My little Voice, Dean and me - Karlie Lennox - E-Book

My little Voice, Dean and me E-Book

Karlie Lennox

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Beschreibung

Sechsundzwanzig, Studium abgeschlossen und keinen Plan, wie es weitergehen soll? Willkommen in Zoes Welt! Also packt sie ihre Sachen und geht für ein Jahrespraktikum in die Vereinigten Staaten, wo prompt das passiert, was sie um jeden Preis vermeiden wollte: Zoe verliebt sich. Und das ausgerechnet in ihren Mitbewohner Dean, den leidenschaftlichen Sammler von Frauentrophäen schlechthin. Natürlich geht auch Zoe ihm ins Netz. Es ist der Auftakt einer wilden Romanze, die die beiden sogar auf eine unglaubliche Reise durch den Westen der USA führt. Immer mit an Bord: Zoes kleines Ich, ihre innere Stimme, die liebend gern ihren Senf dazu gibt. Aber was sich tatsächlich hinter Deans Pokerface verbirgt, kann auch Zoes Minikopie nicht im Entferntesten erahnen.

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Für Karlchen

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

1

Langsam öffnete Zoe die Augen. Es war ihr tatsächlich gelungen, in dem engen Sitz zu schlafen. Während sie sich aus der dünnen Decke wickelte, streckte sie ihre müden Glieder. Blinzelnd rutschte sie an das kleine Fenster. Der Pilot hatte bereits den Sinkflug eingeleitet, sodass sie ihre Nase an die Scheibe presste, um auf die Miniaturwelt zu blicken, die allmählich näher kam.

Bald würde ihr Abenteuer beginnen, auf das sie sich Hals über Kopf eingelassen hatte. Ob es wirklich die richtige Entscheidung gewesen war?

Sie ließ sich in ihren Sitz zurückfallen und kaute auf der Unterlippe. Normalerweise war sie ein Mensch, der jeden Schritt wohl durchdachte. Doch die Entscheidung, für ein Jahr in die Vereinigten Staaten zu gehen, hatte sie aus dem Bauch heraus getroffen.

Unmittelbar flammte die Unterhaltung, die sie nur wenige Wochen vor Beginn der spannenden Reise ins Unbekannte mit ihrer Mutter geführt hatte, vor ihrem inneren Auge auf.

»Ich muss einfach hier raus«, hatte Zoe gesagt, während Mama im Wohnzimmer auf und ab gelaufen war.

»Meinst du wirklich, dass das das Richtige für dich ist? Denk dran, du fliegst nicht mal eben für zwei Wochen in den Urlaub. Du gehst für ein ganzes Jahr in ein völlig fremdes Land, das nicht unbedingt um die Ecke liegt und in dem du auf dich gestellt sein wirst.« Ihre Mutter fuhr sich durch das mahagonifarbene Haar. »Wer weiß, ob das Praktikum überhaupt etwas für dich ist, ob es überhaupt real ist. Vielleicht ist das alles nur eine miese Masche, um junge Frauen anzulocken.« Rote Flecken breiteten sich auf ihren Wangen aus. »Und niemand kann dir sagen, was das für Menschen sind, bei denen du wohnen wirst. Im Internet sehen immer alle nett aus.«

Zoe hatte sich zu ihr hinüber gelehnt. Sie wusste, dass ihre Mutter immer cool blieb. Doch diesmal wohl nicht. Diesmal malte sie die Dinge mit viel Fantasie aus, zu viel Fantasie. »Mama, das wird schon alles klappen.« Sie nickte ihrer Mutter überzeugt zu. »Ich habe mich auf seriösen Seiten umgeschaut. Du weißt doch, dass ich bei solchen Sachen immer vorsichtig bin.«

Ihre Mutter hatte bei diesen Worten durchgeatmet. »Du bist immer gut vorbereitet, das weiß ich.« Sie blickte Zoe an. »Aber das ging jetzt alles so schnell. Ich möchte nicht, dass du deine Entscheidung in ein paar Wochen bereust und nach Hause möchtest, weil nichts so läuft, wie du es dir vorgestellt hast … Wie gesagt, du wirst Tausende Kilometer entfernt sein. Du kannst dich nicht in ein Auto setzen und mal eben losfahren. So ein Flugticket kostet richtig was.«

Zoe hatte einen Moment nachgedacht. »Das kann natürlich passieren. Aber dann muss ich so lange durchhalten, bis ich das Geld zusammen habe.« Sie grinste. »Irgendwas würde mir schon einfallen. Du kennst mich doch.« Sie war vom Sofa aufgesprungen, um einen Arm um die Schultern ihrer Mutter zu legen. »Mama, wenn ich das jetzt nicht mache, wird das nie was. Noch bin ich jung und ungebunden.« Sie zwinkerte ihr zu. »Ist ja nicht so, dass ich komplett überstürzt dahin fliege.«

Ihr letzter Satz hatte ihre Mutter die Augenbrauen hochziehen lassen.

»Okay, ein wenig überstürzt ist es dann doch.« Zoe lächelte. »Aber ich habe mir ja schon vorher immer wieder Gedanken gemacht.«

Ihr Optimismus hatte es scheinbar geschafft, ihre Mutter zu beruhigen. Sie hatte geseufzt und Zoe an sich gezogen. »Ich wäre gern so mutig wie du. Ich bin mir sicher, dass dieses Jahr eine wertvolle Erfahrung für dich sein wird. Aber«, sie strich über Zoes Rücken, »ich mache mir halt auch Sorgen.«

»Das merke ich.« Schmunzelnd hatte Zoe nach den Händen ihrer Mutter gegriffen. Sie setzte einen festen Blick auf und versuchte, alle Überzeugung in ihre Stimme zu legen, die sie in diesem Augenblick auftreiben konnte. »Wird schon schiefgehen!«

Das Flugzeug senkte sich ruckartig und presste Zoe in ihren Sitz, sodass sie aus ihrer gedanklichen Unterhaltung gerissen wurde.

Derweil der Pilot zur Landung ansetzte, stieg pure Aufregung in ihr hoch. Nun gab es wirklich kein Zurück mehr.

Ihr Abenteuer USA würde genau jetzt beginnen.

2

Zwei Stunden waren seit der Landung vergangen und Zoe irrte noch immer im Flughafen von Sacramento umher. Die Prozedur der Einreisekontrolle hatte unglaublich viel Zeit verschlungen. Das Warten in der scheinbar endlosen Schlange und die Suche nach der Gepäckausgabe waren ihr wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen.

Das nächste Problem ließ nicht lange auf sich warten. Wo war der Ausgang? Und wo wartete Tom auf sie? Würde sie ihn erkennen?

Wird er überhaupt kommen?

Bei der Frage ihres kleinen Ichs bekam Zoe Muffensausen, zumal Tom eine entscheidende Rolle für sie spielte. Er sollte einer ihrer beiden zukünftigen Mitbewohner sein, die sie damals auf einer Seite im Internet entdeckt hatte.

Wer oder was sie tatsächlich erwarten würde? Sie hatte keine Ahnung. Vor ein paar Monaten war sie so versessen darauf gewesen, dieses Auslandsjahr durchzuziehen, dass sie wahrscheinlich jede sich bietende WG genommen hätte. Doch nun kroch der leise Zweifel in ihr hoch, ob das wirklich die beste Idee gewesen war.

In ihrem Gedächtnis kramte sie nach den Infos, die sie über Tom eingeholt hatte. Es sollte sie ein fünfundzwanzigjähriger Student erwarten, der mit seinem Bruder ein Haus in der Nähe von Sacramento bewohnte.

Auf den Fotos im Internet hatte er unglaublich sympathisch gewirkt, sodass ihre Entscheidung schnell getroffen

gewesen war. Auch die Mini-Korrespondenz, die sie noch kurz vor ihrem Abflug per WhatsApp geführt hatten, hatte einen positiven Eindruck bei ihr hinterlassen. Hoffentlich würde sie ihre Wahl nicht gleich bereuen. Mal ganz abgesehen davon, wer der mysteriöse Bruder war, von dem keine Bilder hinterlegt gewesen waren. Sie hatte allein auf Toms Optik vertraut und keinen Gedanken an eine böse Überraschung verschwendet. Nun war sie nicht mehr so sicher. Die mahnenden Worte ihrer Mutter klingelten in Zoes Ohren.

