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Ein vorgetäuschter Gedächtnisverlust trifft auf echte Gefühle ...
Am liebsten würde Sam Becker das Meeting mit seinem Boss absagen, weiß er doch, dass der mit ihm über mögliche Entlassungen in seinem Team sprechen will. Jonathan Forest ist attraktiv - keine Frage -, aber leider auch ein bisschen einschüchternd. Und als Sam sich während des Termins den Kopf stößt, nutzt er die Gelegenheit und tut das einzig "Logische": Er gibt vor, sein Gedächtnis verloren zu haben und sich deshalb auch nicht an ihr Gespräch erinnern zu können. Was zuerst wie eine gute Idee aussieht, entwickelt sich schnell zu einem Desaster, denn bei ihrer zweiten Chance, sich wirklich kennenzulernen, entdeckt Sam ganz neue Seiten an seinem verschlossenen Boss und beginnt, ungeahnte Gefühle für ihn zu entwickeln ...
"Eine Enemies-to-Lovers-Romance zwischen Sunshine-Sam und Grumpy-Jonathan - Alexis Hall vermeidet trotz beliebter Tropes alle Klischees!" LIBRARY JOURNAL
Der neue charmante Roman von Erfolgsautor Alexis Hall
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Seitenzahl: 582
Titel
Zu diesem Buch
1 – Meinen Job und mein Gedächtnis verlieren
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
2 – Nach Hause fahren & den festen Freund treffen
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
3 – Den Baum schneiden und sich der Vergangenheit stellen
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
4 – Mein Herz und meinen Job behalten
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
5 – Beichten und sich verabschieden
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
Epilog
Der Autor
Die Bücher von Alexis Hall bei LYX
Impressum
ALEXIS HALL
The Lost Memory Project
Roman
Ins Deutsche übertragen von Carina Schnell
Sam Beckers Leben als Manager eines Bed-and-Bath-Stores ist zwar nicht sonderlich glamourös, aber er mag seinen Job. Sein Gehalt ist okay, und sein Team hält zusammen. Alles wäre gut, hätte sein Boss nicht beschlossen, jemanden aufgrund der schlechten Verkaufszahlen zu feuern – und das ausgerechnet kurz vor Weihnachten. Jonathan Forest ist verboten attraktiv, unterkühlt und fest entschlossen, sich bei seiner Entscheidung nicht von Sentimentalität beeinflussen zu lassen. Doch als er Sam für das schwierige Gespräch nach London beordert, um den Mitarbeiter, dem gekündigt werden soll, zu bestimmen, gerät dieser in Panik, stößt sich während des Meetings den Kopf und gibt vor, sich an nichts zu erinnern. Während der Täuschungsversuch Sam zunächst als einzig sinnvolle Lösung erscheint, um sein Team zu schützen, bricht schon bald das Chaos aus, denn Jonathan lädt Sam ein, sich bei ihm zu Hause zu erholen. Dabei lernt er seinen eigentlich so unnahbaren Boss von einer ganz neuen Seite kennen und beginnt, ungeahnte Gefühle für ihn zu entwickeln …
Dass ich in meiner Kindheit weniger wegen meines Schwulseins und mehr aufgrund der Tatsache aufgezogen wurde, dass ich nach einem Hobbit benannt wurde, wirft vermutlich ein gutes Licht auf das moderne Großbritannien – oder vielleicht bloß auf das moderne Liverpool. Und obwohl ich froh bin, dass die Kinder in meiner Klasse nicht homofeindlich waren, haben mich die Hobbitwitze doch ziemlich angepisst, vor allem, weil es sich nicht mal um einen der seltsamen Hobbitnamen handelt. Würde ich Meriadoc oder Fredegar »Dicker« Bolger heißen, wäre es verständlich gewesen, aber mein Name war Sam. Ich meine, so heiße ich bis heute. Mein vollständiger Name ist allerdings Samwise Eoin Becker, was bedeutet, dass ich mich immer, wenn ich in eine neue Klasse kam und die Lehrperson die Liste der Anwesenden durchging, auf diesen Namen melden musste, und von dem Moment an war es für mich jedes Mal vorbei. Es half nicht, dass die erste Filmreihe gerade herauskam, als ich eingeschult wurde, und die zweite, als ich gerade meinen Realschulabschluss machte. Kurz: Von meinem fünften bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr musste ich mir Witze über das zweite Frühstück und behaarte Füße anhören.
Also, was ist die Lösung? Einfach mitlachen. Das hat mir zumindest mein Dad beigebracht.
Und es ist vermutlich das Nützlichste, was ich je gelernt habe.
Ein Beispiel:
»Hey, Ban«, ruft einer meiner Angestellten. Er weiß, wie ich richtig heiße, aber Amjad ist ein noch größerer Nerd als meine Mam. Als er herausfand, dass ich nach einem Hobbit benannt wurde, fand er es furchtbar witzig, mich mit Sams ursprünglichem Westron-Namen aus den Anhängen und Registern der Herr-der-Ringe-Trilogie anzusprechen, die er offenbar auswendig kennt. Und ich ließ es ihm durchgehen, weil es wenigstens einmal ein origineller Witz war. »Du wirst im Schlafzimmer gebraucht.«
Ich liebe mein Team. Na ja, lieben stimmt nicht ganz. Ich toleriere sie mit einer gewissen Belustigung. Aber der Satz »Du wirst im Schlafzimmer gebraucht« löst in mir ein Gefühl aus, das so weit von zuversichtlich entfernt ist, dass es schon an besorgt grenzt. »Warum?«, frage ich.
Amjads Antwort besteht nur aus einem Wort, aber mehr muss ich nicht wissen. »Brian.« Fuck, fluche ich innerlich und mache mich auf den Weg in die besagte Problemzone. Da die Schlafzimmerabteilung die halbe Ladenfläche einnimmt, müsste ich mich eigentlich auf eine längere Suche einstellen, aber Brian hat ein Talent dafür, ein ziemliches Chaos zu veranstalten, also dürfte er nicht schwer zu finden sein.
Wie vermutet, brauche ich nicht lange. Er steht neben der Country-Living-Hamsterley-Matratze, die mit ihrer doppellagigen Kaliko-Baumwolltaschenfederung, den weichen handverarbeiteten Naturfasern aus Lammwolle und Mohair und einhundert Prozent natürlichem belgischen Damast eine der luxuriösesten und teuersten Matratzen im Geschäft ist. Doch was noch viel wichtiger ist: Sie ist eins der Produkte, die wir Brian auf gar keinen Fall anvertrauen können.
Er sieht nervös aus. Und er hat eine extrem unheilvoll aussehende Tasse in der Hand.
»Bitte«, sage ich, sobald ich nah genug dran bin, dass er mich hören kann, ohne dass ich ihn anschreien muss. »Bitte, bei allem, was heilig ist, sag mir, dass du nicht gerade Tee auf die Country-Living-Hamsterley-Matratze mit doppellagiger Kaliko-Baumwolltaschenfederung und handverarbeiteten Naturfasern geschüttet hast.«
»Nein«, antwortet er. »Habe ich nicht.«
Und naiv, wie ich bin, lasse ich mich von Erleichterung überwältigen. »Ich habe Kaffee draufgeschüttet«, fügt er hinzu.
Ich sollte mich nicht an diesem Detail aufhängen. Darum geht es gerade nicht. »Ich dachte, du trinkst keinen Kaffee.«
»Tue ich auch nicht.« Er gibt sich wirklich Mühe, bedauernd dreinzuschauen. »Aber ich dachte, Claire hätte gern welchen, also wollte ich ihn ihr ins Büro bringen, tja, und dann ist es passiert.«
Es gibt so viele Details zu klären, aber so wenig Zeit. »Und aus welchem Grund hast du dich entschieden, direkt an der teuersten Matratze im Laden vorbeizugehen?«
»Na ja, ich dachte, nach dem Vorfall letzte Woche sollte ich mich lieber von der Flaxby-Nature’s-Finest-9450-Pillow-Top-Matratze fernhalten.« Die Tatsache, dass ich keine Ahnung habe, dass sich letzte Woche etwas mit der Flaxby-Nature’s-Finest-9450-Pillow-Top-Matratze zugetragen hat, wirft womöglich nicht das beste Licht auf mich als Filialleiter.
»Ich sollte lieber nicht nachfragen, was passiert ist, oder?«
»Tja nun, ich habe ein Marmeladenbrot gegessen –«
»Du hast Marmelade auf die Flaxby-Nature’s-Finest-9450-Pillow-Top-Matratze gekleckert?«
Brian nickt verlegen. »Es ist aber nicht weiter schlimm. Tiffany hat mir geholfen, die Matratze umzudrehen, sodass man den Fleck nicht sieht.«
Ein zweites Mal überkommt mich diese trügerische Erleichterung. Doch kurz darauf melden sich die Teile meines Gehirns zu Wort, die aufgrund meines Jobs wissen, wie Betten funktionieren. »Warte mal, Brian. Pillow-Top-Matratzen kann man nicht umdrehen. Weil sie einen oben eingenähten Topper mit Füllung haben.«
»Ooh.« Brian zuckt auf eine Weise zusammen, die ich lieber nicht bei einem Mann sehen würde, der die Verantwortung für Zweitausend-Pfund-Matratzen trägt.
Ich beschließe trotz allem, dass das Pillow-Top-Problem erst einmal warten kann. »Okay, wenigstens können wir diese Matratze umdrehen. Pack mit an.«
Auch wenn die Matratze schwer ist, ist es keine komplizierte Aufgabe, sie umzudrehen, und nachdem ich Brian angewiesen habe, endlich die verdammte Tasse wegzustellen, schafft er es auf beinahe kompetente Weise. Wir hieven sie auf eine Seite, drehen sie und platzieren sie wieder ordentlich auf dem Ausstellungsbettrahmen.
