Mrs Dalloways Party - Virginia Woolf - E-Book

Mrs Dalloways Party E-Book

Virginia Woolf

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Beschreibung

In ihrem konzeptionell wohl bedeutendsten Roman Mrs Dalloway, der zugleich ein Klassiker der Moderne ist, zeichnet Virginia Woolf einen einzigen Tag im Leben einer Frau nach: Clarissa Dalloway, die die letzten Details einer Abendgesellschaft der upper class organisiert. Bevor Virginia Woolf dieses Meisterwerk schrieb, tastete sie sich mittels einer Reihe von Kurzgeschichten an die Party heran. Sie erzählen von einer nervösen jungen Frau, die sich darüber ärgert, dass die anderen Gäste über ihr gelbes Seidenkleid lachen, und von zwei Menschen, die sich in Clarissa Dalloways Salon zum ersten Mal begegnen. Die Erzählungen spielen vor, teils während und schließlich gegen Ende der Party, die bei Virginia Woolf zum Mikrokosmos der Gesellschaft wird.

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Seitenzahl: 91

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Virginia Woolf

Mrs Dalloways Party

Stories

Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Hans-Christian Oeser

Dörlemann

Inhalt

Mrs Dalloway in der Bond Street

Der Mann, der seinesgleichen liebte

Die Vorstellung

Vorfahren

Zusammen und getrennt

Das neue Kleid

Ein Resümee

Nachwort

Über Virginia Woolf

Über Hans-Christian Oeser

Mrs Dalloway in der Bond Street

Mrs Dalloway sagte, sie werde die Handschuhe selbst besorgen. Als sie auf die Straße trat, schlug Big Ben. Es war elf Uhr und die unverbrauchte Stunde so frisch, als sei sie Kindern am Strand zugedacht. Doch in dem bedächtigen Schwung der wiederholten Schläge lag etwas Feierliches; im Raunen der Räder, im Schlurfen der Schritte etwas Mitreißendes.

Zweifellos waren nicht alle zu beglückenden Besorgungen unterwegs. Über uns gibt es weit mehr zu sagen, als dass wir durch die Straßen von Westminster laufen. Auch Big Ben ist nichts weiter als von Rost zerfressenes Eisengestänge – wäre da nicht die Fürsorge der Baubehörde Seiner Majestät. Nur für Mrs Dalloway war der Augenblick vollkommen, für Mrs Dalloway war der Juni frisch. Eine glückliche Kindheit – und nicht nur in den Augen seiner Töchter war Justin Parry ein feiner Kerl gewesen (auf der Richterbank natürlich schwach); abends Blumen, emporsteigender Rauch; das Krächzen der Saatkrähen, die herabstürzten von hoch oben, herab, herab durch die Oktoberluft –, nichts kann der Kindheit ihren Platz streitig machen. Ein Blatt Minze bringt sie zurück: oder eine Tasse mit einem blauen Ring.

Die armen kleinen Wichte, seufzte sie und drängte weiter. Oh, direkt vor den Nasen der Pferde, du kleiner Teufel!, und da stand sie nun am Rinnstein und streckte die Hand aus, während Jimmy Dawes auf der anderen Straßenseite grinste.

Eine charmante Frau, sprungbereit, ungeduldig, seltsam weißhaarig angesichts ihrer rosigen Wangen – so sah sie Scope Purvis, Companion of the Order of Bath, als er zu seinem Büro eilte. Sie straffte sich ein wenig, wartete darauf, dass Durtnalls Lieferwagen vorüberfuhr. Big Ben schlug zum zehnten Mal, schlug zum elften Mal. Die bleiernen Schwingungen verebbten in der Luft. Stolz verhalf ihr zu einer aufrechten Haltung – erben, weitergeben, vertraut sein mit Disziplin und Leid. Wie die Menschen litten, wie sie litten, sinnierte sie und musste an die juwelenbehangene Mrs Foxcroft denken, die am Vorabend in der Botschaft gesessen und sich vor Sorgen verzehrt hatte, weil der nette Junge tot war und das alte Herrenhaus (Durtnalls Lieferwagen war vorübergefahren) jetzt einem Cousin zufiel.

»Guten Morgen«, sagte Hugh Whitbread und lüftete vor dem Porzellanladen ziemlich übertrieben den Hut, denn sie hatten einander schon als Kinder gekannt. »Wo geht’s hin?«

»Ich liebe es, in London spazieren zu gehen«, sagte Mrs Dalloway. »Viel schöner, als auf dem Land spazieren zu gehen!«

»Wir sind eben erst in die Stadt gekommen«, sagte Hugh Whitbread. »Leider nur, um Ärzte aufzusuchen.«

»Milly?«, fragte Mrs Dalloway, die sofort Anteil nahm.

