Dreimal Mord für Honey Driver - Jean G. Goodhind - E-Book

Dreimal Mord für Honey Driver E-Book

Jean G. Goodhind

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Beschreibung

Drei Krimis für Honey Driver und Steve Doherty, ein Muss für Freunde des typisch britischen Kriminalromans.

Mord ist schlecht für's Geschäft.

Honey Driver, verwitwet und mit 18jähriger Tochter, leitet ihr eigenes kleines Hotel in Bath. Zudem ist sie die neue Verbindungsfrau des Hotelverbands zur Polizei. Da verschwindet ein amerikanischer Tourist spurlos. Honey nimmt die Ermittlungen auf, die sie bald auf einen Adelssitz führen, auf dem recht befremdliche Dinge vor sich gehen

Dinner für eine Leiche.

BISS - der Wettbewerb für Sterneköche - ist ein großes Ereignis in Bath. Doch der Sieger hat nur kurze Zeit Freude an seinem Erfolg, denn er wird ermordet. Honey ist mehr als froh, dass ihr Koch ein Alibi für die Tatzeit hat ...

Mord zur Geisterstunde.

Bei einem Geisterspaziergang durch Bath verschwindet Lady Templeton-Jones. Wurde die alte Dame von einem bösen Geist ermordet? Bald stellt sich heraus, dass die Lady gar keine Lady war und auch noch andere Geheimnisse hatte ...


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Informationen zum Buch

Drei Teile für Honey Driver und Steve Doherty, ein muss für Freunde des typisch britischen Kriminalromans.

Mord ist schlecht fürs Geschäft

Honey Driver, verwitwet und mit 18jähriger Tochter, leitet ihr eigenes kleines Hotel in Bath. Zudem ist sie die neue Verbindungsfrau des Hotelverbands zur Polizei.

Da verschwindet ein amerikanischer Tourist spurlos. Honey nimmt die Ermittlungen auf, die sie bald auf einen Adelssitz führen, auf dem recht befremdliche Dinge vor sich gehen

Dinner für eine Leiche

BISS – der Wettbewerb für Sterneköche – ist ein großes Ereignis in Bath. Doch der Sieger hat nur kurze Zeit Freude an seinem Erfolg, denn er wird ermordet. Honey ist mehr als froh, dass ihr Koch ein Alibi für die Tatzeit hat.

Ein neuer Fall für Honey Driver und Steve Doherty und ein Muss für Freunde des modernen, aber trotzdem typisch britischen Frauenkrimis.

Mord zur Geisterstunde

Bei einem Geisterspaziergang durch Bath verschwindet Lady Templeton-Jones. Wurde die alte Dame von einem bösen Geist ermordet? Bald stellt sich heraus, dass die Lady gar keine Lady war und auch noch andere Geheimnisse hatte. Ein neuer Fall für Honey Driver und Steve Doherty, das charmante Raubein, in dem es um falsche Adelstitel und Antiquitäten ganz besonderer Art geht.

»Very British, very witzig – very spannend bis zur letzten Seite.« Kieler Nachrichten

Jean G. Goodhind

Dreimal Mord für Honey Driver

Drei Krimis in einem E-Book

Aus dem Englischenvon Ulrike Seeberger

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Mord ist schlecht fürs Geschäft

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Anmerkungen

Dinner für eine Leiche

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Anmerkungen

Mord zur Geisterstunde

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Anmerkungen

Über Jean G. Goodhind

Impressum

Weitere E-Books der Autorin …

Kapitel 1

»Mord, Raub und ähnliche Schrecken sind in unserer schönen Stadt um jeden Preis unter Kontrolle zu bringen, mein liebes Mädchen: Dafür haben wir Sie eingestellt.«

Hannah Driver, von ihren besten Freunden und Bekannten Honey genannt – außer natürlich von ihrer Mutter, die sich etwas darauf einbildete, alles anders zu machen als der Rest der Welt –, schaute Casper St. John Gervais ungläubig an. Elegant, exzentrisch und schrecklich tuntenhaft war er, aber auch ein bisschen verrückt?

»Ich? Wieso ich?«

»Sie haben damit Erfahrung, meine Liebe!«

»Ich bin doch kein Polizist … keine Polizistin«, berichtigte sie sich.

»Wir – also, der Hotelverband – möchten Sie als Verbindungsperson zur Polizei einsetzen. Meine Liebe, Sie wissen doch, wie sehr der schlechte Ruf einer Stadt dem Tourismus schaden kann. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Verbrechen schnell bearbeitet und aufgeklärt werden. Sie haben sicher auch ein Interesse daran, dass Ihre Zimmer belegt sind. Außerdem habe ich irgendwo gehört, dass Sie früher mit Kriminellen gearbeitet haben.«

»Ja, ich war beim Bewährungsdienst – allerdings im Büro.«

»Genau.«

»Casper, ich habe da die Berichte der Bewährungshelfer getippt. Das ist im Großen und Ganzen nur eine Zusammenstellung aller Umstände und Entschuldigungen, warum man den jeweiligen Mandanten nicht einlochen und dann den Schlüssel wegwerfen sollte.«

Caspers Adlernase war am Sattel ungeheuer schmal und verbreiterte sich zu den Nasenflügeln hin stark. Wenn er einen anstarrte, schienen seine Augen sehr eng beieinanderzustehen. Gerade blähten sich seine Nasenlöcher gewaltig.

»Aber Sie sind unsere einzige Hoffnung, meine Liebe. Sonst hat niemand im Verband einschlägige Erfahrungen. Denken Sie nur, wie viel Gutes Sie tun könnten … hm?«

Honey erinnerte sich vage daran, dass sie diesem Vorschlag neulich abends zugestimmt hatte. Casper war bei der Jahresversammlung des Hotelverbands von Bath damit an sie herangetreten. Wie üblich hatte sich an den langweiligen Geschäftsteil eine Party angeschlossen – eine ziemlich große Party sogar.

Die Getränke hatte ein bekannter Weinimporteur spendiert, ein örtlicher Restaurantbesitzer das Essen. Honey hatte einen unverzeihlichen Fehler begangen: Sie war zu früh gekommen und hatte die ganze Hauptversammlung durchleiden müssen. Die meisten anderen Mitglieder kamen erst, als der offizielle Teil schon zu Ende war. Ein, zwei Gläser australischer Shiraz hatten ihr die Langeweile ein wenig gemildert. Vielleicht war sie sogar eingeschlafen? Geschnarcht hatte sie wohl nicht – glaubte sie zumindest.

Casper hatte die Lage ausgenutzt. Er hatte ihr ins Ohr geflüstert: »Ich garantiere, dass es nicht zum Schaden des ›Green River Hotel‹ sein wird, wenn Sie meinen Vorschlag annehmen.«

Schwach erinnerte sie sich an dieses Versprechen. Die Renovierung einiger Zimmer im »Green River« hatte ihr Bankkonto gewaltig in die roten Zahlen getrieben. Honey war wirklich nicht auf Rosen gebettet, seit sie in dieser schönen Stadt ein Hotel führte. Zumindest hatten diese Rosen reichlich Dornen. Also klangen ihr Caspers Worte honigsüß in den Ohren. So ein Mist!

Lindsey, ihre Tochter, die ihrer Meinung nach viel zu gesetzt für ihr Alter war, sprach ein paar tröstende Worte, als sie ihr davon erzählte.

»Entspann dich, Mama. Sieh die Sache mal positiv. Das könnte doch deinem Leben ein bisschen Würze geben. Du musst einfach mehr unter die Leute kommen.«

Honey schaute Lindsey zu, die in der Bar aufräumte und dann abschloss.

»Ziehst du morgen Abend durch die Nachtklubs?«, fragte sie.

Donnerstagabend hatte Lindsey immer frei.

Ihre Tochter schüttelte die brünetten Locken. »Nein, ich gehe in ein Konzert in der Abteikirche.«

»Pop?«, erkundigte sich Honey hoffnungsvoll.

»Nein, mittelalterliche Musik für Laute und Leier.«

»Großer Gott, du bist so was von wild, Kind! Als ich achtzehn war …«

»Warst du völlig von der Rolle.«

»Wer hat dir denn das erzählt?«

»Oma.«

»Die hat’s nötig …«

Lindsey drückte ihrer Mutter einen Kuss auf die Stirn. »Ich geh jetzt ins Bett. Mach dir keine Sorgen. Wie gesagt, du könntest ein bisschen Würze in deinem Leben gebrauchen.«

Das bisschen Würze kam genau zur falschen Zeit. Honey liebte Auktionen, besonders wenn es dabei schöne alte Klamotten zu ergattern gab. Und heute waren jede Menge unter den Hammer gekommen.

Ihre Sammlung von Kleidungstücken aus vergangenen Zeiten hielt sie bei Verstand. Wenn sie darüber nachdachte, wer wohl diese Handschuhe, diese Knöpfstiefelchen, dieses spitzenverzierte Hemd getragen haben mochte, vergaß sie eine Zeitlang, dass die Wäscherei zwei Dutzend Tischdecken verlegt hatte oder dass die Flitterwöchner von Zimmer drei die Sprungfedern in ihrem Bett dauerhaft ruiniert hatten.

Honey besaß eine kleine, aber höchst interessante Sammlung von Spitzenhandschuhen, Seidenstrümpfen, Strumpfbändern und einigen sehr aufreizenden Dessous. Heute hatte sie das große Los gezogen. Sie hätte noch mehr ersteigert, hätte nicht Casper angerufen.

»Ihr erster Fall«, sagte er. Seine Stimme am anderen Ende der Leitung klang blechern. Ringsum war die Auktion in vollem Gange.

»In Ordnung«, antwortete sie, ein Auge auf den Auktionator und das viktorianische Korsett gerichtet, das gerade an der Reihe war: Fischbein und Spitze und für eine Wespentaille gemacht, die weniger Umfang hatte als heutzutage ein Oberschenkel.