Als ich einen Schritt zurücktrete, um zu prüfen, ob jetzt alles in Ordnung aussieht, fällt mir jedoch ein weiterer großer brauner Fleck in der Mitte der Matratze auf.
»Ah«, sagt Brian. »Das ist jetzt aber Tee.«
Ich bin gerade auf dem Rückweg aus der Schlafzimmerabteilung und grübele darüber nach, wie ich gleich zwei hochwertige Ausstellungsmatratzen ersetzen soll, als Claire, die stellvertretende Filialleitung, den Kopf aus dem Büro steckt und durch den ganzen Laden brüllt: »Seine Königliche Arschlöchigkeit ist am Telefon.« Gefolgt von: »Und keine Sorge, ich habe ihn lautlos gestellt.«
»Das bedeutet bloß, dass du ihn nicht hören kannst, er dich aber schon«, rufe ich zurück.
»Tja, Scheiße.«
Eines Tages werde ich mit Claire darüber reden müssen, dass sie unseren Chef nicht als Seine Königliche Arschlöchigkeit betiteln darf. Und auch darüber, dass sie keine Schimpfwörter durch den Laden schreien sollte. Und am besten sprechen wir auch mal über Brian, so ganz allgemein.
Im Moment wird Seine Königliche Arschlöchigkeit aber vermutlich am meisten Anstoß an den Schimpfwörtern nehmen.
Ich liege richtig.
Jonathan Forests ein wenig zu aufpolierter Akzent dringt durch den Telefonhörer in mein Ohr. »Eigentlich rufe ich dich aus einem anderen Grund an, aber warum nennt mich deine Stellvertreterin Seine Königliche Arschlöchigkeit, und zwar so laut, dass es der gesamte Laden gehört haben muss?«
Ich kann es unmöglich schönreden, versuche es aber Claire zuliebe. »Es ist ein liebevoller Spitzname?«
»Wie soll das liebevoll gemeint sein?«
»Ist so ein Ding im Norden. Weißt du, wie wenn du deinen Kumpel Bastard nennst.«
»Ich habe sechzehn Jahre im Norden gelebt«, erwidert Jonathan Forest – das bringt er immer gern zur Sprache, weil er dann mehr nach Mittelklasse klingt, obwohl er in echt ein reicher Scheißer ist, der sich für nichts und niemanden außer andere reiche Scheißer interessiert. »Und ich hatte nie einen Kumpel, den ich als Bastard betitelt hätte.«
So ganz im Geheimen denke ich, dass er wahrscheinlich überhaupt nie einen Kumpel hatte. »Ich meine ja bloß, dass die Leute hier so reden.«
»Wie dem auch sei, aber die Bedeutung von Bastard« – er spricht das Wort aus, wie wir Normalsterbliche es tun würden, und nicht wie alles andere, was aus seinem Mund kommt, das ihn wie eins der weniger respektablen Mitglieder der Königsfamilie klingen lässt – »ist nicht mit der von Arschloch gleichzusetzen.«
»Ist doch dasselbe Prinzip«, versuche ich mich weiter rauszureden. Selbst in meinen Ohren klingt es schwach.
»Okay.« Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jonathan Forest kein Roboter ist, aber in diesem Moment höre ich beinahe, wie sein Gehirn klickend zum nächsten Thema umschaltet. »Obwohl ich aus einem anderen Grund angerufen habe, sind die beiden Probleme verwandt.«
Oh Scheiße, er weiß, dass ich ihn hinter seinem Rücken auch als Arschloch bezeichne. Wir nennen ihn so, weil er nun mal ein Arschloch ist. Meiner Meinung nach sollte man sich nicht wie ein Arschloch verhalten, wenn man nicht als eins bezeichnet werden möchte. »Ach ja?«, frage ich und versuche dabei, nicht so zu klingen, als hätte er mich gerade dabei ertappt, wie ich mir einen runterhole.
»Derzeit gibt es drei Filialen von Splashes & Snuggles, und nächstes Jahr eröffnet die vierte. Die Filiale in Croydon liefert die von mir erwarteten Ergebnisse. Die Filiale in Leeds liefert die von mir erwarteten Ergebnisse. Die Filiale in Sheffield ist allerdings weit davon entfernt.«
Dies ist vermutlich nicht der beste Zeitpunkt, um ihm mitzuteilen, dass einer meiner Angestellten gerade Matratzen im Gesamtwert von viertausend Kröten mit Tee ruiniert hat. »Und inwiefern liegt unsere Performance unter deinen Erwartungen?«
»Eure Ausgaben sind zu hoch und die Einnahmen zu niedrig. Und, ganz ehrlich, es besorgt mich ein wenig, dass du das nicht längst weißt.«
Warum muss dieses Arschloch so ein Arschloch sein? Ja, streng genommen sind unsere Ausgaben ein kleines bisschen zu hoch, weil Brian so viele Ausstellungsstücke zerstört, und ja, streng genommen liegen wir unter den vorgegebenen Einnahmen, aber das liegt einzig und allein daran, dass Jonathans Vorgaben Bullshit sind. »Ich kenne die Zahlen. Aber das hier ist eine neue Filiale an einem Standort mit viel Konkurrenz in unmittelbarer Nähe, und wir kommen dem vorgegebenen Ziel schon recht nahe.«
»Ich habe dich nicht eingestellt, um dem Ziel recht nahe zu kommen.« Irgendwie gelingt es ihm, mich allein durch seinen Tonfall wissen zu lassen, dass er gerade spöttisch grinst. »Ich habe dich eingestellt, damit du die Ziele erreichst, die ich dir stecke, und wenn du das nicht hinbekommst, finde ich jemand anderen, der es schafft.«
Ein Teil von mir würde gern sagen: »Na toll, dann mach doch«. Dieser Job ist es nicht wert, mich mit solchem Scheiß herumschlagen zu müssen. Allerdings geht es nicht nur um meinen Job. Nachdem er mich rausgeworfen hat, wird Jonathan Forest mich durch eine Person ersetzen, die seine ach so wichtigen »Ziele« für ihn erreicht, und was passiert dann mit Claire und Amjad und Brian und den anderen?
Also lehne ich mich nicht gegen ihn auf. Stattdessen versuche ich, ihm Versprechungen zu machen, die ich nicht einhalten kann, ohne ihm einen Grund zu liefern, mich durch eine Person zu ersetzen, die sie wird halten können. »Ich bin mir sicher, dass wir uns etwas einfallen lassen können.«
»Ich habe bereits eine Lösung gefunden.« Er zögert einen kurzen, kaum wahrnehmbaren Moment lang, und dann wird seine Stimme ein winziges bisschen weicher. »Ich möchte dich nicht feuern, Sam. Ich finde, du hast das Zeug zu einem wirklich guten Filialleiter.«
Du herablassender Scheißkerl. Meiner Meinung nach bin ich längst ein guter Filialleiter. Oder wenigstens so gut, wie er es von einer Person erwarten kann, die ein zweitklassiges Schlaf- und Badezimmergeschäft in einer Umgebung voller ähnlicher Läden führt und dabei ein Team voller Brians zur Verfügung hat.
Claire hält ein Blatt Papier hoch. Darauf steht: Verhält er sich wie ein Arschloch?
Lautlos antworte ich mit Ja, natürlich, woraufhin sie ein weiteres Blatt hochhält, auf dem steht: Sorry, ich kann nicht Lippen lesen.
Normalerweise wäre das in Ordnung, aber normalerweise versuche ich nicht gerade herauszufinden, ob ich eventuell meinen Job verliere. Also wedele ich mit der Hand, damit sie aufhört. Sie hört nicht auf. Und natürlich hätte sie sowieso nicht auf mich gehört, aber manchmal tue ich gern so, als hätte ich hier das Sagen.
»Aus diesem Grund«, sagt Jonathan gerade, als ich mich wieder auf ihn konzentriere, »will ich, dass du morgen nach Croydon kommst, damit du dir ansehen kannst, wie ich die Filiale leite.«
Morgen ist Freitag. Der schlimmste Tag, um nach London zu fahren. Mein persönlicher Lieblingszeitpunkt für eine Reise nach London ist nie. »Wir sind sehr beschäftigt mit dem Vorweihnachtsgeschäft.«
»Ich bin mir sicher, dass Claire das schafft. Sie scheint viel freie Zeit zu haben. Offenbar so viel, dass sie sich liebevolle Spitznamen für mich ausdenken kann.«
Herablassung ist Jonathans zweiter Vorname, und auch jetzt hält er damit nicht hinter dem Berg.
»Claire ist ein geschätztes Teammitglied und …«
In diesem Moment schwingt Claire eine detaillierte und liebevoll gestaltete Zeichnung eines Arschs mitsamt Loch hin und her.
»… und … und …« Sie fügt Haare hinzu.
»… sie trägt sehr zur Aufrechterhaltung der Arbeitsmoral bei.«
»Dann kommt sie sicher einen Tag ohne dich klar«, fährt Jonathan mich an. »Dies ist keine Bitte, Samwise.«
Ich verkneife mir einen Kommentar, zucke aber zusammen. Ich weiß, dass es mein Name ist, aber niemand außer meiner Mutter hat mich je so genannt, und gerade möchte ich nicht an sie denken. »Bitte, nenn mich nicht so.«
»Ich bin dein Chef, Sam, und du kommst morgen nach Croydon. Die Firma wird dir die Reisekosten erstatten.«
Er legt auf, bevor ich etwas erwidern kann. Was wohl am besten so ist.
