Mortal Follies - Alexis Hall - E-Book

Mortal Follies E-Book

Alexis Hall

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Beschreibung

Verbotene Liebe und heimtückische Magie Miss Mitchelmore wurde verflucht. Das findet sie heraus, als sich ihr Kleid auf einem Ball plötzlich in Luft auflöst und sie nur knapp einem Skandal entkommt. Sie ist entschlossen, herauszufinden, wer es auf sie abgesehen hat. Ausgerechnet die mysteriöse Lady Georgiana scheint mehr über den Täter zu wissen. Und wenn man dem Klatsch und Tratsch auf der Straße Glauben schenken kann, ist sie eine Hexe mit dunklem Geheimnis.. Ihre anziehende Art könnte sowohl Miss Mitchelmores Herz als auch ihrem Leben gefährlich werden.  »Voll von Abenteuern, Chaos, Magie und Lust – dieser Roman wird sowohl Fans von Alexis Hall als auch neue Leser:innen begeistern!« Publishers Weekly

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Übersetzung aus dem Englischen von Karen Gerwig

© Alexis Hall 2023

Titel der englischen Originalausgabe: »Mortal Follies«, DelRey, an imprint of Random House, a division of Penguin Randhom House LLC, New York 2023

© der deutschsprachigen Ausgabe:

Piper Verlag GmbH, München 2024

Redaktion: Wiebke Bach

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München, nach einem Entwurf von Regina Flath

Coverillustration: Radiante Mozzerelle

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Vorbemerkung des Autors

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Danksagungen

Über den Autor

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für meinen Gebieter Oberon,

in der Hoffnung, diese Geschichte möge ihn an bessere Zeiten erinnern.

Vorbemerkung des Autors

Hinweis:Mortal Follies behandelt Themen, mit denen sich manche Lesenden möglicherweise nicht konfrontieren möchten. Unter anderem geht es um Sexuelles, Gewaltandrohungen und Lebensgefahr (unter anderem ein Wespenangriff und Beinahe-Ertrinken), Tieropfer, Erwähnungen verstorbener Familienmitglieder einer der Hauptfiguren und wie sie gestorben sind (Erstechen, Ertrinken, Verbrennen), den Vorwurf des Familienmords, Transphobie (kritisch hinterfragt), gesellschaftliche Nichtakzeptanz von LGBTQ+-Beziehungen, Sklaverei/transatlantischer Sklavenhandel (wird besprochen), sexuelle Belästigung und Androhung sexueller Gewalt, Mord, schwere Krankheit (magisch), Rauchen.

Prolog

Geneigte Leserschaft, ich denke, ich sollte mich vorstellen. Ich bin der schelmische Geist, der die Dirnen in den Dörfern neckt. Ich bin Oberons Hofnarr – oder besser, ich war Oberons Hofnarr, das ist wohl das Problem. Manche nennen mich einen Wicht, und im Gegensatz dazu, was euch gewisse Leute erzählt haben mögen, schätze ich diese Bezeichnung nicht, und ihr werdet kein Glück haben, wenn ihr sie in meiner Hörweite aussprecht.

Außerdem bin ich euer Erzähler.

Aufgrund von Ereignissen, die euch nichts angehen, und, was noch wichtiger ist: für die ich absolut nichts kann, sind mein Schutzherr und ich momentan nicht besonders gut aufeinander zu sprechen. Einst saß ich an seiner Seite auf der Armlehne eines Elfenthrons in den verwinkelten, dornigen Laubengängen seines Hofes; nun lebe ich in einer winzigen, feuchten Wohnung in Putney mit zugigen Fenstern und sehe mich zum ersten Mal in den Jahrtausenden meiner Existenz gezwungen, etwas zu zahlen, was ihr Sterblichen, wenn ich es richtig verstehe, Miete nennt.

Es ist scheußlich.

Doch ich bin ausgesprochen einfallsreich, deshalb habe ich einen Handel mit einigen besonders leicht zu beeindruckenden Sterblichen aus einem eurer »Verlage« abgeschlossen und mich bereit erklärt, ihrer Leserschaft einige der vielen Geschichten von fehlgeleiteter Leidenschaft, mörderischen Intrigen und anderen Narreteien zu erzählen, die ich im Laufe der Jahre gesammelt habe. Hoffentlich wird das besser enden als beim letzten Mal – um 1600 herum schenkte ich einem sterblichen Theaterdichter eine exzellente Geschichte, und der Knilch hielt es nicht einmal für nötig, mich als Co-Autor zu erwähnen.

Diese besondere Geschichte, die ich nun für euch ausgewählt habe, trug ich im Jahre des Herrn (oder vielleicht besser gesagt eures Herrn, zumindest einiger von euch – auch wenn ich nie so recht verstanden habe, warum eure Art so erpicht darauf ist, an unstoffliche Gottheiten zu glauben, wenn ihr doch so viele stoffliche direkt vor der Nase habt) 1814 zusammen, zwischen Napoleons erster Abdankung und seiner Flucht von der Insel Elba. Wenn ich es recht verstehe, herrscht auf dem aktuellen Markt eine besondere Vorliebe für Geschichten aus dieser Zeit. Vielleicht wegen der Kleider? Oder wegen der Bälle? Möglicherweise gilt eure Nostalgie jedoch schlicht der erschütternden gesellschaftlichen Ungleichheit. Ich könnte es euch nicht verdenken, ich selbst fand sie ebenfalls urkomisch. Die Getreidegesetze beispielsweise waren ein Meisterwerk des humoristischen Einfallsreichtums: Den Preis für Getreide so weit anzuheben, dass es diejenigen, die es anbauen, selbst nicht mehr bezahlen können? Genial! Natürlich leben wir heutzutage in aufgeklärteren Zeiten. Und ich bin sicher, ihr werdet euch nie wieder in derlei Torheiten verstricken.

Doch ich schweife ab.

In der folgenden Geschichte geht es um Götter der Vorzeit, niederträchtige Flüche und verbotene Liebe. Ich habe versucht, auch eine Szene mit einem Hund einzuarbeiten, doch es ergab sich nie ein passender Moment dafür.

Ich hoffe, meine Geschichte findet euer Gefallen. Vor allem, da ich unlängst einen Brief von einem Unternehmen erhalten habe, in dem mir mitgeteilt wurde, ich schuldete ihnen Geld für Wasser. Anscheinend bezahlt man in eurer Welt für Wasser.

Das muss eine Betrugsmasche der Najaden sein.

Doch ich schweife schon wieder ab.

Genießt die Geschichte. Seid versichert, dass darin anderen Leuten unangenehme Dinge geschehen. Ich weiß, es gibt nur wenig, woran ihr Sterblichen mehr Freude habt. In dieser Hinsicht zumindest seid ihr meinem eigenen Volk ähnlicher, als wir alle zugeben möchten.

Kapitel 1

Als Miss Mitchelmore auf Lady Etheridges Ball eintraf, trug sie ein prachtvolles Kleid aus silberner französischer Gaze über einem seidenen Unterrock, die Haare à la Grecque drapiert und mit Rosen geschmückt. Sie fiel selbst mir ins Auge, dabei finde ich es manchmal ein bisschen schwierig, Sterbliche auseinanderzuhalten. Was, wie ich zugeben muss, in der Vergangenheit möglicherweise das eine oder andere winzige Problem verursacht hat.

Einen Großteil des Abends beobachtete ich sie vom anderen Ende des Raums aus, während mir ein ältlicher Colonel ausschweifend seine Ansichten zum französischen Kaiser darlegte. Wie ihr euch vorstellen könnt, interessierte mich dieses Thema nicht im Geringsten. Ich erwähnte bereits meine Schwierigkeiten, Sterbliche auseinanderzuhalten, selbst klein gewachsene Korsen. Schließlich entzog ich mich dem Gespräch, indem ich ihn mit einem leichten, aber hartnäckigen Jucken zwischen den Schulterblättern belegte.

Derart befreit, ertappte ich mich dabei, wie ich der hübschen Miss Mitchelmore folgte. Unter anderem sammle ich Geschichten, und mein Instinkt sagte mir, dass sie entweder die Art Lady war, die interessante Dinge tat, oder die Art, der interessante Dinge zustießen. Wahlweise eine, der man sie notfalls zustoßen lassen konnte. Ich bin mir nicht zu schade, mich in sterbliche Angelegenheiten einzumischen, wenn es mir wirklich notwendig erscheint oder einigermaßen unterhaltsam zu werden verspricht.

Anfänglich sah es aus, als würde der Abend eine abgrundtiefe Enttäuschung. Miss Mitchelmore tanzte mit mehreren Gentlemen, doch nie zweimal mit demselben. Sie machte Konversation mit einigen Ladys, sagte aber nichts, was eventuell skandalös gewesen wäre. An ihrem Kleid war allerdings etwas seltsam. Nach ihrem ersten Tanz bemerkte ich einen Riss im Saum. Nach dem zweiten entdeckte ich einen losen Faden an ihrem Handschuh und sah Blütenblätter aus ihrem Haar fallen. An dieser Stelle sollte ich der Leserschaft deutlich machen, dass das Kleid der Dame zwar schön, aber ganz entschieden nicht von Feenhand gemacht war. Die Arbeiten meines Volkes haben vollkommen zu Unrecht den Ruf, sich unerwartet aufzulösen oder sich beim geringsten Anlass in Blätter und Spinnweben zu verwandeln. Tatsächlich sind für solche Katastrophen erhebliche Provokationen nötig. Das Problem ist, dass Sterbliche außerordentlich provokant sind.

