisseur wand sich vor Verlegenheit. »Sei doch vernünftig, Martyna.«

»Sie müssten sich ein bisschen abkühlen«, empfahl Honey. »Wie wäre es denn, wenn Sie erst mal die viele Unterwäsche ausziehen würden, die Sie anhaben? Wissen Sie nicht, dass die Mädels damals überhaupt nichts unter den Kleidern getragen haben? Nicht einmal Unterhosen. Das hat mir meine Tochter erzählt. Die kennt sich mit so was aus. Mit Geschichte, meine ich. Nicht mit Unterhosen. Das ist eher mein Ressort. Ich habe eine, die einmal Königin Victoria gehört hat …«

»Schafft die vom Set, verdammt und zugenäht!«

Die Miene des Regisseurs schaltete in zwei raschen Schritten von Überraschung auf Resignation um.

Der ist völlig vom Stress zerfressen, überlegte Honey und bemühte sich, ihm die Lage zu erklären.

»Nur für die Akten: Ich habe meinen Chefkoch angerufen, um ihn aus dem Bett zu holen, damit die Gäste in meinem Hotel ihr Frühstück bekommen.« Sie bemerkte den Tontechniker. »Derek kann das bezeugen. Er wohnt bei mir.«

Der Regisseur schaute zu ihm hin. Wie viele andere im Produktionsteam hatte sich Derek im Hintergrund gehalten. Auch er wagte nur, mit dem großen Mann zu reden, wenn der ihn zuerst angesprochen hatte.

»Das stimmt«, antwortete Derek. »Ich habe gehört, wie Mrs. Driver ihn gebeten hat, für sie die Frühstücksschicht zu übernehmen, und ihm dann versprochen hat, sie würde ihn vom Set aus anrufen, weil man ihn nach all dem, was er gesoffen hatte, wohl von den Toten auferwecken müsste.«

Diese Erklärung schien den Regisseur zufriedenzustellen. »Aha. Aber wir müssen Sie bitten, das Telefon auszuschalten, während Sie am Set sind.«

Martyna Manderley war völlig anderer Meinung. Die Korkenzieherlöckchen, die unter ihrer Haube hervorlugten, hüpften wütend auf und ab.

»Nein, Scheiße noch mal, das finde ich nicht in Ordnung, ihr Ärsche!«

Filmcrew und Statisten verstummten. Alle lauschten aufmerksam der rauen Stimme und den kernigen Flüchen.

Martyna Manderley weckte in Honey die Erinnerung an die schrecklichsten Gäste, die sie je im Green River Hotel gehabt hatte. Gäste mit schlechten Manieren brachten in ihr stets die übelste Seite zum Vorschein.

»Miss Manderley, Sie sind so eingebildet und unhöflich, dass es einen schon graust!«

»Also, Sie …!« Martyna versuchte nach Honey zu schlagen. Der Typ mit dem Pferdeschwanz stürzte zu ihrer Rettung herbei.

»Aber, aber, Martyna. Beruhige dich bitte, nur mit der Ruhe. Du weißt doch, wer wütend ist, kommt nur schwer in die Rolle hinein.«

»Genau«, bestärkte ihn Honey, die entschlossen war, das letzte Wort zu behalten. »Schließlich war Jane Austen zwar eine professionelle Gschaftelhuberin, aber keine professionelle Schlampe!«

Martyna schrie auf und unternahm einen weiteren Versuch, Honey an den Kragen zu gehen. Nun musste ein ganzer Schwarm von guten Geistern aufgeboten werden, die sie umringten und ihr allerlei Gemeinplätze sagten, wie wunderbar sie doch sei und dass sie an ihr Publikum denken müsse.

Honey spürte, wie jemand ihr den Ellbogen in die Seite stupste. Derek, der Tontechniker, grinste übers ganze Gesicht.

»Mann, hab ich das genossen!«

»Ich auch«, antwortete Honey. »Ist die immer so zickig?«

Er nickte und flüsterte: »Die guten Zicken haben vier Beine. Die schlimmsten nur zwei und heißen Martyna Manderley.«

Schon wieder ergoss sich ein blumenreicher Schwall von Flüchen aus dem Mund des Superstars.

»Ihr könnt mich mal am Arsch lecken, alle miteinander. Ich leg mich jetzt hin.«

Der Regisseur wuselte hinter ihr her, eifrig darum bemüht, die aufgebrachte Hauptdarstellerin zu besänftigen. »Martyna, Darling!«

»Du hast es gehört! Ich bin in meinem Wagen! Und ich komme nicht wieder raus, ehe diese Frau da endlich weg ist!«

Schweigend schauten ihr alle hinterher, wie sie mit gerafften Röcken davonstürmte.

Der Regisseur seufzte. »Sie müssen das verstehen, ich habe ohnehin schon genug Probleme. Was halten Sie davon, wenn Sie sich fürs Erste einmal verziehen? Sich einfach zwischen den anderen Statisten verkrümeln?«

»Okay, mach ich.«

Er ging weg, wirkte aber immer noch leidgeplagt. Honey fragte sich, ob er vielleicht deswegen so lange graue Haare hatte, weil er einfach keine Zeit fand, zum Friseur zu gehen.

