Mörderisches Freiburg - Thomas Erle - E-Book

Mörderisches Freiburg E-Book

Thomas Erle

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Beschreibung

Freiburg - das ist für die Gäste aus aller Welt Lebensgenuss und badische Gemütlichkeit. Doch wie immer lauert das Böse dort, wo man es am wenigsten vermutet: Erleben Sie hautnah, wie auf dem Alten Friedhof in Herdern seit Generationen ein geheimnisvoller Wächter sein Unwesen treibt …, wie die Jagd nach dem sagenhaften Münsterschatz tödliche Gefahren heraufbeschwört …, wie zwei Diebe am Schauinsland mit den Schrecken des Eises und der Finsternis kämpfen … und wie das denkbar Schlimmste passiert: Ein Attentat auf Deutschlands beliebtesten Prominenten.

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Thomas Erle

Mörderisches Freiburg

11 Krimis und 125 Freizeittipps

Impressum

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Weinhändler Lothar Kaltenbach ermittelt:

1. Fall: Teufelskanzel

2. Fall: Blutkapelle

3. Fall: Höllsteig

4. Fall: Hochburg

Das Lied der Wächter:

Das Erwachen

Der Gesang

Das Gesetz

Freiburg und die Regio für Kenner

Mörderisches Freiburg

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2018 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

(erschien bereits 2016 im Gmeiner-Verlag unter dem Titel »Wer mordet schon in Freiburg?«)

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Thomas Erle

ISBN 978-3-8392-5730-2

Zitat

»Z’ Friburg in der Stadt sufer ischs und glatt«

Johann Peter Hebel (1760 – 1826), alemannischer Dichter und Schriftsteller

Quelle: »Der Schwarzwälder im Breisgau«

sehr frei übersetzt: »In Freiburg ist alles bestens.«

1. Der Schatz

Mit einem letzten schmatzenden Geräusch verschwand die Leiche im graugrünen Wasser des Waldsees. Für einen Moment sah der Mann im Ruderboot den aufsteigenden Blasen zu, die in der Mitte der nach außen strebenden Ringe emporblubberten.

Ein wenig Wehmut schwang in seinen Gedanken mit. Sie waren ein gutes Team gewesen. Er, Professor Dr. Valentin Reisinger, und der aufstrebende wissenschaftliche Assistent Patrick Burger, dem eine große Karriere in Mediävistik und sakraler Baukunde vorhergesagt worden war. Er selbst hatte Burgers außergewöhnliche Begabung erkannt und ihn an sein Institut geholt. Vielleicht hätte dieser sogar eines Tages sein Nachfolger werden können.

Doch Burgers sensationelle Entdeckung vor einigen Wochen hatte alles verändert. Und es war nun einmal das Gesetz der Geschichte, dass es am Ende nur einen Sieger geben konnte. Und das würde er selbst sein. Professor Reisinger hatte vieles aus der Historie gelernt. Nicht nur die Hinterlassenschaften der Menschen hatten ihn fasziniert, die Brücken und Kathedralen, die großen Werke der Literatur und der Kunst. Was gleichermaßen in der Erinnerung überdauerte, waren die Namen der Persönlichkeiten, die dahinterstanden, die Herrscher und Entdecker, die Sieger und die Helden. Es gab keinen Platz für zwei. Und er, Professor Dr. Reisinger, würde der Held sein. Er alleine würde in die Geschichtsbücher eingehen – mit seinem Namen. Und mit der größten Entdeckung der neueren Freiburger Geschichte.

Als er mit seinem Mercedes am Rande des Sternwalds durch die einbrechende Dunkelheit zurückfuhr, hatte Reisinger den unglücklichen jungen Mann fast schon wieder vergessen. Alles war gut geplant, niemand würde Spuren finden. Niemand würde ihn verdächtigen. Es war Zeit, die große Sache anzugehen.

Zuhause in seiner Altbauwohnung am Lorettoberg zog es Professor Reisinger als Erstes wieder an seinen Arbeitsplatz. Der mächtige Eichenholzschreibtisch nahm einen Großteil des Raumes ein. Er war über und über bedeckt mit Unterlagen: aufgeschlagene Bücher, Skizzen und Zeichnungen, Fotos, Korrespondenzen, Internetausdrucke. Ehe er sich setzte, holte Reisinger eine Flasche seines Lieblingsburgunders und schenkte sich ein. Er hob das Glas, prüfte die angenehm samtene Farbe und prostete seinem Ebenbild in dem riesigen Wandspiegel zu. Dies war die Stunde des Triumphes, und er wollte sie ganz für sich alleine genießen, ehe die Sensation in den kommenden Tagen an die Öffentlichkeit gelangen würde.

Sie hatten sich gelohnt, die vielen Stunden im Münster, in der Universitätsbibliothek, im Museum für Stadtgeschichte und wo er noch überall gesucht und geforscht hatte. Mehr als einmal war er der Verzweiflung nahe gewesen, wenn entscheidende Informationen einander widersprochen hatten. Doch er hatte nicht aufgegeben. Auch das hatte er von den Großen der Geschichte gelernt.

