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Der Schüler wird zum Lehrer
Als einem 34-jährigen, arbeitslosen NEET eine zweite Chance als Rudeus Greyrat, Sohn eines Schwertkämpfers und einer Heilerin, gewährt wird, ist er höchst motiviert, in seinem neuen Leben alles besser zu machen. Nach erfolgreichem Abschluss seiner Ausbildung bei der Dämonin Roxy tritt er eine Anstellung als Hauslehrer einer jungen Adligen an. So zumindest der Plan. Eris entpuppt sich als ein sehr brutales junges Fräulein, das so gar nicht mit der Neuanstellung zufrieden ist. Doch Rudi hat einen abgefeimten Plan, wie er die Stelle (und vielleicht ein neues Höschen?) trotzdem ergattert, um später mit Sylphie an der Zauberuni von Ranoa studieren zu können.
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Seitenzahl: 280
Cover
Farbseiten
Prolog
Kapitel 1: Eine brutale junge Dame
Kapitel 2: Die perfekte Inszenierung?
Kapitel 3: Die ungezähmte Widerspenstige
Kapitel 4: Lehrerkonferenz und Sonntage
Kapitel 5: Das Fräulein wird zehn Jahre alt
Kapitel 6: Fremdsprachen lernen
Kapitel 7: Ein klares Versprechen
Kapitel 8: Der Wendepunkt
Epilog
Bonuskapitel: Die Waldgöttin
Über JNC Nina
Impressum
Farbseiten
Inhaltsverzeichnis
Ich war auf der Flucht. Hinter mir war eine reißende Bestie her. Nur eine, aber ich konnte es unmöglich mit ihr aufnehmen, ich konnte nur rennen. Die Angst im Herzen verlieh mir Flügel. Die Treppe hinauf, quer durch den Garten, klettern, hinfallen, mithilfe von Magie aufs Dach ...
„Wo ist er?! Wo ist er?!“ Die schreckliche Stimme des Monsters, das mich gnadenlos hetzte. Ich hatte eigentlich gedacht, ich hätte eine gute Ausdauer. Immerhin joggte ich schon seit zwei, drei Jahren häufig und stand auch mit dem Schwert gut im Training. Doch alles Selbstvertrauen hatte sich verdünnisiert, diese Bestie lachte mich aus und schüttelte dabei ihr karmesinrotes Haar. Sie war mir so dicht auf den Fersen, dass ich keine Zeit hatte, Atem zu schöpfen.
Nicht aufgeben! Niemals aufgeben! Egal, wie viel Abstand ich zwischen uns bringen konnte, die Bestie würde mich augenblicklich einholen, wenn ich die Konzentration verlor.
Huff, huff. Ich war aus der Puste und hatte Seitenstechen. Ich konnte nicht mehr weiterlaufen. Es gab kein Entkommen. Mir blieb nur, mich zu verstecken. Mit einem Stöhnen drückte ich mich im Schatten der Treppe hinter eine Zierpflanze.
Die donnernde Stimme der Bestie hallte durch das Herrenhaus: „Das lass ich dir nie durchgehen!“
Mir schlotterten die Knie.
Gestatten, Rudeus Greyrat. Ich bin sieben Jahre alt. Zurzeit bin ich ein hübscher Junge, brünett und mit rosigen Wangen. In meinem früheren Leben war ich ein vierunddreißigjähriger NEET, jungfräulich, arbeitslos und ich hatte mich 20 Jahre lang in der Wohnung meiner Eltern verkrochen, ohne je einen Zeh vor die Tür zu strecken.
Die Beerdigung meiner Eltern hatte ich geschwänzt, was dazu führte, dass ich hochkant aus meinem Zuhause geschmissen wurde. Zu allem Übel überfuhr mich dann auch noch ein LKW und hauchte mein miserables Leben aus. Aber durch eine seltsame Wendung des Schicksals wurde ich wiedergeboren, zwar als Baby, doch ich behielt alle Erinnerungen an mein früheres Leben.
Vor meinem Tod war ich so richtig asozial gewesen, aber ich hatte meine Fehler eingesehen und versuchte jetzt schon sieben Jahre lang, hier ein anständiges Leben zu führen. Ich habe die lokale Sprache gelernt, auch zaubern und ich übte mich im Schwertkampf. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu meinen neuen Eltern und fand sogar eine süße Freundin. (Sie heißt übrigens Sylphie.) Aber damit Sylphie und ich auf dieselbe Schule gehen können, hatte ich kundgetan, dass ich für unser Schulgeld arbeiten gehen wolle, daher schickte mich mein Vater hierher in die Zitadelle von Roa.
Fünf Jahre musste ich hierbleiben und mich als Gegenleistung für ihre finanzielle Unterstützung um die schulische Bildung der Tochter des Hauses kümmern.
So weit zum „Was bisher geschah“.
„Komm raus! Ich mach dich so was von alle! Bis von dir nur noch ein Häufchen Asche bleibt!“
Ich stand hinter der Zimmerpflanze und zitterte wie Espenlaub. Ich hatte Angst vor dieser personifizierten Wut, die sich in Form eines kleinen Mädchens manifestiert hatte.
Was passiert ist, wollt ihr wissen?
Für die Antwort darauf drehen wir mal die Zeit eine Stunde zurück.
Es war schon Abend, als ich in der Zitadelle Roa ankam.