Doch an diesem Abend, auf diesem Ball, löste sich Miss Mitchelmores Kleid ganz eindeutig auf. Ein Riss hier, eine Laufmasche dort – es wuchs sich schnell zu einem Problem aus, das zunächst sie und dann die versammelten Anwesenden nicht länger ignorieren konnten. Der Verlust eines Kopfschmucks wäre durch jugendlichen Leichtsinn zu erklären gewesen, doch als ihre Handschuhe bis zu den Ellbogen ausfransten, war klar, dass sie besser nicht in gemischter Gesellschaft sein sollte. Und da sich gemischte Gesellschaft in ihren gegenwärtigen Umständen kaum vermeiden ließ, war sie, um es unverblümt zu sagen, am Arsch.

Zu ihrer Ehrenrettung und meiner Enttäuschung muss ich aber sagen, dass sie nicht in Panik verfiel. Ich habe im Lauf der Jahrhunderte einige Sterbliche unerwartet ihrer Kleidung beraubt gesehen (manche Scherze kommen schließlich nie aus der Mode), und ihre Reaktionen sind fast immer urkomisch. Doch als Miss Michelmores Unterröcke erst einmal begonnen hatten, den Weg ihres restlichen Ensembles zu gehen, zog sie sich ohne viel Aufhebens in den Garten zurück und suchte Schutz hinter einem Zierstrauch.

Ich folgte ihr natürlich. Meine sterbliche Gestalt gab ich auf und wurde zuerst ein Schatten, dann ein Sperling, dann ein Regentropfen auf einem Kastanienblatt. Ich habe eine Schwäche für die Missgeschicke der Sterblichen, vor allem, wenn sie auf absurde Weise hereinbrechen, und ich hatte das Gefühl, dass das Leben dieser Dame bald extrem absurd werden würde.

Da sie nicht die Vorausschau besessen hatte, eine Nadel, Faden und mehrere Yards zusätzlichen Stoff auf einen Ball mitzubringen, erwiesen sich Miss Mitchelmores Bemühungen, den Zerfall ihrer Kleidung zu verbergen, als zunehmend zwecklos. Das feine Tuch ihres Kleides zerfiel ihr unter den Fingern, und es dauerte nicht lange, da stand sie allein in der Dunkelheit, bekleidet nur mit Korsett, Strümpfen und Unterhemd. Und weil sie dazu erzogen war, niemals zu fluchen, seufzte sie tief auf und trat gegen einen Kieselstein.

Einige Minuten vergingen, in denen sie ein wenig von ihrer Fassung wiedererlangte, jedoch nichts von ihrer Kleidung. Ihr Dilemma war einfach: Sie konnte in Unterwäsche zur Feier zurückkehren und den sofortigen Verlust von Status und gutem Ruf erleiden. Oder sie konnte im Garten warten, bis jemand sie fand, und den leicht verzögerten Verlust von Status und gutem Ruf erleiden.

Arme Miss Mitchelmore. Sie hatte in jeder Hinsicht einen Scheißabend.

Die Terrassentür wurde geöffnet, und eine Gestalt trat heraus. Sie war zu Miss Mitchelmores großer Erleichterung eine Frau, was bedeutete, dass der unmittelbare Skandal abgewendet war. Oder es gewesen wäre, hätte es sich nicht um die spezielle Frau gehandelt, als die sie sich herausstellte. Für die Scherzbolde der Gesellschaft war die Lady als der Duke of Annadale bekannt. Das war sie natürlich nicht. Das war ihr Vater gewesen. Doch der war ein paar Jahre vor den Ereignissen dieser Erzählung einigermaßen unplausibel an Lepra gestorben, gefolgt von allen dreien seiner Söhne. Der Älteste wurde in einer Spielhalle erstochen, obwohl er niemals spielte. Der nächste ging bei der Überquerung des Ärmelkanals auf einem Schiff verschollen, trotz ruhigem Wetter und obwohl der Kapitän bei seinen Opfern an Mannanán und Poseidon gewissenhaft gewesen war. Der Jüngste kam beim Grasbrand in der Schlacht bei Talavera ums Leben. Und so war der Titel ohne Träger, während die Liegenschaften und das Geld an eine Frau fielen, die – wenn auch zu der Zeit gerade einmal zwanzig Jahre alt – von der feinen Gesellschaft ohne Umschweife als Hexe verunglimpft wurde. Dass sie trotz allgemeinem Konsens, dass sie vier Männer durch Zauberei getötet hatte, dennoch weiterhin zu Bällen eingeladen wurde, sagt euch vielleicht alles, was ihr über die eleganten Kreise wissen müsst.

Für eine Hexe oder Mörderin war sie eine bemerkenswert unauffällige Frau – durchschnittlich in den meisten Einzelheiten, bis auf eine Nase, die ins Adlerhafte tendierte, und einen harten, zynischen Mund. Sie trug ein Kleid aus dunkelgrünem Samt, dessen kurze Schleppe inzwischen etwas aus der Mode war, und einen mit hoch aufragenden weißen Federn geschmückten Hut. An einen Kastanienbaum gelehnt, hielt sie einen Fidibus an ihre Zigarre, zündete sie an und sog den Rauch ein. Einen Moment lang schien es, als bemerkte sie Miss Mitchelmore nicht, oder falls doch, als wolle sie sie aus Gründen des Anstands ignorieren. Ich wollte gerade eingreifen, als der Duke of Annadale den Blick senkte.

»Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, Sie scheinen in Unterwäsche dazustehen.«

»Ja.« Zu Miss Mitchelmores Verteidigung: Ich hätte auch nicht recht gewusst, was ich sagen soll. Andererseits wäre ich wiederum unsichtbar gewesen.

»Eine kühne Wahl, aber möglicherweise eine unkluge?«

Miss Mitchelmore straffte ein wenig den Rücken und brachte ein Lächeln zustande. Ihr Lächeln war von der Sorte, das Sterbliche als hübsch bezeichnen würden. Wie übrigens auch der Rest ihrer Erscheinung. Sie hatte zarte Gesichtszüge, die Haare ein sittsames, aber modisches Hellbraun, und Augen, die unter normalen Umständen vor einer Art unschuldiger Freude funkelten. »Das war keine freiwillige Wahl. Ich … ich fürchte, jemand spielt mir einen recht grausamen Streich.«

»Nun, wenn Sie unbedingt von Feen gewobene Kleidung kaufen müssen.« Vielleicht sollte ich sagen, dass ich eine tiefe Abneigung gegen den Duke of Annadale hege.

»Ich habe vor Kurzem eine neue Schneiderin eingestellt, aber ich bin mir sicher, sie ist durchaus menschlich. Abgesehen davon trägt meine Freundin Miss Bickle andauernd von Feen gewobene Kleider, und sie hatte noch nie solche Schwierigkeiten.«

Scheinbar hatte der Duke of Annadale genug von der Kleiderfrage, denn sie ging zu der kleinen Hecke hinüber, nahm die Zigarre aus dem Mund und bot sie Miss Mitchelmore an. »Rauchen Sie?«

»Nein. Und selbst wenn ich es täte, fände ich meine anderen Probleme dringlicher, denke ich.«

Achselzuckend nahm der Duke of Annadale noch eine Lunge voll Tabakrauch. »Das ist eine Betrachtungsweise. Die andere wäre, dass es die Angelegenheit wohl kaum schlimmer machen kann.«

Vielleicht sah sie keinen Sinn darin, sich zu widersetzen, denn Miss Mitchelmore nahm die Zigarre, setzte sie an die Lippen und sog ungeschickt daran. Ich persönlich fand den folgenden Hustenanfall schrecklich unterhaltsam. »Ich muss sagen«, prustete Miss Mitchelmore, als sie dem Duke den Gegenstand des Anstoßes wiedergab, »mein derzeitiger Zustand scheint Sie bemerkenswert wenig zu stören.«

»Das Schöne am Dasein als Dame ist, andere Damen in Unterwäsche ansehen zu können, ohne dass es als unschicklich gilt. Das Schöne daran, als Hexe geschmäht zu werden, ist, dass Schicklichkeit ohnehin wenig Bedeutung besitzt.«

Die Erwähnung der Hexerei in Kombination mit dem langsamen Wiedererkennen eines Gesichts, das sie zweifellos auch zuvor schon gesehen hatte, wenn auch nur von Weitem, brachte Miss Mitchelmores Geist zu einer verspäteten Erkenntnis. »Dann sind Sie – das heißt – Sie sind diejenige, die man den Duke of Annadale nennt?«

Der Duke nickte.