Honey sabberte beinahe vor Begierde.

»Wo sind Sie? Sind Sie in der Nähe?«

Honey blickte sich verstohlen um. Sollte sie lügen?

»Die Wahrheit, meine Liebe«, sagte Casper, als könne er Gedanken lesen.

»Ich bin in Jolly’s Auktionshaus.«

»Gut. Um spätestens halb zwölf sind Sie hier.«

Mit »hier« meinte er sein Büro. Er legte auf, und das Knacken knallte wie ein Pistolenschuss. Casper ließ sich ungern mit einem »Nein« abspeisen.

Und das Korsett?

»Zum Dritten!«

Verzweifelt winkte sie dem Mann auf dem Podest zu.

»Tut mir leid, gnädige Frau. Zu spät.«

Verdammt! Es war ein so hübsches kleines Korsett gewesen, roter Satin mit schwarzem Spitzenbesatz. Ganz bestimmt französisch. Ganz bestimmt aufreizend.

»Aber nicht für dich bestimmt«, murmelte sie vor sich hin, als sie sich einen Weg durch Händler, Schaulustige und Schnäppchenjäger bahnte.

Auf dem Weg nach draußen blickte sie auf die Uhr.

Erst musste sie noch ihre Rechnung bezahlen und ihre neueste Errungenschaft abholen. Die war riesig, passend zum Preis.

»Die ist aber nicht für Sie, Mädel?« Der Mann an der Kasse grinste.

Alistair war ein bulliger, zotteliger Schotte.

»Doch! Ich mach mir ’n Zelt draus!«

Vor der Tür stopfte sie den viktorianischen Liebestöter in ihre marokkanische Ledertasche. Angeblich hatte diese Riesenunterhose einmal Königin Viktoria gehört – daher der Preis. Die Tasche war geräumig, aber der Liebestöter war geräumiger. Wie ein Fähnchen flatterte ein Zipfel von einem baumwollenen Unterhosenbein aus der offenen Tasche hervor.

Als Honey am Pump Room vorüberging, brach die Sonne durch die Wolken und ließ die elegante Fassade in warmem Honiggold aufleuchten. Drinnen spielte ein Streichquartett den Leuten Händel vor, die da saßen und aus echten Porzellantassen Tee aus echten Teeblättern tranken und echte Schlagsahne aßen, die aus schottischen Scones und pappsüßen Krapfen troff. Die Musik schwebte durch die Luft, aber die Wogen von Honeys aufgewühlten Gefühlen konnte sie nicht glätten.

Die ärgerte sich, dass ihr das Korsett durch die Lappen gegangen war. Roter Satin! Und über hundert Jahre alt! Was für eine Rarität!

Verdammt sollte er sein, dieser Casper St. John Gervais! Wenn er nicht darauf bestanden hätte, dass sie sofort zu ihm käme, Punkt halb zwölf, dann würde das Korsett jetzt ihr gehören!

Es hätte ihr sogar gepasst.

Na ja, vor zehn Jahren vielleicht. Sie lächelte leise vor sich hin. Jetzt musst du dich als wohlgerundet bezeichnen, meine Liebe, nicht mehr als schlank. Doch hatte anderseits heutzutage nicht jede Frau eine Taille jenseits der viktorianischen 18 Zoll?

Im Stadtzentrum von Bath herrschte geschäftiges Treiben. Das war im Juni nicht anders zu erwarten. Vor den Büros, Banken und Läden quollen die Hängekörbe vor prächtigen Geranien über. Ranken von buntblättrigem Efeu und dunklem Blaukissen schmückten die Laternenmasten. Sobald einmal die Sonne herauskam, erstrahlten die elegant geschwungenen Fassaden der Straßen und Plätze aus der Regency-Zeit1 beinahe primelgelb.

Monat für Monat kamen Touristen aus aller Welt angereist, bestaunten die römischen Bäderanlagen, verschlangen die gigantischen Buns, die in »Sally Lunn’s Teashop« angeboten wurden, und ließen sich vor der Abteikirche, im Royal Crescent oder am Ende der Pulteney Bridge fotografieren.

Touristen waren das Lebenselixier der Stadt, der Dünger, der zur Blüte der alten und denkmalgeschützten Gebäude geführt hatte, die man in Hotels, Restaurants und Pensionen umgewandelt hatte.

Als Honey beim Hotel »La Reine Rouge« angelangt war, einem eleganten Gebäude oberhalb der Pulteney Bridge, nur wenige Fußminuten von den Römischen Bädern entfernt, hatte sie das Gefühl, sich durch eine Menschenmenge aus aller Herren Länder gepflügt zu haben.

Das »La Reine Rouge« war innen noch eleganter als die Fassade vermuten ließ, hauptsächlich dank des vorzüglichen Geschmacks seines Besitzers und Managers und dank einer eklektischen Mischung von Antiquitäten, Farben und geschmackvoller Beleuchtung.

Honey tätschelte den Arm einer mit Turban bekrönten Statue, einer von zwei in Purpurrot, Schwarz und Gold gefassten Figuren, die den Eingang bewachten.

»Hallo, Jungs! Ist der Boss zu Hause?«

Neville, ein echter, lebendiger Bursche mit wasserstoffblondem Haar und einer burgunderroten Weste mit goldener Uhrkette, beantwortete ihre Frage.

»Er wartet schon auf Sie, Süße. Die Maniküre ist bei ihm drin. Er ist furchtbar aufgeregt, wissen Sie, nach allem, was geschehen ist.«

Sie schnappte nach Luft. »Geschehen? Er wird sich doch nicht einen Fingernagel abgebrochen haben?«

Neville grinste. »Böses Mädchen, Honey.« Er wandte seine ungeteilte Aufmerksamkeit wieder den drei weißen Lilien zu, die er in einer hohen grünen Vase zu arrangieren versuchte. Sie schienen sich nicht so gruppieren zu lassen, wie er das gern gehabt hätte, also fing er noch einmal von vorn an.

»Nur wenn mich die Versuchung übermannt. Ich habe mir sagen lassen, Neville, dass Sie auch ganz schön böse sein können, wenn die Versuchung Sie packt.«

Neville errötete. »Ach, hören Sie auf, mich aufzuziehen, Honey. Das machen Sie doch absichtlich.«

Gerade in diesem Augenblick schlug eine Standuhr auf einem dicken türkischen Läufer die halbe Stunde.

Die Blumen waren wirklich sehr widerspenstig. »Ach, Mist!« Nevilles Wortschatz war so zart wie seine äußere Erscheinung.

Honey zog eine Augenbraue in die Höhe. Neville schien ungeheuer aufgeregt zu sein. Casper war das nie, und außerdem sah er immer aus wie aus dem Ei gepellt, überlegte sie und schnitt eine Grimasse. Sie schaute auf ihre Fingernägel hinunter. Der Lack war abgeblättert. Was hätte man anderes erwarten sollen? Chefin eines Hotels zu sein, das bedeutete, dass man einspringen musste, wenn der Geschirrspüler streikte oder Zimmermädchen einfach nicht zum Dienst erschienen. Sie versteckte die Hände in den Hosentaschen. Dann ging sie über den mit dicken Teppichen ausgelegten Flur und die Treppe hinunter zu Caspers Büro.

Früher einmal hatten sich die Weinkeller unter dem »La Reine Rouge« über die ganze Länge des Hauses erstreckt. Nachdem die Bauarbeiter mit der Grundrenovierung fertig waren, hatte Casper diesen Bereich zu Büros für sich und seine Angestellten umgewandelt und die frisch verputzten Wände mit teurem Rupfen in einem üppigen Siennarot bespannen lassen. Die Einrichtung bestand aus minimalistischen Sitzmöbeln, Bücherschränken mit Glastüren aus georgianischer Zeit und Ethnokunst. Oh, und aus Uhren natürlich. Casper liebte Uhren. Sie waren überall zu finden: Wanduhren, große und kleine Standuhren, ausgefallene Skelettuhren, Kaminuhren, Reiseuhren – und alle tickten fröhlich im Takt. Sie schlugen sogar im Takt. Darauf bestand Casper. Er hasste Unordnung.

»Kommen Sie herein, meine Liebe«, rief Casper mit glockenklarer Stimme.

Als Honey eintrat, polierte die Maniküre Casper St. John Gervais gerade den Nagel am kleinen Finger der rechten Hand. Sobald sie damit fertig war, gab er ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie sich entfernen solle. »Kommt Zeit, kommt ein anderer Finger«, sagte er mit einem gezierten Lächeln.

Die Maniküristin huschte aus dem Zimmer, zweifellos zu Neville, der die Rechnung begleichen würde. Caspers empfindsamer Patriziergeist ließ sich einfach nicht mit etwas so Plebejischem vereinbaren, wie tatsächlich Geld in die Hand zu nehmen.

Er saß auf einem mit honiggelbem Leder bezogenen Stuhl hinter einem Mahagonischreibtisch, der gut und gern einmal Tennyson oder Wordsworth gehört haben mochte. Casper liebte Gegenstände, die eine besondere Herkunft, eine eigene Geschichte und Beziehungen zu Berühmtheiten hatten. Er liebte Auktionen mindestens so sehr wie Honey, wenn er auch Mahagonikommoden den langbeinigen Baumwollunterhosen vorzog, die sie favorisierte.

Honey lächelte ihn an und schaltete auf Schmeichelmodus um. »Blendend sehen Sie aus, Casper, wie immer.«

»Vielen Dank, meine Liebe.« Casper, die Primadonna des Hotelgewerbes, mochte Schmeicheleien. Er sprach wie Noël Coward auf der Höhe seines Ruhmes, sah aber eher wie eine muskulöse Version von Randolph Scott aus.

