Muhammed - Der Herr der Herzen - Rahime Kaya - E-Book

Muhammed - Der Herr der Herzen E-Book

Rahime Kaya

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Beschreibung

Das Buch Muhammed - Der Herr der Herzen nimmt seine Leserinnen und Leser mit auf eine Zeitreise in eine Epoche, in der sich der Lauf der Menschheitsgeschichte entscheidend verändern sollte. Es lässt sie teilhaben am Leben des letzten Gesandten Gottes, an seiner Berufung zum Propheten, seinen Wundern, seinem ganzen Wirken. Die mit authentischen Fakten unterlegte Erzählung beginnt mit Ereignissen, die der Geburt des Propheten vorausgingen, und begleitet ihn durch seine unvergleichliche Biografie bis zum Tod. So bietet dieses Buch ein ebenso spannendes wie lehrreiches Lesevergnügen - besonders für Jugendliche, aber auch für alle anderen Altersstufen.

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Seitenzahl: 230

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Copyright ©Define Verlag, Berlin, 2021

7. Auflage

Es ist nicht gestattet, Teile dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder in PCs/Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Vorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

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Übersetzung: Mehmet Oyran

Herausgeber: Dr. Arhan Kardaş

Lektorat: Dr. Arhan Kardaş, Wilhelm Willeke, Abdullah Kulac

Satz & Coverdesign: Onur Alka

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Linemarketing GmbH

Wilhelmstr. 26–30 Haus 24 – 13593 Berlin

www.deinbuchshop.de

ISBN: 978-3-946871-15-6

Zur Umschrift in diesem Buch

Die Sprache des Korans und des Propheten ist Arabisch und die arabische Sprache hat, wie jede andere Sprache auch, ihre Besonderheiten. Der Koran und die Hadithe des Propheten prägen nahezu alle Schriften und Sprachen der muslimischen Welt, und um den Koran und die Hadithe herum haben sich im Laufe der Zeit zahlreiche Wissenschaften entwickelt. Dies gilt vor allem für den Koran, man denke nur an die Wissenschaft der Exegese, die Sprachkunst (Belāgha), die Kalligraphie (Khatt) und die Rezitationskunst. Die korrekte Verschriftlichung (Kitēbe), der korrekte Vortrag (Qirā’e) und die korrekte Rezitation (Tedjwīd) des Korans verlangen vom Laien jahrelange Bemühungen.

Schon in den ersten Jahren der Offenbarung schenkten die Gefährten des Propheten diesen Disziplinen viel Aufmerksamkeit und Beachtung, weil der Prophet selbst sie dazu anhielt. Schon sehr früh etablierten sich die zusätzlichen Hilfszeichen für die Vokalisierung (Harakāt) des Korans. Später konzentrierte man sich dann auch auf eine korrekte Zeichen-, Komma- und Punktsetzung ähnlich wie die Rechtschreibung von Heute (Sedjāwend). Genau wie beim Koran sind auch bei den Hadithen eine korrekte Transliteration, Transkription und Weitergabe sehr wichtig. In Fällen, in denen die Schreibweise eines Wortes mehrere Deutungsmöglichkeiten zuließ, gaben die geschätzten Gelehrten Hinweise darauf, wie das Wort auszusprechen war. Im krassen Gegensatz zu den herabwürdigenden Wüsten- und Kamelvorstellungen des mittelalterlichen Abendlands von dieser Religion, ist der Islam eine Offenbarungsreligion und eine Schriftreligion, wovon die auf ihm gründenden Wissenschaften Zeugnis ablegen. Und auch die korrekte Aussprache und inhaltsgetreue Transkription der Namen der großen Persönlichkeiten und Fachtermini des Islams sind von großer Bedeutung.

Den deutschsprachigen Orientalisten und der Fachwissenschaft der Orientalistik gebührt Dank für ihre Bemühungen, die arabische Sprache ins Deutsche zu transkribieren. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang sicherlich die Deutsche Morgenländische Gesellschaft (DMG), die 1936 auf dem 19. Orientalisten-Kongress in Rom in einer Denkschrift eine einheitliche Mischform aus Transliteration und Transkription entwickelte. Sie gab Interessierten an der arabischen Sprache eine Umschrift an die Hand, die eine buchstabengetreue Transliteration ermöglichte. In der Wissenschaft wird diese Umschrift bis heute benutzt, und sie ist sehr weit verbreitet.