Reisinger griff nach dem obersten der Blätter, die auf der Schreibunterlage ausgebreitet waren, und nahm es mit zu seinem großen Ledersessel am Fenster. Nachdem er sich gesetzt hatte, glitt sein Blick über das Foto. Es zeigte eine Folge von Buchstaben, die teilweise bereits verwittert, doch im Ganzen noch gut zu erkennen waren.

Hic requiescit in pace Odilius archiepiscopus Freiburgensis, custos clavibus secretum et divitiae.

Reisinger las jedes einzelne Wort laut. Er musste ganz sicher sein – und er war es!

Jahrhundertelang waren die Interpreten der Grabplatteninschrift aus der Krypta unter dem Münster falsch gelegen. Mit größter Selbstverständlichkeit war der gute Bischof stets als Schlüsselbewahrer der göttlichen Geheimnisse verehrt und seiner gedacht worden. Was hätte es auch anderes bedeuten sollen. Niemand wäre auf eine andere Idee gekommen.

Dabei hatte Reisinger, ohne es zu wissen, selbst kurz vor der Entschlüsselung gestanden. Als Junge hatte er mit Begeisterung die Geschichten aus der griechischen Mythologie verschlungen. Er hatte zusammen mit Herakles Wundertaten vollbracht, hatte mit Jason das Goldene Vlies gesucht und war mit Odysseus in das Trojanische Pferd geklettert. Als er älter wurde, hatte er mit Überraschung und Freude erfahren, dass es die von Homer überlieferten antiken Stätten tatsächlich gegeben hatte. Jedoch hatten nicht die Klugen und Gelehrten der Erde ihr Geheimnis entlockt. Heinrich Schliemann war es gewesen, ein Amateur, ein Unternehmer und Kaufmann, der die alten Schriften als das gelesen hatte, was sie tatsächlich waren: genaue Beschreibungen realer Gegebenheiten, die auf glückliche Weise die Jahrhunderte überdauert hatten. Als er das antike Troja ausgrub, war er der Held seiner Zeit.

Reisinger erinnerte sich gut an den Tag, als Patrick mit der Entdeckung zu ihm gekommen war. Von diesem Moment an war ihm klargeworden, dass es ihn tatsächlich geben musste, den lange vermuteten Zugang zu den Gewölben unter dem Münster. Die Inschrift war der deutliche Hinweis darauf, dass die Grabplatte mehr barg als die Erinnerung an den Bischof. Der fromme Mann hütete nicht nur göttliche Geheimnisse. Hier musste er sein, der Zugang zu dem lange gesuchten Münsterschatz. Und er, Professor Reisinger, hatte ihn gefunden!

Seit Jahren wurde im Augustinermuseum eine Anzahl Preziosen ausgestellt, die von den Verantwortlichen stolz als »Münsterschatz« bezeichnet wurden – jahrhundertealte Reliquienschreine, Monstranzen, kostbare gewebte Teppiche. Reisinger war oft davorgestanden und hatte sie bewundert, die wunderbaren Arbeiten der besten Kunsthandwerker des Südwestens. Allein der materielle Wert der Ausstellungsstücke war in Geld nicht zu ermessen.

Doch was ihn jetzt erwartete, würde unvorstellbar sein.

Reisingers Hand begann vor Aufregung zu zittern. Für den wahren Münsterschatz würde das jetzige Museum nicht ausreichen. Es würde eine angemessene Stätte der Präsentation geschaffen werden. Ein Anbau mindestens, wenn nicht gar ein neues, eigenständiges Museum. Selbstverständlich würde er großmütig auf jeglichen materiellen Vorteil verzichten. Das stand weder im Vordergrund, noch hatte er es nötig. Doch es konnte gar nicht anders sein, als dass der größte Saal mit den wertvollsten Schätzen seinen Namen tragen würde. Valentin-Reisinger-Saal. Zur Erinnerung an ihn. An den Entdecker des Freiburger Münsterschatzes!

Der Professor nahm einen Schluck und lehnte sich im Sessel zurück. Diese Stunde gehörte ihm ganz allein. Es war der Vorabend eines der größten Tage, den die Stadt je erleben würde.

Gegen halb neun erwachte Reisinger mit Kopfweh. Er duschte, zog sich an und braute sich einen starken Kaffee. Auf seine übliche Morgenzeitung konnte er sich heute kaum konzentrieren. Er blätterte sie einmal durch und warf sie dann zur Seite. Am liebsten wäre er sofort aufgebrochen. Doch er würde sich gedulden müssen. Erst am Abend würde die Gelegenheit kommen, seine epochale Tat zu vollbringen.

Reisinger ging zurück in sein Arbeitszimmer. In der angrenzenden Bibliothek hatte er bereits alles vorbereitet. Taschenlampe, Batterien. Kerzen und Streichhölzer für alle Fälle. Eine warme Jacke. Kamera.

