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Morgen wird Gestern sein Davids großer Traum wird wahr: Zusammen mit Joni, Ecki und dessen Freundin reist er in die Kreide. Viel Zeit zum Entdecken dieser aufregenden Epoche bleibt ihnen jedoch nicht. Eine wichtige Mission führt sie zurück in die Steinzeit. Dort erwartet sie nicht nur die Frage, ob ein Saurier als Haustier geeignet ist, sondern auch die Bekanntschaft mit einer jungen Frau, die ihre Welt gehörig auf den Kopf stellt. Während sie Geheimnissen auf die Spur kommen, überschlagen sich die Ereignisse, und prompt fehlt vor allem eins: Zeit!
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Seitenzahl: 284
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Die riesigen Glastüren öffneten sich automatisch. Das leise Sirren, das sie dabei machten, klang einladend und zugleich etwas utopisch, fast wie in einem Raumschiff der Zukunft.
Ehrfürchtig trat Joni durch sie hindurch und stand im großen, überaus noblen Foyer eines Hotels. Staunend blickte sie zur pompös verzierten Decke hoch, die kilometerweit entfernt schien. Mehrere funkelnde Kronleuchter in der Größe von Kleinwagen schwebten erhaben über den Gängen.
Das Foyer war so penibel sauber, dass man beruhigt vom Boden hätte essen können. Die hellen Marmorelemente strahlten majestätische Ruhe und Gemütlichkeit aus.
Mit klopfendem Herzen und schweißnassen Händen bahnte Joni sich den Weg zur Rezeption, während die kleinen Räder des Koffers, den sie hinter sich herzog, fröhlich über den Boden klackerten.
»Hallo, ich bin Joni Winter«, sagte sie zögerlich zur Empfangsdame, »hier ist ein Zimmer für mich reserviert.« Dass dies auch wirklich so war, konnte sie erst glauben, als es ihr das freundliche Nicken der Dame bestätigte.
Nachdem sie einige Formulare ausgefüllt hatte, bekam sie ihren Schlüssel, der endgültige Beweis, dass dies kein Traum war. Sie fuhr mit dem Fahrstuhl in die siebte Etage.
Die Flure waren mit dicken, roten Teppichen ausgelegt, die jedes Geräusch schluckten. Türen aus edlem Holz säumten die Gänge. Goldene Schilder mit verschnörkelten Zahlen zeigten die Zimmernummern an.
Der Schlüssel, der eher wie eine Kreditkarte aussah, gewährte den Eintritt zur Suite mit der Nummer 713.
Der Raum hinter der Tür war riesengroß, lichtdurchflutet und elegant eingerichtet.
Gleich neben dem Eingang stand ein kleines, samtbezogenes Sofa mit einem Tisch und einige flache Schränke. Links davon befand sich eine winzige, aber liebevoll eingerichtete Bar-Ecke mit einem hübschen Tresen, zwei erhöhten Hockern und verschiedenen Gläsern.
Eine eigene kleine Bar! Joni traute ihren Augen kaum. Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, denn sie ahnte sehr wohl, wem sie diesen Komfort zu verdanken hatte.
Ein Bett, in dem eine halbe Fußballmannschaft hätte übernachten können, stand auf einer kleinen Erhöhung gegenüber der Tür und war mit unzähligen Kissen jeglicher Größe bedeckt.
Links daneben befand sich eine weitere Tür. Diese stand leicht offen und gewährte den Blick in ein tadellos gesäubertes und geschmackvoll eingerichtetes Badezimmer.
Joni schaute sich in Ruhe im Zimmer um und fuhr mit ihren Fingern über Kissen, Sofas und Schränke. Der überquellende Luxus war ihr ein Stück unangenehm. Er stellte einen allzu deutlichen Gegensatz zu ihrem alltäglichen Leben dar.
Nachdem sie alles begutachtet hatte, stellte sie den Koffer neben ihr Bett, zog sich ihre Schuhe aus und plumpste müde auf eines der Sofas. Der Anreisetag zollte seinen Tribut.
Ihre Gedanken schweiften ab und fanden sich bei ihrer aufregenden Zeitreise ein – oder besser gesagt, bei den Monaten, die auf dieses Abenteuer gefolgt waren.
Die Rückkehr in ihre Epoche lag jetzt fast ein Jahr zurück. Lächelnd schloss sie die Augen. Erinnerungen huschten an ihrem inneren Auge vorbei.
Nachdem Joni, David und Ecki damals heimgekommen waren und genug Interviews gegeben hatten, war es etwas ruhiger um sie geworden. Niemanden der drei störte das auch nur im Geringsten. Was sie dagegen irritierte und gleichwohl hemmte, war die Tatsache, dass sie nach ihren außergewöhnlichen Erlebnissen alle drei Mühe hatten, sich in der eigenen Zeit wieder zurechtzufinden.
Das Leben mit urzeitlichen Menschen, dem strengen Winter, einer Toilette unter Bäumen und ohne jeglichen Hauch von Annehmlichkeiten, ein Leben, das nur dem Überleben galt, stand im harten Kontrast zu dem, was sie erst verlassen hatten und zu dem sie wieder zurückgekehrt waren. Die vielen Menschen, die lauten Straßen, das künstliche Licht selbst in dunkelsten Nächten und vor allem die Hektik des Alltags stellten sie vor Herausforderungen.