Trotz des Erfolges dieser Umschrift ist sie jedoch nicht ohne Mängel, vor allem was die Transkription im Hinblick auf eine lautgerechte Widergabe betrifft. Sie reduziert die Vokale der arabischen Sprache auf lediglich a, u und i und übersieht dabei, dass es auch ein e und ein ä gibt. Daraus ergeben sich für Laien in der Alltagsaussprache große Unannehmlichkeiten. Dieses Defizit lässt sich höchstwahrscheinlich damit begründen, dass die Orientalisten ihre Transkription weltweit möglichst vereinheitlichen wollten, sodass die englische Umschrift für die arabische Sprache auch für deutsche Orientalisten nachvollziehbar ist. Bekanntlich wird ein a im Englischen aber oft auch e oder ey ausgesprochen und somit Islam als Islēm, Koran/Quran als Korēn/Qurēn oder Muhammad als Muhammed. Also ist diese englische Umschrift bedauerlicherweise keine geeignete Grundlage für unsere deutsche Aussprache.

Wie fachkundige Leserinnen und Leser wissen, gibt es im Arabischen harte und weiche Buchstaben (Konsonanten). Harte Buchstaben sind die Ausnahme. Weiche Buchstaben erfordern, dass der folgende offene Vokal als e oder ä ausgesprochen wird, während harte Buchstaben eine Aussprache als a nach sich ziehen. Ein weicher Buchstabe (Konsonant), der zwischen zwei harten Buchstaben liegt, wird von diesen beeinflusst, sodass auch sein Folgevokal als a ausgesprochen wird. In den muslimischen Ländern bekommt jeder Koranstudent dies im Unterricht beigebracht. Dort hält man sich an diese Rezitationsregeln, auch wenn sie von der jeweiligen Alltagssprache abweichen mögen. Die Perser etwa sprechen auch die harten Konsonanten weich aus. Zudem benutzen sie für alle Silben, die den Langvokal Elif enthalten, einen Vokal, der zwischen a und o ausgesprochen wird. Die Türken sind zwar sehr achtsam in ihrer Rezitation, allerdings bedienen sie sich bei weichen Konsonanten des Vokals ü, den es im Arabischen nicht gibt. Die Syrer wiederum sind von den Persern und den Türken beeinflusst. Sie lassen weichen und harten Konsonanten auch ein a folgen, ähnlich wie die Inder. Doch diese Aussprachen sind für uns kein Maßstab. Unser Maßstab ist die Aussprache des Korans, die für alle Muslime gleichermaßen gilt.

Die DMG-Umschrift sieht vor, dass die Übersetzung der Verbform „er spricht“ als yatakallam ausgesprochen wird. Dieses arabische Wort besteht jedoch ausschließlich aus weichen Konsonanten, und es gibt keinen Araber, der yatakallam sagt. Stattdessen muss es yetekellem heißen. Gleiches gilt für Melek (Engel), was den DMG-Regeln zufolge Malak auszusprechen ist. Das Einheitsbekenntnis enthält keinen einzigen harten Konsonanten, trotzdem soll es lā ilāha illallāh ausgesprochen werden, und statt Besmele wird Basmala bevorzugt. Wenn wir bei grundlegenden Begriffen und Formeln wie diesen nicht auf eine wortlautgetreue Wiedergabe achten, ergeben sich in den Details zwangsläufig noch gravierendere Probleme. Es ist wahr, dass die arabische Sprache kein o, ö und ü kennt. E und ä hingegen sind die dominantesten Vokale überhaupt.

Des Weiteren legen wir bei unserer Umschrift Wert darauf, die langen von den kurzen Vokalen zu unterscheiden, weil dies für die arabische Sprache von elementarer Bedeutung ist. Langvokale tragen folglich ein Makron (einen Längestrich). Sonst ergeben sich im Deutschen häufig falsche Aussprachen. Zum Beispiel heißt es nicht Āli, sondern Alī (kurzes a, langes i), und nicht Ēbu, sondern Ebū (kurzes e, langes u wie bei Ebū Bekr). Einige Buchstaben des Arabischen wie ح ظ ص ض lassen sich nicht 1:1 wiedergeben. Sie erfordern einen deutschen Buchstaben, der möglichst ähnlich klingt.

Manche Ortsnamen, Fachtermini oder Personennamen wurden mit der Zeit eingedeutscht, zum Beispiel Islam, Koran oder Mekka. In diesen Fällen verwenden auch wir diese deutschen Entsprechungen, selbst wenn sie nicht unseren Umschriftregeln folgen.

Auch unsere lautgetreue Umschrift ist nicht vollkommen, und es wird bestimmt noch eine Weile dauern, bis sie sich in der deutschen Schriftsprache durchsetzt. Wir haben heute den Anfang gemacht und bitten unsere sach- und fachkundigen Leserinnen und Leser, uns dabei zu korrigieren und zu unterstützen.