Während Honey vor ihm stand, zog er einen Staubwedel aus einer Schublade und begann, den imaginären Schmutz wegzufächeln, den die Maniküre hinterlassen hatte. Casper hasste Staub und Schmutz. Sein Hotel, sein Büro und seine Person waren stets makellos sauber.

»Ich nehme an, Sie haben die Neuigkeiten bereits gehört, also werde ich nicht zu sehr ins Detail gehen. Wir werden Ihre Dienste schon viel früher als erwartet in Anspruch nehmen müssen.«

»Eigentlich, äh, hätte ich so viel zu tun …« Sie kam gar nicht dazu, zu erklären, dass der Geschirrspüler wieder einmal Zicken machte oder dass ein Pärchen aus Leicester zum Fenster hinausgeklettert war, ohne die Rechnung zu bezahlen. Verflixt! Hätte sie die beiden doch nur im dritten Stock einquartiert. Da hätten sie ein Problem gehabt!

Casper ignorierte ihren Einwurf und kam noch einmal auf das Treffen des Hotelfachverbands zurück. »Sie werden sich vielleicht erinnern, dass die Versammlung einstimmig beschlossen hat, eine Verbindungsperson einzusetzen, die mit der Polizei Kontakt hält, mit denen auf Augenhöhe reden und uns auf dem Laufenden halten soll. Angesichts Ihrer Erfahrung waren wir uns einig, dass Sie die Richtige für diesen Job wären.«

»Ja, ein bisschen Schreibarbeit, ein paar Treffen mit der Polizei und ein bisschen Information über Zimmerbelegung«, ergänzte sie fröhlich.

»Ich denke, für das Problem, von dem ich heute Morgen erfahren habe, brauchen wir einen etwas praktischeren Ansatz.«

»Praktischer? Was meinen Sie damit?«

Nachdem Casper seinen Staubwedel wieder in der obersten rechten Schreibtischschublade verstaut hatte, schnippte er sich noch mit einem seiner eleganten Finger ein imaginäres Stäubchen von der Schulter – das zu klein war, als dass Honey es hätte wahrnehmen können, obwohl sie angestrengt die Augen zusammenkniff.

»Damit, meine Liebe, meine ich, dass ein wenig Detektivarbeit angeraten scheint. Ich glaube, Sie könnten das sehr gut – besser als die Polizei jedenfalls. Sie wissen doch, wie langsam die oft sind. Aber denen binden ja auch die europäischen Richtlinien und der Menschenrechtsgerichtshof Hände und Füße.« Sein Gesicht wurde vor lauter Ernst ganz starr. »Ich – wir – wollen Ergebnisse sehen, Honey. Schnelle Ergebnisse.«

Sie sah sich vor ihrem geistigen Auge von Tür zu Tür gehen, wie es die Polizei auf der Jagd nach Tatzeugen machte, sah sich Räuber in ihren Höhlen aufstöbern – vielleicht sogar im benachbarten Bristol. Diesen aufregenden Nervenkitzel trübte nur ein Gedanke: Wie sollte sie bulligen Schlägertypen mit gewaltigen Muskelpaketen entgegentreten?

Sie protestierte laut, und dieser unerwartete Wortschwall kam aus tiefster Seele. »Aber, Casper, ich habe schon einen Job … Ich habe ein Hotel zu leiten, und ich glaube nicht …«

»Wie Sie sich vielleicht erinnern«, fuhr Casper unbeirrt fort, »waren wir uns alle einig, dass Verbrechen die größte Bedrohung für unsere Besucherzahlen sind. Diese unsere honigfarbene Stadt, der Aufenthaltsort von Jane Austen, Beau Brummell und … und … und …« Er erhob auf der Suche nach weiteren Berühmtheiten die Augen zur Decke.

»Jane Seymour?«, schlug Honey hilfreich vor.

Er runzelte fragend die Stirn. »Hat die hier gelebt? Ich wusste gar nicht, dass die Tudors uns auch mit ihrer Gegenwart beehrt haben.«

»Nein, nicht die Frau Heinrichs VIII. Ich meine die Schauspielerin – Sie wissen schon: Dr. Quinn, die Ärztin aus Leidenschaft?«

Er glotzte sie an wie Paddington Bär, der Liebling aller Kinder, mit starren, glasigen und verständnislosen Augen. »Wie ich schon sagte, jemand mit Ihrer Erfahrung …«

»Das war aber nicht besonders …«

»Die Sache hat natürlich auch ihre Vorteile. Sie erinnern sich doch daran, dass ich das erwähnt habe?«

Ihr Mund stand offen, die Lippen formten noch ein halb ausgesprochenes Wort.

»Ja. Das haben Sie gesagt.«

Das Herz klopfte ihr im Leib. War dies die Erfüllung all ihrer Träume? Das wollte sie doch hoffen.

»Wie ich Ihnen erklärt habe, ist es natürlich nur recht und billig, dass Sie für die Zeit, die Sie auf diese Aufgabe verwenden, auch irgendwie entschädigt werden.«

Er schlug eine in Leder gebundene Mappe auf, die vor ihm auf dem Tisch lag. »Ich erinnere mich deutlich, dass Sie erwähnten, jemand hätte eine Gruppenbuchung storniert und Sie hätten Kapazitäten frei. Könnten Sie acht Zimmer für mehr oder weniger sofortige Belegung zur Verfügung stellen?«

Jetzt funktionierte ihre Stimme wieder. »Wann?«

»Am zehnten?«

»Augenblick.« Das Atmen fiel ihr schwer. Die Finger versagten ihr den Dienst. Diese Sorte Ergebnis brachte Geld aufs Konto. Ohne die Folgen zu bedenken, wuchtete sie ihre übergroße Schultertasche auf die lederbezogene Schreibtischplatte.

»Sofort runter damit!« Casper sprang hoch, zog die rechte obere Schreibtischschublade auf und brachte erneut den Staubwedel zum Vorschein. Auf seinem Gesicht zeichnete sich gekränkte Empörung ab. »Ist Ihnen klar, dass dieser Schreibtisch einmal Lord Berkeley gehört hat?«

Also nicht Wordsworth oder Thackeray!

Der Staubwedel war robust genug, um ihre Tasche auf den Boden zu fegen, doch zuvor hatte sich bereits die antike Unterhose wie eine Nebelwolke auf dem Schreibtisch ausgebreitet.

Caspers hochgezogene Augenbraue geriet in Gefahr, über die glänzende Stirn noch weiter nach oben zu rutschen. Mit zitterndem Finger deutete er auf den Gegenstand auf seinem Schreibtisch und würgte hervor: »Was – ist – das?«

Honey murmelte vage, das Ding hätte einmal Königin Viktoria gehört und sei ein Sammlerstück und … »Wo zum Teufel ist mein Terminkalender?«

Während sie in der Tasche wühlte, hob Casper die Unterhose hoch. Seine Augen waren tellergroß, er hielt das Taillenband vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und schaute mitten durch ein Kleidungsstück, das einmal ungeheuer zugig gewesen sein musste.

»Tut mir leid, Casper, ich kann ihn einfach nicht finden … Ah, da ist er.«

Ihre Gedanken waren aufs Geschäftliche gerichtet. Das hier war eine ernste Angelegenheit – insbesondere, da es um Buchungen ging. Als sie endlich so weit war, schaute sie zu ihm hin.

Sie konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Mit einem Gesichtsausdruck zwischen Abscheu und höchstem Respekt ließ Casper den Liebestöter wieder auf den Schreibtisch fallen, behielt aber seine Hände auf Schulterhöhe.

»Was für ein überaus grauenhaftes Kleidungsstück! Das könnte ja mit dieser Größe durchaus als Hauptsegel auf einer anständigen Yacht dienen!«

»Also, wie waren noch gleich die Daten?«

Seufzend, als wäre das Leben plötzlich furchtbar schwierig geworden, wiederholte Casper die Zahlen.

Honey schaute in ihrem Terminkalender nach. Am zehnten verlief ein hässlicher Schrägstrich quer über die ganze Seite. Jemand hatte storniert, und zu dieser Jahreszeit hätte sie dieses Zimmer mehrfach vergeben können. »Kein Problem!« Ihr Gesicht war leicht gerötet. »Wie viele Zimmer, sagten Sie?«

»Acht! Allerdings alles Einzelzimmer.«

Einzelzimmer! Nur zwei Drittel vom normalen Preis, aber he, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Und sie hatte es wirklich nötig, seit sie das Dachgeschoss ausgebaut hatte und beim Filialleiter ihrer Bank inzwischen nur noch auf taube Ohren stieß.

Casper reichte ihr den Brief und das Reservierungsformular. »Bitte sehr. Wie gesagt, ich finde, es ist nur recht und billig, dass sich diese zusätzlichen Pflichten für Sie irgendwie auszahlen. Wir dürfen einfach nicht zulassen, dass sich das Verbrechen bei uns genauso einnistet wie überall anderswo in der westlichen Welt. Wir müssen unser Image wahren.«

»Ganz zu schweigen von unserem Kontostand und Lebensstandard«, murmelte Honey, die immer noch etwas in ihren Terminkalender kritzelte.

»Genau. Die Leute erwarten einen gewissen Standard. Das Ambiente, den Service und die persönliche Sicherheit, mit denen man rechnen kann, wenn man sich in …«

Wieder schweifte sein Blick zur Zimmerdecke, während er nach dem richtigen Wort suchte.

»Disneyland aufhält?«

»Genau! Deswegen kann eine Verbindungsperson zur Polizei für uns nur nützlich sein!«

»Oh, ich bin ganz Ihrer Meinung.«

Natürlich – zumindest jetzt. Allerdings sah sie die Sache ein bisschen anders. Es war phantastisch, so auf einen Schlag acht Zimmer zu belegen. Die Alternative wäre gewesen, Gäste vom Touristenbüro vermittelt zu bekommen. Die zahlten einen niedrigeren Preis und würden auch nur hereintröpfeln.

