Museum und Inklusion -  - E-Book

Museum und Inklusion E-Book

0,0
26,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wie kann inklusive Bildung im Museum für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung gelingen - auch jenseits der Vermittlung durch Text und Sprache? Was können Methoden aus der Heil- und Sonderpädagogik für eine inklusive Museumsarbeit mit dieser Zielgruppe bieten? Anhand von Forschungsergebnissen und Erfahrungsberichten stellen die Autorinnen und Autoren eine große Bandbreite an Projektbeispielen mit unterschiedlichen Vermittlungszugängen und Angeboten vor. Dabei wird deutlich: Für eine inklusive Museumspädagogik ist der Dialog zwischen Museen und Fachleuten der Behindertenhilfe von großer Bedeutung. Herausgegeben im Auftrag des Magistrats der Stadt Rüsselsheim am Main.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



BÄRBEL MAUL, CORNELIA RÖHLKE (HG.)

Museum und Inklusion

Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 transcript Verlag, Bielefeld

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.

Covergestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld

Coverabbildung: Cornelia Röhlke, Rüsselsheim, 2017, Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim

Korrektorat: Demian Niehaus, Nürnberg

Print-ISBN 978-3-8376-4420-3

PDF-ISBN 978-3-8394-4420-7

EPUB-ISBN 978-3-7328-4420-3

https://doi.org/10.14361/9783839444207

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Projekt »StadtMuseum inklusive« Gefördert im Fonds Stadtgefährten der

Herausgegeben im Auftrag des Magistrats der Stadt Rüsselsheim am Main

Inhalt

Vorwort

Bärbel Maul, Cornelia Röhlke

Grußwort der Kulturstiftung des Bundes

Carl Philipp Nies

Wie normal es ist, verschieden zu sein

Andreas Grünewald Steiger

Museum inklusiveHerausforderungen für die Erwachsenenbildung für und mit Menschen mit geistiger Behinderung

Werner Schlummer

Das Museum als sozialer Ort zwischen Museumspädagogik und Sozialarbeit

Bernhard Graf

Vom unbekannten zum vertrauten Ort – neue Besucherinnen und Besucher im MuseumDas Projekt »StadtMuseum inklusive: beteiligen – nicht behindern!«

Cornelia Röhlke

»Zwei sind allemal besser dran …«Eine Partnerschaft für Inklusion und ihre Wirkung

Bärbel Maul, Steffen Walther

mehr ¬ Sinn® Geschichten erzählen, erleben und verstehen

Barbara Fornefeld

»Geschichten, die das Leben schreibt«Biografiearbeit im Museum für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung

Ines Bader

Volxkultur im MuseumTheaterarbeit mit heterogenen Gruppen als Zugang für Menschen mit kognitiven Einschränkungen

Matthias Gräßlin

Workshop »Partizipative Zugänge«

Henriette Pleiger, Birgit Baumgart

Workshop »Mit allen Sinnen«

Birgit Tellmann, Melanie Knaup

Workshop »Biografische Zugänge«

Ann-Katrin Adams, Börje Nolte

Workshop »Leichte Sprache im Museum?«

Anne-Kathrin Berg

Perspektiven im DialogProjektwerkstatt

Sabine Jank, Cornelia Röhlke

Abbildungen

Autorinnen und Autoren

Vorwort

»Wir wollen mit dabei sein« – das ist die treffende Formel, auf die einer unserer Besucher aus den Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e.V. den Wunsch von Menschen mit Unterstützungsbedarf nach kultureller Teilhabe brachte. Und dafür muss man nicht die viel zitierte und noch relativ junge Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) ins Feld führen. Bereits in deren Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 heißt es: »Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen […]«

Das Museum für alle ist kein neuer Gedanke und bedeutete in den letzten vier Jahrzehnten stets eine weitere Öffnung und Bewegung. Viele Museen haben sich seit den 1970er Jahren auf diesen Weg heraus aus ihrem Elfenbeinturm gemacht, und das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim ist eines davon. Für sein Konzept zur Präsentation der Geschichte der Arbeit wurde es als erstes deutsches Museum mit dem Museumspreis des Europarats ausgezeichnet. Kenneth Hudson, der große englische Museumserzähler, erklärte es zum ersten Museum mit einem sozialen Gewissen. Seitdem hat die Erde sich weitergedreht und die Museen mit ihr. War es in den 1970ern noch revolutionär, die Bedingungen und Wirkweisen von industrieller Produktion im Museum zu präsentieren, ist dies heute längst in vielen Industriemuseen Alltag.

