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Wenn eine Tote auf Reisen geht ... Spaziergänger finden am Strand vor Bensersiel die angeschwemmte Leiche einer jungen Frau. Die fortgeschrittene Verwesung erschwert die Identifizierung und die Bestimmung der Todesursache. Als Maria Fortmann und Peter Goselüschen schließlich erfahren, dass es sich bei der Leiche um Swea Hendrickson aus Greetsiel handelt, steigt die Verwirrung. Denn Hendrickson wurde bereits vor einigen Wochen beerdigt. Die Ermittler stehen vor einem Rätsel.
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Mordseegrollen
Maria Fortmann ermittelt
Impressum:
© 2019 Marcus Ehrhardt
Klemensstraße 26
49377 Vechta
E-mail: [email protected]
ISBN: 9783748159155 (der Taschenbuchausgabe)
Korrektorat / Lektorat: Tanja Loibl
Titelgestaltung: MTEL-Design
Bildnachweis: pixabay
Alle Rechte vorbehalten. Jede Weitergabe oder Vervielfältigung in jeglicher Form ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors erlaubt.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Danksagung
Über den Autor
Eine Bitte am Schluss
Aufgeregt rannte Johannes seinen Eltern entgegen.
»Kommt schnell, ich habe eine tote Robbe gefunden!« Die Eltern des Fünfjährigen sahen sich ratlos an und folgten dann ihrem Sprössling, der bereits wieder hinter der Düne aus ihrem Sichtfeld verschwunden war.
»Warte, Johannes«, rief sein Vater ihm nach und seine Mutter schrie:
»Fass die bloß nicht an!« Sie beschleunigten ihren Schritt und nach wenigen Metern hatten sie den Scheitelpunkt der Kurve erreicht. Sie erblickten ihren Sohn in sicherer Entfernung zu dem sich im Rhythmus der Wellen bewegenden, toten Körper, in der Hocke sitzend und mit seinen Händen im Sand des Badestrandes grabend.
»Da«, rief er, als sie ihn endlich erreicht hatten. Johannes schien äußerst stolz auf seine Entdeckung, zeigte er doch grinsend mit dem ausgestreckten Arm auf seinen spektakulären Fund.
»Ach du Scheiße«, entfuhr es seinem Vater, während seine Mutter die Hände vor den Mund hielt. »Das ist keine Robbe.« Sie ergriff die Hand ihres Sohnes, nahm ihn auf den Arm und flüsterte ihrem Mann zu:
»Mir wird schlecht. Ich muss hier weg.«
»Ja, geht«, erwiderte er leise. »Ich kümmere mich darum.«
Während seine Frau mit Johannes umkehrte, hob er einen herumliegenden Ast auf und näherte sich dem aufgedunsenen, nackten Körper, der mit dem Rücken zu ihnen auf der Seite lag. Aus der Entfernung konnte man dieses leblose Etwas tatsächlich nicht als einen Menschen identifizieren, und Gott sei Dank auch nicht, dass der Kopf fehlte. Er holte tief Luft und kämpfte dagegen an, seinem Würgereiz nachgeben zu müssen. Vorsichtig stupste er die Wasserleiche an, die sich wie in Zeitlupe zu ihm drehte.
Der Anblick der zerfressenen Vorderseite war so grausam, er konnte nicht anders: Gerade noch rechtzeitig wich er ein paar Schritte zurück und erbrach sein Frühstück auf den feinen Sand des Strandes.
Maria öffnete das Fenster ihres Büros einen Spalt weit, damit der Geruch sich nicht im Raum festsetzte, der vom Matjesbrötchen ausging, das ihr Kollege Goselüschen gerade genüsslich als Mittags-Snack verzehrte.
»Ich weiß gar nicht, was du hast«, sagte er schmatzend zwischen zwei Bissen. »Ist doch nur Fisch.« Maria schüttelte tadelnd den Kopf.
»Fisch mit einer Tonne Zwiebeln meinst du wohl.«
»Das, meine liebe«, erwiderte er, »gibt der Kreation erst den richtigen Pfiff. Außerdem hättest du dir ja auch eines holen können. Du bist doch Pescoflaganerin.«
»Ach, Gose, es heißt immer noch Pescetarierin. Und ja, hätte ich können. Aber du weißt nicht erst seit heute, dass ich tagsüber außer meinem Müsli und Obst nichts esse. Schließlich sind wir jetzt seit –«, sie blickte fragend zu ihm hinüber, »wie vielen Jahren Partner? Drei? Vier?«
»Auf jeden Fall schon lange – aber wenn es nach mir geht, Blondie, noch lange nicht lang genug.« Maria war wegen des unerwarteten Komplimentes sprachlos, aber auch argwöhnisch, ob nicht ein winziger Satz von ihm hinterhergeschoben werden würde, der es gleich wieder ad absurdum führte.