Nachdem sie das Anmeldeformular zusammengefaltet und in ihrem Terminkalender verstaut hatte, schnappte sich Honey das entfleuchte Dessousteil und stopfte es wieder in die Tasche. »Also, wer wurde überfallen, übers Ohr gehauen oder mit einem falschen Kanarienvogel beschissen?«

Der Vorsitzende des Hotelfachverbands von Bath schien ein wenig starr vor Staunen. Auf Caspers Prioritätenliste für wünschenswertes Wissen rangierte Straßenslang ziemlich weit unten. Wenn jemand einen von oben herab anschauen und einem das Gefühl vermitteln konnte, man hätte die ganze vergangene Nacht lang seinen Körper auf den Straßen der Stadt feilgeboten, dann war das Casper.

»Ich bin nicht sicher, ob Sie sich des Ernstes der Lage hinreichend bewusst sind.« Seine Stimme klang sonor wie der Stundenschlag der Standuhr am Empfang.

Honey überkam ein wohlig warmes Gefühl. Sie hatte bei der Auktion ein phantastisches Teil ergattert. Wenn sie ins Hotel zurückkehrte, würde wahrscheinlich der Wartungsmann die Spülmaschine repariert haben, und die Zimmer, von denen sie angenommen hatte, sie müssten leerstehen oder billig abgegeben werden, waren nun wieder belegt. Jetzt ging es nur noch darum, diesen Job zu erledigen, den ihr Casper angehängt hatte. All zu schwierig konnte ihr erster Auftrag doch sicher nicht werden?

»Also, wo liegt das Problem?«

Casper senkte die Augen, damit sie seine Gedanken nicht daraus ablesen konnte. Da beschlich sie zum erstenmal ein ungutes Gefühl an diesem ansonsten so fruchtbringenden Morgen. »Leider ist ein amerikanischer Tourist verschwunden. Wohlgemerkt, nicht aus einem unserer eleganteren Etablissements. Aus unerfindlichen Gründen hat er sich entschlossen, in einem Bed & Breakfast an der Lower Bristol Road abzusteigen.« Casper spuckte die Worte »Bed & Breakfast« aus, als wären es faule Zähne.

Egal. Honey war das gleichgültig. Sie klammerte sich weiterhin an das wohlig warme Gefühl und zuckte die Achseln. »Sind wir da sicher? Könnte es nicht einfach sein, dass er früher nach Hause gereist ist oder etwas so Ungewöhnliches wie eine Reise nach Wales gemacht hat?«

»Sein Gepäck ist noch da.«

»Oh.«

»Und sein Pass.«

Casper legte die Finger zu einem spitzen Turm zusammen und beugte sich vor. Er sprach leise, beinahe geheimnisvoll. »Wir wollen uns selbst um diese Sache kümmern, ja? Ehe wir zur Polizei gehen.«

»Das halte ich für keine gute Idee.«

Er warf ihr einen warnenden Blick zu, und schon begannen die acht Personen in den Zimmern sich in Luft aufzulösen.

Sie lächelte so starr, dass ihr die Zähne weh taten. »Bei näherer Betrachtung haben Sie wohl Recht. Ich schau mal, was ich machen kann.«

Kapitel 2

Casper war damit einverstanden, dass sie zuerst im »Green River Hotel« nach dem Rechten sah, ehe sie sich um den Fall des verschwundenen Touristen kümmerte.

Anna, eine junge Tschechin, hatte Dienst am Empfang.

»Alles in Ordnung?«, fragte Honey.

»Bestens, Mrs. Driver. Geht es Ihnen auch gut?«

»Ja. Ich bin unter die Amateurdetektive gegangen.«

»Das ist aber schön für Sie. Bekommt das Hotel dann einen extra Stern?«

Nein, um ein Qualitätsmerkmal ging es hier nicht, aber Honey hatte keine Lust, ihr das alles zu erklären. »Und ich habe die Unterhose von Königin Viktoria gekauft.«

Annas große braune Augen buchstabierten non comprende. Honey hatte das Gefühl, es wäre dem Mädchen wesentlich lieber gewesen, wenn das Hotel einen weiteren Stern bekommen hätte. Würde sich wahrscheinlich in ihrem Lebenslauf besser machen.

»Ach, egal.«

Honey marschierte in die Küche und wurde vom Geräusch der Geschirrspülmaschine begrüßt, die vor sich hin brummte. Prima! Das hieß, sie konnte ein paar Sachen erledigen, ehe sie dem »Ferny Down Guest House« einen Besuch abstattete, in dem der amerikanische Tourist abgestiegen war. Sie warf dem Geschirrspüler einen verstohlenen Blick zu. Er ging regelmäßig kaputt. Sie sprach leiser, falls die verdammte Maschine sie hörte und beschloss, widerborstig zu sein.

»Fertig?«, fragte sie Smudger Smith, den Chefkoch.

»Fertig«, erwiderte er, ohne aufzublicken.

Er machte sich an einer Wanne mit Fleisch zu schaffen, das gerade frisch vom Metzger geliefert worden war. Er war sehr pingelig: Die Steaks mussten genau mit der richtigen Menge Fett marmoriert sein, sonst taugten sie seiner Meinung nach nur als Hundefutter.

Die Geschirrspülmaschine gurgelte fröhlich weiter wie ein munteres Bächlein.

Honey seufzte. »Gott sei Dank dafür!«

Smudger schaute über die Schulter. »Ihre Mutter ist hier.«

»Dafür allerdings nicht!«, murmelte sie, während ihre Füße bereits in Richtung Bar sprinteten.

Honeys Mutter hatte eine eigene Wohnung in den Squires Mews, Nummer 2, gleich hinter dem Theatre Royal. Das hielt sie aber nicht davon ab, ständig unangemeldet im Hotel aufzutauchen und ihnen ihre Mitarbeit aufzudrängen. Manchmal war sie eine Hilfe, meistens allerdings eher lästig.

»Hannah!«

Honeys Mutter war einer der wenigen Menschen, die sie noch immer Hannah nannten, aber nur, wenn sie ihr etwas Ernstes mitzuteilen hatte – oder zumindest etwas, das sie für Ernst hielt.

Honey schaffte es gerade noch rechtzeitig in die Bar. Die klappernden Stöckelpantoletten ihrer Mutter näherten sich erbarmungslos.

»Hannah, komm raus aus diesem Sündenpfuhl! Ich möchte mit dir reden …«

»Tut mir leid, Mutter, ich habe noch was sehr Wichtiges für den Hotelfachverband zu erledigen.«

Die Tür im hinteren Bereich der Bar bot Honey eine schnelle Fluchtmöglichkeit. Ihre Mutter war zwar katholisch, hegte aber eine Abneigung gegen Alkohol, die jeden Methodisten in den Schatten gestellt hätte – vielleicht weil ihr Gatte, Honeys Vater, ihn so gemocht hatte. Niemals hätte sie die Bar betreten.

Lindsey hatte dieses Problem nicht. Honeys Tochter füllte gerade Fruchtsaft nach. Sie grinste.

»Oma hat schon gehört, dass du neuerdings Privatdetektivin bist. Sie glaubt, du fängst jetzt was mit einem Polizisten an, schlägst dir die Nächte in Bars um die Ohren und besäufst dich ständig.«

Honey zog eine Grimasse. »Ich verbringe ohnehin meist die ganze Nacht in der Bar und trinke. Schließlich habe ich ein Hotel!«

»Oma meint, du hast kein sonderliches Talent dafür, den richtigen Mann zu finden. Sie überlegt, ob sie einen für dich suchen soll.«

Honey senkte die Stimme: »Deine Oma denkt da an den Typ Mann mit einem gutgehenden Geschäft und der Persönlichkeit eines Goldhamsters.«

Lindsey grinste. »Und du?«

Honey wedelte vage mit der Hand. »Ich sag mal breite Schultern?«

»Guter Anfang.« Jetzt flüsterte Lindsey: »Los, hau ab. Ich denk mir eine Entschuldigung aus.«

Honey küsste ihre Tochter auf die Wange. »Hab ich dir je gesagt, dass du die beste Tochter der Welt bist?«

Lindsey tat so, als dächte sie darüber nach. »Nur, wenn ich dich nicht um eine Gehaltserhöhung bitte.«

»Braves Mädchen.«

»Um drei Uhr morgens, wenn ich durch die Klubs gezogen bin, nennst du mich nie so.«

Honey warf Lindsey einen leidenden Blick zu.

»Mh!« Sie wuschelte ihrer Tochter durch das kurzgeschnittene brünette Haar. »Du machst das einfach nicht oft genug.«

Die Tür fiel leise hinter Honey ins Schloss. Der Wagen startete auf Anhieb. Und obwohl er in einer winzigen Parklücke klemmte, hatten die beengten Verhältnisse in Bath ihre Fahrkünste so verfeinert, dass sie das Auto leicht aus der Lücke manövrierte und sich auf den Weg ans andere Ende der Stadt machte. Das sah doch alles schon ganz ordentlich aus.

Jetzt, mitten am Nachmittag, war der Verkehr nicht sonderlich dicht. Honey hielt sich auf der inneren Ringstraße knapp am Stadtzentrum, bog dann in Richtung Wellsway ein, hielt sich rechts und fuhr gleich wieder links in die Bristol Road.

Früher einmal hatten sich hier entlang des Flusses Betriebe der Schwerindustrie, Schrottplätze und Brachflächen hingezogen. Die waren inzwischen schicken Eigentumswohnungen in ehemaligen Lagerhäusern, eleganten Büros und begrünten Parkplätzen gewichen. Die andere Straßenseite war unverändert geblieben – dort reihten sich viktorianische Villen aneinander, von denen einige auf Werbetafeln »Bed & Breakfast« anboten.

