Mystische Schriften und Reden - Katharina von Genua - E-Book

Mystische Schriften und Reden E-Book

Katharina von Genua

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Beschreibung

"Ein Herz, das sich in Gott befindet, sieht alles Geschaffene unter seinen Füßen, nicht aus Stolz oder Hochmut, sondern vermöge der Einigung, in die es mit Gott getreten ist. Denn kraft dieser betrachtet es alles, was von Gott ist, als Eigentum, ja es sieht, kennt und weiß nichts mehr als Gott. Ein Herz, das von Gottesliebe eingenommen ist, kann nicht überwunden werden, da Gott seine Stärke ist. Du kannst es nicht schrecken mit der Hölle, nicht erfreuen mit dem Paradies. Denn es ist so geordnet, dass es alles, was ihm gefällt, von Gottes Hand annimmt, und dadurch mit der ganzen Welt und mit dem Nächsten gleichsam in unzerstörlichem Frieden bleibt. So ist es von Gott in sich geordnet und gefestigt. - Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit." (Katharina von Genua) Inhalt. Über das Leben der heiligen Katharina von Genua. 1. Abhandlung über das Fegefeuer. 2. Geistliches Wechselgespräch zwischen der Seele, dem Leib, der Eigenliebe, dem Geist, der menschlichen Natur und Gott dem Herrn. 32. 3. Reden der heiligen Katharina.

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Inhalt.

Über das Leben der heiligen Katharina von Genua.

Abhandlung über das Fegefeuer.

Geistliches Wechselgespräch zwischen der Seele, dem Leib, der Eigenliebe, dem Geist, der menschlichen Natur und Gott dem Herrn.

Reden der heiligen Katharina.

Über das Leben der heiligen Katharina von Genua.

I M Jahre 1447 wurde zu Genua von adligen Eltern die heilige Katharina geboren, welche von ihrem adeligen Geschlecht Fieschi, von dem Geschlecht ihres Gemahls Adorno, insgemein aber von der Stadt, wo sie geboren wurde, den Zunamen führt, und deshalb Katharina von Genua genannt wird. Schon im achten Jahre ihres Alters nahm man an ihr deutliche Kennzeichen künftiger Heiligkeit wahr. Unter anderen wird erzählt, daß sie zu derselben Zeit schon durch den öfteren Anblick eines Bildes des Gekreuzigten mit heftiger Liebe gegen Gott und einer ebenso feurigen Begierde Christus zuliebe vieles zu erleiden entzündet worden sei. Daher wollte sie schon damals auf keinem weichen Bett, sondern auf harter Spreu liegen, und statt des Kopfkissens sich eines harten Holzes bedienen. Als sie 13 Jahre alt war, verlangte sie inständig in ein Kloster zu gehen, und daselbst ihr ganzes Leben zu verharren. Weil man sie aber wegen ihres zarten Alters nicht aufnahm, setzte sie ihr tugendhaftes Leben im väterlichen Haus bis in das 16te Jahr fort, in welchem sie sich mit Julian Adorno, einem zwar adeligen und reichen, aber leider ihr höchst unähnlich gesinnten Jüngling verehelichen mußte. Dieser bezeigte gleich am ersten Tage der Verehelichung ein Mißfallen an Katharina, und begegnete ihr auf eine so unanständige Art, daß sie von allen bedauert wurde. Sie unterließ nichts, womit sie dessen Gemüt zu besänftigen hoffte; aber vergebens. Julian war dem Spiel, Essen und Trinken sehr ergeben; er liebte und suchte nichts, als was zur Ergötzung des Leibes gehörte; deshalb haßte und verfolgte er die fromme Katharina.

Aus diesem Grunde versank sie in eine solche Traurigkeit, daß sie alle Gesellschaft der Menschen zu meiden, und in einem Zimmer eingeschlossen, fast wie in einer Einsiedelei zu leben sich entschloß. Nachdem sie fünf Jahre also zugebracht hatte, rieten ihr ihre Verwandten als ein Mittel ihre Traurigkeit zu zerstreuen, einstimmig, sie sollte ihr Gebet, dem sie ganz ergeben war, abkürzen sich mehr unter den Menschen sehen lassen, und manche erlaubte Ergötzungen der Welt sich verschaffen. Sie folgte diesem Rat, ging jedoch mit solcher Behutsamkeit dabei zu Werke, daß sie Gott den Herrn wenigstens mit keiner schweren Sünde beleidigte. Fünf Jahre lang dauerte diese Weise zu leben. Allein je mehr sie sich den Weltfreuden ergab, und dadurch ihre Traurigkeit lindern wollte, desto mehr Abscheu empfand sie vor denselben, und ihre Traurigkeit nahm so zu, daß sie des Lebens ganz überdrüssig wurde, und noch überdies in sehr schwere Gemütsängste verfiel. Als sie sich nun nicht mehr zu helfen wußte, begab sie sich zu ihrer Schwester Limbania mit Namen, welche in einem Kloster sehr erbaulich lebte. Diese ermahnte sie, den ganzen Zustand ihres Gemütes dem Beichtvater des Klosters zu entdecken.

