Mrs. Dalloway - Virginia Woolf - E-Book

Mrs. Dalloway E-Book

Virginia Woolf

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Beschreibung

«Ich glaube ganz ehrlich, dass dies der gelungenste meiner Romane ist.» Virginia Woolf

Es ist ein besonderer Tag im Leben der zweiundfünfzigjährigen Clarissa Dalloway: Die Gattin eines Parlamentsabgeordneten will am Abend eine ihrer berühmten Upper-class-Partys geben. Der Tag vergeht mit Vorbereitungen, zufälligen Begegnungen mit Jugendfreunden, Konversation, nostalgischen Betrachtungen, Sinneseindrücken beim Flanieren ... Ein besonderer Tag soll es – aus ganz anderen Gründen freilich – auch für Septimus Smith werden. Auch ihn, den Kriegsheimkehrer, beschäftigt die Gegenwärtigkeit des Vergangenen in jedem einzelnen Augenblick.

In permanent sich wandelnden Empfindungen, Visionen und Assoziationen der Figuren entsteht ein faszinierendes Zeit- und Gesellschaftsbild Englands, rhythmisiert vom Stundenschlag des Big Ben. Romantische, nüchterne und satirische Stimmungslagen fließen ineinander, Melancholie und Contenance, tiefgründiger Witz und leise Wehmut durchziehen Virginia Woolfs Meisterwerk moderner Erzählkunst.

PENGUIN EDITION. Zeitlos. Kultig. Bunt.

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Seitenzahl: 365

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Große Emotionen, große Dramen, große Abenteuer – von Austen bis Fitzgerald, von Flaubert bis Zweig. Ein Bücherregal ohne Klassiker ist wie eine Welt ohne Farbe.

Virginia Woolf (1882–1941) wurde in London geboren und wuchs im großbürgerlichen Milieu des viktorianischen Englands auf. Ihr Leben war geprägt von wiederkehrenden psychischen Krisen. 1912 heiratete sie Leonard Woolf. Ihr Haus war eines der Zentren der Künstler und Literaten der Bloomsbury Group. Mit ihren Romanen, Erzählungen und Essays wurde sie zur Protagonistin der europäischen Avantgarde. Erneut bedroht von einer Verdunkelung ihres Gemüts, nahm sie sich mit neunundfünfzig Jahren das Leben.

«Nicht nur hohe Genauigkeit darf man dieser Übersetzung bescheinigen. Ihr größter Reiz besteht darin, dass sie die Satzbau-Gespinste und den Glissando-Sound von Virginia Woolf so gut wie nur möglich nachbildet. Hier schweben, gleiten und mäandrieren die Bewusstseinsströme beinahe so schön wie im Original.»

Wolfgang Schneider, Frankfurter Allgemeine Zeitung

«In der grandiosen Neuübersetzung von Melanie Walz: Der große Klassiker über den weiblichen Blick auf London und die Verheerungen des Ersten Weltkriegs.»

Adam Soboczynski, Die Zeit

«Ein Juwel von Buch – das hier wie neu schillern darf.»

Wolf Ebersberger, Nürnberger Nachrichten

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Virginia Woolf

MRS. DALLOWAY

Roman

Aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz

Nachwort von Vea Kaiser

Mrs. Dalloway sagte, sie werde die Blumen selbst kaufen.

Denn Lucy hatte genug zu tun. Die Türen mussten aus den Angeln gehoben werden; Rumpelmayers Männer1 wurden erwartet. Und außerdem, dachte Clarissa Dalloway: Was für ein Morgen – so frisch wie ein Geschenk für Kinder am Strand.

Was für ein Spaß! Was für ein Aufbruch! Denn so war es ihr immer vorgekommen, wenn sie mit leisem Knarren der Angeln, wie sie es jetzt hören konnte, die Fenstertüren aufgerissen hatte und ins Freie nach Bourton2 aufgebrochen war. Wie frisch, wie friedlich, stiller als hier natürlich, war die frühmorgendliche Luft: wie das Plätschern einer Welle, der Kuss einer Welle, kühl und erfrischend und zugleich dennoch (für ein achtzehnjähriges Mädchen, das sie damals gewesen war) feierlich, sodass ihr zumute war, als stünde etwas Furchtbares bevor, während sie an der offenen Fenstertür stand, zu den Blumen blickte, zu den Bäumen, von denen der gekräuselte Rauch aufstieg, dorthin blickte, bis Peter Walsh sagte: «Zwischen dem Gemüse grübeln?» – war es das? – «Ich ziehe Menschen dem Blumenkohl vor» – war es das? Er musste es eines Morgens beim Frühstück gesagt haben, als sie auf die Terrasse hinausgegangen war – Peter Walsh. Er würde an einem dieser Tage zurückkommen, im Juni oder Juli, sie hatte vergessen, wann, denn seine Briefe waren schrecklich langweilig; an seine Aussprüche erinnerte man sich; an seine Augen, sein Taschenmesser, sein Lächeln, seine Verdrießlichkeit und, wenn Millionen anderer Dinge völlig entschwunden waren – wie seltsam! –, an ein paar Aussprüche über Kohlköpfe.

Sie erstarrte kurz am Rand des Gehsteigs und wartete, dass der Lieferwagen von Durtnall’s vorbeifuhr. Eine bezaubernde Frau, fand Scrope Purvis (der sie kannte, wie man Leute kennt, die Tür an Tür mit einem in Westminster wohnen), sie hatte etwas von einem Vogel, einem Eichelhäher, blaugrün, flink, lebhaft, obwohl sie über fünfzig und seit ihrer Krankheit sehr blass geworden war. Da drüben war sie auf dem Quivive, ohne ihn zu sehen, sehr aufrecht, wartete darauf, die Straße zu überqueren.

Denn wenn man in Westminster lebte – wie lange schon? Mehr als zwanzig Jahre –, empfindet man selbst mitten im Verkehr oder wenn man nachts aufwacht, davon war Clarissa überzeugt, eine besondere Stille oder Feierlichkeit, ein unbeschreibliches Innehalten, eine Anspannung (aber das könnte an ihrem Herzen liegen, von der Grippe geschwächt, wie es hieß), bevor Big Ben die Stunde schlägt. Da! Es dröhnte. Zuerst die Ankündigung, melodisch; dann die Uhrzeit, unwiderruflich. Die bleiernen Kreise lösten sich in Luft auf. Wie töricht wir sind, dachte sie, als sie Victoria Street überquerte. Denn der Himmel mag wissen, warum man es so liebt, so sieht, sich zurechtmacht, um sich herum errichtet, niederreißt und jeden Augenblick neu erschafft; denn den schiersten Vogelscheuchen, den traurigsten Elendsgestalten auf den Treppenstufen (vom Alkohol zerrüttet), die das Gleiche tun, können keine Parlamentsgesetze, dessen war sie sich sicher, aus ebendiesem Grund etwas anhaben: Sie lieben das Leben. Im Blick der Leute, in ihrer Eile, ihrer Langsamkeit, ihrer Trägheit, im Getöse und Gelärme, in den Kutschen, Automobilen, Omnibussen, Lieferwagen und schlurfenden oder eiligen Plakatträgern, Blaskapellen, Drehorgeln, in dem Triumph und Geklingel und dem sonderbar hohen Surren eines Flugzeugs hoch oben war das, was sie liebte, Leben: London, dieser eine Augenblick im Juni.