Aus dem Dorf Buena brauchte man mit der Kutsche bis nach Roa sechs bis sieben Stunden. Genau die richtige Entfernung, weder zu nah noch zu fern. Roa war eine lebendige Stadt, eine der größten in dieser Gegend.
Das Erste, das mir ins Auge fiel, waren die Mauern der Befestigungsanlage. Stabile Mauern, sieben bis acht Meter hoch, umgaben die Stadt. Pferdekutschen fuhren durch das riesige Tor ein und aus. Nach dem Stadttor passierte unsere Kutsche Reihen von Straßenverkäufern, dann Pferdeställe und Gasthäuser. Unglaublich viele Menschen wuselten hier umher: Händler, Stadtbürger und sogar Ritter in Rüstung. Ich fühlte mich wie in einem Fantasy-Roman.
Dann saßen auf einmal Menschen auf großen Gepäckstücken. Es sah aus wie ein Wartebereich.
Was hat es damit auf sich?
„Ghislaine, weißt du, was das ist?“, fragte ich meine Begleiterin.
Sie hatte Ohren und einen Schwanz wie ein Tier, schokobraune Haut, von der ihre spärliche Lederrüstung mehr zeigte, als sie verbarg. Sie war eine große und muskulöse Schwertkämpferin. Absolut liebenswert. Nicht.
Sie hieß Ghislaine Dedoldia und war eine äußerst geschickte Schwertkämpferin. Sie hatte den Rang eines Schwertkönigs inne, was der dritthöchste Rang der Schwertgott-Schule war, und sie hatte versprochen, mich im Schwertkampf zu unterrichten.
Für mich war sie eine zweite Magistra.
„Hey, sag mal ...“ Sie drehte sich irritiert zu mir um. „Willst du dich über mich lustig machen?“ Sie warf mir einen so grimmigen Blick zu, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte.
„Nein, ich weiß nicht, was das ist, und hab gehofft, du sagst es mir.“
„Oh, Entschuldigung. Das hast du gemeint.“ Sie sah, dass ich den Tränen nahe war und beeilte sich mit der Erklärung: „Das ist der Wartebereich für die Postkutsche. Damit reist man normalerweise von Stadt zu Stadt. Ansonsten kann man auch einen Hausierer bezahlen, damit er einen mitnimmt.“
Während die Kutsche weiterfuhr, wies Ghislaine auf jeden Ort hin und erklärte ihn mir. Das ist die Waffenschmiede, das ist das Wirtshaus, das ist eine Niederlassung der Abenteurergilde, und diesen Ort sollte man besser nicht besuchen. Ghislaine machte ein strenges Gesicht, aber sie war freundlich.
Die Atmosphäre änderte sich, als wir um eine Straßenecke bogen. Es gab eine Reihe von Läden für Abenteurer, ein Waffen- und ein Rüstungsgeschäft und weiter hinten eine Reihe von Geschäften für die Bürger der Stadt. Waren die Wohnhäuser erst am Ende dieser Gasse?
Eigentlich schlau angelegt. Feinde griffen die Stadt ja von außen an. Es war also offensichtlich, dass die Stadt so gebaut war, dass die Häuser umso größer und die Geschäfte umso luxuriöser wurden, je näher man ins Innere ging. Je näher man am Zentrum wohnte, desto reicher war man.
Mitten in der Stadt stand ein riesiges Gebäude. „Das ist das Herrenhaus des Fürsten“, erklärte mir Ghislaine.
„Es sieht eher aus wie eine Burg als ein Herrenhaus.“
„Na ja, das ist immerhin eine befestigte Stadt.“
Roa war eine alte Stadt mit einer noblen Vergangenheit. Vor vierhundert Jahren war sie die letzte Bastion im Krieg gegen die Dämonen. Deshalb gab es im Zentrum der Stadt eine Burg. Doch trotz ihrer mächtigen Geschichte wirkten die Adligen der kaiserlichen Hauptstadt Roa derzeit nur wie Abenteurer und Hinterwäldler in einem Provinznest.
„Also, wenn wir hier sind, heißt das dann doch, dass die junge Dame, die ich unterrichten soll, einen hohen sozialen Status hat, oder?“
Ghislaine schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich.“
„Hm?“ Direkt vor uns befand sich das Herrenhaus des Fürsten. Meiner Theorie nach hätten hier nur Menschen mit hohem sozialen Status leben sollen. Hatte ich mich getäuscht?
Da nickte der Kutscher dem Pförtner des Herrenhauses kurz zu.
„Ist sie nicht die Tochter des Fürsten?“
„Nein.“
„Ist sie nicht?“
„Nur ein bisschen.“
Ich hatte das Gefühl, sie deutete damit etwas an. Nur was?
Die Kutsche kam zum Stehen.
★ ★ ★
Als wir das Herrenhaus betraten, führte uns ein Diener in einen Salon, der wie ein Empfangsraum aussah. Man wies uns an, auf zwei Divanen Platz zu nehmen.
Whoa. Mein erstes Job-Interview überhaupt. Cool bleiben!
Ich setzte mich, Ghislaine entfernte sich schweigend und stand in der Ecke des Raums Wache. Ich wette, sie hat sich diesen Platz ausgesucht, um den ganzen Raum zu überblicken, dachte ich. In meinem früheren Leben hätte ich sie für eine pubertäre Wichtigtuerin gehalten.