Was noch immer nicht vollständig gelungen ist, obwohl wir daran seit mehr als drei Jahrzehnten arbeiten, ist die Öffnung des Museums für Menschen, die nicht dem gut situierten, mobilen und bestens ausgebildeten Bürgertum angehören. Das bezieht sich nicht nur, aber ganz besonders auch auf Besucherinnen und Besucher mit Handicap. Erst in den vergangenen zehn Jahren hat die Debatte um Inklusion Fahrt aufgenommen, werden die Häuser, ihre Medien und Vermittlungsformen auf möglicherweise vorhandene Barrieren hin untersucht.

Uns scheint die Diskussion um Inklusion im Vergleich mit der um die Frage nach dem Museum in der Einwanderungsgesellschaft zuweilen etwas mechanistisch geraten: Haben wir genug Induktionsschleifen für Hörgeschädigte? Ist ein Leitsystem für Menschen ohne Augenlicht vorhanden? Wie sieht es mit Fahrstühlen aus? Gibt es Texte in Leichter Sprache? Eine App in Gebärdensprache? Und ist die Website barrierefrei? Das alles ist wichtig, um das Museum als Einrichtung barrierefrei zu machen. Aber reicht das eigentlich?

Inklusion fängt beim Abbau physischer Barrieren erst an. Gelebt wird sie – und dies ist ein Ergebnis vieler Pilotprojekte, auch von »StadtMuseum inklusive« in Rüsselsheim – nur im Miteinander. Ohne das Aufeinanderzugehen von kultureller Einrichtung einerseits und Betroffenengruppe, Behinderteneinrichtung oder Vertretung von Menschen mit Einschränkungen physischer oder kognitiver Art andererseits wird die Öffnung nicht gelingen. Zunächst gilt es in der Museumswelt, viel über die Menschen zu lernen, die wir als neue Stammgäste gewinnen wollen.

Das Projekt »StadtMuseum inklusive« und die Entwicklung, die es in unserem Haus in Gang gesetzt hat, wären – wie auch dieser Tagungsband – ohne das Programm »Stadtgefährten« der Bundeskulturstiftung nicht realisierbar gewesen. Dafür möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken.

Bereits für die Antragstellung brauchten wir Partner in der Stadt und fanden sie in den Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e.V. (WfB), dem Kunstverein Rüsselsheim e.V. sowie der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel. Wir haben uns gemeinsam auf den Weg gemacht und wir im Museum haben von den Kolleginnen und Kollegen sowie den Beschäftigten in der WfB viel gelernt, das die Arbeit fruchtbar gemacht hat – und wir tun es noch.

Aus diesem Konzept des freundschaftlichen Miteinanders von Partnern, die zusammenfinden, um gemeinsam Inklusion zu verwirklichen, wurde bei der Fachtagung ein interdisziplinärer Dialog zwischen Sonderpädagogik und Museum, Fachleuten aus der Praxis der Behindertenarbeit und Wissenschaft, Kuratorinnen und Kuratoren und Museumspädagoginnen und Museumspädagogen.

Dem Stadtmuseum wird als sozialer Ort viel zugetraut – auch die in diesem Band vertretenen Autorinnen und Autoren tun das. Für Stadtmuseen ist die Öffnung für partizipative Prozesse, die konstruktive Auseinandersetzung um den geteilten Stadtraum und das gemeinsame Leben in der Stadt eine Herausforderung, bei der die Gratwanderung gelingen muss, die Kernaufgaben und die besondere Rolle des Museums als städtisches Gedächtnis nie aus dem Auge zu verlieren. Es gilt, mit den Mitteln des Museums Kreativität zu entfalten und Geschichten zu erzählen. Und es gilt, das selbstverständliche Miteinander in diesem Teil des öffentlichen Raums zu ermöglichen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres Projekts »StadtMuseum inklusive« waren nicht an einem weiteren kreativen Angebot in der Behinderteneinrichtung interessiert. Sie wollen als Museumsbesucherinnen und -besucher ganz selbstverständlich an Veranstaltungen und Projekten im Haus und im Stadtraum teilnehmen. Sie wollten selbst sichtbar werden, und die Frage, ob andere Gäste ihre Zugänge und Sichtweisen auf das Museum als fremd wahrnehmen, stellte sich ihnen nicht. Und nach vielen Veranstaltungen und wunderbaren Begegnungen in unserem Haus stellte sie sich uns auch nicht mehr.