Katharina kam nach einigen Tagen nicht ohne große Überwindung ihrer selbst in dessen Beichtstuhl. Kaum aber kniete sie nieder, so wurde ihr Gemüt auf ein Mal durch ein göttliches Licht so erleuchtet, daß sie einerseits in Betrachtung der göttlichen Güte mit so heftiger Liebe gegen Gott entzündet, andererseits in lebhafter Erkenntnis ihrer Sünden mit so großem Schmerze erfüllt wurde, daß sie zu Boden sank, und nichts anderes ausrief als diese Worte: „O Herr! Nichts, nichts mehr will ich mit der Welt zu tun haben, nichts mehr mit der Sünde. Keine Sünde mehr, o Herr! Keine Sünde mehr!“ Nachdem sie sich ein wenig erholt hatte, ging sie mit dem Vorsatz nach Hause, sich zu einer Generalbeichte vorzubereiten. Der Schmerz und die Liebe begleiteten sie, und nahmen so sehr überhand, daß sie nach ihrem eigenen Bekenntnis glaubte, sie würde vor Heftigkeit derselben in dem Zimmer, wo sie sich nach ihrer Rückkehr eingeschlossen hatte, sterben müssen. Bald darauf kam ihr vor, als stände Jesus leibhaft vor ihren Augen, wie er das schwere Kreuz tragend, aus seinen heiligen Wunden ganze Ströme seines heiligen Blutes vergieße, und sie also anrede: „Sieh, alles dieses Blut ist dir zuliebe und zur Vertilgung deiner Sünden vergossen worden.“ Welche Anmutungen in dem Herzen der heiligen Katharina entstanden, ist zu schildern unmöglich. Ein Wunder der göttlichen Allmacht war es, daß sie nicht auf der Stelle wegen der Größe des Schmerzes und der Liebe tot zur Erde sank. „O Liebe!“ rief sie mit lauter Stimme; „o Liebe! Keine Sünde mehr, keine Sünde mehr, o Liebe!“ Nachdem sie eine Linderung wahrnahm, bereitete sie sich mit möglichster Sorgfalt zu der vorgenommenen Generalbeichte, welche sie auch unter Vergießung unzählbarer Tränen am Vorabend des Festes der Verkündigung Mariæ ablegte. Am Festtag selbst empfing sie die heilige Kommunion und von derselben Stunde an empfand sie in sich selbst eine unaussprechlich große Begierde, dieses heiligste Sakrament so oft als möglich zu empfangen.

Sie war aber nicht damit zufrieden, daß sie ihre Sünden reumütig gebeichtet hatte, sondern um dieselben vollkommen abzubüßen, übte sie sich beständig in den schwersten Bußwerken. Um nur von ihrem Fasten etwas zu melden, so genügt es zu sagen, daß sie sich für allezeit von allen Speisen, die ihr sonst angenehm waren, enthielt. 23 Jahre lang nahm sie innerhalb der 40tägigen Fasten- und Adventszeit gar keine Speise, sondern nur bisweilen einen Trunk Wasser zu sich, welches sie noch mit Salz und Essig vermischte. Die täglich empfangene heilige Kommunion erhielt sie durch ein augenscheinliches Wunder am Leben. Sie bekam zwar nach Verlauf von 14 Monaten von Gott die Versicherung, daß ihre Sünden nunmehr vollkommen abgebüßt wären; dennoch setzte sie von ihren Bußwerken nicht aus, so lange sie lebte. In den Werken der Liebe gegen den Nächsten zeigte sie eine gleiche Beständigkeit. Anfangs bediente sie aufs liebreichste die Kranken in der Stadt; dann begab sie sich in das große Spital, und verharrte in diesen Liebesdiensten, so lange es ihre Kräfte zuließen. Bei dieser ihrer so liebvollen, unermüdeten Bedienung der Kranken ging ihre Sorge nicht nur auf die Leiber allein, sondern noch vielmehr auf ihre unsterblichen Seelen. Sie redete ihnen aufs liebreichste ans Herz, munterte sie zur Geduld auf, eiferte sie zur Buße an, und tat alles, was nur immer die christliche Liebe in solchen Umständen zum besten der Seele tun kann. Vielen, die in ihren Schmerzen fast verzweifelten, erflehte sie durch ihr Gebet die so notwendige Geduld von Gott.

Unter diese ist vor allen ihr eigener Gatte zu zählen. Er wurde von einer äußerst schmerzlichen Krankheit überfallen, welche ihn lange Zeit unaussprechlich peinigte. Keine Arznei verschaffte ihm einige Linderung. Tag und Nacht hatte er nicht die mindeste Ruhe. Daher brach er öfters in die größte Ungeduld aus. Katharina bot alles auf, was sie nur erachtete, ihm dadurch einigen Trost bringen zu können. Sie ermahnte ihn aufs liebreichste zur Ergebung in den göttlichen Willen, zur christlichen Geduld und zu anderen dergleichen höchst notwendigen Tugenden. Da sie aber sah, daß alles vergebens sei, und deshalb nicht wenig fürchtete, ihr Gemahl dürfte auf diese Weise ewig zugrunde gehen, begab sie sich einst in das nächstgelegene Zimmer, warf sich auf die Erde nieder, und bat Gott aufs inständigste um die Bekehrung des Kranken. Man hörte außer dem Zimmer unter anderen diese Worte: „O Liebe! Ich bitte dich um diese Seele. Schenke sie mir, du kannst sie mir schenken!“ Während der Zeit beobachtete man eine ganz wunderbare Veränderung an dem Kranken. Er bereute seine Ungeduld, er ergab sich vollkommen dem Willen Gottes, verrichtete reumütig seine heilige Beichte, und bereitete sich aufs sorgfältigste zu seinem Hinscheiden. Katharina bekam von Gott selbst die Versicherung seiner Seligkeit. So erwirkte ihr Gebet mehrere dergleichen Bekehrungen.

In ihrem Witwenstand verdoppelte sie ihren bis dahin bezeigten Eifer in Übung der Tugenden und guten Werke. Man hat in ihrem Leben die auserlesensten Beispiele aller christlichen Tugenden, besonders einer ganz wunderbaren Liebe gegen Gott. Das Feuer dieser Liebe, womit ihr Herz ganz entzündet war, schlug auch in die äußerlichen Glieder; man konnte bisweilen ihr Angesicht, ihre Hände, ihre Brust ebensowenig anrühren, als ein ganz glühendes Eisen. Man hielt einst ihre Hand in ein eiskaltes Wasser, und dieses fing bald vor Hitze zu wallen an, als wenn es lange Zeit beim Feuer gestanden wäre. Mehrmals geschah es, daß sie vor innerlicher Hitze des göttlichen Liebesfeuers nicht mehr atmen konnte, und deshalb zu Gott ausrief: „O Liebe! Ich kann nicht mehr.“ In ihren letzten Jahren erlitt die heilige Witwe die sonderbarsten und zugleich schmerzhaftesten Krankheiten, in welchen auch alle Arzneien, die angewendet wurden, ihr nicht die geringste Linderung verschaffen konnten. In ihrem Leiden aber zeigte sie nicht allein eine heldenmütige, unüberwindliche Geduld, sondern auch eine ungebrochene Freude des Gemütes.