„Der junge Herr wird in Kürze zurückkehren. Bitte warte hier, bis er kommt.“
Der Diener goss etwas, von dem ich annahm, dass es Tee war, in eine teuer aussehende Tasse. Dann zog er sich zurück und stellte sich an den Eingang des Zimmers.
Ich nahm einen Schluck von dem dampfenden Getränk. Nicht schlecht. Ich kannte mich mit Tees nicht besonders gut aus, aber er war definitiv kein Billiggesöff. Da der Mann Ghislaine keinen einschenkte, war klar, dass ich der Einzige war, der wie ein Gast behandelt wurde.
„Wo ist er?!“, dröhnte eine Stimme in den Raum, begleitet von wütendem Gestampfe. „Hier?!“
Die Tür wurde aufgerissen und ein muskulöser Mann betrat den Raum. Er musste um die fünfzig sein. Trotz der weißen Strähnen in seinem dunkelbraunen Haar sah er aus, als stünde er voll im Saft.
Ich stellte die Tasse ab, stand auf und verbeugte mich tief. „Gestatten, Rudeus Greyrat. Hocherfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.“
Doch ich erntete als Reaktion nur ein Schnauben. „Der weiß ja nicht, mal wie man sich vorstellt!“
„Herr, Meister Rudeus war noch nie außerhalb des Dorfs Buena. Er ist noch jung und hatte sicher noch nicht die Zeit, Benimm zu lernen. Sicherlich könnt ihr ein wenig von seinem–“
„Ach, halt’s Maul!“
Diese Zurechtweisung brachte den Butler sofort zum Schweigen.
Wenn das der Herr des Hauses war, war er wohl mein Arbeitgeber, oder? Er war auf jeden Fall stinksauer. Hatte ich etwas falsch gemacht? Ich hatte versucht, so höflich wie möglich zu sein, als ich mich vorstellte, aber vielleicht war die Etikette der Aristokraten doch eine andere Hausnummer.
„Hmpf. Paul hat es also offensichtlich nicht einmal für nötig befunden, seinem eigenen Sohn Manieren beizubringen!“
„Mir wurde gesagt, dass mein Vater Formalitäten verabscheut, weshalb er das Haus seines Vaters verlassen hat. Ich vermute, das ist auch der Grund, warum er mir nichts davon beigebracht hat.“
„Ausreden! Nichts als Ausreden! Du bist genau wie er!“
„Hatte mein Vater wirklich immer so viele Ausreden auf Lager?“
„Ja! Der brauchte doch nur den Mund aufmachen und schon wieder war’s eine Ausrede! Pinkelt er ins Bett – Ausrede! Prügelt er sich – Ausrede! Schwänzt er die Schule – Ausrede!“ Mein Gegenüber redete sich in Rage. „Du auch! Wenn du Wert auf Benimm gelegt hättest, hättest du das lernen können! Der einzige Grund, warum du es nicht getan hast, ist, dass du dir keine Mühe gegeben hast!“
Ein Teil von mir gab ihm sogar recht. Ich war so sehr mit Magie und Schwertkampf beschäftigt gewesen, dass ich nicht im Entferntesten auf die Idee gekommen war, etwas anderes zu lernen. Vielleicht war ich zu engstirnig gewesen.
Die beste Antwort war, meinen Fehler einzugestehen. „Sie haben vollkommen recht. Es ist mein eigenes Versagen, dass ich die Benimmregeln nicht kenne. Ich entschuldige mich dafür von ganzem Herzen.“
Als ich meinen Kopf senkte, stampfte er mit dem Fuß fest auf. DONG. „Na wie auch immer! Ich werde anerkennen, dass du dich tapfer bemühst, anstatt dich über deine mangelnde Bildung in Sachen Etikette zu beschweren! Ich werde dir erlauben, hierzubleiben!“
Damit drehte sich der Hausherr um und stampfte mit stolzgeschwellter Brust aus dem Raum.
Okay, ich hab null Peil, worum es hier eigentlich geht, aber wenigstens sagte er, ich kann bleiben.
„Wer war das denn eben?“, fragte ich den Butler.
„Das ist der Fürst von Fittoa, Sauros Boreas Greyrat. Er ist auch der Onkel von Meister Paul“, klärte er mich auf.
Das war also der Fürst. Seine Hitzköpfigkeit ließ mich schon daran zweifeln, ob er die Regierungsgeschäfte gut führte. Andererseits gab es in dieser Gegend viele Abenteurer, also brauchte man vielleicht eine starke Persönlichkeit, um ein guter Landesherr zu sein.
Warte! Hat der Butler eben Greyrat und Onkel gesagt? Also, also, das hieße ja ...
„Das ist mein Großonkel?!“
„Jawohl.“
Ich wusste es.
Paul hatte also seine Verbindung zu seiner Familie genutzt, auch wenn er sich von dieser entfremdet hatte. Ich hätte nie gedacht, dass er aus einer so noblen Familie stammt. Klein-Paul hatte also einen ziemlich edlen Stammbaum.
„Was ist hier los, Thomas? Die Tür steht ja so weit auf.“ Im Türrahmen erschien ein schlanker Mann mit seidigem braunem Haar. „Vater war so gut drauf. Ist was passiert?“
Weil er den Fürsten Vater genannt hatte, vermutete ich, dass er Pauls Cousin war.