Der vorliegende Tagungsband fasst die anregenden Vorträge und Workshopbeiträge der Fachtagung »Mittendrin: Kreative Zugänge zum Museum für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung« im April 2018 im Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim zusammen und bietet so auch denjenigen einen Einblick in den Stand der Diskussionen, die nicht teilgenommen haben.

Grundsätzliche Positionen zum Thema Museum und Inklusion skizzieren aus Sicht der Förderpädagogik der Pädagoge und Journalist Dr. Werner Schlummer sowie aus der Perspektive der Museen Prof. Dr. Bernhard Graf (Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz). Anhand ausgewählter Beispiele gibt Werner Schlummer einen Überblick über bestehende künstlerische Angebote für Menschen mit einer geistigen Behinderung und zeigt Möglichkeiten für Museen auf, die auf dem Weg zu einer inklusiven Einrichtung sind. Hierbei betont er die Notwendigkeit einer professionellen Kooperation von Kulturinstitutionen und Einrichtungen der Behindertenhilfe. Bernhard Graf beschäftigt sich mit der sich wandelnden Ausrichtung und Bedeutung von Museen und sieht gerade vor dem Hintergrund ihrer Profile und Aufgaben in den Stadtmuseen die geeigneten Institutionen für die Realisierung von Inklusionsprojekten.

Über Ziele, Inhalte, Erfahrungen und Ergebnisse des Projekts »StadtMuseum inklusive: beteiligen – nicht behindern!« sowie die gelungene Kooperation zwischen Museum und Behindertenwerkstatt im Projektverlauf berichten Cornelia Röhlke, Dr. Bärbel Maul (beide Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim) sowie Steffen Walther (Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e.V.). Verschiedene Methoden und Ansätze für kulturelle Bildung und Teilhabe, die ihren Ursprung in der Förderpädagogik haben und als besonders vielversprechende Ansätze für die Museumsarbeit im Projekt »StadtMuseum inklusive« zum Tragen kamen, stellen Prof. Barbara Fornefeld (Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln), die Pädagogin Ines Bader (bis 2017 Diakonie Stetten) und der Theatermacher und Dozent Matthias Gräßlin (Theaterwerkstatt Bethel) vor. Barbara Fornefeld gibt einen Überblick über die für Menschen mit Komplexer Behinderung entwickelten mehr ¬ Sinn® Geschichten, deren Ansatz sich auch auf die Vermittlung im Rahmen von musealen Angeboten übertragen lässt. Wie biografisches Arbeiten in der kulturellen Bildung für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung im Museum aussehen könnte und welche Bedingungen hierbei zu beachten sind, schildert Ines Bader. Matthias Gräßlin gibt anhand von Beispielen aus der Theaterarbeit in Bethel Einblicke in die Möglichkeiten von inklusiven theaterpädagogischen Projekten in Museen. Ganz unterschiedliche Ansätze und Zugänge für kulturelle Bildung aus bestehenden Angeboten werden als gelungene Beispiele inklusiver Kulturarbeit vorgestellt, etwa die partizipative Ausstellung »TOUCHDOWN« der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik in Bonn, die Vermittlung »mit allen Sinnen« im Rahmen des Projekts »Pilot Inklusion« sowie das Angebot für Menschen mit Demenzerkrankung »Kohle weckt Erinnerung« oder Museumstexte in Leichter Sprache.

Das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim dankt an dieser Stelle allen, die zum guten Gelingen der Fachtagung und des vorliegenden Bandes beigetragen haben, sowie unseren Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge und dem transcript Verlag für die fachlich versierte Betreuung unserer Publikation.

Bärbel Maul, Cornelia Röhlke

Grußwort der Kulturstiftung des Bundes

Wie können Menschen mit Beeinträchtigungen durch die Museen erreicht werden? Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, damit sie sich im Museum willkommen fühlen? Finden sie sich, ihre Stadt, ihre Lebenswelt in den Ausstellungen und Sammlungen wieder? Diese und weitere Fragen standen am Anfang des Projektvorhabens »StadtMuseum inklusive: beteiligen – nicht behindern!«, welches das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim in Kooperation mit dem Verein Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e.V. (WfB) entwickelte.