»Verzeihen Sie mir, diese Bezeichnung missfällt Ihnen sicherlich.«

Falls es so war, gab sie es nicht zu erkennen. »Mir missfällt die Ungenauigkeit. Aber Lady Georgiana ist wohl kaum besser.«

»Nicht? Ich finde es recht hübsch.«

»Wirklich?« Der Duke of Annadale schien darüber nachzudenken. »Und aus welchem Grund sollte ich auf das ästhetische Urteil einer Frau vertrauen, die nackt in einem Garten steht?«

Daraufhin errötete Miss Mitchelmore. »Ich bin nicht nackt, ich bin nur … unterbekleidet.«

»Sie sind unbekleidet, und auch wenn Ihnen diese Mode gut steht, spricht sie allgemein gesehen nicht unbedingt für Ihren guten Geschmack.«

Miss Mitchelmores Geduld ging zur Neige, möglicherweise hatte sie auch nur genug von der Nachtluft, jedenfalls sah sie den Duke of Annadale trotzig an. »Sie machen sich über mich lustig, und das ziemt sich nicht für eine Frau Ihres Standes.«

»Meine Brüder zu ermorden ebenso wenig. Da ich dessen bereits verdächtigt werde, möchte mir nicht einleuchten, wie kleine Unhöflichkeiten einer Fremden gegenüber meinen Ruf weiter beschmutzen sollten.«

»Bitte.« Es war kein verzweifeltes Bitte, sondern ein aufrichtiges. »Lady Georgiana, ich befinde mich – wie Ihnen sicherlich bewusst sein wird – in einer höchst kompromittierenden Lage, und sollte mich ein Gentleman in diesem Zustand sehen, wäre das mein Ruin.«

»Dann hätten Sie die Vorausschau besitzen müssen, reicher oder männlicher geboren zu werden.«

Unbeirrt sprach Miss Mitchelmore weiter: »Sie müssen doch ein Kleidungsstück haben, das Sie mir leihen können?«

»Es tut mir leid« – zum ersten Mal hörte ich, wie sich Belustigung in die Stimme des Duke of Annadale schlich – »versuchen Sie gerade, mich zu entkleiden?«

»Warum sollte ich …? Oh, Sie spielen immer noch mit mir.« Ein ungewohntes Gefühl flatterte in Miss Mitchelmores Herz. Ihr werdet euch vielleicht fragen, liebe Leserschaft, woher ich solche Dinge weiß. Es genügt wohl zu sagen, dass ich ein Wesen der Träume aus einer Welt der Leidenschaft bin, und meine Augen sehen vieles, was eure nicht sehen. Oder vielleicht lüge ich einfach.

»Spielen, vielleicht. Aber nicht mit Ihren Gefühlen. Ich spiele niemals mit den Gefühlen anderer.«

Miss Mitchelmore wusste nicht so recht, was sie mit dieser Bemerkung anfangen sollte, deshalb wiederholte sie ihre Bitte um praktischere Hilfe: »Haben Sie keinen Mantel oder Umhang, den Sie mir leihen könnten? Etwas, was mir ein wenig Sittsamkeit ermöglichen könnte, während ich überlege, wie ich aus dieser furchtbaren Lage herauskomme?«

Ein kurzes Schweigen folgte. »Und was würde ich gewinnen, wenn ich Ihnen helfe?«

»Es wäre ein Akt christlicher Nächstenliebe.«

»Glauben Sie wirklich, ich hätte irgendein Interesse an Christlichkeit?«

Und jetzt war Miss Mitchelmore ehrlich schockiert. »Das ist nun wirklich gemein.«

»Gemeiner als Ich habe vor, Sie in Unterhemd und Korsett erfrieren zu lassen? Gemeiner als Hekate, Göttin der Wegkreuzungen, ich gelobe, drei makellose Ochsen in deinem Namen zu opfern, wenn du meinen Vater mit Lepra schlägst?«

»Ich glaube nicht, dass Sie irgendetwas davon tun würden.« Miss Mitchelmore hatte sich jetzt trotzig so hoch aufgerichtet wie sie konnte, ohne vom Haus aus gesehen zu werden. »Aber wenn Sie so wollen – ja, ich wage zu sagen, es ist schlimmer. Die alten Götter mögen in dieser Welt herrschen, und sie mögen zu unseren Lebzeiten die Macht besitzen, uns zu schaden, aber sich zu weigern, jemanden zu retten, bringt Ihre Seele in Gefahr.«

»Und was ist Ihnen in diesem Moment wichtiger, meine ungefährdete Seele oder Ihre entblößten Schenkel?«

»Zum Glück gibt es für beide ein und dieselbe Abhilfe.« Miss Mitchelmore reckte in damenhafter Selbstgerechtigkeit das Kinn. »Das Evangelium ersucht uns, die Nackten zu kleiden. Indem Sie also meinen Körper einhüllen, erheben Sie auch Ihren Geist.«

Darauf lächelte der Duke of Annadale leicht, nickte knapp und erwiderte nichts weiter, bevor sie sich umdrehte und ins Haus zurückging.

Miss Mitchelmore sah ihr erschrocken über diesen Verrat nach. Und als sie sicher war, dass der Duke of Annadale verschwunden war, sank sie rücklings an den Strauch und weinte. Aus gutem Grund, denn ihre Hoffnung auf Rettung hatte sich als kaltes und herzloses Wesen entpuppt. Schlimmer noch, als eines ohne Sinn für die Kunstfertigkeit der Feen. Ich hätte Miss Mitchelmore natürlich auch selbst zu Hilfe kommen können, doch ich bin hier, um diese Geschichte zu erzählen, nicht daran teilzunehmen. Abgesehen davon seid ihr Sterblichen so hilflose Kreaturen. Wenn ich einmal anfangen würde, euch zu helfen, könnte ich niemals damit aufhören. Und dann müsste ich Schuhe für Witwer machen oder für undankbare Bauerntöchter Stroh zu Gold spinnen. Nicht, dass das für mich noch Optionen wären, weshalb ich ausgerechnet zum professionellen Geschichtenerzählen verdammt bin. Ich versichere euch, mir graut durchaus vor mir selbst.

Das Geräusch von Schritten hinter dem Strauch ließ Miss Mitchelmore erstarren, sie wusste nicht, ob es besser war, gesehen zu werden und den Ruin zu riskieren, oder unsichtbar zu bleiben und für immer in einem Busch zu leben. Die Entscheidung wurde ihr jedoch schnell abgenommen, als ihr ein Bündel Kleidung auf den Kopf fiel.

»Mein Umhang.« Die Stimme gehörte dem Duke of Annadale.

Beim Versuch, aufzustehen, sich umzudrehen und sich in ein jetzt ziemlich verknäultes Kleidungsstück zu wickeln, stand Miss Mitchelmore nicht mit ganz so viel Anmut und Würde auf, wie sie vielleicht gehofft hatte, sie schaffte es dennoch, eine Antwort von ihrer widerwilligen Retterin zu verlangen. »Warum haben Sie mich in dem Glauben gelassen, Sie hätten mich zurückgelassen?«

»Ich habe einen Ruf zu verlieren. Abgesehen davon« – der Duke of Annadale streckte die Hand aus und wischte Miss Mitchelmore eine Träne von der Wange – »hielt ich es für möglich, dass Sie hübsch weinen würden.«

Miss Mitchelmore blinzelte den Rest ihrer Tränen weg. Zur Verteidigung des Duke of Annadale sei gesagt, sie hatte recht – die Lady weinte wirklich äußerst dekorativ. Andererseits hat mein Volk eine Schwäche für Tränen, was unter Umständen mein Urteilsvermögen trüben könnte. »Das war vielleicht das Niederträchtigste, was Sie bisher gesagt haben. Warum sollte irgendwer sich wünschen, jemanden weinen zu sehen?«

»Für die Freude, Sie voller Leidenschaft zu sehen? Oder wir sind uns zu spät begegnet, und meine Seele ist bereits unwiderruflich stumpf. Also, wollen wir zu meiner Kutsche gehen?«

Sie hatte keine große Wahl, also folgte Miss Mitchelmore dem Duke of Annadale durch ein glücklicherweise diskretes Seitentor auf die Straße hinaus. Es war noch so früh, dass Passanten nicht ganz zu meiden waren, doch der Weg vom Garten zur Kutsche war kurz, und eine junge Frau in einem Umhang zog weit weniger Aufmerksamkeit auf sich als eine junge Frau in praktisch nichts. Normalerweise hätte Miss Mitchelmore nicht im Traum eine Feier mit jemandem verlassen, dem sie nicht förmlich vorgestellt worden war. Doch erzwungene öffentliche Nacktheit, erfuhr sie jetzt, hebelte so manche Anstandsregel aus. Abgesehen davon war der Duke of Annadale eine Dame, was hieß, es war weniger ungehörig als vielmehr ungewöhnlich.

Als sie in die Kutsche stiegen, folgte ich ihnen als Rauch und mischte mich unter die Rauchfäden, die immer noch von der Zigarre des Duke of Annadale aufstiegen. Sie setzten sich einander gegenüber, und der Duke of Annadale gestattete Miss Mitchelmore, dem Kutscher ihre Anschrift zu nennen.

»Danke«, sagte Miss Mitchelmore, als die Kutsche losgefahren war und Lady Etheridges Stadthaus in sicherer Ferne verschwand. »Ich weiß nicht, was ich hätte tun sollen, wenn Sie nicht eingegriffen hätten.«

Der Duke of Annadale zuckte die Achseln. »Sie scheinen mir recht findig zu sein. Ich wage zu sagen, Ihnen wäre schon etwas eingefallen.«

»Vielleicht, aber ich wüsste nicht, was. Ich muss zugeben, ich kenne mich mit den Gepflogenheiten der Welt vielleicht noch nicht genug aus, aber ich bin mir sicher, Kleider lösen sich normalerweise nicht auf diese Weise auf.«

Der Zigarrenrauch des Duke of Annadale kräuselte sich behäbig an der Decke der Kutsche, und ich kräuselte mich mit ihm. »Magie«, sagte sie. »Im Zweifel kann man immer von Magie ausgehen.«

»Aber wer sollte sich wegen etwas so Unbedeutendem zu Zauberei herablassen?«, fragte Miss Mitchelmore ehrlich verwirrt.