Der Butler sagte: „Das ist der junge Herr. Verzeiht mir. Vor einem Moment hat sich der Herr mit Meister Rudeus getroffen. Es hatte den Anschein, dass er von ihm sehr angetan war.“
„Aha. Wenn er die Art von Mensch ist, die mein Vater mag ... habe ich vielleicht die falsche Wahl getroffen?“ Er setzte sich mir gegenüber auf den Divan.
Oh, richtig, ich sollte mich vorstellen.
„Gestatten, Rudeus Greyrat. Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen.“ Genau wie vorhin verbeugte ich mich mit gesenktem Kopf tief.
„Ah ja, und ich bin Philip Boreas Greyrat. Adlige grüßen sich, indem sie ihre rechte Hand auf die Brust legen und den Kopf leicht neigen. Du hast Vater damit vorhin verärgert, hm?“
„In etwa so?“ Ich folgte seinem Beispiel und neigte meinen Kopf leicht.
„Ja, das passt schon. Obwohl dein Versuch vorhin gar nicht mal so verkehrt war. Es war ja immerhin trotzdem höflich. Ich bin sicher, wenn ein Arbeiter meinen Vater so begrüßt hätte, hätte er sich gefreut. Und jetzt setz dich bitte.“ Mit einem lauten Plumps ließ er sich selbst auf den Divan fallen.
Ich folgte seinem Beispiel und nahm meinen Platz ein. Und jetzt beginnt das Interview.
„Was weißt du denn schon?“
„Mir wurde gesagt, dass ich, wenn ich hier fünf Jahre lang die junge Herrin unterrichte, genug Geld bekomme, um die Studiengebühren für die Universität für Zauberei zu bezahlen.“
„Sonst nichts?“
„Nein.“
„Verstehe.“ Er legte seine Hand an sein Kinn und starrte gedankenverloren auf den Tisch. „Wie hast du’s mit Mädchen?“
„Nicht so sehr wie mein Vater.“
„Okay. Dann hast du den Job.“
Hä? Was? Das ging jetzt aber arg schnell, oder?
„Im Moment sind die einzigen Leute, die das Mädchen mag, Edna, ihre Benimm-Lehrerin, und Ghislaine, ihre Schwerttrainerin. Ich habe schon mehr als fünf Leute entlassen. Darunter war auch ein Mann, der in der Kaiserstadt unterrichtet hat.“ Ich verstand, dass er damit andeuten wollte, dass jemand, der in der Kaiserstadt unterrichtete, nicht unbedingt gut war.
„Und was hat das damit zu tun, ob ich Mädchen mag, oder nicht?“
„Das hat nichts damit zu tun. Es ist nur so, dass Paul der Typ Mann war, der für ein hübsches Mädchen alles tun würde. Also dachte ich mir, dass du wahrscheinlich genauso bist.“ Er zuckte gottergeben mit den Schultern.
Ey! Ich müsste doch der sein, der mit den Schultern zuckt! Scher uns doch nicht über einen Kamm!
„Ich will ehrlich sein, ich erwarte nicht viel von dir. Ich dachte mir nur, da du Pauls Sohn bist, kann ich es auch mal mit dir versuchen.“
„Du hast recht, das war sehr ehrlich“, sagte ich.
„Also bist du zuversichtlich, dass du es hinkriegst?“
Nein, ganz und gar nicht. Obwohl ich das in dieser Situation nicht sagen konnte. „Das weiß ich erst, wenn ich sie treffe.“
Aber ich konnte mir Pauls höhnische Lache vorstellen, wenn ich bei diesem Job versagen und mir einen anderen suchen müsste. „Wusst ich’s doch. Du bist eben doch noch ein Hosenscheißer“, würde er sagen. Ohne Mist. Aber ich konnte doch nicht dulden, dass jemand auf mich herabschaute, der eigentlich jünger war als ich.
Hmm ...
„Hör zu, ich gehe zu ihr und wenn es so aussieht, als würde sie mir Ärger machen, kann ich einen meiner Tricks anwenden.“ Das war die Gelegenheit, ein paar Kenntnisse aus meinem früheren Leben anzuwenden. Der perfekte Weg, um ein verwöhntes, zickiges Mädchen dazu zu bringen, auf mich zu hören.
„Ein Trick? Was meinst du?“
Ich gab ihm eine einfache Erklärung. „Wir lassen uns von jemandem aus deinem Haus entführen, wenn ich bei der jungen Herrin bin. Dann werde ich meine Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen sowie meine Magie einsetzen, damit wir beide entkommen und sicher hierher zurückkehren können. So in groben Zügen wäre das der Plan.“
Philip starrte einen Moment lang ins Leere, aber dann dämmerte ihm die Erkenntnis und er nickte. „Höh. Du versuchst, sie dazu zu bringen, dass sie freiwillig was lernen will. Das ist interessant. Aber bist du sicher, dass das klappt?“
„Zumindest ist die Chance höher, als wenn Erwachsene sie dazu zwingen.“
Das war ein häufiger Handlungsstrang in Anime und Manga: Ein Kind, das es hasste zu lernen, lernte die Bedeutung von Bildung kennen, wenn es in etwas hineingeriet, aus dem es nur mit viel Geschick entkommen konnte. Okay, das hier war zwar Familie, aber der Zweck heiligt die Mittel.