Joni, die schon immer nur gejobbt hatte und nie einen festen vertraglichen Anschluss in eine Arbeit finden konnte und wollte, tat sich schwerer denn je, einem finanziell geregelten Leben nachzugehen. Oft arbeitete sie nur gerade so viel, wie sie eben musste, um über die Runden zu kommen. Manchmal gab es ganze Wochen, in denen sie kaum das Haus verließ und nur ihren Gedanken nachhing.
Ihr Herz war in der ereignisreichen Steinzeit hängengeblieben, so mühselig das Leben dort auch war. Sie vermisste die Ehrlichkeit, das Füreinander-da-sein und das bedingungslose Vertrauen, das sie dort mit David und Ecki aufgebaut und genossen hatte.
Die beiden hatten ihre Jobs ebenfalls aufgegeben und hielten sich mit Interviews, Reportagen und Vorträgen erstaunlich gut über Wasser.
Es blieb für sie ein bisweilen bitteres Gefühl, unter Menschen zu sein und gleichzeitig eine gewisse Einsamkeit zu empfinden, zumindest wenn sie nicht gerade gemeinsam unterwegs waren. Nur als Trio fühlten sie sich vollzählig, wie ein Puzzle, das aus nur drei Teilen bestand.
Einmal in der Woche trafen sie sich bei Costa Marco, bestellten Nudeln bei ihrem Lieblingskellner Jaques und genossen für ein paar Stunden wohltuende Vollkommenheit.
Kurz vor Weihnachten hatte Joni ihre Wohnung geschmückt. Einen Tannenbaum stellte sie jedoch nicht auf. Aus besonderem Grund.
An den festlichen Essen in ihrer Familie nahm sie zwar teil, freute sich aber insgeheim am meisten auf ihre besondere Verabredung mit David und Ecki.
Als es dann endlich am zweiten Weihnachtsfeiertag an ihrer Tür klingelte, machte ihr Herz Luftsprünge.
Ecki hielt ihr fröhlich den krummsten und schiefgewachsensten Tannenbaum entgegen, den er finden konnte. Aus Freude über diesen augenzwinkernden Hinweis zu ihrem Weihnachtsfest in der Steinzeit verpasste Joni ihm theatralisch einen Kuss auf die Wange, der in einem herzlichen Gelächter endete.
Sie schmückten den Baum gemeinsam mit Schleifen aus Paketschnur. Kein Lametta, keine Kugeln, keine Lichter hätten ihn schöner werden lassen können.
Nach der Dekorierung folgte die Bescherung. Jeder erhielt ein Geschenk, für das sich die anderen beiden zusammengetan hatte.
Joni freute sich über eine gute Flasche Rum und ein Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel von David und Ecki.
Ecki wiederum erhielt von David und Joni ein Fernglas, das nicht als Gabe für Steinzeitjungen gedacht war, die von Herzen gern Dinge in Seen verschwinden ließen. Die Gravur auf dem Tragegurt war dennoch einem gewissen Nemo gewidmet.
David packte schließlich ein Walkie-Talkie-Set aus, das er mit Joni und Ecki sofort ausprobierte.
Joni hatte leckeres Fingerfood gezaubert. Die ebenfalls zum Vorschlag gebrachte Pilzsuppe durfte sie auf eindringlichen Wunsch von Ecki nicht kochen. Danach spielten sie bis tief in die Nacht mit dem neuen Brettspiel.
Es war einer dieser Abende, an die sie sich noch lange erinnern würden. Er war nicht geprägt von ausufernden Highlights, sondern vielmehr von diesem wohligen Wir-gehören-zusammen-Gefühl, von ihrem Lachen und ihrer Freundschaft.
Anfang des neuen Jahres war dann das Angebot eines Filmstudios eingetroffen, die sensationelle Geschichte der drei in einen mindestens ebenso sensationellen Film zu packen.
David nahm das überaus reizvolle Angebot an, doch zunächst überredete er die Produzenten in intensiven Verhandlungen zu einer Erhöhung der Gagen. Gleichzeitig verband er seine Unterschrift unter dem Vertrag mit der Bedingung, dass Ecki und Joni fest in das Projekt eingebunden und entsprechend bezahlt werden sollten. Die beiden sollten das Team beraten und mit dem Teilen ihrer Erinnerungen wertvolle Informationen liefern.
Nun war es so weit. Die Filmproduktion stand unmittelbar bevor und Joni war in dem Hotel angekommen, das sich in der Nähe des Drehortes befand. Ab morgen würde sie die Arbeiten am Set mit ihrem launigen Senf würzen und bekam dafür auch noch Geld.
Sie wackelte nervös mit den Zehen und öffnete ihre Augen wieder. Mit einem Schwung stand sie auf und warf sich im Bad ein paar Hände kaltes Wasser ins Gesicht, bis es ganz rot war. Zufrieden lächelnd verließ sie das Zimmer, um sich im Hotel ein wenig umzusehen.
Neugierig strich sie durch die Gänge, schaute im Wellness-Bereich vorbei, fuhr einige Male begeistert mit dem gläsernen Fahrstuhl hoch und wieder runter und staunte über die zwei großen vornehm ausgestatteten Restaurants. In letzterem saßen elegant gekleidete Menschen, die sich überwiegend schweigend kleine Bissen auserlesener Köstlichkeiten in die Münder schoben.
Joni hob die Augenbrauen und seufzte leise. Hier gab es sicher keinen kleinen, wuscheligen Hund, der heruntergefallene Nudeln vom Boden schlabberte, wie es bei Costa Marco der Fall war.
