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Claudia ist verliebt in Bernd. Und der doch eigentlich auch in Claudia. Blöd nur, dass er mit Karin verheiratet ist – und keine Anstalten macht, sich von ihr zu trennen. Allmählich hat Claudia das Warten satt. Sie hat keine Lust mehr, nur dienstags und donnerstags einen Mann zu haben, und fasst einen Beschluss: Sie wird die betrogene Gattin besuchen und ihr geradewegs die Wahrheit sagen. Überraschenderweise nimmt die es gelassen. Gerne überlässt sie Claudia den untreuen Bernd, jedoch unter einer Bedingung: Die Schwiegermutter hat einen 'Mädels'-Urlaub im Allgäu gebucht – und den soll nun Claudia mit Änne verbringen. Heimlich. Für Bernd reist nach wie vor die Ehefrau mit seiner Mutter, während er die Geliebte an der Ostsee wähnt. Was wie ein leichter Deal klingt, entpuppt sich schnell als Höllentrip. Das Hotel im Nirgendwo ist belagert von Rentnern. Änne ist eine Diva und macht den anderen Urlaubern und vor allem Claudia das Leben zur Hölle. Erst recht, als sie sich das Bein verrenkt und nur ein Kinderarzt Zeit für sie hat. Claudias einziger Lichtblick ist Paul, der schicke Fitnesstrainer, der sich rührend um ihre Belange kümmert. Während die Damen im Allgäu auf Kollisionskurs gehen, scheint der zu Hause Gebliebene nicht allzu traurig. Jasper und Ela, Claudias Kollegen aus dem Blumenladen, spielen Detektiv. Vergnügt Strohwitwer Bernd sich tatsächlich mit seiner Arbeitskollegin? Um Klarheit zu schaffen, arrangieren Jasper und Ela ein Treffen im Blumenladen. Es kommt zum Showdown … Skurrile Figuren, witzige Dialoge und überraschende Wendungen: In ihrem neuen Roman MUTTI MUSS MIT schickt Silke Porath ihre Protagonistin Claudia auf eine turbulente Reise mit deren schwieriger Schwiegermutter in spe.
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Seitenzahl: 284
Silke Porath
Pour Anne-Marie, ma merveilleuse belle-mêre!
1
»Ein Gentleman ist ein Mann, der wenigstens von Zeit zu Zeit so ist, wie er immer sein sollte.«
VIVIEN LEIGH
Verdammter erster Satz. Die Seite ist immer noch weiß. Und das seit etwa zwei Stunden. Dabei weiß ich doch genau, was ich schreiben will.
Liebe Frau Hornung,
ich bin die Geliebte Ihres Mannes. Wir sind seit fast zwei Jahren zusammen. Sie denken, dass er dienstags und donnerstags zum Squash geht. Pustekuchen! Bernd macht einen ganz anderen Sport. Und das übrigens sehr gut, nebenbei bemerkt.
Ihr Mann will sich schon lange von Ihnen trennen. Aber da Sie ja offensichtlich eine ignorante Zicke sind, haben Sie das nicht bemerkt. Bernd ist ein feiner Kerl, er wollte Ihnen schonend beibringen, dass er Sie verlässt. Aber er weiß nicht, wie er das machen soll. Er ist eben ein bisschen hilflos in manchen Dingen.
Nun, liebe Frau Hornung, suchen Sie sich einen guten Anwalt. Ihr Mann wird sich scheiden lassen.
Hochachtungsvoll,
Claudia Rombach
Eigentlich ganz einfach. Aber ich schaffe es nicht, die paar Sätze aufs Papier zu bringen. Dabei habe ich mir extra dieses schicke Büttenpapier mit den dazu passenden Umschlägen gekauft. Gefüttert, selbstverständlich. Ich habe meinen Füller rausgekramt, schwarze Patronen eingefüllt. Zur Probe Kringel gemalt. Trotzdem ist das Blatt leer. Ich war noch nie wirklich gut darin, etwas zu schreiben. Schon gar nicht, wenn es sein muss. Das ist wie mit der Steuererklärung. Die mache ich erst auf den allerletzten Drücker. Verstehe dann kein Wort von dem, was ich in das Formular eintragen muss, und am Ende schenke ich Vater Staat mein halbes Vermögen. Nur dass ich in diesem Fall nichts verschenken will, im Gegenteil!
Zum siebten Mal stehe ich auf und hole mir in der Küche einen Pott Kaffee. Zum siebten Mal krame ich in der Schublade nach meinen Notfallzigaretten. Und zum siebten Mal gehe ich auf den Balkon und blase Rauchwolken in die Luft. Dabei rauche ich seit zwei Jahren nicht mehr. Bernd mag das nicht. Er raucht nicht, und wenn er wie ein Aschenbecher riecht, wenn er vom »Squash« nach Hause kommt, wirkt das wenig glaubhaft. Aber heute ist Freitag und damit kein Bernd-Tag.
Schließlich gebe ich auf, räume das Briefpapier vom Esstisch und packe alles in die Kommode.
»Das wäre eigentlich dein Job«, motze ich Bernds Foto an. Er lächelt. Ich stupse das kleine Grübchen an seinem Kinn an. Wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich mir einbilden, dass er mir mit seinen grünen Augen zuzwinkert. Das Foto ist eine Vergrößerung. Auf dem Original sieht man im Hintergrund das »Flower Power«, den Blumenladen, in dem ich arbeite. Ich habe das Bild heimlich mit dem Handy gemacht, Bernd mag nicht fotografiert werden. Als er den Abzug in dem silbernen Rahmen auf meiner Kommode entdeckt hatte, war er ein bisschen sauer. Aber nur ein bisschen. Er hat dann schon verstanden, dass ich an Tagen, die kein Dienstag oder Donnerstag sind, auch etwas von ihm bei mir haben möchte.