„Ist das etwas, das Paul dir beigebracht hat? Als eine der Möglichkeiten, wie man ein Mädchen rumkriegt?“
„Nein. Mein Vater muss nicht so weit gehen, um in der Damenwelt beliebt zu sein.“
„Beliebt, hm ... Pfft.“ Philip brach in Gelächter aus. „Stimmt genau. Er war schon immer beliebt. Er muss nichts tun und die Mädels laufen ihm nach.“
„Jede Person, die er mir bisher vorgestellt hat, war mal eine Geliebte von ihm. Sogar Ghislaine.“
„Ja, ich bin unglaublich neidisch auf ihn.“
„Ich mache mir Sorgen, dass er vielleicht sogar meine Freundin, die ich im Dorf Buena zurückgelassen habe, in die Finger bekommt.“
In dem Moment, als mir diese Worte über die Lippen kamen, überfiel mich Angst. In fünf Jahren ... Sylphie würde in dieser Zeit eine Menge gewachsen sein. Das wäre echt scheiße ... nach Hause zurückzukehren und festzustellen, dass sie mittlerweile zum Harem meines Alten gehörte.
„Nur die Ruhe. Paul interessieren nur große Mädchen.“ Als Philip das sagte, schaute er Ghislaine in der Ecke des Raums an.
„Oh.“ Mir wurde klar, was er meinte. Ghislaine hatte definitiv sehr ... große ... Wenn ich es mir recht überlegte, hatten Zenith und Lilia die auch. Was sie hatten? Na, Titten natürlich!
„Das sollte kein Problem sein, es sind ja nur fünf Jahre. Sie wird vielleicht etwas reifer, aber mit Langohrelfenblut in den Adern bezweifle ich, dass sie je so dicke Dinger kriegt. Selbst Paul ist nicht so ein Wüstling.“
Konnte ich dem trauen? Außerdem, woher wusste er, dass Sylphie zum Teil eine Elfe war? Ich musste also davon ausgehen, dass sie hier alles über meine Zeit in Buena wussten.
„Ich mache mir mehr Sorgen, ob du meine Tochter verführen wirst.“
„Warum machst du dir darüber Sorgen? Ich bin doch erst sieben.“ Das war schon grob, was der da zu mir sagte. Ich hatte nicht vor, irgendetwas zu tun. Und wenn sie sich aus eigenem Antrieb in mich verliebt hätte, wäre das doch nicht meine Schuld.
„In Pauls Brief über dich hat er gesagt, dass er dich wegschickt, weil du zu viel Zeit damit verbringst, an den Mädels rumzuspielen. Ich dachte, das sei nur ein Scherz, aber nachdem ich deinen Plan gehört habe, bin ich da nicht mehr so sicher.“
„Das liegt nur daran, dass ich außer Sylphie keine Freunde hatte.“
Und ich wollte sie mir als meine gehorsame Sklavin erziehen ... Höhöhö, das sage ich natürlich nicht!
Es ist besser, nicht zu sagen, was nicht gesagt werden braucht. Das ging ihn doch sowieso nichts an.
„Mit Reden kommen wir nicht weiter. Du musst meine Tochter kennenlernen. Thomas, bring ihn zu ihr.“ Philip stand auf. Und so habe ich sie schließlich getroffen.
★ ★ ★
Was für ’ne arrogante Ziege. Das war mein erster Gedanke, als ich sie sah. Sie war zwei Jahre älter als ich, ihr Blick war scharf, ihr Haar leicht gelockt. Außerdem war es so purpurrot, dass es aussah, als hätte sie jemand mit einem Eimer Farbe überschüttet.
Mein erster Eindruck von ihr war, dass sie heftig war. Sie würde zweifellos eines Tages eine absolute Schönheit sein, aber man brauchte kein Orakel, um vorherzusehen, dass die meisten Männer mit ihr überfordert sein würden. Masochisten hielten sie vielleicht aus, also so richtig hardcore ... Nun, okay, vielleicht nicht ganz so schlimm.
So oder so, sie war gefährlich. Mein Instinkt schrie mir alle Warnungen entgegen, die man sich vorstellen konnte.
Aber ich konnte ja nicht einfach weglaufen. Stattdessen begrüßte ich sie so, wie Philip es mir aufgetragen hatte. „Gestatten, Rudeus Greyrat. Ich bin hocherfreut, deine Bekanntschaft zu machen.“
„Hmpf!“ Sie warf einen Blick auf mich und schnaubte, genau wie ihr Großvater zuvor. Sie hatte die Arme fest vor der Brust verschränkt und blickte auf mich herab – sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne, da sie größer war als ich. Säuerlich sagte sie „Wollt ihr mich verarschen? Der ist ja jünger als ich! Und trotzdem soll er mich unterrichten? Das ist ja wohl ein schlechter Scherz!“
War so klar. Die Arroganz kam ihr ja praktisch schon aus den Ohren. Aber einfach so ins Bockshorn jagen lassen wollte ich mich allerdings auch nicht. „Ich glaube nicht, dass das Alter etwas damit zu tun hat“, sagte ich.
„Ach ja?! Widersprichst du mir?!“ Ihre Stimme war so schrill, dass mir die Ohren klingelten.
„Was ich sagen will, mein Fräulein, ist, dass es Dinge gibt, die ich kann, du aber nicht.“
In dem Moment, als ich das sagte, stellten sich ihre Haare aufrecht auf, wie bei einem Racheengel. Es war erschreckend, ihre Wut war buchstäblich mit beiden Händen greifbar.
Oh, Mist. Warum muss ich Angst vor einem Mädchen haben, das noch nicht einmal zehn Jahre alt ist?!