Denn es war Mitte Juni. Der Krieg war vorbei, außer für jemanden wie Mrs. Foxcroft gestern Abend in der Botschaft, die sich zu Tode grämte, weil dieser nette Junge umgekommen war und das alte Herrenhaus jetzt einem Cousin zufallen musste; oder Lady Bexborough, die, wie es hieß, einen Wohltätigkeitsbazar eröffnet hatte mit dem Telegramm in der Hand, John, ihr Liebling, tot; aber es war vorbei; Gott sei Dank – vorbei. Es war Juni. König und Königin waren in ihrem Palast.3 Und überall, trotz der frühen und ruhigen Stunde, war ein Stampfen zu hören, ein Geräusch galoppierender Ponys, ein Klicken von Cricketschlägern; Lord’s4, Ascot5, Ranelagh6 und alles Übrige; eingesponnen in das weiche Netz der graublauen Morgenluft, die sie im Verlauf des Tages freigeben würde und die stämmigen Ponys auf ihrem Rasen und dem Erdboden absetzen würde, wo ihre Vorderhufe gerade den Boden berührten und sie hochsprangen; die geschäftigen jungen Männer und die lachenden Mädchen in ihren durchsichtigen Musselinkleidern, die selbst jetzt, nachdem sie die ganze Nacht durchgetanzt hatten, ihre lächerlich wolligen Hunde ausführten; und selbst jetzt, zu dieser Stunde, flitzten verschwiegene alte vornehme Witwen in ihren Automobilen los, um geheimnisvolle Dinge zu erledigen; und die Ladeninhaber machten sich in ihren Schaufenstern mit ihrem Porzellan und ihren Diamanten zu schaffen, mit ihren bezaubernden seegrünen Broschen in Fassungen des achtzehnten Jahrhunderts, um Amerikanerinnen zu verführen (aber man musste sparsam sein und nichts überstürzt für Elizabeth kaufen), und auch sie, die all das liebte, mit absurder und beständiger Leidenschaft, die Teil all dessen war, da ihre Vorfahren einst zu Zeiten der königlichen Georges7 Höflinge gewesen waren, auch sie würde an diesem Abend Lichter und Festbeleuchtung entzünden, ihre Party veranstalten. Doch wie sonderbar, die Stille, als sie den Park8 betrat; der leichte Nebel, das Summen; die gemächlich schwimmenden glücklichen Enten; die watschelnden Vögel mit ihren Kehlsäcken; und wer kam da, die Regierungsgebäude im Rücken, höchst angemessen, einen Aktenkoffer mit dem Wappen des Vereinigten Königreichs in der Hand, wer anderes als Hugh Whitbread; ihr alter Freund Hugh – der treffliche Hugh!

«Einen guten Morgen, Clarissa!», sagte Hugh, einigermaßen übertrieben, denn sie kannten sich seit ihrer Kindheit. «Wohin des Weges?»

«Ich laufe gerne in London herum», sagte Mrs. Dalloway. «Es ist schöner, als auf dem Land spazieren zu gehen.»

Sie waren gerade angekommen – bedauerlicherweise, um Arztbesuche zu machen. Andere kamen, um ins Kino zu gehen, in die Oper zu gehen, mit ihren Töchtern auszugehen; die Whitbreads kamen, «um Arztbesuche zu machen». Zahllose Male hatte Clarissa Evelyn Whitbread in Pflegeheimen besucht. War Evelyn wieder krank? Evelyn sei in ziemlich schlechter Verfassung, sagte Hugh und deutete mit einer gespielten Ausbuchtung oder Schwellung seines ausnehmend gut gekleideten, männlichen, überaus schönen, vollendet gepolsterten Körpers an (er war immer fast zu elegant gekleidet, aber vermutlich musste er das wegen seiner unbedeutenden Tätigkeit bei Hofe sein), dass seine Frau irgendein inneres Leiden hatte, nichts Ernstes, was Clarissa Dalloway als alte Freundin gewiss verstehen würde, ohne Einzelheiten von ihm erfahren zu wollen. Ach ja, sie verstand selbstverständlich; wie bedauerlich; und sie empfand sehr schwesterlich und war sich gleichzeitig merkwürdigerweise ihres Hutes bewusst. Nicht der passende Hut für die frühe Stunde, lag es daran? Denn Hugh weckte in ihr immer den Eindruck, während er eilig seinen Hut übertrieben lüpfte und ihr versicherte, sie könne ein achtzehnjähriges Mädchen sein, und ihr versicherte, er werde heute Abend zu ihrer Party kommen, worauf Evelyn unbedingt bestehe, nur könne er sich vielleicht etwas verspäten nach der Party im Palast, zu der er einen von Jims Söhnen mitnehmen müsse – neben Hugh kam sie sich immer ein wenig dürftig vor, wie ein Schulmädchen; aber sie hing an ihm, auch, weil sie ihn schon so lange kannte, und sie hielt ihn für jemanden, der auf seine Weise kein übler Zeitgenosse war, obwohl er Richard fast zur Weißglut brachte, und was Peter Walsh betraf, hatte er ihr bis zum heutigen Tag nicht verziehen, dass sie ihn gut leiden konnte.

Sie konnte sich an jede einzelne Szene in Bourton erinnern – Peter wutentbrannt; Hugh ihm natürlich in keiner Weise gewachsen, aber trotzdem nicht der Vollidiot, der er in seinen Augen war; nicht ein bloßer Schnösel. Wenn seine alte Mutter verlangte, dass er das Schießen aufgab oder sie nach Bath fuhr, tat er es ohne Widerrede; er war wirklich selbstlos, und wie Peter zu behaupten, er habe weder Herz noch Hirn, sei nichts als sein Auftreten und seine Erziehung, die eines Gentlemans – so war das eben ihr lieber Peter von seiner schlechtesten Seite; und er konnte unausstehlich sein, er konnte unmöglich sein; aber bezaubernd, wenn man an einem Morgen wie diesem mit ihm spazieren ging.

(Der Juni hatte alle Blätter an den Bäumen hervorgelockt. Die Mütter von Pimlico9 stillten ihre Kleinen. Botschaften wurden von der Flotte zur Admiralität übermittelt. Arlington Street und Picadilly schienen die Luft im Park zu erhitzen und die Blätter heiß und glänzend auf Wellen jener göttlichen Vitalität zu heben, die Clarissa so sehr liebte. Tanzen, Reiten, all das hatte sie so geliebt.)

