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Wenn der Urlaub zum Horrortrip wird ... Die suspendierte Kommissarin Maria Fortmann verbringt ihren Urlaub auf Langeoog, um für die bevorstehende Rückkehr in den aktiven Dienst Kraft zu tanken. Nach wenigen Tagen wird eine Frau, die im selben Hotel logiert, vergewaltigt und erdrosselt aufgefunden. Die zuständigen Ermittler vor Ort messen der Aussage einer vermeintlich verwirrten Inselbewohnerin keine Bedeutung bei und halten eisern an ihrem Hauptverdächtigen fest, da alles gegen ihn spricht. Einzig Maria zweifelt an dessen Schuld und versucht, den wahren Täter zu überführen. Eine Entscheidung, die sie in größte Gefahr bringt.
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Marcus Ehrhardt
Mordseerauschen
Mordseerauschen
Copyright © 2018 Marcus Ehrhardt
Alle Rechte vorbehalten. Jede Weitergabe oder Vervielfältigung in jeglicher Form ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors erlaubt.
Impressum: Marcus Ehrhardt Klemensstraße 26 49377 Vechta Deutschland
E-Mail: [email protected]
Korrektorat / Lektorat: Tanja Loibl
Titelgestaltung: MTEL-Design
Bildnachweis: pexels-photo-417210; dauphin-island-2882871; seagulls-2521048_1920
Diese Geschichte ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig oder erfolgen mit ausdrücklicher Genehmigung.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Danksagung
Über den Autor
Eine Bitte am Schluss
Maria blieben zwei Wochen, um sich mental auf ihren Wiedereinstieg in den Polizeidienst vorzubereiten – vorausgesetzt, es würde alles gut gehen. Seit über sechs Monaten war die Hauptkommissarin bereits vom Dienst suspendiert, nachdem sie im letzten Jahr bei ihren eigenmächtigen Ermittlungen gegen eine geheime Selbstjustizorganisation mehrere Gesetze gebeugt oder gar gebrochen hatte. Sie verdankte es einzig dem durchschlagenden Erfolg ihrer Mission, in deren Folge viele hochrangige Polizisten, Juristen und Politiker überführt werden konnten, dass man ihr unter Auflagen die Rückkehr in den Dienst in Aussicht gestellt hatte. So wurde Maria intensiven psychologischen Untersuchungen und Tests unterzogen, wovon sie den letzten vor zwei Tagen abgeschlossen hatte. Heute Morgen bekam sie den erlösenden Anruf ihres Chefs.
»Maria, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Ihre Rückkehr als unbedenklich eingestuft wurde. Machen Sie sich noch ein paar schöne Tage. Am nächsten Ersten will ich Ihren Hintern auf dem Bürostuhl sehen.« Der zentnerschwere Felsbrocken, der Maria von ihren schmalen Schultern fiel, musste kilometerweit zu hören gewesen sein. Sie atmete tief ein und aus, wodurch eine kleine Pause entstand. Gerade wollte er nachhaken, ob alles in Ordnung wäre, dann fragte Maria:
»Echt? Keine Tests mehr? Ich habe alles bestanden?« Sie musste sich zwingen, einen Freudenschrei zu unterdrücken und begnügte sich damit, ihre freie Hand zur Faust zu ballen.
»Ja, Maria, das haben Sie. Und wenn ich ehrlich bin, hätte mich ein anderes Ergebnis auch sehr überrascht.«
»Puh, dass das nochmal ein Ende hat! Danke. Dann bis in drei Wochen.« Sie wartete seine Erwiderung ab und drückte auf die rote Taste, um das Gespräch mit Dr. Mühlenhardt zu beenden. Darauf drehte sie sich zu ihrem Vater herum, der mit ihrer Reisetasche ein paar Meter hinter ihr wartete.