„Du bist ganz schön eingebildet, was? Für wen hältst du mich eigentlich?!“
Ich zügelte meine Angst und antwortete. „Na, meine Cousine zweiten Grades, richtig?“
„Zweiten was ...? Was zum Teufel ist das?“
„Das bedeutet, dass mein Vater der Cousin deines Vaters ist. Mit anderen Worten, du bist die Enkelin meines Großonkels.“
„Was redest du da?! Das verstehe ich nicht!“
Vielleicht war das nicht die beste Art, es zu sagen? Vielleicht sollte ich ihr einfach sagen, dass wir verwandt sind. „Du hast doch von Paul gehört, oder?“
„Natürlich nicht!“
„Oh, äh, okay ...“ Das war unerwartet. Offenbar wusste sie nicht, wer er war. Nicht, dass es wirklich wichtig gewesen wäre, wie wir verwandt sind. Viel wichtiger war es, sie zum Reden zu bringen.
Gerade als ich das dachte, klatschte mir schon eine Ohrfeige ins Gesicht.
„Hä, was ...?“ Sie war ohne jede Vorwarnung gekommen. Sie schlug mir einfach ins Gesicht. Leicht verwirrt fragte ich sie: „Wofür war die denn?“
„Weil du so von dir eingenommen bist, obwohl du jünger bist als ich!“
„Das war’s also.“ Meine Wange war heiß, wo sie mich geohrfeigt hatte. Sie brannte.
Das tat weh.
Mein zweiter Eindruck von ihr war also, dass sie ein brutaler Schläger war.
So wie es aussah, hatte ich wohl keine andere Möglichkeit. „Na gut, dann werde ich die Geste erwidern.“
„Was?!“
Ich wartete nicht auf ihre Antwort, sondern retournierte einfach die Ohrfeige. KLATSCH! Das klang jetzt nicht so gut.
Na ja, so stark war die nicht, ich bin ja nicht gewohnt, mich zu prügeln. Aber das passt schon so. Wenigstens hat sie den Schmerz gespürt, beruhigte ich mich.„Verstehst du jetzt ...“
Wie es sich anfühlt, geohrfeigt zu werden, wollteich sagen, aber aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich ihre Haare aufstellten, als sie mit der Faust ausholte. Es war genau die gleiche Pose wie bei einer Nio-Statue, einem der göttlichen und zornigen Wächter des Buddhas.
Und schon fand ihre Faust ihr Ziel. Mein Gesicht. Ihr Bein erwischte mich in dem Moment, als ich das Gleichgewicht verlor. Dann drosch sie mir gegen Brust und drückte mich zu Boden. Sekunden später hockte sie auf mir. Als ich merkte, was los war, hatte sie meine Arme unter ihren Knien eingeklemmt.
Hm? Ich kann mich nicht bewegen? Ich geriet in Panik. „Hey, warte!“
In ihrem Gebrüll ging mein Schreckensschrei glatt unter. „Was glaubst du, gegen wen du gerade die Hand erhoben hast?! Das wirst du noch bereuen!“
Sie schlug weiter auf mich ein, als wäre ihre Faust ein Hammer. „Aua, aua, du tust mir weh! Warte, was, nein, hör auf!“
Ich musste fünf Schläge einstecken, bevor ich es schaffte, mit Magie zu entkommen. Obwohl die Beine unter mir einzuknicken drohten, richtete ich mich auf und holte zum Gegenangriff aus. Ich schlug ihr mit einer Welle von Windmagie ins Gesicht.
„Damit kommst du nicht durch.“ Mein Angriff hatte sie aus der Bahn geworfen, aber das hielt sie nicht einen Moment lang auf. Sie kam mit einem teuflischen Gesichtsausdruck auf mich zugeflogen.
Ich erkannte meinen Fehler in dem Moment, als ich ihr Gesicht sah. Ich stolperte irgendwie los und gab Fersengeld. Sie war nicht die Art junge Geliebte, an die ich gewöhnt war. Sie war nicht der launische, selbstsüchtige Typ, der seine Entscheidungen aufgrund seiner momentanen Gefühlslage traf. Sie war eher wie die kriminelle Protagonistin in einem Manga!
Vielleicht hätte ich ihr mit Magie eine Abreibung verpassen können, aber ich bezweifelte, dass sie dadurch auf mich hören würde. Sie würde ihre Zeit abwarten, um sich zu erholen, und dann ihre Rache zu genießen. Ich könnte sie jedes Mal mit Magie schlagen, aber ihre Entschlossenheit würde nie ins Wanken geraten.
Anders als eine Manga-Protagonistin schien sie kein Problem zu haben, auch mit schmutzigen Tricks zu kämpfen. Sie könnte eine Vase vom oberen Ende der Treppe auf mich werfen oder mir mit einem Holzschwert aus dem Hinterhalt auflauern. Sie würde alles tun, um mir das, was sie erlitten hatte, zehnfach zurückzuzahlen. Wenn sich die Gelegenheit bot, hielt sie sich unter Garantie nicht zurück.
Das war kein Scherz. Ich konnte keine Heilmagie anwenden, weil ich nicht anhalten konnte, um den Zauberspruch zu sprechen. Aber solange wir so weitermachten, würde sie auf keinen Fall auf mich hören. Ich musste sie mit roher Gewalt dazu bringen, mir zuzuhören.
Das war jedoch die einzige Entscheidung, die ich im Moment nicht treffen konnte.
So, jetzt sind wir alle auf dem Laufenden.