Denn sie konnten Hunderte von Jahren getrennt sein, sie und Peter; sie schrieb ihm nie, und seine Briefe waren sterbenslangweilig; aber plötzlich konnte es sie überkommen, wäre er jetzt hier bei mir, was würde er sagen? – wenn manche Tage, manche Eindrücke ihn zu ihr zurückbrachten, still, ohne die alte Verbitterung; was vielleicht der Lohn dafür war, Leute gemocht zu haben; sie kamen an einem schönen Morgen mitten im St. James’s Park zurück – ja, das taten sie. Aber Peter – mochte der Tag noch so schön sein, und die Bäume und das Gras und das kleine Mädchen in Rosa –, Peter sah nie etwas von alledem. Er setzte seine Brille auf, wenn sie es von ihm verlangte; er sah hin. Was ihn interessierte, war das Weltgeschehen; Wagner,10 Popes Dichtung,11 immerzu der Charakter anderer Leute und die Unzulänglichkeiten ihrer eigenen Seele. Wie er sie ausschalt! Wie sie stritten! Sie würde einen Premierminister heiraten und auf dem obersten Treppenabsatz stehen; die perfekte Gastgeberin nannte er sie (darüber hatte sie in ihrem Schlafzimmer geweint), sie habe alle Voraussetzungen für die perfekte Gastgeberin, hatte er gesagt.

Und so kam es, dass sie sich dabei ertappte, im St. James’s Park immer noch zu streiten, immer noch zu befinden, sie habe recht daran getan – und so war es auch –, ihn nicht zu heiraten. Denn in der Ehe muss es kleine Freiheiten geben, ein wenig Unabhängigkeit zwischen Leuten, die tagein, tagaus im selben Haus lebten; was Richard ihr einräumte und sie ihm. (Wo war er zum Beispiel an diesem Morgen? Auf irgendeiner Sitzung, sie fragte nie nach.) Doch mit Peter musste man alles teilen, alles bereden. Und es war unerträglich, und als es zu der Szene an dem Brunnen in dem kleinen Garten gekommen war, musste sie mit ihm brechen, oder es wäre ihr Untergang gewesen, ihrer beider Ruin, davon war sie überzeugt; obwohl sie jahrelang den Kummer, den Schmerz mit sich herumgetragen hatte wie einen Pfeil, der in ihrem Herzen steckte; und dann der entsetzliche Augenblick, in dem jemand ihr bei einem Konzert erzählt hatte, dass Peter auf dem Schiff, das ihn nach Indien brachte, eine Frau kennengelernt und geheiratet hatte! Nie würde sie all das vergessen können! Kalt, herzlos, prüde, so hatte er sie genannt. Nie könnte sie verstehen, was ihm am Herzen lag. Aber diese indischen Frauen konnten es vermutlich – alberne, hübsche, oberflächliche Dummerchen. Und sie hatte ihr Mitleid verschwendet. Denn er war ganz glücklich, wie er ihr versicherte – rundum glücklich, obwohl er nie etwas von den Dingen getan hatte, über die sie gesprochen hatten; sein ganzes Leben war ein einziger Fehlschlag gewesen. Es machte sie immer noch zornig.

Sie hatte das Parktor erreicht. Sie blieb kurz stehen und sah hinüber zu den Omnibussen in Picadilly.

Sie würde inzwischen von niemandem in der Welt sagen, er sei dies oder das. Sie fühlte sich sehr jung; und gleichzeitig unsagbar gealtert. Sie schnitt wie ein Messer durch alles; und gleichzeitig blieb sie außen vor, als Zuschauerin. Als sie die Taxis beobachtete, hatte sie ständig den Eindruck, sie sei fern, fern, in weiter Ferne auf hoher See und ganz allein; sie hatte immer das Gefühl, es sei sehr sehr gefährlich, auch nur einen Tag lang zu leben. Nicht dass sie sich für klug oder für etwas Besonderes gehalten hätte. Wie sie mit den paar Krumen Wissen, die Fräulein12 Daniels ihnen vermittelt hatte, durch das Leben gekommen war, blieb ihr ein Rätsel. Sie wusste nichts; konnte keine Sprachen, hatte keine Ahnung von Geschichte; inzwischen las sie im Bett fast keine Bücher mehr, nur Lebenserinnerungen; und dennoch war es für sie äußerst fesselnd, all dies; die vorbeifahrenden Taxis; und sie würde weder von Peter noch von sich sagen: Ich bin dies, ich bin das.

Ihre einzige Gabe war die, Leute gleichsam instinktiv zu erfassen, dachte sie im Weitergehen. Wenn sie mit jemandem in einem Zimmer zusammen war, buckelte sich ihr Rücken wie bei einer Katze; oder sie schnurrte. Devonshire House, Bath House,13 das Haus mit dem Porzellankakadu, sie hatte sie einmal alle in Festbeleuchtung gesehen; und erinnerte sich an Sylvia, Fred, Sally Seton – solche Unmengen an Leuten; und die ganze Nacht durchgetanzt; und die Fuhrwerke, die schwerfällig in Richtung Markt vorbeifuhren; und die Heimfahrt durch den Park. Sie erinnerte sich, dass sie einmal einen Shilling in die Serpentine14 geworfen hatte. Aber jeder erinnerte sich; was ihr gefiel, war das, hier, jetzt, vor ihr; die dicke Frau in dem Taxi. Machte es etwas aus, fragte sie sich auf dem Weg zur Bond Street, machte es etwas aus, dass sie unvermeidlich spurlos verschwinden musste; all das hier musste ohne sie weitergehen; kränkte sie das? oder hatte es nicht etwas Tröstliches zu denken, dass der Tod das unwiderrufliche Ende war?, nur dass sie auf den Straßen Londons, in Ebbe und Flut der Dinge hier und dort irgendwie überlebte, dass Peter überlebte, beide im je anderen lebten, wobei sie, davon war sie überzeugt, Teil der Bäume zu Hause wäre, Teil des Hauses dort, hässlich, unübersichtlich und voller Plunder; Teil von Leuten, die sie nie gekannt hatte; wie ein Nebel zwischen den Leuten, die sie am besten kannte, die sie auf ihre Zweige hoben, wie sie die Bäume den Nebel hatte heben sehen, doch er breitete sich so weit aus, ihr Leben, sie selbst. Aber wovon träumte sie, während sie in das Schaufenster von Hatchard’s15 sah? Was versuchte sie wiederzufinden? Welches Bild weißer Morgendämmerung auf dem Land, als sie in dem geöffneten Buch las:

Fürchte nicht mehr Sonnenglut,

Noch des Winters grimmen Hohn!16

Diese Spätzeit des Weltgeschehens hatte in ihnen allen, Männern wie Frauen, einen Quell der Tränen heraufbeschworen. Tränen und Kummer; Mut und Ausdauer, ein tadellos standhaftes, stoisches Betragen. Man denke nur an die Frau, die sie am meisten bewunderte, Lady Bexborough, die den Bazar eröffnete.

Es gab Jorrocks Jaunts and Jollities; es gab Soapy Sponge und Mrs. Asquiths Memoiren und Großwildjagd in Nigeria,17 allesamt aufgeschlagen ausgelegt. Es gab unzählige Bücher; aber keines, das wirklich geeignet schien, um es Evelyn Whitbread in ihr Pflegeheim mitzubringen. Nichts, was sie unterhalten und diese unbeschreiblich eingetrocknete kleine Frau für einen Augenblick herzlich wirken lassen konnte, wenn Clarissa hereinkam, bevor sie sich auf das übliche endlose Gerede über Frauenleiden gefasst machte. Wie sehr sie sich das wünschte – dass Leute erfreut aussahen, wenn sie hereinkam, dachte Clarissa, wandte sich um und ging zur Bond Street zurück, verärgert, weil es albern war, andere Gründe zu haben, etwas zu tun. Viel lieber wäre sie wie Richard eine jener Personen gewesen, die Dinge um ihrer selbst willen taten, während sie, wie sie im Begriff, die Straße zu überqueren, dachte, die Hälfte der Zeit Dinge nicht einfach um ihrer selbst willen tat, sondern bloß, um Leute dazu zu bringen, dies oder das zu denken; völlig idiotisch, wie sie wusste (und nun hob der Polizist die Hand), denn niemand fiel jemals auch nur für eine Sekunde darauf herein. Oh, hätte sie ihr Leben noch einmal von vorne leben können!, dachte sie und stieg auf das Straßenpflaster hinab, und hätte vielleicht sogar anders aussehen können!