Gott weiß es am besten.

Arhan Kardas

Frankfurt am Main

den 17.03.2015

Abdulmuttalibs Traum

Opfere deinem Herrn ein Tier, und löse dein Versprechen ein!“ Als Abdulmuttalib diese Worte in der Nacht vernahm, opferte er am nächsten Morgen einen Widder und verteilte das Fleisch an die Armen. In der folgenden Nacht hörte er dieselbe Stimme erneut zu ihm sprechen: „Opfere deinem Herrn ein noch größeres Tier!“ Unter dem Einfluss dieses Traumes erwachte er und opferte einen Stier. In der Nacht darauf vernahm er wieder dieselben Worte. Diesmal opferte er ein Kamel und verteilte das Fleisch an die Armen. Wieder eine Nacht später sagte die Stimme zu ihm: „Bringe deinem Herrn ein noch größeres Opfer!“ Diesmal antwortete er: „Welches Opfer könnte noch größer sein?“ Da entgegnete die Stimme: „Erinnere dich an dein Versprechen, das du vor Jahren gegeben hast. Du hattest dir von Gott zehn Söhne gewünscht. Dein Wunsch ging in Erfüllung, nun löse dein Versprechen ein!“

Abdulmuttalib wachte schweißgebadet auf. Er erinnerte sich. Wie schnell die Zeit doch vergangen war. Vor Jahren hatte er, wie heute, einen seltsamen Traum gehabt, und in diesem Traum war ihm verraten worden, wo sich die Zemzem-Quelle befand. Vor langer Zeit war die Frau des Propheten Abraham, Hādjar, als Erste auf diese Quelle gestoßen, doch mit der Zeit war ihr Standort in Vergessenheit geraten.

Abdulmuttalib war also mit seinem einzigen Sohn Hārith zu jener Stelle gegangen und hatte angefangen zu graben. Bald darauf hatten sich die Mekkaner in einem großen Kreis um Abdulmuttalib versammelt und zu ihm gesagt: „Diese Quelle ist ein Erbe des Propheten Ismā‘īl, des Sohnes unseres Vorfahren Abraham. Wir wollen dir bei der Arbeit helfen.“ Abdulmuttalib antwortete der Menge: „Diese Aufgabe hat Allāh mir allein auferlegt. Ich werde niemanden daran teilhaben lassen.“ Daraufhin drohten sie ihm mit den Worten: „Du hast nur einen einzigen Sohn, der dich schützen kann. Hüte dich davor, dich gegen uns aufzulehnen. Käme es zum Streit, würden wir dich besiegen.“ Abdulmuttalib entgegnete ihnen: „Ihr beschämt mich, weil ich erst ein Kind habe? Ich schwöre euch bei Gott: Falls ich eines Tages zehn Söhne bekommen sollte und sie so alt sind, dass sie mich beschützen können, werde ich einen von ihnen hier, an der Kaabe, opfern.“

Dann fuhren er und sein Sohn mit dem Graben fort. Als die Mekkaner merkten, dass sie sich an der Suche nach dem Zemzem-Wasser nicht beteiligen konnten, ließen sie die beiden in Ruhe. Am dritten Tag stießen Abdulmuttalib und sein Sohn auf die Quelle und taten ihre Freude unter Lobpreisungen Gottes kund. Sie gruben weiter, sodass das Wasser herausfließen konnte und alle Lebewesen, Tiere und Menschen, davon trinken konnten. Schon vorher war Abdulmuttalib ein angesehener Mann gewesen, und die Mekkaner hatten ihn bei schwierigen Fragen zum Richter erwählt. Danach genoss er noch mehr Respekt.

Die Jahre vergingen, und Abdulmuttalib wurden tatsächlich zehn Söhne geboren. Und nun erinnerten ihn seine neuen Träume an den Eid, den er damals geschworen hatte.

Der Tag der Entscheidung

Langsam ging die Sonne auf, und die Morgendämmerung hüllte Mekka in ein schönes Rot. Für Abdulmuttalib sollte einer der schwersten Tage seines Lebens anbrechen. Er stand noch ganz unter dem Einfluss des Traumes, den er in der letzten Nacht gesehen hatte, und ständig musste er an seine Söhne denken. Am meisten sorgte er sich um seinen schönsten Sohn Abdullah. Abdullah war anders als seine Brüder. Seine Stirn leuchtete förmlich, was ihn besonders ansehnlich machte. Seine Schönheit war in aller Munde. Dieses helle Leuchten hatten auch Abdulmuttalibs Vater und Großvater auf der Stirn getragen. Es war schon vor Adam, dem ersten Menschen und Propheten, erschaffen und diesem dann geschenkt worden. Adam hatte es weitervererbt, und so gelangte es zum Propheten Abraham. Dieser gab es an den Propheten Ismā‘īl weiter, bevor es schließlich - jeweils über die Söhne - zu Abdullah kam. Und es sollte nicht mehr lange dauern, bis es seinen wahren Besitzer finden würde.