Das Ende ihres Lebens und Leidens fiel in das Jahr 1510 am 15. September, im 63ten Jahr ihres Alters, nachdem sie vieles von der Liebe gegen Gott zu den Anwesenden gesprochen hatte. Ihre letzten Worte waren die Worte des Gekreuzigten: „In deine Hände empfehle ich meinen Geist.“ In dem Augenblick ihres Hinscheidens sahen mehrere gottselige Personen, wie ihre Seele mit großem Glanz umgeben, dem Himmel zufuhr. Ihr heiliger Leib blieb noch bis auf die Stunde unversehrt erhalten, und wird mit großer Andacht verehrt. Die Erzählung der Wunder, welche Gott der Herr auf ihre Fürbitte gewirkt hat, findet sich in mehreren Büchern. Es hat auch die heilige Katharina selbst zwei Bücher verfaßt, welche ein Zeichen sind, daß gleichwie sie mit vielen anderen außerordentlichen Gaben, besonders mit vielen hohen Erscheinungen und Entzückungen von Gott begnadigt gewesen ist, sie auch eine wahrhaft himmlische Weisheit besessen habe. So erleuchtet, hat sie in ihrem Leben verschiedenen Menschen die heilsamsten Unterweisungen mitgeteilt. Einer Person, die in das Kloster ging, und eine Lehre von ihr verlangte, sagte sie: „Jesus soll in deinem Herzen sein, die Ewigkeit in deinem Gemüt, die Welt unter deinen Füßen, und der göttliche Wille in allem deinen Tun und Lassen; über alles aber soll die Liebe Gottes in allem hervorleuchten.“ Nichts empfahl sie denjenigen, die sich mit ihr besprachen, öfters, als daß sie Gott lieben, und aus Liebe gegen Gott auch die mindeste Sünde vermeiden sollten. Gott hatte ihr zu einer Zeit die Abscheulichkeit einer läßlichen Sünde gezeigt, und sie bekannte in der Folge, daß sie vor Schrecken gestorben wäre, wenn sie noch einen Augenblick diese Abscheulichkeit hätte ansehen müssen. Daher kam es, daß sie sich aufs sorgfältigste selbst vor dem geringsten Schatten der Sünde hütete, und auch andere sich davor zu hüten so eifrigst ermahnte.1

1 Nach: F. X. Weninger: Die Legende der Heiligen..., Benziger Br. 1868. S 385 ff.

Abhandlung über das Fegefeuer.

Wie sie vergleichungsweise aus dem göttlichen Feuer, das sie in sich fühlte, erkannte, von welcher Beschaffenheit das Fegefeuer sei, und wie sich dort die Seelen (zu gleicher Zeit) zufrieden und gepeinigt befinden.

1. Kapitel.

Zustand der Seelen, die im Fegefeuer sind; wie sie frei von aller Eigenliebe sind.

ALS diese heilige Seele2 während ihres Wandels im Fleisch in dem Fegefeuer der brennenden Gottesliebe, das sie ganz versengte und von allem, was noch zu läutern war, läuterte, um bei ihrem Austritt aus diesem Leben vor den Augen Gottes, ihrer süßen Liebe, erscheinen zu können, sich befand, erkannte sie mittelst dieses Feuers der Liebe in ihrer Seele, in welchem Zustand sich die Seelen der Gläubigen im Ort der Reinigung befinden, um von jedem Rost und jedem Makel der Sünde, von der sie in diesem Leben sich noch nicht geläutert haben, geläutert zu werden. Und gleichwie sie selber in dem Fegefeuer der göttlichen Liebe mit dieser göttlichen Liebe eins war, und sich mit allem, was sie in ihr wirkte, zufrieden befand, gerade so erkannte sie den Zustand der Seelen, die im Fegefeuer sind, und sagte:

„Die Seelen, die im Fegefeuer sind, können, soviel ich davon zu verstehen glaube, keine andere Wahl3 haben, als gerade an diesem Ort zu sein, und zwar, weil es Gottes Anordnung ist, der diese gerechterweise getroffen hat. Sie können sich nicht mehr zu sich selber kehren und sagen: Ich habe diese und jene Sünde begangen, durch welche ich an diesem Ort zu sein verdiene. Sie können nicht sagen: Ich wünschte sie nicht getan zu haben, auf daß ich nun in das Paradies eingehen könnte, sowie auch nicht: Dieser da kommt früher als ich heraus, oder: Ich werde früher, als er, herauskommen. Sie können keinen Gedanken von sich oder von anderen haben, woraus sie eine größere, als die gewöhnliche Trübsal schöpfen würden, betreffe es Gutes oder Böses, sondern sie haben eine solche Zufriedenheit, in der Anordnung Gottes zu sein (und zu sehen), daß er alles vollbringt, was ihm gefällt und wie es ihm gefällt, daß sie bei ihrer größten Pein nicht an sich selbst denken können, und nur allein das Wirken der göttlichen Güte sehen, die so viel Barmherzigkeit mit dem Menschen hat, um ihn zu sich zu führen, daß derselbe weder von der Pein noch von dem Glück, das ihm als eigener Person zufallen könnte, etwas sehen kann. Ja könnten die Seelen es sehen, so wären sie nicht in reiner Liebe. Sie können nicht sehen, daß sie in diesen Qualen für ihre Sünden sind4 und können ein solches Sehen nicht in ihrem Geist haben; denn das wäre eine wirkliche Unvollkommenheit, die an diesem Ort nicht sein kann, weil es da kein wirkliches Sündigen mehr gibt.5