»Wenn ich dein Honigkuchengrinsen richtig deute, bist du wieder im Dienst«, sagte er mit seiner tiefen Stimme. Von jetzt auf gleich schossen ihr Tränen in die Augen und sie warf sich dem hochaufgeschossenen, schlanken Mann in die Arme. Er strich ihr liebevoll über ihre zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen, blonden Haare.
»Ja, zum Glück.« Er löste sich aus ihrer Umklammerung und schob sie etwas von sich.
»Das freut mich. Aber jetzt beeil dich. Deine Fähre legt in ein paar Minuten ab.« Er deutete zur Halle mit den Fahrkartenschaltern. Sie durchschritten die rechte Glasschiebetür und nach einer kurzen Wartezeit hielt Maria ihr Ticket in der Hand. Ihr Vater folgte ihr durch das Gebäude und half ihr mit dem Gepäck die Treppe hinunter zu den Eingängen, über denen quer in schwarzen Lettern auf einem weißen Schild zu lesen stand: Nach Langeoog.
»Hier«, sagte sie und reichte ihrem Vater das Smartphone mit dem pinken Gehäuse. »Bewahr es bitte für mich auf, ich möchte absolute Ruhe.«
»Kluge Entscheidung, Schatz«, sagte ihr Vater mit einem milden Lächeln. »Ich hole dich hier in vierzehn Tagen wieder ab. Pass auf dich auf und erhol dich gut.« Sie drückte ihm einen schnellen Kuss auf die Wange und stellte sich am Ende der Warteschlange an.
Maria kannte die Abneigung ihres Vaters gegen Verabschiedungen. Von daher machte es ihr nichts aus, dass er sich längst wieder auf dem Weg in sein Heimatdorf Visbek in der Nähe Vechtas befand, als sie eine Viertelstunde später an der Reling des Brückendecks stand und den Fährhafen von Bensersiel beobachtete. Dieser wurde scheinbar immer kleiner, bis er mit der Skyline des Hafenortes verschwamm und schließlich nicht mehr zu erkennen war.
Eine frische Nordbrise blies ihre Windjacke auf. Der salzige Geschmack in ihrem Mund entlockte ihr ein Lächeln. Urlaub! Das ist Urlaub!
Etwa fünf Kilometer weiter und eine dreiviertel Stunde später erreichten sie das 19 Quadratkilometer große Eiland. Lange hatte Maria überlegt, wo sie ihren Urlaub verbringen wollte. Cuxhaven, im Speziellen der Stadtteil Duhnen mit seiner einladenden Promenade und den herrlichen Wegen am Deich, war ihre Lieblingsadresse für Kurzaufenthalte. Diesmal machte jedoch die Insel Langeoog mit ihren knapp 2000 Einwohnern das Rennen, unter anderem wegen der Tatsache, dass die Insel autofrei war. Obendrein ihr Handy daheimzulassen unterstützte die Hoffnung, wirklich zur Ruhe finden zu können. Die letzten eineinhalb Jahre hatten ihren Bedarf an extremer Aufregung mehr als gedeckt.
Mit einem Lächeln reagierte sie auf den Zusammenstoß mit zwei Jungen im Alter von ungefähr zehn Jahren, als sie von Bord ging und wieder festen Boden unter den Füßen spürte.
»Passt doch auf!«, hörte sie die Stimme einer Frau hinter sich rufen. Die gestresst wirkende Passagierin müsste wohl die Mutter der beiden Racker sein, die laut lachend weiterliefen. »Tut mir leid«, sagte sie anschließend zu Maria, die schnell ihr Gleichgewicht wieder gefunden hatte.
»Kein Problem«, erwiderte sie. »Da habe ich schon Schlimmeres erlebt.« Die schlanke Frau, die der sportlichen, 1,78 m großen Maria nur bis zur Nase reichte, stellte sich als Verena vor. Maria ergriff die ausgestreckte Hand Verenas und schüttelte sie kurz. Ihr war zwar nicht danach, neue Freundschaften zu schließen, trotzdem antwortete sie freundlich.