Nachdem die Sonne ein wenig höher am Himmel stand, erwachte das Haus von Abdulmuttalib zum Leben. Der todtraurige Vater rief alle seine Söhne zu sich und erzählte ihnen von dem Versprechen, das er Gott vor Jahren beim Graben nach der Zemzem-Quelle gegeben hatte. Zuerst traute er sich nicht, den Kopf zu heben und seinen Söhnen in die Augen zu blicken. Aber nachdem er sich gefangen hatte, forderte er seine Kinder auf: „Jetzt sagt mir, was ihr darüber denkt!“ Die Kinder antworteten ihm, als hätten sie sich untereinander abgesprochen: „Liebster Vater, wenn du Gott ein Versprechen gegeben hast, dann fügen wir uns darein. Du kannst auswählen von uns, wen du möchtest, wir werden dir Gehorsam leisten.“ Abdulmuttalib erwiderte: „Einverstanden. Dann holt euch jetzt alle ein Stöckchen und schreibt euren Namen darauf. Danach gehen wir zusammen zum Richter an der Kaabe und lassen ihn eines davon ziehen.“

Diese letzten Worte gingen ihm nur schwer über die Lippen. Abdulmuttalib wurde einer harten Prüfung unterzogen. In seinem Innern toste ein Sturm, was er aber nach außen nicht zeigte. Immer wieder sagte er sich: „Das Wort, das man Gott gibt, steht über allem. Ich muss mein Versprechen einlösen.“ Während er mit seinen zehn Söhnen zur Kaabe marschierte, grübelte er weiterhin über seine Situation nach. Als sie an dem ersten Gebäude und Gotteshaus auf Erden ankamen, erklärte Abdulmuttalib dem Richter den Grund für ihr Kommen. Als der Richter begriff, dass er darüber entscheiden sollte, welchen seiner Söhne Abdulmuttalib opfern wollte, stockte ihm der Atem. Abdulmuttalib hielt dem Richter die Stöckchen hin und verlangte mit getragener Stimme von ihm, eines zu ziehen. Hätte der Richter Abdulmuttalib nicht gekannt, so hätte er versucht, ihn davon abzubringen. Aber vor ihm stand das Oberhaupt und der respektabelste Mann von Mekka. Also schaute er kurz auf die Stöckchen, entschied sich für eines und zog es heraus. Stotternd las er den Namen vor, der darauf stand:

„Ab-dul-lah!“

Abdulmuttalib fühlte einen Stich im Herzen. Abdullah war sein liebstes Kind, aber er hatte Gott ein Versprechen gegeben, und das konnte er nicht brechen. Er nahm Abdullah an die eine Hand und ergriff mit der anderen sein Messer. Dann ging er mit seinem Sohn zu der Stelle, an der er ihn zu opfern gedachte. Abdulmuttalib versuchte, die Fassung zu bewahren, während Abdullah noch immer große Entschlossenheit zeigte. Prompt eilten die Ältesten der Quraysch zu Abdulmuttalib und fragten ihn: „Was hast du vor, Abdulmuttalib?“ Abdulmuttalib entgegnete ihnen verzweifelt, aber energisch: „Ich werde ihn opfern.“ Daraufhin sagten sie zu ihm: „Tu das bloß nicht! Du bist ein Vorbild für uns. Wenn du deinen Sohn opferst, stiftest du damit eine schlimmen Brauch.“ Doch was sie auch sagten, war vergebens. Abdulmuttalib wollte sich nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen.

Plötzlich aber verschaffte sich eine Stimme aus der Menge Gehör: „Tu das auf keinen Fall hier und jetzt! Geh vorher erst zu dem berühmten Weisen im Hidjāz, und hol dessen Rat ein. Wenn er dir sagt, dass du deinen Sohn opfern sollst, dann opferst du ihn. Wenn er dir etwas anderes vorschlägt, dann befolgst du es. Somit würdest du dein Wort halten.“

Diese Idee schien Abdulmuttalib zu überzeugen. Er ließ sein Messer fallen und machte sich mit einigen Gefolgsleuten auf den Weg. Dort angekommen, erzählte er dem berühmten Weisen von dem Traum und dem Versprechen und bat ihn, eine Lösung zu finden.