Mein Handy klingelt. Marlene Dietrich. »Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin …« Das ist der Klingelton für Manuela. Meine beste Freundin und Kollegin aus dem Flower Power.
»Hallo Ela!«
»Na, Süße, bist du fertig?« Ach herrje. Ich schaue auf die Uhr. In einer halben Stunde wollten wir uns am Kino treffen. Vom Winde verweht auf ganz großer Leinwand.
»Scheiße!«
»Was ist los, Claudia? Sag nicht …« Ela klingt ein bisschen wie meine Mutter. Sie kennt mich ja auch mindestens so gut.
»Ela, das tut mir leid! Ich bin noch nicht mal geduscht! Das schaffe ich nie!«
»Wieso hab ich so was nur geahnt?« Meine Freundin seufzt. Mist. Ich wollte ihr wirklich nicht den Abend verderben. Aber zum Filmbeginn schaffe ich es niemals, meine Haare zu machen, mich zu schminken und in Schale zu werfen.
»Ela …« Ich ziehe die Schultern ein und schaue schuldbewusst, obwohl ich weiß, dass sie das ja gar nicht sehen kann.
»Okay. Verstanden. Kino wird nichts.«
»Du, ich mach dir einen Vorschlag. Ich hab doch die DVD. Lass uns die schauen. Komm einfach rüber, ja?«
»Und das Popcorn?« Ela nölt.
»Mach einen Schlenker über den Supermarkt. Die haben noch auf. Wir werfen was in die Pfanne und machen das selbst, schmeckt sowieso besser.«
»Das ist echt typisch«, sagt Ela, aber sie lacht dabei. »Na ja, Sofa ist eh bequemer.« Ich gebe meiner Freundin noch eine kleine Einkaufsliste durch. Dann legen wir auf.
»Guck nicht so«, sage ich zu Bernds Bild. »Das wird ein schöner Mädelsabend!« Er antwortet natürlich nicht, und ich verbiete mir jeden Gedanken daran, was er jetzt wohl gerade macht. Wir sprechen nicht viel über die Tage, die kein Dienstag oder Donnerstag sind. Bernd sagt, er will sein anderes Leben aus unserer Beziehung raushalten. Viel zu erzählen gäbe es wohl auch nicht. Mit seiner Frau, sagt er, redet er nur noch das Nötigste. Sie scheint psychisch ziemlich labil zu sein. Beide sind 46, und seit klar war, dass die Ehe kinderlos bleiben wird, habe Karin sich in sich selbst zurückgezogen. Bernd hat ja immerhin seinen Job als Marketingleiter. Aber seine Frau, die gelernte Erzieherin ist, hat ihren Beruf aufgegeben. Sie könne es nicht ertragen, den ganzen Tag mit Kindern zu spielen, wo sie doch selbst kein eigenes habe.
Die beiden haben alles versucht. Hormonbehandlungen. Akupunktur. Feng-Shui. Ohne Erfolg – und dann waren sie 40 und zu alt für eine Adoption. Seitdem, sagt Bernd, ging es mit der Ehe steil bergab. Zumindest hat Karin vor einem guten Jahr angefangen, wieder Bewerbungen zu schreiben. Ich hoffe sehr, dass sie bald einen Job findet und Bernd die Scheidung einreichen kann.
»Aber in ihrem Alter … und so lange aus dem Job raus …« Bernd ist da weniger optimistisch als ich. Kindergärtnerinnen werden doch immer gesucht. Mittlerweile bin ich richtig gut darin geworden, die Samstagsausgaben nach passenden Stellenangeboten zu durchforsten. Ein gutes Dutzend habe ich Bernd in den letzten Wochen mitgegeben. Irgendwann muss ja mal ein Treffer dabei sein!
Ich flitze schnell ins Bad und binde meine Haare zum Pferdeschwanz hoch. Für einen Mädelsabend absolut ausreichend. Dann sause ich zurück ins Wohnzimmer, fege die Zeitschriften vom Sofa, schüttele die Kissen auf und lege zwei kuschelige Fleecedecken parat. Kurz über den Tisch wischen, neue Teelichter in die kleinen Gläschen stellen, fertig. Ich schaffe es gerade noch, die Weißweinflasche zu entkorken, da schellt es schon. Ela schnauft die Treppe hoch und wedelt mit zwei Einkaufstüten.
»Popcorn, Chips, Schokolade!«, ruft sie fröhlich und drückt mir rechts und links ein Küsschen auf die Wange. Sie riecht nach Vanille und ein bisschen nach Minze. Ela hat denselben Tick wie ich: Unser Parfum darf nicht nach Rosen, Veilchen oder anderen Blumen duften. Wir nehmen unsere Arbeit schließlich nicht mit nach Hause! Deswegen gibt es in meiner Zweizimmerwohnung auch keine Pflanzen. Nicht, weil ich sie nicht mag, im Gegenteil. Aber was mir im Flower Power so gut gelingt (nämlich Blumen und Zimmerpflanzen erstaunlich lange prall und frisch zu halten), misslingt mir zu Hause gründlich. Den letzten Ficus hatte ich nach nur zwei Monaten umgebracht. Exitus wegen Vernachlässigung.
Gemeinsam packen wir die Schätze aus und verteilen den Knabberkram in kleine Schüsseln. Während Ela sich schon mal in ihre Decke kuschelt, lege ich die DVD ein. Dann hüpfe ich zu ihr auf das Sofa, gieße zwei Gläser Wein ein und reiche ihr eines.
