Mümmelmann: Ein Tierbuch - Hermann Löns - E-Book
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Mümmelmann: Ein Tierbuch E-Book

Hermann Löns

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Beschreibung

In "Mümmelmann: Ein Tierbuch" entführt Hermann Löns die Leser in eine faszinierende Welt der Natur und Tierbeobachtung. Der Autor, bekannt für seine eindrucksvolle Verbindung von literarischer Prosa und naturschildernden Elementen, schildert das Leben des Kaninchens Mümmelmann mit großer Sensibilität und Detailverliebtheit. Durch lyrische Sprache und ansprechende Beschreibungen erweckt Löns die Geschichte eines scheinbar alltäglichen Tieres zum Leben und thematisiert universelle Fragen des Daseins und der Naturverbundenheit. In der Zeit der aufkommenden Naturromantik findet das Werk seinen Platz als wertvoller Beitrag zur Naturliteratur des frühen 20. Jahrhunderts. Hermann Löns, ein leidenschaftlicher Naturfreund und Vertreter des Jugendstils, war stark von den ländlichen Landschaften Norddeutschlands geprägt, die er als Kulisse für seine Werke nutzte. Seine eigene Verbundenheit zur Natur und sein Drang, die Schönheit der Welt um ihn herum festzuhalten, motivierten ihn, "Mümmelmann" zu schreiben. Löns, der oft in der Natur selbst Inspiration suchte, kombiniert in diesem Tierbuch autobiografische Elemente mit einer fantasievollen Erzählweise. "Mümmelmann: Ein Tierbuch" ist eine Empfehlung für alle Leser, die nicht nur an der Tierwelt interessiert sind, sondern auch nach einem tiefgehenden und berührenden Leseerlebnis suchen. Das Buch eröffnet eine neue Perspektive auf das Zusammenleben von Mensch und Tier und regt zum Nachdenken über den eigenen Platz in der Natur an. Es ist ein zeitloses Werk, das sowohl Kinder als auch Erwachsene gleichermaßen anspricht und inspiriert.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Hermann Löns

Mümmelmann: Ein Tierbuch

 
EAN 8596547070313
DigiCat, 2022 Contact: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Mümmelmann.
Murkerichs Minnefahrt.
Krähengespräch.
Sein letztes Lied.
Goldhals.
Der letzte seines Stammes.
Achtzacks Ende.
Böbchen.
Der Zaunigel.
Jakob.
Hausfriedensbruch.
Mein Dachs und meine Dackel.
Die Zeit der schweren Not.
Des Rätsels Lösung.
Das Eichhörnchen.
Hasendämmerung.
Der Mörder.
Der Alte vom Berge.
Die Einwanderer.
Ein Hauptschwein.

Mümmelmann.

Inhaltsverzeichnis

Sie zogen aus, bis an die Zähne bewaffnet, an die dreitausend, an die dreihundert, an die dreißig, schrecklich anzusehen in ihrem Kriegsschmucke.

Unten steckten sie in langen Stiefeln, oben in kühnen Hüten. Um ihre Unterleiber schlotterten oder strammten sich rauhe Jacken, deren Taschen reichlich mit Nikotinspargeln gespickt waren. An der Seite hing ein Ränzlein, strotzend von braunen, grünen, roten oder gelben Hülsen, enthaltend das scharfe Pulver, ferner eine Flasche, bergend das nicht minder scharfe Visierwasser, und diverse Pakete, worin die kurzgehackten sterblichen Überreste toter Schweine und Kühe waren. Vor dem Magen trugen sie Müffchen, um die Handgelenke gestrickte Stulpen, und auf dem Rücken Donnerrohre aller Konstruktionen und jeglichen Kalibers.

Sie erfüllten das Bahnhofsvestibül mit lauten Stimmen, den Perron mit schallenden Tritten, drei Coupés mit Zigarrendampf und die Schaffner mit Grausen, denn jeder dritte zog ein erwachsenes Exemplar von canis familiaris hinter sich her und verlangte Platz dafür nächst sich.