Der Weise fragte ihn: „Wie hoch ist bei euch das Blutgeld (das ein Mörder als Sühne an die Familie des Ermordeten zahlt)?“ „Zehn Kamele“, sagte Abdulmuttalib. „So kehr zurück in deine Stadt, treibe zehn Kamele zusammen, und hol dann deinen Sohn hinzu. Anschließend nimmst du mehrere Pfeile und legst sie in einen Topf. Auf einen davon schreibst du den Namen Abdullah. Danach zieht ihr verdeckt einen Pfeil heraus. Jedes Mal, wenn der Pfeil mit dem Namen darauf gezogen wird, treibt ihr zehn weitere Kamele zusammen. Sobald aber ein Pfeil ohne Namen gezogen wird, ist dein Sohn frei, und du musst ihn nicht mehr opfern.“

Diese Lösung machte Abdulmuttalib und seinen Begleiter Hoffnung. Ohne Zeit zu verlieren, kehrten sie nach Mekka zurück. Bevor er den Ratschlag des Weisen ausführte, wandte sich Abdulmuttalib an Gott und betete lange zu Ihm. Dann versammelte er die Kamele und Abdullah auf einem Platz, und das Loseziehen begann. Abdulmuttalib beobachtete das Geschehen und flehte auch weiterhin sorgenvoll zu Gott.

Bei der ersten Ziehung kam der Pfeil mit Abdullahs Namen zum Vorschein. Also mussten weitere zehn Kamele herbeigebracht werden. Auch beim zweiten Mal wurde der Pfeil mit dem Namen gezogen, und so ging es neun Mal hintereinander. Als bereits 100 Kamele zusammengetrieben worden waren, wurde endlich ein Pfeil ohne Namen gezogen. Da gratulierten die Anwesenden Abdulmuttalib zu seinem Glück und sagten zu ihm: „Nun hast du Allāhs Wohlgefallen erlangt, Abdulmuttalib.“ Doch dieser wollte sichergehen und ließ drei weitere Male einen Pfeil ziehen. Erst als auch da jedes Mal ein Kamel gezogen wurde, war Abdulmuttalib überzeugt. Er opferte die 100 Kamele und verteilte ihr Fleisch an die Armen. Auf diese Weise löste Abdulmuttalib sein Versprechen ein, das er Allāh einst in dem festen Glauben, es auch zu erfüllen, gegeben hatte.

Die Eheschließung

Als sich der Vorfall an der Kaabe ereignete, war Abdullah ein junger und gut aussehender Mann. Viele junge Mädchen wünschten sich, ihn zu heiraten. Doch sein Vater suchte nach einer Frau für ihn, die in jeder Hinsicht zu ihm passte. Schließlich hielt er bei Wehb, dem Oberhaupt der Familie Zuhra, um die Hand von dessen Tochter Āmine an. Āmine war die Schönste und zugleich Tugendhafteste unter den Töchtern des Stammes der Quraysch. Als Abdulmuttalib zu ihm kam, sagte Wehb: „Liebster Cousin. Dein Antrag wurde uns bereits unterbreitet. Āmines Mutter hat heute Nacht geträumt, dass ein so helles Licht Einzug in unser Haus hielt, dass es Himmel und Erde erleuchtete. Und ich selbst habe heute im Traum unseren Großvater, den Propheten Abraham, gesehen. Er sagte zu mir: ‚Ich habe die Ehe zwischen Abdulmuttalibs Sohn Abdullah und deiner Tochter Āmine geschlossen. Gib auch du ihr deine Zustimmung.‘ Seit heute Morgen denke ich an nichts anderes und frage mich, wann ihr endlich kommt.“ Als er dies hörte, pries Abdulmuttalib unendlich glücklich seinen Herrn mit den Worten „Groß ist Gott! Allāhu ekbar!“. Kurze Zeit später heirateten Abdullah, der Sohn von Abdulmuttalib, und Āmine, die Tochter von Wehb, und gründeten eine Familie.

Nach der Hochzeit erschien das Licht auf der Stirn von Abdullah auch auf Āmines Stirn und kündete an, dass sie mit unserem Propheten schwanger war. Zu jener Zeit war Abdullah, der von Beruf Kaufmann war, mit einer Karawane unterwegs nach Damaskus. Auf dem Rückweg erkrankte er in Medina und konnte die Reise nicht mehr fortsetzen. Die Karawane musste ihn bei seinen Onkeln in Medina zurücklassen. In Mekka teilte man seinem Vater mit, dass Abdullah erkrankt war. Daraufhin schickte Abdulmuttalib seinen ältesten Sohn Hārith nach Medina. Doch er kam mit einer schlimmen Nachricht zurück. Abdullahs Zustand hatte sich so sehr verschlimmert, dass er schließlich gestorben war. So verlor unser Prophet, noch bevor er auf die Welt kam, seinen Vater. Und dieser hatte seinen Sohn Muhammed nicht ein einziges Mal auf den Schoß nehmen und an sich drücken können.