»Prost Scarlett!«, hauche ich Ela zu.
»Cheers, Rhett«, schmachtet sie zurück. Ihr Blick fällt auf die Kommode, wo Bernds Foto steht.
»Muss der zugucken?«, fragt Ela und zieht eine Schnute.
»Ach Ela!«, lache ich. »Der tut doch nichts …«
»… ich weiß, der will nur spielen.« Der bissige Unterton ist nicht zu überhören. Ich knurre gespielt und schnappe mir die Schüssel mit den Erdnussflips. Scarlett schwebt über den Bildschirm und ich wünsche mir die Zeit der Korsetts zurück: So eine Taille hätte ich auch gerne. Ich bin zwar nicht dick, aber Größe 40 ist nun mal kein Modelmaß. Eine Weile kauen und schauen Ela und ich schweigend. Als Rhett Butler sich im Kinderzimmer einschließt und um seine tote Tochter trauert, ist mir schlecht. Ela kippt den Rest Weißwein in ihr Glas.
»Pause?«, frage ich. Sie nickt, und ich drücke auf den Knopf der Fernbedienung. Ela verschwindet auf dem Klo. Ich sehe ihr nach. Ihre Jeans sitzt unverschämt perfekt. Sie kann essen, was sie will, Zunehmen ist für Ela ein Fremdwort. Frustriert schiebe ich die halb gegessene Prinzenrolle weg und gehe auf den Balkon. Unten zieht grade eine Horde pubertierender Jungs vorbei. Wahrscheinlich sind sie auf dem Weg in die City. Party machen.
»Na, bist du Luft schnappen?«, will Ela wissen und zündet sich eine Zigarette an.
»Krieg ich auch eine?«
»Was? Du rauchst doch gar nicht mehr!«
»Heute schon«, antworte ich und ziehe eine Marlboro aus Elas Schachtel. Der Rauch kratzt beim ersten Zug im Hals, aber dann ist es, als hätte ich nie aufgehört zu qualmen.
»Bernd?«, fragt Ela und lehnt sich gegen das schmucklose Geländer. Außer zwei Klappstühlen, einem kleinen Tisch und einem Sonnenschirm steht nichts auf meinem Balkon. Geranien würden doch nur sterben.
»Ja«, gestehe ich. Ela verdreht die Augen und schnippt Asche über das Geländer. Sie kennt die Geschichte von Anfang an. Und von Anfang an war sie meine moralische Instanz. Sie weiß von meinen Gewissensbissen, mich in einen verheirateten Mann verliebt zu haben. Meine Sorge, eine Ehe zu zerstören, und meinen Ekel vor mir selbst. Ich wollte nie eine von den Frauen sein, die sich den Mann einer anderen schnappen. Ela hat mich nie verurteilt. Obwohl sie wirklich allen Grund dazu hätte.
*
Es war ein Dienstag im Mai vor zwei Jahren. Eigentlich hatte das Flower Power seit zwei Minuten geschlossen. Jasper, unser Chef, war mit Ela dabei, die Liste für den Einkauf auf dem Großmarkt zu vervollständigen. So kurz nach dem Muttertag waren unsere Bestände ziemlich ausgedünnt. Jasper hatte das Flower Power vor gut zehn Jahren eröffnet. Damals noch mit Felix, seinem Ex. Felix lebte mittlerweile irgendwo an der holländischen Grenze, und Jasper tobte seinen Liebeskummer in Deko-Orgien im Laden aus. Unser Geschäft ist wirklich ein Paradies. Je nach Jahreszeit steht in der Mitte des Ladens eine Gartenbank mit Tischchen, auf dem kostenloses Wasser für die Kunden bereitsteht, die auf ihre Sträuße warten. An Ostern werden die mannshohen Strohhasen zum Blickfang, im Sommer steht mal ein Strandkorb im Verkaufsraum, mal baumelt eine Schaukel von der Decke. Am schönsten ist es an Weihnachten, wenn Jasper den kleinen Marktstand aufbaut und kostenlosen Glühwein ausschenkt, umgeben von Dutzenden weißen und roten Weihnachtssternen in allen Größen.
An jenem Abend war ein dunkelrotes Biedermeier-Sofa der Mittelpunkt des Ladens. Auf den Beistelltischchen lieferten sich große und kleine Rosensträuße ein Duftgefecht. Für die Kunden standen herzförmige Kekse bereit, die Ela und ich zu Hause gebacken hatten. Ich wollte eben die Kasse schließen, als die Tür aufschwang.
»Wir haben schon …«, setzte ich an. Weiter kam ich nicht. Mir blieb die Spucke weg, buchstäblich: Vor mir stand der schönste Mann, den ich je gesehen hatte. Als Erstes fielen mir seine strahlend grünen Augen auf. Meine Oma hatte immer gesagt, ich solle mich vor Jungs mit grünen Augen in Acht nehmen. Aber Oma war seit Jahren tot … und diese Augen einfach magisch. Die schwarzen Haare des Mannes glänzten im Schein der Deckenbeleuchtung aus unzähligen Japanballons und einzelnen Halogenspots. Der dunkelgraue Anzug und die rote Krawatte schienen mehr als edel zu sein.
»Entschuldigung, ich hoffe, ich bekomme noch etwas?« Beim Reden wurde eine Reihe leicht schiefer, aber sehr weißer Zähne sichtbar.
Ja, alles, du kriegst alles von mir!, dachte ich. Sagen konnte ich nichts, sondern nur stumm nicken. Aus dem Büro hörte ich Ela und Jasper kichern und dann darum feilschen, wie viele Sukkulenten wir für die neue Schaufensterdeko bestellen sollten.