Zunächst wäre sie eine Brünette gewesen wie Lady Bexborough, mit einer Haut wie schrumpeliges Leder und wunderschönen Augen. Wie Lady Bexborough wäre sie bedächtig und eindrucksvoll gewesen; eher füllig; wie ein Mann politisch interessiert; mit einem Landsitz; sehr würdevoll, sehr wahrhaftig. Stattdessen hatte sie eine schmale Bohnenstangenfigur; ein lächerlich kleines Gesicht, spitz wie das eines Vogels. Dass sie sich gut hielt, stand außer Frage; und sie hatte anmutige Hände und Füße; und kleidete sich gut, wenn man bedachte, dass sie wenig Geld ausgab. Doch inzwischen war ihr oft zumute, als wirkte dieser Körper, den sie mit sich herumtrug (sie blieb stehen, um ein holländisches Gemälde zu betrachten), dieser Körper mit all seinen Befähigungen, wie nichts – wie gar nichts. Sie hatte das höchst sonderbare Gefühl, unsichtbar zu sein; ungesehen; unbekannt; keine Heirat mehr, keine weiteren Kinder mehr, sondern nur dieses verblüffende und ziemlich feierliche Dahinschreiten mit den anderen die Bond Street entlang, als Mrs. Dalloway; nicht einmal mehr Clarissa, sondern als Mrs. Richard Dalloway.

Die Bond Street faszinierte sie; Bond Street früh am Morgen in der Saison; mit den wehenden Fahnen; mit den Geschäften; kein Rummel; kein Prunk; eine Rolle Tweed in dem Laden, in dem ihr Vater fünfzig Jahre lang seine Anzüge gekauft hatte; ein paar Perlen; Lachs auf einem Eisblock.

«Das ist alles», sagte sie mit einem Blick zu dem Fischgeschäft. «Das ist alles», wiederholte sie, bevor sie für einen Augenblick vor dem Schaufenster eines Handschuhladens stehen blieb, wo man vor dem Krieg nahezu perfekte Handschuhe kaufen konnte. Ihr alter Onkel William hatte immer gesagt, eine Dame erkenne man an ihren Schuhen und ihren Handschuhen. Eines Morgens mitten im Krieg hatte er sich auf seinem Bett umgedreht. Er hatte gesagt: «Ich habe die Nase voll.» Handschuhe und Schuhe; sie liebte Handschuhe; aber ihre Tochter Elizabeth konnte mit beidem nichts anfangen.

Bloß kein Stroh, dachte sie, als sie die Bond Street entlang zu einem Geschäft ging, in dem die Blumen für sie zurechtgemacht wurden, wenn sie eine Party gab. Was Elizabeth wirklich am Herzen lag, war ihr Hund. Das ganze Haus roch an diesem Morgen nach Teer. Immer noch lieber der arme Grizzle als Miss Kilman; lieber Übellaunigkeit und Teer und alles Übrige, als mit einem Gebetbuch in ein stickiges Schlafzimmer eingesperrt zu werden! Lieber sonst was, war sie versucht zu sagen. Aber vielleicht war es nur etwas Vorübergehendes, wie Richard sagte, eine Phase, wie sie alle Mädchen durchmachen. Vielleicht war sie verliebt? Aber warum in Miss Kilman?, die natürlich schlecht behandelt worden war; das musste man einräumen, und Richard sagte, sie sei sehr beschlagen, habe einen wahrhaftig historisch versierten Verstand. Jedenfalls waren sie unzertrennlich, und Elizabeth, ihre Tochter, ging zur Kommunion; und wie sie sich kleidete, wie sie mit Leuten umging, die zum Lunch kamen, war ihr völlig gleichgültig, denn ihre Mutter hatte die Erfahrung gemacht, dass religiöses Eiferertum die Leute herzlos machte (wie bei edlen Bestrebungen üblich); ihre Gefühle abstumpfte, denn Miss Kilman würde alles für die Russen tun,18 hungerte für die Österreicher,19 doch in persönlichen Belangen war sie mit ihrer Unsensibilität ein ausgemachter Quälgeist in ihrem grünen Regenmantel. Jahrein, jahraus trug sie diesen Mantel; sie schwitzte; sie war keine fünf Minuten im Raum, ohne einen ihre Überlegenheit und die eigene Unterlegenheit spüren zu lassen; wie arm sie war; wie reich man selbst war; dass sie in einem Elendsviertel lebte, ohne ein Kissen oder ein Bett oder einem Vorleger oder was auch immer, ihre ganze Seele korrodiert in dieser unstillbaren Kränkung, ihre Entlassung aus dem Schuldienst im Krieg – armes verbittertes glückloses Geschöpf! Denn was man verabscheute, war nicht sie, sondern die Vorstellung von ihr, die zweifellos viel in sich aufgenommen hatte, für das Miss Kilman nichts konnte; zu einem jener Gespenster geworden war, mit denen man sich nachts herumschlägt; zu einem jener Gespenster, die mit gespreizten Beinen über uns stehen und uns das Blut halb aussaugen, Herrscher und Tyrannen; denn zweifellos wäre mit einem anderen Fall der Würfel Schwarz oben gewesen und nicht Weiß, hätte sie Miss Kilman geliebt! Aber nicht in dieser Welt. O nein.

Es ging ihr aber gegen den Strich, dass sich in ihrem Inneren dieses brutale Ungeheuer regte!, zu hören, wie Zweige knackten, und zu spüren, wie Hufe sich in den Grund des dicht belaubten Wald gruben, der die Seele war; nie halbwegs zufrieden zu sein oder sich sicher zu fühlen, denn in jedem Augenblick konnte das Untier sich regen, dieser Hass, in dessen Macht es vor allem seit ihrer Krankheit stand, ihr das Gefühl der Verletzlichkeit einzuflößen, im Rückgrat verwundet; der ihr körperliche Schmerzen zufügte und alle Freude an Schönheit, an Freundschaften, am Wohlbefinden, am Geliebtwerden und Ausstaffieren ihres Heims, zum Taumeln und Schwanken brachte und erschütterte, als wühlte tatsächlich ein Ungeheuer in den Wurzeln, als wäre all das nichts als Eigenliebe!, dieser Hass!

Unsinn, Unsinn!, rief sie sich selbst zu, während sie sich durch die Schwingtüren des Floristengeschäfts Mulberry’s zwängte.

Sie trat ein, leichten Schritts, groß, sehr aufrecht, und wurde sofort von Miss Pym mit dem Knopfgesicht begrüßt, deren Hände immer so rot waren, als hätte sie sie in das kalte Blumenwasser getaucht.