Und natürlich einen Rucksack. Mit einem Rucksack konnte er überall als normaler Tourist durchgehen. Niemandem würde auffallen, was er mit sich trug. Er würde warten, bis am Abend die letzten Besucher das Münster verlassen hatten und sich dann einschließen lassen. Schon vor Tagen war er zu dem Entschluss gekommen, dass es für die Umsetzung seines Vorhabens nur diese Möglichkeit gab, die gleichermaßen erfolgreich und unverdächtig war.

Wieder der Blick zur Uhr. Nach elf. Er ging zurück zur Küche und machte sich einen Tee. Er streckte sich auf seinem großen Ledersofa aus und ließ den Blick aus dem Fenster über die Vorberge im Freiburger Osten schweifen. Für den Moment gab es nichts weiter zu tun. Er musste warten.

Am frühen Nachmittag hielt es Professor Dr. Reisinger nicht länger aus. Ein letztes Mal prüfte er seine Vorbereitungen, dann verstaute er alles sorgfältig in seinem Rucksack. Zum Schluss ging er zu seinem Schreibtisch und zog aus einer der Schubladen eine kleine Holzkiste heraus. Darin lagen drei Schlüssel, von denen zwei merkwürdig geformt waren. Reisinger nickte befriedigt und steckte sie ein. Er war nicht das erste Mal im Münster. Ganz im Gegenteil. Zweimal hatte er bereits die Gänge unter dem Hahnenturm und die untere Krypta untersuchen dürfen, sogar mit offizieller Genehmigung. Die ehrwürdigen Herren von der Kirchenverwaltung hatten es sogar als eine Ehre betrachtet, dass sich der bekannte Forscher und Wissenschaftler anbot, bei der Erkundung der letzten Münstergeheimnisse behilflich zu sein.

Doch Reisinger hatte seinen Plan von Beginn an mit großer Sorgfalt verfolgt. Er hatte den Oberen ein paar belanglose Erkenntnisse vorgelegt und sie damit zufriedengestellt. Seine zurückhaltenden Honorarforderungen hatten das ihre dazu beigetragen. Doch schon nach dem zweiten Besuch hatte er Abdrücke der drei Zugangsschlüssel für sich gemacht. Denn für sein jetziges Vorhaben konnte er keine Zeugen brauchen.

Gegen 16 Uhr schloss Professor Reisinger sein Fahrrad an einen der Metallbügel am Rande der Herrenstraße an. Von hier aus gelangte er durch das enge Präsenzgässle nach wenigen Schritten zum Münsterplatz. Die Sonne stand bereits tief über den Dächern der Altstadt und warf lange Schatten auf das Kopfsteinpflaster. Ein paar wenige Marktstände hatten noch geöffnet. Bratwurstgeruch zog ihm in die Nase. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. Seit seiner Kindheit kannte und liebte er die für Freiburg typische Lange Rote, eine Rostbratwurst im Weckle, nach Wunsch mit Zwiebeln, stets jedoch mit viel Senf.

Doch heute verkniff er es sich. Es zog ihn mit aller Macht hinein in den riesigen Bau. Das unscheinbare Hinweisplakat auf dem Ständer vor der Eingangstür hätte er beinahe übersehen: »Heute: Orgelkonzert«.

Reisinger verzog den Mund. Das hatte er nicht bedacht. Das bedeutete nicht weniger, als dass er den Beginn seiner Unternehmung noch weiter nach hinten verschieben musste. Für einen Moment erwog er, das Ganze um einen Tag zu verschieben. Dann schüttelte er entschlossen den Kopf und trat ein. Die bevorstehende Sternstunde duldete keinen weiteren Aufschub.

Als Reisinger den schweren dunklen Vorhang hinter der Eingangstür zur Seite schob, erwartete ihn das übliche Bild während der Touristensaison. In Freiburgs Hauptattraktion drängten sich die Besucher aus aller Welt. Familien mit Kindern, Schulklassen, Studenten, ganze Busladungen mit ihren Reiseleitern schritten mehr oder minder ehrfürchtig die zugegebenermaßen beeindruckende Reihe architektonischer und künstlerischer Schätze ab. Handykameras und Tablets waren im Dauereinsatz.

Reisinger nutzte die Gelegenheit, sein Ziel bereits jetzt schon näher in Augenschein zu nehmen. Die eher unscheinbare Holztür neben dem linken Seitenaltar interessierte niemanden. Die Blicke der meisten waren an dieser Stelle nach oben gerichtet, wo die Farben der prächtig bemalten bunten Glasfenster im Schein der Spätnachmittagssonne aufleuchteten.

Eine der Touristengruppen hatte sich am Rande des Altars versammelt.