»Ja. Ja, natürlich.« Ich musste professionell bleiben, auch wenn mein Herz schneller flatterte als die Dekoschmetterlinge, die überall von der Decke baumelten.
»Ich brauche einen Strauß«, sagte der Mann.
»Für jemand Bestimmten?«, fragte ich.
»Äh. Eine … Frau.« Das kam ziemlich zögernd – und er sah mir dabei tief in die Augen. Ich schluckte und hörte, wie das Gespräch im Büro verstummte. Garantiert hatten Jasper und Ela jetzt Ohren so groß wie Rhabarberblätter. Beide wussten schließlich, dass ich seit über einem Jahr Single war. Während Ela sich mit One-Night-Stands begnügte und Jasper gar keinen Mann mehr wollte, träumte ich von dem einen. Und es könnte ja sein, dass dieser eine gerade vor mir stand.
»Und wie alt ist die Dame?«, hakte ich nach. »Wissen Sie, je nach Alter und Anlass …« Den Rest des Satzes ließ ich in der Schwebe. Er verstand mich auch so.
»Machen Sie was Nettes«, sagte er. »Was mit … Rosen vielleicht? So was?« Er zeigte auf einen der Sträuße, die fertig gebunden waren. Ein Dutzend weiße Celine-Forestier-Rosen mit üppigen Blüten, die ins Rosa tendierten. Ich nahm den Strauß aus der Vase und hielt ihn so, dass das Licht besser darauf fiel. Mein Kunde nickte.
»Nehm ich«, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Es war der größte und teuerste Strauß – fast 80 Euro, weil Jasper neben den Rosen und den glänzenden grünen Blättern noch Schmetterlinge aus Muranoglas eingearbeitet hatte. Ich ging zur Kasse, wickelte den Strauß in Folie und nannte den Preis. Die ganze Zeit über sah der Mann mich an, und ich spürte seinen Blick so intensiv, als klebten seine Augen direkt auf meiner Haut. Er reichte mir seine Karte, und ich zog sie durch das Gerät. Der Beleg ratterte heraus. Ich schob ihn über den Tresen, und als er nach dem Kugelschreiber griff, berührten sich unsere Finger. Es war ein Wunder, dass keiner die Funken sah, die da zu fliegen schienen! Er unterschrieb den Beleg, steckte seine Karte ein und griff nach dem Strauß.
»Dann … auf Wiedersehen«, sagte er und lächelte.
»Auf Wiedersehen«, stammelte ich zurück. Er wandte sich langsam um. Als die Ladentür hinter ihm zugefallen war, ertönten hinter mir zwei Pfiffe.
»Wuuhaaaa«, machte Jasper.
»Huihuihui«, rief Ela. Beide warfen mir Kusshände zu und grinsten.
Ich starrte auf den Abbuchungsbeleg und flüsterte leise den Namen, der darauf stand. Bernd Hornung.
Eine gute Woche später kam er wieder. Wieder kurz vor Ladenschluss. Und wieder kaufte er einen der bereits fertigen Sträuße, dieses Mal sieben weiße Calla. Beim dritten Mal musste ich mich gegen Jasper durchsetzen, der Bernd bedienen wollte. Und beim vierten Mal lud er mich auf eine Tasse Kaffee ein. Das war’s. Seitdem ist Dienstag und Donnerstag Bernd-Tag. Und Karin, seine Frau, bekommt mindestens einmal die Woche Blumen.
*
Ein Pfiff unten auf der Straße holt mich zurück ins Hier und Heute. Einer von der Jungstruppe war wohl spät dran und rennt jetzt seinen Kumpels hinterher.
»Immer noch die alte Leier?«, will Ela wissen.
»Das ist keine Leier«, erkläre ich zum hundertsten Mal. »Er kann sie nicht einfach so sitzen lassen.«
»Das ehrt ihn wirklich«, kontert Ela. Ihre Stimme trieft vor Ironie. Sie hält nichts von Fremdgehern. Ich übrigens auch nicht. Was die Sache für mich auch nicht einfacher macht.
»Ich wette, die Gute weiß gar nicht, dass ihr Berndilein nicht Squash spielt.«
»Natürlich weiß sie das nicht! Bernd will einen sauberen Schnitt machen, wenn es so weit ist. Er will nicht vorher ein wochenlanges Drama haben.«
»Toller Kerl«, brummt Ela und schnippt ihre Kippe auf die Straße. Ich ziehe noch mal an meiner, dann schmeiße ich sie auch nach unten.
»Du gehst doch langsam vor die Hunde«, stellt meine Freundin fest. »Zwei Mal in der Woche darfst du die Liebste sein, und den Rest verbringst du mit Warten.«
»Das stimmt so nicht«, entgegne ich lahm. Denn eigentlich hat Ela recht. Mein Universum kreist seit beinahe zwei Jahren um diese beiden Wochentage. Natürlich kann ich mich auch ganz gut alleine beschäftigen, und es hat durchaus seine Vorteile, wenn man den einen oder anderen Abend alleine ist und in aller Ruhe Quarkmasken auftragen oder die Bikinizone enthaaren kann. Dennoch will ich einen Mann für mich alleine. Immer. Nicht nur am Dienstag oder am Donnerstag.
»Ich habe ihr einen Brief geschrieben«, sage ich ein bisschen trotzig.«
»Wem?«
»Seiner Frau.«
»Und?« Ela sieht mich erwartungsvoll an.