Die Ursache des Fegefeuerleidens, die sie in sich haben, sehen sie nur ein Mal, beim Austritt aus diesem Leben, und dann nicht mehr; denn das wäre eine Selbsteigenheit. Da sie nun in der Liebe sind und von dieser durch einen wirklichen Fehler nicht mehr abweichen können, so können sie nichts mehr wollen oder wünschen, als das reine Wollen der reinen Liebe. Und da sie in diesem Ort des Fegefeuers sind, so sind sie in der göttlichen Anordnung (welches die reine Liebe ist)6, und können in keiner Sache mehr davon abweichen, weil sie ebenso beraubt sind der Fähigkeit, wirklich zu sündigen, als wirklich zu verdienen.“

2. Kapitel.

Welches die Freude der Seelen im Fegefeuer sei. Vergleich, womit sie zeigt, wie sie Gott immer besser sehen. Schwierigkeit, von diesem Gegenstand zu reden.

I CH glaube nicht, daß man eine Freude finden könne, die mit jener einer Seele des Fegefeuers zu vergleichen wäre, ausgenommen jene der Heiligen des Paradieses. Und diese Freude nimmt vermöge der Einwirkung Gottes auf diese Seelen jeden Tag zu. Denn diese Einwirkung nimmt zu, gleichwie das Hindernis, das ihr im Wege steht, abnimmt. Der Rost der Sünde ist das Hindernis, und gleichwie das Feuer den Rost verzehrt, so öffnet sich die Seele immer mehr der göttlichen Einwirkung. Ebenso wie eine verhüllte Sache das Licht der Sonne nicht empfangen kann, – wovon aber keineswegs die Sonne, welche immerfort leuchtet, sondern der Gegensatz der Umhüllung die Schuld trägt, – so wird auch, wenn die Umhüllung gehoben wird, die Sache sich der Sonne öffnen, und des Lichtes um so mehr empfangen, als die Umhüllung mehr gehoben wird.

So ist der Rost der Sünde die Umhüllung der Seelen und wird im Reinigungsort aufgehoben durch das Feuer. Je mehr davon aufgehoben wird, desto mehr wird man des Lichtes der wahren Sonne, Gottes nämlich, teilhaft. Die Freude wächst daher in demselben Maß, als der Rost abnimmt und die Seele sich öffnet dem göttlichen Strahl. Und so nimmt das eine zu und das andere ab, bis die Zeit vollendet ist. Es nimmt nicht die Pein ab, wohl aber die Zeit, in der Pein zu bleiben. Und was den Willen betrifft, so können sie niemals sagen: „Diese Qualen sind vollbracht.“ So zufrieden sind sie mit der Anordnung Gottes, mit welcher ihr Wille in reiner Liebe vereinigt ist.

Von der anderen Seite aber haben sie eine so außerordentliche Pein, daß keine Zunge sie schildern, noch ein Verstand den mindesten Funken davon fassen möchte, wenn Gott sie nicht vermöge besonderer Gnade offenbaren würde. Einen solchen Funken zeigte Gott aus Gnade dieser7 Seele, aber mit der Zunge kann ich ihn nicht aussprechen. Und diese Erscheinung, die mir der Herr gezeigt hat, entfernte sich niemals mehr aus meiner Seele, und ich will davon sagen, soviel ich vermag. Nur diejenigen werden es verstehen, denen der Herr gnädig den Verstand eröffnet.

3. Kapitel.

Daß die Trennung von Gott die größte Strafe des Fegefeuers sei. Wodurch das Fegefeuer von der Hölle sich unterscheide.

DER Grund aller Qualen ist die Erbsünde und die freiwillige Sünde. Gott erschuf die Seele rein, einfach und lauter von allem Makel der Sünde mit einem gewissen Glückseligkeitstrieb nach ihm (Gott). Von diesem Trieb entfernt sie die Erbsünde, die sie (in sich) findet. Wenn hierzu nachher die freiwillige gefügt wird, so entfernt sie sich noch weiter davon. Und je weiter sie sich davon entfernt, desto schlimmer wird sie, weil Gott ihr desto weniger hilft.

Und weil alles Gute, was es geben kann, nur durch Mitteilung von Seite Gottes besteht, der sowohl in den vernunftlosen Geschöpfen wirkt, wie er will und wie er es angeordnet hat, und sich ihnen niemals entzieht, als auch der vernünftigen Seele mehr oder weniger mitwirkt, je nachdem er sie vom Hindernis der Sünde gereinigt findet, darum öffnet sich auch in einer Seele, die sich ihrer ersten reinen und lauteren Schöpfung nähert, dieser Glückseligkeitstrieb und wächst immerfort mit einem solchen Ungestüm und Feuereifer der Liebe, (der sie treibt nach dem letzten Ziel,) daß es ihr unmöglich scheint, gehindert zu werden. Und je mehr sie sieht, desto größer ist die Pein.

Und weil die Seelen im Fegefeuer ohne Schuld der Sünde sind, deshalb haben sie kein Hindernis zwischen Gott und sich, als nur jene Pein, die sie aufgehalten hat, daß der Trieb seine Vollkommenheit nicht erlangen konnte. Und da sie nun eine so gewisse Erkenntnis davon haben, was es Wichtiges um jedes kleinste Hindernis sei, und daß jener Trieb vermöge des Gesetzes der Gerechtigkeit aufgehalten werde, so entsteht daraus ein gewaltiges Feuer, ähnlich jenem der Hölle, nur die Schuld ausgenommen, die dasjenige ist, was den Willen böse macht bei den Verdammten, so daß Gott ihnen seine Güte nicht zukommen läßt und sie deshalb in jenem hoffnungslosen bösen Willen gegen den Willen Gottes verbleiben.

4. Kapitel.

Von dem Zustand der Seelen in der Hölle und von dem Unterschied, der zwischen ihnen und jenen des Fegefeuers ist. Gedanke dieser Heiligen über jene, welche ihr Heil verabsäumen.