»Alles in Ordnung?« Claire hat die Arschzeichnung beiseitegelegt, was ich als Glück im Unglück werte.
Ich lasse mich auf meinen Stuhl sinken und setze mich auf meine zitternden Hände. »Ja. Er ist bloß so ein … so ein …«
»Arschloch?«
»Ein Riesenarschloch!«
»Möchtest du«, jetzt sieht sie mich auf so besorgte Weise an, wie ich es eigentlich nie von einer Person sehen möchte, deren Gehaltschecks ich unterschreibe, »darüber sprechen?«
»Er raubt mir einfach den letzten Nerv. Ich kann nie einschätzen, ob er von Grund auf böse ist oder ob er es einfach nicht besser weiß oder ob es ihm schlicht egal ist oder was davon am schlimmsten wäre.«
Sie denkt einen Moment darüber nach. »Er ist böse.«
»Ich muss morgen nach Croydon.«
»Ach, wenn’s weiter nichts ist. Ich dachte, er würde dich feuern.«
»Könnte er immer noch.«
»Nicht sehr wahrscheinlich. Um dich den ganzen Weg von Sheffield nach Croydon zu ordern, nur um dich dann zu feuern, müsste man schon ein waschechter … oh.«
»Jap, sieht nicht gut aus, was?«
Sie schweigt einen weiteren Augenblick, fährt sich mit der Hand durchs platinblonde Haar und sieht mich an, als hätte ich braune Soße im Gesicht und sie wüsste nicht, wie sie es mir sagen soll. »Ich versuche gerade, etwas Aufmunterndes zu sagen, aber du bist komplett am Arsch.«
»Ich weiß, aber was habe ich für eine Wahl?« Ich gebe mein Bestes, so zu tun, als würde das Ganze mich nicht so sehr mitnehmen. »Wir können ein Arschloch nicht davon abhalten, sich wie ein Arschloch zu verhalten. Kannst du dich morgen um die Filiale kümmern?«
»Süßer, das hier ist ein Schlaf- und Badezimmergeschäft und kein nukleares U-Boot.«
»Ja, aber morgen schließt Brian den Laden auf.«
»Dann sind wir am Arsch.« Nun, da Jonathan nicht mehr am Telefon ist, sieht Claire ernster aus. Vielleicht weil sie genug von unserem Telefonat mitbekommen hat, um zu verstehen, dass wir uns in einer ernsten Lage befinden. »Weißt du«, sagt sie, »wenn Jonathan dir wegen den Zahlen Druck macht, solltest du es in Erwägung ziehen, Brian zu feuern.«
Ich kann nicht glauben, dass sie das laut ausspricht. Ich meine, doch kann ich, weil sie dasselbe schon mal gesagt hat, aber trotzdem. »Brian ist einer von uns.«
»Er ist der grottigste Kundenberater, mit dem ich je zusammengearbeitet habe, und ich habe mit Chel gearbeitet.«
Harsche Worte. »Chel hat ein Kind geboxt.«
»Ein sehr nervtötendes Kind. Und wir haben ihretwegen wenigstens keine Einnahmen eingebüßt.«
»Streng genommen« – nach diesen Worten folgt nie etwas Gutes – »kostet uns jedes Teammitglied Geld.«
Das beeindruckt Claire nicht. »Amjad hat mir erzählt, was mit der Country-Living-Hamsterley-Matratze passiert ist. Und das war nicht das erste Mal.«
»Ach, komm schon, er hat ein paar Matratzen vollgekleckert.«
»Fünf seit Juni. Und er hat die Klobrille von einer spülrandlosen VitrA-Sento-Toilette abgerissen, als er einem Kunden zeigen wollte, wie widerstandsfähig sie ist.«
Ich habe mich in eine Brian-Sackgasse manövriert, aus der es keinen Ausweg gibt. »Klobrillen können leicht ersetzt werden. Aber Brian braucht diesen Job dringend. Er ist ganz allein mit seiner Nan, und er bezahlt alle Rechnungen.«
»Ich weiß.« Claire wirft mir einen mitfühlenden Blick zu, was nicht oft passiert. Vermutlich weil sie nicht oft findet, dass ich Mitgefühl verdient habe. »Aber wenn Jonathan auf Blut aus ist, kannst du entweder Brian retten oder mich. Und ehrlich gesagt, Sam, wäre es mir lieber, wenn deine Wahl auf mich fällt.«
Ich möchte ihr versichern, dass es nicht so weit kommen wird. Aber das kann ich nicht. Ich kann nur hoffen, dass Jonathan Forest Vernunft annehmen wird. Was, wenn ich so darüber nachdenke, bedeutet, dass wir definitiv am Arsch sind.
Für ungefähr zehn Minuten gelingt es mir, zu vergessen, dass wir vollkommen am Arsch sind, bis ich das Büro verlasse, um mich zu vergewissern, dass alles an Ort und Stelle ist, und mir auffällt, dass wir die Weihnachtsdeko längst aufgehängt haben sollten. Also suche ich Tiff auf, die ich normalerweise auf solche Dinge ansetze, weil sie ein Talent für Design hat, auch wenn sie nicht gerade die verlässlichste Person der Welt ist, und sie teilt mir mit, dass die Deko am Mittwoch hätte geliefert werden müssen, aber nie ankam, und dass sie es mir bis jetzt nicht erzählt hat, weil sie dachte, das Problem würde sich von selbst lösen.
»Aber ist das nicht sowieso egal?«, fragt sie. Eine blaue Haarsträhne hängt ihr ins Auge, was ihr zugegebenermaßen ein nicht gerade professionelles Auftreten verleiht. »Weihnachten ist doch eh bloß ein heidnisches Fest und –«
»Das ist ein verbreiteter Irrglaube«, wirft Amjad ein, der falsche Fakten selbst bei starkem Wind aus achthundert Schritten Entfernung aufschnappen würde.
»Ist es nicht.« Tiff ist ziemlich jung, und sie ist sich deshalb nicht zu schade für die endlose Nein/Doch-Debatte.
Offenbar ist Amjad der Ansicht, dass halb drei Uhr am ersten Dezember mitten in einer Dekokrise ein guter Zeitpunkt für eine Debatte über komparative Folkloristik ist, denn er beginnt, an den Fingern abzuzählen. »Der Weihnachtsbaum ist eine deutsche evangelische Tradition, ebenso wie der Weihnachtsmann. Die frühen Lutheraner brauchten eine Alternative für das Christkind, weil sie das als zu katholisch empfunden haben. Julklötze gehen auf das achtzehnte oder neunzehnte Jahrhundert zurück, Weihnachtslieder sind –«
»Amj, ist das wirklich wichtig?«, frage ich, so gefasst wie möglich. Heftige Reaktionen versuche ich immer zu vermeiden, denn dafür gibt es nie einen triftigen Grund.
»Wenn Tiff dadurch aufhört, falsche Informationen zu verbreiten.«
Tiff wirkt nicht so, als kümmere es sie, ob sie falsche Informationen verbreitet. »Okay, also ist Weihnachten ein christliches Fest, aber heutzutage geht es nur noch um Konsum und –«
Ich werfe ihr einen Blick zu. »Mir ist bewusst, dass es nur noch um Konsum geht, Tiff. Aber falls es dir nicht aufgefallen ist: Du arbeitest im Einzelhandel. Hier dreht sich alles um Konsum.«
»Das heißt aber nicht, dass wir das unterstützen müssen«, beharrt Tiff.
»Irgendwie schon.« Ich ermutige mein Team gern dazu, eigenständig zu denken, aber manchmal wünsche ich mir, dass sie es verdammt noch mal weniger oft tun würden. »Wir hängen keine Lichterketten auf, um die Leute daran zu erinnern, dass Jesus sie gerettet hat, sondern damit sie ein paar extra Kröten für eine neue Tagesdecke mit Rentiermotiv ausgeben.«
Tiff wirft mir einen tief enttäuschten Blick zu. Es dürfte ihr nicht erlaubt sein, so viel Enttäuschung gegenüber einer Person auszustrahlen, die fast zehn Jahre älter und ihr Chef ist. »Das fasst alles zusammen, was mit der Spätphase des Kapitalismus nicht stimmt.«
»Weißt du«, erwidere ich, »für eine Friseurin in Ausbildung bist zu ziemlich marxistisch drauf.«
»Haar- und Schönheitsberaterin«, korrigiert sie mich. »Und darum geht es doch gerade: Marxismus ist eine Philosophie für gewöhnliche Leute aus der Arbeiterklasse, oder nicht?«
Da kann ich ihr nicht widersprechen. »Du hast schon recht, aber es ist irgendwie ironisch, dass der Gründer dieser Philosophie berühmt für seine furchtbare Frisur ist.«
»Jetzt redest du aber von Einstein«, wirft Amjad ein.
»Nein. Kann es nicht mehr als eine bekannte historische Person mit einer schrecklichen Frisur geben?«
Tiff hat längst ihr Handy gezückt.