Gerade Stadt- und Regionalmuseen nehmen oftmals für sich in Anspruch, ein »Museum für alle« zu sein. Statt elitärer Abgrenzung wird deshalb vielfach der Abbau von sichtbaren und unsichtbaren Zugangshindernissen angestrebt. In Bezug auf Menschen mit Beeinträchtigung oder Unterstützungsbedarf steht dabei in der Praxis oft das Thema »Barrierefreiheit« im Zentrum, das aber nur einen – wenn auch einen wichtigen – Teilaspekt des Themenfeldes Inklusion ausmacht. In einem umfassenderen Verständnis verlangt Inklusion aber die Gelegenheit zu vollumfänglicher Teilhabe in allen Lebensbereichen. Dazu gehört das Recht zur gleichberechtigten Teilhabe am kulturellen Leben. Die UN-Behindertenrechtskonvention vom 13. Dezember 2006 sieht etwa ausdrücklich Maßnahmen vor, um behinderten Menschen die selbstbestimmte Entfaltung und Nutzung ihres kreativen, künstlerischen und intellektuellen Potenzials zu ermöglichen.

Das Projekt »StadtMuseum inklusive« setzte sich in diesem Sinne das Ziel, auch Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen aktiv in die Stadtkultur einzubeziehen und sie als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelt an der Entwicklung neuer Zugänge zum Museum sowie an der Erarbeitung von Angeboten für ihre gruppenspezifischen Bedürfnisse und Fähigkeiten zu beteiligen. Das auf soziale Inklusion gerichtete Konzept ließ sich in besonderer Weise mit dem zentralen Anliegen des Fonds Stadtgefährten der Kulturstiftung des Bundes verbinden, über geeignete Partnerschaften insbesondere solchen Gruppen aus der Stadtbevölkerung eine Sichtbarkeit im Museum zu verleihen, die dort bisher nicht oder kaum vorkommen.

Durch die Zusammenarbeit mit den WfB als Hauptpartner konnte so am Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim erstmals eine Gruppe von Menschen mit Beeinträchtigungen ihre persönliche Sicht auf die Stadt und ihr Leben mit kreativen Mitteln im Museum darstellen. Gleichzeitig öffnete sich das Museum für ihre Belange. Als weiterer Partner brachte der Kunstverein Rüsselsheim e.V. seine langjährige Erfahrung mit kunstpädagogischen Formaten und Ausdrucksformen ein und bot beispielsweise inklusiv angelegte Workshops zum Urban Sketching an. Als dritter Partner unterstützte die Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel das Projekt dabei, die Ergebnisse im Rahmen einer gemeinsamen Fachtagung mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem Museumsbereich und der Sonderpädagogik zu diskutieren.

Dafür dankt die Kulturstiftung des Bundes allen voran den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den Wohn- und Betreuungseinrichtungen der WfB, die ihre persönlichen Ideen und individuellen Beiträge in die Veranstaltungen und Ausstellungen des Projekts eingebracht haben. Ebenso danken wir der WfB und den anderen bereits genannten Partnern, deren ehrenamtliche wie festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Projekt mit Engagement und viel Einfallsreichtum begleitet haben. Schließlich gilt unser Dank dem Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim, das sich als Team unter Anleitung von Museumsleiterin Dr. Bärbel Maul sowie Projektleiterin Cornelia Röhlke mit großem Einsatz für eine zusätzliche Gruppe geöffnet und dabei neue »Gefährten« für die Museumsarbeit gewonnen hat.

Carl Philipp Nies

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

Stadtgefährten – Fonds für Stadtmuseen

Kulturstiftung des Bundes

Wie normal es ist, verschieden zu sein

Im Verlauf der Tagung »Mittendrin: Kreative Zugänge zum Museum für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung« war in einem Pausengespräch unter den Teilnehmenden ein Satz zu hören, der zunächst überraschte, dann nachdenklich stimmen musste: »Ich muss mit den Nichtbehinderten nicht unbedingt etwas zusammen machen.« Diese Anmerkung kam von jemandem, um den es in dieser Tagung ging, einem Menschen mit körperlicher und kognitiver Einschränkung.