Das »Ferny Down Guest House« war eines davon. Hier hatte jemand die Regel beherzigt, dass ein Haus schon von der Straße her Aufmerksamkeit erregen sollte. So heruntergekommen war die Pension gar nicht. Überall hingen Pflanzkörbe voller Blumen in Violett, Mauve und Rosa, vom Erdgeschoss bis zur Dachrinne, und verdeckten ein wenig die schmutzige Fassade. Honey fand einen Parkplatz zwischen einem Lieferwagen, der eine Teppichreinigung anpries, und einem städtischen Müllwagen.

Die Pension hatte keinen Vorgarten. Eine niedrige Ziegelsteinmauer fasste eine mit rot glasierten Klinkern gepflasterte Fläche ein. Bis zur Haustür waren es kaum mehr als zwei Meter. Die Tür war aus Kunststoff und passte überhaupt nicht zum viktorianischen Mauerwerk.

Honey klingelte – sie hörte das Echo im Haus widerhallen. Es waren noch andere Geräusche zu vernehmen, aber keines davon ließ darauf schließen, dass jemand zur Tür kam, um aufzumachen.

Sie trat einen Schritt zurück und schaute zu den Fenstern hoch. Die hatten genau wie die Tür Kunststoffrahmen und waren doppelt verglast, um den Verkehrslärm auszusperren. So viel zum authentisch viktorianischen Stil.

Die Tür blieb verschlossen.

Aus der schmalen Gasse zwischen dem »Ferny Down« und dem Nachbarhaus waren Grunzlaute und Geräusche zu hören, wie sie Männer machen, wenn sie etwas Schweres tragen. Na ja, sie hatte nicht den ganzen Nachmittag Zeit. Sie ging zurück, bog rechts und dann noch einmal rechts in den schmalen Weg ein.

Drei Männer wuchteten gerade eine alte Gefriertruhe aus der Hintertür.

»Vorsicht, mein Zaun!«, schimpfte einer von ihnen. Das musste der Eigentümer sein. Honey hatte sich die Einzelheiten eingeprägt. Der Mann hieß Mervyn Herbert. Gutes Aussehen und elegante Kleidung rangierten offensichtlich auf seiner Prioritätenliste ziemlich weit unten.

Er war übergewichtig, aber nicht unförmig fett und hatte das erschöpfte Aussehen eines Menschen, der ein Routineleben führt, das er eigentlich gar nicht mag.

»Mr. Herbert?« Sie trat zur Seite, während sich die Männer mit der Gefriertruhe durch das Gartentor quetschten.

Seine Augenbrauen zogen sich buschig zusammen, als er sie von Kopf bis Fuß musterte. »Von der Stadtverwaltung?«

»Nein – vom Hotelfachverband. Ich komme wegen Ihres kleinen Problems.«

Einen Augenblick lang sah er sie an, als wäre er sich nicht sicher, wovon sie sprach.

Sie hatte den Eindruck, dass er nicht sonderlich erpicht darauf war, in aller Öffentlichkeit über den verschwundenen Kunden zu diskutieren. Also formte sie tonlos die Worte: »Ihr Gast.«

Er schaute mürrisch drein und nickte. »Sprechen Sie am besten mit meiner Frau drüber. Kommen Sie hier rein, wenn Sie möchten.«

Die Gefriertruhe nahm weiter ihren Weg zum Müllwagen der Stadtverwaltung und zur örtlichen Deponie, und Honey ging den Gartenpfad entlang und umrundete dabei vorsichtig eine Pyramide aus Steinbrocken, die wohl einen Alpengarten darstellen sollte.

Mr. Herbert deutete auf einen Wintergarten mit Kunststoffrahmen.

Durch die beschlagenen Scheiben konnte Honey einen Farbklecks ausmachen, der sich auf einem Stuhl bewegte.

»Sie ist da drin.« Mr. Herbert schien sich mehr für die Gefriertruhe als für sie zu interessieren. »He da!«, hörte sie ihn brüllen. »Vorsicht damit!«

Sie fragte sich, warum Müllmänner, die ausrangierte Haushaltsgegenstände abholten, mit einer so offensichtlich schrottreifen Gefriertruhe vorsichtig umgehen sollten. Vielleicht, weil sie dem Mann noch so lange gehörte, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war?

Mrs. Cora Herbert sah Honey, erhob sich von ihrem Stuhl und bat sie mit einer Kopfbewegung zu sich. »Vom Hotelfachverband?« Erschütternd, dieser Durchblick!

Honey quälte sich ein Lächeln ab. Gleichzeitig erfasste sie das viel zu enge T-Shirt, den viel zu engen Rock, die schimmernde schwarze Strumpfhose und die Schuhe mit den unbequemen, viel zu hohen Absätzen. Altes Schaf, auf Lamm getrimmt.

Sie gaben einander die Hand. »Ja, ich bin Hannah Driver. Alle nennen mich Honey.«

»Oh! Das ist aber ein netter Name! Ja, der gefällt mir.« Cora Herbert war sichtlich beeindruckt, wirkte beinahe, als wünschte sie, ihr wäre dieser Name eingefallen.

»Sind Sie Amerikanerin?«

»Mein Vater war Amerikaner.«

»Hab ich mir gedacht«, sagte Cora und strahlte von einem Ohr zum anderen. »Ich wette, Sie sehen ihm ähnlich.«

»Ich kann mich nicht mehr erinnern. Er ist gestorben, als ich noch sehr jung war.«

Coras Gesicht verzog sich mitleidig. »War wohl ein Unfall?«

»Könnte man sagen.«

Es war ja wirklich ein Unfall gewesen, dass Papa auf einer Firmenveranstaltung ein zweiundzwanzigjähriges Model kennengelernt hatte. Kein Unfall war es jedoch gewesen, dass sie ihm völlig den Kopf verdrehte, er sich von ihrer Mutter scheiden ließ und noch auf der Hochzeitsreise tot umfiel.

Honey schaute sich ihre Umgebung an. Sie hatte schon Schöneres gesehen. Auf dem Tisch stand eine halb ausgetrunkene Tasse Kaffee. Desgleichen ein Aschenbecher voller Zigarettenstummel mit rosa Lippenstiftspuren. Der Raum stank nach Tabak. Doch sie konnte unmöglich länger die Luft anhalten. Da würde sie umfallen.

»Das ist mein Reich, wo ich verdammt noch mal tun und lassen kann, was ich will«, erklärte Cora Herbert, als hätte sie Honeys Gedanken erraten und wollte jeglichen Einwand schon im Voraus abwürgen. »Ausgetrocknet?«

»Verzeihung?«

»Möchten Sie ’ne Tasse Kaffee?«

Bei dem Gedanken wurde ihr beinahe übel. Café latte war ja schön und gut. Aber Café nikotin?

»Nein, danke.«

Wenn sie hier endlich wieder wegkam, würde sie nach schalem Tabakrauch stinken. Haare und Kleidung müssten sofort gewaschen werden. Reinigungsrechnungen für Wildlederröcke tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. Heute trug sie, Gott sei’s gedankt, Leinen. Sie holte ihr Notizbuch und einen Kugelschreiber hervor – die ersten Requisiten jeder halbwegs anständigen Detektivin. »Also, dieser Amerikaner …«

»Mr. Weinstock. Zumindest hat er behauptet, dass er so heißt. Aber das ist nicht der Name, der im Pass steht, und die Adresse stimmt auch nicht.«

»Haben Sie bei der Anmeldung nicht seinen Pass mit den Angaben verglichen, die er gemacht hat?«

Ohne auch nur das kleinste verlegene Blinzeln schüttelte Cora die nächste Zigarette aus dem Päckchen und zündete sie an. Zum Glück wandte sie sich beim Ausatmen ab. »Warum denn? Der hat mir im Voraus bar auf die Kralle bezahlt.«

»Ah!« Honey nickte. Es hatte keinen Zweck, das Finanzamt einmal zu einer Buchprüfung bei Cora Herbert anzuregen. Weder die Angaben aus dem Pass noch das Geld waren je irgendwo eingetragen worden.

»Wie lange ist er geblieben?«

»Eine ganze Woche!«

Cora Herberts Worte klangen, als riebe sie sich jetzt noch in Gedanken die Hände. Ihr Gesicht strahlte vor Zufriedenheit.

»Ungewöhnlich für ein Bed & Breakfast.«

»Eine Pension! Wir sind eine Pension«, keifte die Wirtin und stieß dabei ganze Rauchschwaden aus.

»Entschuldigung!« Damen, die eine Pension führten, waren immer so empfindlich, erinnerte sich Honey. »Trotzdem – das ist schon eine gute Sache. Wenige Amerikaner nehmen sich so viel Zeit, um sich umzusehen.«

Das goldene Dreieck: London, Stratford-upon-Avon, hinunter nach Bath und zurück nach London – das war die Norm, und alles in zwei Wochen, inklusive Oxford, versteht sich.

Cora zuckte die nackten Schultern, und ihre durchsichtigen BH-Träger glänzten. »Egal. Er hat bezahlt, und das war’s.«

»Seine Sachen sind also noch auf seinem Zimmer?«

Cora zischte durch die Zähne. »Ooooo nein. Das musste ich räumen. Schließlich hatte ich noch andere Reservierungen, verstehen Sie. Die Sachen sind im Gepäckraum. Das muss ich ihm natürlich berechnen.«

»Natürlich.«

Nichts und niemand konnte Cora Herbert daran hindern, ein gutes Geschäft zu machen, entschied Honey. Jeder Penny zählte.

»Wenn er noch lebt.«

»Na ja, ich kann es ihm wohl kaum berechnen, wenn er tot ist.«

»Natürlich nicht.« Honey tadelte sich, dass sie die Frau falsch eingeschätzt hatte.

»Wenn er tot ist, muss ich die Rechnung an seine Familie schicken.«

Zurück auf Anfang.