Bevor jedoch etwas in dieser Richtung geschah, ging die Tür auf und ihr Kollege Waldner steckte seinen Kopf herein.
»Moin, ihr beiden. Puh, welch ein strenger Geruch!« Er rümpfte die Nase. »Es gibt was zu tun für euch. In Bensersiel wurde eine Wasserleiche angeschwemmt. Der Doc erwartet euch bereits.« Er schaute zum unbeeindruckt kauenden Goselüschen und schob hinterher: »Du solltest vorher vielleicht besser aufessen – sie soll übel aussehen.« Ein abwertender Grunzer war dessen einzige Reaktion. Sollte es sich etwa noch nicht bis Aurich herumgesprochen haben, dass er sich eines Viehmagens rühmte? Für dieses Image hatte er doch mit unzähligen Wettessen auf diversen geselligen Dienstabenden gesorgt. Innerlich feierte er sich kurz selbst dafür, bevor er einen geschäftsmäßigen Blick aufsetzte und mit dem Kopf zu Maria deutete. Sie nahm seine Geste augenrollend zur Kenntnis.
»Danke, Karl-Heinz«, sagte sie und überlegte kurz, das Fenster zu schließen – entschied sich dann dafür, es noch weiter zu öffnen. Es würde schon niemand unerlaubt einsteigen, zumal sich das Büro im ersten Stock befand. Und so hegte sie die Hoffnung, dass sich der Fischzwiebelmief bis zu ihrer Rückkehr verzogen haben würde. »Wir machen uns gleich auf den Weg.«
***
Eine dreiviertel Stunde später parkten sie den Dienstwagen in der Nähe des Instituts für Rechtsmedizin in Oldenburg. Sie warfen dem ihnen bekannten jungen Mann an der Anmeldung einen Gruß zu und nahmen die Treppe in die erste Etage. Dort durchschritten sie den anthrazitfarben, gefliesten Korridor, der mit den weiß gestrichenen Strukturtapeten eher an ein Bürogebäude als an ein medizinisches Institut erinnerte.
»Wann hatten wir die letzte Wasserleiche?«, wollte Goselüschen wissen.
»Hm, außer der des alten Mannes, die wir vor drei Jahren aus dem Goldenstedter See gezogen haben, kann ich mich nicht erinnern, überhaupt mal etwas damit zu tun gehabt zu haben.«
»Stimmt, der lag aber nur ein paar Stunden in dem See, bevor er gefunden wurde.« Goselüschen nahm sie zur Seite und erklärte ernst:
»Ich bin zu meinen alten Zeiten in Aurich und Emden öfter damit konfrontiert worden. Glaub mir, es ist meist kein schöner Anblick, wenn die ´ne Zeit im Meerwasser gebadet haben.« Er erinnerte sich, dass sich des Öfteren selbst ihm fast der Magen umgedreht hätte. Besonders der tote Körper eines jungen Mannes vor etwa zehn Jahren war ihm besonders im Gedächtnis geblieben. Der Leichnam damals war zum Teil bis auf die Knochen abgefressen gewesen und es nisteten gar Kleintiere in ihm. Maria lächelte sanft.
»Danke, dass du mich vorbereiten willst, aber ich glaube, ich habe mittlerweile genug Widerliches gesehen. So schlimm wird es schon nicht sein.«
»Okay«, erwiderte Goselüschen, »aber sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Der Eindruck eines Bürokomplexes änderte sich schlagartig, als sie durch die schwere Schwingtür in den hellblau gekachelten Eingangsbereich des Autopsieraumes traten, wo Dr. Hallig sie bereits erwartete. Der Geruch nach Desinfektionsmittel löste den neutralen des Flures ab.