»Er ist nicht fertig. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich schreiben soll.«
»Du Schaf.« Meine Freundin legt mir den Arm um die Schulter. »Dann sag es ihr eben.«
»Ich soll sie anrufen?«
Ela schüttelt den Kopf. »Nein, die würde sofort wieder auflegen. Du musst hingehen. Persönlich.«
»Ich soll … sie besuchen?«, frage ich matt. Allein beim Gedanken daran wird mir übel.
»Ja. Genau das machst du. Spielt Bernd samstags nicht immer Tennis?«
Ich nicke.
»Fein.« Ela schaut auf die Uhr. »Dann haben wir ab jetzt etwa 16 Stunden, um dich für den perfekten Auftritt bei Bernds Frauchen zu tunen!«
2
»»Ob nicht jede Frau das natürliche Recht hat, einmal in ihrem Leben auch die Geliebte eines vollkommen schönen Mannes zu sein?«
ARTHUR SCHNITZLER
Ela hat ganze Arbeit geleistet. Ich sehe so sexy und selbstbewusst aus wie eine von den Frauen, die bei uns im Laden Blumen für ihren Mann kaufen. Oder für sich selbst, wenn sie keine Zeit haben, sich einen Mann zu suchen. Die Feuchtigkeitsmaske aus Quark, Honig und pürierten Gurken habe ich über Nacht einwirken lassen. Mein Kopfkissen sieht zwar aus wie ein bekleckerter Latz, dafür ist meine Haut glatt wie ein Babypo. Aus meinem mickrigen Make-up-Fundus (ich brauche ja nur zwei Mal in der Woche Schminke) und dem, was Ela in ihrer übergroßen Handtasche so mit sich rumschleppt, hat sie eine Kriegsbemalung auf mein Gesicht gezaubert, dass ich nur staunen kann. Ela ist eine von den Frauen, die all das in ihrer Tasche haben, was sie für eine plötzliche Flucht außer Landes brauchen würden. Mascara, Lidschatten und Puder, Lipgloss, Parfumpröbchen. Sie hat alles benutzt – und ich sehe fantastisch aus. Nämlich eigentlich gar nicht geschminkt. Natürliche Schönheit bei anderen Frauen macht jedes Weib neidisch. Und das soll Karin ja auch sein: Sie soll auf den ersten Blick sehen, dass sie gegen mich sowieso keine Chance hat.
Bernd hat in seiner Brieftasche ein Foto von Karin. Das ist allerdings mindestens zehn Jahre alt, sagt er. Es ist schon reichlich zerknickt und ein bisschen ausgebleicht. Sie hat darauf schulterlange blonde Haare und sieht, wie ich zugeben muss, Bombe aus: volle rote Lippen, glasklare blaue Kulleraugen und eine süße Stupsnase. Ich habe versucht, im Geist zehn Jahre dazuzuzählen, ihr Krähenfüße, einen Truthahnhals und 20 Kilo mehr anzudichten. Denn laut Bernd hat sie sich ziemlich gehen lassen, seit klar war, dass sie nie Mutter wird. Frustschokolade und so, ich kann sie verstehen.
Ela bestand darauf, dass ich das rote Jackett zur engen Jeans anziehe. Darunter ein weißes Top. Rot sei die Farbe der Sieger, erklärte mir Ela. Dazu die hohen Pumps, die Haare hochgesteckt, die schmale Perlenkette, die Bernd mir zu Weihnachten geschenkt hat. Ich sehe aus wie eine Avon-Beraterin, finde ich. Ela findet mich seriös und kraftvoll.
Aber davon spüre ich nichts, als ich in Bernds Straße einbiege. Zum allerersten Mal fahre ich nicht leicht geduckt am Haus vorbei, sondern halte nach einer Parklücke Ausschau. Zum Glück scheinen die Anwohner alle Garagen zu haben oder Carports, denn die eingezeichneten Parkplätze längs des Gehwegs sind zum großen Teil frei. Ich entscheide mich für eine Lücke schräg gegenüber und mache den Motor aus. Mein Herz wummert, als sei ich eben sieben Stockwerke am Stück hochgerannt. Mein Hals ist trocken und meine Hände zittern. Ich wühle in meiner Handtasche nach dem kleinen Taschenspiegel.
»Du siehst toll aus«, ermuntere ich mich selbst. Ich klappe den Spiegel zu und pfeffere ihn zurück in die Tasche. Aus der Seitenablage grabbele ich ein Minzbonbon und schiebe es mir in den Mund. Dann öffne ich die Autotür und steige aus. Die Luft riecht nach frisch gemähtem Gras und Grillkohle. Es ist der typische Einfamilienhaus-Geruch. In einem Garten toben Kinder. Eine Katze marschiert mit hoch erhobenem Schwanz an mir vorbei.
»Jetzt bloß nicht den Schwanz einziehen, Claudia!«, befehle ich mir selbst, straffe die Schultern und gehe zu Bernds Haus. Es ist eines dieser Siedlungshäuschen aus den 50ern. Bernds Elternhaus, wie er mir erzählt hat. Nach dem Tod des Vaters ein Jahr nach Bernds Hochzeit ist die Mutter in ein Apartment in der Innenstadt gezogen und hat dem jungen Paar das Haus überlassen. Das Dach müsste mal gemacht werden, aber der Putz ist neu, das Häuschen wurde vor ein paar Jahren gedämmt und hat neue Fenster bekommen. Ich mache das niedrige Gartentor auf, welches rechts und links von zwei gemauerten Türmchen flankiert wird. Auf beiden stehen Engel aus Terrakotta. Die Waschbetonplatten, die zur Haustür führen, sehen aus, als ob sie noch zur Erstausstattung gehören würden. Aber die Beetstreifen längs des Wegs sind gepflegt. Die Rosen stehen in Reih und Glied, kein Unkraut ist zu sehen. Karin wühlt gern im Garten, sagt Bernd. Frustabbau. Den Pflanzen bekommt ihre schlechte Laune. Die Floristin in mir nickt anerkennend. Die Geliebte allerdings hat Herzrasen und ihr ist schlecht.