Das Thema Inklusion hat noch keine lange Tradition. Die Abkehr von der »überfürsorglichen Gesellschaft«, die sich um diejenigen kümmert, denen man Selbstbestimmung nicht zutrauen mag oder will, lässt sich etwa mit dem Haltungswandel der Aktion Mensch datieren, die ihren Schwerpunkt seit 1999 auf die soziale Gleichberechtigung, Teilhabe am gesellschaftlichen Miteinander und größtmögliche Autonomie behinderter Personen legt. Viele Museen haben erst in der jüngsten Zeit damit begonnen, sich intensivere Gedanken darüber zu machen, wie sie die Herausforderung einer wirklichen Inklusion in ihrer ganzen Konsequenz und in Form von Teilhabe an ihrer Bildungsarbeit realisieren können. Dabei geht es bei weitem nicht nur um die Schaffung von rollstuhlgerechten Ausstellungen, um Texte in Leichter Sprache oder um Hörtexte, nicht nur um Gebärdensprache oder Orientierungshilfen in Braille-Schrift. Im Kern geht es darum, Angebote zu konzipieren, die alle am Museum interessierten Menschen gemeinsam ansprechen, ohne dass sie wiederum in Zielgruppen separiert und damit erneut segregiert werden. So verstanden bedeutet Inklusion eine Herausforderung für die Institution Museum und deren Organisation. Sie stellt hohe Ansprüche an die Professionalität des Personals – von der Leitung des Hauses über die Kuratoren und das Personal der Bildungsabteilungen bis hin zum Front Office und den technischen Diensten. Sie erfordert Auseinandersetzung mit Werten und Veränderung von Haltungen gegenüber den Ansprüchen der Besucher, und sie bewirkt einen Wandel der gesellschaftlichen Aufgaben und Funktionen, so, wie sie das Museum traditioneller Weise in der Vergangenheit aufgefasst hat.

Auf der Ebene des International Council of Museums (ICOM) sind diese Entwicklungen früh wahrgenommen worden und entsprechende Reaktionen darauf erfolgt. So formuliert ICOM etwa in der Präambel der ethischen Richtlinien für Museen: »Das gesamte Ethos des Dokuments bleibt das des Dienstes an der Gesellschaft, des Gemeinwesens, der Öffentlichkeit und ihrer unterschiedlichen Gruppierungen sowie der Professionalität von Museumsmitarbeiter/innen.« (ICOM 2004) Bezogen auf das Thema Inklusion findet sich die Konkretisierung dieser zunächst grundsätzlichen Formulierung als »Dienst an der Gesellschaft« wieder in zwei Leitfäden, die gemeinsam vom Bundesverband Museumspädagogik und dem Deutschen Museumsbund herausgegeben wurden: »Qualitätskriterien für Museen: Bildungs- und Vermittlungsarbeit« (Berlin 2008) und »Das inklusive Museum – Leitfaden zur Barrierefreiheit und Inklusion« (in Zusammenarbeit mit dem Bundeskompetenzzentrum, Berlin 2013). Ein weiterer Leitfaden mit dem Titel »Museen, Migration und kulturelle Vielfalt« (Berlin 2015) erweitert den inklusiven Gedanken folgerichtig um einen anderen aktuellen und für die Arbeit der Museen relevanten Aspekt. Diese Handreichungen stellen aber nicht nur methodische Instrumentarien dar. Sie stehen auch dafür, dass Museen, die sich mit dieser Zielstellung auseinandersetzen wollen, in Zukunft sowohl die Formate als auch die Inhalte der Vermittlung verändern müssen.

Getrieben und gestützt durch die kulturpolitische Diskussion wird mit dem Erreichen breiterer Bevölkerungsschichten die gesellschaftliche Legitimation der Museen auf dem Prüfstand stehen. Die Demokratisierung der Institution konzentriert sich dabei im Wesentlichen auf die Begriffe der Teilhabe und Partizipation – beides immanente Bestandteile jedes inklusorischen Konzeptes.