»Was machst du da?«, frage ich. »Googelst du gerade Hatte Karl Marx eine furchtbare Frisur?«
Sie blickt auf. »Ich suche bloß ein Bild.« Sie dreht uns ihr Handydisplay zu. »Seine Haare sehen okay aus.«
Auf dem Bild ist sein Grab auf dem Highgate Cemetery zu sehen. »Das ist eine Statue. Du kannst das Haar einer Statue nicht als Beweis heranziehen. Außerdem befindet sie sich neben seinem Grab. Niemand würde eine Statue mit schlimmer Frisur neben ein Grab stellen.« Obwohl ich es besser wissen müsste, hole ich mein eigenes Handy hervor und finde ein Foto des lebendigen Marx. »Hier, siehst du. Schreckliche Frisur.«
Amjad hat sich unserer Google-Party angeschlossen, obwohl ich vermute, dass er eher etwas in die Richtung Leute liegen falsch, was Karl Marx’ Haare angeht gegoogelt hat. »Laut dieser Website hat er sich die Haare schneiden lassen, kurz nachdem dieses Foto aufgenommen wurde, also ist es nicht besonders repräsentativ.«
»Und«, fügt Tiff hinzu – sie verschwören sich gegen mich, das machen sie immer –, »das ist gar keine schlimme Frisur.«
»Für mich sieht sie ziemlich schlimm aus.«
Tiff wirft mir schon wieder diesen enttäuschten Blick zu. »Manchmal ist schlimm nicht wirklich schlimm.«
»Das klingt nach Bullshit.«
Sie stößt ein gequältes Seufzen aus, wofür sie viel zu jung ist. »Das ist totale Absicht. Wie diese Typen, die stundenlang vor dem Spiegel stehen, um ihre Haare exakt so zu zerstrubbeln, damit es gut aussieht, aber gleichzeitig so, als wären sie zu cool, um sich Gedanken darum zu machen. Marx ist sozusagen deren Äquivalent aus dem neunzehnten Jahrhundert. Wenn du beruflich mit Haaren zu tun hast, erkennst du das sofort.«
»Du glaubst, er wollte absichtlich so aussehen?«
Tiff nickt. »Ich glaube, damit wollte er so richtig viele Das-Kapital-Vibes ausstrahlen.«
Als mir auffällt, dass ich mich ablenken lassen habe, stecke ich mein Handy weg. »Okay. Das war mal wieder absolut faszinierend, aber jetzt müsst ihr mich bitte entschuldigen. Ich muss herausfinden, was mit unserer Weihnachtsdeko passiert ist, denn wenn wir sie nicht bis morgen aufhängen –«
»Hängen wir sie einfach am Montag auf?«, schlägt Tiff vor.
»Dann gehen uns die Verkäufe vom ersten Dezemberwochenende durch die Lappen, was Seine Königliche Arschlöchigkeit noch mehr anpissen wird. Und da er gehört hat, wie Claire ihn als Seine Königliche Arschlöchigkeit bezeichnet hat, wird sein Angepisstheitslevel ins Unermessliche steigen.«
Amjad, der manchmal wirklich hilfreich ist, wenn er sich nicht gerade wie ein unverbesserlicher Klugscheißer aufführt, setzt eine nachdenkliche Miene auf. »Ich glaube, wir haben hinten noch Deko von letztem Jahr herumliegen. Wenn alle Stricke reißen, können wir die benutzen.«
»Und meinst du, dass die noch gut aussieht, nachdem sie ein Jahr in einem kalten Hinterzimmer herumgelegen hat?«, frage ich.
Er schaut erneut nachdenklich drein. »Vielleicht nicht alles, aber ein paar Sachen dürften brauchbar sein.«
»Aber können wir wenigstens auf neue Lichterketten warten?« Tiff fummelt müßig am Kragen ihres schwarzen Arbeitsshirts herum. »Letztes Jahr musste ich fünfhundert Lämpchen checken, um die eine zu finden, die kaputt war.«
»Der Weihnachtsbaum könnte auch ein Problem darstellen«, fügt Amjad hinzu. »Letztes Jahr hatten wir einen echten, was ich merkwürdig fand. Schließlich verkaufen wir Fake-Bäume.«
Ich klammere mich an die verzweifelte Überzeugung, dass wir es trotz allem schaffen können. »Okay. Ich rufe mal bei der Lieferfirma an. Sollte der schlimmste Fall eintreten, benutzen wir die Deko von letztem Jahr, bis die neue eintrifft.«
»Und was ist mit dem Baum?«, fragt Tiff, die das Chaos mehr zu genießen scheint, als sie sollte.
»Wir befinden uns in einem Gewerbegebiet, und es ist Dezember. In weniger als zwanzig Autominuten dürften sich mindestens drei Orte erreichen lassen, an denen Weihnachtsbäume verkauft werden.« Ich habe meinen optimistischen Tonfall aufgesetzt, weil ich in einer perfekten Welt nicht herumdüsen müsste, um auf den letzten Drücker einen Weihnachtsbaum zu kaufen, den ich höchstwahrscheinlich von meinem eigenen Geld bezahlen muss, nur um meinem absoluten Arsch von einem Chef verkünden zu können, dass ich wenigstens die Weihnachtsdeko rechtzeitig aufgehängt habe. Aber in einer perfekten Welt hätte Karl Marx eine bessere Frisur und Weihnachten wäre keine seelenlose Zurschaustellung des Prestigekonsums. Manchmal muss man eben mit dem klarkommen, was einem gegeben wird.
Ich gehe zurück ins Büro und rufe die Lieferfirma an. Einen absoluten Kontrollfreak als Chef zu haben, hat auch seine Vorteile. Zum Beispiel, dass es nur eine einzige Lieferfirma und damit nur einen Ansprechpartner gibt.
Der Nachteil ist natürlich, dass die Lieferfirma nie mit einer anderen Person außer Jonathan Forest in Kontakt steht, obwohl es einfacher für alle wäre, wenn die Filialleitenden die Organisation übernehmen würden. Jedes Jahr lässt Jonathan sein Londoner Team die Weihnachtsdeko designen und die streng vorgegebene Menge an Weihnachtswaren aussuchen, und dann lässt er die jeweils identische Anzahl an Lichterketten und Weihnachtsmannkissenbezügen von einem zentralen Standpunkt aus an alle drei Filialen schicken. Und da es nur drei Geschäfte gibt, würde man annehmen, dass es ein simples Unterfangen ist. Doch wenn ich in den letzten Jahren als Filialleiter eines Schlaf- und Badezimmergeschäfts eins gelernt habe, dann ist es, dass selbst einfach erscheinende Dinge überraschend schnell vermasselt werden können.
»Wie konnte das passieren?«, frage ich den Mann am anderen Ende der Leitung. »Wie kam es dazu, dass Sie alles auf die Isle of Sheppey geschickt haben?«
Wenigstens wirkt der Mann peinlich berührt. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wir haben viel Kundschaft aus dem Haushaltswarensektor. Viele Lieferungen gingen an die B & M-Filiale in Queensborough, und Kev aus der Versandabteilung hat eine grottige Handschrift und –«
»Moment mal, Moment mal.« Das lasse ich ihm nicht durchgehen. »Egal, wie unleserlich eine Handschrift sein mag, Sheffield kann unmöglich mit Isle of Sheppey verwechselt werden. Davor stehen noch zwei Worte: Isle of!«
Der Mann gibt einen Laut von sich, der mich an ein Schulterzucken erinnert. »Wir nennen die Insel bloß Sheppey. Wie dem auch sei, Ihre Dekoartikel wurden dorthin geliefert.«
»Können wir sie zurückhaben?«
»Sie sind in Sheppey.«
»Ich weiß, dass sie in Sheppey sind. Aber ich brauche sie hier. Und zwar so schnell wie möglich.«
Er schweigt einen Moment. Ich glaube allerdings nicht, dass er diesen Moment dazu nutzt, um darüber nachzudenken, wie er mich als seinen Kunden zufriedenstellen kann. »Wie wäre es mit Mittwoch?«
»Das ist erst in einer Woche.« Ich versuche wirklich, an mich zu halten. Meine Eltern haben mich nicht dazu erzogen, aus der Haut zu fahren. »Eine Woche klingt nicht nach so schnell wie möglich.«
»Es gibt Lieferpläne, die zu beachten sind –«
Ich wurde nicht dazu erzogen, aus der Haut zu fahren, aber meine Eltern haben mir beigebracht, für mich einzustehen. »Ihre Pläne sind mir egal. Sie hätten uns die Dekoration gestern liefern müssen, und jetzt sagen Sie mir, dass ich bis« – ich rechne es schnell im Kopf durch, Mathe war nie meine Stärke – »zum achten Dezember warten muss. Bis dahin ist ein Drittel des Vorweihnachtsverkaufs vorbei, und Sie müssen wissen, wie wichtig diese Zeit für den Einzelhandel ist.«
»Ich kann da nichts mach–«
Ich lasse nicht locker »Okay, aber hören Sie mal, von Mann zu Mann, können Sie wirklich nichts machen, oder geht es nur darum, dass es viel Aufwand für Sie bedeuten würde?«
»Es würde viel Aufwand für mich bedeuten«, gibt er zu. »Und ich möchte mich nicht damit herumschlagen.«
Jetzt habe ich ihn. Abgesehen von den Jonathan Forests dieser Welt geben die meisten Leute nicht offen zu, dass sie das Leben anderer Personen erschweren, nur um ihr eigenes Leben leichter zu machen. »Und das verstehe ich, mein Freund«, sage ich. »Wirklich. Aber es war Ihr Fehler, und dieser Fehler wird mein Team und mich einiges kosten, deshalb wäre es toll, wenn Sie uns irgendwie helfen könnten.«
Er schweigt erneut, aber ich glaube, diesmal nutzt er die Zeit wirklich, um sich eine Lösung zu überlegen. »Ich kann Ihnen höchstwahrscheinlich bis heute Abend etwas schicken. Aber es wird spät.«
»Wie spät?« Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die Antwort lieber nicht hören möchte.
»Es dauert mindestens sechs Stunden, also … zwischen halb neun und neun?«
Ich muss nehmen, was ich kriegen kann. Das wäre sonst wirklich undankbar.
Obwohl ich nichts dafürkann, ist es meine Aufgabe, das Problem zu lösen. Den gesamten Laden allein zu dekorieren, ist allerdings ein Vorhaben, das meine Fähigkeiten bei Weitem übersteigt. Und dann wäre da noch das klitzekleine Problem, dass ich morgen in aller Herrgottsfrühe nach Croydon fahren muss.