★ ★ ★
Erschöpft von ihrer Hetzjagd gab die junge Dame schließlich auf und kehrte in ihr Gemach zurück. Sie hatte es nicht geschafft, mich zu finden, aber viel gefehlt hatte nicht mehr.
Ich fühlte mich wie betäubt, als der rothaarige Dämon an mir vorbeizog. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Hauptrolle in einem Horrorfilm auf diese Weise erleben würde. Völlig erschöpft kehrte ich zu Philip zurück, der mit einem säuerlichen Lächeln im Gesicht auf mich wartete.
„Und, wie ist es gelaufen?“
„Überhaupt nicht“, antwortete ich, den Tränen nahe.
Als sie mich verprügelte, hatte mich tatsächlich Todesangst ergriffen. Es war so lange her, dass ich mich so gefühlt hatte. Na, aber neu war das Gefühl nicht. Es war allerdings nicht so traumatisch, wie es klang.
„Na, gibst du auf?“
„Nein. Tu ich nicht.“ Wie sollte ich auch? Ich hatte doch nichts erreicht. Wenn ich jetzt einen Rückzieher machte, bedeutete das, dass ich für nichts und wieder nichts Dresche eingesteckt hatte. „Ich möchte, dass du mir hilfst, das zu tun, worüber wir vorhin gesprochen haben.“ Ich verbeugte mich vor ihm. Diesem Monstervieh wollte ich zeigen, wo der Hammer hing und was wahre Angst war.
„Geht in Ordnung. Thomas, triff die nötigen Vorbereitungen.“ Der Butler empfahl sich umgehend. Philip sagte: „Du hast wirklich ein paar interessante Ideen.“
„Findest du?“
„Das finde ich. Du bist der einzige Lehrer, der mit einem so ehrgeizigen Plan zu mir gekommen ist.“
„Ich denke aber, dass es effektiv sein wird.“
Trotzdem war ich ein wenig nervös. Würde mein kleiner Trick wirklich bei jemandem mit ihrem Charakter funktionieren?
Phillip zuckte mit den Schultern und sagte: „Wir werden es sehen. Das hängt davon ab, wie hart du arbeitest.“
Natürlich.
Und so wurde unsere Operation ins Rollen gebracht.
★ ★ ★
Ich betrat das Zimmer, das sie mir zugewiesen hatten. Es war exquisit eingerichtet. Es hatte ein großes Bett und andere stark dekorierte Möbel, schöne Vorhänge und ein brandneues Bücherregal. Es fehlten nur noch eine Klimaanlage und ein Computer, dann wäre es ein Paradies für NEETs. Es war ein schönes Zimmer.
Dies war kein Quartier der Dienerschaft, sondern musste ein Gästezimmer sein, das ich dem Namen Greyrat verdankte. Aus irgendeinem Grund waren die meisten Dienstmädchen Tiermenschen. Ich hatte gehört, dass Dämonen in diesem Land diskriminiert wurden, aber bei den Tiermenschen schien das anders zu sein.
„Ah, Paul, du bist vielleicht ein Mistkerl. Da hast du mich ja wirklich ans Ende der Welt geschickt.“
Ich sank auf das Bett und stützte den Kopf in die Hände. Ich hatte pochende Kopfschmerzen, wahrscheinlich eine Nachwirkung der Schläge, die ich hatte einstecken müssen. Ich murmelte einen Spruch, um meine Wunden zu heilen.
„Zumindest ist es immer noch besser als das, was in meinem vorherigen Leben passiert ist.“
Jaa, okay, der Teil, in dem ich verprügelt und aus dem Haus geworfen wurde, war der gleiche. Aber dieses Mal würde alles anders sein. Ich würde nicht einfach in der Kälte stehen bleiben. Es gab einen gewaltigen Unterschied zwischen meiner Gegenwart und meiner Vergangenheit.
Paul würde dafür sorgen. Er hatte bereits für einen Job für mich gesorgt und auch für einen Platz zum Schlafen. Er gab mir sogar etwas Taschengeld. Das war mehr als genug.
Wenn meine früheren Geschwister so viel für mich getan hätten, hätte ich mein Leben vielleicht mal auf die Reihe gekriegt. Wenn sie einen Job für mich gefunden hätten, eine Wohnung für mich, und auf mich aufgepasst hätten, damit ich nicht weglaufe ...
Nein, das wäre nie passiert. Ich war vierunddreißig, ohne jede Arbeitserfahrung. Sie ließen mich im Stich, weil nicht mal sie was mit mir anfangen konnten.
Egal. Eigentlich bezweifle ich, dass ich mich geändert hätte, selbst wenn sie das für mich getan hätten. Ich hätte wahrscheinlich gar nicht erst versucht, Arbeit zu finden. Wenn sie mir meinen Computer, meine einzige Liebe, weggenommen hätten, hätte ich wahrscheinlich nur Selbstmordgedanken gehegt.
Die Dinge waren jetzt anders, weil ich anders war. Weil ich beschlossen hatte, dieses Mal zu arbeiten und Geld zu verdienen. Vielleicht wurde ich in diese Situation gezwungen, aber das Timing war perfekt. Vielleicht hatte ich Paul missverstanden.