… niemand kann dir sagen, was das für Menschen sind, bei denen du wohnen wirst.

Sie schluckte. Doch nun war es zu spät, den Plan zu canceln. Sie hatte bereits amerikanischen Boden betreten. So oder so würde sie ihr Ding jetzt durchziehen müssen, ob nun mit oder ohne Happy End.

Während sie weiter herumirrte, erspähte sie das nächste Exit-Schild. Es führte sie in eine riesige Halle, in der etliche Menschen mit Willkommensplakaten in den Händen versammelt waren. Hier musste sie richtig sein.

Suchend schweifte ihr Blick über die Gesichter, die ungeduldig die Ankommenden musterten. Glücklich wiedervereinte Paare und Familien fielen sich stürmisch in die Arme, während Businessleute förmlich per Handschlag begrüßt wurden. Laute Gespräche in verschiedenen Sprachen entfachten um Zoe herum.

Hoffentlich lässt er dich nicht hängen, befeuerte ihr kleines Ich die Skepsis.

Zoe drehte sich im Kreis.

Wo war Tom? Er würde sie doch nicht mutterseelenallein am Flughafen stehen lassen. Oder?

Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen, um den Blick umhergleiten zu lassen, bis er an einem jungen, dunkelhaarigen Mann hängen blieb.

Das musste er sein!

Während Zoe auf ihn zuging, entdeckte auch er sie. Unmittelbar setzte er sich in Bewegung. Als er vor ihr zum Stehen kam, musterte er sie mit seinen haselnussbraunen Augen. »Zoe?«

»Yes, that’s me!«

Er hielt ihr grinsend die Hand hin. »Ich bin Tom. Freut mich, dich kennenzulernen.«

Gott sei Dank!

Zoe lächelte. Er sah exakt wie auf den Fotos aus, sogar besser. Auch der sympathische Eindruck sollte sich bestätigen. Darüber hinaus war er riesig. Sie musste ihren Kopf strecken, um ihm ins Gesicht blicken zu können. Seine Statur ließ erahnen, dass er trainierte. Sowohl seine Arme als auch sein Oberkörper wirkten muskulös. Durch die breiten Schultern schien er älter, als er tatsächlich war.

»Welcome to California!« Er schnappte sich ihre Reisetaschen. »Ich hoffe, du hattest einen guten Flug.«

Während sie sich in Richtung Ausgang bewegten, lachte Zoe gelöst. »Ja, ich hatte mir die elf Stunden schlimmer vorgestellt.«

»O man, das wäre nichts für mich.« Er fiel in ihr Lachen ein. »In solchen Situationen ist meine Körpergröße nicht gerade von Vorteil.«

Als sie das Flughafengebäude verließen, strömte Zoe eine angenehme Wärme entgegen. Sie blieb einen Moment stehen, um die Außenwelt auf sich wirken zu lassen. Es war unglaublich, nun tatsächlich hier zu sein.

»Warm, was?« Tom blies sich eine Haarsträhne aus seinem Gesicht.

»Für eine Frostbeule wie mich genau richtig«, erklärte sie lächelnd. »Bei mir zu Hause kam das Thermometer noch vor wenigen Wochen nicht über den Gefrierpunkt hinaus.«

»Ui, da haben wir es hier aber deutlich besser. Die Winter sind meistens relativ mild.« Als sie sich wieder in Bewegung setzten, deutete Tom nach vorn. »Keine Sorge, das Auto steht nicht weit weg. Ich hatte Glück mit dem Parkplatz.«

»Ach, ein bisschen Bewegung tut nach dem engen Flieger echt gut.«

»Kann ich absolut nachvollziehen.« Tom nickte. »By the way, mein Bruder Dean konnte leider nicht mitkommen. Er musste zu Hause noch was erledigen.«

»Nicht schlimm. Wir werden ja unter einem Dach wohnen. Da sollte sich früher oder später die Gelegenheit ergeben, sich kennenzulernen.«

Tom grinste. »Deine trockene Art gefällt mir. Ich denke, du wirst gut bei uns reinpassen.«

Ein weiteres Mal atmete Zoe auf. Zwar hatte sie sich von der Sorge ihrer Mutter nicht anstecken lassen, doch war ihr natürlich klar gewesen, dass sie sich auf eine Reise ins Ungewisse begab. Kein Mensch konnte ihr sagen, wie ihr Jahr in den Staaten verlaufen und auf wen sie hier treffen würde. Doch bis jetzt lief alles genau nach Plan. Sie hatte ein gutes Gefühl und wusste, dass sie ihrem Instinkt vertrauen konnte.

»Da wären wir!«

Zoe klappte die Kinnlade herunter. Vor Tom und ihr stand ein antikes Schmuckstück. Schwarz, sportlich, außergewöhnlich. Er passte wie die Faust aufs Auge zu Tom.

»Wow.« Endlich fand sie ihre Sprache wieder. »Einfach nur wow.« Mit den Fingerkuppen fuhr sie andächtig über den Lack. »Der ist ja der Wahnsinn. Lass mich raten: ein 1970er Dodge Charger?«

Nun war es Tom, dem die Kinnlade herunterfiel. Als er schließlich ungläubig nickte, lachte Zoe.

»Ich bin ein Fan von Muscle Cars«, klärte sie auf.

»Darüber musst du mir gleich mehr erzählen!« Tom hievte ihr Gepäck in den Kofferraum.

Indes schlenderte Zoe bewundernd um den Wagen herum, um schließlich die Beifahrertür zu öffnen. Langsam ließ sie sich auf den Sitz gleiten. Der Anblick des nostalgischen Interieurs versetzte sie in weiteres Staunen.

»Wahnsinn«, flüsterte sie, während Tom sich neben sie auf den Fahrersitz fallen ließ.

»Ich muss gestehen, ich bin nicht so ein Autofreak.« Seine Wangen färbten sich rötlich. »Das ist Deans Wagen.«

Zoe musterte ihn rühmend. »Chapeau, ganz offensichtlich hat dein Bruder Geschmack. Er ist mir jetzt schon sympathisch.«

Tom schien plötzlich verunsichert. »Na ja, du wirst ihn ja gleich kennenlernen. Danach sehen wir weiter.«

3

Die USA waren nicht nur ein anderes Land, sondern eine vollkommen andere Welt. Hypnotisiert klebte Zoe am Seitenfenster dieses grandiosen Autos, ohne den Blick von dem Film lösen zu können, der sich dort draußen abspielte.

Während sie über achtspurige Autobahnen fuhren, auf denen sie von übergroßen Pick-ups eingerahmt wurden, zogen immer wieder Schilder von Fast-Food-Ketten an ihnen vorbei, deren Namen sie noch nie gehört hatte.

Durch die flache, weite Ebene schien die Landschaft endlos. Noch nicht einmal Schatten waren zu sehen, da keine einzige Wolke das Bild des azurblauen Himmels ruinierte.

Fasziniert blickte Zoe auf die Dimension außerhalb des Wagens, die so beeindruckend war, als würden Grenzen an diesem Flecken Erde nicht existieren. Augenblicklich verliebte sie sich in das Abbild schier uferloser Freiheit.

Zoe hatte Mühe, die Eindrücke, die im Sekundentakt auf sie einprasselten, zu verarbeiten. Als sie sah, wie ihre aufgeregte Miene Tom zum Schmunzeln brachte, drehte sie sich zu ihm. »Ich komme gerade wie eine absolute Einsiedlerin rüber, oder?«

Er lachte. »Ist das hier so anders als bei dir zu Hause?«

»Komplett!« Sie nickte. »Hier gibt’s Sachen, die gibt’s gar nicht!«

Er runzelte die Stirn.