Sowohl für die Museen als Organisation als auch für die Vermittlung in ihrer inhaltlichen und methodischen Struktur bedeutet dies einen radikalen Wandel in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Ursprünglich verlief diese, im inneren Kern des Museums beginnend, über die Fachabteilungen und die Schnittstelle der Vermittlung nach außen. Nun allerdings hat sich ihre Reihenfolge, ganz wie es der Deutsche Museumsbund in der Ankündigung des Projektes »Hauptsache Publikum – Das besucherorientierte Museum« formuliert, ins Gegenteil verkehrt:

»Das Museum von seinen Besuchern her denken, sie in ihrer Heterogenität anerkennen, sich ihren Bewertungen stellen, ihre Interessen, Wahrnehmungsweisen, Bedürfnisse und Einstellungen als wichtigen Bezugspunkt für alle Bereiche des Museums ernst nehmen und die eigene Arbeit mit Blick auf diese hinterfragen und weiterentwickeln – so kann das Museum für möglichst Viele Realität werden.«

»Ich muss mit den Nichtbehinderten nicht unbedingt etwas zusammen machen«: Dieser Satz bedeutet, dass offenbar auf dem Weg der behinderten Menschen zu einer Emanzipation, von der vollständigen Übernahme der Verantwortung durch andere hin zu ihrem eigenen selbstbewussten und selbstständigen Handeln, viel erreicht worden ist.

Dies ist in erster Linie den Einrichtungen und Institutionen sowie den Betroffenen zu verdanken, die den »spatial turn« von der Idee »Sorgenkind« hin zum Menschen, der, unabhängig von seinen Präferenzen, gleichberechtigter Teil der Gesellschaft ist, vollzogen haben und diese Entwicklung weiter verfolgen. Im Rahmen dieser Tagung standen dafür – auch stellvertretend für viele begleitende Einrichtungen auf diesem Gebiet – Steffen Walther mit seinem Team aus behinderten und nichtbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom Verein Werkstätten für Behinderte Rhein-Main, die das Programm und die Diskussionen stark geprägt und bereichert haben. Ganz im Sinne von »Nicht ohne uns über uns« waren die Impulse und – genauso wesentlich – eben jene Begegnungen und Gespräche wichtig und erhellend für die anwesenden Kolleginnen und Kollegen aus den Museen. Auch wenn das von Cornelia Röhlke und der Leiterin des Stadt- und Industriemuseums, Dr. Bärbel Maul, geleitete Rüsselsheimer Treffen nicht das erste zu diesem Thema war, hatte es doch mit diesem Ansatz und diesem Konzept eine Vorreiterfunktion, indem es alle an dem Thema Interessierten und Involvierten in einen intensiven Informations- und Erfahrungsaustausch gebracht hat. Ein ebenso wichtiger Effekt dieser Tagung war, den Beteiligten Mut zu machen, die hier so anschaulich gezeigte fachübergreifende Kooperation für und mit Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen konsequent weiterzuentwickeln und gezielt auszubauen. Es ist ein anspruchsvoller Weg, der, neben den notwendigen Professionen und Rahmenbedingungen, neben dem Wissen um die besonderen Bedürfnisse der Menschen mit Einschränkungen, auch Geduld und Empathie fordert. Gemeinsam, so wie mit diesem Projekt des Stadtmuseums Rüsselsheim und den Werkstätten für Behinderte Rhein-Main bewiesen, kann eine umfassende und wirkliche Form von Inklusion in Museen gelingen. Wünschenswert bleibt, dass sehr viel mehr dieser Kooperationen aktiv gesucht, gefunden und gefördert werden, um den Anspruch der Museen adäquat zu erfüllen: in Zukunft ein inklusiver Ort der Kultur und Bildung für viele zu sein.

Andreas Grünewald Steiger

Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel

Museum inklusiveHerausforderungen für die Erwachsenenbildung für und mit Menschen mit geistiger Behinderung

Werner Schlummer

Dieser Beitrag befasst sich mit ausgewählten Aspekten der künstlerischen Tätigkeit von Menschen mit geistiger Behinderung. Er skizziert Möglichkeiten, dieses kreative Arbeiten in Angebote von Museen aufzunehmen, und beschreibt institutionelle Herausforderungen wie Kooperationen zwischen Museen und Einrichtungen der Behindertenhilfe, durch die museumspädagogisches Arbeiten und die Angebote der Museen selbst mehr in Richtung inklusives Museum verändert werden können. Dabei werden vor allem die Bedeutung einer professionellen Zusammenarbeit mit Fachleuten aus der Behindertenpädagogik und methodische Aspekte thematisiert. Eine kurze Darstellung methodischer und konzeptioneller Ansätze aus der Heil- und Sonderpädagogik ergänzt den professionellen Anspruch in diesem Themenkomplex.