»Freut mich, ich bin Maria.« Jetzt lächelte auch Verena, bevor sie abrupt ihren Schritt beschleunigte und den Jungs folgte. Sie war bereits ein paar Meter vor Maria, da drehte sie sich kurz um.
»Vielleicht sehen wir uns nochmal, dann gebe ich Ihnen einen Kaffee aus – als Wiedergutmachung.« Ohne Marias Reaktion abzuwarten, setzte sie die Verfolgung ihrer Söhne fort. Lauf du mal lieber deinen Wildfängen hinterher, dachte Maria und begann damit, sich zu orientieren. Schließlich war das ihr Premierenbesuch auf dieser Insel.
Wenige Meter vor dem Ausgang wartete die Inselbahn auf die Neuankömmlinge. Maria entschied sich für den letzten Waggon, der von seinem Gelbton her auch ein Postwagen hätte sein können. Ihre neue Bekanntschaft und deren Söhne sah sie weiter vorne in einem blauen verschwinden, der gleich hinter der, wie Maria fand, niedlichen Lokomotive angehängt war. Im gefühlten Schneckentempo setzte sich der Zug in Bewegung und nach zehn Minuten hatten sie den Inselbahnhof erreicht. Maria schnappte ihren Reisetrolley und zog ihn auf den Pflastersteinen ratternd auf der Suche nach ihrem Hotel hinter sich her.
Sie passierte einige Fahrradverleihstationen, bis sie den Eingang zum Inselhotel erreichte. Der Duft aus zahllosen Cafés, Restaurants und Eisdielen auf dem Weg dorthin hatten es Maria erschwert, standhaft zu bleiben und sich nicht mit den Leckereien zu versorgen. Ich muss aufpassen, nicht als rollende Kugel zu enden bei all den kulinarischen Verlockungen hier, dachte sich die sportliche Maria schmunzelnd. Sehr zum Neid anderer Frauen hatte sie jedoch nicht wirklich Probleme, ihre Figur zu halten.
An der Rezeption wartete Maria, bis das Paar vor ihr eingecheckt hatte. Die brünette, attraktive Frau, die Maria auf Anfang 30 schätzte, füllte mit der rechten Hand das Anmeldeformular aus, während sie gleichzeitig mit der linken auf ihrem Smartphone herum wischte. Ihr Partner, ein ebenso gut aussehender Mann mit kurzen braunen Haaren, der ungefähr in ihrem Alter, also Ende 30 sein müsste, wandte sich etwas von seiner Frau ab. Als er Maria erblickte, zeigte sein Gesicht eine entschuldigende Miene. Sie konnte nicht eindeutig sagen, ob er damit den entspannt wirkenden, stoischen Hotelangestellten meinte oder ob das Augenrollen seiner gestresst erscheinenden Partnerin galt. Es interessierte Maria auch nicht. Sie hatte Urlaub, und das Letzte, womit sie konfrontiert werden wollte, war Stress – in welcher Form auch immer. Was auch möglicherweise geklappt hätte, wäre sie in einem anderen Hotel abgestiegen. Wenige Augenblicke später verließ das Pärchen, welches vom Angestellten mit Frau und Herr Hohenlindern angesprochen wurde, den Rezeptionsbereich. Armer Kerl, der hat es nicht leicht, dachte Maria, als sie dem ächzenden, zwei riesige Reisekoffer tragenden Mann hinterher sah, der nur mit Mühe seiner Frau folgen konnte.
***
Maria setzte ihre Unterschrift unter das Anmeldeformular und schob es dem Hotelangestellten hin. Wie in Zeitlupe griff der junge Mann, der scheinbar auf Valium war, nach dem Klemmbrett und löste den Zettel davon, um ihn in einen Ordner abzuheften.