»Hier ist alles so«, sie suchte nach der passenden Umschreibung, »gigantisch!«

»Gigantisch?«

»Achtspurige Autobahnen, riesige Autos, grenzenlose Weiten, unzählige Fast-Food-Ketten …« Sie blickte ihn mit großen Augen an. »Das ist der absolute Wahnsinn!«

Ein Grinsen zeichnete sich auf Toms Lippen ab. »Für uns ist das alles so normal, dass wir das gar nicht mehr wahrnehmen. Vermutlich wäre es auch für uns ein Kulturschock, wenn wir nach Deutschland kämen.«

Die Vorstellung ließ Zoe belustigt schmunzeln. »O ja, und ob!«

Da sie bereits eine gute halbe Stunde unterwegs waren, fragte Zoe: »Ist es noch weit?«

Tom schüttelte den Kopf. »Nein, wir nehmen die nächste Ausfahrt. Dann sind wir bald da.«

Augenblicklich spürte sie, wie ihre Hände schwitzten. Der Ort, den sie binnen kurzer Zeit erreichen würden, würde für ein Jahr ihr Zuhause sein. Inständig hoffte sie, dass er ihr gefiel. Was, wenn sie sich dort nicht wohlfühlte? Und was war mit Dean, Toms Bruder? Warum hatte Tom diese seltsame Bemerkung gemacht?

Du wirst ihn ja gleich kennenlernen. Danach sehen wir weiter.

Zoe hatte seine Verunsicherung bemerkt. Oder hatte sie sich das bloß eingebildet?

Wieder kaute sie auf ihrer Unterlippe. Gab es Differenzen zwischen den beiden? Suchte Tom deshalb nach einer Mitbewohnerin? Oder war sein Bruder schlichtweg nicht begeistert von dem Gedanken, eine Fremde im Haus zu haben?

»Everything’s okay?« Toms Augen blickten zwischen Zoe und der Straße hin und her, sodass sie sich von ihren Gedanken losriss.

»Alles gut. Bin nur ziemlich k.o.« Sie versuchte, ein überzeugendes Lächeln aufzusetzen.

»Wir sind gleich da.« Er deutete aus dem Fenster. »Das hier wird dein vorübergehendes Zuhause sein.«

Sie erreichten eine Kleinstadt namens Carsonrock, eine Ortschaft, die Zoe unmittelbar an das Set einer amerikanischen Serie erinnerte. Robuste Häuser mit rotem Backstein und weißen Balkonen zogen an ihr vorbei. Dazwischen befanden sich immer wieder kleine Grünflächen, die ein so sattes Gras beherbergten, dass es Zoe bereits in den Füßen kribbelte.

Tom grüßte ein paar junge Leute, die den Bürgersteig entlang liefen.

»Kommilitonen«, erklärte er. »Machen sich wahrscheinlich auf den Weg ins nahe gelegene Partyviertel. Die Uni ist hier ganz in der Nähe, musst du wissen.«

»Verstehe. Studiert Dean auch hier?«

Er lachte. »Nein, für ein Studium ist er schon ein bisschen zu alt. Letzten Monat ist er dreiunddreißig geworden. Abgesehen davon war Studieren nie sein Ding. Er ist eher der handwerkliche Typ. Schraubt an Autos und Motorrädern rum.«

»Cool.« Zoe gefiel der Gedanke, dass Dean mit seinen Händen arbeitete. Mit verwöhnten Snobs, die sich zu fein waren, einen Nagel in die Wand zu schlagen, konnte sie nicht viel anfangen. Ihre Eltern hatten sie bodenständig erzogen.

Immer schön auf dem Teppich bleiben, lautete die Devise ihres Vaters, die sie schon mit fünf Jahren zu hören bekommen hatte. Daher waren oberflächliche Leute, die sich nur über materielle Dinge definierten, nicht ihr Ding.

»Gleich haben wir’s geschafft.« Tom riss sie aus den Gedanken. »Das ist unsere Straße.«

Süße, kleine Einfamilienhäuser tauchten vor ihrer Fensterscheibe auf. Der verzauberte Eindruck von vorhin setzte sich fort, bloß dass diesmal kein Haus wie das andere war. Beinahe jedes hatte einen anderen Stil, auch die Farben variierten, sodass von leuchtend Gelb bis zu einem tiefen Braun fast alles vertreten war. Sogar Rosa.

Zoe zeigte auf das Barbie-Traumhaus. »Ist das euer Palast?«

»No way!« Tom schnaufte verächtlich. »Das hättest du wohl gern.«

Während sie breit grinste, fuhr er noch ein paar Meter, bis er den Wagen schließlich neben einem hellgrauen Haus zum Stehen brachte.

Tom deutete nach draußen. »Tada, das ist es!«

Wieder presste Zoe ihre Nase gegen die Fensterscheibe, um das mit Holzpaneelen vertäfelte Haus unter die Lupe zu nehmen. Vor ihrem neuen Heim erstreckte sich ein kleiner Rasen, der von einem Kiesweg geteilt wurde. Zwei Stufen führten auf eine weiß gestrichene Veranda, die um das ganze Haus führte. Während auf ihrer linken Seite eine große Schaukel hing, standen auf der rechten zwei betagte, dennoch wunderschöne Schaukelstühle um einen kleinen verzierten Tisch.

»Wie toll.« Zoe blickte zu Tom. »Wenn’s von innen genauso schön ist wie von außen, gibt’s absolut nichts zu meckern.«

»Dann kannst du froh sein, dass wir es möbliert angemietet haben.« Nachdem sein Lachen abgeflaut war, erklärte er: »Dean und ich haben kein Händchen für Nippes.«

»Na ja«, Zoe lachte, »Männer und Deko, das verträgt sich meistens nicht.«

»Da hast du wohl recht.« Er nickte. »Komm, lass uns reingehen.«

Während Tom das Gepäck aus dem Kofferraum wuchtete, sprang Zoe beinahe das Herz aus der Brust. Sie trat von einem Fuß auf den anderen. Hier würde sie also in den nächsten Monaten leben.

Als sie vor der Haustür zum Stehen kamen, kramte Tom in seiner Hosentasche nach den Schlüsseln. Doch bevor er fündig werden konnte, öffnete sich die Tür.

Zoe schaute in zwei grünblaue Augen, die sie blitzend musterten und drei Sekunden zu lange auf ihr verweilten. Es verschlug ihr den Atem.

Wow, da stand ein Mann im Türrahmen, von dem sie den Blick nicht abwenden konnte, egal, wie sehr sie es versuchte. Dieses Gesicht … es war einfach perfekt. Markant und irgendwie geheimnisvoll. Mit einem Mund, der überaus sinnlich war, und Bartstoppeln, die ihn nicht wie einen aalglatten Ken wirken ließen.

Sie wollte ihn küssen. Sofort. Ob sie bereits sabberte?

Zu allem Überfluss sprang ihr inneres Radio an. Doch war es ein Song, den sie bisher so gar nicht auf dem Schirm gehabt hatte. Verwirrt hob ihr kleines Ich die Hände. Blank Space von Taylor Swift?

Was war denn nun los? Unbestreitbar war sein Gesicht atemberaubend, aber mussten ihre Gedanken den Songtext so wörtlich nehmen und ihn gleich auf die Situation projizieren? Er war garantiert nicht ihr nächster Fehler, da es so weit gar nicht kommen würde. Dieser Mann spielte nie und nimmer in ihrer Liga.

Sie spürte, wie die Röte in ihre Wangen stieg. Es war, als hätte sie ihren Körper verlassen und würde von oben auf die Szene herabschauen.

Tom durchbrach räuspernd die Stille. »Zoe, may I introduce?« Mit der Hand deutete er auf diesen hinreißenden Mann, dessen Miene es im Gegensatz zu ihrer sehr wohl beherrschte, keine Gefühlsregung zu verraten. »Das ist Dean, mein Bruder.« Dann wandte er sich ihr zu, der Vollidiotin, die Dean anstarrte, als würde sie einem waschechten Alien gegenüberstehen. »Dean, das ist Zoe.«

Dieser streckte ihr die Hand entgegen. »So nice to meet you.«

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Doch Zoe war nicht fähig, sich zu bewegen. Wie Glibber klebte sie am Boden. Eine peinlichere Vorstellung hätte sie kaum bieten können.

Ihr kleines Ich hielt ihr den Zeigefinger unter die Nase. Zoe, reiß dich zusammen und sag was!

Endlich gewann sie die Kontrolle zurück und griff nach seiner ausgestreckten Hand. Als sie seine Haut berührte, war es, als würde sie ein elektrischer Schlag durchfahren. Sie konnte förmlich die Funken sprühen sehen.

»Me too.« Was war das denn? Sie oder eine Maus? Sie räusperte sich, um erneut Anlauf zu nehmen. »Nice to meet you, too.«

Während Dean noch immer ihre Hand festhielt, durchbohrte sein Blick sie regelrecht. Und sie konnte ihm einfach nicht ausweichen. Wie hypnotisiert verharrten ihre Augen auf seinem Gesicht.