Daraufhin lachte der Duke of Annadale kurz und hart auf. »Mein liebes Mädchen, Sie verstehen wirklich nichts von der Welt. Seit jeher haben Menschen Magie zu drei Zwecken eingesetzt: persönliche Bereicherung, Rache und Sex.«

Der Ausdruck auf Miss Mitchelmores Gesicht war Reaktion genug.

Der Gesichtsausdruck des Duke of Annadale ebenso, sie antwortete dennoch mit Worten. »Werden Sie bei der Erwähnung von Sex wirklich prüde, wenn nichts außer meinem Umhang Ihre hübsche Haut von der kalten Nachtluft trennt?«

»Meine Umstände entziehen sich meiner Kontrolle. Ihre Ausdrucksweise unterliegt Ihrer.«

Der Duke of Annadale lehnte sich zurück. Dabei strichen die Spitzen ihres Federkopfschmucks einen Moment durch meine körperlose Gestalt. »So ist es. Und ich drücke mich gerne deutlich aus. Was Ihnen heute Abend passiert ist, wurde von jemandem verursacht, und dieser Jemand möchte Sie nötigen, erniedrigen oder einfach nackt sehen.« Sie lächelte wissend. »Der dritte Beweggrund besitzt wenigstens die Tugend der Ehrlichkeit.«

»Aber warum ich? Ich bin sicherlich nicht bemerkenswert genug, um einen Zauber wert zu sein.«

»Oh, seien Sie nicht langweilig.« Der Duke of Annadale verdrehte die Augen. »Mir sind diese Dinge meist herzlich gleichgültig, aber selbst ich habe von Ihnen gehört. Ihre kleine Clique ist das Stadtgespräch.«

»Meine Clique?«

»Jetzt werden Sie noch langweiliger. Sie sind eine bemerkenswerte Schönheit, Ihre Freundin Miss Bickle ist eine bemerkenswerte Erbin, und Ihr Cousin ist bemerkenswerterweise Afrikaner.«

»John ist Engländer, Lady Georgiana. Er wurde in Surrey geboren.«

»Und sein Vater?«

»Wurde in Senegal geboren, aber das ist sicherlich kein neuer Skandal.«

Der Duke of Annadale sog an ihrer Zigarre. »Lassen Sie es sich von einer sagen, die es wissen muss: Alte Skandale sterben nie, sie werden nur ausgeschmückt. So oder so geht es darum, dass Sie eindeutig bemerkenswert sind, und irgendwer hat Sie offenbar bemerkt.«

Miss Mitchelmore verfiel in Schweigen, was vielleicht angesichts der Tatsache, dass sie soeben von einem bis dahin unbekannten Feind erfahren hatte, nicht verwunderte, und ihr Schweigen dauerte an, bis die Kutsche das Rondell umrundet und in die Gay Street abgebogen war. Schließlich fragte sie: »Haben Sie mich deshalb nicht nach meinem Namen gefragt?«

»Nein, das war banale Unhöflichkeit.«

»Trotzdem habe ich das Gefühl, ich sollte mich vorstellen.«

»Sie haben sich schon vorgestellt. Ich habe Ihre Knie gesehen.«

Im Sitzen und in einen Umhang gehüllt, war es Miss Mitchelmore nicht möglich, einen Knicks zu machen, deshalb streckte sie die Hand aus. »Ich bin Maelys Mitchelmore. Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Das bezweifle ich ernsthaft.« Der Duke of Annadale nahm ihre Hand, hob sie an die Lippen und küsste sie sanft. Miss Mitchelmore erschauderte auf eine Weise, die nichts mit der Kälte oder dem Schock zu tun hatte.

Diese Geste, da war sich Miss Mitchelmore sicher, erforderte irgendeine Form der Reaktion, doch bevor sie sich überlegen konnte, welche das sein könnte, hielt die Kutsche an. Der Kutscher öffnete die Tür, und da sie keinen dringenden – oder zumindest keinen anständigen – Grund sah, jetzt noch zu trödeln, wo sie sicher zu Hause abgeliefert worden war, stieg Miss Mitchelmore aus und murmelte wiederholt ihren Dank.

»Machen Sie sich keine Gedanken. Und das meine ich äußerst wörtlich.« Der Duke of Annadale sah einen Moment von der Kutsche herab, ihre Augen waren blass wie der Mond und ihr Blick ebenso kühl. »Sie können den Umhang behalten. Ich habe noch andere.«

Und dann sauste die Kutsche durch die Nacht davon, genau wie ich.

Kapitel 2

Ich beschloss, Miss Mitchelmore am nächsten Morgen einen Besuch abzustatten. Sie war bei Weitem das Interessanteste, was mir seit meiner Ankunft in Bath passiert war, und schlimmstenfalls konnte ich mich immer noch amüsieren, indem ich ihre Haare durcheinanderbrachte oder ihre Strümpfe versteckte. Was läppisch scheinen mag, ja, aber ihr wärt erstaunt, wie langweilig die Unsterblichkeit werden kann. Obwohl man sie dann doch vermisst, wenn sie einem genommen wird.

Auf einem Strahl Sonnenlicht betrat ich das Haus, wurde eine Weile zur Fliege, bis ein übereifriges Zimmermädchen versuchte, mich zu verjagen, worauf ich kurz zur Wespe wurde und sie stach. Um sie von weiteren Einmischungen abzubringen, wurde ich eine Maus, dann eine Ratte, dann eine lästige Melodie, die ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Schließlich fiel mir wieder ein, dass ich vorgehabt hatte, Miss Mitchelmore zu beobachten, nahm Gestalt als Nebel und Schatten an, was meiner natürlichen Form ähnelt, aber für sterbliche Augen nicht wahrnehmbar ist, und schlüpfte in den Salon.

Dort fand ich meine Zielperson, die bereits ihren Cousin Mr Caesar und ihre Freundin Miss Bickle empfing. Sie gaben ein faszinierendes Trio ab. Miss Mitchelmore – wie sich der Duke of Annadale überaus bewusst zu sein schien – galt auf die schlanke, symmetrische, aber im Wesentlichen biologische Art, die Sterbliche so gern hatten, allgemein als Schönheit. Und ihre Freunde waren gleichermaßen dekorativ; Miss Bickles nicht zu leugnende, wenn auch alltägliche Ansehnlichkeit halb verschluckt von der Extravaganz ihrer Kleider, und Mr Caesars patrizische Eleganz unterstrichen durch seinen Geschmack. Er war diese pingelige Art Mann, deren Kniehosen immer tadellos saßen, deren Stiefel immer tadellos poliert waren und deren Halstuch immer tadellos geknotet war. Zumindest, bis ich mich, während er vor seiner Cousine stand und sie zu den Ereignissen des Vorabends befragte, neben ihn schob und sanft daran zu ziehen begann, um ein angenehmes Element der Unordnung in seine ansonsten makellose Erscheinung zu bringen.

»Warum bist du nicht sofort zu mir gekommen?«, fragte er gerade. »Du wusstest, dass etwas nicht stimmt, und hast es vorgezogen, dich in einem Garten zu verstecken, statt um Beistand zu bitten.«

Miss Mitchelmore sah verärgert aus. »Und welchen Beistand hättest du leisten können, John? Mein Kleid zerfiel unter einem mystischen Einfluss, und du bist weder ein Zauberer noch eine Schneiderin.«

»Trotzdem wäre ich gern informiert gewesen. Einer von uns hätte doch sicherlich etwas tun können?«

Miss Bickle hatte am Pianoforte seit drei Minuten denselben Ton unregelmäßig angeschlagen. »Glaubt ihr«, fragte sie niemanden im Speziellen, »dass die weißen Tasten neidisch auf die schwarzen Tasten sind? Sie sind höher und sehen viel gemütlicher aus. Aber er hat recht, Mae, wir hätten dir helfen können.«

»Ich wollte euch nicht den Abend verderben.«

Miss Bickle kicherte. »Ich hatte tatsächlich einen herrlichen Abend. Ich habe mit einem schrecklich galanten Hauptmann getanzt, der gerade aus Spanien wiedergekommen ist. Was ziemlich eigenartig war, denn ich hätte schwören können, wir sind mit Frankreich im Krieg.«

»Dieses Jahr war Frankreich in Spanien«, erklärte Mr Caesar.