„Aber dafür hätte er mich nicht herschicken müssen.“
Was zum Teufel war dieses wutentbrannte Biest überhaupt? In all meinen vierzig Lebensjahren hatte ich so etwas noch nie gesehen. Schrecklich war nicht das richtige Wort dafür. Es war brutal. Gewalttätig. Wie ein explodierender Dampfkochtopf. Schlimm genug, um eine PTBS zu bekommen. Ich habe mir vielleicht ein bisschen in die Hose gemacht.
Während die meisten japanischen Klingen eine stumpfe Seite hatten, war sie wie ein zweischneidiges Schwert. Wie eine Flasche Gift, die überall verschüttet worden war.
Jetzt verstehe ich, warum man sie von der Schule geschmissen hat.
Die Art und Weise, wie sie ihre Fäuste einsetzte, zeugte von Erfahrung. Es waren Fäuste, die es gewohnt waren, Menschen zu schlagen. Es waren Fäuste, die auf Menschen eingeschlagen hatten, egal ob sie sich wehrten oder nicht.
Sie war erst neun Jahre alt und doch schon so geschickt darin, ihre Gegner ohnmächtig zu prügeln. Könnte ich so jemanden wirklich unterrichten?
Ich hatte mit Philip über unseren Plan gesprochen.
Zuerst die Entführung, damit sie einen Vorgeschmack darauf bekam, wie es sich anfühlte, machtlos zu sein. Dann würde ich einspringen und ihr helfen. Auf diese Weise würde sie lernen, mich zu respektieren und gehorsam an meinem Unterricht teilzunehmen. Ein einfacher Plan, aber ich wusste, wie er ablaufen sollte. Solange ich die richtige Reaktion von ihr bekam, würde es laufen wie am Schnürchen.
Wirklich? Sie war viel brutaler, als ich es mir je hätte vorstellen können. Sie brüllte und schrie, bis ihr Gegner den Köder schluckte, und schlug ihn dann zu Brei. Ihre Kampfeslust machte deutlich, wie stark ihr Siegeswille war.
War es möglich, dass sie selbst nach ihrer Entführung völlig unbeeindruckt sein würde? Und dass sie, wenn ich sie retten wollte, völlig unüberrascht sein und sagen würde: „Warum brauchst du so lang, Arschloch?“
Es war möglich. Mit ihr war das definitiv ein möglicher Ausgang des Experiments.
Es war wahrscheinlich, dass sie auf eine Weise reagieren würde, die ich nicht vorhersehen konnte. Also musste ich mich mental auch darauf vorbereiten. Scheitern war keine Option.
Ich hatte mir ausgiebig den Kopf zerbrochen. Ich hatte versucht, mir einen Plan zurechtzulegen, der hundertprozentig zum Erfolg führen musste. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto verworrener wurden meine Gedanken.
„Bitte, lieber Gott, lass diesen Plan funktionieren.“
Schließlich habe ich gebetet. Ich glaubte nicht an Gott und doch wandte ich mich, wie jeder andere Japaner auch, an das Gebet, wenn ich in Schwierigkeiten war.
Bitte, bitte, mach, dass es irgendwie funktioniert.
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich mein wertvolles Höschen in Buena zurückgelassen hatte, und ich weinte. Es gab hier keinen Gott (aka Roxy).
★ ★ ★
NAME: „junge Herrin“
BERUF: Enkelin des Fürsten von Fittoa
PERSÖNLICHKEIT: kämpferisch
BENEHMEN: hört nicht auf das, was man ihr sagt
LESEN/SCHREIBEN: kann ihren eigenen Namen schreiben
Rechnen: kann einstellige Zahlen addieren
MAGIE: keine Ahnung
SCHWERTKUNST: Schwertgott-Stil – Anfänger-Level
ETIKETTE: kann die Begrüßung im Boreas-Stil machen
MENSCHEN, DIE SIE MAG: Großvater, Ghislaine
Als ich die Augen öffnete, fand ich mich in einem kleinen, schmuddeligen Lagerhaus wieder. Durch ein vergittertes Fenster schien die Sonne. Mir tat alles weh, aber soweit ich sagen konnte, hatte ich mir nichts gebrochen. Aber es schadete nicht, für alle Fälle einen Heilzauber zu murmeln.
„Und wieder alles gut.“
Ich war wieder fit. Nicht mal meine Kleider waren zerrissen. Es lief genau nach Plan.
Mein Plan, die junge Dame zu überlisten, sah folgendermaßen aus:
Erster Akt: Mit dem Fräulein in ein Bekleidungsgeschäft in der Stadt gehen.
Sie wird sicher, eigensinnig wie immer, alleine aus dem Laden gehen.
Begleitung durch Ghislaine, wobei diese „versehentlich“ wegschauen wird, wenn das Fräulein den Laden verlässt.
Ihr folgt: Ich, aber da ich sowieso nur ihr Prügelknabe war, spielte ich ja keine Rolle.
Szenenwechsel: Mit mir als Gefolgsmann geht sie an den Stadtrand (denn offenbar sehnte sie sich nach Abenteurern).
Dort: Auftritt des Entführers, unterstützt durch das Haus Greyrat.
Der schlägt uns beide bewusstlos, nimmt uns mit und sperrt uns irgendwo in einer Stadt in der Nähe ein.
Klimax: Flucht durch Magie.
Letzter Akt: Sobald wir raus sind, eröffne ich ihr meine Vermutung, dass wir in einer Nachbarstadt sind.
Mit dem Geld, das ich in meiner Unterwäsche versteckt habe, lassen wir uns mit der Postkutsche nach Hause bringen.