»… hinter dieser Säule zum Beispiel.«, hörte Reisinger den Leiter sagen. Er war stilecht im Gewand eines Mönchs gekleidet und schwenkte während seines Vortrags eine Öllampe. »Man nennt sie im Volksmund auch die Posaune der Geister.« Aus der Gruppe erklang verlegenes Gekicher. »Wenn es ganz still ist, kann man es manchmal hören, Stimmen, die aus der Tiefe kommen. Man sagt, es sei das Wispern und Klagen ruheloser Seelen. Oder ist es doch nur der Wind?« Die meisten reckten die Hälse und versuchten, etwas von dem Gesagten zu erhaschen.

Der Professor trat ein paar Schritte näher heran. Trotz des dumpfen Gemurmels, welches überall im Münster erklang, waren am Fuß der Säule tatsächlich Stimmen und undeutliche Worte zu hören. Reisinger schmunzelte. Unwissendes Volk!

Schon in den antiken Tempeln hatten es die Baumeister verstanden, durch geschickte Anordnung der Mauern, Wände und Durchlässe physikalische Phänomene zu erzeugen. Sie beeindruckten mit diesen Zeugnissen ihrer Kunstfertigkeit nicht nur ihre Auftraggeber, sondern ermöglichten diesen gleichzeitig, mit entsprechender Deutung die Leichtgläubigen der damaligen Zeit in Angst und Schrecken zu versetzen.

Reisinger nickte befriedigt. »Scientia potentia est – Wissen ist Macht.« Mehr zu wissen als andere, brachte Vorteile. Das galt heute noch genauso wie früher. Und was er vorhatte, war der beste Beweis.

Mit einem Mal ertönte eine Stimme, deren Ursprung und Bedeutung nichts Geheimnisvolles hatte. Über einen Lautsprecher wies eine dezente Ansage auf das bevorstehende Orgelkonzert hin. Alle Besucher wurden höflich gebeten, sich einen Sitzplatz zu suchen oder das Gebäude zu verlassen.

Reisinger ließ sich auf einer der Bänke im Seitenflügel nieder, von wo aus er zum richtigen Zeitpunkt unauffällig verschwinden konnte. Wenn er schon einmal hier war, konnte er ebenso gut das Konzert genießen.

Als die ersten Töne erklangen, schloss Reisinger die Augen. Johann Sebastian Bach! Wie konnte es anders sein. Reisinger liebte Bach über alles. Eines der wenigen Luxusgüter, die er sich für zu Hause leistete, war eine erstklassige Musikanlage. Doch hier im Münster war es noch einmal anders. Erst hier verwoben sich die Kantaten und Fugen, die verschlungenen Melodien und Figuren zu einem mächtigen Lobgesang. Der Innenraum der Kirche wurde zu einem einzigen Klangkörper, in den die Musik sich ergoss, widerhallte und emporgehoben wurde. Reisingers Augen wurden feucht. Es war der gebührende Auftakt zu der Nacht, in der er Weltgeschichte schreiben würde.

Stumm und ergriffen lauschten die Zuhörer, ebenso stumm und ergriffen erhoben sich die Besucher am Ende von ihren Bänken und strebten dem Ausgang zu. Im Schutz der Menge gelangte Reisinger zu dem kleinen Seitenaltar, den er sich als Versteck ausgesucht hatte. Er gab vor, das kleine Marienbild aus der Nähe zu betrachten, dann huschte er hinter einen Vorsprung und duckte sich an die Wand.

Nach etwa zehn Minuten verklang das Knarzen und Schlagen der großen Eingangstür. Reisinger wusste, dass er noch ein wenig ausharren musste. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis sich die Tür zur Sakristei öffnete. Ein junger Mann in einem einfachen Priestergewand trat hervor. In der Hand hielt er einen altmodischen Kerzenlöscher, ein langer Stab mit einem kleinen Metallhütchen am Ende. Kleine Rauchfähnchen kringelten sich nach oben, als der Mann der Reihe nach alle Leuchter abschritt und die Hülse über die Flammen stülpte. Einige wenige Teelichter vor dem Opferaltar ließ er brennen. Am Ende verbeugte er sich vor dem Allerheiligsten und verschwand zurück nach hinten. Sekunden später erloschen im Kirchenschiff die großen und kleinen elektrischen Scheinwerfer.

Reisinger blieb noch ein paar Minuten in seinem Versteck. Erst als er sicher war, dass niemand mehr kommen würde, nahm er seinen Rucksack auf und schlüpfte hervor. Alles war jetzt dunkel und still. Das wenige Licht kam von den grün schimmernden Fluchtwegleuchten über den drei Ausgängen und von den zitternden Flämmchen der wenigen verbliebenen Opferkerzen.

Die Stille war spürbar. Reisinger hatte das Gefühl, sich durch eine durchsichtige Masse zu bewegen, die er förmlich zur Seite schieben musste. Er setzte seine Schritte mit Vorsicht, als ob er auf der Oberfläche eines zugefrorenen Teiches liefe, von der er nicht sicher war, ob sie ihn tragen würde.