Die traurige Nachricht stürzte nicht nur Abdulmuttalib und Āmine, sondern ganz Mekka in Trauer. Denn jeder hatte Abdullah gemocht, er war ein anständiger und ehrlicher Mensch. Aber offensichtlich war ihm der Tod in so jungen Jahren vorherbestimmt gewesen. Āmine weinte tagelang um ihren Mann, den sie so früh verloren hatte. Sie hörte auf zu essen und zu trinken und schmolz dahin wie eine Kerze. Ihre Tränen und ihr Schmerz sollten erst zwei Monate später, mit der Geburt ihres Sohnes, gelindert werden. Schon vor der Geburt hatte sie eine Reihe von Eingebungen, und als ihre Niederkunft ganz nahe war, hörte sie eine Stimme zu ihr sprechen: „Du bist schwanger mit dem Haupt der Umma. Wenn du ihn auf die Welt gebracht hast, gib ihm den Namen Muhammed.“ Āmine war höchst erstaunt, und sie träumte häufig von dem Säugling in ihrem Bauch.

Die Kaabe – das Haus Gottes

Es war nicht viel Zeit vergangen nach Abdullahs Tod, als Abdulmuttalib, der immer noch sehr um ihn trauerte, schon mit dem nächsten Problem konfrontiert wurde. Ebrahe, der Statthalter des Jemen, hatte eine Armee aufgestellt und war aufgebrochen, um das Haus Gottes, die Kaabe, zu zerstören. Ebrahe störte sich daran, dass die Menschen in Scharen zur Kaabe pilgerten. Um diesen Besucherstrom in sein Land umzulenken, hatte er einen großen, prachtvollen und pompösen Tempel bauen lassen. Seine Absicht war es, ihn zum beliebtesten Pilgerort zu machen. Doch das Vorhaben misslang, und die Menschen suchten weiterhin die Kaabe auf, und nicht den neuen Tempel.

Zuletzt waren sogar Gedichte aufgetaucht, die den Tempel verhöhnten, und jemand hatte den Tempel heimlich beschmutzt. Das war der Tropfen, der das Fass für Ebrahe überlaufen ließ. Er befahl, sofort eine Armee aufzustellen und drohte: „Ich werde jeden einzelnen Stein der Kaabe zerstören.“ Daraufhin marschierte ein Heer mit 60.000 Mann und mehreren Elefanten auf Mekka zu. Als es sich der Stadt näherte, begannen die Soldaten, die Besitztümer der Quraysch zu plündern. Auch Abdulmuttalib raubten sie 200 Kamele. Nachdem die Mekkaner von der Stärke des Heeres erfahren hatten und merkten, dass Gegenwehr sinnlos wäre, blieb ihnen nichts anderes übrig, als verzweifelt abzuwarten.

Dann schickte Ebrahe mit einem Boten folgende Nachricht an Abdulmuttalib: „Ich bin nicht hier, um gegen euch Krieg zu führen. Ich bin gekommen, um die Kaabe zu zerstören. Wenn ihr euch dem nicht widersetzt, werde ich euch nichts antun.“ Abdulmuttalib antwortete dem Boten: „Auch wir haben nicht die Absicht, uns mit ihm anzulegen. Dazu wären wir auch viel zu schwach. Dieses Haus ist das Haus Gottes. Wenn es geschützt werden soll, dann nur durch Ihn. Wenn Er die Zerstörung der Kaabe zulässt, werden wir nichts daran ändern können.“

Dann begleitete er den Boten zurück zu Ebrahe. Als Ebrahe Abdulmuttalib vor sich stehen sah, war er vom charismatischen Auftreten des Mekkaners beeindruckt und bewirtete ihn. Ebrahe stieg von seinem erhöhten Podest herunter und setzte sich mit Abdulmuttalib auf den Boden. Über seinen Dolmetscher fragte er Abdulmuttalib: „Was verlangst du von mir?“ „Ich möchte, dass du mir die 200 Kamele wiedergibst, die mir deine Soldaten weggenommen haben.“ Ebrahe war verwundert. Was für ein Anführer war dieser Mann? Während er ihm drohte, seine Stadt zu zerstören, forderte dieser nur seine persönliche Habe zurück und tat so, als würde ihn alles andere nicht interessieren. Ebrahe konnte seine Gedanken nicht verbergen und sagte zu ihm: „Als ich dich eben zum ersten Mal sah, war ich tief beeindruckt von dir. Doch nun, wo ich mich mit dir unterhalte, merke ich, dass du nicht der bist, für den ich dich hielt. Ich drohe dir damit, eure Kaabe zu zerstören, und du fragst nur nach deinen Kamelen.“