Als es ihr endlich gelang, den Blick zu lösen, wich sie zurück und ließ ihn schnell über sein restliches Erscheinungsbild gleiten. Er war nicht so riesig wie sein Bruder, doch trotzdem einen guten Kopf größer als sie. Seine dunkelblonden Haare waren zu einem lässigen Sidecut geschnitten. Und auch er war wohl Stammgast im Gym, da sich seine Muskeln deutlich unter dem dunklen T-Shirt abzeichneten.

Es war unglaublich. Noch nie war sie einem Mann begegnet, der ihr so ungemein gut gefiel.

Tom blickte indes fragend zwischen den beiden hin und her. »Ich würde sagen, wir gehen mal rein.« Er schaute Zoe an und deutete mit dem Kopf in Richtung Tür.

»Äh ja, natürlich.« Ihre Beine waren weich und zitterten. Ihr Gang musste wie eine kaputte Sprungfeder aussehen.

Drinnen lehnte sich Dean gegen die geschlossene Tür und verschränkte die Arme vor der Brust, um sie eindringlich zu beobachten.

Das konnte ja lustig werden. Er machte sie so nervös, dass sie befürchtete, jede Sekunde vor ihm in Ohnmacht zu fallen. Sie versuchte, ihren außer Kontrolle geratenen Körper mit ihrem schmachtenden Geist zu vereinen. Sie fokussierte ihre Gedanken auf das Haus und Tom, der in der Sekunde ihre Reisetaschen fallen ließ.

»Dann wollen wir mal mit der Hausführung beginnen. Wie du unschwer erkennen kannst, ist das der Flur.« Schnell huschte er an ihr vorbei. »Und zur Küche geht’s hier entlang.«

Links neben dem Eingang befand sich eine Schwingtür, die er ihr mit einladender Geste aufhielt. Zoe fand sich in einem schlauchähnlichen Raum wieder, der durch das große Fenster auf der linken Seite mit Licht geflutet wurde. Genau darunter stand ein runder Holztisch.

Tom flitzte an der schwarzen Küchenzeile entlang, um an der nächsten Schwingtür stehen zu bleiben. Er deutete auf die Anrichte. »Du kannst dich gern jederzeit bedienen. Dürfte alles Notwendige da sein. Kaffeemaschine – das wohl Wichtigste überhaupt – Toaster, Bagel-Schneider.« Er zuckte mit den Achseln. »Eingekauft wird im Wechsel.«

Als Tom Zoes Nicken vernahm, stieß er die Tür auf. »Dann mal weiter ins Wohnzimmer.«

Mit Dean im Schlepptau tapste sie Tom hinterher. Das Wohnzimmer sollte sich als weiterer lichtdurchfluteter Raum entpuppen. Die hintere Wand mit den beiden großen Terrassentüren ließ Zoe einen Blick in den großen Garten werfen. Sie freute sich schon jetzt auf das künftige Sonnenbaden.

»Das Wohnzimmer ist selbsterklärend.« Toms Hand machte eine wedelnde Bewegung. »Couch, Fernseher. Alles da zum Chillen.« Er grinste.

Zoe starrte das Monstrum an, das Tom als Fernseher betitelte. Bei diesem überdimensionierten Flatscreen konnte man wohl eher von einem Heimkino sprechen.

Tom klatschte in die Hände. »So, dann gehen wir nach oben.«

Während er bereits vorauseilte, verharrte sie kurz mit Dean im Wohnzimmer. Wieder warf er ihr diesen unlesbaren Blick zu, der ihre Knie weich werden ließ. Sie kam sich vor wie ein schüchternes Schulmädchen.

Dean breitete einen Arm aus. »Nach Ihnen, schöne Frau.«

Sie spürte, wie kirschrote Farbe in ihre Wangen kletterte. O ja, sie war definitiv wieder sechzehn.

Schnell huschte sie an ihm vorbei, um Tom auf der Treppe einzuholen. Vorsichtigen Schrittes stieg sie hinter ihm die weiß-braunen Stufen hinauf. Dean folgte ihr. Während sie sich empor zitterte, fühlte sie seinen brennenden Blick im Rücken.

Wohl eher auf deinem Hintern.

Zoe ignorierte den bissigen Kommentar, sie hatte ohnehin genug damit zu tun, sich auf ihre Füße zu konzentrieren. Sollte sie jetzt stolpern, wäre das nicht nur typisch, sondern auch unglaublich peinlich. Doch sie schaffte es ohne Zwischenfall. Erleichtert atmete sie auf, als sie die obere Etage erreichten.

Tom lief an der ersten geschlossenen Tür vorbei und deutete auf sie. »Das ist mein Zimmer.«

Vor der zweiten blieb er stehen. »So, jetzt zeigen wir dir dein Reich.«

Sein Satz ließ ihren Herzschlag beschleunigen. Gespannt stierte sie die weiße Tür an, die er langsam öffnete.

»Wow.« Während Zoe über den hellen Teppich schritt, blieben ihre Augen an dem verzierten Himmelbett hängen, um dann zum wunderschönen Erkerfenster zu wandern. Auf der entlanglaufenden Sitzbank würde sie wohl das ein oder andere Mal verweilen. »Wow«, wiederholte sie.

»Gefällt es dir?« Dean beobachtete sie gespannt.

»Und wie!«

Offensichtlich steckte ihr breites Grinsen ihn an. Dabei entblößte er eine Reihe weißer, gerader Zähne. »Schön, das freut uns.«

Er fixierte sie wieder mit diesem Blick. Mit diesem Ausdruck, der so geheimnisvoll wie durchdringend war. Zoe schob sich eine blonde Haarsträhne hinter ihr Ohr.

Tom zog sie unvermittelt von der schwebenden Wolke, indem er wieder in den Flur trat. »Neben deinem Zimmer ist Deans Reich. Am Ende des Flurs befindet sich das Bad.«

Als Dean sich ebenfalls in Bewegung setzte, folgte sie den beiden. Vor Deans Zimmer blieben sie stehen. Im Gegensatz zu Toms Tür stand diese hier weit offen, sodass Zoe einen neugierigen Blick hinein warf.

Sie entdeckte ein übergroßes Kingsize-Bett. Scheinbar war dieses Zimmer wesentlich kleiner als ihres. Sie grinste.

Dean blickte sie fragend an. »Was ist?«

»Na ja, offensichtlich wurde hier jemand bei der Zimmervergabe beschissen.«

Tom schmunzelte, während Dean laut lachte.

»Yep.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber das ist nicht tragisch, ich halte mich hier eh nicht großartig auf.«

Tom räusperte sich auffällig. »Das würde ich so nicht sagen.«

Dean ließ seine Aussage unkommentiert. Stattdessen blickte er schelmisch grinsend zur Seite.

Zoe verstand sofort, worauf Tom anspielte und was das Schweigen seines Bruders zu bedeuten hatte. Es versetzte ihr einen unerwarteten Stich.

»Ach, so ist das also.« Sie quälte sich ein schiefes Lächeln auf die Lippen und hoffte, dass keiner der beiden ihren inneren Tumult sah.

Zu ihrer Erleichterung stieß Tom in dem Moment die Badezimmertür auf. Zum Vorschein kam ein modernes Interieur und sie nickte lächelnd.

Tom zuckte mit den Achseln. »Das Bad ist für dich wahrscheinlich interessanter als für uns. Immerhin dürftest du da mehr Zeit verbringen als wir.«

Zoe stemmte grinsend die Hände in die Hüften. »Ach, für so eine hältst du mich also.« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Wer weiß, vielleicht gehöre ich ja nicht zu den Frauen, die Stunden in ihr Styling investieren.«

Deans Augen glitten forschend über ihr Gesicht. »Bestimmt nicht.« Er zwinkerte. »Hast du als natürliche Schönheit auch gar nicht nötig.«

Während sich ein hinreißendes Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete, spürte Zoe, wie ein weiteres Mal tiefrote Farbe ihre Wangen heimsuchte. Hätte sie bloß nichts gesagt. Doch wieder einmal war ihre Zunge schneller als ihr Gehirn gewesen. Verlegen blickte sie umher. Im Augenwinkel sah sie, wie Tom seinem Bruder einen warnenden Blick zuwarf, aber dieser zuckte nur mit den Achseln.