Während der Fahrt nickten die einen, die abends vorher allzu lange beim geisteserfrischenden Männerskat und beim seelenerhebenden Bitterbier gesessen hatten, noch etwas nach, die edlen, etwas gedunsenen Züge auf die Mündungen der Flinten stützend; andere hatten des Teufels Gebetbuch in der Hand, schielten sich in die Karten und nahmen sich das mehr oder minder redlich erworbene Kleingeld ab. Die dritten sprachen Latein.

Der Dicke mit den apoplektischen Kulpsaugen erzählte mit einer Stimme, die die Fensterscheiben zum Klirren brachte, er habe gestern auf achtzig Schritt einen Krummen geschossen, wie gerädert sei der im Dampf geblieben, alle Knochen gebrochen. Und dann zeigte er seine Flinte herum, alle guckten hinein und taten, als glaubten sie es, und jeder sah sein Gegenüber mit einem Blick an, der da sagte, daß er es durchaus nicht glaube.

Sie sprachen eine fremde Sprache, die kein vernünftiger Mensch verstand, redeten von Rammlern und Satzhasen, Schweiß und Wolle, Löffeln und Blumen, Läufen und Gescheide, Kesseln und Suchen, Stokeln und Strecke, meinten aber immer ganz was anderes. So fuhren sie dahin durch die weiße, morgendliche Winterlandschaft, auf die die aus dem Bett kriechende Sonne einen schwachen Rosenschimmer warf.

Dieser Rosenschimmer traf auch in der Feldmark von Knubbendorf die Nase eines alten Rammlers, der langsam und hochläufig über die Landstraße hinkte, Haanrich Mümmelmann genannt in seiner Sippe. Er machte einen Kegel, putzte sich ein Flöckchen Schnee aus dem Schnurrbart mit der rauhen Bürste seines Vorderlaufes, und überlegte, ob er noch nach der reichlich geästen Roggensaat etwas Rinde von jungen Apfelbäumen in den Gärten von Knubbendorf zu sich nehmen solle, oder ob es bekömmlicher sei, einige vorjährige Brommelbeerblätter zu genießen, denn er fühlte einen Druck im Magen.

Da teilte ihm derjenige Teil seines Körpers, mit dem er auf einem plattgefahrenen goldgelben Apfel saß, der nicht von den Hesperiden, sondern von dem edlen Rosse stammte, mit, daß ein Wagen sich nähere. Er drehte sich um, spitzte die schwarztimpigen Löffel und sagte sich dann in seinem lieben Gemüte, daß das weder die Post sei, die führe schneller, noch der Molkereiwagen, der führe langsamer, ein Marktwagen sei es auch nicht, der käme schon bei nachtschlafender Zeit. Item sei es etwas Ungewohntes, und das Ungewohnte sei stets unbekömmlich.

Er hoppelte bis an den Graben, setzte trotz seiner drei Läufe über die hohe Schneewehe und hoppelte den Patt entlang. Auf dem großen Schlehbusch saß der Neuntöter. Den fragte er, ob er nicht sähe, was da die Straße entlangkomme, seine Augen hätten nachgelassen. Der Würger sagte ihm, daß es Jäger und Hunde wären, und flog nach der Dieme, denn da hatte er eine Maus gesehen.

Mümmelmann kratzte sich bedenklich hinter den Löffeln und hoppelte weiter, bis an den großen Stein, der an der Sandkuhle lag. Dort klopfte er dreimal mit dem linken Hinterlauf. Er hatte nur den einen, den rechten fraßen nach der vorjährigen Treibjagd die Nebelkrähen. Auf sein Klopfen tauchten hinter einem dürren Kamillenbusch zwei sauber gekämmte Löffel auf. Sie gehörten Geesche Wittblaume.

»'n Dag, Geesche«, knurrte Mümmelmann, »van Dage giff dat Drievjagd. Eck weit blot noch nich, wenn sei in Holte drieven oder inn'e Feldmark. Seih deck vör!«

»Eck rücke to Holte, da kann'n seck lichter bargen,« meinte Geesche. »Adjüs, Haanrich« und damit hoppelte sie von dannen.