»Oh, na sowas, wie verwirrend.«

Mr Caesar bemerkte endlich meine Änderungen an seiner Halsbekleidung, ging grummelnd zu einem Spiegel hinüber und begann, sein Tuch zu richten. »Können wir vielleicht zur eigentlichen Frage zurückkehren, nämlich dass Mae gestern Abend einfach ohne uns verschwunden ist?«

»Ja, können wir.« Um das zu unterstreichen, spielte Miss Bickle denselben Ton noch einmal. »Es war Mrs Wilberforce gegenüber fürchterlich ungerecht. Eine Anstandsdame, die ihren Schützling verliert, gilt allgemein als recht mangelhaft in ihrer Arbeit.«

Das löste ehrliches Bedauern bei Miss Mitchelmore aus, die nicht gern der Grund für das Ungemach anderer war (eine Empfindsamkeit, die meiner Meinung nach von einem ausgesprochenen Mangel an Vorstellungskraft zeugt). »Es tut mir leid, Lizzie, ich wollte Mrs Wilberforce keine Schwierigkeiten machen.«

Mr Caesar hatte seine Halsbekleidung geordnet und ich noch nichts gefunden, womit ich seine Stiefel verschmieren oder seine Hose beflecken konnte, also nahm ich mich zurück und ließ ihn zu seiner Cousine zurückkehren. »Du hast uns allen Schwierigkeiten gemacht. Ich war außer mir. Ich dachte, du wärst entführt worden.«

»Ich habe ihm gesagt, das sei albern«, warf Miss Bickle ein. »Ich sagte, du wurdest wahrscheinlich nur von Feen verschleppt.«

»Das ist auch eine Art von Entführung«, gab Miss Mitchelmore zu bedenken. »Abgesehen davon bin ich mir nicht sicher, dass es in Bath überhaupt Feen gibt.«

Miss Bickles Augen, die schon von Natur aus sehr groß waren, wurden noch größer. »Es gibt überall Feen. Du kannst sie bloß nicht sehen.« Um der Lady die Ehre zu erweisen: Sie hatte im Großen und Ganzen recht. Auch wenn wir sehr selten Leute stehlen.

Seufzend stand Miss Mitchelmore auf, ging erst zu ihrem Cousin und dann zu ihrer Freundin. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Es tut mir ehrlich leid. Aber ich war verzweifelt, und wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt, habe ich nicht klar gedacht.« Sie setzte sich neben Miss Bickle ans Pianoforte und begann eine Melodie zu spielen, zu der Miss Bickle gelegentlich vollkommen dissonante Beiträge leistete.

Mr Caesar setzte sich auf den Platz auf dem Sofa, den seine Cousine gerade freigemacht hatte. »Ich verstehe das, Cousinchen; ich war nur besorgt. Und genau genommen bin ich weiterhin besorgt, denn du hast uns noch immer nicht erzählt, wie du nach Hause gekommen bist.«

»Waren es Feen?«, fragte Miss Bickle. Ihr Blick legte nahe, dass sie extrem aufgebracht wäre, wenn sich herausstellte, dass es eben keine Feen waren.

»Nein, es waren keine Feen.« Miss Mitchelmore holte tief Luft. Sie hatte diese Geschichte schon ihren Eltern erzählt, doch da ihr Vater sich hauptsächlich für Dinge interessierte, die man explodieren lassen oder elektrisch aufladen konnte, und ihre Mutter sich hauptsächlich für Dinge interessierte, die man zerlegen konnte, hatten sie die Nachricht bemerkenswert gut aufgenommen. Mr Caesar dagegen würde sich wahrscheinlich Sorgen machen. »Es war Lady Georgiana Landrake.«

Eine schwere Stille legte sich über den Raum. So schwer eine Stille eben sein konnte, wenn sie von Miss Bickles unregelmäßigem Geklimper durchbrochen wurde.

»Der Duke of Annadale?«, fragte Mr Caesar entgeistert.

»Ich weiß nicht, ob es richtig ist, sie so zu nennen.«

Miss Bickle klatschte bereits begeistert in die Hände. »Das klingt aufregend. Hat sie dich verzaubert? Hat sie dich ermordet?«

»Wie hätte sie mich ermorden können? Ich sitze hier neben dir.«

»Du könntest ein Geist sein. Der Earl of Innismere hat an drei Gesellschaftspicknicks teilgenommen, nachdem er gestorben war. Das war sehr unangenehm, vor allem für seine Witwe.« Voller Experimentiergeist streckte Miss Bickle einen behandschuhten, beringten Finger aus und bewegte ihn langsam auf Miss Mitchelmores Gesicht zu.

»Bitte pik mich nicht.«

»Ich muss dich piken, sonst kann ich doch nicht wissen, dass du kein Geist bist und ich deinen Mord nicht rächen kann.«

»Pik mich nicht, Lizzie.«

Sie pikte sie. »Oh, Mae, du lebst! Ich bin so froh.«

»Das erspart uns zumindest« – Mr Caesar fläzte sich inzwischen geübt auf dem Sofa, eine Haltung, die sagte: Mir ist egal, was ihr denkt, sind meine Waden im Übrigen nicht exzellent? – »die Umstände, deinen Tod rächen zu müssen.«

»Aber keine Sorge«, ergänzte Miss Bickle eifrig, »wenn du wirklich ermordet wirst, habe ich Hunderte von Racheplänen.«

»Hunderte?« Miss Mitchelmore war die Hirngespinste ihrer Freundin gewöhnt, aber auf manche konnte man sich besser einstellen als auf andere.

»O ja. Der erste beinhaltet Skorpione.«

Mr Caesar sah vom Sofa hoch. »Und der zweite?«

»Auch Skorpione.«

Sie hätte zwar ebenso nach dem dritten fragen können, doch Miss Mitchelmore beschloss, stattdessen das Thema zu wechseln oder zumindest das Gespräch wieder in seine ursprüngliche Bahn zu lenken. »So oder so wird das nicht nötig sein. Ich habe Lady Georgianas Aufmerksamkeiten überlebt, und es geht mir sehr gut.«

»Da bin ich mir nicht so sicher.« Mr Caesar runzelte die Stirn. »Was dir gestern Abend passiert ist, war nicht normal, und wenn jemand einmal Magie gegen dich eingesetzt hat, sehe ich keinen Grund, warum diese Person es nicht noch mal tun sollte.«

Daraufhin erstarrte Miss Mitchelmore. Es war sicher nicht leicht für jemanden, der gerade einen magischen Angriff überlebt hatte, so schnell wieder über einen weiteren nachdenken zu müssen. »Glaubst du wirklich, ich könnte in Gefahr sein?«

»Körperlich vielleicht nicht. Gesellschaftlich sicher.« Mr Caesar stützte nachdenklich und ästhetisch das Kinn in die Hand. »Hättest du gestern weniger schnell reagiert, wärst du im besten Fall gedemütigt, im schlimmsten ruiniert gewesen. Hätte dich jemand anderes als Lady Georgiana im Garten gefunden, wäre der Skandal womöglich irreparabel gewesen, und auch jetzt könnte dich das noch teuer zu stehen kommen.«

Miss Mitchelmore schauderte, als wäre ein kühler Luftzug durch den Raum geweht. Ich verstärkte den Effekt, indem ich selbst die Form eines kühlen Luftzugs annahm und ein paar Sekunden über ihr hängen blieb, bevor ich mich zurückzog. »Ich glaube, wir wurden nicht gesehen. Und selbst wenn …«

»Ich schwöre dir, Mae, wenn du sagst: Wir sind beide Ladys, lasse ich dich noch mal von Lizzie piken.«

Ohne auf den Vorwand zu warten, pikte Miss Bickle ihre Freundin dennoch.

»Aber wir sind beide La… Lysistrata, hör bitte auf damit.«

Gescholten, wie es nur die Verwendung ihres vollen Namens durch jemand anderen als ihre Mutter konnte, ließ Miss Bickle ihren übergriffigen Finger sinken.

»Ihr seid beide Ladys, und Mr Ellersley und ich sind beide Gentlemen. Das heißt nicht, dass die Leute nicht reden. Die Gesellschaft mag Scheuklappen tragen, aber sie ist nicht vollkommen blind.«

»Du willst doch sicher nicht andeuten …« Miss Mitchelmores Fingerspitzen fanden unbewusst ihren Weg zu ihrem Handrücken, wo der Duke of Annadale ihn geküsst hatte, dann zu ihrer Wange, wo sie ihr eine Träne abgewischt hatte.

Mr Caesar streckte sich träge. »Ich weiß nichts über Lady Georgiana. Ich kenne ihre Gewohnheiten und Vorlieben nicht. Und ich habe ebenso guten Grund, Gerüchte mit Vorsicht zu behandeln, wie alle anderen. Aber wenn mich ein plötzliches magisches Unheil träfe und ich würde dann aus diesem Unheil von einer Person gerettet, die sich, wie allgemein spekuliert wird, in Zauberei versucht, dann wäre ich zumindest misstrauisch.«

»Sie war nett zu mir. Ich möchte nicht schlecht von ihr denken.«

»Du bist lieb, Cousine, aber gut von schlechten Menschen zu denken, führt nie zu etwas Gutem. In jedem Fall wurdest du magisch angegriffen. Es liegt nahe, dass du magisch geschützt werden musst, oder dass dein Angreifer aufgestöbert und aufgehalten werden muss.«

»Nur dass ich« – Miss Mitchelmore blieb sehr angespannt und eher kühl, und ich selbst trug nicht mehr zu diesem Zustand bei – »nicht die geringste Ahnung habe, wie ich das eine oder das andere anstellen soll.«

»Feen?«, schlug Miss Bickle vor. »Oder Elfen, Spriggans, Wassernixen, Boggans, Najaden oder Kobolde, wenn wir Höhlen finden könnten.« Sie lächelte mit der Zufriedenheit, die nur Dummköpfen, Babys und Weisen gegeben ist. »Sie haben meine Armbänder gemacht.« Ihre Armbänder waren zugegebenermaßen sehr fein gearbeitet: zarte Bänder aus gesponnenem Gold, die sich an ihren Unterarmen hinaufwanden, an unerwarteten Stellen funkelten Juwelen.