O man, die beiden mussten sie für einen absoluten Trottel halten. Ihre Selbstsicherheit hatte sich anscheinend in die endlosen Weiten des Universums verabschiedet. Tom musste denken, dass sie an einer gespaltenen Persönlichkeit litt. Mit der jungen Frau, die er vorhin vom Flughafen abgeholt hatte, hatte diese Zoe hier rein gar nichts mehr gemeinsam.

Schnell versuchte sie, die peinliche Situation auszublenden. »Das Haus ist wirklich schön. Ich denke, ich werde mich hier sehr wohl fühlen.«

»Das hören wir gern.« Tom rieb sich die Hände. »Na gut, dann würde ich sagen, du packst erst mal aus und danach wenden wir uns dem gemütlichen Teil des Abends zu und essen eine Kleinigkeit.«

Just in dem Moment meldete sich Zoes Magen mit einem lauten Knurren.

Dean grinste. »Oder etwas mehr als eine Kleinigkeit.«

4

Mit einem Stöhnen ließ sich Zoe auf die Sitzbank des Erkerfensters fallen. Es hatte einige Zeit gedauert, bis sie den Inhalt der Reisetaschen ausgepackt und ihre Habseligkeiten überall verteilt hatte. Schließlich wollte sie sich hier ganz wie zu Hause fühlen.

Während sie nun ihren Blick durchs Zimmer schweifen ließ, grinste sie breit. Mit ihrem kleinen Reich hatte sie das große Los gezogen. Es war perfekt.

Wie ein Flummi schoss sie in die Höhe, um sich ihren Laptop zu schnappen und sich erneut in die Kissen zu kuscheln. Das musste sie der Heimat berichten.

Dank Skype erblickte sie bereits nach wenigen Sekunden die Gesichter ihrer Eltern. Unvermittelt stiegen ihr Tränen in die Augen. Es war doch ganz schön komisch, nun ein ganzes Jahr lang nicht bei ihnen zu sein.

Auch ihre Eltern wirkten aufgelöst.

»Geli, schau, da ist sie ja!« Während ihr Vater ihrer Mutter breit lächelnd in die Rippen stieß, warf Zoe ihnen Kusshände zu.

»Hallo, ihr beiden! Wie ihr seht, geht’s mir prima.«

Zoe gab ihren Eltern eine Zusammenfassung ihrer Ankunft. Nachdem sie mit ihnen eine kleine Führung durch ihr Zimmer per Laptop unternommen hatte, seufzte ihre Mutter.

»Ach, Schatz, ich bin so erleichtert, dass es dir dort gefällt.« Sie zog die Stirn kraus. »Wir haben noch gar nicht über deine Mitbewohner gesprochen. Sind sie nett?«

Zoes Blick fiel auf ihren Vater, der sich scheinbar äußerst interessiert vorbeugte. Da hatte Mama ja das richtige Thema angeschnitten.

»Tom und Dean sind sehr nett«, antwortete Zoe knapp, damit die alte Spürnase gar nicht erst auf die Idee kam, seinen dramatisierten Beschützerinstinkt anzuschmeißen. Doch natürlich hatte sie die Rechnung ohne ihren Vater gemacht.

Er schnaufte. »Nett? Alle sind immer erst mal nett, bis sie ihr wahres Gesicht zeigen.« Er hob seinen Zeigefinger. »Wehe, sie behandeln mein Lämmchen schlecht. Dann sitze ich sofort im nächsten Flieger und knöpfe mir die Burschen vor.«

»Also wirklich, Manni!« Ihre Mutter stemmte sichtlich genervt die Hände in die Hüften. »Musst du immer gleich so übertreiben?«

»Ich übertreibe nicht. Ich kenne diese jungen Bengel. Die sind alle nur auf eine heiße Kissenschlacht aus.«

Zoe verdrehte die Augen. Es war immer dasselbe mit ihrem alten Herrn. Wie ein Feuer speiender Drache wartete er darauf, jederzeit hervorspringen zu können, um sein Lämmchen – wie ihr dieses Wort mittlerweile zum Hals raushing – vor dem Bösen der Welt zu beschützen. In der Vergangenheit war es schon viel zu oft vorgekommen, dass er sie damit in äußerst peinliche Situationen manövriert hatte. Egal, ob er nun hinter einer Zeitung mit zwei ausgeschnittenen Löchern gehockt hatte, um sie während eines Dates mit Argusaugen überwachen zu können, oder sich in ihren Facebook-Account gehackt hatte, um ihre Verehrer genauer unter die Lupe zu nehmen, wenn es um seine Tochter ging, kannte er keine Grenzen. Und auch wenn Zoe in der momentanen Situation Verständnis für seine Sorge hatte, musste ihr Vater endlich einsehen, dass sie schon lange kein hilfloses Lämmchen mehr war.

»Darf ich dich daran erinnern, dass ich mit sechsundzwanzig Jahren nicht mehr in den Kindergarten gehe?« Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Weißt du was? Warum machst du dir nicht einfach selbst ein Bild? Ich werde sie dir vorstellen. Dann wirst du sehen, dass ich hier gut aufgehoben bin.«

Bist du bescheuert? Mit hochroter Rübe sprang ihr kleines Ich auf und ab. Ist dir klar, wie das aussieht?

Doch es war zu spät. Zoe war schon auf dem Weg nach unten, den Laptop vorzeigebereit dabei.

Die beiden werden denken, dass du einen an der Murmel hast.

Und irgendwie musste Zoe ihrer Minikopie recht geben, die nun zynisch grinsend beobachtete, wie sie in der Küche eintraf. Ihre Aktion könnte ein wenig seltsam rüberkommen. Aber ein Rückzieher war nicht mehr drin, sie war bereits aufgeflogen.

Während Tom von der Pizzakarte aufsah, die vor ihm auf dem Esstisch lag, taxierte Dean sie mit seinen grünblauen Augen. Beim Anblick, wie er lässig mit einem Bier in der Hand an der Anrichte lehnte, hätte sie dahinschmelzen können. Doch mit ihren witternden Eltern am anderen Ende der Leitung war dies eindeutig der falsche Moment für sabbernde Schwärmereien. Ihr Vater würde augenblicklich in seinen Hulk-Modus springen.

Zoe trat von einem Fuß auf den anderen. »Ähm, darf ich euch kurz meine Eltern vorstellen? Sie würden gern wissen, mit wem ich jetzt für ein Jahr unter einem Dach wohne.«

Schon als sie die Frage aussprach, wäre sie am liebsten im Erdboden versunken. Ganz im Gegensatz zu ihrem kleinen Ich, das in lautes Gelächter ausbrach. Peinlicher ging’s nicht. Aber Zoe kannte ihren Vater. Sie musste diese Blamage hinter sich bringen, sonst würde er tatsächlich mit irgendeiner blödsinnigen Ausrede auf der Matte stehen.

Mit der Hand fuhr sich Tom schnell durch seine dichten Haare. »Klar!«

Auch Dean hatte Erbarmen und stellte sein Bier auf die Küchenzeile, um dann zu ihr zu schlendern.

»Also, Mama, Papa, das sind Tom and Dean.«

»Hi, nice to meet you!« Tom hob grüßend die Hand, während sein Bruder freundlich nickte.

»Oh, hellooo!« Ihre Mutter grinste. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Zoe kniff die Augen zusammen, um den Gesichtsausdruck ihres Vaters auszuloten. Dieser blickte grimmig vor sich hin. Sie funkelte ihn böse an. »Papa, willst du nicht auch was sagen?«

Endlich kam Leben in sein Gesicht. Doch ein Lächeln war es nicht. Stattdessen rollte er mit den Augen. »Guten Tag, die Herren! Ich hoffe, Sie sind nett zu meiner Tochter. Andernfalls sehe ich mich dazu gezwungen, Ihnen einen Besuch abzustatten.«

Zoe klappte die Kinnlade herunter. Hatte er das wirklich gesagt?

Ihr kleines Ich nickte mit einem schadenfrohen Grinsen, schließlich hatte es sie ja gewarnt.

»O mein Gott.« Zoe blickte zu Tom und Dean, doch die beiden lächelten bloß. Glück für sie, denn anscheinend sprachen sie kein Wort Deutsch.