»Segg et de annern an,« rief Mümmelmann ihr nach, und Geesche machte einen Kegel, spitzte die Löffel, nickte und hoppelte fort.

Mümmelmann traf bei Wege noch Trine Geelzahn und Jochen Pielsteert und sagte ihnen, daß sie gut täten, die Löffel steif zu halten. Und dann hoppelte er weiter, bis nach einer ganz kahlen, hoch gelegenen Stelle. Dort lief er eilig hin und her, als habe er etwas verloren, schlug Haken auf Haken, und schob sich dann in einen Pott, den er sich scharrte.

Eine Stunde mochte er in seinem Lager gelegen haben, da vernahm er ein Geräusch und machte einen Kegel. Da sah er Aadje Slappuhr eilig daherkommen, Aadje, dessen Löffel keinen Halt hatten, weil ihm im vorigen November die Schroten die Knorpel zerschlagen hatten.

»Junge,« sagte Aadje und verpustete sich, »dat ward leege van Dage. De Driever drücket dat Holt dör und denn schall ekesselt weern.«

»Dübel,« sagte Mümmelmann, »de vermuckten Schinners war'd von Dag to Dag heller. Na, will't sehn, wat seck dohn lätt. 'djüs.« Und damit rückte er sich wieder in seinem Pott zurecht, und Aadje lief weiter.

Noch eine Stunde lag Mümmelmann da und dachte nach, daß der Mensch doch das böseste Raubzeug sei, trotz Reinke Rotvoß und Griepto Höhnerdeiw, dem Habicht, und daß es Zeit wäre, daß man dagegen etwas täte; da hörte er von weitem einen Ton, als klopfe da ein riesiger Rammler. Und der wiederholte sich immer wieder.

Haanrich Mümmelmann machte sich hoch und äugte nach der Gegend hin, aber seine Lichter trugen so weit nicht. So rückte er wieder zusammen und wartete. Die Sonne brannte ihm warm auf den billigen Balg, der Wind hatte sich gelegt, das war alles gut und schön soweit, wenn nur die Jäger nicht gewesen wären. Na, sein Testament hatte der Olle schon lange gemacht, er war nun fast zehn Jahre alt, und ewig kann man nicht leben. So philosophierte er.

Auf einmal spielohrte er. Er hörte den Mordschrei der Nebelkrähe. Er machte sich ein ganz klein bißchen höher und seine Seher wurden starr. Über das Feld kam ein Hase in ungleichen Sätzen, und über ihm strichen zwei große graue Krähen. Eine stieg immer und strich vorwärts, und die andere fuhr herab und stieß nach den Lichtern des armen Hasen, und Arr und Err ging es. Alle Augenblicke wurde der kranke Hase kürzer, dann fuhren beide Krähen auf ihn los. Und dann rappelte er sich wieder auf und machte ein paar Sätze, aber nach wenigen Sätzen wurde er wieder kürzer. Und vom Horizont kam ein schwarzer Punkt und noch einer und immer wieder einer, lauter Krähen, graue und schwarze, und wie eine Wolke von Blut und Tod zog es über den Kranken her. Und jetzt, Mümmelmann schauerte zusammen und legte die Löffel an, denn er wußte, was jetzt kam, jetzt kam der Graben, und das war das Ende. Und da scholl es auch zu ihm heran: »O weh, o weh, o weeäh, o weih mir,« und dann war alles still und nur die Galgenvögel, die sich zankten, hörte man.

Nach einem Weilchen vernahm der Alte wieder ein Gepolter und sah die Krähen abstieben. Er richtete sich ein bißchen hoch, und sah einen großmächtigen Köter einen kranken Hasen hetzen. Schwer krank, das sah der Alte, war der andere nicht, aber doch so, daß der flüchtige Hund ihn bald zu Stande hetzen würde. Das war ein guter Kerl, Natz Klewersitter vom Uhlenbrink. Dem mußte geholfen werden.