Ein lautes Krachen hinter ihr ließ sie zusammenzucken. Die Eingangstür war mit Schwung geöffnet worden und schepperte gegen die Wand. Im Gegensatz zum Rezeptionisten, den der Lärm nicht zu interessieren schien, drehte sich Maria zur Quelle des Geräusches und wusste im ersten Moment nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Verena, ihre Bekanntschaft vom Hafen, rief ihren beiden vorauseilenden Jungs hinterher, sie sollten nicht rennen und doch bitte leise sein.
»Oh, Maria, das ist ja ein Zufall!«, sagte sie mit einem Strahlen, das Maria nötigte, ebenfalls zu lächeln.
»Verena, lange nicht gesehen.« Die Jungs waren tosend im hinteren Bereich des Hotels verschwunden, wohin gerade auch das Pärchen Hohenlindern gegangen war. Die Lautstärke ihrer Stimmen nahm kontinuierlich ab.
»Genau«, sagte Verena, dann atmete sie tief durch. »Ich wäre mit den beiden viel lieber direkt in eine Ferienwohnung gezogen, aber so kurzfristig war leider nichts frei. Wir müssen drei Tage hier überbrücken, bevor wir in unser endgültiges Domizil einkehren.« Drei Tage werde ich wohl aushalten, dachte sich Maria mit etwas schlechtem Gewissen.
»Ja, die beiden scheinen Auslauf zu brauchen.« Verenas Blick zeigte Dankbarkeit für das aufgebrachte Verständnis. »Nun, wir sehen uns«, fuhr Maria fort, griff nach ihrer Reisetasche und dem Zimmerschlüssel, den Herr Valium ihr reichte, und verschwand im der Anmeldung gegenüberliegenden Fahrstuhl.
Die Tür des Lifts schloss sich surrend. Maria drückte auf die 3 und lehnte sich mit dem Rücken an die hintere Wand in der kleinen Kabine.
»Uff, das kann ja was werden. Vielleicht wäre Grönland die bessere Wahl für einen entspannten Urlaubsort gewesen«, sagte Maria zu ihrem Spiegelbild, strich sich eine einzelne Strähne aus der Stirn und konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
Nach wenigen Minuten stand sie auf dem Balkon von Zimmer 313 und genoss den Ausblick. Direkt unter ihr kreuzten sich die beiden Hauptgeschäftsstraßen, die von Cafés, Restaurants und Souvenirshops gesäumt wurden. Über den Dächern der Häuser konnte sie in ein paar hundert Metern Entfernung den Wasserturm, das Wahrzeichen Langeoogs, erkennen. Noch ein Stück weiter spiegelte sich die einfallende Sonne auf der Wasseroberfläche der Nordsee. Welch wundervoller Ausblick, schwärmte Maria, hier würde sie es spielend zwei Wochen aushalten.
Sie musste hinter der Ecke des Spielzeugladens einem schmalen Gang folgen, bis sie sich durch ein Holztor gehend auf dem Hof der Fahrradvermietung wiederfand, die ihr jemand aus dem Hotel empfohlen hatte. Der ältere Mann mit dem schütteren Haar begrüßte sie freundlich.
»Moin, hübsche Frau, was kann ich für Sie tun?«
»Moin«, erwiderte Maria ebenso freundlich. »Ich brauche ein Rad für zwei Wochen, am besten ein sportliches Modell.«
»Für ein E-Bike sehen sie mir auch zu fit aus.« Er lachte herzlich. »Allerdings ist das nicht unbedingt ein Grund, viele Besucher schätzen aufgrund des Gegenwindes die Möglichkeit der technischen Unterstützung.« Er bedeutete ihr mit einer Geste, ihm in einen Schuppen zu folgen. Dort zeigte er auf verschiedene Fahrräder. »Hier hätten wir ein paar Mountainbikes und Rennräder, von Letzteren rate ich allerdings wegen der teilweise holprigen Wege ab.« Maria besah sich das Angebot und griff dann nach einem Mountainbike mit pinkem Rahmen.