Und Blumen gab es: Rittersporn, Wicken, Fliederbündel, und Nelken, Unmengen Nelken. Es gab Rosen; es gab Schwertlilien. O ja – so atmete sie den süßen erdigen Gartengeruch ein, als sie sich mit Miss Pym unterhielt, die ihr Beistand schuldete und sie für freundlich hielt, denn vor Jahren war sie freundlich zu ihr gewesen; sehr freundlich, aber dieses Jahr sah sie älter aus, während sie mit halb geschlossenen Augen den Kopf hin und her drehte zwischen den Schwertlilien und Rosen und den bebenden Fliederbüscheln und nach dem Straßengetöse den köstlich kühlen Duft einsog. Und dann, als sie die Augen öffnete, wie frisch die Rosen aussahen, wie gefaltete saubere Wäsche aus der Wäscherei in Weidenkörben; dunkel und steif hielten die roten Nelken die Köpfe oben; und all die Wicken, die sich in ihren Behältnissen ausbreiteten, violett, schneeweiß, blass – als wäre es Abend und Mädchen in Musselinkleidern kämen aus dem Haus, um Wicken und Rosen zu pflücken, nachdem der herrliche Sommertag mit seinem fast blauschwarzen Himmel, seinem Rittersporn, seinen Nelken, seinen Kalla zur Neige ging; und es war der Augenblick zwischen sechs und sieben Uhr, wenn jede Blume – Rosen, Nelken, Schwertlilien, Flieder – leuchtet; weiß, violett, rot, tieforange; jede Blume scheint von innen zu brennen, sacht, unbefleckt in den nebligen Beeten; und wie sehr sie die grauweißen Nachtfalter liebte, die hin und her flatterten, über den Kirschkuchen, über die Nachtkerzen!

Und jetzt ging sie mit Miss Pym von Vase zu Vase und wählte aus, Unsinn, Unsinn, sagte sie sich, immer sanfter, als wären diese Schönheit, dieser Duft, diese Farben und Miss Pym, die sie mochte, die ihr vertraute, eine Woge, die über sie hinfloss und diesen Hass, dieses Ungeheuer überflutete; und die Woge trug sie höher und höher, als – oh!, ein Pistolenschuss draußen auf der Straße!

«Du lieber Himmel, diese Automobile», sagte Miss Pym, ging zum Schaufenster, um hinauszusehen, und kam mit einem verzeihungsheischenden Lächeln und den Händen voller Wicken zurück, als seien diese Automobile, diese Reifen der Automobile, ganz allein ihre Schuld.

Der laute Knall, der Mrs. Dalloway aufspringen und Miss Pym zum Fenster gehen ließ, um hinauszusehen, worauf sie zurückkam und verzeihungsheischend lächelte, die Hände voller Wicken, stammte von einem Automobil, das an der Straßenseite direkt gegenüber Mulberry’s Schaufenster angehalten hatte. Passanten, die natürlich stehen blieben und gafften, konnten gerade noch das Gesicht einer überaus bedeutenden Persönlichkeit vor dem taubengrauen Bezug der Sitze erkennen, bevor die Hand eines Mannes den Sichtschutz hinunterzog und es nichts mehr weiter zu sehen gab als ein taubengraues Quadrat.

Sogleich waren Gerüchte im Umlauf, von der Mitte der Bond Street bis zur Oxford Street auf einer Seite bis zu Atkinson’s Parfümerie auf der anderen Seite, verbreiteten sie sich unsichtbar, unhörbar, wie eine Wolke, geschwind, wie ein Schleier über Hügeln, senkten sich tatsächlich mit plötzlicher Nüchternheit und Ruhe auf Gesichter herab, die eben noch zutiefst verstört gewesen waren. Doch nunmehr hatte das Geheimnis sie mit seinem Flügel gestreift; sie hatten die Stimme der Autorität vernommen; der Geist der Religion war unterwegs mit fest verbundenen Augen und weit geöffneten Lippen. Aber niemand wusste, wessen Gesicht man gesehen hatte. War es das des Prince of Wales20, der Königin, des Premierministers21? Wessen Gesicht? Niemand wusste es.

Edgar J. Watkiss, mit seiner Kabelrolle um den Arm, sagte hörbar und natürlich scherzhaft: «Dör Wogen des Prominierministers.»

Septimus Warren Smith, der aufgehalten wurde, hörte ihn.

Septimus Warren Smith, um die dreißig, blassgesichtig, hakennasig, mit braunen Schuhen und einem abgetragenen Mantel und mit dunkelbraunen Augen, deren empfindsamer Ausdruck auch völlig Fremde empfindsam macht. Die Welt hat ihre Peitsche erhoben; wo wird sie heruntersausen?

Alles war zum Stillstand gekommen. Das Dröhnen der Motoren klang wie ein Puls, der unregelmäßig im ganzen Körper pochte. Die Sonne wurde außergewöhnlich drückend, denn das Automobil stand vor Mulberry’s Schaufenster; alte Damen oben auf den Omnibussen öffneten ihre schwarzen Schirme; hie und da öffnete sich mit leisem Geräusch ein grüner oder roter Schirm. Miss Pym22, die ans Fenster trat, die Arme voller Wicken, sah mit ihrem fragend geschürzten rosigen kleinen Gesicht hinaus. Die Blicke aller richteten sich auf das Automobil. Septimus sah hin. Jungen sprangen von ihren Fahrrädern. Der Verkehr kam zum Erliegen. Und dort stand das Automobil, mit heruntergezogenem Sichtschutz, auf dem ein merkwürdiges Muster zu erkennen war, das wie ein Baum aussah, dachte Septimus, und dieses allmähliche Zusammenziehen aller Dinge zu einem Mittelpunkt vor seinen Augen, als wäre irgendein Grauen fast bis an die Oberfläche gelangt und stünde im Begriff, sich zu entzünden, machte ihm Angst. Die Welt bebte und schwankte und drohte sich zu entzünden. Ich versperre den Weg, dachte er. Sah man ihn nicht an und deutete auf ihn; stand er dort nicht beschwert, gleichsam angewurzelt für einen bestimmten Zweck? Aber für welchen Zweck?

«Lass uns weitergehen, Septimus», sagte seine Frau, ein kleines Geschöpf mit großen Augen in einem spitzen blässlichen Gesicht; ein italienisches Mädchen.

Aber auch Lucrezia musste unwillkürlich zu dem Automobil und dem Muster des Baums auf dem Sichtschutz hinblicken. Saß die Königin in dem Wagen – die Königin beim Einkaufen?

Der Chauffeur, der etwas geöffnet hatte, gedreht hatte, geschlossen hatte, begab sich zum Fahrersitz zurück.

«Komm schon», sagte Lucrezia.

Doch ihr Mann, denn sie waren seit vier oder fünf Jahren verheiratet, schrak auf, zuckte zusammen und sagte verärgert: «Schon gut!», als wäre sie ihm ins Wort gefallen.