»Natz,« knurrte Mümmelmann leise, »eck stah upp, sett di dahl!« Der kranke Waldhase nahm alle Kraft zusammen, fuhr in das warme Lager, und mit einem Hui, eine Schneewolke hinter sich werfend, fegte der alte Feldhase aus dem Pott, schlug ein halbes Dutzend Haken, daß der Hund ganz verbiestert wurde, sauste dann geradeaus, schlug wieder Haken, machte einen Kegel, nahm wieder das Feld hinter sich, bis dem Hunde die Zunge aus dem Halse hing und er die Jagd aufgab. Mümmelmann äugte ihm nach, lachte, hoppelte bis zum nächsten Brink und rodete sich wieder ein. Seine alten Knochen brauchten Ruhe.

Lange dauerte es damit aber nicht, da vernahm er ein Dröhnen und Knirschen. Erst war es nördlich, dann westlich, dann südlich, dann auch im Osten. Er machte sich hoch und sah rundum lauter schwarze Pfähle. Und nach einer Weile ging es, »Tara, Tarattata«, und die Pfähle kamen auf ihn zu. Und dann hörte er es knallen und er sah hier einen aus seiner Sippe über den Schnee rennen, und da einen von den Waldhasen, und da stand einer auf dem Kopf und hier rollte einer im Dampf. »Dübel,« dachte der Alte, »eck sitte in'n Kessel!«

Die schwarzen Pfähle kamen näher. Überall stob der Schnee, prasselten die Schrote, flog der Dampf, knallten die Schüsse. Mümmelmann blieb in seinem Pott und überlegte. Rechts, nein, da ging es nicht, da knallten wenige Schüsse und immer einzeln, da standen gute Schützen. Links, da ging es bergab, das war auch schlecht. Aber gerade aus da war ein Jäger, der schoß immer beinah beide Läufe auf einmal, und sein Nachbar, der fuchtelte immer erst lange hin und her, ehe er drückte.

Die Schritte kamen näher. Dicht neben Mümmelmann schlug Kunrad Flinkfoot ein Rad, sprang noch einige Todessprünge und färbte den Schnee rot. Weiter rechts machte Dorette Quappbuk ihr Testament, nicht weit davon Lischen Hopsinskrut. Aber zwischen dem langen Schnellschießer und dem kurzen Fuchtelmeier passierten eben Jochen Pielsteert und Fritze Pattlöper heil die Schützenlinie, und da richtete sich der alte Hase steif auf, hoppelte in gerader Linie voran, gerade auf die Lücke zwischen den beiden Schützen zu, ganz langsam, bis er fast in Schußnähe war, witschte dann nach links, schlug einen Haken nach rechts, einen nach links, einen nach rechts, sah noch eben, wie zwei Gewehrläufe in der Luft herumfuhren, wie Schwänze von Kühen, um die die Bremsen sind, und dann gab er her, was er in sich hatte, fuhr durch die Lücke, schlug sieben Haken, hörte einen Knall, einen Schrei, einen Fluch, nähte aus, bis er nichts mehr hörte, und dann machte er ein Männchen und äugte zurück.

Das Jagdhorn erklang. Die Schüsse hörten auf. Die Jäger liefen nach einem Fleck, hoben etwas auf und gingen nach dem Dorfe. Und es war doch erst Mittag. Als sie alle weg waren, hoppelte Mümmelmann nach dem Kessel. Da lag Schweiß, hier wenig, Hasenschweiß, und da viel. Menschenschweiß, und dem alten Hasen schwoll sein kleines Herz von befriedigter Rachsucht; nun wollte er gern sterben, er hatte sein Volk gerächt.