AM ANFANG: EINE FÜLLE VON FRAGEN

Zur Ausgangssituation dieses Beitrags gehören etliche Fragen, bei denen bereits ein erstes Dilemma auftritt: Eindeutige Antworten sind schwierig, doch vielfältige Hinweise sind möglich. Bei allem Ringen um passende Antworten kann zu Beginn zumindest schon eine Empfehlung ausgesprochen werden: fachlich fundiert ausprobieren! Dabei will dieser Beitrag Anregungen liefern, die Thematik aus der jeweiligen institutionellen oder individuellen Sicht zu reflektieren.

VOR DER VERTIEFUNG: EINE VORBEMERKUNG

Vor der inhaltlichen Darstellung und Auseinandersetzung ist eine Vorbemerkung zu den Begrifflichkeiten erforderlich. Während im Titel der zugrunde liegenden Tagung die Bezeichnung »Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung« verwendet wird, kursieren in der Fachwelt und bei betroffenen Menschen mit Behinderung, die dann oftmals als Experten in eigener Sache bezeichnet werden, weitere Begriffe wie z.B. »Menschen mit Lernbehinderung«, »Menschen mit Lernschwierigkeiten« oder »Menschen mit geistiger Behinderung«. Letzterer scheint überholt zu sein, nicht nur, weil viele in dieser Formulierung eine Diskriminierung dieser Menschen sehen. Gebildet wurde er 1958 in der Phase der Entstehung der Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind, dem Vorläufer der heutigen Bundesvereinigung Lebenshilfe. Seitdem ist in Sachen Behinderung, beim Engagement für Menschen mit dieser und anderen Behinderungen und auch in den wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit einer derartigen Behinderung befassen, viel passiert. Dieser Beitrag enthält im Titel den Begriff »Menschen mit geistiger Behinderung«, da er für mich im Rahmen fachlicher oder wissenschaftlicher Auseinandersetzungen eindeutiger ist und eine oftmals erforderliche Beschreibung von Menschen mit dieser Behinderung unterstützt, ohne zu diskriminieren, auszugrenzen oder zu etikettieren. Vielmehr soll er den Blick auf vorhandene oder anzunehmende Behinderungen und damit mögliche Beeinträchtigungen bzw. Unterstützungserfordernisse schärfen. Die Bezeichnung »Menschen mit Lernschwierigkeiten« grenzt sich vor allem umgangssprachlich nicht wirklich von der »alten« Behinderungsform Lernbehinderung ab und erschwert meiner Ansicht nach eher die erforderliche Objektivierung und damit die gewünschte Antidiskriminierung (vertiefende Ausführungen zum »Dilemma eines Begriffs« bietet Klauß 2008).

ZUM GRUNDSÄTZLICHEN: VON KUNST, KULTUR, KREATIVITÄT UND TEILHABE

Für eine Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Kunst, Kultur, Kreativität und Teilhabe im Kontext von Behinderung ist ein Blick auf wesentliche Rechtsgrundlagen erforderlich. Seit 2009 gilt in Deutschland ein Gesetz, das in der Regel mit »UN-Behindertenrechtskonvention« (UN-BRK) bezeichnet wird. Diese Konvention wurde von den Vereinten Nationen zwar bereits 2006 verabschiedet, die Bundesregierung hat sie aber erst 2008 ratifiziert – mit Rechtsgültigkeit ab 1. Januar 2009. Für die inhaltlichen Bezüge dieses Beitrags ist besonders Artikel 30 dieser UN-BRK relevant. Er ist überschrieben mit »Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport«. Die darin etwas verklausuliert formulierten folgenden Passagen sind grundlegend:

»(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt mit anderen am kulturellen Leben teilzunehmen, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen

a) Zugang zu kulturellem Material in zugänglichen Formaten haben;

[...]

c) Zugang zu Orten kultureller Darbietungen oder Dienstleistungen, wie Theatern, Museen, Kinos, Bibliotheken und Tourismusdiensten, sowie, so weit wie möglich, zu Denkmälern und Stätten von nationaler kultureller Bedeutung haben.

(2) Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, ihr kreatives, künstlerisches und intellektuelles Potential zu entfalten und zu nutzen, nicht nur für sich selbst, sondern auch zur Bereicherung der Gesellschaft.«

(Bundesgesetzblatt 2008)