Was mache ich hier?, frage ich mich selbst. – Du bist dabei, eine Ehe zu zerstören, mault mein innerer Schweinehund. – Die ist schon lange kaputt, ich beschleunige es nur ein bisschen, halte ich dagegen. – So eine bist du also, eine ganz miese Tussi, die anderen den Mann ausspannt …
Halt die Klappe! Bevor meine innere Stimme mich weiter an mein schlechtes Gewissen erinnern kann, drücke ich auf die Klingel. Ein metallisches Dingdong ertönt im Haus. Der Lack an der braun gestrichenen Tür ist ein bisschen bröselig, und das Milchglas hat einen kleinen Riss. Die Tür muss noch ersetzt werden, hat Bernd mir erzählt. Karin wollte eine weiße Kunststofftür, weil die einfacher zu reinigen sei, Bernd eine aus Echtholz. Ganz offensichtlich haben sie sich noch nicht geeinigt, denke ich und lausche. Von innen sind Schritte zu hören. Sie kommen näher. Mir steigt die Galle hoch, so nervös bin ich. Bitte nicht auf den Fußabstreifer aus Kokos kotzen, befehle ich mir selbst, als die Tür aufschwingt.
»Ja bitte?« Holy shit! Die ist ja noch älter, als ich dachte: Von den kullerblauen Augen ist nicht mehr viel zu sehen, die verschwinden beinahe komplett unter den grün geschminkten Schlupflidern. Der Hals ist faltiger als mein Bettzeug nach Bernds Besuchen, und um den (zugegeben immer noch schönen) Mund haben sich tiefe Falten eingegraben. Mein schlechtes Gewissen verfliegt in Sekundenbruchteilen: Bei so einem Drachen würde ich auch fremdgehen!
»Guten Tag«, räuspere ich mich. Mein Herzschlag verlangsamt sich, und mit einem Mal bin ich ganz, ganz ruhig. Wie eine Bombe, die ausgetickt hat und einen Augenblick schweigt, ehe sie hochgeht. »Ich muss mit Ihnen reden.«
»Sind Sie die neue Nachbarin?«, knarzt die Frau des Hauses mich an. »Wird ja auch Zeit, dass Sie sich mal vorstellen. Ihre Kinder sind ja nicht zu überhören!«
»Nein, ich habe keine Kinder!«, falle ich ihr ins Wort. Noch nicht. Denke ich. Hole Luft und platze heraus: »Ich … also … ich bin die Geliebte Ihres Mannes.« Puh! Jetzt ist es raus!
Mein Gegenüber klappt den Mund auf. Starrt mich an. Blinzelt und streicht sich dann mit der rechten Hand die offensichtlich mit viel Spray behandelten und blondierten Haare aus der Stirn. Die dicken Plastikreifen an ihrem Arm klappern.
»Ach.«
Wenn sie erstaunt ist, lässt sie sich nichts anmerken. Oder ist sie wirklich so kalt, wie Bernd immer erzählt? Ich habe manchmal schon den Eindruck, dass er ein bisschen übertreibt – dass er mit einem Kühlschrank zusammenlebt, kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Aber ich sage nie etwas dazu.
»Wir haben seit zwei Jahren ein Verhältnis«, setze ich nach.
»Interessant. Und sehr speziell.« Sie grinst mich doch tatsächlich an!
»Wie, speziell?«, frage ich.
»Nun, meine Liebe, mein Mann ist seit Jahren tot. Da müssen Sie wirklich abartige Vorlieben haben!«
Tot? Quatsch! Bernd ist quicklebendig. Oder lebt sie in einer Fantasiewelt? Ich schiele auf das Namensschild neben der Klingel. Nein, das ist nicht das falsche Haus.
»Also … nein!«, sage ich. »Der ist sehr lebendig!«
»Aha«, sagt sie und wendet sich um. »Karin! Da ist jemand für dich!«
Ach. Du. Heilige. Scheiße. Das ist gar nicht Bernds Frau! Mir wird flau. Am liebsten würde ich auf der Stelle kehrtmachen und davonrennen. Aber erstens geht das mit meinen Pumps schlecht, und zweitens taucht jetzt die echte Karin auf. Und die ist alles andere als verwelkt: Sie hat kullerblaue Augen (mit ein paar Krähenfüßen, aber die sind kaum zu sehen), pralle Lippen und seidig glänzendes Blondhaar. Sie hat eine Schürze umgebunden und bringt den Geruch nach frischem Kuchenteig mit.
»Die Dame will zu dir«, sagt die Ältere. »Ich geh wieder auf die Terrasse. Bring mir bitte in einer halben Stunde einen Eistee.« Spricht’s und stöckelt davon.
»Ja, Änne«, sagt Karin matt. Änne! Das war Bernds Mutter! Mir wird so heiß, dass ich denke, mein Kopf platzt gleich. Wie peinlich war das denn eben?
»Was kann ich für Sie tun?«, fragt mich Karin und lächelt. Sie hat wunderschöne Zähne, denke ich und schäme mich auf der Stelle für meine krummen Beißer. Als Kind hatte ich zwar eine lose Zahnspange, aber die lag meistens unbenutzt auf den Nachttisch. Ich habe mich schon oft über mich selbst geärgert, weil ich meine Zähne damals so vernachlässigt habe. Aber noch nie war ich so sauer auf mich selbst wie in diesem Moment. Dabei ist das doch Quatsch, sage ich zu mir selbst, in diesem Spiel habe eindeutig ich die besseren Karten!