Die Zigarette glühte nun kaum noch einen Zentimeter vor Coras gelbverfärbten Fingerkuppen und wurde ausgedrückt. Ein, zwei Sekunden und ein bisschen Nägelknabbern später glimmte schon wieder eine rot zwischen den mit Strass verzierten Fingernägeln.

Honeys Blick schweifte zum Garten. Der Steingarten wollte überhaupt nicht hierher passen, aber trotzdem sehnte sie sich danach, sich auf die Spitze dieser Pyramide zu hocken und die frische Luft einzusaugen.

Sie nahm sich zusammen und wandte sich wieder ihrer Aufgabe zu. »Hat er sich in der Stadt viel angeschaut?«

Cora verengte die Augen, bis sie nur noch von dicker Wimperntusche eingerahmte Schlitze waren. »Hat er wahrscheinlich, aber ich wollte nicht neugierig sein. Ich hab mal so ganz allgemein gefragt, und er hat auch nur so ganz allgemein geantwortet.«

»Hat er irgendwelche besonderen Sachen angeschaut?«

»Na ja, natürlich den Royal Crescent und die Bäder, aber ich glaube, er ist auch ein bisschen weiter in der Gegend herumgefahren. Kam drei Tage nacheinander im Taxi nach Hause. Hat jedes Mal dem Fahrer ungefähr dreißig Pfund in die Hand gedrückt. Hab ich selbst gesehen.«

Honey stimmte zu. Der Mann musste irgendwo außerhalb der Stadt gewesen sein, wenn er solche Summen verfahren hatte. Im amerikanischen Museum in Claverton Down vielleicht? Oder im hübschen kleinen Bradford-on-Avon? »Die Kirche aus angelsächsischer Zeit ist besonders schön«, hatte ihr ein Professor aus Berkeley einmal versichert. Er hatte ihr in Kurzfassung die Geschichte der Familie Berkeley und des Schlosses erzählt, das auf halbem Weg zwischen Bath und Gloucester liegt. Und er hatte äußerst zufrieden dreingeschaut, als sie bei einigen gruseligeren Einzelheiten etwas grün im Gesicht wurde.

»War es jedes Mal die gleiche Taxifirma?«

Cora nickte. »Busy Bee. Schwarzes Auto.«

»Was ist mit Ihrem Mann?«

»Was soll mit dem sein?« Ihr Ton war säuerlich, die Augen waren hart wie Kieselsteine. Viel Zuneigung wurde hier nicht verschwendet.

»Hat der sich mal mit Mr. Weinstock unterhalten?«

»Kann sein. Der hat immer nach zerstoßenem Eis gefragt.« Sie lachte. »Sie hätten Mervyns Gesicht sehen sollen, wenn er die Eiswürfel mit dem Nudelholz zertrümmert hat – wenn Blicke töten könnten. ›Warum kann der verdammte Kerl nicht wie alle anderen Menschen Eiswürfel nehmen?‹, hat er immer gesagt.«

Zerstoßenes Eis. Honey wusste aus eigener Erfahrung, dass Amerikaner zerstoßenes Eis liebten. Es konnte einen wirklich nerven, wenn sie sich mit nichts anderem zufrieden geben wollten, wo doch auch andere Gäste noch Wünsche hatten. Aber wir tun gern unser Bestes für Sie, dachte sie.

»Ich weiß, dass Ihr Mann im Augenblick zu tun hat, aber ich würde gern noch kurz mit ihm sprechen.«

Cora stand auf und steckte den Kopf aus dem Wintergarten. »MER-VYN!« Ihre Stimme hätte Tote auferwecken können.

»Keine Chance«, sagte sie, als sie zurückkam. »Der hat angeblich den Typen von der Müllabfuhr mit der Gefriertruhe geholfen. Ist wohl dabei ins Schwitzen gekommen und hat beschlossen, dass er ’n paar Bierchen braucht.«

»Er ist in die Kneipe gegangen?«

»Mh.« Cora rümpfte die Nase und zog noch einmal an ihrer Zigarette. »Sein zweites Zuhause.«

Honey verengte die Augen, teilweise wegen des verdammten Rauchs und teilweise, weil sie im Kopf eine Liste aller Fragen machte, die sie stellen musste. Sie schrieb den Namen des Amerikaners auf, notierte auch, dass sie den Taxifahrer ausquetschen müsste, falls Mr. Weinstock nicht auftauchte. Sie strich mit der Hand über ein Blatt ihres Notizblocks. Das war alles sehr befriedigend. Denn Detektivarbeit im besten Agatha-Christie-Stil funktionierte doch so, dass man eine Möglichkeit nach der anderen ausschloss? Oder wie machten das die Kommissare im Fernsehen?

Sofort fiel es ihr wieder ein. »Könnte ich mir mal seine Sachen ansehen?«

Cora erhob sich von ihrem Stuhl. »Warum nicht.« Sie führte Honey zu einem Kabuff unter der Treppe. »Da sind sie.«

Zwei Reisetaschen, eine kleiner als die andere, aber beide nicht sonderlich groß.

»Prima!« Sie lehnte sich vor und wollte die Reisetaschen hervorziehen.

Entrüstet hinderte Cora sie daran. »Das ist nun wirklich nicht nötig, dass Sie mir hier meine Empfangshalle vollstellen. Ich erwarte Gäste.« Sie sagte das, als befänden sie sich im Royal Crescent Hotel und jeden Augenblick müsste die Autoeskorte eines Staatspräsidenten hier eintreffen, nicht etwa eine Horde pickeliger Rucksacktouristen.

Ehe Honey auch nur die Chance hatte, sich umzusehen, wohin sie die Taschen sonst bringen könnte, hatte Cora sie schon wieder in das Kabuff geschoben. »Da, ich kann die Tür nicht zumachen, ohne sie abzusperren, aber das geht schon. Sie haben da drin auch Licht. Klopfen Sie einfach, wenn Sie fertig sind, dann lass ich Sie wieder raus.«

Horrorgeschichten à la Stephen King zogen vor Honeys geistigem Auge vorüber. Sie konnte sich an keine erinnern, in der eine irre Pensionswirtin eine ahnungslose Amateurdetektivin unter einer Treppe einsperrt, aber das hieß ja nicht, dass es nicht im Bereich des Möglichen war.

Nachdem Honey ihre Nerven beruhigt und ihrem wild pochenden Herzen gut zugeredet hatte, hockte sie sich hin und fing an, den Inhalt der Taschen zu untersuchen.

An der Kleidung war nichts Ungewöhnliches: die typischen bügelfreien Sachen, die jeder vernünftige Mensch auf eine längere Reise mitnehmen würde.

Die Flugtickets und der Pass steckten in einer durchsichtigen Plastikhülle mit Reißverschluss. Das war besorgniserregend, wenn auch nicht ungewöhnlich. Die meisten Leute trugen allerdings ihre Pässe bei sich, wenn sie keinen Zugang zu einem Safe hatten. Und einen Safe hatten nur die feineren Hotels.

»Also, ich würde meinen Pass mitnehmen, wenn ich in einer Pension wie dieser hier wohnte«, murmelte Honey vor sich hin. »Du hast das nicht gemacht …« Sie verstummte. Warum den Pass zurücklassen? Es sei denn, er hatte keine Zeit oder es war ihm etwas Schlimmes, etwas sehr Schlimmes zugestoßen … Das Passbild zeigte einen Mann mit kantigen Gesichtszügen und blondem Haar. Die Angaben zur Person lauteten: Elmer John Maxted, 43 Jahre, blaue Augen, 183 cm, 90 kg.

»Bist ein kräftiger Mann, Elmer John Maxted«, murmelte sie und runzelte die Stirn. »Warum hast du dich nur Weinstock genannt?« Ihre Augen wanderten über die angegebene Adresse – irgendwo in Kalifornien – und dann zu dem Feld, in dem die Berufsangabe stand. Sie erwartete etwas Langweiliges wie Versicherungsvertreter oder Immobilienmakler. Weit gefehlt!

Sie hielt das ausgefüllte Formular der Reiseversicherung ins Licht der nackten Glühbirne und las es noch einmal. Ihr Herz machte einen Satz.

»Lassen Sie mich raus!«, rief sie und hämmerte an die Tür. »Lassen Sie mich sofort raus!«

Kein Ton von der anderen Seite der Tür. Wo immer Cora Herbert war, in der Nähe war sie nicht.

Honey kramte ihr Mobiltelefon aus der Tasche und tippte Caspers Nummer.

»Casper, ich weiß, dass Sie das nicht wollen, aber Sie müssen die Polizei einschalten.«

Er brachte ein paar Argumente vor, warum er das lieber lassen sollte, und fragte, warum sie so darauf drängte.

»Also, er hat seinen Pass hiergelassen …«

Casper erkundigte sich, was daran so ungewöhnlich sein sollte.

»Casper, niemand lässt seinen Pass in einer Frühstückspension liegen. Aber da ist noch was. Er heißt nicht Weinstock – er heißt Maxted, und er ist Privatdetektiv.«

Kapitel 3

»Die Polizei stellt Nachforschungen an.«

»Das ist alles?«, begehrte Honey auf.

»Liebes Mädchen«, versuchte Casper sie zu beruhigen, »der Mann ist gerade eben erst als vermisst gemeldet worden. Und das, meine Liebe, war mehr oder weniger alles, was man mir dort gesagt hat. Wir sollen noch einen Tag abwarten. Wenn er dann immer noch nicht wieder aufgetaucht ist, leiten sie eine landesweite Fahndung ein.«

Das Fall des vermissten Touristen war in eine Sackgasse geraten. Honey war enttäuscht. Die Sache hatte ausgesehen wie ein echter Kriminalfall. Die Polizei hatte sie zur Routineangelegenheit erklärt.

Zu allem Überfluss waren auch noch die Temperaturen im Keller.