Ich verlasse den Laden, um nachzudenken, und treffe draußen auf Tiff, die eine außerplanmäßige Pause einlegt. Das tut sie manchmal, und das eine Mal, als ich sie darauf angesprochen habe, hat sie bloß erwidert, dass so eine Pause gesellschaftlich vollkommen akzeptabel wäre, würde sie rauchen, und ich destruktive Sozialkonventionen reproduzieren würde, indem ich Nichtrauchenden die Rechte abspreche, die ich Rauchenden zugestehe.
»Alles in Ordnung?«, fragt sie.
»Oh, klar.« Gerade lehne ich an einer Glastür, starre zum grauen Himmel auf, und heute ist einer der kältesten Tage, die wir dieses Jahr bisher hatten – also nein, eigentlich ist nicht alles in Ordnung. Ich bin froh um meinen Schal, auch wenn das Hellblau nicht gerade stylish ist und er früher meiner Mam gehörte. »Ich habe bloß gerade mit dem Lieferanten gesprochen, und die Deko wird erst heute Abend um neun geliefert und –«
Tiff grinst mich an. »Also dekorieren wir zusammen?«
»Nicht wirklich zusammen«, erkläre ich. »Ich kann heute nicht länger bleiben, also –«
»Ich liebe es, zu dekorieren.«
»Okay, aber …«
Sie führt einen kleinen Freudentanz auf, während sie bereits auf dem Weg nach drinnen ist. »Überlass das mir, Boss. Ich trommele alle zusammen. Das wird großartig. Bestell uns einfach Pizza oder so.«
»Aber«, versuche ich erneut zu protestieren. Sie ist allerdings längst nach drinnen verschwunden, während sie De-ko-ra-tions-par-taaay zu einer mir unbekannten Melodie singt.
Und ich hoffe, bete und hoffe dann wieder – weil mir einfällt, dass ich Atheist bin –, dass es nicht vollkommen in die Hose geht.
Am Ende besteht die Gruppe aus Tiff, Claire, Amjad, Brian und dem Neuen namens Chris, der sich immer als Erstes freiwillig meldet und mir ständig sagt, dass er in drei Jahren meinen Job haben wird. Ich bestelle tatsächlich Pizza als kleines Dankeschön dafür, dass sie länger bleiben, und wir sitzen zusammen hinter dem Umtauschtresen, essen Knoblauchbrot und planen die Ladendeko. Na ja, theoretisch. Eigentlich streiten wir uns bloß darüber, welcher Pizzabelag der beste ist.
»Was haben immer alle gegen Ananas auf Pizza?«, ereifert sich Brian. »Ist doch völlig legitim.«
»Ist es nicht.« Tiff lässt nicht locker. Sie hat ihren Kreuzzug gegen die Ungerechtigkeit des globalen Kapitalismus hinter sich gelassen und widmet sich nun der Frage, ob Pizza Hawaii eklig oder akzeptabel ist. »Es ist vergleichbar mit dem Avocado-Badezimmerdesign.«
Amjad schenkt ihr ein Nerd-Grinsen. »Du meinst, es ist cool, es zu hassen, aber eigentlich ist es gar nicht so schlimm?«
»Nein, ich meine, objektiv gesehen ist es so ziemlich das Schlimmste überhaupt.«
In Amjads Gegenwart sollte niemand je den Ausdruck objektivgesehen benutzen. Ich habe mal gehört, wie er argumentierte, dass der Himmel aufgrund von Wellenlängen objektiv gesehen nicht blau ist. »Du meinst, es ist subjektiv gesehen so ziemlich das Schlimmste überhaupt. Geschmack ist immer subjektiv. Und wenn du schon von objektivgesehen sprichst, sind Avocado-Badezimmerdesigns und Pizza Hawaii unter den besten, weil sie nie ganz verschwanden und konsistent beliebt sind, und Beliebtheit ist etwas, das man tatsächlich messen kann.«
»Meine Großmutter hat ein avocadogrünes Badezimmer«, wirft der Neue Übereifrige Chris ein. »Ist ganz okay.«
Der Neue Übereifrige Chris hat sich noch nicht eingelebt, weshalb er sich bisher nicht traut, sich so richtig in Debatten einzubringen. Daher killt er jede Diskussion, an der er sich beteiligt. Mutig will ich ein neues Thema zur Sprache bringen, als wir draußen einen LKW vorfahren hören. Der Neue Übereifrige Chris springt als Erster auf, gefolgt von Tiff. Wir anderen schließen uns den beiden etwas gediegener an – alle, außer Brian, der Pizza auf sein Shirt gekleckert hat und nun versucht, es mit dem Saum desselben Shirts abzuwischen.
Draußen erwartet uns ein LKW-Fahrer, der überraschend entspannt mit der Tatsache umgeht, dass er kurzfristig auf eine sechsstündige Fahrt geschickt wurde. Vielleicht kann er die Überstunden gut gebrauchen. Das Team hilft ihm beim Ausladen des geschmackvoll ausgewählten und von ganz oben abgesegneten Flitters. Amjad und der Neue Übereifrige Chris kümmern sich um den Weihnachtsbaum, während Brian und Claire ein tiefsinniges Gespräch über die Tagesdecken mit Zuckerstangenmuster beginnen, die wir bereits verkaufen, die aber nun gesondert ausgestellt werden.
»Ich meine ja bloß, dass ich sie nicht mag«, sagt Brian.
»Sosehr ich Zynismus allgemein zu schätzen weiß: Warum nicht?«, fragt Claire.
»Sie wirken einfach so amerikanisch.«
Aus irgendeinem Grund scheint Claire der Ansicht zu sein, dass das Sinn ergibt. »Da hast du wohl recht.«
»Wartet mal«, sage ich, während ich über einen Berg voller weihnachtlicher Duschvorhänge zu schielen versuche, die ich im Arm trage. »Er hat nicht recht. Ihr könnt nicht einfach sagen, dass etwas amerikanisch wirkt. Und selbst wenn es amerikanisch ist, ist das doch kein Grund, es nicht zu mögen.«
»Natürlich können wir«, antwortet Claire, die im Gegensatz zu Brian wenigstens in der Lage dazu ist, das Gespräch weiterzuführen, während wir die Deko in den Laden tragen.
»Finde ich nicht«, erwidere ich und drehe mich zu Amjad um. »Hey Amj, du hast doch sicher eine Meinung dazu.«
Amjad, der ein Ende des Weihnachtsbaums schleppt, späht zu mir rüber. »Ich habe gerade die Hände voll.«
Hat er wirklich. Ich würde ihm helfen, aber ich habe die Hände ebenfalls voll, und außerdem hat er den Neuen Übereifrigen Chris im Schlepptau, und es ist so gut wie unmöglich, dem Neuen Übereifrigen Chris zu helfen, weil er eifrig darauf bedacht ist, zu beweisen, dass er für zwei arbeiten kann. Also tragen wir alles weiter in Richtung Laden, und Amjad schafft es bis zur Hälfte des Parkplatzes, bis er nicht länger an sich halten kann. »Aber ich bin mir fast hundertprozentig sicher, dass sie auf eine deutsche Tradition zurückgehen.«
»Es geht nicht schon wieder um die Ursprünge des Weihnachtsfests, oder?«, fragt Tiff, die Arme voller Lichterketten.
»Die Frage ist, ob Zuckerstangen amerikanisch sind«, erkläre ich ihr.
»Superamerikanisch«, stimmt Tiff zu. »Heutzutage sind sie superamerikanisch, selbst wenn sie ursprünglich aus dem zwölften Jahrhundert aus Bayern stammen oder so.«
Amjad ist mittlerweile vollkommen erpicht darauf, Baumschleppen und Weihnachtsklugscheißen unter einen Hut zu bringen. Er verlagert das Gewicht der Tanne und beginnt ohne Umschweife mit seinem improvisierten Vortrag. »Achtzehntes Jahrhundert. Und ursprünglich waren sie vermutlich weiß, weil für die Färbung modernere Technologie nötig war. Und sie kommen nicht aus Bayern, sondern aus Köln.«
Brian trägt einen einzigen winzigen Pappständer. »Gibt es nicht ein Aftershave, das aus Köln kommt? Cologne?«
»Das heißt bloß so und hat nichts mit der Stadt zu tun.« Claire belädt ihn mit fünf weiteren Ständern.
Das zusätzliche Gewicht von mittelgroßen, ineinandergesteckten Pappwänden ist zu viel für Brian. Panisch beäugt er seine Last. »Das kann ich nicht tragen. Ist viel zu sperrig.«
Claire lässt den Bullshit anderer Leute nur selten durchgehen. »Sind sie nicht. Sie sind ordentlich gestapelt. Und jetzt bring sie rein.«
Wir müssen noch dreimal hin- und herlaufen, bis alles im Laden ist. Genauer gesagt gehen alle noch einmal raus, während der Neue Übereifrige Chris zweimal allein geht, weil »nicht mehr viel übrig ist« und er »alles im Griff« hat. Gegen halb elf machen sich Amjad und Brian auf den Weg nach Hause, was vollkommen in Ordnung ist, weil sie gute Arbeit geleistet haben. Claire verabschiedet sich wenig später, weil sie annimmt, dass ich alles unter Kontrolle habe, und sie außerdem morgen für mich einspringt, also kann ich mich nicht beklagen. Tiff bleibt bis nach Mitternacht, um alle neuen Ausstellungsstücke aufzubauen.