Ihre Mutter flötete indes weiter: »Hach, was für reizende junge Männer.«

»Geli!« Ihr Vater verdrehte abermals die Augen. »Da haben wir es wieder. Ihr Frauen seid allesamt hoffnungslos naiv.«

»Hallo? Würdest du mal auf den Teppich zurückkehren?«, zischte Zoe.

Bevor ihr Vater reagieren konnte, schaltete sich Tom ein. »Sie müssen sich keine Sorgen machen. Wir passen gut auf Ihre Tochter auf.«

Zoe erstarrte. Nein, nein, nein, war alles, was sie denken konnte. Mit hochroten Wangen sah sie Tom an. »Du … sprichst Deutsch?«

»Ja, ein wenig.« Tom konnte den Stolz in seinen Augen nicht verbergen. »Ich muss zugeben, ich habe vor deiner Anreise ein bisschen gelernt.«

»Ach, das ist ja lieb«, quiekte ihre Mutter.

Doch Zoe fühlte sich wie ein Hofnarr. Fehlte nur noch die Harlekinmütze auf ihrem Kopf. Erst hatte sie den grandiosen Einfall gehabt, ihren paranoiden Vater den Menschen vorzustellen, mit denen sie von nun an ein Jahr lang unter einem Dach wohnen würde, und jetzt stellte sich heraus, dass Tom wohl jede seiner peinlichen Spitzen verstanden hatte.

»Ähm«, stammelte Zoe, »mein Vater meint das nicht so. Er übertreibt einfach gern.«

»Ich übertreibe überhaupt nicht!«

Tom ignorierte Papas Worte, die wie Kugeln aus dem Laptop schossen. »Schon okay. Ich würde mich wahrscheinlich genauso verhalten, wenn meine Tochter irgendwo weit weg im Ausland wäre.«

Nein, würdest du nicht.

Zoe spürte, wie sich ihre Panik langsam auflöste. Aber die Ruhe sollte nicht lange anhalten.

»Hallooo, noch jemand da?«

»Nein!«, fauchte sie. Könnten ihre Augen Blitze schießen, würde ihr Vater bereits qualmen. Mit einem Räuspern wandte sie sich den Brüdern zu. »Ich, ähm, ich gehe dann mal wieder hoch, bevor es noch peinlicher wird.«

Wohl um zu demonstrieren, wie lächerlich sie sich tatsächlich machte, strich sich Dean mit der Hand über seinen schmunzelnden Mund. Zoe hatte es geschafft. Spätestens jetzt musste er sie für eine absolute Idiotin halten, die Spaß daran hatte, ihren offensichtlich irren Vater vorzuführen. Selbst ohne Sprachkenntnisse war zu sehen, dass er einen Knall hatte.

Tom beugte sich vor. »Hat uns gefreut, Sie kennenzulernen.«

»Ja, es war auch uns eine Freude.« Ihre Mutter winkte euphorisch, bevor sie ihrem Vater den Ellenbogen in die Rippen rammte. »Nicht wahr?«

»Ja, ja, ja.« Entnervt winkte dieser ab.

Zoe schnappte sich den Laptop, um mit der leuchtenden Glühbirne, in die sich ihr Kopf verwandelt hatte, aus der Küche zu huschen. »Ich komme gleich wieder.«

»Wir werden hier sein.« Deans Worte klangen fast wie eine Drohung. Wie eine süße Drohung. Und darüber hinaus warf er Zoe einen Blick aus seinen funkelnden Augen zu, der sie beinahe über die erste Stufe stolpern ließ. Das wäre ein krönender Abschluss für ihre überflüssige Vorstellungsrunde gewesen.

Zurück in ihrem Zimmer ließ sie sich mit dem Laptop aufs Bett fallen. Entgeistert blickte sie ihren Vater auf dem Monitor an. »Kannst du mir mal verraten, was das war? Die beiden müssen mich jetzt für total bescheuert halten.«

Auch die Augen ihrer Mutter blitzten wütend. »Ja, wirklich, Manni, was sollte die Aktion?«

Doch Zoes Vater zuckte nur mit den Schultern. »Das war lediglich ein Vorgeschmack dessen, was kommen wird, wenn sie mein Mädchen nicht einwandfrei behandeln.«

Zoe wollte gerade zu einem gesalzenen Kommentar ansetzen, als ihre Mutter vorpreschte.

»Das war vollkommen überflüssig. Die beiden haben einen sehr netten Eindruck gemacht. Ich muss sagen, dass ich jetzt doch ein bisschen beruhigter bin.«

»Beruhigter?« Sichtlich irritiert schüttelte ihr Vater den Kopf. »Das sind immer noch Fremde. Du weißt nie, welche Absichten die wirklich haben.« Erneut hob er seinen Zeigefinger. »Sollte auch nur eine Kleinigkeit vorfallen, stehe ich sofort vor ihrer Tür. Und dann können sich die beiden warm anziehen.«

Zoe lag bereits eine gepfefferte Antwort auf der Zunge, doch als sie ihren Vater dabei beobachtete, wie er sich mehr und mehr in seinen übertriebenen Beschützerinstinkt hineinsteigerte, atmete sie aus. Er würde sich sowieso niemals ändern. Wozu also aufregen?

»Bleib locker, Papa.« Zoe zog die Augenbrauen hoch. »Sollte irgendwas sein, bist du der Erste, den ich anrufe.«

Das war wohl genau das, was ihr Vater hören wollte. Sichtlich triumphierend blickte er ihre Mutter an, doch diese rollte nur mit den Augen. Schließlich kletterte ein gewitztes Lächeln auf ihre Lippen.

»Also, ich muss schon sagen, Zoe, das sind zwei echte Sahneschnittchen, mit denen du da unter einem Dach wohnst.«

Im Gegensatz zu ihrem Vater wusste Zoe, dass ihre Mutter sie bloß necken wollte. Während sich sein Kopf bereits in einen dampfenden Teekessel verwandelte, kramte sie nach einer guten Ausflucht. »Ja, schon, aber das interessiert mich gerade nicht, ich möchte mich jetzt erst mal auf mein Praktikum konzentrieren.«

Ihr kleines Ich brach in neuerliches Gelächter aus, während ihr Vater tatsächlich auf die schlechte Notlüge hereinfiel.

»Das ist auch vernünftig!« Ihr Vater nickte so deutlich, dass seine schütteren Haare mitwippten. »Schließlich bist du einzig und allein zum Arbeiten da.«

Na, sicher! Ihre Minikopie kugelte bereits vor Lachen über den Boden.

Zoe fasste sich an ihren knurrenden Magen, den schon die Nachbarn hören mussten. »Seid mir bitte nicht böse, aber ich bin am Verhungern. Die Jungs warten schon.«

Nachdem sich Zoe von ihren Eltern verabschiedet hatte, klappte sie nachdenklich den Laptop zu. Auch wenn ihr Vater eine absolute Nervensäge sein konnte, so war es doch seltsam, dass er nun Tausende Kilometer weit weg war. Sie wusste, dass sie sich ablenken musste. Es war schwer, nun wieder allein zu sein.

Ohne einen weiteren Gedanken zuzulassen, eilte Zoe in die Küche, wo Tom und Dean am Esstisch saßen und gemeinsam die Pizzakarte studierten. Als Zoe eintrat, blickten sie auf.

»Und, konntest du deinen Dad beruhigen?«

»Eigentlich nicht, aber ich kenne das schon.«

Dean lächelte. »An seiner Stelle würde ich mir auch Sorgen machen.« Dabei sah er Zoe so tief in die Augen, dass sich ihre feinen Haare am Rücken aufstellten.

Warum klang aus seinem Mund alles wie eine Drohung? Eine Drohung, die keineswegs einen Alarm in ihr auslöste, sondern etwas ganz anderes in ihr zum Klingeln brachte.

Wohl eher zum Schnurren.

Sie überging den Kommentar und schwang sich schnell auf den gegenüberliegenden Stuhl. »Mag sein, aber ich bin kein Kind mehr.«

Grinsend taktierte Dean sie. »Ich weiß, eigentlich fragt man eine Frau nicht nach ihrem Alter, aber …«

»Ich bin sechsundzwanzig«, platzte es aus ihr heraus.