»Moin, Frau Fortmann, moin, Herr Goselüschen«, dröhnte ihnen die dunkle, kräftige Stimme Professor Doktor Halligs entgegen. Durch die deckenhohe Verfliesung verstärkt, erinnerte Maria die Begrüßung an eine Bahnhofsdurchsage. »Kommen Sie, die Zeit läuft.«
»Moin, Doc«, erwiderten sie und folgten dem hochaufgeschossenen, schlanken Mann. Auch ihnen war bewusst, dass Leichen, die in sehr kühlem Gewässer, bestenfalls am Grund, lagen, deutlich langsamer verwesten als an der Luft. Ab dem Moment jedoch, in dem sie aus dem Wasser geholt wurden, schritt der Fäulnisprozess in stark erhöhtem Tempo voran. Davon zeugte auch der Gestank, der von dem auf dem Rücken liegenden, gräulichen Leichnam ausging. Gose hatte recht, schoss es Maria durch den Kopf, das war tatsächlich das Schlimmste, das ihr je auf einem Autopsietisch untergekommen war. Klar, sie hatte während ihrer langjährigen Dienstzeit zerstückelte Menschen, diverse Schuss- und Stichverletzungen und andere Wunden durch direkte oder indirekte Gewalteinwirkung gesehen und einige davon begegneten ihr noch manchmal im Traum. Tatsächlich war es nicht unbedingt die Optik, die ihr zu schaffen machte, sondern der schier unerträgliche Gestank, der trotz der auf Maximalkraft laufenden Abluftvorrichtung in ihrer Nase brannte. Sie musste sich anstrengen, ihren Würgereflex zu unterdrücken. Trotzdem zwang sie sich, die Tote genau zu inspizieren, deren aufgedunsene Haut in Fetzen am Körper hing oder von Fäulnisgasblasen nach oben gedrückt wurde. Die Arme und Beine lagen teilweise bis zu den Knochen frei.
»Fangen wir damit an, was wir genau wissen«, begann Hallig, der jetzt den beiden Kommissaren gegenüber auf der anderen Seite des Tisches stand. »Die Tote ist weiblich und war zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 16 und 20 Jahre alt. Das kann ich anhand der Knochen bestimmen. Bei der Todesursache bin ich unschlüssig, dafür brauche ich noch etwas Zeit. Wobei das –«, er deutete auf den linken Knöchel der Toten, um den sich ein zerfaserter Nylonstrick schlang, der etwa dreißig Zentimeter lang am Bein herunterhing und ein ebenfalls fasriges Ende aufwies, »nicht auf einen Unfall hinweist.«
»Sieht eher nach Suizid aus«, sagte Goselüschen. »Oder jemand anderes meinte, sie solle auf dem Meeresgrund verschwinden.«
»Beides möglich«, sagte Hallig.
»Was ist mit dem Kopf? Können Sie etwas zu der Wunde am Hals sagen?«
»Nun, Frau Fortmann, wenn wir uns die Wundränder anschauen, so sie denn noch da sind, hat ihn entweder jemand mit einer gezackten Säge abgetrennt oder es haben sich ein paar Raubfische daran zu schaffen gemacht. Mir erscheinen die Ränder ähnlich wie die am Rumpf und an den Extremitäten.« Dabei wies er auf die am stärksten beschädigten Stellen. »Ich gebe zu, dass ich mir bei einigen Begebenheiten unsicher bin. Daher habe ich bereits zwei kundige Kollegen aus Hamburg und Bremen konsultiert, die über einen wesentlich höheren Erfahrungsfundus bezüglich dieses Zustands von Toten verfügen als mein Team hier vor Ort und ich.«
»Was ist mit dieser Narbe?« Goselüschen deutete auf eine etwa fünf Zentimeter lange Hautwulst an der rechten Schulter der Frau.
»Eine zugegeben recht unsaubere Arbeit eines Chirurgen«, klärte Hallig auf. »Wahrscheinlich hatte sie eine Operation am Schultergelenk oder der Rotatorenmanschette. Die Narbe ist aber schon einige Jahre alt.«
»Wie lange wird es dauern, bis wir Näheres von Ihren Kollegen erfahren?«
»Das kann ich Ihnen nicht genau beantworten, Herr Goselüschen. Mit zwei bis drei Wochen sollten Sie rechnen.«
»Gut, bis dahin haben wir auch das Ergebnis der DNA-Analyse aus Hannover«, sagte Maria leise.
»Hoffen wir, dass wir sie im System haben. Ohne Kopf ist es schlecht mit der Identifikation über den Zahnstatus und Fingerabdrücke können wir hier wohl auch vergessen.« Goselüschen warf seufzend einen Blick auf die Hände, deren Oberhaut fast komplett fehlte.
»Was Ihnen dabei möglicherweise helfen könnte, ist dies.« Hallig fasste den Leichnam an Becken und Schulter. Es gab ein schmatzendes Geräusch, als er ihn vorsichtig auf die Seite drehte – womöglich hatte sich unter der Lordose der Lendenwirbelsäule ein Vakuum gebildet. Dabei löste sich ein größeres Hautareal vom Körper und blieb an der stählernen Oberfläche des Autopsietisches hängen. Goselüschen presste seine Zähne zusammen, Hallig hingegen schien es gar nicht wahrzunehmen, denn er zeigte ohne eine Miene zu verziehen auf einen Fleck.