Sie ist wirklich eine merkwürdige Person. Neunundneunzig Prozent ihrer Arbeitszeit ist ihr alles so scheißegal, dass ich ihr beim Betriebswichteln am liebsten Abführmittel schenken würde, aber wenn etwas sie inspiriert, ist sie ein verdammtes Wunder. Und ich bin wirklich froh, dass sie hier ist, da ich es niemals geschafft hätte, den Laden allein so festlich zu schmücken. Ich hätte bloß ein bisschen Krepppapier auf ein Bettkopfteil geklebt, aber sie gibt sich wirklich Mühe mit den Lichterketten und den kleinen Klebeschneeflocken, und als wir endlich fertig sind – sie und ich und der Neue Übereifrige Chris, der immer als Letztes geht, weil er neu und übereifrig ist – und uns noch ein letztes Mal umdrehen, sieht alles wirklich magisch aus.
Es liegt bestimmt bloß daran, dass ich sentimental drauf bin, aber in diesem Moment, als ich Anfang Dezember in einem Gewerbegebiet stehe und ein Badezimmergeschäft anstarre, das von einer Friseurin in Ausbildung – Pardon, Haar- und Schönheitsberaterin in Ausbildung – dekoriert wurde, sodass es wie ein Märchenreich aussieht, bin ich beinahe stolz auf uns. Ja, unsere Ausgaben sind ein bisschen zu hoch und unsere Verkäufe könnten besser sein, aber mit Blick auf die sehr genau festgelegten Standards des Schlaf- und Badezimmereinzelhandels haben wir uns richtig gut geschlagen. Wir sind ein tolles Team.
Nein. Wir sind ein großartiges Team. Auch wenn Tiff nicht immer dort anzutreffen ist, wo sie gerade sein sollte, und Brian die eine oder andere Klobrille fallen lässt und der Neue Übereifrige Chris aktuell mehr übereifrig als nützlich ist, sind wir … trotz allem die Sheffield-Filiale. Und ich werde nicht zulassen, dass Jonathan Forest mir das wegnimmt. Uns das wegnimmt.
Habe ich schon erwähnt, dass Jonathan Forest ein Arschloch ist? Falls nicht: Er ist ein Arschloch. Er ist die Art von Arschloch, die dich an einem Donnerstagnachmittag wissen lässt, dass er dich am Freitagmorgen um acht Uhr in London erwartet, um dich zusammenzuscheißen. Nicht falsch verstehen, ich bin ein Morgenmensch. Aber kein Vier-Uhr-morgens-Mensch. Denn um diese Uhrzeit musste ich aufstehen, damit ich um fünf Uhr im Zug saß, um dann um sieben Uhr neunundvierzig vor Jonathan Forests Bürotür zu stehen, und zwar in dem Anzug, den ich zur Beerdigung meiner Nan getragen habe, nur um darauf zu warten, dass er mich reinbittet, was er – wie ich ihn kenne – erst um Punkt acht Uhr tun wird.
Er bittet mich um Punkt acht Uhr herein.
Sein Büro befindet sich im zweiten Stock der Filiale in Croydon, was es so aussehen lässt, als versuche der Raum viel zu verbissen, wie ein Penthouse zu wirken. Wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich mir beinahe vorstellen, dass ich mich gerade in einem eleganten Wolkenkratzer irgendwo in der Londoner Innenstadt statt in einem Gewerbegebiet zwischen einem Nando’s und einem DFS aufhalte. Es gibt einen kleinen Versammlungstisch für sechs Personen und ein Sofa, das so aussieht, als würde darauf häufiger geschlafen als gesessen werden. Außerdem gibt es einen Schreibtisch – der viel chaotischer aussieht, als ich es erwartet hätte – mit einem gerahmten Foto, das mit dem Rücken zu mir steht, und einer viel benutzten blauen Kaffeetasse, die über und über mit dem Satz Heute ist Mittwoch, oder? in Weiß beschrieben ist. Jonathan Forest sitzt am Schreibtisch und mustert mich.
Ich glaube, er will mich einschüchtern, aber die Genugtuung werde ich ihm nicht verschaffen. Einen Moment lang starrt er mich bloß mit diesem intensiven Blick aus seinen dunklen Augen an, doch als ihm klar wird, dass ich mir deshalb nicht in die Hose machen werde, fordert er mich endlich auf, mich zu setzen.
»Ich bedauere, dass es so weit gekommen ist, Sam«, sagt er. Wenigstens nennt er mich diesmal nicht Samwise.
»Dein Bedauern kann nicht besonders groß sein, sonst hättest du es nicht getan«, erwidere ich.
»Ich bedauere, dass es so weit gekommen ist«, wiederholt er, »aber Splashes & Snuggles ist ein Business.«
Als er es ausspricht, muss ich sehr an mich halten, ihm nicht ins Gesicht zu lachen. Etwas stimmt ganz und gar nicht mit einem Mann, der sein Geschäft Splashes & Snuggles nennt und dem nicht mal auffällt, wie lustig das ist. »Ich weiß, dass es ein Business ist, Jonathan, aber es ist ein Business, das gute Erträge erzielt, und deshalb verstehe ich nicht wirklich, warum du so ein Riesendrama aus ein paar Details auf einem Spreadsheet machst.«
Jonathan Forest lehnt sich zurück und wirft mir einen weiteren dieser Blicke zu. Unter anderen Umständen – also, wäre er nicht mein Boss und hätte mich nicht an einem Freitag um vier Uhr morgens einmal quer durchs Land geschickt – hätte er diesen ganz besonderen Sexy-ugly-Charme. Irgendetwas an seinen markanten, stets wütenden Gesichtszügen und der unbändigen weißen Strähne in seinem ansonsten perfekt gestylten Haar erweckt den Wunsch in mir, ihn gewisse Dinge mit mir anstellen zu lassen. Oder vielleicht ist es bloß der Wunsch, dass ich Dinge mit ihm anstelle, damit er sich verdammt noch mal endlich entspannt. »Ich glaube, die Tatsache, dass du es als« – er malt doch tatsächlich Anführungszeichen in die Luft – »Riesendrama bezeichnest, wenn dich dein Chef zu einem Meeting einlädt, um deine Performance zu besprechen, ist der Kern deines Management-Problems.«
Wir unterhalten uns seit weniger als fünf Minuten, und ich verspüre bereits den Drang, ihm seinen Bleistift in die Nase zu stecken. »Mit meinem Führungsstil ist nichts verkehrt. Frag mein Team.«
»Wenn keins deiner Teammitglieder ein Problem mit deiner Herangehensweise hat, dann ist das ein Problem.«
Was er sagt, ergibt keinerlei Sinn. Man erzielt keine Ergebnisse, indem man sich unter der Kollegschaft unbeliebt macht. Dafür ist er das beste Beispiel. »Warum sollte das ein Problem sein? Das ist ganz einfach mein Job.«
Jetzt kneift er sich in die Nasenwurzel, als wäre er enttäuscht darüber, dass ich meine Geographiehausaufgaben vergessen habe. »Samwise –«
»Nenn mich nicht Samwise.«
»Unterbrich mich nicht. Als ich dich eingestellt habe, bin ich ein Risiko eingegangen …« – er macht eine fiese kleine Kunstpause – »Sam, weil ich dachte, du hättest Potenzial. Aber langsam dämmert mir, dass du nicht verstehst, was in deiner Position von dir erwartet wird.«
»Für mich klingt es so, als wolltest du, dass ich das Team scheiße behandle.«
»Ich verlange von dir, dass du Ziele priorisierst.«
»Das tue ich. Für mich sind Ziele aber nicht wichtiger als Menschen.«
So, wie er nun das Gesicht verzieht, möchte ich noch viel mehr als nur einen Bleistift in viel mehr als nur seine Nase stecken. Es ist die Art von Grimasse, die man zieht, wenn der neu gekaufte Welpe auf den Boden scheißt und man ihm nicht böse sein kann, weil man weiß, dass er nichts dafür kann. »Menschen bezahlen dich aber nicht. Ich bezahle dich.«
Es juckt mich in den Fingern, ihm aufzuzeigen, dass er sich gerade als nichtmenschlich bezeichnet hat, aber ich bin hier, um meinen Job zu retten, und nicht, um meinen Job zu sabotieren. »Na ja, ich will dir ja keine Vorträge über Dinge halten, mit denen du dich eigentlich gut auskennst, aber es sind die Menschen, die den Laden am Laufen halten. Mit dem Laden wird Geld verdient, und mit diesem Geld bezahlst du mich. In gewisser Weise sind Menschen also sehr wohl ein Teil davon.«
»Aktuell kosten mich diese Leute aber mehr als die Angestellten in den anderen Filialen, und sie fahren weniger Profit ein. Außerdem …« Er wirft einen Blick auf seinen Monitor, und für den Bruchteil einer Sekunde entdecke ich etwas auf seinen Zügen. Eine Gefühlsregung. Fast wirkt es, als wäre ihm doch nicht alles egal. Aber dann erkenne ich, dass es ihm dabei bloß ums Geld geht. »Es ist besorgniserregend, Sam. Äußerst besorgniserregend.«
Irgendwie läuft das hier noch schlimmer, als ich erwartet hatte. Beim Bewerbungsgespräch habe ich mich ganz gut geschlagen, doch zu dem Zeitpunkt war ich noch nicht so emotional involviert gewesen, sodass es mir nicht schwergefallen war, die richtigen Dinge zu sagen. Er hatte gefragt: Was ist deine größte Schwäche?, und ich hatte irgend so einen Bullshit geantwortet wie: Na jaaa, ich konzentriere mich einfach zu sehr darauf, der Schlaf- und Badezimmerkundschaft den besten Service zu bieten. Und irgendwie hat das funktioniert. Aber wenn ich jetzt im falschen Moment nicke oder lächele, muss ich zu Fuß zurück nach Sheffield und meinem Team eröffnen, dass ihre Gehälter gekürzt werden, weil sich der Scheißkerl, der hier vor mir sitzt, gern ein neues Auto kaufen möchte.