Abdulmuttalib antwortete ihm mit ernster Miene: „Ich bin nur der Besitzer der Kamele. Der Besitzer der Kaabe ist Allāh. Ohne Zweifel wird Er Sein Haus schützen.“ Da platzte Ebrahe vor Wut und brüllte ihn an: „Niemand wird die Kaabe vor mir schützen können! Niemand!“ Abdulmuttalib aber blieb ungerührt und antwortete ihm: „Wenn das so ist, lass uns sehen, wer stärker ist: Gott oder du?“ Die Atmosphäre wurde immer angespannter, Ebrahe immer zorniger. Schließlich gab er Abdulmuttalib seine Kamele zurück und schickte ihn fort. In Mekka versammelte Abdulmuttalib alle Einwohner um sich und forderte sie auf, die Stadt zu verlassen und angesichts der herannahenden Gefahr in den umliegenden Bergen Zuflucht zu suchen.

Ebrahe gab seinem Heer den Befehl zum Marsch auf die Kaabe. Doch in dem Heer gab es einige, die ihm nicht folgen wollten. Nufeyl, der die Einheit der Elefanten befehligte, beugte sich zum Ohr eines seiner größten Tiere hinunter und flüsterte dem Elefanten namens Mahmud ins Ohr: „Hock dich auf den Boden, und steh erst einmal nicht wieder auf. Später läufst du dann in deine Heimat zurück. Denn dies hier ist ein heiliges Land.“ Dann floh er vom Heer und versteckte sich in den Bergen. Wie durch ein Wunder hockte sich der Elefant Mahmud tatsächlich auf den Boden und blieb zunächst dort sitzen. Auch als man ihn mit allen Mitteln versuchte, zum Weitergehen zu bewegen, ging er keinen Schritt weiter Richtung Mekka. Sie schlugen solange auf ihn ein, bis Mahmud am Ende blutüberströmt war, aber vergebens.

Ebrahe und seine Soldaten wunderten sich noch über diesen Vorfall, als sie bemerkten, dass sich ihnen von der Küste her eine große, dunkle Wolke näherte. Schnell erkannten sie, dass es sich um einen Vogelschwarm handelte: sogenannte Ebēbīl (Mauersegler), die in ihrem Schnabel und in ihren Krallen jeweils einen kleinen Stein transportierten, den sie über den Soldaten abwarfen. Jeder Stein traf einen Soldaten, der augenblicklich tot zusammenbrach. Sofort versank das Heer in Aufruhr, Chaos und Geschrei. Die Soldaten liefen wie wild durcheinander und ließen im Steinhagel ihr Leben. Auch ihr Anführer Ebrahe wurde von einem Stein getroffen, woraufhin sein Körper sich langsam auflöste. Er starb von Angst erfüllt und unter großen Qualen. Das Heer, das es auf das Haus Gottes abgesehen hatte, existierte nicht mehr. Kurz darauf begann es in Strömen zu regnen. Das Wasser spülte die Leichen hinfort und ins Meer. So blieben die heiligen Stätten der Kaabe kurz vor der Geburt des bedeutendsten aller Propheten unversehrt. In Erwartung des letzten Propheten sollte das Bittgebet, das Abraham und sein Sohn einst beim Bau der Kaabe gesprochen hatten, in Erfüllung gehen: „Bitte, Gott, mach unsere Nachfahren zu Muslimen!“

Seit den Zeiten Adams, des ersten Menschen und Propheten, war die Kaabe für die Propheten, die ihm nachfolgten, eine Station auf ihrem Weg gewesen. Hunderte von Propheten wie Abraham und Mose hatten sie authentischen Überlieferungen zufolge besucht. Doch herrschte in der Stadt Mekka, in der man Gott doch am nächsten sein sollte, eine Düsternis, die die Menschen von Gott entfernte. Sie hatten die Religion, die Abraham gestiftet hatte, vergessen und sich stattdessen Götzen aus Stein und Holz gebaut, die sie anbeteten. Sie verbeugten sich vor diesen Götzen, obwohl sie ihnen doch keinerlei Nutzen brachten, und opferten ihnen Tiere. Auch die Kaabe war mittlerweile von Götzen bevölkert.

