Myth of Motu. Verfluchtes Herz - Ulrike Koch - E-Book

Myth of Motu. Verfluchtes Herz E-Book

Ulrike Koch

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Beschreibung

**Wenn dein Leben eine magische Bedeutung erhält** Um Neuseeland ranken sich Legenden wie um kaum einen anderen Ort auf dieser Welt. Doch wie wahr einige davon sind, hätte sich die 22-jährige Charlotte bei ihrer Ankunft niemals träumen lassen. Auf der Suche nach sich selbst trifft sie auf den so geheimnisvollen wie attraktiven Daxton, der ganz anders ist als alle Männer, die sie bisher kennengelernt hat. Seiner düsteren Anziehungskraft kann sie kaum standhalten, doch etwas lässt sie zögern. Schon bald muss sie erfahren, dass Daxton viel enger mit der neuseeländischen Sagenwelt verbunden ist, als sie es sich jemals hätte vorstellen können. Und dass er einen Plan hat, in dem sie selbst eine große Rolle spielt … Erlebe Neuseeland, wie du es noch nie gesehen hast – magisch, geheimnisvoll und voll dunkler Romantik! //»Myth of Motu. Verfluchtes Herz« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Ulrike Koch

Myth of Motu

**Wenn dein Leben eine magische Bedeutung erhält**Um Neuseeland ranken sich Legenden wie um kaum einen anderen Ort auf dieser Welt. Doch wie wahr einige davon sind, hätte sich die 22-jährige Charlotte bei ihrer Ankunft niemals träumen lassen. Auf der Suche nach sich selbst trifft sie auf den so geheimnisvollen wie attraktiven Daxton, der ganz anders ist als alle Männer, die sie bisher kennengelernt hat. Seiner düsteren Anziehungskraft kann sie kaum standhalten, doch etwas lässt sie zögern. Schon bald muss sie erfahren, dass Daxton viel enger mit der neuseeländischen Sagenwelt verbunden ist, als sie es sich jemals hätte vorstellen können. Und dass er einen Plan hat, in dem sie selbst eine große Rolle spielt …

Wohin soll es gehen?

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Vita

Danksagung

© privat

Ulrike Koch ist ein waschechtes Küstenkind, dass bereits seit Kindertagen von einem abenteuerlichen Leben als Archäologin träumte. Mit ihrem Studium erfüllte sich dieser besondere Wunsch. Doch der Drang längst Verschwundenes zu entdecken weitete sich aus, sodass sie anfing eigene Welten zu erschaffen. Wenn sie nicht gerade an einer neuen Geschichte schreibt, dann bereist sie mit ihrer Familie fremde Orte.

VORWORT DER AUTORIN

Bevor du dich Hals über Kopf in eine Welt aus Magie stürzt und dabei drohst, dein Herz zu verlieren, wollte ich dir noch ein paar Worte mit auf den Weg geben.

Diese Geschichte beinhaltet einige Elemente der ozeanischen Mythologie, die ich jedoch frei nach meinem künstlerischen Empfinden adaptiert habe. Wenn du wissen möchtest, welches Schicksal manche Figuren laut der ursprünglichen Mythologie ereilt hat, schau in das Personenregister am Ende des Buches. Ich empfehle allerdings damit zu warten, bis du die ganze Geschichte gelesen hast, um dich nicht eines Überraschungsmoments zu berauben.

In diesem Sinne wünsche ich dir Schmetterlinge im Bauch, ein Lächeln auf den Lippen, Freudentränen in den Augen und ein Herz, das zum Takt der Geschichte schlägt.

Willkommen in Aotearoa, dem Land der langen weißen Wolke.

Für meinen wundervollen Mann,weil du immer an mich glaubst,wenn ich es selbst nicht kann.

1. KAPITEL

Charlotte

Ungläubig starrte ich aus dem kleinen Fenster der Maschine, die gerade die flauschige Wolkendecke durchbrach. Während des stundenlangen Fluges hielt ich die Augen kaum länger als ein paar Minuten geschlossen, obwohl die Müdigkeit mich bereits fest im Griff hatte. Noch behielt aber das Adrenalin, das unermüdlich durch meine Adern strömte, die Oberhand.