DARAUS ersieht man offenbar, daß der verkehrte Wille, der sich dem Willen Gottes widersetzt, dasjenige ist, was die Schuld macht, und daß, wenn der böse Wille fortdauert, auch die Schuld fortdauert, und daß den Verdammten, weil sie mit dem bösen Willen aus diesem Leben geschieden sind, ihre Schuld nicht nachgelassen wird, noch auch nachgelassen werden kann, weil sie den Willen nicht mehr ändern können, indem sie mit demselben aus diesem Leben geschieden sind, und bei diesem Schritt die Seele sich festigt entweder im Guten oder im Bösen, wie sie sich eben nach ihrem überlegten Willen befindet. Denn es steht geschrieben: Wo ich dich finde, das heißt, mit welchem Willen zu sündigen, oder mit welcher Reue über die Sünde ich dich in der Stunde des Todes finde, da werde ich dich richten. Bei diesem Gericht gibt es keine Nachlassung. Denn nach dem Tod kann die Freiheit des freien Willens nicht mehr zurückkehren, sondern bleibt gefestigt in dem, worin sie sich im Augenblick des Todes befand. Die Verdammten in der Hölle haben im Augenblick des Todes einen sündhaften Willen gehabt, und deshalb tragen sie nun eine endlose Schuld und Strafe in sich, die Strafe zwar nicht so groß, als sie es verdient hätten, aber ohne Ende. Dagegen jene im Fegefeuer haben nur die Strafe, weil die Schuld im Augenblick des Todes ausgelöscht wurde. Denn sie befanden sich im Leid über ihre Sünde, und in der Reue, die göttliche Güte beleidigt zu haben. Und darum ist ihre Strafe endlich und nimmt, wie schon gesagt, immer ab in der Zeit. O Elend über alles Elend, und um so größer, als es von der menschlichen Blindheit nicht in Betracht gezogen wird!

Die Strafe der Verdammten ist jedoch nunmehr nicht unendlich in Betreff der Größe; denn die liebliche Güte Gottes läßt den Strahl ihrer Barmherzigkeit bis in die Hölle sich ausbreiten. Denn der in der Todsünde gestorbene Mensch verdient unendliche Strafe und endlose Zeit (der Strafe); allein die Barmherzigkeit Gottes hat nur die Zeit endlos gemacht, die Strafe aber in Betreff der Größe beschränkt; denn gerechterweise hätte er ihm eine viel größere Strafe geben können, als er ihm wirklich gegeben.

O was ist es doch Gefährliches um die Sünde, die man mit Bosheit verübt, da der Mensch so schwer daran geht, sie zu bereuen; und wenn er sie nicht bereut, die Schuld so lange bleibt, als der Mensch in dem Willen der begangenen oder zu begehenden Sünde bleibt!

5. Kapitel.

Von dem Frieden und der Freude, die im Fegefeuer gefunden wird.

DIE Seelen des Fegefeuers haben einen Willen, der in allem dem Willen Gottes gleichförmig ist. Und deshalb hilft er ihnen mit seiner Güte, und sie bleiben, was den Willen betrifft, zufrieden, und was die Schuld betrifft, gereinigt von all ihrer Sünde. Da diese Seelen so gereinigt bleiben, wie sie es waren, als Gott sie schuf, und da sie mit wahrem Herzensleid und mit dem Bekenntnis aller ihrer begangenen Sünden aus diesem Leben geschieden sind, auch den Willen gehabt haben, sie nimmer zu begehen, so verzeiht ihnen Gott ihre Schuld und es bleibt nur noch der Rost der Sünde, wovon sie hernach im Feuer mittelst der Strafe gereinigt werden. Und so gereinigt von aller Schuld und durch den Willen mit Gott vereinigt, sehen sie Gott in dem Grade der Erkenntnis, den er ihnen verleiht, mit Klarheit, und sehen auch, was es Großes um den Genuß Gottes sei, und daß die Seelen eben zu diesem Zweck (Gottes nämlich zu genießen) geschaffen seien. Sie finden auch (in sich) eine innige Gleichförmigkeit mit eben diesem Gott, einen so starken Zug nach ihm vermöge des natürlichen Triebes, den Gott der Seele eingepflanzt hat, daß sich keine Redensarten, Figuren oder Gleichnisse auffinden lassen, um diesen Gegenstand zu erklären, wie die Seele in Wirklichkeit ihn fühlt und vermöge inneren Gefühls versteht. Dessen ungeachtet will ich Eines davon sagen, was sich der Seele (hier) darstellt.

6. Kapitel.

Ein Gleichnis, um die Gewalt der Liebe auszudrücken, mit welcher die Seelen nach dem Genuß Gottes verlangen.

W ENN es auf der ganzen Welt nur ein einziges Brot gäbe, welches allen Geschöpfen den Hunger stillen sollte, und durch welches die Geschöpfe nur vom Anschauen gesättigt würden, und wenn der Mensch, der im Zustand der Gesundheit von Natur aus den Trieb zu essen hat, durch das Nichtessen weder erkranken noch sterben könnte, so würde dieser Hunger immer zunehmen, weil sich der Trieb zu essen niemals mindern würde. Und wenn er nun wüßte, daß nur das besagte Brot ihn sättigen und der Hunger ohne dasselbe nicht gestillt werden könnte, so würde er unerträgliche Pein leiden. Je mehr aber der Mensch diesem Brot nahekäme, ohne es zu sehen, desto mehr würde das natürliche Verlangen, welches vermöge seines Triebes ganz auf dieses Brot, in welchem all sein Genüge besteht, gerichtet ist, in ihm sich entflammen. Und wenn er gewiß wüßte, daß er das Brot niemals sehen würde, so hätte er in diesem Augenblick die vollkommene Hölle, wie die Verdammten, die aller Hoffnung beraubt sind, das Brot, Gott den wahren

Heiland, zu sehen. Allein die Seelen des Fegefeuers haben die Hoffnung, das Brot zu sehen und sich vollkommen daran zu ersättigen. Deshalb leiden sie so großen Hunger und leiden so lange Pein, als sie warten müssen, sich ersättigen zu können an dem Brot, das da ist Jesus Christus, der wahre Gott und Heiland, unsere Liebe.