»Hör mal«, sage ich, »ich verstehe deinen Standpunkt. Wirklich. Aber findest du nicht, dass eine Firma ihren Angestellten gegenüber Verantwortung hat? Ich meine, ist es das wirklich wert? Jemandes Leben schlechter zu machen, als es sein müsste, nur damit wir bis zum Quartalsende ein paar zusätzliche Tagesdecken verkaufen?«
Das will er nicht hören. Denn was er hören will, ist: Du hast mit allem recht, ich werde nach Hause fahren und anfangen, Leute zu feuern. »Ihr Leben wird noch viel schlechter werden, wenn ich die gesamte Filiale schließen muss.«
»Aber das musst du nicht wirklich, oder?« Jetzt lege ich es wirklich drauf an. Meine Mam sagte immer, sie habe das Glück der Iren auf ihrer Seite, und ich hoffe wirklich sehr, dass dieses Glück keine Generation übersprungen hat. »Eventuell möchtest du es tun, aber dann sei wenigstens ehrlich.«
Und vielleicht, ganz vielleicht, dringe ich damit zu ihm durch. Aber nicht unbedingt auf eine gute Weise. Trüge er eine Brille, würde er sie sich jetzt höher auf die Nase schieben, aber er trägt keine, also zieht er bloß die Brauen zusammen und funkelt mich an. »Du denkst sicher, ich wäre extrem egoistisch, Sam. Du denkst sicher, dass ich bloß von dir will, dass du so viel Geld wie möglich aus den Angestellten herauspresst, damit ich … damit ich …«
»Damit du dir einen weiteren Ferrari kaufen kannst?«, vervollständige ich seinen Satz, in der Hoffnung, dass mich mein liebenswerter Liverpool-Akzent gepaart mit unwiderstehlicher Keckheit retten wird.
»Genau.« Er lässt das Genau lange zwischen uns in der Luft hängen, bis er weiterspricht. »Aber Splashes & Snuggles« – durch die ernste Lage fällt es mir noch schwerer, nicht zu kichern, und es gelingt mir gerade so – »ist ein kleiner Fisch in einem großen Teich. Wir versuchen, es mit Dreams and Wickes und Bensons for Beds gleichzeitig aufzunehmen. Und natürlich mit all den lokalen Geschäften. Selbst bei Morrisons bekommt man heutzutage Heimtextilien.«
»Morrisons vertreibt aber keine Betten«, erinnere ich ihn.
»Aber Kissen und Überwürfe.« Er ist nicht gerade entspannt, strahlt aber nicht mal mehr die Hälfte der Boss-Energie aus wie noch vor einer Minute. »Du wirst nicht pleitegehen, weil Morrisons ein paar Kissen verkauft.«
»Das ist mir bewusst. Ebenso wie mir bewusst ist, dass ich meinen Betrieb nicht werde einstellen müssen, weil die Sheffield-Filiale« – er beginnt in einem offenbar sehr langen unheilvollen Dokument nach unten zu scrollen – »eine mit vierzehn Jet-Düsen und LED-Beleuchtung ausgestattete Doppelend-Whirlpool-Badewanne im Wert von eintausendfünfhundertneunundneunzig Pfund aufgrund eines Vorfalls beim Auspacken abschreibt.«
Die Formulierung steht für Brian ist mit dem Transporter rückwärts drübergefahren.
»Oder wegen zweiundzwanzig TheraPur-Memory-Schaum-Kühlkopfkissen zu je fünfundachtzig Pfund, die einem Lagerunfall zum Opfer gefallen sind.«
Das geht auch auf Brians Kappe, und diesen Vorfall konnte er nie wirklich erklären. Irgendwann habe ich aufgehört nachzufragen.
»Außerdem hat eine Mitarbeiterin in den letzten zwölf Monaten insgesamt achtzehn Tage aus persönlichen oder Krankheitsgründen gefehlt.«
»Sie ist jung und macht nebenbei eine Ausbildung.«
Langsam bekommt Jonathan seine Geschäftsführer-Aura zurück, und ich bin fast schon erleichtert. »Und bezahle ich sie dafür, jung und in Ausbildung zu sein, oder bezahle ich sie dafür, Schlaf- und Badezimmerprodukte zu verkaufen?«
»Du bezahlst sie dafür, Schlaf- und Badezimmerprodukte zu verkaufen«, gebe ich zu, während mich Jonathan Forests Fähigkeit, mir das Gefühl zu geben, ich wäre ein unartiger Schuljunge, ein klein wenig – okay, sehr stark – auf die Palme bringt. »Aber …«
»Aber was?«
Ich habe eigentlich kein Aber. »Hättest du mir das alles nicht am Telefon sagen können?«
»Hätte ich.« Er nickt. »Aber ich hielt ein persönliches Gespräch für erforderlich.«
Fuck. Er wird mich feuern, nicht wahr? »Fuck, du wirst mich feuern, nicht wahr?«
»Die ideale Lösung für mich wäre«, er steht auf und schreitet zum Fenster, »dass du deinen Job behältst, aber einsiehst, dass du an der Effizienz deiner Filiale arbeiten musst.« Er sieht mich nicht an, hat die Hände hinter dem Rücken verschränkt und schaut nach draußen wie ein König, der sein Reich überblickt. Das wäre um einiges beeindruckender, befänden wir uns in einem Wolkenkratzer in Manhattan statt in einem Schlaf- und Badezimmer-Superstore mit Blick auf einen Parkplatz und ein Gelände, auf dem wiederverwertetes Holz nach Gewicht verkauft wird.
»Ich sage ja nicht, dass wir nicht effizienter sein könnten.« Langsam fühle ich mich, als hätte mich der Scheißkerl in die Ecke gedrängt. »Ich sage bloß, dass wir nur dann effizienter werden können, wenn wir die Filiale in einen viel schlechteren Arbeitsplatz verwandeln.«
Er posiert immer noch wie ein König. »Das ist nicht mein Problem.«
Seufz. »Also, was willst du konkret von mir? Bisher verstehe ich nämlich nur mach es besser, und ich hoffe, du nimmst es mir nicht krumm, wenn ich sage, dass das kein besonders effektives Management von dir ist.«
»Erstens« – er wendet sich vom Fenster ab, als wäre er Medusa, die sich zu dem Kerl mit den Sandalen umdreht – »nehme ich es dir krumm. Zweitens habe ich mir die Zahlen angesehen, und du musst die folgenden Maßnahmen exakt so vornehmen, wie ich es dir sage: Du musst dein Team dazu bringen, mehr Garantie- und Wartungsverträge zu verkaufen, du musst die Angestellten mit den niedrigsten Verkäufen ersetzen, du musst aufhören, Angestellten, die pro Stunde bezahlt werden, außerplanmäßige Pausen zu bewilligen, dich an die Betriebsvorgaben für die Anzahl von krankheitsbedingten Fehltagen halten und das Problem all der auf mysteriöse Weise verschwindenden Produkte lösen. Sobald du das getan hast, unterhalten wir uns wieder.«
»Also unterm Strich heißt das: Sei ein Arschloch.«
Zu meiner Überraschung lächelt Jonathan Forest beinahe. »Ein ziemlich großes Arschloch, wenn du es so ausdrücken willst. So führt man ein Geschäft.«
Ich sehe das anders, aber gerade ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür, ihm das mitzuteilen. »Mein Angestellter mit den niedrigsten Verkäufen muss für seine gebrechliche Nan sorgen«, sage ich stattdessen.
»Das muss ich auch.«
»Ja, aber du bist ein verdammter Millionär.«
»Meine persönlichen Finanzen gehen dich nichts an. Aktuell leben wir in Zeiten einer äußerst unsicheren Wirtschaft.«
Ich bin kurz davor, spöttisch aufzulachen. »Ach was, und du machst dir wohl Sorgen, dass dein extrem lukratives Schlaf- und Badezimmerreich über Nacht verschwinden könnte und du auf der Straße Ed-Sheeran-Songs spielen musst, um über die Runden zu kommen?«
Und obwohl ich es nicht erwartet habe, nimmt ihm mein Kommentar kurz den Wind aus den Segeln. Er gerät einen Moment ins Wanken, wie eine Kerzenflamme, auf die ich zu fest gepustet habe. »Es sind schon schlimmere Dinge passiert.«
»Aber nicht Leuten wie dir.«
Jonathan verengt die Augen. »Du solltest wirklich mal darüber nachdenken, wie du mit deinem Chef sprichst.«
»Warum sollte ich? Du hast eh schon damit gedroht, mich zu feuern, und ich sehe nicht, wie mir höfliches Verhalten dir gegenüber dabei helfen soll, mehr CoolTouch-Cloud-Elite-Matratzen zu verkaufen.«
Da er um des Effekts willen aufgestanden ist, kann er sich jetzt natürlich nicht wieder setzen, also bleibt er stehen. »Vielleicht nicht. Aber wenn du dich mir gegenüber so aufsässig verhältst, kann ich davon ausgehen, dass du dich von deinem Team ebenso behandeln lässt, was erklären würde … nun ja, es würde sehr viele deiner Probleme erklären. Geringstenfalls erklärt es, warum deine Angestellten nicht ausreichend motiviert dazu sind, ihre Ziele zu erreichen.«
Nachdem er mich eingestellt hat, schickte mich Jonathan auf eine kurze Fortbildung, weil ich keine Erfahrung als Filialleiter hatte. Dort ging es viel um intrinsische und extrinsische Motivation. Aus diesen drei Tagen in einem Seminarraum in Burnley habe ich mitgenommen, dass es sich bei intrinsisch motiviertem Verkaufspersonal in der Regel um Arschlöcher handelt, die ihre eigene Nan an eine Person verkaufen würden, die selbst eine Nan hat, bloß weil es ihnen einen Kick gibt. Extrinsisch motiviertes Verkaufspersonal hingegen ist nicht in der Lage, die eigenen Kinder über die Runden zu bringen, wenn keine Kommission ausgezahlt wird. Die erste Kategorie wollte ich nicht einstellen, und die zweite wollte ich nicht ausnutzen. So kam ich zu Brian. »Wie wäre es denn mit Folgendem«, versuche ich es. »Du gibst mir ein Jahr, um bessere Zahlen zu schreiben, und wenn ich es auf meine Art hinkriege, sprechen wir noch mal über Personaleinsparungen.«
Ich habe ein Jahr vorgeschlagen, weil ich annehme, dass er mit drei Monaten dagegenhalten wird und wir uns auf sechs Monate einigen können.