Nachts um zwölf Uhr, als der Vollmond klar am Himmel stand, kamen die Knubbendorfer Hasen auf dem Felde, wo der letzte Kessel gewesen war, zusammen. Mümmelmann rief sie alle der Reihe nach auf. Zweiundsechzig antworteten nicht, zwanzig waren entschuldigt, sie heilten ihre Wunden im Lager, sechzehn humpelten, sie waren leicht angekratzt. Und als sie alle zusammen waren, da hielt Natz Klewersitter eine Rede und sagte allen, wie Haanrich Mümmelmann ihm das Leben gerettet hatte, und alle zweihundert klopften dem guten Kameraden Beifall und rieben ihre Nase an seiner. Und dann machte Jochen Pielsteert ein Männchen und erzählte, daß der Alte vom großen Stein sie alle gerettet habe. Er, Jochen, habe gesehen, daß Mümmelmann durch seine Taktik den einen Jäger so dötsch gemacht habe, daß er seinen Nachbar schwer angeflickt habe. »Kommt mit, eck will ju dat wiesen!« so schloß er seine Rede.

Reinke Rotvoß, der oben an der Straße unter dem Winde herangeschnürt kam, blieb plötzlich stehen und seine Nüstern schnupperten wohlig, denn die Witterung von zweihundert Hasen kitzelte sie. Aber dann setzte er sich plötzlich, denn eine wimmelnde, krimmelnde Masse kam über das mondlichte Schneefeld, Hase bei Hase, und jetzt hielten sie an.

So etwas hatte Reineke noch nicht erlebt, und er hatte viel mitgemacht. Als aber die zweihundert Hasen anfingen, mit den Hinterläufen zu klopfen und gespenstisch im Kreise herum zu tanzen, da kriegte er es mit der Angst, er machte kehrt und gab Fersengeld, daß ihm die Standarte nur so flog. Als am anderen Tage der Jagdaufseher Nachsuche hielt, da fand er um den roten Fleck, wo der Assessor den Baurat laufkrank schoß, einen Kreis, festgestampft wie eine Tenne. Und er sah, daß das die Hasen gemacht hatten, und er schüttelte den Kopf und machte ein ganz verstörtes Gesicht.

Das war die Stelle, wo vorige Nacht die Knubbendorfer Hasensippe Mümmelmann, den Heldenhasen, nach Hasenweise geehrt hatte.

Murkerichs Minnefahrt.

Inhaltsverzeichnis

Auf der Spitze der großen Pyramide stand ein Mann. Der Abend hatte die gelbe Wüste in braune und blaue Farben getaucht, hatte die Palmen und Kuppeln der fernen Stadt mit Gold und Purpur umwebt.

Der Mann auf der Plattform des Riesenbaues sah die zauberhaften Farben, die märchenhaften Töne nicht. Er war das ganze Ägypten satt, die eleganten Reisenden, das schmierige Volk, den Spielsaal und die Blumengärten. Traumverloren sah er nach Norden hin.

Da zuckte er zusammen und sah sich um. Nicht der Ruf der Eule war es gewesen, der ihn aus seinem Sinnen geweckt hatte, nicht das von weitem heranschallende Geschrei der Kameltreiber, nein, ein ganz anderer Laut, der ihm die gelben Troddeln der Haselbüsche im dämmernden Wald, Drosselschlag und Ammernsang vor die Seele rief.

Er rieb sich die Augen und lächelte: »Ich habe geträumt,« dachte er. Aber da war er wieder, der seltsame, tiefe, quarrende Ton, das »Quoark, quoark, quoark«, und da kam es auch schon herangestrichen, ein schwarzes Ding, eulenhaft die Fittige bewegend, zwischen denen ein langer, senkrechter schwarzer Strich sich abhob, und verschwand in der Dämmerung.

Das war Murkerich. Auch dem war dieses Ägypten langweilig geworden mit seinen Palmen, seinem Nilschlick, seinen fetten Fliegenmaden und Kamelsmistkäfern. Nach weißschimmernden Birkenwäldern sehnte er sich, nach braunem Fallaub zwischen goldenen Schlüsselblumen, jungen Fichten und breiten Weißdornbüschen und einem ordentlichen, deutschen Regenwurm.