Ab und zu schaute sie in der Eingangshalle vorbei und hoffte, David oder Ecki zu treffen. Aber es war kein bekanntes Gesicht zu finden. Ein ganz klein wenig enttäuscht machte sie sich schließlich auf den Weg zurück in ihr Zimmer.
Sie stieg die Treppe mit dem weinrotem Teppich nach oben. Dabei zählte sie die Stufen. Irgendwo musste sie ja hin mit ihren Gedanken.
121 …122 …123 …
Als sie zwischen der sechsten und siebten Etage war, hörte sie auf einmal sehr vertraute Stimmen, die ihr von oben herab ins Ohr drangen. Das Zählen der Stufen verlor schlagartig seine Bedeutung.
»Lisa, hör mal, ich weiß gar nicht, was das soll«, erklärte David gerade. Er sprach hastig und seine Stimme klang nervös.
»Dann hör mir doch einmal richtig zu«, verlangte Lisa energisch. Sie gab sich keine Mühe, ihr Gespräch diskret zu halten.
Joni ging zaghaft etwas weiter nach oben und lugte vorsichtig um die Ecke. David stand in einer Tür, die offensichtlich zu seinem Hotelzimmer gehörte. Er fuhr sich immer wieder durch die Haare und schob die Brille hoch, obwohl sie perfekt auf der Nase saß.
Lisa stand direkt vor ihm.
»Ich war die Frau an deiner Seite und werde es immer sein«, sagte die sehr eindringlich. »Lass uns in Ruhe reden und alles wieder in Ordnung bringen. Ich verstehe einfach nicht, warum du dich so sträubst und uns nicht noch eine Chance gibst. Hast du schon vergessen, was du mir alles zu verdanken hast?«
»Nein, ich habe nichts vergessen.« Davids Antwort enthielt einen feinen Hauch Ironie, die sein Ziel jedoch offensichtlich verfehlte. Lisa ging nicht weiter darauf ein, sondern drängte und forderte unbeirrt weiter.
Joni lauschte einen Augenblick.
»Was für ein Miststück«, flüsterte sie sich selbst zu.
Es war gewiss kein Zufall, dass Lisa wieder aufgetaucht war. Der Filmdreh stand an, der Rampenlicht und eine munter sprudelnde Geldquelle versprach. Das waren gleich zwei Dinge, die diese Frau angelockt haben mussten wie Nektar die Bienen.
Joni lehnte sich an die Wand und grübelte, wie sie David helfen könnte. Eine Idee schoss ihr in den Kopf und fast hätte sie laut losgelacht. Sie musste sich zur Sicherheit die Hand auf den Mund legen.
Langsam schlich sie die Treppe eine Etage tiefer. Für ihren kommenden Auftritt brauchte sie Anlauf, um die latente Dramatik zu unterstreichen. Sie holte tief Luft und rannte los.
»Du hast doch nicht etwa eine andere Frau kennengelernt?«, fragte Lisa gerade mit sarkastisch durchtränkten Ton, der mehr als klar machte, dass diese Frage keiner Antwort bedurfte. Wohl um ihre Meinung zu diesem Thema zu unterstreichen, schob sie ein künstliches Lachen hinterher.
Doch ehe David antworten konnte, hallten laute Tritte und Rufe von der Treppe herauf.
»Liiiiiebling!«, rief Joni mit süßlicher Stimme. Sie trampelte geräuschvoll die Stufen hinauf, was angesichts des dicken Teppichs eine kleine Kunst war, und lief mit flotten Schritten den Flur entlang.
David zog die Stirn kraus. Prinzipiell hätte er Joni gern begrüßt und Lisa stehenlassen. Doch die Szene, die sich ihm bot, enthielt für seinen Geschmack ein My zu viele Ungereimtheiten. Warum war Joni so außer Atem? Warum fuchtelte sie so wild mit den Armen? Warum rief sie Liebling? Hatte sie etwa schon den Rum in ihrer Bar entdeckt? Fragen, die ihn schlicht überforderten und seine Interaktion hemmten.
»Liebling, es tut mir so leid«, rief Joni atemlos und kam immer näher. »Ich weiß, ich weiß, ich bin schon wieder zu spät dran. Es tut mir leid. Ich kann eben nicht pünktlich sein, du kennst mich ja. Aber siehe da, nun habe ich es geschafft.«
David und auch Lisa starrten die junge, blonde Frau an, die ihnen mit ihrem merkwürdigen Auftritt gleichermaßen die Sprache verschlug.
Joni legte zielstrebig beide Händen an Davids Gesicht, zog ihn eilig zu sich herunter und presste ihre Lippen zu einem Kuss auf seinen Mund. Es musste alles schnell gehen, damit er gar nicht erst über einen Widerstand nachdenken konnte.
Dann schlang sie die Arme um Davids Hüfte und schmiegte sich so eng an ihn, dass ihm schon rein physisch keine andere Möglichkeit blieb, als seinen Arm um ihre Schultern zu legen. Gelassen drehte Joni ihren Kopf zu Lisa, ohne sich aus der Umarmung zu trennen.
»Oh, Verzeihung, ich bin einfach in euer Gespräch geplatzt. Ich wollte euch nicht unterbrechen«, entschuldigte sie sich mit einem engelsgleichen Blick.
»Ich bin Joni«, sagte sie und hielt Lisa ihre Hand entgegen. »Und du bist …?«
Erwartungsvoll lächelnd sah sie Lisa in die Augen. Natürlich wusste sie genau, wer die Frau war, die vor ihr stand und in deren Kopf offensichtlich gerade ganze Welten einstürzten. Es bereitete ihr das größte Vergnügen, sie so zu sehen.