Die Leute mussten es bemerken; die Leute mussten hinsehen. Die Leute, dachte sie, als sie die Menschenmenge sah, die das Automobil anstarrte; die Engländer mit ihren Kindern und ihren Pferden und ihrer Kleidung, die sie in gewisser Weise bewunderte; aber jetzt waren sie nur Leute, weil Septimus gesagt hatte: «Ich werde mich umbringen», schrecklich, so etwas zu sagen. Angenommen, sie hätten ihn gehört? Sie sah zu der Menge hinüber. Hilfe, Hilfe, hätte sie am liebsten den Metzgerjungen und Frauen zugerufen. Hilfe! Erst im vergangenen Herbst waren sie und Septimus am Enbankment gewesen, in denselben Umhang gehüllt, und weil Septimus Zeitung gelesen hatte, statt mit ihr zu sprechen, hatte sie ihm die Zeitung weggenommen und dem alten Mann, der ihr dabei zusah, ins Gesicht gelacht! Aber sein Scheitern verbirgt man. Sie musste ihn in einen Park bringen.

«Jetzt überqueren wir die Straße», sagte sie.

Sie hatte ein Anrecht auf seinen Arm, obwohl der fühllos war. Er würde ihr, die so schlicht, so impulsiv und erst vierundzwanzig Jahre alt war, ohne Freunde in England, die Italien um seinetwillen verlassen hatte, ein Stück Knochen reichen.

Das Automobil mit dem heruntergelassenen Sichtschutz und seiner uneinsehbaren Reserviertheit fuhr in Richtung Picadilly, noch immer bestaunt, die Gesichter auf beiden Straßenseiten mit dem dunklen Odem der Verehrung gezeichnet, ob für die Königin, den Prinzen oder den Premierminister, das war nicht in Erfahrung zu bringen. Das Gesicht war nur für wenige Sekunden von drei Personen gesehen worden. Selbst das Geschlecht war mittlerweile fraglich. Doch es konnte keinen Zweifel geben, dass jemand von Bedeutung drinnen saß; Bedeutung fuhr vorbei, verborgen, die Bond Street entlang, nur um Haaresbreite von gewöhnlichen Leuten getrennt, die sich jetzt zum ersten und letzten Mal in Rufweite der englischen Majestät befinden mochten, des zeitüberdauernden Symbols des Staates, das nur noch wissbegierigen Antiquaren ein Begriff sein wird, die die Überreste der Zeiten ausforschen, wenn London eine grasüberwachsene Ebene sein wird, und all jene, die an diesem Mittwochmorgen über den Gehsteig eilten, sind nur Gebeine, vermischt mit Eheringen in ihrem Staub und den Goldfüllungen zahlloser verrotteter Zähne. Das Gesicht in dem Automobil wird dereinst bekannt sein.

Wahrscheinlich ist es die Königin, dachte Mrs. Dalloway, die mit ihren Blumen aus Mulberry’s kam; die Königin. Und für einen Augenblick sah sie äußerst würdevoll aus vor dem Blumenladen im Sonnenlicht, während das Automobil in Schrittgeschwindigkeit vorbeifuhr, mit heruntergezogenem Sichtschutz. Die Königin fuhr zu einem Krankenhaus; die Königin eröffnete einen Bazar, dachte Clarissa.

Das Gedränge war entsetzlich für die Tageszeit. Lords, Ascot, Hurlingham,23 was war denn bloß los?, fragte sie sich, denn die Straße war blockiert. Die britische Mittelschicht, die mit Paketen und Schirmen beidseits oben auf Omnibussen saß, ja, sogar im Pelzmantel an einem solchen Tag, war, so dachte sie, lächerlicher und unglaublicher als alles je Dagewesene, als alles, was man sich überhaupt vorstellen konnte; und selbst die Königin aufgehalten; selbst die Königin kam nicht weiter. Clarissa war gleichsam in der Schwebe auf einer Seite der Brook Street; Sir John Buckhurst, der alte Richter, gegenüber, das Automobil zwischen ihnen (Sir John hatte jahrelang die erste Geige gespielt und schätzte gut gekleidete Frauen), als der Chauffeur sich leicht hinausbeugte und etwas zu dem Polizisten sagte oder ihm zeigte, worauf dieser salutierte und den Arm hob und den Kopf heftig schüttelte und den Omnibus an den Straßenrand dirigierte und das Automobil weiterfahren konnte. Langsam und fast geräuschlos.

Clarissa vermutete; Clarissa wusste es natürlich; sie hatte etwas Weißes, Magisches, Rundes in der Hand des Bedienten gesehen, eine Scheibe, auf der ein Name stand – der der Königin, des Prinzen von Wales, des Premierministers? –, der sich kraft des eigenen Glanzes seinen Weg bahnte (Clarissa sah den Wagen kleiner werden, entschwinden), um an diesem Abend im Buckingham Palace zwischen Kandelabern, funkelnden Sternen, Brüsten, steif vor Eichenlaub, Hugh Whitbread und all seinen Kollegen, den Gentlemen von England, zu erstrahlen. Und Clarissa würde ebenfalls eine Party geben. Sie richtete sich etwas auf; genauso würde sie oben an der Treppe stehen.

Der Wagen war fort, aber er hatte eine kleine Welle hinterlassen, die durch Handschuhläden und Hutläden und Bekleidungsläden zu beiden Seiten der Bond Street floss. Für dreißig Sekunden drehten sich alle Köpfe in dieselbe Richtung – zum Schaufenster. Handschuhe aussuchen – sollten sie bis zum Ellbogen reichen oder höher, zitronengelb oder hellgrau? –, Damen blieben stehen; als der Satz beendet war, hatte sich etwas ereignet. Etwas so Unbedeutendes, dass kein mathematisches Messinstrument, selbst wenn es Erdstöße in China verzeichnen konnte, die Vibration zu registrieren vermochte; und als solches durchaus wirkmächtig und von emotionalem Einfluss war; denn in allen Hutläden und Bekleidungsläden sahen Fremde einander an und gedachten der Toten; der Flagge; des Empires. In einer Kneipe an einer Gasse schmähte ein Mann aus einer Kolonie das Haus Windsor,24 was zu Beschimpfungen führte, zerbrochenen Gläsern und zu einem größeren Krawall, der auf der anderen Straßenseite ein merkwürdiges Echo in den Ohren junger Mädchen fand, die weiße Unterwäsche mit reinweißen Bändern für ihre Hochzeit kauften. Denn als die oberflächliche Aufregung über das vorbeifahrende Automobil sich legte, als es aus dem Blickfeld verschwand, schrammte sie an etwas sehr Tiefgehendes.