Tut er nicht. »Dafür ist es schon zu spät.«
Ist es verdammt noch mal nicht. Aber das spreche ich nicht aus. Ich nähere mich dem Punkt, an dem die Grenze zwischen sehen, wie weit ich es treiben kann und mich wie ein Tölpel verhalten verschwimmt. »Es tut mir leid, dass du es so siehst.«
»Es wird wie folgt ablaufen.« Er klingt total nach ich reiße das jetzt an mich, was ich vermutlich um einiges attraktiver fände, wenn es nicht mein Leben wäre. Und wenn er nicht auf dem besten Weg wäre, es total abzufucken. »Heute begleitest du mich bei der Arbeit durch diese Filiale, damit du siehst, wie ich vorgehe. Morgen fährst du zurück nach Sheffield und beginnst sofort damit, Änderungen einzuführen. Darunter fällt auch das Ersetzen von ungenügend performenden Angestellten. Hast du mich verstanden?«
Ja. Es gefällt mir zwar nicht, aber ja, ich habe ihn verstanden.
Den Rest des Vormittags folge ich Jonathan wie ein Schatten durch die Filiale. Von einem steifen und lieblosen Briefing (hier sind die neuen Produkte, die ihr verkaufen sollt, und jetzt verschwindet) bis hin zu seiner Runde durch die verschiedenen Abteilungen der Filiale, auf der er unterdurchschnittlich arbeitende Angestellte erschnüffelt wie ein Raubtier, das sich von nachlassender Disziplin ernährt. Sein Verhalten ist nicht das Einzige an ihm, was an einen Werwolf erinnert. Seine breiten Augenbrauen und die dauerdüstere Miene versprühen den Vibe, dass er jeden Moment aus der Haut fahren, sich Krallen wachsen lassen und einem das Fleisch vom Körper reißen könnte. Oder vielleicht nur die Klamotten, falls er mehr wie die Werwölfe in den Büchern ist, die Claire angeblich nur »auf ironische Weise« liest.
Irgendwann ist es Zeit für die Mittagspause. Er bietet mir weder an, mich irgendwohin einzuladen, noch zeigt er mir, wo ich mir etwas kaufen kann. Wahrscheinlich weil wir uns theoretisch immer noch in einem disziplinarischen Meeting befinden und er glaubt, dass ich am besten von ihm lerne, ein guter Filialleiter zu sein, wenn er mich ständig auf subtile Weise daran erinnert, dass ich nicht viel mehr wert bin als der Dreck unter seinen Schuhen.
Croydon ist die Hauptfiliale und befindet sich deshalb in einem etwas gehobeneren Gewerbegebiet als unsere Filiale im Norden. Es ist kein wirkliches Shoppingcenter wie Meadowhall in Sheffield oder Liverpool ONE in meiner Heimatstadt und definitiv auch keine »Mall« im amerikanischen Stil, aber die Filiale teilt sich einen Parkplatz mit einem Kino und einem PizzaExpress, was sie im Vergleich mit unserer Filiale praktisch so besonders macht, als befände sie sich auf der Champs-Élysées. Ich habe nicht wirklich Lust auf Pizza, also husche ich ganz allein rüber zu Nando’s. Nicht dass es in Sheffield Personen gäbe, mit denen ich essen gehen würde.
Die nette Kellnerin namens Rita fragt, ob ich schon mal bei Nando’s gegessen habe. Während sie mich zu meinem Tisch führt, erklärt sie mir dann die Speisekarte, obwohl ich mit Ja geantwortet habe. Sobald ich mich gesetzt habe, zücke ich mein Handy und bestelle ein Fino Pitta mit Smoky-Churrasco-Soße und Maiskolben über die App. Denn aus irgendeinem Grund gehören Maiskolben dazu, wenn ich bei einer Fast-Food-Hühnchen-Kette esse, so wie Zuckerstangen an Weihnachten dazugehören.
Während ich auf das Essen warte, rufe ich Claire an, um nicht allzu einsam auszusehen.
»Alles ist in bester Ordnung«, sagt sie schnell. Zu schnell. Viel zu schnell.
»Nicht wirklich, oder?«
»Doch. Hauptsächlich.«
»Na schön.« Ich halte mir das Handy dicht an den Mund, damit ich nicht im Nando’s herumbrülle. »Was hat Brian jetzt wieder verbrochen?«
Claire gibt einen Laut von sich. Ein Laut, der allein für Anekdoten über Brian bestimmt ist. »Du kennst doch den Alarm?«
»Ja, ich kenne den Alarm.«
»Und du kennst auch den Code für den Alarm?«
»Ich schon. Aber ich nehme an, Brian nicht?«
»Richtig geraten.«
Langsam wünschte ich mir, ich hätte eine Vorspeise bestellt. »Der Code ist 1-2-3-4. Wie konnte er 1-2-3-4 vergessen?«
»Er hat gesagt, er hätte Panik geschoben. Offenbar hat der Timer einen zu großen Druck auf ihn ausgelöst.«
»Bitte sag mir, dass die Polizei nicht kommen musste.
»Die Polizei musste kommen.«
Ich hätte eine Vorspeise bestellen sollen. »Bitte sag mir, dass sie uns nicht auf die Ignorierliste gesetzt haben.«
»Sie haben uns auf die Ignorierliste gesetzt. Sie haben gesagt, es sei das dritte Mal diesen Monat, und sie können nicht ständig wegen leichtfertig erhobener Beschwerden zu einem Schlaf- und Badezimmerlagerhaus ausrücken.«
»Wir sind kein Lagerhaus, sondern ein Superstore.«
»Merkwürdigerweise hielten sie das für ein unwichtiges Detail. Kurz: Sie werden jetzt sechs Wochen lang nicht auf unseren Alarm reagieren.«
Mich überkommt Panik, als mir einfällt, wie gern Claire durch den Laden schreit. »Sag das nicht zu laut, sonst werden wir noch ausgeraubt.«
»Keine Sorge, ich bin im Büro, und die Tür ist geschlossen.«
Jetzt mache ich mir nur noch größere Sorgen, was Bände über mein Vertrauen in mein Team spricht. »Solltest du nicht lieber im Laden sein und ein Auge auf die anderen haben?«
»Alles unter Kontrolle. Amjad passt auf Brian auf, und ich habe Tiff und den Neuen Übereifrigen Chris in verschiedene Abteilungen geschickt, damit sie ihn nicht negativ beeinflusst. Wie läuft es mit Seiner Königlichen Arschlöchigkeit?«
»Es gefällt ihm immer noch nicht, dass du ihn so nennst.«
Sie gibt einen nachdenklichen Laut von sich. »Das glaube ich nicht. Männer wie er stehen heimlich darauf, von anderen Leuten gehasst zu werden. Sie glauben, dadurch hätten sie mehr Durchsetzungsvermögen.«
Mein Pitta wird serviert, und mir fällt auf, dass ich kein Getränk bestellt habe. »Kann ich bitte eine Cola haben?«, frage ich den Typen, der mir mein Essen bringt.
»Sorry, Sie müssen die App benutzen oder am Tresen bestellen.«
Ich mustere die Schlange am Tresen. Es ist brechend voll, also minimiere ich Claire und bestelle über die App. Ich bin zu jung für Sprüche wie so ist das eben heutzutage, aber so ist es nun mal. Fühlt sich nicht an, als wäre es besser als vorher.
»Hallo?« Nun schreit Claire beinahe durch die Leitung. »Bist du noch dran?«
»Sorry, mein Hähnchen ist gekommen.«
»Oh, bist du bei Nando’s?«
»Woher weißt du das?«
»Bei KFC bringen sie dir das Essen nicht an den Tisch, und ich erinnere mich daran, eins neben der Croydon-Filiale gesehen zu haben, und in meinem früheren Leben war ich Sherlock Fucking Holmes. Also, wie ist es mit Forest gelaufen?«
»Schlecht.«
»Danke für die ausführliche Antwort.«
Ich beiße in mein Fino Pitta mit Smoky-Churrasco-Soße. »Ich will ja keine Panik verbreiten, aber eventuell hat er gedroht, er würde unsere Filiale schließen, wenn wir keine besseren Zahlen schreiben.«
»Was?« Claire klingt eindeutig panisch. »Das … das ergibt keinen Sinn.«
»Ich glaube, er lässt bloß den harten Kerl raushängen, aber –«
»Ich bin mir sicher, dass er wirklich hart ist. Ich meine, seine Eier müssen –«
»Kannst du bitte nicht über Jonathan Forests Eier reden, während ich zu essen versuche?«
Wie vorhergesehen, verschließt sich Claire der Realität. »Er blufft. Er muss bluffen.«