Lisa gaffte wie versteinert auf Jonis Hand, unfähig, diese zu ergreifen.
»Ich bin … Ich war … Ich bin …«. Sie gab sich die größte Mühe zu antworten, aber einen vernünftigen Satz brachte sie nicht zustande.
David, der selbst krampfhaft versuchte, die Situation zu begreifen, zwang sich zur Beherrschung.
»Das ist Lisa, meine Ex-Freundin«, erklärte er. Es fühlte sich nach wie vor seltsam an, sie als solche zu bezeichnen, obgleich sie bereits seit Monaten getrennt waren. Dennoch betonte er genüsslich die Vorsilbe.
»Aaaah, du bist Lisa«, sagte Joni staunend und nickte, als hätte sie gerade Einsteins Relativitätstheorie begriffen. »Ihr habt sicher ein paar Sachen zu besprechen. Ich wollte auch gar nicht stören.«
Sie löste sich aus der Umarmung von David.
»Den Tisch für heute Abend habe ich bestellt. Um 19 Uhr gehen wir beide ganz schick essen. So, und jetzt muss ich mich kurz ausruhen. War nett, dich kennengelernt zu haben, Lise.«
Innerlich brannte sie ein Feuerwerk ab, weil sie den Namen falsch gesagt hatte, doch rang sie sich eine betont freundliches Lächeln ab.
Sie ging an David vorbei in dessen Zimmer. Beim Laufen zog sie sich die Schuhe von den Füßen, ließ sie an Ort und Stelle liegen und fiel schließlich laut seufzend und mit aller Wucht bäuchlings in dessen Bett.
Die beiden Zurückgebliebenen schauten ihr mit offenen Mündern hinterher.
David hatte Joni gut genug kennengelernt, um nicht mehr jede Eigentümlichkeit von ihr verstehen zu wollen. Diese Szene allerdings setzte allem bisher Geschehenen die Krone auf. Bizarr und brillant zugleich.
Er schob sich räuspernd die Brille hoch und wagte es endlich, Lisa wieder anzusehen.
»Das hättest du mir auch gleich sagen können«, sagte diese mit heiserer Stimme. »Dann hätte ich mir den peinlichen Auftritt hier sparen können.« Mit zusammengepressten Lippen schaute sie erneut auf das Bett und die darauf liegende Frau.
»Ist noch ganz frisch«, brachte David stockend hervor. »Das sollte eigentlich auch noch niemand wissen.«
Sekundenlang starrte Lisa fassungslos in das Zimmer. Sie konnte nicht glauben, dass David eine andere Frau ihr vorzog. Immerhin handelte es sich um David, den sozial-sperrigen Typen mit einer kindlichen Schwäche für Dinosaurier.
Niemals wäre ihr in den Sinn gekommen, dass es eine andere Frau geben könnte, die sich für ihn interessierte, und noch weniger, dass er ihr, Lisa, damit endgültig den Laufpass geben würde. Sie hatte noch nie einen Laufpass bekommen. Das war nicht zu ertragen. Mit einem Ruck drehte sie sich um und verschwand von der Bildfläche.
David schaute ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen war. Er blickte in den leeren Flur und befürchtete kurz, Lisa könne zurückkommen. Doch in den Gängen blieb es ruhig.
Langsam schloss er die Tür hinter sich und lehnte sich für einen Moment dagegen. Dann bemerkte er, dass Joni ihren Kopf hob und ihn lachend anschaute.
»Sie ist weg«, murmelte er. Die Worte gluckerten vergnügt durch sein Hirn.
»Sie ist weg. Sie ist wirklich weg. Joni, du hast in wenigen Sekunden das geschafft, was ich in Monaten nicht hingekriegt habe.«
Joni setzte sich auf und konnte gar nicht aufhören zu grinsen. Sie war während ihres Auftritts nicht ganz sicher gewesen, ob David mit ihrem Handeln einverstanden war. Ihre Idee hatte sie ja selbst überrumpelt und sich während des Theaterstücks ein klein wenig verselbständigt. Den Kuss beispielsweise hatte sie ursprünglich gar nicht eingeplant.
»Und wir gehen heute Abend essen, ja?«, fragte David.
»Quatsch«, winkte Joni ab, »das habe ich doch nur so gesagt.«
»Nein, nein«, widersprach David und schüttelte den Kopf. »Das war keine Frage. Das war eine Einladung. Das hast du dir verdient.«
Joni sprang vom Bett herunter, sammelte ihre Schuhe ein und öffnete die Tür.
»Na dann sehr gern. Zu einem guten Essen sag ich nicht nein. Bis nachher um 19 Uhr. Sei pünktlich.« Bevor sie ging, drehte sie sich um und fügte zwinkernd hinzu: »Schön, dich zu sehen, David.«
Ein paar Stunden später pochte es auf die Sekunde genau um 19 Uhr an Jonis Tür. So pünktlich schaffte es nur ein pedantischer Wissenschaftler, der sich viel zu früh vor besagter Tür einfand und die Augen nicht von seiner Uhr ließ, bis die Zeiger ihm ein Klopfen gestatteten.
David stand in einem dunkelblauen Anzug mit Hemd und Krawatte vor ihr. Dieser Aufzug war für ihn zwar ungewöhnlich, dennoch fühlte er sich wohl. Er hatte sich die Sachen gekauft, als seine öffentlichen Auftritte und die Verhandlungen mit dem Filmstudio anstanden. Da er nicht einsah, Geld für einen weiteren Anzug auszugeben, wurde das gute Stück schnell zu einem Markenzeichen.