»Das nehme ich«, sagte sie und klatschte mit der flachen Hand auf den glänzenden Sattel.
»Gute Wahl, das müsste sogar von der Einstellung für Sie passen.«
Nachdem sie einen fairen Preis ausgehandelt und ihn bar bezahlt hatte, machte sie sich auf, die ihr bislang unbekannte Insel zu erkunden.
***
Ein schönes Motiv gab das Denkmal Lale Andersens ab, jener Sängerin, die durch das Lied Lili Marleen zu weltweiter Bekanntheit gelangt war. Die bronzene Figur lehnte getreu dem Hit an einer Straßenlaterne. Im Hintergrund sah Maria den Wasserturm in den Himmel ragen, der durch seine durchgehend achteckige Bauweise ein markantes Erscheinungsbild abgab und optisch praktisch unverwechselbar war. Kurz ärgerte sie sich, ihr Smartphone bei ihrem Vater gelassen zu haben – nur zu gern hätte sie ein paar Fotos geschossen. Das ist wohl der Nachteil einer Zeit, in der echte Kameras nur noch von Profifotografen geschätzt werden, schloss sie ihre Gedanken ab.
Am Wasserturm angekommen konnte sie etwas Enttäuschung nicht unterdrücken, als sie an der verschlossenen Tür rüttelte. Sie würde bis morgen warten müssen, um die Aussicht von der Turmspitze genießen zu können.
»Okay, dann halt ein anderes Mal«, sagte sie und stoppte kurz auf der Treppe, die auf den Weg zurückführte. Zahllose Hängeschlösser, die von Liebenden am Geländer angebracht und mit ihren Initialen und Herzchen verziert worden waren, versetzten ihr kurz einen Stich ins Herz. Sofort musste sie an ihren Ex-Freund Kurt Stohmann denken, einen ehemaligen Staatsanwalt, mit dem sie einige wunderbare Monate verbracht hatte, ohne zu ahnen, in welche kriminellen Machenschaften er verstrickt war. Wofür er gerade eine langjährige Haftstrafe absaß. Aber das war eine andere Geschichte, dachte sie, schüttelte sich und verdrängte die Erinnerung daran, um schönen und neuen Dingen Platz zu machen. Die spontane Ablenkung einige Meter vom Wasserturm entfernt kam wie gelegen. Dort stach ihr die Buchhandlung Krebs mit dem gleichnamigen Tier als Erkennungssymbol ins Auge. »Wie witzig, das passt ja.« Sie überflog die Auslage und war überrascht, welches ansprechende Sortiment sie in dem Laden vorfand. »Für genügend Nachschub ist also bestens gesorgt.«
Als sie einige Nachfolgekandidaten für ihr aktuelles Buch ausgekundschaftet hatte, nutzte sie die mit Holzbohlen befestigten Wege zwischen den Dünen, um ihr Fahrrad schiebend zum Strand zu gelangen.
»Jawoll! Das ist Urlaub«, sagte sie mit strahlenden Augen. Eine aufkommende Böe blies ihre Haare aus dem Gesicht, sodass die Strähnen in alle Himmelsrichtungen von ihrem Kopf abstanden. Maria zog ihre Sneakers aus, krempelte die Hosenbeine bis über die Knie und lief barfuß durch den feinen Sand, der sich warm und weich anfühlte, ein Stück weit ins Meer, bis der Saum der Jeans sich vom Salzwasser dunkel färbte. »URLAUB!« Der aufbrausende Wind verschluckte ihren Ruf und nicht einmal die kreischenden Möwen schienen ihn mitbekommen zu haben – setzten sie doch unbeirrt ihre Jagd auf kleine Fische fort.