Der Wagen glitt durch Picadilly und fuhr dann die St. James’s Street entlang. Große Männer, meist von robuster Gestalt, gut gekleidete Männer mit ihren Frackschößen und ihren weißen Schlipsen und den zurückgekämmten Haaren, die aus schwierig zu erratenden Gründen im Erkerfenster von White’s25 standen, die Hände hinter den Frackschößen, und hinausblickten und instinktiv erfassten, dass Großartigkeit passierte, und das blasse Licht der unsterblichen Gegenwart fiel auf sie, wie es auf Clarissa Dalloway gefallen war. Sogleich standen sie noch aufrechter, nahmen die Hände zurück, bereit, ihrem Souverän zu dienen, notfalls auf jede Gefahr hin, wie einst ihre Vorfahren. Die weißen Büsten und die Tischchen im Hintergrund, bedeckt mit Ausgaben des Tatler26 und Siphons mit Sodawasser schienen zuzustimmen, das wogende Getreide und die Herrenhäuser Englands anzudeuten und das leise Summen der Räder des Automobils wiederzugeben, wie die Wände eines Flüstergewölbes eine einzelne Stimme verstärkt und kraftvoll wiedergeben mit der Macht einer ganzen Kathedrale. Moll Pratt in ihrem Schal und mit ihren Blumen auf dem Gehsteig wünschte dem lieben Jungen alles Gute (gewiss war es der Prinz von Wales) und hätte den Preis eines Krugs Bier – einen Bund Rosen – aus schierem Übermut und Verachtung der Armut auf die St. James’s Street geworfen, wenn sie nicht gesehen hätte, dass der Polizist ein Auge auf sie hatte, was die Loyalität einer alten Irin ins Wanken brachte. Die Wachen vor St. James’s salutierten; Königin Alexandras27 Polizist war es zufrieden.

Mittlerweile hatte sich eine kleine Menschenmenge vor dem Tor des Buckingham Palace eingefunden. Gleichgültig, aber zuversichtlich warteten sie, allesamt Arme; blickten zu dem Palast mit der wehenden Flagge; zu Victoria, die auf ihrem Hügel paradierte,28 und bewunderten ihre Gerüste mit fließendem Wasser und ihre Geranien, suchten sich unter den Automobilen auf der Mall zuerst dieses und dann jenes aus; verwandten vergeblich Gefühle auf Bürgerliche, die spazieren fuhren; hielten ihre Ehrbezeigungen im Zaum, um sie nicht zu vergeuden, wenn dieser oder jener Wagen vorbeifuhr; und ließen es die ganze Zeit über zu, dass sich Gerüchte in ihren Adern ansammeln und die Nerven ihrer Oberschenkel kitzeln bei dem Gedanken, dass königliche Hoheiten sie ansehen könnten; dass die Königin sich verneigte, der Prinz salutierte; bei dem Gedanken an das himmlische Leben, das Königen göttlich beschert war; an die Hofschranzen und tiefen Hofknickse; an das alte Puppenhaus der Königin; an Prinzessin Mary, die mit einem Engländer verheiratet war;29 und an den Prinzen – ach! den Prinzen! –, der, wie es hieß, dem alten König Edward30 erstaunlich ähnelte, aber ungleich schlanker war. Der Prinz wohnte in St. James’s, aber er konnte vormittags kommen, um seine Mutter zu besuchen.

Das sagte Sarah Bletchley mit ihrem Baby in dem Armen, die mit dem Fuß stampfte, als wäre sie aus eigenem Antrieb ein Prellbock in Pimlico, aber den Blick auf die Mall gerichtet hielt, während Emily Coates ihren Blick über den Palast schweifen ließ und an die Hausmädchen dachte, die zahllosen Hausmädchen, die Schlafzimmer, die zahllosen Schlafzimmer. Die Menge wuchs, von einem älteren Herrn mit einem Aberdeen-Terrier und beschäftigungslosen Männern verstärkt. Der kleine Mr. Bowley, der im Albany wohnte und über die tieferen Quellen des Lebens mit Wachs versiegelt war, konnte angesichts solcher Dinge wie diesen aber plötzlich völlig unangebracht und sentimental entsiegelt werden – arme Frauen, die darauf warteten, die Königin vorbeifahren zu sehen – arme Frauen, nette kleine Kinder, Waisen, Witwen, der Krieg – pst, pst – und hatte tatsächlich Tränen in den Augen. Eine warme Brise, die durch die dürren Bäume die Mall entlang wehte, vorbei an den bronzenen Helden,31 weckte in der britischen Brust Mr. Bowleys eine flatternde Fahne, und er lüpfte den Hut, als der Wagen in die Mall einbog, und hielt ihn erhoben, als der Wagen sich näherte; er ließ sich von den armen Müttern von Pimlico umzingeln und stand sehr aufrecht da. Der Wagen kam näher.

Plötzlich sah Mrs. Coates zum Himmel empor. Das Geräusch eines Flugzeugs dröhnte unheimlich in den Ohren der Menge. Da kam es über die Bäume, hinterließ weißen Rauch, der sich kräuselte und drehte und tatsächlich etwas schrieb! Buchstaben an den Himmel malte!32 Alle sahen empor.

Das Flugzeug fiel in Sinkflug, stieg wieder steil auf, beschrieb eine Schleife, flitzte, sank, stieg auf, und bei alledem, wohin es auch flog, wehte hinter ihm eine dicke gekräuselte Wolke weißen Rauchs, die sich drehte und schlängelte und Buchstaben an den Himmel schrieb. Aber welche Buchstaben? War es ein A?, ein E und dann ein L? Sie waren nur für einen Augenblick zu sehen; dann lösten sie sich auf und waren wie vom Himmel wegradiert, und das Flugzeug schoss weiter dahin und begann an einem anderen Stück Himmel wieder zu schreiben, ein K?, ein E, vielleicht ein Ypsilon?

«Glaxo»,33 sagte Mrs. Coates mit gepresster ehrfurchtsvoller Stimme, blickte unverwandt nach oben, und ihr Baby, das steif und weiß in ihren Armen lag, blickte ebenfalls unverwandt nach oben.

«Kreemo»,34 murmelte Mrs. Bletchley wie ein Schlafwandler. Den Hut seelenruhig in der Hand haltend, blickte Mr. Bowley unverwandt nach oben. Die gesamte Mall entlang standen Leute da und blickten zum Himmel. Dabei wurde die ganze Welt völlig still, und ein Schwarm Möwen flog über den Himmel, zuerst die Leitmöwe, dann die nächste, und in dieser außergewöhnlichen Stille und diesem Frieden, in dieser Helle, in dieser Reinheit schlugen elfmal die Glocken, deren Ton sich oben unter den Möwen verlor.

Das Flugzeug wendete und raste dahin und beschrieb Kapriolen nach Gutdünken, schnell, frei, wie ein Eisläufer –

«Das ist ein E», sagte Mrs. Bletchley –

oder ein Tänzer –

«Es ist Toffee», murmelte Mr. Bowley –

(und der Wagen fuhr durchs Tor und wurde von niemandem beachtet), und das Flugzeug ließ keinen Rauch mehr ab und sauste dahin, und der Rauch zerstob und sammelte sich um die breiten weißen Formen der Wolken.

Es war fort; hinter den Wolken. Kein Geräusch mehr. Die Wolken, an die sich die Buchstaben E, G oder L geheftet hatten, bewegten sich unbeschwert, als wären sie dazu bestimmt, von Westen nach Osten zu reisen, versehen mit einem Auftrag größter Bedeutung, die nie enthüllt werden würde, und sicherlich war es das – ein Auftrag von größter Bedeutung. Und dann, wie ein Zug aus einem Tunnel kommt, raste das Flugzeug plötzlich wieder aus den Wolken hervor, sein Geräusch dröhnte in den Ohren aller in der Mall, im Green Park, in Picadilly, in der Regent Street, im Regent’s Park, und die Rauchwolke kringelte sich dahinter, und es ließ sich fallen und stieg wieder empor und schrieb einen Buchstaben nach dem anderen – aber welches Wort schrieb es?