Sie schaute ihm auch noch nach, als er die Straße überquerte und zu dem Haus ging, das man für die Dreharbeiten angemietet hatte. Sie lauschte aufmerksam auf das, was rings um sie geschah. Sie hörte ihren Nebenmann etwas flüstern. Es klang wie: »Krepier doch wegen mir!« Eine andere Stimme bekräftigte das mit: »Hört, hört!«

»Ich schließe daraus, dass Miss Manderley nicht gerade übermäßig beliebt ist«, sagte Honey zu ihrem Freund, dem Tontechniker.

»Etwa so beliebt wie ein Furunkel am Hintern«, antwortete er und fügte dann grinsend hinzu: »Und wir alle wissen, was man am besten mit einem Furunkel am Hintern macht. Aufstechen – mit einem scharfen Gegenstand.«

Kapitel 2

Martyna Manderley hatte die breiten, eckigen Schultern eines Supermodels und ein Ego, das für eine Frau von gerade mal fünfundzwanzig ein paar Nummern zu groß war. Der rasche Ruhm hatte sie reich gemacht. Er hatte sie auch arrogant werden lassen. Das kann wohl passieren, wenn eine junge Frau sich unbesiegbar fühlt und einen Vertrag mit einer weltberühmten Kosmetikfirma unterschrieben hat.

Courtney, die Maskenbildnerin, tat ihr Möglichstes. Aber es war früh am Morgen, und Martyna Manderley, die heute Jane Austen, die allererste Verfasserin wahrhaft romantischer Literatur, spielen sollte, war maximal zickig.

»Großer Gott! Ich sehe ja aus wie ein verdammtes Scheißgespenst«, fuhr Martyna die Maskenbildnerin an, nachdem sie mit Glubschaugen ihr Spiegelbild betrachtet hatte. »Ich will, dass meine Augen mehr betont werden! Und mehr Rouge!«

Die liebe kleine Courtney, ganze einsfünfzig groß und ein wenig füllig um die Taille, war ein freundliches Schätzchen. Ihre ohnehin schon rosigen Wangen wurden scharlachrot.

»Damals haben sie aber keinen Lidstrich getragen …«

»Das ist mir scheißegal, was die damals gemacht haben. Wir leben heute!« Ihr Ton war kaum freundlich zu nennen, noch viel weniger damenhaft.

»Aber man hat mir gesagt …«

»Es ist mir so was von schnurzpiepegal, was dieser Hohlkopf von Regisseur dir gesagt hat. Ich will einen Lidstrich! Und Rouge!«

»Aber ich kann doch nicht …«

»Her damit!«

Martyna schnappte sich den Lidstrich aus der Make-up-Tasche, die Courtney um die Taille gebunden trug.

»Du wirst doch nicht etwa weinen?«, fragte sie fröhlich, als sie mit dem Stift an ihrem Unterlid entlangfuhr. Mit glitzernden Augen starrte sie auf die unglückliche junge Frau, während sie auch das andere Auge von innen nach außen mit einem Lidstrich umrahmte.

»Du blöde kleine Kuh. Mach schon. Heul doch. Dann kann ich Boris erzählen, wie inkompetent du bist, damit er dich endlich rausschmeißt.«

Sie war höchst erfreut, dass Courtney den Tränen nah war. Die Rolle der fiesen Tyrannin war ihr wie auf den Leib geschrieben. Sie genoss das Gefühl der Macht über die junge Frau, die sie für unterlegen hielt. Wenn sie noch ein wenig weiterstichelte, dann …

Da rauschte mit einem Schwall eiskalter Luft Sheherezade Parker-Henson in den Wagen.

»Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.« Die leitende Maskenbildnerin hatte nun gar nichts Bescheidenes an sich, und ganz sicherlich fürchtete sie sich nicht vor dem von allen anderen verhätschelten Star.

Sie betrachtete Martyna ganz genau, und ihre Kiefer begannen zu mahlen.

»Kein Lidstrich«, blaffte sie und riss dem Star den Stift aus den eleganten, schmalen Fingern. »Das geht gar nicht, dass Jane Austen wie eine schrille Supertussi daherkommt, oder?«

Martyna wandte sich jammernd zu ihr um. »Dann stellt gefälligst eine voll ausgebildete Maskenbildnerin ein und keinen dämlichen kleinen Lehrling frisch von der Schule.«

Sheherezade Parker-Henson war eine der besten Maskenbildnerinnen auf der Szene und bekannt dafür, dass man sie so leicht nicht einschüchtern konnte.

»Hör mit dem Scheiß auf, Martyna. Du weißt, wie die Sache hier steht.«

»Oh, Schezzer …«, winselte Martyna. Sie warf ihr ein flehendes Lächeln zu.