Nachdem Maria die Insel auf dem Rad fast einmal umrundet hatte, hielt sie kurz an, bevor sie wieder in den Ort einfahren wollte. Sie lehnte sich an einen alten Holzzaun, dessen verwitterte Bretter den Anschein erweckten, dass sie offensichtlich länger keine Farbe oder Holzschutzmittel gesehen hatten. Der wilde Vorgarten und das teilweise verfallene Haus hinter dem Zaun ließen darauf schließen, dass hier niemand mehr wohnte. Marias Blick schweifte über die Hügel, welche sie entfernt an eine postapokalyptische Landschaft erinnerten, die sie aus einigen Filmen dieses Genres kannte. Gerade stellte sie sich vor, wie Mel Gibson in seiner Rolle als Mad Max mit seinem Motorrad über einen dieser aufgeschütteten, von Gräsern und Heidekraut bewachsenen Hügel preschte und von einem futuristisch anmutenden, panzerähnlichen Gefährt verfolgt würde, aus dessen Luke ein Mann mit einer Augenklappe und hasserfülltem Gesicht wild in Richtung des flüchtenden Mad Max gestikulierte.
Mit einem Lächeln wollte sich Maria wieder auf ihren Untersatz schwingen, da merkte sie, dass ihre Haare sich irgendwo verfangen haben müssten. Sie griff an ihren Hinterkopf und erschrak, als sie eine fremde Hand spürte. Einen Satz nach vorn, weg vom Zaun machend, entriss sich Maria mit einem Aufschrei und hatte das Gefühl, von einem Film in den nächsten geschleudert zu werden. Auf der anderen Seite der Einfriedung stand eine Frau, deren Arm noch immer ausgestreckt in Marias Richtung zeigte.
»Engelsgleich«, sinnierte ihr Gegenüber mit der Brille, deren Gläser an Glasbausteine erinnerten. Einzelne Haare hatten sich gelöst, die von der Frau begutachtet und dann vom Wind fortgetragen wurden.
»Äh, was tun Sie da bitte mit meinen Haaren?«, fragte Maria leicht verwirrt. Die Frau, die sie nicht nur aufgrund der Brille, sondern auch wegen den langen, lockigen Haaren und der eher altmodischen Bekleidung an die Lehrerin für Wahrsagerei in den Harry-Potter-Büchern erinnerte, lächelte, während sie Marias davon wehenden Haaren hinterherschaute. Ihrem faltenlosen Gesicht nach zu urteilen, war sie höchstens 30 Jahre alt, wirkte jedoch wesentlich älter.
»Fliegendes Engelskraut.« Maria folgte ihrem Blick. Dann schaute sie wieder zu ihr, während sie sprach:
»Gut und schön, aber –«, verdutzt brach sie ab, die Frau war fort. Jedenfalls so gut wie, sie hatte sich innerhalb weniger Sekunden so weit von ihr entfernt, dass Maria nur noch sehen konnte, wie die seltsame Person im Haus verschwand. Kopfschüttelnd schwang sie sich auf das Rad und fuhr zurück ins Hotel.
***
Nach einer erfrischenden Dusche entschied sich Maria für das Sommerkleid mit den bunten Blumen darauf. Langsam knurrte ihr Magen. Kein Wunder, dachte sie, du hast ja auch seit heute Morgen nichts mehr in den Bauch bekommen.
Verdammt, sagte sie sich im Restaurant angekommen, musstest du ausgerechnet zur Stoßzeit essen gehen? Es fand sich kein freier Tisch und so blieb ihr nichts anderes übrig, als der Einladung von Verena, die von einem Platz in der Ecke am Fenster winkte, zu folgen und sich dazuzusetzen.
»Drei Tage, in drei Tagen sind sie weg«, flüsterte sie vor sich hin, als sie sich mit dem Stuhl näher an den Tisch zog.
»Wie bitte?«, fragte Verena mit einem entwaffnenden Lächeln.
»Danke, dass Sie mir einen Platz – freigehalten haben.« Die Jungs, deren Namen Mats und Peer waren, wie Verena ihr später erzählen würde, sprangen fast zeitgleich auf und verschwanden, kaum dass sie ihre Pommes heruntergeschlungen hatten.