7. Kapitel.

Von der wunderbaren Weisheit Gottes in Erfindung des Fegefeuers und der Hölle.

GLEICHWIE der lautere und gereinigte Geist keinen Ruheplatz findet, als Gott, indem er zu diesem Zweck (in Gott nämlich zu ruhen) erschaffen ist, so findet die Seele, die in der Sünde ist, keinen anderen ihr tauglichen Ort, als die Hölle, indem Gott diesen Ort zu ihrem Zweck bestimmt hat. Die Seele geht daher in demselben Augenblick, da sie vom Leib geschieden wird, an ihren bestimmten Ort, ohne einen anderen Führer zu haben, als die Natur der Sünde, wenn die Seele mit Todsünden behaftet aus dem Leib scheidet. Und wenn die Seele in jenem Augenblick diese Bestimmung (die aus der Gerechtigkeit Gottes hervorgeht) nicht finden würde, so würde sie in einer ärgeren Hölle sich befinden, als jene andere ist; denn sie würde sich dann außerhalb jener Bestimmung und Anordnung befinden, die eines Anteils der göttlichen Barmherzigkeit genießt, indem ihr da keine so große Strafe zukommt, als sie verdient. Da sie somit keinen geeigneteren und weniger für sie schlimmen Ort nach Gottes Anordnung findet, so stürzt sie sich in denselben als den ihr eigenen Ort hinein.

So verhält es sich in Betreff des Fegefeuers, wovon wir eben reden. Da die vom Leib getrennte Seele, die sich nicht in der ursprünglichen anerschaffenen Reinheit befindet, das Hindernis in sich sieht und auch weiß, daß es nicht anders als mittelst des Fegefeuers gehoben werden kann, so stürzt sie sich sogleich und gerne hinein. Und wenn sie diese Anordnung, die zur Hebung jenes Hindernisses geeignet ist, nicht finden würde, so würde sich in diesem Augenblick in ihr eine Hölle erzeugen, die schlimmer wäre als das Fegefeuer. Denn sie würde sehen, daß sie sich vermöge des Hindernisses ihrem Zweck, der da Gott ist, nicht nähern könnte. Das ist aber eine Sache von solchem Belang, daß im Vergleich damit das Fegefeuer gar nicht zu achten ist, obwohl es, wie schon gesagt, der Hölle ähnlich ist. Es ist in diesem Vergleich wie nichts.

8. Kapitel.

Von der Notwendigkeit des Fegefeuers, und was für ein erschreckliches Ding es sei.

I CH sage noch mehr. Ich sehe, das Paradies hat, von seiten Gottes betrachtet, kein Tor, sondern wer da eingehen will, der geht ein; denn Gott ist lauter Barmherzigkeit und wartet mit offenen Armen, uns in seine Herrlichkeit aufzunehmen. Allein ich sehe auch, diese göttliche Wesenheit ist von solcher Lauterkeit (und weit über all unsere Vorstellung), daß die Seele, welche nur den mindesten Splitter von Unvollkommenheit in sich hat, weit lieber in 1.000 Höllen sich stürzen, als mit solchem Makel in der Gegenwart Gottes erscheinen würde. Da sie nun erkennt, daß das Fegefeuer zur Hebung dieser Makel bestimmt ist, so wirft sie sich hinein und es kommt ihr vor, sie finde eine große Barmherzigkeit darin, daß dieses Hindernis in ihr gehoben werden kann.

Was es aber Bedeutendes um das Fegefeuer sei, das kann keine Zunge aussprechen und kein Verstand fassen; ich sehe nur soviel, daß die Pein so groß ist, wie in der Hölle. Und dennoch sehe ich, die Seele, welche in sich das mindeste Makel der Unvollkommenheit hat, nimmt es (wie schon gesagt) für eine Barmherzigkeit an, und schlägt es gewissermaßen für nichts an im Vergleich mit jenem Makel, das da hindert ihre Liebe. Und ich meine zu sehen, die Strafe der Seelen des Fegefeuers bestehe mehr darin, daß sie sehen, sie haben etwas Gott Mißfälliges an sich und haben es freiwillig gegen eine so große Güte begangen, als in irgendeiner anderen Pein, die sie im Fegefeuer empfinden. Der Grund ist der, weil sie jetzt in der Gnade sind, und somit die Wahrheit und die Wichtigkeit des Hindernisses, welches sie Gott nicht nahe kommen läßt, erkennen.

9. Kapitel.

Gegenseitiger Blick zwischen Gott und den Seelen im Fegefeuer.

ALLE diese Dinge, von denen bisher die Rede war, sind im Vergleich zu dem, was ich in meinem Geist (so weit ich es in diesem Leben habe verstehen können) als gewiß erkenne, so außerordentlich, daß alle Gesichte, alle Worte, alle Gefühle, alle Vorstellungen, alle Gerechtigkeit mir wie nichts vorkommen. Ich fühle mich beschämt, keine Worte finden zu können, die da entsprechen.

Ich sehe eine so große Gleichförmigkeit Gottes mit der Seele, daß er, wenn er sie in dieser Lauterkeit, in welcher sie seine Majestät erschaffen hat, erblickt, ihr eine gewisse Anziehungskraft entflammter Liebe verleiht, welche hinreichend wäre, sie zu vernichten, obgleich sie unsterblich ist, und welche bewirkt, daß sie so in ihn, ihren Gott umgestaltet wird, daß man nichts anderes mehr als Gott sieht, der beständig sie an sich zieht und entflammt, und sie nicht mehr anläßt, bis er sie zu jenem Sein geführt hat, von welchem sie ausgegangen ist, zu jener reinen Lauterkeit nämlich, in der sie erschaffen worden.