»Das sieht nach einem Muttermal aus«, sagte Maria, als sie den dunklen Punkt auf dem unteren Rücken sah, der ein gutes Stück unterhalb der großflächigen Hautwunde lag, die durch das Wendemanöver entstanden war.
»Das könnte man meinen, Frau Fortmann, aber das ist ein Tattoo – zumindest das, was noch davon übrig ist.«
»Bedauerlicherweise kann man nicht erkennen, was es mal dargestellt hat«, stellte Goselüschen fest. »Oder haben Sie dazu eine Idee?«
»Nein, dazu kann ich Ihnen leider auch nicht mehr sagen.« Er ließ die sterblichen Überreste langsam wieder in die Ausgangsposition gleiten und hob darauf entschuldigend die Arme. »Es könnte alles Mögliche sein, ein Trival, ein Schriftzug oder irgendeine Figur.«
»Danke, Doc«, sagte Maria. »Sie melden sich, sobald Sie mehr wissen?«
»Selbstverständlich, Frau Fortmann, darauf können Sie sich verlassen.« Er sah den davongehenden Kommissaren kurz hinterher und wandte sich wieder der Arbeit am Leichnam zu.
***
Nur die Fußspuren im Sand, die die Beamten der Spurensicherung hinterlassen hatten, deuteten noch auf den Fundort der Leiche hin. Da es sich bei diesem Strandabschnitt nicht um einen Tatort handelte und die wenigen Hinweise, die eventuell mit der gestrandeten Toten in Zusammenhang standen, schnell gesichert worden waren, wurde der Bereich auf Bitten der zuständigen Kurgesellschaft nach dem Abtransport der sterblichen Überreste wieder freigegeben.
»Warum macht man so etwas?« Maria ließ den Blick über das ablaufende Wasser der Ebbe schweifen, während der Wind ihre langen blonden Haare wild um ihren Kopf wirbelte. Sie griff mit einer Hand in ihre Jackentasche und zog ein Gummi hervor, mit dem sie sie zu einem Pferdeschwanz bändigte.
»Du meinst generell, sich umzubringen, oder auf diese spezielle Art? Vorausgesetzt natürlich, es handelt sich tatsächlich um einen Suizid.« Er hatte sich neben sie gestellt und gemeinsam beobachteten sie in der Ferne die nach Langeoog auslaufende Fähre, die der Insel an diesem windigen Tag jede Menge neue Touristen bescheren würde.
»Ertrinken«, sagte sie ruhig. »Das zählt zu den qualvollsten Todesarten. Es gibt mit Tabletten oder langsamem Ausbluten doch wesentlich weniger schmerzhafte Möglichkeiten.«
»Nun«, erwiderte Goselüschen. »Vielleicht meinte sie, es verdient zu haben, grausam dahinzuschwinden. Aber nochmal, ich glaube nicht an Selbstmord.« Maria schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Nein, Gose, das glaube ich auch nicht. Meine Frage zielte auch nicht auf diese Tote ab, sondern ich meinte sie eher allgemein.«
»Darüber solltest du mit einer Psychologin quatschen. Mangels Empathie bin ich dafür definitiv der falsche Ansprechpartner.« Er stieß ihr leicht mit seinem Ellbogen in die Seite. »Und nun komm, wir haben zu tun.«
Bevor sie sich den Fundort ansahen, hatten sie kurz mit der Familie gesprochen, die hier ihren Urlaub verbrachte und immer noch etwas verstört wegen ihrer Entdeckung am Morgen war.
»Zum Glück wusste unser Johannes nicht, was er da gefunden hat«, sagte seine Mutter in einem Ton zu ihnen, als ob sie für das Anschwemmen einer Leiche genau zum Zeitpunkt des Familienspaziergangs verantwortlich waren. »Wer weiß schon, was so etwas für Langzeitschäden bei dem Kleinen verursachen könnte.«
»Nun, Sie sagten ja, dass er es für einen toten Seehund gehalten hat«, erwiderte er und lächelte mild, während er dachte, dass dem Kleinen eher Spätschäden bei einer solchen Mutter bevorstünden, wenn sie alles so derart dramatisieren würde. Danach beschränkte er das Gespräch auf Sachfragen, doch wenig überraschend für die Kommissare lieferte die Unterhaltung keine verwertbaren Hinweise.