»Welch ein süßes Alter.«

Neuerdings hatte Zoe offensichtlich ein Rotbäckchen-Abo abgeschlossen. Deans charmantes Lächeln ließ ihre Wangen erneut glühen.

Tom blickte sichtlich konfus von einem zum anderen, um Zoe schließlich die Pizzakarte zuzuschieben. »Such dir was aus. Du bist doch bestimmt am Verhungern.«

»Kann man wohl sagen.« Eilig griff sie nach der Karte. »Könnt ihr mir was empfehlen?«

»Yep, Pizza Peperoni, ein sehr scharfes Teil.« Schon wieder sah Dean sie auf diese Weise an, die sie nicht nur verunsicherte, sondern auch so nervös werden ließ, dass sie sich wie ein Volltrottel vorkam.

»Tatsächlich?« Während Zoe die Pizzen überflog, ohne die Namen zu lesen, räusperte sich Tom neben ihr. Im Augenwinkel sah sie, wie er Dean wieder diesen Blick zuwarf. Sie konnte nicht glauben, dass sich die Szene von vorhin ein weiteres Mal abspielte. Doch Dean ließ sich davon nicht beeindrucken. Achselzuckend lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück, um sie zu beobachten.

Wo war dieses verdammte Loch im Boden, in dem sie auf der Stelle verschwinden konnte?

»Eigentlich sind alle Pizzen echt gut. Aber ich kann dir die mit Chicken empfehlen.« Tom beugte sich vor und tippte mit seinem Zeigefinger auf die entsprechende Seite.

»Dann nehme ich die.« Entschlossen schob Zoe die Karte zu Tom zurück. Großartig denken konnte sie heute eh nicht mehr.

Tom sprang vom Tisch auf. »Okay, dann rufe ich an.«

Nachdem Tom im Wohnzimmer verschwunden war, wurde es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Nur Zoes Herz klopfte unglaublich laut. Ihre Augen flogen durch die Küche, um schließlich an Deans Gesicht hängen zu bleiben. Er fing sie auf, doch diesmal schaffte Zoe es, seinem geheimnisvollen Blick standzuhalten.

»Zoe, Zoe, Zoe.« Ein Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, während er nach der Bierflasche griff.

Wartend, was kommen würde, sah Zoe ihn an und spürte, wie die Unsicherheit sie erneut packte.

»Du bist echt ’ne Süße.«

Normalerweise würde sie jetzt mit den Augen rollen und schnell das Weite suchen. Doch dieses Mal nicht. Dieses Mal war der Satz nicht auf die Art rübergekommen, wie andere Männer ihn gesagt hätten. Die typischen Kens, die an keinem Spiegel vorbeigehen konnten, ohne ein Duckface aufzusetzen. Die tatsächlich glaubten, eine Frau mithilfe eines solch plumpen Spruchs dahinschmelzen zu lassen.

Dean hingegen blieb cool. Und auf gewisse Weise unnahbar. Eine gefährliche Mischung. Zumindest für sie.

Nachdem er aufgestanden war, um die leere Flasche auf der Anrichte abzustellen, lehnte er sich dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust, um sie wieder zu beobachten.

Wow. Der Anblick haute sie um. Er machte sie so nervös, dass sie auf ihrem Stuhl hin und her rutschte. In dieser Pose hätte er glatt als Filmstar durchgehen können.

»By the way, hast du einen Freund in Deutschland?«

O je. Dean schaffte es mit jedem Satz und jeder Frage mehr, dass sie sich wie ein schüchternes Schulmädchen vorkam.

Zoe blickte aus dem Fenster, als würde die Antwort dort erscheinen. »Äh, wie kommst du denn darauf?«

Sogleich klatschte sich ihr kleines Ich mit der Hand gegen die Stirn. Eine noch blödere Antwort ist dir wohl nicht eingefallen.

»I’m just interested.« Verführerisch biss Dean sich auf die Unterlippe. »Ich möchte dich gern näher kennenlernen. Schließlich wohnen wir jetzt unter einem Dach.«

Wie soll das eigentlich gehen, fragte sie sich. Wie sollte sie sich in seiner Nähe jemals normal verhalten können?

Zoe verjagte die Fragen. »Nein, ich habe keinen Freund«, polterte die Antwort mit zickigem Unterton aus ihr heraus. Aber auch das schien ihn nicht sonderlich zu beeindrucken.

Dean schlenderte zum Tisch zurück. »Why not?«

Zoe fühlte sich wie in einem Verhör. Wo blieb Tom so lange?

»Keine Ahnung.« Achselzuckend suchte sie nach einem Fluchtweg. »Ich hatte bisher nicht so viel Glück mit Männern.«

»Oh, das tut mir leid.« Seine Antwort wirkte ehrlich. »Woran liegt das? Oder besser gesagt, an wem?«

»Mal an den Männern, mal an mir.« Zoe schaute ihn mit großen Augen an. Warum erzählte sie ihm das? Sie hatte wohl immer noch nicht gelernt, im richtigen Moment die Klappe zu halten.

»Ach ja?« Interessiert ließ er sich wieder auf den Stuhl fallen.

»Vielleicht habe ich auch einfach zu hohe Ansprüche«, witzelte sie.

»Das ist doch nicht verkehrt.« Dean zuckte mit den Achseln. »Ich habe auch hohe Ansprüche.«

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er damit die Suche nach der großen Liebe meinte. Hier ging es um etwas anderes. Um etwas ganz anderes. Der Gedanke ließ sie grinsen.

»Was ist?«, fragte er.

»Worüber reden wir hier eigentlich?« Mit den Fingern strich sie über die Tischplatte. »Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass du der Typ Mann bist, der verzweifelt nach der großen Liebe sucht.«

»Sondern?«

Zoe zuckte mit den Achseln. »Du bist anders als die Männer, die ich kenne.«

»Ach, und das weißt du nach«, amüsiert grinsend sah er auf seine Uhr, »gerade einmal vier Stunden?«

»Nein, das weiß ich natürlich nicht.«

»Wonach suchst du denn?«, versuchte Dean, das Gespräch wieder auf sie zu lenken.

»Ich habe absolut keinen Schimmer, wonach ich suche. Das ist wohl mein Problem.« Zoe lächelte. »Ich bin gerade ein bisschen … planlos. Und das nicht nur, was Männer angeht.«

»Zoe, man muss nicht immer einen Plan im Leben haben. Man sollte das tun, was einem Spaß macht. Alles andere ergibt sich von allein. Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung.«

Hellhörig rutschte sie nach vorn. »Wie meinst du das?«

»Na ja, manchmal läuft alles so, wie man es sich vorgestellt hat.« Gedankenverloren strich Dean über sein stoppeliges Kinn. »Und dann steht man plötzlich vor einem großen Scherbenhaufen.« Er sah sie so eindringlich an, dass es ihr nicht möglich war, den Blick abzuwenden. Was meinte er bloß damit?

In dem Moment, als die Frage bereits auf Zoes Zunge lag, kehrte Tom in die Küche zurück.

»So, Essen ist bestellt.« Grinsend rieb er sich die Hände. »Jetzt kann der Abend beginnen!«

Als hätte Zoe seit Tagen nichts gegessen, schaufelte sie Achtel um Achtel der Pizza in sich hinein.

Tom beobachtete belustigt ihre Fressorgie. »Does it taste good?«

»Mmh, und wie.« Zoe hielt sich die Hand vor den kauenden Mund. »War ein super Vorschlag.«

Tom grinste. »Pizza geht immer.«

Als sie ihre eingefetteten Hände an der Serviette abputzte, klingelte es an der Tür.

»Ich gehe schon!« Dean sprang so schnell auf, dass Zoe ihm irritiert hinterher sah.

»Wer ist das?«

Tom rollte mit den Augen. »Wahrscheinlich wieder Damenbesuch.«

Zoe spürte wieder diesen Stich. Seltsam, warum störte seine Antwort sie so? Vielleicht sollte sie nachhaken. Womöglich litten ihre Ohren noch unter dem Kabinendruck des Flugzeugs. »Damenbesuch?«

»Ja, daran wirst du dich wohl gewöhnen müssen.« Mit vielsagender Miene blickte er sie an. »Dean ist kein Kind von Traurigkeit.«

Zoe war noch dabei, die Worte zu verdauen, als Dean mit einer hübschen Brünette in die Küche zurückkehrte. Sie musste etwa in Zoes Alter sein, vielleicht sogar noch jünger.