»Nicht ganz auf der Höhe«, sagte Hugh Whitbread. »So was in der Art. Mit Dick alles in Ordnung?«

»Bestens!«, sagte Clarissa.

Natürlich, dachte sie, als sie weiterging, Milly ist etwa in meinem Alter – fünfzig – zweiundfünfzig. Dann ist es wahrscheinlich das. Hughs Benehmen hatte es ausgedrückt, perfekt ausgedrückt – der gute alte Hugh, dachte Mrs Dalloway und erinnerte sich belustigt, dankbar, gerührt daran, wie schüchtern Hugh gewesen war, als er in Oxford studierte und herüberkam, ganz wie ein Bruder – eher wollte man sterben als mit seinem Bruder reden –, und eine von ihnen (verflixte Sache!) womöglich nicht mit ausreiten konnte. Wie konnten Frauen dann im Parlament sitzen? Wie konnten sie mit Männern Dinge tun? Denn es gibt diesen außerordentlich tiefen Instinkt, etwas im eigenen Innern; man kann’s nicht überwinden; sinnlos, es auch nur zu versuchen; und Männer wie Hugh respektieren es, ohne dass wir es aussprechen, und das ist es, was man am guten alten Hugh liebt, dachte Clarissa.

Inzwischen war sie durch den Admiralty Arch geschritten, und am Ende der leeren Straße mit ihren dürren Bäumen sah sie Victorias hochaufgetürmten weißen Busen, Victorias wogende Mütterlichkeit, Fülle und Vertrautheit, stets lächerlich, und doch, wie erhaben, dachte Mrs Dalloway und erinnerte sich an die Kensington Gardens und die alte Dame mit Hornbrille, daran, wie das Kindermädchen ihr befohlen hatte, reglos stehen zu bleiben und sich vor der Queen zu verneigen. Über dem Palast wehte die Flagge. Also waren King und Queen zurück. Dick hatte sie erst kürzlich beim Mittagessen getroffen – eine durch und durch angenehme Frau. So wichtig für die Armen, dachte Clarissa, und für die Soldaten. Auf einem Sockel zu ihrer Linken stand in heroischer Pose ein Mann aus Bronze mit Gewehr – der Burenkrieg. So wichtig, dachte Mrs Dalloway, als sie zum Buckingham Palace schritt. Da stand er, in hellem Sonnenschein, unnachgiebig, kompromisslos, schlicht. Aber er hatte Charakter, dachte sie; etwas der Nation Angeborenes, das die Inder respektierten. Die Queen suchte Spitäler auf, eröffnete Wohltätigkeitsbasare – die Königin von England, dachte Clarissa, als sie den Palast betrachtete. Schon zu dieser Stunde fuhr ein Automobil zum Tor hinaus; Soldaten salutierten; das Tor wurde geschlossen. Und Clarissa überquerte die Straße und betrat den Park, wobei sie sich aufrecht hielt.

Der Juni hatte den Bäumen jedes Blatt entlockt. Westminsters Mütter mit marmorierten Brüsten säugten ihre Jungen. Recht ehrbare Mädchen lagen ausgestreckt im Gras. Ein älterer Mann bückte sich steif, hob ein zerknittertes Stück Papier auf, strich es glatt und warf es wieder weg. Wie furchtbar! Gestern Abend in der Botschaft hatte Sir Dighton gesagt: »Wenn ich will, dass jemand mein Pferd hält, brauche ich nur die Hand zu heben.« Doch die religiöse Frage sei viel ernster als die wirtschaftliche, hatte Sir Dighton gesagt, was sie bei einem Mann wie Sir Dighton außerordentlich interessant fand. »Oh, das Land wird nie erfahren, was es verloren hat«, hatte er gesagt, als er aus eigenem Antrieb von dem lieben Jack Stewart sprach.

Leichtfüßig stieg sie den kleinen Hügel hinan. Die Luft knisterte vor Energie. Von der Flotte wurden der Admiralität Botschaften übermittelt. Piccadilly, Arlington Street und die Mall schienen die Parkluft aufzuladen und die Blätter zu heben, heiß und glänzend, auf Wogen jener göttlichen Lebenskraft, die Clarissa so liebte. Zu reiten; zu tanzen; wie hatte sie für all das geschwärmt. Oder lange Spaziergänge auf dem Land, Gespräche über Bücher, darüber, was man mit seinem Leben anfangen sollte, denn junge Leute waren erstaunlich hochnäsig – ach, was hatte man nicht alles gesagt! Aber man besaß Überzeugungen. Mittleren Alters zu sein war des Teufels. Menschen wie Jack werden es nie erleben, dachte sie; denn an den Tod hat er nie gedacht, nie gewusst, dass er stirbt, hieß es. Und kann nun nie betrauern – wie ging das noch gleich? – einen umsonst ergrauten Schopf … Kein Makel dieser Welt kann ihn noch infizieren … Sie leerten hier ein Glas und sind verlöscht … Kein Makel dieser Welt kann ihn noch infizieren! Sie hielt sich aufrecht.