Wenn die Seele vermöge inneren Geistesblickes sich durch ein solches Liebesfeuer von Gott angezogen sieht, so löst sie sich durch diese Hitze der entflammten Liebe zu ihrem süßesten Herrn und Gott, die sie in ihrem Geist anschwellen fühlt, ganz wie im Schmelzfeuer auf. Wenn sie dann im göttlichen Licht sieht, wie Gott niemals aufhört, sie anzuziehen, und liebreich zu ihrer höchsten Vollkommenheit zu führen, und daß er dieses mit der größten Sorgfalt und mit beständiger Aufmerksamkeit und nur aus reiner Liebe tut, daß aber sie selber, weil sie das Hindernis der Sünde an sich hat, jenem Zug von seiten Gottes, d. h. jenem Blick der Einigung, den Gott, um sie an sich zu ziehen, auf sie geworfen hat, nicht folgen kann; wenn sie dann noch sieht, von welch großer Bedeutung es sei, zurückgehalten zu werden vom Anblick des göttlichen Lichtes, und hierzu noch den Trieb der Seele in Betracht zieht, die da ohne Hindernis von jenem Blick der Einigung gezogen werden möchte: so sage ich, die Anschauung und Erkenntnis dieser genannten Dinge sei eben dasjenige, was den Seelen die Pein verursacht, die sie im Fegefeuer zu leiden haben. Sie schlagen jedoch diese ihre Pein (obwohl sie so groß ist) nicht an, sondern berücksichtigen weit mehr den Gegensatz gegen den Willen Gottes, den sie in sich finden, weil sie ja hell und klar sehen, daß Gott von einer so außerordentlichen und reinen Liebe zu ihnen entzündet ist.

Diese Liebe mit jenem Blick der Einigung zieht beständig so arg, als hätte sie nichts anderes zu tun als dieses. Darum würde die Seele, die dieses sieht, wenn sie ein anderes Fegefeuer als jenes finden könnte, um schneller das Hindernis (der Einigung) beheben zu können, sich alsogleich in dasselbe werfen vermöge des Ungestüms jener gleichförmigen Liebe zwischen Gott und der Seele.

10. Kapitel.

Wie Gott sich des Fegefeuers bedient, um die Seele vollkommen rein zu machen; und wie sie dort eine so große Reinheit erlangt, daß sie im Fall längeren Bleibens nach geschehener Reinigung nichts mehr leiden würde.

I CH sehe auch aus jener göttlichen Liebe gewisse Strahlen und flammende Lichter auf die Seele ausgehen, die so durchdringend und gewaltig sind, daß es scheint, sie müßten nicht bloß den Leib, sondern, wenn es möglich wäre, auch die Seele vernichten. Diese Strahlen bringen zwei Wirkungen hervor: sie reinigen zum Ersten, hernach vernichten sie.

Betrachte das Gold. Je mehr du es schmilzt, desto besser wird es. Du könntest es solange schmelzen, daß du alle Unvollkommenheit darin vernichtetest. Eine solche Wirkung bringt das Feuer in den materiellen Dingen hervor. Die Seele nun kann zwar nicht in Gott vernichtet werden, wohl aber in sich selber8 als eigener Persönlichkeit. Je mehr sie geläutert wird, desto mehr wird sie in sich vernichtet, und zuletzt bleibt sie in Gott gereinigt.

Wenn das Gold bis auf 24 Karat geläutert ist, so kann durch kein Feuer, das man ihm zulegt, mehr etwas verzehrt werden; denn es kann nichts anderes, als nur sein Unvollkommenes (seine Schlacke) verzehrt werden. So macht es das göttliche Feuer in der Seele: „Gott hält sie so in Feuer, daß er in ihr alle Unvollkommenheit verzehrt und sie zur Vollkommenheit von 24 Karat führt, doch jede in der Stufe, auf der sie sich befindet.9 Und wenn sie geläutert ist, so bleibt sie ganz in Gott, ohne irgend etwas in sich selber; und ihr Sein ist Gott. Denn wenn er die Seele so gereinigt hat, daß sie zu ihm gelangt ist, so bleibt sie leidensunfähig; denn es findet sich in ihr nichts mehr zum Verzehren. Und wenn sie so geläutert auch wirklich in Feuer gehalten würde, es wäre für sie nicht peinlich, im Gegenteil es wäre für sie ein Feuer göttlicher Liebe, wie die ewige Seligkeit, ohne irgendeine Widerlichkeit.

11. Kapitel.

Von dem Verlangen, welches die Seelen des Fegefeuers haben, ganz rein von den Makeln ihrer Sünden zu werden. Weisheit Gottes, die jenen Seelen die Fehler und Mängel, die sie haben, verhüllt.

DIE Seele wurde mit allen jenen Eigenschaften erschaffen, deren sie fähig war, um zur Vollkommenheit zu gelangen; nur sollte sie leben, wie Gott es ihr verordnet hat, und sich nicht mit einem Makel der Sünde beflecken. Allein befleckt durch die Erbsünde verliert sie ihre Gaben und Gnaden und bleibt tot und kann nicht anders erwachen (aus diesem Tod) als durch Gottes Vermittlung. Und wenn sie von ihm durch die Taufe erweckt worden, so bleibt ihr noch die böse Neigung, die sie, (wenn kein Widerstand von ihr geleistet wird,) zur wirklichen Sünde neigt und führt, an der sie von neuem stirbt.

Gott erweckt sie auch dann noch mit einer anderen besonderen Gnade; allein sie bleibt so beschmutzt und zu sich selbst gekehrt, daß ihr behufs der Zurückrufung zu ihrem ersten, von Gott anerschaffenen Stand alle obengenannten göttlichen Wirkungen nötig sind und sie ohne dieselben niemals dahin zurückkehren könnte. Und wenn die Seele sich auf dem Weg der Rückkehr zu diesem ihrem ersten Stand sich befindet, so ist so groß der Drang des inneren Feuers, in Gott umgestaltet zu werden, daß dieses ihr Fegefeuer ist; nicht als könnte sie auf das Fegefeuer acht haben als auf ein Fegefeuer, sondern dieser entzündete und gehinderte Trieb ist es, was ihr das Fegefeuer verursacht.