Das altertümliche Schloss der niedrigen Seitentür knirschte, als er den Schlüssel hineinsteckte und umdrehte. Reisinger zog seine Taschenlampe hervor, bückte sich und trat ein. Auf der Schwelle änderte sich sein Empfinden sofort. Reisinger stand in einer kleinen Kammer, die nicht mehr war als ein Treppenabsatz. Um ihn herum rückten die kahlen Wände ganz nah heran. Zu seiner Rechten wendete sich eine enge Steintreppe nach oben. Reisinger wusste, dass sie zur Empore des nördlichen Hahnenturms führte. Dies war kein Geheimnis. Allerdings hatte die Münsterverwaltung diesen Bereich bereits seit vielen Jahren gesperrt. Für die Renovierungsarbeiten unterm Dach benutzten die Spezialisten der Münsterbauhütte meist eines der Gerüste, mit denen das Münster seit Jahren umgeben war.

Doch Reisingers Ziel lag ohnehin in der entgegengesetzten Richtung. Seit Generationen erzählte die Volkssage von einem geheimen Gang von der ehemaligen Burg auf dem Schlossberg hinunter zum Südturm des Münsters. Ein unterirdischer Zugang, den die Fürsten benutzt hatten, um unerkannt die Messe zu besuchen. Oder um bei einer möglichen Gefahr dieselbe unbemerkt verlassen zu können. Immer wieder war vergebens nach diesem Gang gesucht worden. Nicht einmal Spuren davon waren gefunden worden.

Es war Reisingers Verdienst, dass er die Möglichkeit eines Zugangs zum nördlichen Turm ernsthaft geprüft hatte. Er hatte sich nicht von irgendwelchen Gerüchten und eingemeißelten Zeichen ablenken lassen. Nach seinem letzten Besuch war er sicher, dass das Geheimnis des Münsters hier liegen musste, unter dem nördlichen der beiden Hahnentürme.

Reisinger zog die Holztür hinter sich zu. Dann stieg er im Licht des Taschenlampenkegels einige Stufen abwärts, bis er zu einem zweiten Absatz kam. Hier war der weitere Weg durch ein Gitter versperrt, das mit einem Vorhängeschloss gesichert war. Reisinger brummte zufrieden, als er seinen zweiten Schlüssel ebenso erfolgreich zum Einsatz brachte. Das Gitter quietschte laut, als er es zur Seite drückte. Doch er war sich sicher, dass von hier aus kein Geräusch nach oben dringen würde.

Schritt für Schritt tastete er sich weiter nach unten. Die Stufen wurden feucht, stickige Luft umfing ihn. Er musste aufpassen, dass er nicht rutschte. Nach seiner Schätzung musste er sich inzwischen einige Meter unter dem Niveau des Münsterplatzes befinden. Die Vorstellung, dass sich über ihm die gewaltige steinerne Masse des Münsters auftürmte, ließ ihn schaudern.

Doch Reisinger wischte die Gedanken zur Seite. Seine Aufmerksamkeit galt einer weiteren Tür, die im Dunkel zwischen den grob behauenen Steinen auftauchte.

Auch der dritte Schlüssel passte problemlos. Reisinger drückte die Tür auf und trat ein. Sein Herz schlug vor Aufregung.

Die Krypta!

Endlich war es so weit. Er war am Ziel.

Der Strahl der Taschenlampe glitt langsam durch das Dunkel. Der Raum maß kaum mehr als fünf Meter im Durchmesser und war kreisrund. Die Wände waren aus nacktem Stein, von der niedrigen Decke hingen dünne Kalkfäden. Es roch nach abgestandener Luft. In der Mitte des Raumes stand ein einfacher Altar mit einem steinernen Kreuz. Seinen Berechnungen zufolge musste diese Gruft schon zur Entstehungszeit der Kirche angelegt worden sein. Vor mindestens 900 Jahren war dies die erste Grablege der damaligen geistlichen Führer.

Reisinger stellte seinen Rucksack ab und verteilte ein paar der Kerzen. Als er das letzte Mal mit Burger hier unten war, hatten sie mehrere Scheinwerfer heruntergeschleppt und aufgestellt. Heute musste es anders gehen. Doch Reisinger war sich seiner Sache sicher. Die gesuchte Grabplatte war genau vor dem Altar auf dem Fußboden eingelassen. Links und rechts daneben befanden sich weitere, die meisten davon schon so verwittert, dass ihre Inschriften nicht mehr zu entziffern waren.

Reisinger hatte von Anfang an den gut erhaltenen Zustand dieser einen Grabplatte bemerkt. Der große Unterschied zu allen anderen hatte ihn stutzig gemacht. Ob sie in früheren Zeiten besonders gepflegt worden war? War sie ausgetauscht worden, als die Botschaft in Vergessenheit zu geraten drohte? Oder war sie gar Teil eines perfiden Planes, den Zugang vor Unberechtigten verschlossen zu halten?