Er moarkte verdrießlich, als ihm eine große Fledermaus mit einem blattähnlichen Gewächs auf der Nase etwas zuzwitscherte, das er nicht verstand, strich weiter, den Nil hinauf, und pfuitzte schnell sein »Pssewitt« in den Abend hinein. Antwort erhielt er wohl, aber Begleitung bekam er nicht. »Noch zu kalt da oben«, pfuitzte Kulpsauge. »Noch keine Würmer draußen«, quarrte Silbersteert. »Noch Frost im Boden«, wispelte Stecherine. Da reiste Murkerich allein.

Im Garten des Augustinerkellers in München ging ein Mann. Er ließ sich die Abendluft um die Stirn ziehen, denn arg viele Maße Bier hatte er binnen. Plötzlich blieb er stehen und sah nach dem Himmel, wo ein einziger, kleiner, blasser Stern blinzelte. »Herrgottsaxen«, brummte er vor sich hin, »hoab i oan Rausch. Alleweil hoab i meint, daß i die Schnepfen hör'!«

Einen Rausch hatte er, aber richtig gehört hatte er doch. Murkerich hatte Afrika hinter sich, das Mittelmeer und den Balkan, Tirols weiße Gipfel und Bayerns dunkle Berge. Viele Gefahren zu Wasser und zu Lande hatte er erlebt, Seesturm und Meeresgewitter, Lawinengepolter und Telegraphendrahtsurren; am Gardasee stellte eine verwitwete Schnepfin seinem Herzen Garn und Schlinge und wollte ihn bewegen, dort zu bleiben. Er pfuitzte ihr etwas und strich weiter.

Über dem Dorfe Sievershausen im Solling stand ein Mann. Rotkehlchen und Amseln sangen, Waldwühlmäuse pfiffen im Fallaub, unten im Dorf rief der Totenvogel und im hohen Ort lachte der Kauz. Stillzufrieden lauschte der Mann den Stimmen des Vorfrühlings.

Auf einmal durchfuhr ihn ein Ruck. Er riß das Gewehr von der Schulter, spannte und packte an, sah sich wild um und ließ die Waffe wieder sinken. Er schüttelte den Kopf und lachte in sich hinein: »Ich dachte, ich hörte schon die Erste. Aber wir haben ja noch nicht einmal Reminiscere!«

Er hatte doch richtig gehört, und wenn der Kauz gerade nicht solchen großen Schnabel gehabt hätte, dann hätte Murkerichs Minnefahrt schon hier ein Ende gehabt. Aber Glück muß ein junger Schnepfenhahn haben. Schon im Taunus waren ihm die Schrote um den Stecher gepfiffen und in seinem linken Fittig fehlte die Spitze der Malfeder. »Die kann ich missen,« hatte Murkerich gedacht; »die ist ja doch bloß zum Staat da«, und war weiter gestrichen. Und diese Nacht strich er noch weiter, bis er seine engere Heimat erreichte, den Ahltener Wald bei Hannover. Da strich er laut pfuitzend in der Frühdämmerung die Gestelle auf und ab, fiel, als die erste Drossel pfiff, todmüde unter einer Schirmfichte ein und schlief wie tot.

Ein Rascheln im Laube weckte ihn. Eine Waldmaus wäre ihm fast auf den Kopf gesprungen. Als er sich spreizte, fuhr sie zitternd in ihr Loch. Die Sonne stand schon hoch und behaglich genoß Murkerich, Flügel und Ständer von sich streckend und das Halsgefieder aufrichtend, ihre Wärme. Dann richtete er sich auf, gähnte gefährlich, trippelte einige Schritte vorwärts, bis er an dem kleinen Ellernbruch anlangte, wo die ersten Blätter und Blüten sich über dem pechschwarzen, nassen Boden zeigten.