Die Ereignisse, die bevorstanden, würden hingegen dazu führen, dass er um den Kauf eines neuen Anzugs nicht umhinkam. Wenn er gewusst hätte, wie dieser Abend endet, hätte er sich vermutlich für ein anderes Outfit entschieden. Doch wir wollen den Geschehnissen an dieser Stelle nicht vorgreifen.
Joni trug ein kurzes, dunkelrotes Kleid. Ihre Haare waren kunstvoll hochgesteckt. Sie hatte sich dezent geschminkt und ein leichtes Parfüm aufgelegt.
»Wow, du siehst … du siehst toll aus«, brachte David stammelnd hervor.
Na super! Ihm fiel tatsächlich kein besseres Wort ein als toll. Dabei sah sie bezaubernd aus, umwerfend, sensationell. Echt toll eben!
»Danke, du aber auch«, entgegnete Joni fröhlich. »Sag mal, hast du Ecki schon gesehen?«
»Nein, ich glaube, der reist erst morgen an«, sagte David, »bin mir aber nicht ganz sicher.«
Zögernd hielt er Joni seine Armbeuge entgegen. Er war sich nicht sicher, ob die Geste angebracht war, doch sie hakte sich zu seiner Erleichterung sogleich mit einem Lächeln ein.
Sie gingen in eines der großen Restaurants, die Joni am Nachmittag ohne die Hoffnung, jemals an einem der Tische sitzen zu dürfen, bewundert hatte.
Der Restaurantleiter, mit dem David vorab gesprochen hatte, brachte sie an einen ruhigen, etwas abseitig stehenden Tisch.
Sowohl für Joni als auch für David war es zunächst ungewohnt, nur zu zweit zu sein. Normalerweise trafen sie sich stets zu dritt. Doch zwischen ihnen standen weder peinliche Ruhepausen noch eine krampfhafte Suche nach Gesprächsthemen und erst recht keine Verlegenheit.
Sie genossen den Abend in vollen Zügen, lachten und amüsierten sich über Lisas Blick, als Joni sich ihr vorgestellt hatte.
Doch sie hielten sich nicht unnötig lange mit den Gedanken an Davids Ex-Freundin auf, sondern schweiften schon bald in die Gegenwart. Joni teilte ihre Begeisterung für das Hotel mit.
»Das ist echt alles grotesk, also ich meine schön grotesk«, sagte sie. »Nach unserem Ausflug in die Steinzeit habe ich als Aushilfskraft im Supermarkt gearbeitet, als Putzkraft, als Babysitterin, als Hundesitterin und ich habe Zeitungen ausgetragen. Zuletzt habe ich für ein paar Stunden in der Woche in einem Büro gejobbt und mich um den Schreibkram gekümmert.«
Sie schüttelte leicht den Kopf, als würde sie ihre eigene Situation missbilligen.
David hätte gern etwas dazu gesagt, aber er wusste nicht was. Es war ihm auch noch nicht klar, worauf Joni hinauswollte. Also schwieg er und sie plapperte weiter auf ihrem Themenpfad.
Ihre Stimme hatte sie gesenkt, denn was sie zu sagen hatte, ging niemanden in diesen noblen Wänden etwas an.
»Beim Bäcker kaufe ich mir Brot vom Vortag, David. Das Einzige, was ich mir zum Winter hin gegönnt habe, war ein neues Paar Schuhe. Einmal in der Woche kratze ich mein Geld zusammen, um mit euch essen zu gehen. Ansonsten verzichte ich auf alles, was das Leben mir bieten könnte. Sogar das Kleid, das ich trage, ist nur geliehen.«
David senkte unangenehm berührt den Kopf. Jonis Situation war ihm vertraut, aber das alles noch einmal so komprimiert zu hören, verursachte ein leichtes Zusammenziehen seines Magens.
»Und jetzt sitze ich hier in einem Fünf-Sterne-Luxus-Hotel.« Joni lächelte. Sie wirkte auf einmal gelöst und unbeschwert, beinahe übermütig. »Mein Bett ist unter den Bergen von Kissen kaum zu sehen. Die Dusche in meinem Bad ist so groß wie mein Wohnzimmer und ich habe eine eigene Bar. Eine eigene Bar. Ich wette, die hast du organisiert.«
David grinste nur und trank einen Schluck Wein.
»Jetzt sitze ich in einem piekfeinen Restaurant, esse exquisite Speisen und trinke Wein, der normalerweise meinen monatlichen Ausgaben entspricht. Und zu alledem kommt durch die Arbeit bei dem Filmprojekt endlich wieder etwas Geld in meine Kasse. Das habe ich nur dir zu verdanken.«
David nickte.
»Das ist schön, das freut mich wirklich. Aber eigentlich sind wir doch hier, weil ich mich bei dir bedanken möchte.«
»Ach, das war doch das Mindeste, was ich für dich tun konnte.«
»Und einen Kuss gabs gratis dazu«, sagte David und lächelte.
»Bilde dir bloß nichts darauf ein«, warnte Joni und schwang vergnüglich ihren Zeigefinger.
»Mach ich nicht.« David schüttelte schnell den Kopf. » Eckikann ich das sowieso nicht erzählen, sonst rennt der gleich wieder los und kauft einen Tannenbaum.«
Sie lachten laut los und zogen für einen Moment missbilligende Blicke auf sich.