Dieser letzte Akt der Liebe10 ist es, der dieses Werk ohne den Menschen tut, indem sich in der Seele so viele Unvollkommenheiten befinden, daß sie ein verzweifeltes Leben führen müßte, wenn sie dieselben sähe. Allein dieser letzte Stand verzehrt sie alle, und nachdem sie verzehrt sind, zeigt sie Gott der Seele, damit sie sehe und erkenne die göttliche Wirkung, welche das Feuer der Liebe in ihr verursacht, indem es nämlich jene Unvollkommenheiten, die zu verzehren sind, verzehrt.

12. Kapitel.

Wie sich das Leiden paart mit der Freude im Fegefeuer.

W ISSE, daß vor Gott ein Fehler und Mangel ist, was der Mensch in sich für Vollkommenheiten ansieht. Denn in allem dem, was er scheinbar Vollkommenes tut, wie er es immer betrachte, fühle, verstehe, wolle oder im Gedächtnis trage, ohne es als von Gott herrührend zu erkennen, befleckt und besudelt er sich. Denn wenn die Handlungen vollkommen sein sollen, so müssen sie in uns ohne uns gewirkt werden, das heißt, wir dürfen uns nicht als die erste Hand dabei erkennen und das Wirken Gottes muß in Gott sein ohne den Menschen, das heißt, ohne daß er die erste Hand dabei hat.

Diese Wirkungen sind jene, welche Gott bei der letzten Wirksamkeit der lauteren und reinen Liebe aus sich allein ohne unser Verdienst vollbringt. Sie sind so eindringlich und flammend in der Seele, daß der Leib, der die Seele umgibt, gerade so verzehrt zu werden scheint, als wenn er in einem großen Feuer wäre; denn er könnte niemals zur Ruhe kommen bis zum Tod. Zwar gibt die Liebe Gottes, die in der Seele überströmt, ihr, so viel ich sehe, eine so große Zufriedenheit, die man gar nicht ausdrücken kann; allein diese Zufriedenheit nimmt den Seelen, die im Fegefeuer sind, nicht einen Funken ihrer Pein, im Gegenteil ist diese Liebe, die sich aufgehalten sieht, dasjenige, was ihnen die Pein verursacht, und eine um so größere Pein verursacht, als die Liebe, deren sie Gott fähig gemacht hat, vollkommener ist.

So haben also die Seelen im Fegefeuer sehr große Freude und sehr großes Leid, und das eine hindert nicht das andere.

13. Kapitel.

Wie die Seelen sich nicht mehr im Stand des Verdienens befinden im

Fegefeuer, und wie sie die Liebeswerke betrachten,

welche man in der Welt vollbringt.

W ENN die Seelen des Fegefeuers sich durch Reue und Zerknirschung reinigen könnten, so würden sie in einem Augenblick alle ihre Schuld bezahlen. So gewaltig ist der Ungestüm der Reue, die ihnen kommen würde und zwar vermöge des hellen Lichtes, welches sie von der Wichtigkeit jenes Hindernisses haben, das ihre Vereinigung mit ihrem letzten Zweck, mit ihrer Liebe, mit Gott, nicht zuläßt.

Und wisse gewiß, daß diesen Seelen von der Bezahlung auch nicht der mindeste Heller nachgelassen wird, indem es von der göttlichen Gerechtigkeit so festgesetzt ist. Und so verhält es sich von seiten Gottes. Was aber dann die Seelen betrifft, so haben sie selber keine eigene Wahl mehr und können nichts mehr sehen, als was Gott will, und wollen auch nichts anderes mehr, indem es so mit ihnen festgesetzt ist, und wenn ihnen irgendein Almosen von denen, die in der Welt sind, getan wird, welches ihre Zeit mindert, so können sie nicht mit irgendeiner Neigung und Lust darauf sehen, ausgenommen insofern sie dabei die gerechteste Waagschale des göttlichen Willens im Auge haben. Denn sie lassen alles Gott über, der sich bezahlt macht, wie es seiner unendlichen Güte gefällig ist. Wenn sie auf diese Almosen ohne Berücksichtigung dieses göttlichen Willens mit Neigung hinschauen könnten, so würde das an ihnen eine Eigensucht sein, die ihnen den Blick auf den göttlichen Willen nehmen würde, was eine Hölle für sie wäre. Sie stehen daher unbeweglich auf allem dem, was Gott ihnen gibt, sei es nun Freude oder Pein, und sie können niemals mehr auf sich selber zurückschauen.

14. Kapitel.

Von der Unterwerfung der Seelen des Fegefeuers

gegen den Willen Gottes.

S IE sind so innig umgestaltet in den Willen Gottes, daß sie sich in allem mit seiner heiligsten Anordnung zufrieden geben. Und wenn eine Seele vor Gottes Angesicht gestellt würde und hätte nur ein weniges noch zu reinigen an sich, so würde man ihr dadurch eine große Unbill antun und es wäre für sie ein größeres Leiden als zehn Fegefeuer. Denn jene reine Güte und höchste Gerechtigkeit würde sie (in dieser Gestalt) nicht ertragen können, und es wäre das eine Ungebühr gegen Gott; der Seele aber, welche sehen müßte, daß Gott noch nicht vollkommene Genugtuung erhalten hat, (wenn auch nur das geringste an der Reinigung noch fehlen würde,) wäre es unerträglich und sie würde, um dieses wenigen Rostes ledig zu werden, bereitwilliger in 1.000 Höllen gehen, als noch nicht vollkommen gereinigt vor Gottes Gegenwart erscheinen.

15. Kapitel.

Vorwürfe, welche die Seelen des Fegefeuers den in der

Welt lebenden Personen machen.

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