»Oder die alten Götter natürlich«, ergänzte Mr Caesar, der eine klassische Erziehung genossen hatte. »Aber ich nehme an, um das Böse abzuwehren, musst du mit Hekate sprechen, und dafür bräuchtest du eine Kreuzung, einen Neumond und ich glaube mindestens zwei Hunde. Oder du könntest es mit Artemis versuchen. Sie mag Jungfrauen, auch wenn sie vielleicht findet, dass du ein klein wenig athletischer sein könntest.«

»Ich bin athletisch genug, vielen Dank.« Miss Mitchelmore reagierte gereizt, will sie nicht sicher war, ob sie beleidigt wurde. »Ich reite gut und gehe regelmäßig spazieren.«

»Ja, aber wie sind deine Bogenschießkünste?«

»Nicht existent.«

»Es gibt da noch eine andere Möglichkeit.« Mr Caesar setzte sich mit einem Ausdruck des Unbehagens auf, der in diesem Fall nichts mit meiner Einmischung zu tun hatte. »Ich kenne jemanden – das heißt, ich weiß vielleicht, wie man einen der Galloi kontaktieren könnte.«

»Die Eunuchen-Priester?« In Miss Mitchelmores Stimme lag nicht direkt Entsetzen, doch sie klang schärfer, als sie es möglicherweise beabsichtigt hatte. »Sind die nicht … das heißt … Ich glaube, sie sind keine achtbaren Menschen …«

Mr Caesars Augen wurden schmal. »Maelys, achtbare Menschen, wie du gerade selbst sehr schnell lernst, tun alles Mögliche, was sie nie öffentlich zugeben würden. Der Kybele-Kult hat Macht, und auch wenn sie wahrscheinlich nicht in der Lage sein werden, aufzuheben, was auch immer da an Zauber auf dich gelegt wurde, können sie dir aber vielleicht zumindest eine Orientierungshilfe geben.« Er lehnte sich einen Moment zurück, dann fügte er hinzu: »Außerdem möchten sie lieber Priesterinnen genannt werden.«

Miss Bickle sah zunehmend verärgert aus. »Ich sage trotzdem, wir sollten die Feen besuchen gehen. Es muss doch irgendwo in der Nähe von Bath einen Hügel oder etwas in der Art geben, zu dem wir gehen könnten, und Feen sind bekanntermaßen sehr vertrauenswürdig.« Es erübrigt sich zu sagen, dass ich Miss Bickle sehr gerne mag.

»Wenn du meine Ausdrucksweise entschuldigen möchtest«, erwiderte Mr Caesar, »das sind sie verdammt noch mal nicht.«

»Und warum nennt man sie dann das Gute Volk?«

»Das ist nur ein Gerücht, das sich eisern hält.«

»Ist es nicht. Feen hassen Eisen.« Das ist eigentlich ein Mythos, aber es ist enorm praktisch für uns, euch in diesem Glauben zu lassen.

Miss Mitchelmore wurde plötzlich unruhig, stand auf und drehte eine Runde im Raum. »Könnten wir stattdessen darüber nachdenken, den Schuldigen zu entlarven? Ich möchte lieber nicht mit sonderbaren Kulten verhandeln oder durch Feenringe strawanzen.«

»Das solltest du aber, Mae«, sagte Miss Bickle, »es ist so lustig.«

Mr Caesar sah seine Cousine argwöhnisch an. »Ich kann zwar kaum glauben, dass ich einen Plan befürworte, dessen erster Schritt mit den Feen reden gehen ist, aber ich halte es wirklich für die beste Strategie, irgendeine Art von übernatürlichen Nachforschungen anzustellen. Schließlich haben wir bisher nur eine Verdächtige in dieser Angelegenheit, und du weigerst dich offenbar, sie zu verdächtigen.«

»Ich weigere mich nicht, sie zu verdächtigen.« Miss Mitchelmore legte mit einer Geste die Hand an die Brust, die sich halb als Aufrichtigkeit, halb als Versuch, ihren eigenen Herzschlag zu messen, interpretieren ließ. »Ich möchte nur unvoreingenommen bleiben. Freundlich von ihr zu denken, wie ich gern möchte, dass andere freundlich von mir denken.«

»Es gibt eine Grenze zwischen Freundlichkeit und Torheit, Cousine. Aber vielleicht finden wir einen Kompromiss. Wenn du akzeptieren kannst, dass Lady Georgiana eine Verdächtige ist, ziehen wir gern auch andere in Betracht, die dir einfallen.«

Miss Mitchelmore brauchte eine Weile, bis ihr andere einfielen, doch am Ende gelang es ihr. »Mr Clitherowe? Er hat letztes Jahr um meine Hand angehalten, und ich habe ihn abgewiesen.«

»Und«, fügte Miss Bickle hinzu, »er ist ein Geistlicher, und Geistliche sind bekanntermaßen willensschwach und anfällig für Verführungen. Sieh dir Pater Jerome an. Oder Ambrosio.«

Miss Mitchelmore schüttelte den Kopf. »Lizzie, du solltest wirklich weniger unangemessene Bücher lesen.«

»Das sagst du, aber ich weiß wenigstens, was zu tun ist, wenn ein Mönch mit einem magischen Myrtenzweig versucht, mich zu schänden.«

»Abgesehen von allen Schauergeschichten sollten wir Mr Clitherowe auf die Liste setzen.« Mr Caesar setzte sich auf und begann, sich leicht die Schläfen zu massieren. »Sonst noch jemand?«

»Ich gehe seit Kurzem zu einer neuen Schneiderin. Vielleicht hat sie mir aus irgendwelchen heimtückischen Gründen ein verfluchtes Kleid verkauft. Oder Madame Ebchester hat mich verhext, um den Verdacht auf ihre Rivalin zu lenken.«

Miss Bickle stand so schnell auf, dass sie den Klavierhocker umwarf. »Ooh, mir ist gerade etwas eingefallen. Was ist mit Miss Worthing? Sie hasst dich.«

»Madeleine Worthing?« Miss Mitchelmore machte ein langes Gesicht. »Ich mochte sie eigentlich immer gern.«

»Ich weiß, aber sie hat mir erzählt, sie hält dich für eine verkniffene Fregatte, die sich nicht um die Gefühle und Bedürfnisse anderer Ladys schert.« Sie strahlte. »Das ist also eine gute Nachricht, oder?«

»Warum genau?«, fragte Mr Caesar.

»Na ja, wenn sie es ist, können wir es einfach ihrer Mama erzählen, und sie wird dem sofort einen Riegel vorschieben. Mrs Worthing ist ziemlich furchteinflößend.«

Aus mir schleierhaften Gründen, die vielleicht etwas mit »Nettigkeit« zu tun hatten, schien sich Miss Mitchelmore größere Sorgen um Miss Worthings Meinung zu machen als um ihr eigenes potenzielles mystisches Ableben. »Ich weiß immer noch nicht, womit ich sie verärgert haben könnte.«

»Ich glaube, es hat etwas mit Lady Montgomerys Ball letzte Saison zu tun. Viscount Fortrose hat die arme Madeleine ziemlich ignoriert und stattdessen dich zum Tanzen aufgefordert, und du hast ihn abgewiesen. Ich glaube, das hielt sie für arrogant.«

»Sie hat nie etwas gesagt. Abgesehen davon war meine Tanzkarte schon voll, und es wäre unhöflich gewesen, seinetwegen einen anderen Gentleman zu brüskieren, selbst wenn er ein Viscount ist.«

»Tja, vielleicht solltest du ihr sagen …«

»Wie bereits gesagt.« Mr Caesar hatte offensichtlich genug von den Abschweifungen. »Unsere umfangreiche Verdächtigenliste für den frevelhaften Versuch, dich mit Hilfe von Magie öffentlich zu entkleiden, besteht aus« – er begann, an den Fingern abzuzählen – »einem sanftmütigen Geistlichen, zwei Schneiderinnen, einer leicht zu verärgernden Debütantin …«

»Sie ist keine Debütantin mehr«, korrigierte Miss Bickle, die eigentümlich pedantisch sein konnte, wenn es um ihre Interessensgebiete ging.

Unbeirrt fuhr Mr Caesar fort: »Oder die mysteriöse Adlige, die bereits – wenn auch nicht beweisbar – vierer Morde durch Hexerei verdächtigt wird und die deine missliche Lage umgehend genutzt hat, um dich in ihre Privatkutsche zu manövrieren, in der sie alles mit dir hätte machen können, was ihr beliebte.«

»Die es aber stattdessen vorzog« – Miss Mitchelmore wurde von einem heftigen Drang ergriffen, die Ehre ihrer Retterin zu verteidigen – »mich ohne einen eigenen Vorteil sicher zu Hause abzusetzen. Du hast versprochen, dass ihr auch andere Verdächtige in Betracht ziehen werdet.«

Mr Caesar rieb sich wieder die Schläfen. »Und ich versuche es, Cousinchen, ich versuche es wirklich. Aber auf der einen Seite haben wir den Duke of Annadale …«

»Bitte nenn sie nicht so, das ist grausam.«

»Sieh es als notwendige dramatische Akzentuierung. Das Entscheidende ist, dass wir auf der einen Seite eine Frau mit höchst zweifelhaftem Charakter haben, von der wir schon wissen, dass sie im Mittelpunkt eines tödlichen Geheimnisses steht, und auf der anderen haben wir … Miss Worthing oder eine Schneiderin.«

»Ich habe Madeleine Worthing einmal Bilsenkraut tragen sehen«, sagte Miss Bickle. »Ich glaube, sie könnte sehr wohl eine Hexe sein.«

Miss Mitchelmore legte den Kopf schief. »Lizzie, warum versteifst du dich so auf Madeleine?«

»Na ja …« Miss Bickle rutschte ein wenig unbehaglich herum. »Ich finde einfach, es würde mehr Spaß machen, wenn es jemand aus unseren Kreisen wäre. Wir könnten eine ordentliche Rivalität haben. Wir könnten ins Moor hinausrennen und Zauber aufeinander schleudern.«

»Was für ein Moor?«, fragte Miss Mitchelmore.