»Darauf ein Prosit«, sagte David und hielt Joni sein Glas entgegen. »Auf die Zukunft!«
»Auf die Zukunft!«, antwortete Joni.
Sie tranken einen Schluck und für einen Augenblick herrschte Stille.
»Übrigens ist sie hier«, murmelte David. Seine Augen suchten in der Ferne nach einem Halt.
»Wer ist hier?«, fragte Joni irritiert. »Wer ist sie?«
David räusperte sich.
»Die Zeitmaschine. Die haben sie hergebracht.«
»Du hast sie herbringen lassen?« Joni stellte ihr Glas auf den Untersetzer.
Seit ihrer Rückkehr aus der Steinzeit hatte sie die Zeitmaschine nicht mehr gesehen. David und Ecki hatten den Hangar damals verschlossen und bewachen lassen. Niemand bekam Zutritt zu dem Haus. Wenn sie zur Zeitmaschine gingen, um an ihr herumzutüfteln, dann stets nur zu zweit.
Joni war das recht und unrecht zugleich. Zum einen fühlte sie sich magisch von diesem besonderen Haus angezogen und vermisste es jeden Tag. Zum anderen würde sie in seiner Nähe dieses unerträgliche Fernweh verspüren und war nicht sicher, ob sie es hätte ertragen können.
Nun war das Haus hier und es würde zu ihrer neuen Aufgabe gehören, ihm gegenüberzustehen, es zu betreten, die Erinnerungen zuzulassen und die aufkommenden Gefühle mit dem Produktionsteam zu teilen.
Sie nahm einen großen Schluck Wein. Ihre Hände waren kalt. Ein Zittern überrollte ihren ganzen Körper. Ihr Puls hatte eine beachtliche Frequenz erreicht.
»Ich würde sie gern sehen«, sagte Joni leise und beinahe geistesabwesend, während ihr Blick eine Handvoll Sekunden lang auf ihrem Glas ruhte.
Dann schaute sie David in die Augen und wiederholte ihren Wunsch mit fester Stimme. »Ich würde sie wirklich gern sehen. Am liebsten sofort. Ich meine, morgen sind so viele Leute dabei und die schauen bestimmt auf jede meiner Bewegungen. Es wäre schön, sie vorab und in Ruhe wiederzusehen ohne diese vielen Gaffer.«
David nickte.
»Verstehe. Warum eigentlich nicht? Klar, machen wir.«
Nach dem ausgiebigen Essen fuhren sie mit Davids Auto, das in der Tiefgarage des Hotels stand, wenige Kilometer durch die Nacht zu einem der Produktionsorte. Es war Hochsommer, somit angenehm warm und nicht besonders dunkel.
Die Zeitmaschine stand in einer riesigen, mehrfach hochkompliziert gesicherten Halle. David hatte alle Zugangscodes und Schlüssel bei sich. Hinter ihnen schloss er stets alles sorgfältig wieder zu. Es war alles um Längen aufwendiger gesichert als in dem Hangar, in den Joni einst so leichtfertig hatte einbrechen können. Er hatte dazugelernt.
In der Halle war es weitgehend dunkel. Nur die Notbeleuchtung warf einen matten Schein auf das Haus, das in der Mitte stand.
David drückte ein paar Tasten. Neonröhren an der Decke der Halle summten auf und es wurde etwas heller. Das Licht fiel sanft auf das unscheinbar wirkendende Gebäude.
Joni erinnerte sich, wie sie das erste Mal vor ihm gestanden und große Wunder erwartet hatte. Diese hatten sich zwar eingestellt, aber erst viel später und ganz anders als gedacht.
Langsam gingen sie dichter heran.
»Weißt du, David«, flüsterte Joni, »ich habe mir immer gewünscht, noch einmal damit zu reisen.«
Wie verzaubert schaute sie nacheinander die Tür, die Fenster, die Wände und das Dach an. Da war diese Anziehungskraft, dieses Fernweh, diese Gefühle, am liebsten hineinzuspringen und alles hinter sich zu lassen. Es war, als würden das Haus und das Versprechen, das mit ihm schwang, förmlich nach ihr rufen.
»Tja, Joni«, sagte David seufzend, »meinen Traum, endlich in die Kreidezeit zu reisen und Dinosaurier zu sehen, habe ich auch noch nicht aufgegeben.«
»Ist die Sache mit den Dinos nicht eher was für neunjährige Jungen?« Joni griente frech. »Wenn du alles aus den letzten fünf Milliarden Jahren Zeitgeschichte unserer Erde sehen kannst, warum dann ausgerechnet Saurier?«
»Genau wegen dieser Frage haben Ecki und ich die Zeitmaschine weggeschlossen. Was meinst du, wie viele Leute die Technologie nutzen möchten, um die Geschichte umzuschreiben. Sie wollen den Menschen vergangener Zeiten schneller auf die Sprünge helfen. Es gab da Gedanken, viel früher zu zeigen, wie Ackerbau und Viehzucht zu verbessern sind, medizinische Erkenntnisse schneller voranzutreiben. Nicht zuletzt gab es auch Ideen, Despoten, Mörder und andere Verbrecher aus der Zeit löschen.
Ecki und mir hat das Sorgen bereitet, auch wenn bisweilen gute Absichten dahinterstanden. Je öfter wir auf die Gesetze der Zeit und das Großvaterparadoxon hingewiesen haben, umso mehr wurden wir bedrängt. Doch wir müssen uns immer vor Augen halten, dass wir nur hier sind, weil alles in der Geschichte haargenau so stattfand wie es eben stattfand. Ich wollte nie irgendwas verändern, sondern immer nur Zuschauer sein. Und das geht nun mal am besten mit einer Zeit, in der es noch keine Menschen gab. Saurier sind dahingehend super! Und faszinierend dazu.«
David schaute Joni an, die während seiner Ausführungen nervös am Stoff ihres Kleides genestelt hatte. Er holte tief Luft.