Armut im Glauben hatte die ganze Welt erfasst, und auch die Arabische Halbinsel litt darunter. Die Menschen urteilten allein aus materiellen Erwägungen heraus, den Armen schenkte niemand mehr Beachtung. Nicht Recht und Ordnung herrschten, sondern das Gesetz des Stärkeren. In der Gesellschaft hatte ein Kastenwesen Einzug gehalten, und die Sklaven waren die Leidtragenden. Die Ehe wurde verachtet, und Frauen galten nur noch als Ware. Viele Mädchen erlitten das Schicksal, in jungen Jahren bei lebendigem Leibe im heißen Sand begraben zu werden.

Doch unter den ungebildeten und unbarmherzigen Bewohnern von Mekka gab es auch solche, die sich alledem verweigerten. Sie waren zwar in der Unterzahl, aber es gab sie: Quss ibn Sēide, Waraqa ibn Newfel, Zeyd ibn ‘Amr, um nur einige von ihnen zu nennen. Sie störten sich an dem Zustand, in dem sich die Stadt und die Menschen befanden, konnten allerdings nicht viel dagegen tun. Ihre einzige Hoffnung ruhte auf dem letzten Propheten, dessen Ankunft sie seit langem erwarteten, weil sie in den Heiligen Schriften angekündigt worden war. Im Evangelium, in der Thora und in anderen Heiligen Schriften wurden die Besonderheiten des letzten Gesandten, der die Zeit der Finsternis beenden sollte, beschrieben. Und so sprachen sie oft von diesem letzten Propheten aus dem Geschlechte Abrahams. Es war, als würde die ganze Welt sehnlichst auf ihn warten.

Die gesegnete Geburt

Etwa 50 Tage waren seit Ebrahes Angriff auf die Kaabe vergangen. Man schrieb den 20. April 571, einen Montag. Kurz vor Sonnenaufgang hörte seine Mutter Āmine ein lautes Geräusch, das sie ängstigte. Da flog ein weißer Vogel zu ihr und begann, ihr den Rücken zu streicheln. All ihre Furcht und ihre Trauer waren im Nu verflogen. Sie trank den Sirup, der ihr in einem weißen Gefäß gereicht wurde, und fühlte sich von Licht erfüllt. Nur wenige Augenblicke später sollte Muhammed Mustafa (der Auserwählte), der Herr der Herzen, die Welt mit seinem Kommen beehren.

Als Āmine merkte, dass sie ihn geboren hatte, richtete sie sich ein wenig auf, um ihn anzuschauen. Da sah sie, dass ihr Sohn die Haltung der Sedjde [der Niederwerfung im Gebet] angenommen hatte. Seine Lippen bewegten sich, er sprach leise etwas vor sich hin. Safē, eine Frau, die bei der Geburt dabei gewesen war, näherte sich ihm und hörte, wie er sagte: „Meine Umma, meine Umma!“ Dabei streckte er den Zeigefinger Richtung Himmel. Mit dem Moment seiner Geburt war das Zimmer plötzlich so hell erleuchtet, wie es später auch die ganze Welt sein sollte. Es war, als würden sich die auf eine Schnur aufgezogenen Sterne am Himmel über Mutter und Sohn ergießen. Und besondere Aufmerksamkeit zog das Zeichen zwischen den Schulterblättern des kleinen Säuglings auf sich. Dieses schwarzgelbe, von winzigen Härchen gesäumte Zeichen war ein Hinweis darauf, dass er das Siegel der Propheten war.

Die freudige Botschaft von der Geburt wurde sogleich dem Großvater überbracht. Abdulmuttalib rannte zum Geburtshaus. Er nahm seinen Enkel in den Arm, drückte ihn fest an sich, küsste ihn und konnte seine Tränen nicht zurückhalten. Āmine erzählte ihm, was sie während der Schwangerschaft geträumt hatte: Das nach Rosen duftende Kind sollte Muhammed genannt werden - der Gepriesene und Gelobte. Mit dem Säugling im Arm ging Abdulmuttalib zur Kaabe, um Gott dafür zu danken, dass Er ihm durch seinen verstorbenen Sohn Abdullah einen Enkel geschenkt hatte. So schloss auch die Kaabe zum ersten Mal Bekanntschaft mit Gottes liebstem Diener.

Die wundersamen Dinge, die sich rund um die Geburt ereignet hatten, waren nicht auf das Geburtshaus selbst begrenzt geblieben. In der Kaabe waren alle Götzenstatuen umgefallen. Niemand verstand, wie das geschehen konnte. Nach und nach trafen auch aus anderen Orten staunenswerte Nachrichten ein. Es war, als würde die ganze Schöpfung den letzten Gesandten willkommen heißen.