»Es muss doch irgendwo ein Moor geben.«

»Es gäbe die Cotswolds«, schlug Mr Caesar vor.

»Sei nicht albern.« Miss Bickle schoss einen Blick auf ihn ab, der sagte: Du bist wirklich sehr, sehr töricht. »Du kannst auf einem windumtosten Cotswold kein magisches Duell austragen.«

Miss Mitchelmore bekam langsam Kopfschmerzen, und zwar keine, die von mir stammten. Wobei ich glaube, ich hätte unter diesen Umständen sowieso Zahnschmerzen gewählt, denn damit hätte sie vielleicht unterhaltsam gesprochen. »Da ich nichts von Magie verstehe und ihr auch nicht, soweit ich weiß, sollten wir vielleicht Pläne meiden, die irgendeine Art von Duell mit jemandem in irgendeiner Art von geografischer Besonderheit vorsehen.«

Das Ausmaß des Schmollmunds, dessen Miss Bickle sich als fähig erwies, hätte nur bei jemandem möglich sein dürfen, dessen Lippen mit einem speziellen schmollmundverstärkenden Zauber gesegnet worden waren, doch sie schaffte es ganz allein. »Also, wenn wir nicht mit den Feen reden und uns auch nicht mit irgendwem irgendwo duellieren wollen, dann tun wir vielleicht am besten gar nichts.«

»Da hat Lizzie tatsächlich recht, glaube ich«, sagte Mr Caesar. »Solange derjenige nicht noch einmal zuschlägt – und es könnte auch sehr gut sein, dass das nicht passiert; in dem Fall hätten wir keinen Grund zur Sorge –, haben wir wenig Anhaltspunkte. Aber egal, was du tust, ich würde mich auf jeden Fall fernhalten vom Duke of« – er bremste sich – »von Lady Georgiana Landrake.«

Das war, wie Miss Mitchelmore am Ende zugeben musste, der beste Plan. Aus meiner Perspektive war es natürlich eine Katastrophe. Es gab wohl kaum eine weniger fesselnde Geschichte als die einer jungen Dame, die geduldig abwartete und Konfrontationen mied. Dennoch beschloss ich, sie und ihre Gefährten im Auge zu behalten, falls ihr Leben wieder unterhaltsam wurde, und zu meinem großen Entzücken musste ich darauf nicht lange warten.

Kapitel 3

Während Miss Mitchelmore stur auf der Strategie beharrte, sich bedeckt zu halten, bis neue Informationen auftauchten, erwiesen sich ihre Freunde als weniger stur und daher unterhaltsamer. Miss Bickle wanderte den Nachmittag über benebelt durch den Wald und versuchte, mit Baumgeistern zu sprechen und durch Fliegenpilzkreise zu springen – mit eingeschränkter Wirkung. Die Baumgeister sind durchaus echt, doch sie sind im Grunde Bäume und finden Gespräche mit Menschen noch lästiger als ich.

Mr Caesar zu folgen, erwies sich als fruchtbarer. Er verbrachte einen Großteil des Tages mit Studien – im Bewusstsein, dass ihn das Erbe seiner Mutter nicht sein ganzes Leben unterhalten konnte und er, sollten seine Schwestern keine passenden Partien finden, eines Tages für ihren Komfort verantwortlich sein würde, hatte er beschlossen, es mit der Juristerei zu versuchen, und arbeitete, als ich ihn das ersten Mal aufsuchte, an seiner Bewerbung für die Inns of Court, die Anwaltskammern. Am Abend machte er sich jedoch auf den Weg in die Stadt und ging ein wenig verstohlen eine gewisse Straße hinunter zu einem gewissen Haus, wo er leise an eine gewisse Tür klopfte. Es war eine Tür, an der er einige Zeit nicht geklopft hatte, und er wusste nicht sicher, ob er empfangen werden würde.

Diese Tür öffnete sich einen Spalt und gab den Blick auf einen groß gewachsenen Mann in einem Kleid frei, das alt genug war, dass es noch Reifröcke besaß. Er beäugte seinen Besucher so lange misstrauisch, dass mir das Warten langweilig wurde, ich mich in eine Maus verwandelte und an ihm vorbeihuschte. »O mein Gott, bist du das?«

»Du kannst mich John nennen, Serena.« Mr Caesar schenkte ihm ein leichtes Lächeln, von dem er hoffte, es wirkte sowohl ironisch als auch entschuldigend. »Also, darf ich reinkommen, oder willst du mich draußen stehen und Aufmerksamkeit erregen lassen?«

Serena streckte die Hand aus und tätschelte Mr Caesar den Arm. »Johnny, mein Junge, jeder weiß, dass das hier ein Haus voller verdammungswürdiger Sodomiten ist. Wenn überhaupt wäre es gut fürs Geschäft, dich im Fenster lehnen zu haben. Aber komm doch trotzdem herein.«

Das Innere, erkannte ich schnell von meinem Aussichtspunkt am Boden aus, war eine Art Kaffeehaus: Es gab niedrige Tische und weich gepolsterte Möbel, auf denen es sich Gentlemen verschiedenen Alters, verschiedener Ethnien und Verlotterungsgrade bequem gemacht hatten. Es war ein Grenzbereich, eine zwielichtige Welt, in die Männer, die außerhalb der Regeln der gewöhnlichen Gesellschaft lebten, kommen konnten, um eine Nachbildung dieser Gesellschaft nach ihren eigenen Vorstellungen zu erschaffen. Da ich selbst in Zwischenwelten lebte, gefiel mir das, auch wenn ich die Umsetzung ein wenig fantasielos fand.

»Meine Damen«, verkündete Serena und klatschte laut genug in die Hände, um die Aufmerksamkeit des ganzen Raums auf sich zu ziehen, wenn auch nur für einen Moment. »Schaut her, wer uns besuchen kommt.«

Mr Caesars Auftritt im Salon zog ein wenig mehr Aufmerksamkeit auf sich als die Rückkehr der Gastgeberin, wenn die Reaktionen auch größtenteils Variationen vulgärer Leitmotive waren, einige davon sogar ziemlich kreativ, zumindest nach sterblichen Maßstäben.

»Ich dachte, wir hätten eine Abmachung«, sagte ein schlanker Gentleman mit scharfem Blick auf einer Chaiselongue. Er betrachtete Mr Caesar mit einer Mischung aus Bitterkeit und Gehässigkeit. »Du bekommst den Ganymede Club und Mistress Muff’s, ich bekomme Serena’s und Lord Wittinghams Gentleman’s Ball.«

Das war, wie ich später erfahren würde (und in diesem Moment hätte vermuten können, doch ich achtete nicht wirklich darauf) Mr Ellersley, dessen Beziehung mit John immer noch gelegentlich Klatschthema war. Der Klatsch war, sollte ich vielleicht betonen, vollkommen zutreffend. Sie fickten definitiv.

Mr Caesar nahm einen angespannt beruhigenden Tonfall an, mit einem Hauch von etwas, was meine romantische Seite gern als sehnsüchtige Melancholie beschreiben wollte. »Ich bleibe nicht, Tom.«

»O nein, bleib doch bitte!« Das war ein älterer Mann mit gepuderter Perücke, die ihn volle zwei Fuß größer erscheinen ließ, als er wirklich war. »Nichts für ungut, Tom, aber er ist unterhaltsamer als du.«

»Verpiss dich, Lionel«, erwiderte Mr Ellersley eloquent.

»Ich versichere dir, ich gehe sehr gerne wieder«, fuhr Mr Caesar fort, ohne auf das Nebengezänk zu achten, »sobald mir jemand sagt, wo ich Tabitha finden kann.«

Schweigen legte sich über den Raum.

Als keiner, der gern um etwas bettelte, starrte Mr Caesar seine einstigen Kameraden zornig an. »Ach, kommt schon. Irgendwer muss doch wissen, wo sie ist.«

»Tabitha möchte nichts mit uns zu tun haben«, erklärte Serena einigermaßen verbittert, »und wir möchten nichts mit ihr zu tun haben.«

»Aber sie ist jahrelang hergekommen. Und keiner von euch hat ihr auch nur einen Brief geschrieben?« Mr Caesars Empörung war so vielschichtig, ich hätte glückliche Stunden damit verbringen können, diese Schichten abzuschälen, wäre mir danach gewesen. Die Frustration des Misserfolgs spielte sicherlich mit hinein. Doch ebenso das Wissen, dass er in vielerlei Hinsicht Teil des Problems gewesen war.

Mr Ellersley zog eine dünne Augenbraue hoch. »Du etwa?«

»Ich war in London.«

Der Mann mit der Perücke beugte sich vor. »Wir waren alle in London, Darling. Die Sache ist die, dass niemand von uns sie sehen wollte, nachdem sie … nachdem sie in Kybeles Dienst getreten ist.« Das, nahm ich an, war ein Euphemismus. Es stimmte zwar, dass man ehemaligen Bekanntschaften den Rücken kehrte, wenn man sich den alten Göttern zuwandte, aber wer sich den Galloi anschloss, zog besondere Verachtung auf sich. Selbst – oder vielleicht besonders – an einem Ort wie Serena’s. Dies hier war eine Gesellschaft, die Männlichkeit die höchste Bedeutung beimaß und sie für unabänderlich hielt und die deshalb die Erinnerung daran verabscheute, dass in Wirklichkeit keines von beidem zutraf.