»Das war doch das Mindeste, nachdem meine Racker Sie fast umgerannt hätten.«
»Machen wir es kurz und gehen zum Du über?« Verena strahlte noch mehr.
»Klar, gerne, ich bin Verena Schiller«, sagte sie und reichte Maria die Hand.
»Maria, aber das weißt du ja schon. Maria Fortmann.«
»Ja, aber das macht man doch so, oder?«
»Keine Ahnung, was MAN macht. Wir machen das jetzt halt so.« Die Verschwesterung wurde von der Kellnerin unterbrochen, die Marias Bestellung aufnahm.
»Dann erzähl doch mal: Wo kommst du her und was machst du sonst so, wenn du nicht gerade Urlaub auf einer ostfriesischen Insel genießt?«, fragte Verena. Die Kellnerin hatte sich einem Nachbartisch zugewandt, an dem das ebenfalls heute angereiste Pärchen Hohenlindern saß, das Maria am Empfang gesehen hatte. Ihr fiel auf, dass Frau Hohenlindern ihren Speisewunsch fast in Befehlston äußerte. Als ihr Mann eine entschuldigende Geste in Richtung der Bedienung machen wollte, warf ihm seine Gattin einen scharfen Blick zu, der ihn dazu veranlasste, seine Hände schnell wieder auf den Tisch zu legen. Maria zwang sich, nicht weiter dorthin zu gucken, und wandte sich ihrer neuen Bekanntschaft zu.
»Ich komme aus Visbek. Das liegt bei Vechta, zwischen Bremen, Oldenburg und Osnabrück.«
»Vechta kenne ich, da habe ich ein paar Semester soziale Arbeit studiert«, warf Verena fröhlich ein. Na herzlichen Glückwunsch, dachte Maria, eine Sozialpädagogin mit zwei hyperaktiven Kindern.
»Dann kennst du sicher auch Cloppenburg. Da arbeite ich. Ich bin im öffentlichen Dienst beschäftigt.« Sie schmunzelte verschwörerisch. »Beamtin, du verstehst?« Verena nickte wissend.
»Hast du Familie?« Diese Frage schmerzte Maria etwas, hatte sie doch in der Vergangenheit ein unglückliches Händchen gehabt, was Beziehungen anging. Seit Beginn ihrer Tätigkeit bei der Kriminalpolizei stand die Karriere immer vor ihren persönlichen Bedürfnissen. Außer einigen kurzen Episoden mit verschiedenen Frauen und Männern – sie konnte sich einfach nicht festlegen, welches Geschlecht es ihr mehr angetan hatte – konnte sie lediglich die mehrmonatige Beziehung mit dem ehemaligen Staatsanwalt vorweisen. Mit dieser traurigen Wahrheit wollte Maria das Gespräch jedoch nicht belasten. Zudem war es ihr unangenehm, darüber zu sprechen, darum antwortete sie:
»Familie habe ich nicht. Ich bin frei wie ein Vogel. Keine Kinder, keine Freundin oder Freund.« Maria bemerkte bei dem Wort Freundin ein kurzes Zucken um Verenas Mundwinkel. »Einzig mein Kater Pinky wartet abends auf mich, wenn ich nach Hause komme. Wie sieht es bei dir aus? Gut, dass du zwei Kinder hast, weiß ich ja schon.« Beide lachten.
»Ja, die beiden machen mich wahnsinnig!« Verena lachte abermals. »Ihr Vater hat uns verlassen, während ich mit dem Jüngeren schwanger war.« Sie winkte ab, als sie Marias missbilligenden Blick sah. »Nicht so tragisch. Der Typ war eh nichts für mich. Wir haben seitdem keinen Kontakt mehr und das ist für mich okay. Ich arbeite halbtags als Immobilienmaklerin, da verdiene ich genug.«
»Immobilien? Ich dachte, du hast Sozialpädagogik studiert.