Sheherezade hatte schon seit undenklichen Zeiten mit Schauspielern zu tun. Sie wusste genau, dass ein Lächeln nur aus Zähnen und verkrampften Lippen bestehen konnte. Sieh mich an, bin ich nicht wunderbar? Es konnte einem wie ein Geschenk angeboten oder als Schutzschild benutzt werden, um tiefere Gefühle zu verbergen. Und es gehörte zum Standardrepertoire jedes Schauspielers – ein Gesichtsausdruck, den man im Provinztheater und bei der Royal Shakespeare Company gleichermaßen lernte.

Sheherezade umklammerte die Schultern des Stars mit einem Schraubstoffgriff und drehte sie zum Spiegel hin. »Wie ich schon gesagt habe. Lass den Scheiß. Und nenn mich nicht Schezzer. So dürfen mich nämlich nur meine Freunde nennen.«

Nun übernahm die Schauspielerin in Martyna das Kommando. »Bin ich denn nicht eine von deinen Freundinnen, Schezzer?«

Sheherezade schaute verächtlich auf den langen Finger, der ihr zart über den Arm strich. Ihre Miene wurde säuerlich.

»Nein.« Damit schüttelte sie Martyna ab. »Wenn ich eine Freundin wie dich wollte, würde ich mir ein Haustier zulegen. Eine Schlange vielleicht, oder eine Tarantel.«

Martynas Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden! Ich kann dafür sorgen, dass du rausfliegst. Das weißt du doch, oder?«

Martynas Haar war zu einem Knoten zusammengefasst, an dem man weitere falsche Locken anbringen konnte. Nun packten Sheherezades starke Finger diesen Knoten und zerrten Martynas Kopf zurück. Dann wischte die Maskenbildnerin mit einem feuchten Kosmetiktuch ziemlich unsanft an dem Lidstrich herum, bis sie ihn völlig weggerubbelt hatte.

»Na, dann mach nur. Und ich könnte dir diesen Gefallen fünffach vergelten, das weißt du auch, oder nicht?«

Sheherezades und Martynas Blicke trafen sich im Spiegel.

Courtney war ziemlich übel. Sie bemerkte den Hauch von Drohung, der in der Luft lag, und hatte doch keine Ahnung, was hier eigentlich vorging. Sie trat den Rückzug zur Tür an und tastete vorsichtig nach dem Griff. Als sie endlich draußen stand, lehnte sie sich keuchend an den Wagen und suchte in ihrer Tasche nach dem Inhalator.

»Geht es dir gut?«

Derek Byrne, der Tontechniker, betrachtete sie aufrichtig besorgt.

Sie nickte, während sie inhalierte, als ginge es um ihr Leben. Eins, zwei, drei, vier …

Derek tätschelte ihr die Schulter. »Probleme mit der Bösen Hexe des Westens?«

Sie schaffte es, mit tränenüberströmtem Gesicht zu nicken.

»Mach dir nichts draus. Schezzer wird ihr den Kopf schon wieder zurechtrücken.« Sein Grinsen war ansteckend.

Courtney lächelte zögerlich. Derek hatte recht. Sheherezade Parker-Henson hatte sich im Griff. Und sie hatte Martyna Manderley im Griff.

»Ich … hasse … sie«, japste Courtney zwischen zwei tiefen Atemzügen.

»Tun wir das nicht alle?«, erwiderte Derek.

»Ich dachte, du kommst mit jedem klar«, meinte Courtney.

Sein Grinsen verflog. »Nur mit den Menschen. Und dazu zähle ich Martyna nun wirklich nicht.«

Kapitel 3

Das Telefon klingelte. Martyna riss die Augen auf und stürzte sich darauf. »Ja!«

»Hallo!«

Sie erkannte die Stimme ihres Verlobten Brett Coleridge. Ihr Klammergriff um das Telefon entspannte sich. »Na, sag mal, Schätzchen. Das ist aber eine Überraschung – eine wunderbare Überraschung!«

Die bissige Geierschildkröte hatte sich in eine schnurrende Miezekatze verwandelt. Selbst ihre Augen hatten etwas Katzenhaftes, als sie nun lächelte.

»Ich wollte dich überraschen. Du solltest wissen, dass ich an dich denke.«

»Ach, Brett, das ist ja so cool. Natürlich wäre es noch besser, du wärst hier – wenn du weißt, was ich meine –, aber trotzdem supergut. Ich liebe deine Stimme. Ich liebe deinen Körper, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Sprich mit mir. Mach mich heiß.«

Sie streichelte den Hörer, während sie sprach, und schlug die Beine unter. Verdammt noch mal, dann kam sie eben zu spät für den Dreh dieser Szene. Es geschah Boris ganz recht, wenn er sich wieder aufregte und ein paar Pillen einwerfen musste. Er hätte eben diese Frau mit ihrem Telefon vom Set schmeißen sollen! Die Frau hatte nämlich in Rage gebracht. Boris hatte in Rage gebracht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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