Aber wie hätte Jack geschrien! Shelley zitieren, in der Piccadilly! »Du brauchst eine Nadel«, hätte er gesagt. Er hasste vertrocknete alte Schachteln. »Mein Gott, Clarissa! Mein Gott, Clarissa!« – sie konnte ihn jetzt noch hören, wie er auf der Party im Devonshire House über die arme Sylvia Hunt mit ihrem Bernsteincollier und dem unvorteilhaften alten Seidenkleid herzog. Clarissa hielt sich aufrecht, denn sie hatte laut gesprochen, und jetzt war sie in der Piccadilly, ging vorbei an dem Haus mit den schlanken grünen Säulen und den Balkonen; ging vorbei an den Klubfenstern voller Zeitungen; ging vorbei am Haus der alten Lady Burdett Coutt, wo früher der verglaste weiße Papagei hing; und am Devonshire House ohne seine vergoldeten Leoparden; und am Claridge’s, wo sie daran denken musste, dass Dick wollte, dass sie eine Karte für Mrs Jepson hinterließ, sonst wäre diese bald fort. Reiche Amerikanerinnen können sehr charmant sein. Da war der St. James’s Palace; wie ein Kinderbau aus Ziegelstein; und jetzt – sie hatte die Bond Street passiert – blieb sie vor Hatchard’s Buchhandlung stehen. Der Strom war endlos – endlos – endlos. Lords, Ascot, Hurlingham – was davon war es? Was für ein Täubchen, dachte sie, als sie das Titelbild eines Memoirenbandes betrachtete, der im Schaufenster ausgestellt war, vielleicht von Sir Joshua Reynolds gemalt oder von George Romney; spitzbübisch, gescheit, zurückhaltend; diese Art Mädchen – wie ihre Elizabeth –, die einzig wahre Art Mädchen. Und dann war da noch dieses absurde Buch, Mr Sponge’s Sporting Tour, aus dem Jim ellenlang zitierte, und Shakespeares Sonette. Die kannte sie auswendig. Phil und sie hatten den ganzen Tag über die Dunkle Dame gestritten, und beim Abendessen hatte Dick rundheraus bekannt, von ihr noch nie gehört zu haben. Wirklich, und dafür hatte sie ihn geheiratet! Er hatte noch nie Shakespeare gelesen! Es musste doch ein billiges Büchlein geben, das sie Milly kaufen konnte – natürlich, Cranford! Hatte es je etwas so Bezauberndes gegeben wie die Kuh in Unterröcken? Hätten die Menschen heute doch nur diese Art von Humor, diese Art von Selbstachtung, dachte Clarissa, denn sie erinnerte sich an die breiten Seiten; daran, wie die Sätze endeten; an die Figuren – wie man über sie sprach, als wären sie echt. Für alle großen Dinge muss man zurück in die Vergangenheit, dachte sie. Kein Makel dieser Welt kann ihn noch infizieren … Fürchte nicht mehr Sonnenglut … Und kann nun nie betrauern, und kann nun nie betrauern, wiederholte sie und ließ den Blick im Schaufenster umherschweifen; denn die Zeile ließ sie nicht mehr los; die Bewährungsprobe großer Poesie; die Modernen hatten nie etwas geschrieben, was man über den Tod lesen wollte, dachte sie; und wandte sich ab.

Omnibusse gesellten sich zu Automobilen; Automobile zu Lieferwagen; Lieferwagen zu Droschken; Droschken zu Automobilen – hier war ein offener Wagen mit einer jungen Frau, allein. Bis vier Uhr aufgewesen, ihre Füße kribbeln, ich weiß, dachte Clarissa, denn nach dem Tanz wirkte die junge Frau in der Ecke des Wagens erschöpft und schlaftrunken. Und ein weiteres Auto kam; und noch eins. Nein! Nein! Nein! Clarissa lächelte gutmütig. Die dicke Dame hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben, aber Diamanten!, Orchideen!, zu dieser Morgenstunde! Nein! Nein! Nein! Der vorzügliche Polizist würde, wenn es so weit war, die Hand heben. Ein anderer Wagen fuhr vorbei. Wie schrecklich unattraktiv! Weshalb sollte sich ein Mädchen in diesem Alter die Augen schwarz anmalen? Und ein junger Mann mit einem Mädchen, um diese Stunde, da das Land – Der bewundernswerte Polizist hob die Hand, und Clarissa würdigte seine Macht, ließ sich Zeit, überquerte die Straße und ging zur Bond Street; sah die enge, krumme Straße, die gelben Fahnen; die dicken Telegraphendrähte, die sich vor dem Himmel spannten.