»Was hältst du von einem kleinen, spontanen Sprung in die Kreide?«
Joni schaute überrascht auf.
»Was?«
»Wir halten uns nicht lange auf. Ein paar Stunden höchstens und nur so lange, bis die Akkus wieder aufgeladen sind. Dann landen wir in wenigen Sekunden wieder hier und niemand wird es je erfahren.«
»Scheiße«, murmelte Joni.
Seit Monaten hatte sie kaum einen anderen Gedanken im Kopf, als wieder durch die Zeit zu reisen, und nun wurde ihr die Möglichkeit auf einem goldenen Teller präsentiert.
Sie schaute an sich herunter. »Ich trage ein rotes Cocktailkleid. Wie soll ich denn damit durch die Zeit reisen?«
»Der Zeitmaschine ist es herzlich egal, ob du ein Cocktailkleid oder eine Jogginghose trägst. Außerdem ist es doch super, dann sehen die Saurier auch mal was Nettes«, sagte David lächelnd und hob seine rechte Augenbraue. »Wir bleiben nicht wieder Monate fort. Die Technik der Konsole ist runderneuert und um Längen stabiler als bei unserer ersten Reise. Das wissen aber nur Ecki und ich … und jetzt auch du. Sieh es wie einen Kinoabend. Es gibt zwar kein Popcorn, aber dafür Saurier in 3D. Wir reisen hin, schauen uns ein wenig um und sind schwuppdiwupp wieder zu Hause.«
»Kannst du denn versprechen, dass es dieses Mal keinerlei Probleme geben wird?« Joni sah David herausfordernd an.
»Nö, kann ich nicht«, antwortete dieser. Das leichte Unbehagen in Anbetracht seines spontanen Vorschlags, der keinerlei Vorbereitungszeit beinhaltete, schob er zugunsten der Aussicht auf einen Ausflug mit Joni und dem Bestaunen leibhaftiger Dinosaurier beiseite.
»Also alles wie immer, nur ohne Klemmbretter«, murmelte Joni.
David schob seine Brille die Nase hoch und wartete geduldig auf ihre Entscheidung.
»Also gut, ja«, sagte Joni schließlich und nickte hektisch. »Ich würde gern einmal reisen, ohne vorgeworfen zu bekommen, dass ich eigentlich nichts in dem Haus zu suchen hatte.«
David reichte ihr den Schlüssel.
»Hier«, sagte er freudestrahlend, »ganz offiziell. Du darfst sogar aufschließen.«
»Es ist mir eine Ehre.«
Fröhlich öffnete Joni die Tür auf.
David zeigte ihr, wie die Konsole zu bedienen sei würde, aber das meiste davon versickerte umgehend im Sumpf des Vergessens. Zwar zeigte Joni sich interessiert und wissbegierig, aber so sehr sie sich auch konzentrierte, die entscheidenden Eingaben verstand sie nicht.
»Siebzig Millionen Jahre in die Vergangenheit. Bist du bereit?«
Joni nickte aufgeregt. Ihr Herz klopfte. Sie hoffte, dass die Forschung richtig lag und der Meteoriteneinschlag, der verantwortlich für die Vernichtung der Saurier sein sollte, nicht mit ihrem Eintreffen zusammenfiel.
David holte tief Luft. Dann legte er einen Hebel um. Ihre Augen erfassten erst einen nebligen Schleier, dann einen goldenen Schimmer und schließlich verschwand alles um sie herum.
Es polterte und krachte. Ohne Lärm ging es wohl nicht. Das Haus schien zunächst in der Luft zu schweben und dann auf einen wenige Zentimeter tiefer gelegenen Boden zu fallen. Die Wände, die sich noch nicht ganz materialisiert hatten, hielten jedoch allem tapfer stand und setzen sich artig wieder zusammen. Der Nebel verschwand.
Joni und David schauten sich an. Ein Blick durchs Fenster verriet, dass die Reise geglückt schien. Außergewöhnliche Pflanzen waren zu erkennen.
»Mir fehlen immer noch die großen Worte für die Geschichtsbücher«, sagte David. »Du weißt schon, der Armstrong-Augenblick für Zeitreisen. Aber ich habe nun endlich eine Idee, was ich sagen werde, wenn ich vor die Tür trete.«
»Ich bin froh, dass ich nicht kotzen muss und mein Magen das leckere Essen von vorhin drin behalten hat«, meinte Joni ausgelassen und rieb ihren Bauch. »Und diesmal lass ich dir auch den Vortritt. Bitte sehr. Sprich deine denkwürdigen Worte.«
Sie beugte ihren Kopf und zeigte feierlich auf die Tür.
»Vielen Dank«, antwortete David mit einem Nicken und holte tief Luft. Er wollte den historischen Augenblick in Ruhe und mit Würde einläuten.
Da stürmte eine leichtbekleidete Frau durch den Flur zur Tür, riss diese auf und rannte zu einem besonders hübschen Farn, der zu seinem Leidwesen ziemlich viel Mageninhalt aufnehmen musste.
»Was zum Geier …!« David rutschte die Brille von der Nase. Verunsichert und mit einem langgezogenen »Äh«, das tief aus seiner Kehle drang, trat er ins Freie.