»Kann ich reinkommen?«, höre ich mich selbst sagen. Noch einen Auftritt an der Haustür will ich nicht hinlegen. Rausschmeißen kann sie mich ja immer noch.
»Bitte!« Karin tritt zur Seite und lässt mich herein. »Wir können in die Küche gehen. Ich habe grade Kaffee aufgesetzt.« Sie geht voran, und ich frage mich, ob sie teure Shapewear unter der Jeans trägt – von dem Brauereigaularsch, wie Bernd sagte, ist nichts zu sehen. Im Gegenteil, Karins Hintern scheint ziemlich fest und rund zu sein.
Die Küche ist wunderschön. Ein grober Holztisch dominiert den Raum. Eine Schale mit roten und grünen Äpfeln steht auf dem Tisch. Karin geht zur Spüle und kippt Wasser aus dem Teekessel in den Filter über einer bauchigen Kanne. Bernd sagte mir mal, dass sie den Kaffee von Hand brüht. Es riecht so stark nach frisch gemahlenen Bohnen, wie ich das sonst nur aus dem Coffeeshop kenne.
»Setzen Sie sich«, sagt Karin freundlich und bindet sich die Schürze ab. Im chromglänzenden Backofen ist das Licht an, und ich sehe eine Gugelhupfform. »Der Kuchen ist leider noch nicht fertig«, meint die Hausfrau entschuldigend.
Sie stellt zwei Tassen auf den Tisch, ein mit Blumen verziertes Milchkännchen und eine ebensolche Zuckerdose. Dann nimmt sie den Porzellanfilter von der Kanne und gießt den Kaffee ein. Sie trinkt ihren schwarz, ich rühre Sahne und Zucker in meinen. Zucker mag ich eigentlich nicht im Kaffee, aber ich muss irgendetwas tun, um meine Nervosität zu bekämpfen. Ich lasse den Blick schweifen.
»Schön haben Sie es hier«, sage ich und stelle mir vor, wie Bernd am Morgen in die Küche kommt. Vielleicht sitzt er genau an dem Platz, wo ich jetzt sitze? Ich straffe die Schultern.
»Frau Hornung, ich muss mit Ihnen reden«, beginne ich und stelle die Tasse ab.
»Ja?«
»Ich … kenne Ihren Mann. Ziemlich gut sogar.«
Karin sieht mich unverwandt an.
»Ja.«
»Also, besser, als Sie denken.« Verdammt, Claudia, komm auf den Punkt!
»Sie sind seine Freundin«, stellt Karin fest und nickt. »Ich habe mich gefragt, wie lange es dauert, bis Sie kommen.«
Wumms.
Ich falle in mich zusammen wie ein Luftballon, den man mit einer Nadel gepikst hat. Die Frau weiß Bescheid!
»Ich … also …«, stottere ich.
»Dienstag und Donnerstag. Ich bin nicht blöd«, sagt Karin ruhig.
»Aber …«, will ich sagen, doch sie fällt mir ins Wort.
»Bernd kann zwar gut lügen, aber wenn seine Squashklamotten nach dem Sport immer noch frisch und unbenutzt in der Tasche liegen …«
Oh. Nein. Wie blöd kann ein Mann sein? Und wie doof bin ich? Das hätte uns doch mal einfallen können … ich weiß doch, dass Karin die Wäsche macht!
»Schön blöd, nicht wahr?«, sagt Karin und spielt mit ihrer Tasse. »Wie lange geht das schon so?«
»Zwei Jahre«, flüstere ich. »Es tut mir leid …« Und das tut es wirklich. Mein schlechtes Gewissen kommt wie ein Hammerschlag. Am liebsten würde ich heulen und gehen. Alles ungeschehen machen. Die Zeit zurückdrehen, wenigstens um eine halbe Stunde.
»Es tut Ihnen leid?« Karin sieht mich verwundert an.
»Ich bin keine von den Frauen … also … ich wusste nicht, dass Bernd verheiratet ist. Wirklich nicht.«
»Das glaube ich Ihnen sogar«, antwortet Karin. »Darf ich wissen, woher Sie ihn kennen?«
»Aus dem Laden. Also, ich arbeite im Flower Power.«
»Daher die vielen Blumen!« Karin schüttelt den Kopf. »Ich wusste doch, dass da was nicht stimmen kann, wenn er mir dauernd Blumen schenkt.« Ich muss ihr leider recht geben. Sehr viele Männer, die bei uns einkaufen, haben ein schlechtes Gewissen. Und je größer und teurer der Strauß, desto schlimmer steht es um die Ehe. Bei den meisten jedenfalls. Die Fälle, in denen ein Mann seiner Frau einfach so und aus Liebe rote Rosen kauft, sind selten. Und meistens kaufen diese Männer dann die eher bescheidenen Sträuße.
Wir schweigen beide. Ich starre auf den Tisch und versuche, im zerkratzten Holz Muster zu erkennen. Die Eieruhr tickt, und der Ofen brummt leise. Schließlich räuspert sich Karin.
»Und wie soll das jetzt weitergehen?«, fragt sie unverblümt. Ich weiß es nicht. Nicht mehr. Die Frau, die hier sitzt, ist ganz anders, als Bernd sie mir beschrieben hat. Sie ist weder ungepflegt noch fett und zickig. Sie ist eine ganz normale nette Frau.
»Ich weiß es nicht«, gebe ich zu.