»Hey, Süßer!« Freudestrahlend winkte sie Tom zu, der jedoch nur ein kühles »Hi« für sie übrig hatte. Offensichtlich beeindruckte ihre Anwesenheit ihn nicht sonderlich. Während sie immer noch grinste, drehte er sich nicht einmal um.

Doch das Lächeln der Grinsebacke sollte schnell einfrieren. Als sie Zoe am Tisch entdeckte, glitten ihre Augen an der neuen Mitbewohnerin rauf und runter. »Hi, du musst Zoe sein. Ich bin Danielle.«

Während Danielle sie mit eisigem Blick musterte, versuchte Zoe, höflich zu bleiben. »Hi. Freut mich, dich kennenzulernen.«

Danielle starrte sie mehrere Sekunden lang an, sodass sie sich bereits fragte, ob sie vielleicht einen Popel in der Nase hängen hatte.

Dean löste schließlich das Wer-zuerst-wegschaut-verliert-Spiel auf. »Setz dich doch, Baby.« Er schob Danielle zu dem letzten freien Stuhl, und der war ausgerechnet neben Zoe.

Während Danielle sich neben sie fallen ließ, nahm Zoe sie genauer unter die Lupe. Sie musste zugeben, dass Danielle auch aus der Nähe ungemein hübsch war. Alle gängigen Klischees wurden bedient: Kulleraugen, Stupsnase, Schmollmund. Dazu eine sportliche Figur mit, na klar, einem unverschämt großen Vorbau.

Das war es also, was Dean gemeint hatte, als er von hohen Ansprüchen gesprochen hatte.

Zoe fühlte sich mit der Schönheit neben ihr blass und farblos. Während sie auf ihrem Stuhl immer kleiner wurde, kam natürlich die Frage auf, die in solchen Momenten immer winkte: Wie sah sie eigentlich aus?

Die Antwort wird dir nicht gefallen. Ihr kleines Ich grinste hämisch. Deine Augenringe sind so tief wie Bergseen, und deine Haare könnten auch mal eine Wäsche vertragen.

Wie nett, vielen Dank für die charmante Zusammenfassung. Zoe war ja auch seit vierundzwanzig Stunden auf den Beinen. Deswegen hatte Danielle sie wohl so angestarrt. Weil sie sich gefragt hatte, aus welchem Kellerloch sie gekrochen war.

»Echt komisch, dass ihr jetzt eine Ausländerin bei euch im Haus habt«, flötete sie in dem Moment. »Und dann auch noch eine Deutsche.« Sie sah Zoe abfällig an. »Aus dem Land von Bier und Sauerkraut.« Sie gackerte laut. »Ich dachte immer, deutsche Frauen wären fett. Aber du«, wieder glitt Danielles Blick an ihr auf und ab, »siehst eher aus wie ’ne Bohnenstange.«

Während sich Danielle in eine Hyäne verwandelte, versuchte Zoe, ihre aufsteigende Wut hinunterzuschlucken. Stattdessen schraubte sie sich ein amüsiertes Grinsen auf ihre Lippen. Das Model wollte einen verbalen Schlag auf die Glocke? Konnte es haben.

»Sag mal«, Zoe lehnte sich vor, »weißt du überhaupt, wo Deutschland liegt? Oder wie die Hauptstadt von Deutschland heißt?«

»Ich weiß zwar nicht, was das zur Sache tut, aber klar weiß ich das.« Danielle warf ihr langes Haar zurück.

Na, auf die Antwort war Zoe aber gespannt.

»Amsterdam.«

Zoe biss sich auf die Lippe, um nicht laut loszuprusten. Hatte sie das wirklich gesagt? Anscheinend ja, denn Tom und Dean schüttelten sich bereits vor Lachen. Immerhin wussten sie, dass das eindeutig die falsche Antwort war.

Danielle hingegen schaute verständnislos von einem zum anderen. Offensichtlich fiel ihr Gehirn nicht so üppig wie ihr Dekolleté aus.

»Was denn? Warum lacht ihr so?« Sie beugte sich zu Dean vor. »Amsterdam ist doch richtig, oder?«

Zoes kleines Ich brach lachkrampfartig zusammen. Wie konnte ein Mensch so herablassend sein, wenn er noch nicht einmal einen Globus gesehen hatte?

Dean tätschelte Danielles Hand. Er hatte alle Mühe, sein erneut aufkeimendes Grinsen zu unterdrücken. »Alles gut, Sweetie.«

Sein letztes Wort schien Danielle zu beschwichtigen. Sie legte ein anhimmelndes Lächeln auf, segnete Zoe jedoch mit grollendem Blick. »Und was machen wir heute Abend, Honey?« Danielle rückte zu Dean, um ihre Arme um seine Schultern zu schlingen.

Dieser blickte zwischen Danielle und ihr hin und her. Sah Zoe richtig oder bildete sie sich bloß ein, dass ihm der Damenbesuch unangenehm war? Überlegte er womöglich, wie er Danielle loswerden konnte? Schließlich hatte die Hohlfrucht seine vorherige Flirtoffensive mit ihr gecrasht. Doch Zoe kam zu keiner Lösung. In dem Moment, als Dean zu einer Antwort ansetzte, wandte sich Tom an sie.

»Und Zoe, hättest du morgen Lust auf eine Führung durch Carsonrock?« Er stützte seine Ellenbogen auf den Tisch. »Dann könntest du dir schon mal ein Bild von unserer Stadt machen.«

Zoe nickte. »Klar, das wäre prima!«

»Fine!« Tom grinste. »Dann zeige ich dir auch die Uni und unser kleines Partyviertel. Gehst du gern feiern?«

»Ähm …« Als Zoe antworten wollte, wurde sie von Dean und Danielle abgelenkt, zwischen denen eine kleine Diskussion entbrannt war. Offensichtlich war Danielle nicht begeistert davon, dass Dean heute Abend zu Hause bleiben wollte.

»Also … ich feiere gern, wenn Ort und Stimmung passen. Muss aber nicht jedes Wochenende sein«, entgegnete Zoe schließlich.

»O super, dann dürfte dir das Joe’s gefallen.«

Sie wollte sich voll und ganz auf den grinsenden Tom konzentrieren und Einzelheiten über dieses Joe’s erfahren, doch ihre Ohren konnten nicht damit aufhören, Dean und Danielle zu belauschen.

Anscheinend wollte Danielle unbedingt in einen neuen Club in der Stadt gehen, worauf Dean so gar keine Lust hatte. Er zog sie auf seinen Schoß, sodass Danielle überrascht quiekte. »Come on, Baby.« Dean legte seine Lippen an ihr Ohr. »Wir könnten doch lieber …«

Zoe konnte regelrecht fühlen, wie sich ihre Ohren in die eines Elefanten verwandelten. Nur leider verstand sie trotzdem kein Wort von dem, was Dean der dämlichen Grinsebacke zu sagen hatte. Danielles jäh glühende Wangen und ihr verlegenes Lächeln zeigten jedoch, dass Deans Pläne wohl eher ins Bett als in die Stadt führten.

»Du schlimmer Junge …«, schnurrte Danielle mit funkelnden Augen.

Während Dean ihre Aussage nicht kommentierte, seufzte Zoe ungewollt. Dieses gegenseitige Anheizen war echt zu viel.

»Alles okay, Zoe?«

Ertappt sah sie auf. Wieder erntete sie einen Blick aus Deans Vorrat, den sie nicht enträtseln mochte.

»Klar.« Zoe lächelte zynisch. »Hauptsache, man hat Spaß im Leben.«

Eine Sekunde lang war ihm wohl nicht klar, worauf sie hinaus wollte, doch schließlich verstand er. Er schob Danielle auf ihren Stuhl zurück, um Zoe dann tief in die Augen zu blicken. »Ich habe dir gesagt, dass ich keinen Plan im Leben habe. Ich nehme alles so, wie es gerade kommt.«

Ja, das hatte er anhand der Frau ohne Gehirn bewiesen. Offenbar war an der These Dumm fickt gut tatsächlich etwas dran.

Während Dean und sie sich anstarrten, blickten Tom und Danielle verwirrt von einem zum anderen. Doch Zoe wandte den Blick ab, um blitzartig aufzuspringen.