Steif und hoch aufgerichtet blickte Mr Caesar auf seinen Gesprächspartner herab. »Ich dachte, was eine Dame mit ihrem eigenen Leben macht, sei allein ihre Sache, Lionel.«

»Ach, um Himmels Willen, John« – Serena ließ sich in einen Sessel fallen – »sie ist keine scheiß Dame, sie ist eine scheiß Schwuchtel. Ich trage vielleicht ein Kleid und nenne mich Serena, aber ich mache mir keine Illusionen, dass ich unter alledem immer noch ein scheiß Mann bin. Aber Tabby dachte, sie sei was Besseres als wir.«

Ein Mann in Militäruniform mit Abzeichen, die ihn als Hauptmann kennzeichneten, trank seinen letzten Schluck Kaffee aus. »Das ist ein bisschen ungerecht, ’Rena. Sie hat ganz klar getan, was sie tun musste. Sich den alten Göttern zuzuwenden, kann kein leichter Schritt sein.«

»Aber es gibt so wenige von uns.« Serena ließ die Schultern hängen und den Kopf in die Hände sinken. »All die alten Häuser schließen: Mrs Clap’s, Lady Merkin’s, der Gadarine Club. Selbst wir hier kommen gerade so über die Runden, und wir hätten schon zweimal schließen müssen, wenn Lionel dem Richter nicht einen geblasen hätte.«

Lionel senkte bescheiden den Kopf. »Ich lebe, um zu dienen.«

»Was bedeutet« – Serena blickte auf –, »dass ich es persönlich nehme, wenn uns Leute im Stich lassen.«

»Hat sie uns im Stich gelassen?«, fragte Mr Caesar, »oder haben wir sie im Stich gelassen?«

»Na ja, du hast uns alle im Stich gelassen«, warf Mr Ellersley von seiner Chaiselonge aus schnippisch ein.

Mr Caesar war nicht der Typ, der sich hinterfragen ließ, er verschränkte die Arme. »Weil du es so wolltest, Tom. Du hast gesagt: ›Ich will dein blasiertes Gesicht nie wieder sehen.‹«

»Ja, aber du hättest nicht auf ihn hören sollen«, sagte der Hauptmann. »Er ist ein Riesendidiot.«

»So oder so, ich muss Tabitha finden. Jemand aus meiner Familie wurde verflucht, und Tabitha ist die Einzige, die mir einfällt, die etwas über diese Art Magie wissen könnte.«

Mr Ellersley setzte sich auf. »Wer aus deiner Familie?«

»Das Familienmitglied, das momentan nicht in Eton weilt.« Der Leserschaft zuliebe sei gesagt, dass das Familienmitglied, das zu dieser Zeit in Eton weilte, Miss Mitchelmores jüngerer Bruder war, der sich des absurden Namens Corantin erfreute und für unsere Geschichte von begrenzter Bedeutung ist.

»Maelys?« Mr Ellersley sah ehrlich betrübt aus, woraus ich schloss, dass er Miss Mitchelmore kennengelernt, sie sympathisch gefunden und nicht den Wunsch hatte, sie zu seinem Privatvergnügen leiden zu sehen. Diesen Charakterzug habe ich persönlich nie ganz verstanden, denn er fehlt meinem eigenen Volk fast vollständig.

Mr Caesar nickte, und da er nun der Einzige war, der noch stand, setzte er sich auf einen freien Sessel, von denen es mehrere gab – Serena hatte anscheinend recht, was die dezimierte Klientel des Hauses anging. »Vielleicht ist es auch nichts«, erklärte er, »aber ich glaube, sie ist in Gefahr.«

»John, du abscheuliche Kreatur« – Lionel steckte sich wie eine Katze und verlor dabei fast seine Perücke – »du versuchst doch nicht, eine Maid in Nöten zu retten, oder etwa doch? Wir sind hier nicht von der Sorte mit der schimmernden Rüstung.«

»So seltsam es scheinen mag«, sagte Mr Ellersley, »ich glaube, er tut da womöglich tatsächlich etwas halbwegs Vernünftiges.«

Mr Caesar sah Mr Ellersley mit verächtlichem Überdruss an. »Ich war immer vernünftig, Tom. Ich hatte nur nicht endlos Zeit für deinen Unsinn.«

»Ach, verpiss dich«, erwiderte Mr Ellersley abermals eloquent. »Aber wenn du wirklich mit Tabitha sprechen musst: Das letzte Mal, als ich von ihr gehört habe, wohnte sie in der Westgate Street.«

Lionel verzog das Gesicht. »Mein Gott, wer würde dort wohnen wollen?«

»Nichts gegen die Westgate Street«, sagte der Hauptmann. »Viele meiner Männer würden nur zu gern in der Westgate Street wohnen. Es gibt weit schlimmere Orte in Bath.«

»Keinen, von dem man in der feinen Gesellschaft spricht«, warf Lionel ein.

Serena lachte kurz auf. »Darling, zur feinen Gesellschaft gehört in der Regel niemand, dessen Schwanz du schon im Arsch hattest.«

Mit dem Gefühl, dass der Abend ab jetzt in Gezänk übergehen würde, und mit der Information, die er gesucht hatte, stand Mr Caesar auf. »Danke, Tom. Und danke, Miss Serena, für deine Gastfreundschaft.«

Sich ebenfalls erhebend, streckte Serena die Arme aus und zog Mr Caesar an sich, wobei sie seine Röcke zerknitterte. »Komm zu uns zurück, John.«

Und dann verließ Mr Caesar zu meiner Enttäuschung das Haus der zügellosen Gentlemen und ging, ganz langweiliger Sterblicher, nach Hause. Zur Strafe versteckte ich einen seiner Schuhe.

***

Aus besonderer Vorsicht heraus suchte ich Miss Tabithas möblierte Unterkunft vor Mr Caesars und Miss Mitchelmores Ankunft auf. Die Diener der alten Götter besitzen manchmal Fähigkeiten, die meine Rolle des Beobachters, Geschichtsschreibers und gelegentlichen Unfugtreibers ein wenig heikel gestalten.

Unter der Tür der Herberge war ein beachtlicher Spalt, deshalb konnte ich mich in Mäusegestalt hineinschmuggeln. Wenn ich es mit Personen zu tun habe, die möglicherweise die Fähigkeit besitzen, Zauber zu durchschauen, ziehe ich kleine Gestalten vor. So müsste selbst ein Beobachter, der meine wahre Natur wahrnehmen könnte, hinter das richtige Stuhlbein oder in die richtige Ecke spähen.

Ich fand Miss Tabitha im Gemeinschaftsraum des Hauses. Sie – trotz Serenas Kommentaren war Miss Tabitha ganz bestimmt eine Lady, zumindest in den Augen der Götter, und andere Augen waren nicht von Bedeutung, außer ihren eigenen – war die einzige Nutzerin. Sie saß auf einem etwas abgenutzten Sofa und las ein etwas abgenutztes Buch an einem Fenster, das nur vor der Abgenutztheit verschont wurde, weil das Adjektiv nicht auf Glas anwendbar ist. Sie trug ein gelbes Kleid, das es fertigbrachte, die Symbologie ihrer Sekte mit der aktuellen Mode in Einklang zu bringen, und ihre Haare hatte sie in einem ebenfalls gelben Turban hochgebunden.

Ich beschloss, mein Glück herauszufordern und ihre Fähigkeiten zu testen, also flitzte ich zu ihr hinüber, kletterte maushaft auf das Möbelstück und setzte mich neben ihren Fuß. Sie schaute herab, verzog das Gesicht auf eine Weise, die nahelegte, dass sie mich als Nagetier sah, nicht als neckischen Geist, der gekommen war, um sie mit meinen charmanten Scherzen zu peinigen, und schubste mich mit dem Fuß weg.

Beruhigt, dass sie nicht die Fähigkeit besaß, Feen zu sehen, huschte ich davon, nahm eine normalere Form der Unsichtbarkeit an und wartete auf die Ankunft ihrer Gäste.

Ich musste nicht lange warten. Ich hatte schon immer ein hervorragendes Gefühl für den richtigen dramatischen Moment.

Das Klopfen an der Tür kam wie erwartet, und Miss Tabitha stand neugierig auf, legte ihren Roman beiseite und ging hinunter, um Miss Mitchelmore und Mr Caesar einzulassen. In Gestalt einer Spinne nahm ich meinen Aussichtspunkt in einer Ecke des Raums ein.

»John?« Miss Tabithas Ton war eine Mischung aus Freude und Wut. »Es ist Jahre her.«

Aus meinem Versteck heraus sah ich ein Aufblitzen dieses Gefühls, das ihr Sterblichen Schuld nennt, über Mr Caesars Gesicht huschen. »Zu viele.«

»Was hat dich abgehalten?« Trotz Mr Caesars offen gesagt zurückhaltend gezeigter Zerknirschung wirkte Miss Tabitha nicht vollständig besänftigt.

»Würde ich zugeben, dass es Feigheit war, wärst du dann mehr oder weniger geneigt, mir zu vergeben?«