»Lieben Sie meinen Mann?«
»Ja. Ich glaube schon.« Sonst wäre ich kaum hier, denke ich. Es ist ja nicht so, dass das hier ein Spaziergang ist, und wenn ich mir keine Zukunft mit Bernd vorstellen könnte, hätte ich ihn längst in den Wind geschrieben.
»Karin! Kaaaariiiin!«, kommt die schrille Stimme von Änne aus dem Garten. »Mein Eistee!«
Karin seufzt. Sie steht auf, geht zum Kühlschrank und nimmt eine Glaskaraffe heraus. Die stellt sie mit einem Glas, in dem ein Strohhalm steckt, auf ein Tablett.
»Karin!!!«
Bernds Frau nimmt das Tablett und geht aus der Küche. Ich atme auf – allerdings kommt sie nach zwei Sekunden wieder zurück, das Tablett mit der Teekanne noch immer in den Händen.
»Wissen Sie was«, sagt sie und lächelt. »Ich habe da eine Idee.«
3
»Des Mannes Mutter, der Frauen Teufel.«
SPRICHWORT
»Du sollst was?« Ela reißt die Augen auf. Jasper schüttelt ungläubig den Kopf.
»Ich soll mit Bernds Mutter Urlaub machen«, wiederhole ich. Mein Chef zeigt mir einen Vogel. Weil es regnet, machen wir heute Mittagspause im Laden. Ela und ich sitzen im Strandkorb, der die Ladenmitte ziert, und mümmeln unseren Salat mit Putenbruststreifen. Jasper fläzt im Liegestuhl und pfeift sich schon die dritte Rosinenschnecke rein.
»Ich hab auch erst gedacht, dass ich nicht richtig höre«, gestehe ich. Mir kommt das selbst so irreal vor, dass ich den Samstagabend und den ganzen Sonntag gebraucht habe, um es zu verdauen. Ela war ein bisschen stinkig heute Morgen, als ich in den Laden kam. Sie hat hundert Mal versucht, mich anzurufen – aber ich hatte das Handy ausgeschaltet. Manchmal brauche ich Zeit für mich ganz alleine. Stunden, in denen ich mich selbst von der Außenwelt abschneide. Mich in die Wanne lege, Löcher an die Decke starre und nachdenke. Meistens rede ich über meine Probleme und wälze sie stundenlang mit Ela. Aber immer geht das nicht. Das ist dann so, als ob mir jemand den Stecker zieht und ich in einem Kokon sitze, in dem ich mich selbst nicht mehr auskenne. Das sind die Momente, in denen ich meinen Vorrat an Badeperlen und -zusätzen plündere. Ich habe ziemlich lange gebadet gestern. Erst mit Kokosschaum. Dann, nach einem Nickerchen auf der Couch, mit dem sündhaft teuren orientalischen Öl. Jetzt bin ich bereit, meinen Freunden den Plan zu erklären.
»Karin ist eigentlich ganz nett«, beginne ich.
»Das hab ich befürchtet«, knurrt Jasper.
»So nett nun auch wieder nicht, dass ich ihr Bernd überlasse«, motze ich zurück.
»Genau das wollte ich hören!« Ela grinst und schiebt sich ein Blatt Ackersalat in den Mund. »Aber jetzt mal von vorne.«
»Also, ich habe mit Karin gesprochen. Und sie hat da so eine Idee.« Jasper setzt sich auf und beugt sich zu mir, damit er ja kein Wort verpasst. Ela vergisst irgendwann mitten in meiner Erzählung, dass sie einen Putenbruststreifen auf die Plastikgabel gepikst hat. Das Fleischstück schwebt auf halber Höhe zwischen der Schale und ihrem Mund.
Karin hatte nämlich mich gebeten, den so dringend verlangten Eistee zu Änne auf die Terrasse zu bringen.
»Geradeaus durch das Wohnzimmer, das können Sie nicht verfehlen!«
Ich nahm also das Tablett und machte mich auf den Weg. Das Wohnzimmer war genau so eingerichtet, wie ich es mir bei einer Spießerfamilie vorgestellt hatte: eine durchgesessene, urgemütliche Couch von Ikea, dazu helle Holzmöbel und an den Wänden Aquarelle. Eine Seite des Raumes war mit Bücherregalen vollgestellt. Davor stand ein Schaukelstuhl, der mindestens hundert Jahre auf dem Buckel haben musste. Auf den Fensterbrettern wetteiferten die Orchideen miteinander um die schönsten Blüten, und die Fernbedienung lag ordentlich geparkt neben dem Fernseher. Ich muss meine Fernbedienung immer suchen. Mal rutscht sie zwischen die Couchkissen, mal liegt sie unter dem Sofa, und einmal war sie drei Tage lang verschwunden, ehe ich sie im Schuhschrank wiedergefunden habe. Keine Ahnung, wie die da reinkam.
Die Terrasse lag etwas erhöht über dem Garten. Ein runder Tisch mit vier Stühlen, auf denen gelb geblümte Polster lagen, wurde von einem gelben Sonnenschirm beschattet. Daneben stand ein Deckchair – genau so eine Liege, wie ich sie gerne hätte. Aber auf meinem Balkon hätte so ein Teil niemals Platz. Auf dem Liegestuhl lag Änne, die Augen hinter einer übergroßen Sonnenbrille verborgen, die ihr das Aussehen einer Stubenfliege verlieh.
»Stell es hierhin«, sagte sie, als sie meine Schritte hörte. Die kleine Ablage der Liege war ausgeklappt, darauf lag ein Kreuzworträtselheft.
»Ich bin es, nicht Karin«, sagte ich. Änne hob die Sonnenbrille an und musterte mich von unten.
»Ach, das Liebchen.«