Hic requiescit in pace Odilius archiepiscopus Freiburgensis, custos clavibus secretum et divitiae. Sanft, fast liebevoll, strich Reisinger mit seinen Fingern über die Inschrift. Der Erzbischof Odilius als Bewahrer des Schlüssels zu Geheimnis und Reichtum! Die Lösung des Rätsels hatte die ganzen Jahre über vor aller Augen gestanden.

Dann ging alles überraschend einfach. Reisingers Finger fanden die beiden Vertiefungen am Schaft des Bischofsstabes, ein fester Druck, ein kaum spürbares Zittern. Mit einem schabenden Geräusch löste sich die Platte aus ihrem Rahmen und klappte zur Seite. Vor dem Professor öffnete sich ein schwarzes Loch.

Jetzt, da alle Zweifel beseitigt waren, durchströmte ihn ein ungeheures Glücksgefühl. So musste es Howard Carter ergangen sein, als er vor fast 100 Jahren die Grabkammer des Tutanchamun öffnete. Reisinger atmete tief durch. Jetzt gab es kein Zögern mehr. Er griff seine Taschenlampe und leuchtete nach unten. Grob behauene Treppenstufen lagen vor ihm, die ins Dunkel führten. Ein Geländer gab es keines. Vorsichtig setzte er den ersten Schritt, einen zweiten, dritten.

Als er das Knirschen hörte, war es bereits zu spät. Sein Fuß trat ins Leere, er rutschte nach vorn, die Lampe fiel an ihm vorbei in die Tiefe. Instinktiv versuchte er sich festzuhalten. Doch seine Hand fand keinen Halt. Ein scharfer Schmerz, ein wildes Rudern.

Fall.

Ein dumpfer Schlag.

Dann versank alles um ihn.

Er wusste nicht, wie lange er gelegen hatte. Das Erste, was er spürte, war ein heftiger Schmerz, der von seinem linken Knie herkam. Reisinger versuchte sich zu bewegen. Doch der Schmerz wurde stärker.

Langsam öffnete er die Augen. Um ihn war alles dunkel, von irgendwoher hinter seinem Rücken leuchtete ein fahles Licht. Die Kälte ließ seine Erinnerung zurückkehren. Er hatte die Grabplatte des Erzbischofs zur Seite geschoben und hatte dann auf der Treppe den Halt verloren und war abgestürzt.

Reisingers Augen fielen wieder zu. Das hätte nicht passieren dürfen. Er war unvorsichtig gewesen, hatte sich von der Gier überwältigen lassen. Jetzt war er bestraft worden.

Über seinen Mund zog ein resigniertes Lächeln. Es wäre ja auch zu glattgegangen. Jeder Held musste mit Rückschlägen fertig werden. Aber genau das unterschied ihn von den anderen, von den Verzagten, von den Kleingläubigen. Ein Held gab nicht auf. Niemals.

An seinen Händen spürte Reisinger eine halb eingetrocknete Flüssigkeit. Sein Blut. Er musste versucht haben, sich in letzter Sekunde festzuklammern, und hatte sich beim Abrutschen aufgeschürft. Das würde er verkraften. Sein Knie machte ihm mehr Sorgen. Es schmerzte höllisch.

Trotzdem musste er etwas tun. Reisinger biss die Zähne zusammen und stemmte sich Zentimeter für Zentimeter nach oben. Jetzt sah er, dass das Leuchten aus der Ecke des Raumes kam, in dem er lag.

Die Taschenlampe. Sie hatte den Sturz heil überstanden. Ein gutes Zeichen!

Langsam schob sich Reisinger auf dem Boden vorwärts, bis er die Lampe mit der Hand greifen konnte. Er musste eine längere Zeit ohnmächtig gelegen haben, die Kraft des Lichtstrahls hatte bereits deutlich nachgelassen. Zum Glück hatte er Ersatzbatterien dabei. Der Rucksack lag oben in der Krypta. Sobald der Schmerz etwas erträglicher wurde, würde er hinaufsteigen und sie auswechseln.

Reisinger ließ das spärliche Licht durch den Raum wandern. Er befand sich in einer Art Verlies. Auf dem nackten Erdboden lagen Sand und Steine. Sonst war die Kammer völlig leer.

In der grob behauenen Wand zeichnete sich ein Schatten ab, ein schmales Dunkel im Dunkel. Eine niedrige Öffnung.

Der Gang!

Reisinger jubilierte. Er hatte recht gehabt. Dies konnte nichts anderes sein, als der Ausgang des sagenumwobenen unterirdischen Zugangs zum Münster. Das Geheimnis der Zähringer!

Mit größter Willensanstrengung stand er auf. Wieder durchzuckte ihn ein heftiger Schmerz, als er versuchte, den Fuß aufzusetzen. Doch er wollte sich jetzt nicht aufhalten lassen.