Die Situation war unbefriedigend. Solange sie keine Ergebnisse aus dem Labor hatten und der abschließende Befund der Rechtsmedizin ihnen nicht vorlag, traten sie mit ihren Ermittlungen auf der Stelle. Die Tür schwang auf und der Dienststellen-Nerd – jedenfalls schien er optisch mit seinem Polohemd und der Nickelbrille mit aller Macht an diesem Image zu feilen – betrat mit großen Schritten das Büro.
»Ihr benötigt meine Dienste?«, fragte die fröhliche Männerstimme ihres jungen Kollegen Sebastian. Er zog sich einen Stuhl heran und ließ sich mit einem übertriebenen Stöhnen darauf fallen.
»Moin, Basti. Schwerer Tag?«, begrüßte ihn Goselüschen, ohne von den Unterlagen auf seinem Schreibtisch aufzusehen.
»Basti, danke, dass du so schnell gekommen bist.«
»Für euch doch immer«, erwiderte der IT-Spezialist der Dienststelle, der für alles zuständig war, was auch nur im Entferntesten mit dem Internet oder Computern allgemein zu tun hatte. Nachdem Goselüschen und Maria ihn in ihrem letzten Fall komplett in ihre Ermittlungen gegen einen Serienmörder eingebunden hatten, fühlte er sich bei den beiden besonders wohl.
»Okay, pass auf«, begann Goselüschen. »Du hast vom Fund der Wasserleiche gehört?« Sebastian nickte. »Gut, dann bring ich dich mal auf den unbefriedigenden momentanen Stand: Fingerabdrücke Fehlanzeige, ein Zahnstatus ist mangels des nichtvorhandenen Kopfes ebenso unmöglich und auf die DNA-Analyse müssen wir noch warten. Wir wissen lediglich, dass sie weiblich, zwischen 16 und 20 ist, und dass sie eine ältere Narbe an der vorderen rechten Schulter und ein Tattoo am Rücken hat – welches allerdings nicht mehr zu erkennen ist. Körpergröße etwa 1,70 m und normalgewichtig.« Goselüschen schaute kurz hoch. »Machst du keine Notizen?« Sebastian lächelte ihn an und tippte mit dem Zeigefinger an seinen Kopf.
»Das brauche ich nicht. Masterbrain, du verstehst?« Goselüschen schüttelte den Kopf.
»Na dann. Okay, weiter: Sie hatte einen Nylonstrick um einen Knöchel gebunden. Wir müssen wissen, ob so eine Leiche schon einmal irgendwo aufgetaucht ist. Und du müsstest alle Vermisstenanzeigen der letzten Monate auf Übereinstimmung checken. Zur Sicherheit frag bei den Kollegen in den Niederlanden und Dänemark nach, ob bei denen die Beschreibung auf jemanden passt.«
»Kennen wir die Todesursache?«
»Nein«, sagte Maria. »Der Doc ist unsicher und wartet auf die Expertise einiger seiner Kollegen.« Sebastian sprang auf und ging zur Tür, wo er kurz verharrte und einen Blick über die Schulter warf.
»Gebt mir zwei Stunden.«
»Nein«, erwiderte Goselüschen scharf, »du hast genau 120 Minuten!« Sebastian lachte auf und verschwand im Flur.
»Gose, du weißt, dass du nicht ganz dicht bist?«
»Ach, Blondie, nur, weil du diese Behauptung immer wieder aufstellst, wird sie nicht automatisch wahrer.«
***
Sebastian brauchte nur etwas über eine Stunde, bis er ins Büro der beiden zurückkehrte. In seiner Hand flatterten einige lose Ausdrucke.
»Schon fertig?« Goselüschen zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Du schaffst es immer wieder, mich zu überraschen.«
»Gose, er verfügt noch über den jugendlichen Elan, der dir vor wahrscheinlich – das heißt: Hattest du ihn jemals?«
»Clown gefrühstückt oder was?«, erwiderte er sachlich, bevor er sich Sebastian zuwandte. »Was hast du für uns?« Sebastian fühlte sich offensichtlich gut unterhalten, schaute er doch grinsend zwischen den beiden hin und her.
»Ich fürchte, nichts wirklich Brauchbares. Entlang der Nordseeküste werden momentan zwei Mädchen in diesem Alter vermisst – eine aus Cuxhaven, die andere kommt aus Husum. Beide haben nach Angaben der Kollegen keine Tattoos. Die Niederländer und Dänen haben zur Zeit keine Vermisstenmeldung, die auf unsere Leiche passen würde. Auch sind in den letzten Monaten weder dort noch bei uns verstümmelte Wasserleichen mit Seilen oder Ähnlichem um die Gliedmaßen aufgetaucht.