Dort stellte er den Stecher senkrecht, fuhr damit über die goldenen Blüten des Milzkrautes, die fetten Blätter des Aaronstabes, die blauen und weißen von Leberblume und Windröschen, bohrte den Stecher in den Boden, vollführte mit den Ständern ein seltsames Getrampel, wobei er ab und zu leise schnurrte, und holte alle Augenblicke einen krampfhaft sich windenden Regenwurm oder eine langgeschwänzte Sumpffliegenlarve heraus, die er sich dann mit kurzem Ruck einverleibte. Dann trippelte er wieder unter seine Schirmfichte und schlief weiter.

Als die Dämmerung die Bäume zusammenschmolz und der Kauz sein hohles Lied sang, wachte Murkerich auf. Der Abend war lau und die Luft dumpf, so recht geschaffen für ein zärtliches Flugspiel über den Wipfeln der Birken. Aber ihm lag noch die lange Luftreise in den Knochen, und so beschloß er, weiter zu schlafen, da erstens morgen auch noch ein Tag und zweitens eine Balz auf eigene Faust eine ziemlich öde Beschäftigung sei. Da vernahm er ein brünstiges »Pssewitt«, und er schwang sich auf und folgte dem lockenden Rufe.

Auf der großen Rodung holte er die Dame ein. Quarrline war es, eine Schnepfenmadam reiferen Alters, die im Frühling vor einem Jahre hier Witwe geworden war. Sie hatte damals gelobt, unvermählt zu bleiben, aber, die Liebe, das ist eine sonderbare Sache, und wenn eine alte Scheune ins Brennen kommt, dann helfen alle guten Vorsätze nicht. Und als sie Murkerichs flehendes Morken vernahm, da tat sie zwar erst etwas verschämt, quarrte etwas von Aufdringlichkeit und Belästigung alleinstehender Damen, aber die kokette Art und Weise, wie sie ihn über den Rücken anschielte, gab Kunde davon, wie heiß ihr Herz dem eleganten jungen Mann entgegenschlug. Ja, wer kann auch für die Gefühle bei solcher lauen Luft!

Und so ging es denn mit Pssewitt und Mork-mork über die Gräben und Tümpel, Schläge und Dickungen, bald neben-, bald hinter-, bald übereinander, jetzt langsam und leise, dann laut und schnell, in gerader Richtung ein Gestell entlang, im Zickzack durch den Lichtschlag, wo Quarrline ihrem Galan in dem Stockausschlag der Birken verschwand. Aber er fand sie bald, denn es war bei ihr nur Ziererei, und als er ihr erzählte, daß er in guten Verhältnissen lebte und ein Grundstück hätte, das sich selbst im dürrsten Sommer reichlich mit Regenwürmern verzinste, da gab sie bald ihre Sprödigkeit auf und wurde aus einer älteren Witwe schnell eine junge Braut.

Als Murkerich sich am anderen Tage die Sache überlegte, fand er, daß er etwas voreilig gewesen war. Seine Quarrline paßte doch nicht so ganz zu ihm. Sie war ein bißchen zu sehr in die Breite gegangen, ihr Gefieder war stark ergraut, kurz und gut, eine Schönheit war sie gerade nicht. Und dieses ewige Gequarre von ihrem Seligen, das war nicht zum Aushalten. Wenn sie so schon als Braut war, wie würde sie erst später werden, dachte der glückliche Bräutigam und hörte mißmutig ihrem Gequarre zu, mit dem sie ihn sogar jetzt, mittags, wenn jede richtige Schnepfe schläft, anödete.

So vernahm sie vor lauter Schwatzen das leise Rauschen nicht, das hinter ihr im dürren Grase daher kam. Faul und breit lag sie da und erzählte von ihrem Seligen. Da fuhr ein rotes Ding rauschend und rasselnd durch das Gras, Murkerich strich schreiend ab und konnte eben noch eräugen, daß Reineke Rotvoß mit Quarrline im Fang davonschnürte. Unter einem gewaltigen Weißdornbusch fiel Murkerich ein. Der entsetzliche Vorfall bekümmerte ihn tief, aber bei ruhigerer Überlegung fand er, daß es so am besten für sie beide war; glücklich wären sie zusammen doch nicht geworden. Über diesen Betrachtungen schlief er ein.