»Scheiße.« Joni schluckte und folgte ihm.
Glücklicherweise war der Farn, über den sich die Frau beugte, nicht nur besonders hübsch, sondern auch besonders riesig.
»Hört das denn nie auf«, sagte David kläglich und meinte nicht unbedingt das Würgen.
»Warum hast du nicht erzählt, dass du eine Freundin hast?«, fragte Joni säuerlich und konnte ihren Unmut über die Anwesenheit der Frau kaum verbergen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte sie die Unbekannte.
»Ich habe keine Freundin«, knurrte David.
»Wie bitte? Da springt eine Frau in Spitzenunterwäsche aus deinem hochgesicherten Haus und du weißt nicht, wer sie ist?« Verbitterung brodelte in Joni.
»Ob du es glaubst oder nicht, aber genau das ist mir schon einmal passiert«, konterte David und fügte schnell hinzu: »Nur ohne den Teil mit der Unterwäsche.«
Ertappt. Joni rollte mit den Augen.
»Und wer ist die dann?«, fragte sie und verschränkte ihre Arme.
»Keine Ahnung«, brummte David.
Die Frau stellte sich nun aufrecht hin, schaute verdattert umher und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Dann erblickte sie David.
»Oh, hallo«, sagte sie mit zitternder Stimme und kam mit offensichtlich wackeligen Knien näher. »Tut mir leid, dass du das eben mitansehen musstest. Ich wusste gar nicht, dass du auch schon hier bist.«
»Äh, was?« David atmete schwer und hätte am liebsten den gleichen Fragenkatalog heruntergerasselt, den Joni damals zu hören bekam.
»Die haben ja hier ganz schön was aufgebaut«, sagte die Frau staunend und hielt die Hände über die zusammengekniffenen Augen.
»Entschuldige bitte, ich brauche etwas Kontext. Würdest du mir freundlicherweise erklären, wer du bist?«, fragte David und zwang sich, die Beherrschung nicht zu verlieren. Wie gut musste er denn seine Zeitmaschine noch sichern, damit niemand darin einbrechen konnte?
»Ach so, ja«, sagte die Frau und streckte David ihre andere Hand entgegen, »ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin die Joni. Wir sind zusammen durch die Zeit gereist, du erinnerst dich vielleicht …« Sie versuchte sich an einem Lachen.
»Du bist allenfalls komplett bescheuert«, entfuhr es Joni.
»Joni«, fuhr David dazwischen, obwohl er ihr uneingeschränkt beipflichtete.
Die fremde Frau machte große Augen. »Ach, Joni, du bist auch hier. Entschuldige, ich habe dich nicht gleich erkannt. Dann sind die beiden Jonis ja vereint. Ich freue mich, dich endlich persönlich kennenzulernen.« Ihre Hand, deren Gruß von David bisher nicht angenommen wurde, reckte sich nun ihr entgegen.
»Sag ich doch, komplett bescheuert«, murmelte Joni erneut und verschränkte demonstrativ ihre Arme.
»Was ist denn hier für ein Lärm?« Eine maulige Stimme drang aus dem Haus. Einen Augenblick später erschien Ecki, mit nicht mehr als hübschen, bunten Boxershorts bekleidet, in der Tür. Er hielt sich ebenfalls die Hand über die Augen und schaute ins Grüne.
»Wow, die waren ja echt fleißig«, meinte er. »Sieht total echt aus.«
»Ecki?« David ging ein paar Schritte auf seinen Freund zu. »Was machst du hier?«
»Oh, ich wollte Mona nur mal das Haus zeigen.«
»In Unterwäsche?«
»Äh … also … ich …«
»Ecki, ihr habt doch nicht etwa in meinem Bett …?«
»Nein, nein!« Ecki hob schnell die Hände. »So weit sind wir gar nicht gekommen.«
»Ich Glückspilz«, knurrte David.
Ecki trat ins Freie.
»Irgendwas war gerade komisch …«, murmelte er. »Da war dieser Krach. Mona lief plötzlich weg … Und dann hörte ich eure Stimmen.«
Er schaute sich um.
»Krass, die arbeiten wohl auch mitten in der Nacht. Komisch. Was soll denn der Stress? Ich dachte, es liegt alles im Zeitplan«, sagte er und schaute grübelnd zu seinem Freund.
»Wovon redest du? Wer sind die?« David begriff nicht, wovon Ecki sprach.
»Als Mona und ich vorhin in das Haus reingegangen sind, war das alles noch gar nicht da. Ich hatte am Nachmittag mit den Typen von der Kulisse gesprochen. Eigentlich sollte unsere Wiese erst ab morgen Vormittag aufgebaut werden.«
Langsam ging er durch das Gras.
Von niemandem bemerkt, kreiste über ihren Köpfen ein eindrucksvoll großer Flugsaurier, der nach Beute Ausschau hielt. Die vier Gestalten auf dem Boden schienen ihn zu interessieren, aber er befand sie wohl nach reiflicher Überlegung als viel zu unhandlich. Der Hunger war für ein derartiges Experiment offenbar nicht groß genug. Gemächlich zog er von dannen.
»Das ist doch überhaupt nicht authentisch«, meinte Ecki und streifte mit den Händen durch das Gras. »Unsere Wiese sah ganz anders aus. Wozu habe ich denn stundenlang mit denen gesprochen?«
Joni öffnete den Mund und wollte die Sache aufklären. Doch David hielt seine Hand wie ein Stoppschild hoch, um sie zu bremsen.