Lucrezia Warren Smith, die neben ihrem Ehemann auf einem Parkstuhl am Broad Walk im Regent’s Park saß, blickte auf.

«Sieh nur, sieh nur, Septimus!», rief sie. Denn Dr. Holmes hatte ihr geraten, ihren Mann (der nichts wirklich Ernsthaftes hatte, sondern nur nicht ganz bei sich war) dazu anzuhalten, sich mit irgendwelchen Belanglosigkeiten abzulenken.

Aha, dachte Septimus, der aufblickte, sie schicken mir Zeichen. Nicht in richtigen Wörtern; das heißt, er konnte die Sprache noch nicht entziffern; aber es war eindeutig genug, diese Schönheit, diese exquisite Schönheit, und Tränen stiegen ihm in die Augen, als er zu den Rauchwörtern aufblickte, die am Himmel zerstoben und zerflossen und ihm in ihrer unerschöpflichen Barmherzigkeit und heiteren Güte eine Form nach der anderen von unvorstellbarer Schönheit darboten und ihm zu verstehen gaben, dass sie beabsichtigten, ihm ohne Gegenleistung, für immer, für nichts als seine Aufmerksamkeit, Schönheit zu verschaffen, noch mehr Schönheit! Tränen rannen ihm die Wangen hinunter.

Es war Toffee; Reklame für Toffee, wie ein Kindermädchen Rezia erklärte: Zusammen begannen sie zu buchstabieren «t … o … f …»

«K …R …», sagte das Kindermädchen, und Septimus hörte sie nah an seinem Ohr «Kei …Arr …» sagen, tief und weich, wie eine feierliche Orgel, aber mit einem Raspeln in ihrer Stimme wie beim Geräusch einer Heuschrecke, das sich köstlich an seinem Rückgrat rieb und Klangwellen in sein Gehirn sandte, die abbrachen, wenn sie erschüttert wurden. Eine wahrlich wunderbare Entdeckung – dass die menschliche Stimme unter bestimmten atmosphärischen Bedingungen (denn man musste wissenschaftlich denken, vor allem wissenschaftlich) Bäume mit Leben erfüllen kann! Zum Glück legte Rezia ihre Hand mit gewaltigem Gewicht auf sein Knie, sodass er beschwert war, gelähmt, sonst hätte ihn die Erregung über das Steigen und Fallen der Ulmen, Steigen und Fallen mit all ihren leuchtenden Blättern und der Färbung, die lichter und kräftiger wurde von Blau zu dem Grün einer Welle voller Luft, wie Federbüsche auf Pferdeköpfen, Federn auf Frauenköpfen, so stolz stiegen und fielen sie, so wundervoll, dass es ihn wahnsinnig gemacht hätte. Aber er würde nicht wahnsinnig werden. Er würde die Augen schließen; er würde nicht mehr hinsehen.

Aber sie lockten; Blätter waren lebendig; Bäume waren lebendig. Und die Blätter, die durch Millionen Fibern mit seinem Körper dort auf dem Parkstuhl verbunden waren, fächelten auf und ab; wenn der Zweig sich streckte, tat er es ihm nach. Die Sperlinge, die flatterten, aufflogen und sich in zerklüfteten Fontänen fallen ließen, waren Teil der Struktur; das Weiß und das Blau, unterbrochen durch schwarze Zweige. Geräusche bildeten bewusst Harmonien; die Abstände zwischen ihnen waren so bedeutsam wie sie selbst. Ein Kind weinte. Rechterhand in der Ferne wurde gehupt. Alles zusammen bedeutete die Geburt einer neuen Religion –

«Septimus!», sagte Rezia. Er fuhr zusammen. Die Leute mussten es merken.

«Ich gehe zum Springbrunnen und zurück», sagte sie.

Denn sie konnte es nicht länger ertragen. Dr. Holmes hatte gut reden, von wegen, es gebe nichts zu befürchten. Lieber sähe sie ihn tot! Sie konnte nicht neben ihm sitzen, wenn er so vor sich hinstarrte und sie nicht sah und ihr alles schrecklich verleidete; Himmel und Baum, spielende Kinder, die Wägelchen zogen, auf Pfeifen bliesen, hinfielen; alle waren sie schrecklich. Und er würde sich nicht umbringen; und sie konnte mit niemandem darüber sprechen. «Septimus hat sich überarbeitet» – das war alles, was sie sagen konnte, selbst zu ihrer Mutter. Die Liebe macht einen einsam, dachte sie. Sie konnte mit niemandem darüber sprechen, jetzt auch nicht mehr mit Septimus, und wenn sie zurückblickte, sah sie ihn allein in seinem abgetragenen Mantel dasitzen, auf dem Parkstuhl, zusammengesunken, vor sich hinstarrend. Und es war feige, wenn ein Mann sagt, er würde sich umbringen, aber Septimus hatte gekämpft; er war tapfer; er war jetzt nicht mehr Septimus. Sie legte ihren Spitzenkragen an. Sie setzte ihren neuen Hut auf, und er nahm es nicht wahr; und er war glücklich ohne sie. Ohne ihn konnte sie nichts glücklich machen! Nichts! Er war selbstsüchtig. So sind die Männer. Denn er war nicht krank. Dr. Holmes sagte, mit ihm sei alles in Ordnung. Sie spreizte die Finger ihrer Hand. Sieh an! Der Ehering rutschte – so dünn war sie geworden. Sie war es, die litt –, aber sie hatte niemanden, mit dem sie darüber reden konnte.

Weit weg waren Italien und die weißen Häuser und das Zimmer, in dem ihre Schwester Hüte fertigte, und die Straßen, die jeden Abend voller Leute gewesen waren, die spazieren gingen, laut lachten, nicht halb lebendig wie die Leute hier, in Rollstühlen zusammengekrümmt, die ein paar hässliche Topfblumen betrachteten!

«Denn ihr solltet die Gärten in Mailand sehen», sagte sie laut. Nur zu wem?

Da war niemand. Ihre Worte verloschen. Wie eine Rakete verlischt. Nachdem ihre Funken ihren Weg in die Nacht gestreift haben, ergibt sie sich ihr, Dunkelheit senkt sich herab, ergießt sich über die Umrisse von Häusern und Türmen; düstere Berghänge schmelzen und stürzen ein. Doch obwohl sie verschwunden sind, ist die Nacht voll von ihnen; der Farben beraubt, fensterlos, existieren sie umso solider, geben preis, was das helle Tageslicht nicht zu vermitteln vermag – die Bedrückung und Ungewissheit von Dingen, die dort im Dunkeln angehäuft sind, im Dunkeln zusammengedrängt sind, bar des Trostes, den die Morgendämmerung bringt, wenn die Mauern weiß und grau gestrichen erscheinen, jede Fensterscheibe sichtbar wird, der Nebel sich aus den Wiesen hebt, die rotbraunen Kühe friedlich grasend zu sehen sind, alles wieder dem Auge enthüllt ist, wieder existiert. Ich bin allein; ich bin allein!, rief sie neben dem Brunnen im Regent’s Park (den Blick auf den Inder und sein Kreuz35