Schritt um Schritt schleppte Reisinger sich vorwärts. Vor der Öffnung bückte er sich und stützte sich an den Wänden ab. Es konnten nur noch wenige Meter sein, die ihn von dem Ort mit dem Münsterschatz trennten. Die Erbauer des Verstecks waren genial vorgegangen. Der Ort war nicht nur gut versteckt, sondern auch bestens zu verteidigen. Hier käme kein Eindringling vorbei, der nicht …

Nach der ersten Biegung war der Gang zu Ende. Im Licht der Taschenlampe sah Reisinger vor sich eine Wand aus Stein, Fels und Erde. Keine Lücke war zu erkennen. Alles war fest miteinander verkeilt. Es sah aus, als sei der Gang an dieser Stelle vor langer Zeit eingebrochen.

Zum ersten Mal spürte der Professor eine leise Enttäuschung. Doch er fing sich rasch. Wie konnte er erwarten, dass nach Jahrhunderten alles unverändert geblieben war? Bisher war alles gut gegangen, wenn er von seinem Sturz absah. Doch das war mehr seiner Unbesonnenheit zuzuschreiben als dem, was er vorfand. Bedauerlich war nur, dass sich das Ganze nun zeitlich verzögern würde. Hier halfen nur Hacke und Schaufel. Aber nach ein, zwei Tagen Arbeit wäre der Zugang freigelegt.

Ein letztes Mal leuchtete er alles sorgfältig ab. Dann tastete er sich zurück in den kleinen Vorraum. Völlig erschöpft ließ er sich an einer der Wände zu Boden sinken. Die Aktion hatte Reisinger viel Kraft gekostet. Der Schmerz im Bein war kaum mehr auszuhalten.

Vielleicht war es besser, eine längere Pause einzulegen. Auf ein paar Tage kam es nun auch nicht mehr an. Er würde seine Verletzung in Ruhe auskurieren und dabei das weitere Vorgehen gut planen. Beim nächsten Mal würde er mit Seilen und den nötigen Werkzeugen zurückkommen. Dann würde ihn nichts mehr aufhalten.

Von seinem Platz aus leuchtete Reisinger ein weiteres Mal den Raum ab. Schräg über sich sah er die rechteckige Stelle in der Decke, von wo aus er heruntergestürzt war. Die Grabplatte war wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückgeglitten. Der schwere Stein war mit einem einfachen Schwingmechanismus verbunden und von der Unterseite aus mit einem steinernen Hebel zu bedienen. Einfach, aber wirkungsvoll, stellte Reisinger voller Bewunderung fest. Und noch nach Jahrhunderten funktionsfähig! Er würde ihn problemlos öffnen können, er musste lediglich die Stufen …

Die Erkenntnis traf den Professor wie ein Schlag.

Es gab keine Stufen mehr. Was er im trüben Licht sah, waren die Reste dessen, was einmal in die Wand eingelassen war. Auf dem Boden darunter lagen ein paar vereinzelte Brocken. Das war alles.

Drei Meter.

Selbst wenn er mit seinem verletzten Knie in der Lage gewesen wäre zu springen, konnte er den Mechanismus nicht erreichen. Die spärlichen Reste in der Wand machten ein Hochklettern völlig aussichtslos.

Reisinger stöhnte vor Enttäuschung. Das warf alle seine Pläne über den Haufen. Er musste um Hilfe rufen. Und dann würde er erklären müssen, wie und warum er in dieses Verlies gelangt war.

Resigniert zog er sein Mobiltelefon aus der Hemdtasche. Zum Glück hatte es den Sturz überstanden. Das Display warf ein beruhigendes Licht auf sein Gesicht.

Wen sollte er anrufen? Ließ sich der Schaden noch in Grenzen halten? Das Unvermeidliche aufhalten? Der junge Burger wäre jetzt der Richtige. Doch der ruhte inzwischen auf dem Grund des Waldsees. Kollegen von der Fakultät? Reisinger schnaubte verächtlich. Niemals. Neider, Ignoranten, Karrieristen allesamt, von denen ihm keiner das Wasser reichen konnte. Diese Erniedrigung konnte er nicht auf sich nehmen. Jemanden von der Stadt? Vom Münsterbauverein? Oder einfach den Notruf?

Kein Netz.

Die beiden Worte starrten ihm nüchtern entgegen. Reisinger schluckte. Ein Gedanke keimte in ihm auf und wurde rasch größer. Ein äußerst unangenehmer Gedanke.

Er schwenkte das Handy im Raum langsam hin und her. Manchmal ging es auf diese Weise. Über den Kopf. Verkehrt herum.

Kein Netz.

Mühsam rappelte er sich auf, Schritt für Schritt ging er den Raum ab, den Blick starr auf das kleine, leuchtende Rechteck gerichtet.

Kein Netz.

Reisinger ermahnte sich zur Ruhe. Es gab für alles eine Erklärung, und es gab für alles eine Lösung. Es konnte in den Gewölben tief unter Tausenden von Tonnen Erde und Gestein keinen Handyempfang geben. Natürlich nicht. Er musste eine andere Möglichkeit finden, sich bemerkbar zu machen.