»Wir haben Juni, verflixt noch mal!«

Doch der Wettergott nahm keine Notiz von ihrem Wutausbruch. Um fünf Uhr nachmittags setzte der Regen ein.

Donnerstag war Lindseys freier Abend. Im Augenblick hatte sie das Bad mit Beschlag belegt. Schwaden von allerlei parfümierter Seife, Duschgel und Shampoo waberten aus dem Badezimmerfenster.

Honey saß draußen unter dem zweihundert Jahre alten Vordach. Das Metalldach, dessen ursprüngliche Farbe inzwischen zum marmorierten Grün alten Kupfers gereift war, verlief über die ganze Länge ihres privaten Innenhofs. Clematis und andere Kletterpflanzen überrankten die elegant durchbrochenen Säulen.

Der Patio, den dieser Baldachin überdachte, war vom Gästebereich außerdem durch Büsche und andere Pflanzen abgeschirmt, die an festem Maschendraht und robusten Säulen entlangwucherten. Honey nahm auf einer Holzbank Platz. Wie das Dach hatte auch diese Bank ein gusseisernes Gestell, das weiß lackiert war. Während Honey über die Löwenköpfe am Ende der Armlehne strich, fragte sie sich, wann sie wohl ihre Karriere als Amateurdetektivin fortsetzen würde.

Endlich verstummte im Badezimmer das Geräusch fließenden Wassers. Eingehüllt in eine Duftwolke tauchte Lindsey auf, im Bademantel und mit einem Handtuchturban um das nasse Haar.

»Bei dir wird es wahrscheinlich heute Abend spät.«

»Heute Abend? Ganz bestimmt nicht. Du kannst mich so gegen drei Uhr morgens erwarten. Du willst doch immer, dass ich mich amüsiere, oder nicht?«

»Du hast gesagt, du gehst in ein Konzert.«

Lindseys Stimme kam undeutlich unter dem Handtuch hervor, mit dem sie ihr nasses Haar trockenrubbelte. »Mutter, ich versuche doch nur, ein bisschen wild rüberzukommen, genau wie du es dir wünschst.«

»Du ziehst noch durch die Klubs?«

Lindsey antwortete: »Nach dem Konzert.«

Honey lächelte. Für junge Leute war das Nachtleben in Bath so toll wie beinahe nirgends sonst. Schicke Weinbars drängten sich um das Theatre Royal, dazu gab es jede Menge Pubs, Restaurants, Klubs, wo man bis zum Morgengrauen feiern konnte.

Lindsey tummelte sich, wenn auch ein wenig halbherzig, in dieser Szene. Weiß der Himmel, woher sie das Gen für ihre schöngeistigen Kulturambitionen hatte.

»In irgendeinen netten Klub?«, fragte Honey, und das sollte ganz entspannt und modern – ja, sogar völlig unbesorgt – klingen. Das fiel ihr nicht gerade leicht.

Lindsey rubbelte weiter kräftig an ihren Haaren. »Hängt von meinen Freunden ab.«

Mit wem ging sie aus? Honey nahm einen Schluck von ihrem Drink. Würde sie es wagen, diese Frage zu stellen?

»Von meinen drei männlichen Freunden«, ergänzte Lindsey, ehe sie dazu kam.

Drei Männer, und sie gingen in einen Nachtklub! Der Versuch, entspannt und modern zu bleiben, scheiterte kläglich. Jetzt übernahm die Glucke das Kommando.

»Also, hör gut zu, wenn du unbedingt durch die Klubs ziehen musst, dann halt dich immer in der Menge, lass dich von diesen Typen bloß nicht ausnutzen, und komm mit dem Taxi nach Hause.«

»Taxis sind teuer.«

Das kam Honey irgendwie bekannt vor. Wo hatte sie das nur schon gehört? Ihre Antwort war auch altvertraut. »Ich geb dir das Geld.«

»Mama, mach nicht so ein Theater. Die Typen sind nette Kumpel und werden mich nicht vergewaltigen. Hör endlich auf, mich wie ein Kind zu behandeln. Ich bin achtzehn, Herrgott noch mal!«

Honey stand der Mund weit offen, als ihr klar wurde, woran sie diese Worte erinnerten. »Großer Gott. Genau das habe ich damals auch immer geantwortet.«

In Lindseys Augen spiegelte sich das Lächeln, das um ihre Lippen spielte. »Und du klingst genau wie …«

»Kein Wort mehr!« Honey stoppte ihre Tochter mit ausgestreckten Händen. »Ich entschuldige mich dafür, dass ich dasselbe sage wie meine Mutter. Geh aus, betrink dich, lass dich flachlegen, aber mach mir keinen Kummer.« Sie küsste ihre Tochter auf die Wange. »Pass gut auf dich auf.«

»Geht in Ordnung.«

Das alte Kutscherhäuschen, in dem sie wohnten, stand am Ende des langen, gepflasterten Hofes hinter dem Hotel. Es hatte im Erdgeschoss zwei Schlafzimmer und ein Bad. Im Obergeschoss, in dem man einmal Heu und Hafer für die Pferde gelagert hatte, befanden sich nun eine Einbauküche und ein großzügiges Wohnzimmer. Dort schmückte ein steingemauerter Kamin die eine Wand, und auf zwei großen A-förmigen Stützen ruhte eine offene Dachkonstruktion, die mit kanadischem Ahornholz verkleidet war. Wegen dieser Holzdecke hatte Honey die Schlafzimmer ins Erdgeschoss und das Wohnzimmer nach oben verlegt. Die Aussicht war so schön. Und die Decke auch, wenn man auf dem Rücken lag und nur vor sich hin starrte.

Honey kickte die Schuhe von den Füßen, lehnte sich wohlig auf dem hellen Ledersofa zurück und betrachtete liebevoll? – ja, liebevoll – ihre Sammlung von Korsetts, Seidenstrümpfen und wunderschönen Strumpfbändern, die mit Borten, Blümchen und sogar kleinen Vögeln aus echten Federn geschmückt waren. Den Ehrenplatz nahm der neuerworbene, umfangreiche Liebestöter ein. Wie ihre anderen Schätze war auch diese Riesenunterhose sicher hinter Glas und hing nun über dem Kamin.

Sie hatte das Ding schnellstens einrahmen lassen, ehe irgendeine Angestellte die große Baumwollfläche für ein Tischtuch hielt.

Honey grinste und hob ihr Glas. Die arme alte Königin Viktoria. Sie würde sich im Grab herumdrehen, wenn Sie wüsste, dass jemand vorhatte, ein englisches Frühstück auf ihrer Unterhose zu servieren!

Das Ende des Tages – die beste Zeit! Honey schenkte sich noch ein Glas Wein ein. Guter Wein ließ einen alles klarer sehen, obwohl er doch eigentlich den Ruf hatte, einem die Gedanken zu vernebeln.

Erstens, die Sache mit Elmer Weinstock. War er nur vermisst? War er in geheimer Mission hierhergekommen? Oder hatte Mervyn Herbert seine allerletzte Ladung Eiswürfel zerschmettert und beschlossen, gleich Elmers Schädel mit zu zertrümmern? Andererseits gab es vielleicht einen ganz anderen Grund für sein Verschwinden, der ihr nur noch nicht klar war.

Egal. Zumindest waren alle ihre Zimmer belegt. Casper hatte ihr noch mehr Kundschaft geschickt. Sie trank auf ihr eigenes Wohl.

»Auf Honey Driver. Fünf-Sterne-Hotelier, weltberühmte Schönheit und bekannte Detektivin.«

Ein klitzekleines bisschen übertrieben, aber … »Kommt Zeit, kommt Rat«, seufzte sie und schloss die Augen. In ihren Träumen trug sie eine Sherlock-Holmes-Mütze, hielt ein Vergrößerungsglas in der Hand und rauchte Pfeife.

Kapitel 4

Es war Samstagnacht, es schüttete, und es war nach ein Uhr, als Loretta Davies, Mervyn Herberts Stieftochter, den »Underground Club« verließ, der tatsächlich im Souterrain und ganz nah am Fluss lag.

»Nimmst du ein Taxi?«, kreischte eine ihrer Freundinnen, die an der Bordsteinkante entlangtorkelte und sich verzweifelt an ihrem Freund festklammerte, der nur weg wollte, um sie in irgendeinem Ladeneingang zu bumsen.

»Das soll wohl ’n Witz sein? Bin sowieso schon pleite!« Der prasselnde Regen überdeckte die gebrüllte Antwort.

Was immer ihre Freundin zurückschrie, ging auch im Gepladder unter. Das Mädchen und der junge Mann verschwanden in der Dunkelheit zwischen den hohen Gebäuden.

Loretta zog sich den Jackenkragen ums Gesicht, so gut sie konnte. Die Jacke war aus Plastik, schwarz und glänzend. Der Regen trommelte darauf, ehe er in kleinen Wasserfällen herabrann wie von einem Dach. Die Regenjacke war kurz, ihr Rock noch kürzer, die schwarze Strumpfhose von den Oberschenkeln an patschnass. Das nasse Haar klebte ihr in Strähnen im Gesicht, und das Wasser triefte ihr von den Augenbrauen.

Der Lärm vorbeifahrender Autos überdeckte das Geräusch ihrer Doc Martens, mit denen sie über das glänzende Pflaster stapfte. Wie der Strahl eines Leuchtturms streiften Autoscheinwerfer durch den prasselnden Regen.

Nachdem Loretta die North Parade verlassen hatte, wurden die Straßenlaternen und die Scheinwerfer seltener. Rechts von ihr lag der Park. Sie wollte die Straße bei »Bog Island« überqueren, einer uralten viktorianischen Toilettenanlage, die ein Witzbold einmal zum Nachtklub umgebaut hatte. Während sie den Kopf gegen den peitschenden Regen senkte, verfluchte sie die stürmische Regennacht. Ihre Schritte hallten von den Wänden der engen Gässchen wider. Manchmal schien es ihr, als sei eine ganze Armee hinter ihr her – mindestens eine Person, vielleicht mehrere. Sie bibberte in ihrer Jacke und rammte die Hände noch tiefer in die Taschen, war froh, als sie endlich die Reihe der Häuser aus der Regency-Zeit erreicht hatte.