Plötzlich hörte er es. Ein Rascheln. Ein leises Klopfen. Das Trippeln kleiner Füße. Neugierig spähte die Ratte in den immer schwächer leuchtenden Lichtkegel der Taschenlampe. Sie setzte sich auf, reckte die Nase nach oben, nahm Witterung auf. Dann strich sie sich mit beiden Pfoten über die Schnurrbarthaare. Reisinger stockte der Atem. Der Gang!, durchfuhr es ihn. Wenn die Ratte hier hereingekommen war, musste es auch einen Ausgang geben.

Er setzte einen Schritt vorwärts. Im selben Augenblick drehte sich die Ratte um und hoppelte davon. Der Schmerz überfiel den Professor mit voller Wucht. Trotzdem humpelte er dem Tier hinterher in den Gang. Vor der Einsturzstelle setzte sich die Ratte erneut auf und beäugte den großen Menschen. Dann verschwand sie plötzlich unter einem Felsstück in der Wand.

Reisinger griff in die kleine Öffnung und begann, mit seinen Fingern die Erde aufzukratzen. Immer wieder rüttelte er an dem Stein. Vergebens. Seine Nägel hinterließen kaum sichtbare Spuren in der Wand.

Es war sinnlos.

Reisinger schleppte sich den Gang zurück. Erschöpft sank er vor der Wand zu Boden. Sein Bein war ein einziger flammender Schmerz. Vor seinen Augen tanzten rote Lichter.

Bei aller Enttäuschung durfte er jetzt nicht aufgeben. Es musste andere Möglichkeiten geben. Die Türen fielen ihm ein. Die Türen! Vielleicht hatte er doch nicht alle hinter sich verschlossen. Bestimmt würde einer der kirchlichen Mitarbeiter aufmerksam werden und Verdacht schöpfen. Er musste nur durchhalten.

Klaren Kopf behalten.

Nicht aufgeben.

Niemals.

In seinen traumlosen Schlaf mischte sich Musik. Himmlische Töne drangen von weit her an sein Ohr. Mit einem Ruck wachte Reisinger auf und lauschte. Das war kein Traum! Gedämpft und doch ganz deutlich hörte er Musik. Die Orgel! Viele Meter über ihm saßen die Besucher des Münsters und lauschten einem weiteren Abendkonzert!

Sofort kam die Hoffnung zurück. Vielleicht konnte er sich doch bemerkbar machen. Irgendwie.

Er tastete sich durch den Raum, immer den Tönen nach. Direkt neben der Öffnung zu dem Gang war die Musik am deutlichsten zu hören. Reisinger schoss das Blut in die Schläfen. Natürlich, das war es. Das musste es sein.

Die Posaune der Geister!

Es musste die Stelle unterhalb der Säule des Seitenaltars am Hahnenturm sein. Die Stelle, die mit den Bögen im Kirchenschiff in direkter Verbindung stand.

Reisinger konnte es kaum erwarten, bis das Konzert zu Ende war. Als die letzten Töne verklangen, drückte er sein Gesicht eng an die Wand und begann zu rufen. Kurz nacheinander. Und laut. So laut er konnte.

Rasch legte er sein Ohr an die Wand und lauschte. Keine Reaktion. Ein zweiter Versuch. Reisinger legte seine ganze Kraft in die Stimme. Wieder presste er sein Ohr an die Wand. Dieses Mal hörte er Stimmen. Weit entfernt, aber deutlich.

Eine Antwort!

Reisinger stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Ein drittes Mal rief er und presste sein Ohr an die Wand. Er konnte verstehen, wie sich die Stimmen zu Worten und Sätzen formten!

»… die Posaune der Geister. Wenn es ganz still ist, kann man sie manchmal hören, Stimmen, die aus der Tiefe kommen. Man sagt, es sei das Wispern und Klagen ruheloser Seelen. Oder ist es doch nur der Wind?«

Freizeittipps (Münsterplatz):

Münster

Das Münster Unserer Lieben Frau, erbaut von 1200 bis 1513, ist eine römisch-katholische Kirche. Das Wahrzeichen der Stadt Freiburg gilt als künstlerisch-architektonische Meisterleistung der Gotik. Der 116 Meter hohe Turm wurde als einziger in Deutschland noch im Mittelalter beendet und gilt nicht nur bei Einheimischen als »schönster Turm der Christenheit«.

Auswahl besonderer Sehenswürdigkeiten:

die Portalvorhalle mit ihrem umfangreichen und besterhaltenen Figurenzyklus hochgotischer Bildhauerkunst;

die Glasfenster, neben biblischen Darstellungen unter anderem mit Motiven der Freiburger Handwerkerzünfte;

der Hochaltar von Hans Baldung Grien und ein Altar von Hans Holbein dem Jüngeren;

die Vielzahl bizarrer Wasserspeier im Außenbereich.

Augenzwinkernde Mahnung: Das Münster ist seit 1827 Bischofskirche, wird aber in Freiburg aus Tradition weiter Münster und NICHT Dom oder Kathedrale genannt (ein unverzeihlicher Fauxpas für jeden Touristen!).

Hosanna