Ringsum waren die alten Fenster mit den quadratischen Scheiben fest verschlossen, die Vorhänge zugezogen. Nun flitzten immer weniger Autos vorbei, denn die meisten vernünftigen Menschen waren längst zu Hause, lagen neben einem warmen anderen Menschen im kuscheligen Bett. Sogar die Ladeneingänge waren verlassen, knutschende Pärchen vom peitschenden Regen vertrieben, die Fummeleien unerfahrener Hände auf ein andermal verschoben.

Hohle Echos, einsame Straßenlaternen und strömender Regen: die Nässe und die Dunkelheit hatten die Nacht erobert. Inzwischen trommelte der Regen so heftig und laut, dass sie ihre eigenen Schritte nicht mehr hören konnte. Auch die des Mannes nicht.

Ein Schatten wurde lebendig. Sie schrak zusammen, als er vor ihr auftauchte. Dann erkannte sie ihn.

»Du!«

Mervyn Herberts Augen saßen tief in ihren Höhlen. Seine Zähne waren gelblich. »Eklige Nacht.«

Loretta war keineswegs erfreut, ihn zu sehen. »Mervyn, hör auf, mir immer nachzuspionieren.«

Er griff mit der Hand in die Hosentasche und zog eine Zwanzigpfundnote hervor. »Da. Kannst du wahrscheinlich brauchen.«

Sie zögerte, und ihr Blick wanderte zwischen seinem Gesicht und dem Geld hin und her. Sie schnappte sich den Schein und stopfte ihn in die Tasche.

»Dachte ich mir doch, dass du was brauchst. Hast immer was für einen Pfundschein übriggehabt, was, Mädel?«

Sie widersprach ihm nicht, wies ihn nicht darauf hin, dass es längst keine Pfundscheine mehr gab, nur noch Münzen. Geld kam ihr immer gelegen.

»Ich bin mit dem Auto da.« Er grinste breit. »Komm schon, Süße. Ich tu doch nur meine Pflicht als liebender Papa.«

»Du bist nicht mein Papa!« Ihr Aufschrei hallte zwischen den Häusern wider.

Das Licht einer Straßenlaterne fiel auf Mervyns Pferdezähne, als er sie anlächelte. »Aber wir sind trotzdem eine Familie. Und es ist eine schreckliche Nacht.«

Der Regen triefte Loretta in die Augen und rann ihr den Nacken hinunter. Sie fragte sich, ob sie heute mit ihm fertig werden würde. Der Regen wurde schlimmer, Blitze erhellten den Himmel. O ja! O ja! Ganz sicher würde sie das.

»In Ordnung.«

Sie bibberte immer noch, als sie sich auf dem Beifahrersitz des fünf Jahre alten Fords, ihres »Familienautos«, niederließ. Familie! Das war vielleicht ein Witz! Ihre Mutter erzählte jedem, der es hören wollte, sie sei praktisch noch ein Kind gewesen, als sie geheiratet hatte. Sie konnte es förmlich hören: »Meine Loretta ist siebzehn. Ich weiß, ich sehe gar nicht alt genug aus, aber ich war bei ihrer Geburt noch sehr jung. Gerade mal achtzehn.«

Alles Quatsch! Ihre Mutter war Mitte zwanzig gewesen, verschwieg aber diese paar zusätzlichen Jahre immer, genauso wie sie nicht zugeben mochte, dass sie um die Hüften und Oberschenkel ein paar Zentimeter zugelegt hatte.

Loretta drehte sich zur Seite, als sie den Sicherheitsgurt schloss. Der Regen ließ nicht nach. Die Straßen schienen menschenleer.

Da erhellten die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos eine Gestalt, die im Schatten gestanden hatte. Loretta hielt die Luft an, sah, wie der Mann sie anstarrte, dann kehrt machte und wegrannte.

Sie fuhr zusammen, als Mervyn ihr das Knie tätschelte. »Alles in Ordnung, Süße?«

Grob stieß sie seine Hand weg. »Behalt deine Dreckspfoten bei dir!« Sie betrachtete angewidert die gräuliche Gesichtsfarbe des Mannes, der da neben ihr saß. Er hatte sich die Mühe gemacht, seine wenigen Haare quer über den kahlen Schädel zu kämmen. Das Ergebnis war eher komisch als vorteilhaft. Jetzt hing ihm eine Strähne schräg im Gesicht. Er schob sie zurück, und eine verlegene Röte kroch ihm über den stoppelbärtigen Kinn.

Loretta lachte laut auf. »Mannomann«, sagte sie, »wirst langsam ganz schön kahl, was?«

Er umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel ganz weiß wurden. »Freches Aas! Eines schönen Tages …«

»Eines schönen Tages, was?« Nun lachte sie offen und laut. »Was machst du dann, Mervyn? Nichts! Ich bin kein kleines Mädchen mehr. Ich kann für mich einstehen, vergiss das besser nicht!«

Sie schnappte nach Luft, als seine Hand ihr Knie brutaler und schmerzhafter als vorher packte.

»Du wirst überrascht sein, was ich alles kann, Schätzchen. Dein guter alter Stiefvater hat noch einige verborgene Talente. Und du willst doch mehr Geld, oder nicht? Immer mehr Geld.«

»Lass mich raus!«

Er machte den Mund auf, und es kam ein gackerndes Lachen heraus, ein gurgelndes Geräusch, wie es angeblich Menschen kurz vor dem Sterben machen.

Sie wünschte, Mervyn Herbert wäre tot. Bessere als er waren schon abgekratzt. Aber so war es eben. Mervyn war zu gemein zum Sterben, zu widerwärtig, um in geweihte Erde gebettet zu werden.

Jetzt hatte er wieder beide Hände am Lenkrad. Sie überlegte, ob sie die Tür aufreißen und rausspringen sollte, doch dazu fuhren sie zu schnell. Die Strumpfhose war neu. Und sie würde sich die Knie zerschrammen.

Vielleicht aus Gewohnheit, vielleicht weil noch Spuren von Erinnerung geblieben waren, jedenfalls stieg die alte Angst wieder in ihr hoch.

»Bitte, Mervyn, ich tu alles, wirklich alles …«

Er grinste, und sein zerfurchtes Gesicht sah im aufblitzenden Licht der Straßenlaternen wie eine der Fratzen an den Wasserspeiern aus.

»Ja«, erwiderte er und fuhr sich langsam mit der Zunge über die Lippen, »natürlich machst du das.«

Der Mann, der ihr gefolgt war, fluchte. Die blöde Kuh war in ein Auto eingestiegen, und nicht in irgendein Auto, sondern in das Scheißauto vom verdammten Mervyn Herbert!

Die Nacht war schwarz und menschenleer. Alle hatten sich rasch verzogen.

Zum Glück gelang es ihm, ein Taxi heranzuwinken, wahrscheinlich das einzige noch freie Taxi in ganz Bath.

»Folgen Sie diesem Wagen!«

Der Fahrer, ein junger Asiat mit weißen Zähnen, einem weißen Hemd, Schlips und schwarzer Lederjacke, lächelte strahlend und ungläubig. »Das soll wohl ein Witz sein?«

Wurstfinger packten ihn von hinten beim Kragen. »Nein! Ganz bestimmt nicht!«

Der Mann trat so heftig aufs Gaspedal, dass der Wagen auf dem nassen Asphalt ins Schleudern kam. Er schlingerte von einer Seite zur anderen, während der Fahrer krampfhaft versuchte, ihn wieder unter Kontrolle zu bekommen. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, und er zitterte, als er dem hellen Ford folgte. Jetzt war er drei Autos vor ihnen.

Sein Fahrgast war ungeduldig. »Überholen! Überholen!«

Starr vor Angst schüttelte der Mann den Kopf. »Ich kann nicht! Ich kann nicht! Die Straße ist viel zu eng. Zu viele Autos parken hier.«

Der Fahrgast versuchte, ihm von hinten ins Steuer zu greifen. Ein Auto, das ihnen entgegenkam, hupte, weil sie in die Straßenmitte geschliddert waren.

»Bitte«, rief der Fahrer, und seine Hände am Lenkrad waren ganz klamm. »Wir können nicht überholen, das ist viel zu gefährlich.«

Der andere murmelte einen leisen Fluch und sackte auf seinem Sitz zusammen. Vor ihnen fuhren zwei Autos über eine grüne Ampel. Das nächste Auto überquerte die Kreuzung schon bei Gelb. Das Taxi blieb stehen, als die Ampel auf Rot umschaltete.

Der Mann schaute sich seinen Fahrgast im Rückspiegel an. »Wohin jetzt?«, fragte er, war aber nicht in der Lage, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken.

»Zum ›Ferny Down Guest House‹. Dahin fahren die jedenfalls höchstwahrscheinlich. Das ist an der Bristol Road. Kennen Sie es?«

»Ja, ja, das kenne ich.« Die Stimme des Taxifahrers bebte. Seine Augen flackerten nervös zwischen der Ampel und dem Rückspiegel hin und her. Er hatte zu so später Nachtstunde meist Probleme mit den Fahrgästen, mit diesem aber mehr als sonst.

Die Ampel schaltete auf Grün. Das Taxi fuhr über den Fluss und dann nach rechts in Richtung Lower Bristol Road.

Robert Howard Davies, bis vor kurzem Insasse im Horfield-Gefängnis von Bristol, machte es sich im Fond bequem. Er wusste, dass die Augen des Taxifahrers ihn beobachteten. Der Mann überlegte sich zweifellos, ob er sein Fahrgeld bekommen würde oder nicht.