Nervös knetete ich die Hände und versuchte mein schlagendes Herz zu beruhigen, das lauter in meinen Ohren dröhnte als die Turbinen des Flugzeugs.

Die kleinen Eiskristalle, die sich zuvor auf der Oberfläche des Fensters gebildet hatten, schmolzen nun sachte dahin und ich betete, dass es sich mit all meinen Ängsten ebenso verhielt.

Unbewusst stieß ich mit dem linken Knie immer wieder gegen den vorderen Sitz, als bräuchte mein Körper die Bestätigung, dass das hier real war. Ich hörte erst auf, als sich ein Fluggast lautstark räusperte und mich böse anfunkelte. Ups.

Nachdem ich mich gefühlt ein dutzend Mal in allen Sprachen, die ich kannte, entschuldigt hatte, wandte der wütende Mann sich wieder dem Laptop zu. Jetzt allerdings haute er dermaßen fest auf die Tastatur, dass die einzelnen Buchstaben unter seinem Unmut anfingen zu zittern.

Einen Liebesbrief tippt er gerade wohl nicht, dachte ich und blickte erneut hinaus.

Das Weiß der Wolken war einem Meer aus grünen Feldern gewichen, in denen die Städte wie verirrte, kleine Inseln wirkten.

»Das ist einfach magisch«, sagte ich leise und presste meine Nase so fest gegen die Scheibe, dass es fast schon schmerzhaft war. Mein Körper kribbelte leicht unter der steigenden Nervosität, während ich mich am liebsten mit einem Fallschirm durch diese winzige Öffnung gequetscht hätte, nur um schneller am Boden zu sein.

Der leichte Druckabfall des langsam sinkenden Flugzeugs machte sich in meinen Ohrmuscheln bemerkbar, doch ich überging dieses dumpfe Gefühl.

»Wir werden gleich landen«, sprudelte es freudig aus mir heraus und ich wandte mich an meinen Sitznachbarn. Allerdings konnte er meine Freude nicht teilen, da er tief und fest schlief. Wenn ich so darüber nachdachte, hatte ich ihn das letzte Mal kurz nach dem Start wach gesehen. Er hatte sich zwei kleine Fläschchen von der Flugbegleiterin geben lassen und mit deren Inhalt eine Tablette runtergespült. Offenbar war die Mischung aus beidem umwerfend.

Das Anschnallsymbol leuchtete hell auf und ich vergewisserte mich, dass der Gurt auch wirklich geschlossen war. Der fremde Mann neben mir schnarchte immer noch fröhlich weiter und konnte erst durch einen Flugbegleiter, der vehement an seiner Schulter rüttelte, aus dem Schlafkoma geweckt werden.

»Sind wir etwa schon da?«, lallte er und ein leichter Alkoholgeruch stieg mir in die Nase.

Offenbar hatte da jemand Flugangst oder eine Vorliebe für die kleinen, mit Alkohol gefüllten Fläschchen. Oder beides.

Trotz seines unangenehmen Mundgeruchs nickte ich freundlich und schaute dann wieder hinaus. Die Landebahn war jetzt schon gut erkennbar und wirkte auf mich wie ein schwarzer Pfeil, der mir den Weg in mein neues Leben wies.

Starke Vibrationen verkündeten von der Ausfuhr der gummierten Räder. Jetzt dauerte es nur noch ein paar Sekunden.

Schließlich setzte das Flugzeug einigermaßen sanft auf dem Boden auf. Einheitliches Klatschen beglückwünschte den Piloten zur gelungenen Landung und ich stimmte fröhlich mit ein, während mein Sitznachbar einer Spucktüte zujubelte.

Ein leicht säuerlicher Geruch stieg mir in die Nase und ich betete darum, möglichst schnell an die frische Luft zu kommen. Wenn ich ein paar Minuten länger diesen Gestank aushalten müsste, dann würde sich bald eine zweite Tüte füllen. Darauf bedacht, ab jetzt nur noch durch den Mund zu atmen, versuchte ich mitfühlend auf den Mann zu wirken, für den diese Situation mit Sicherheit auch nicht einfach war.

Als er nicht mehr ganz so blass war, schaffte er es aufzustehen und dadurch auch mir den Weg freizumachen. Ich bemühte mich darum, weder ihm noch der gefüllten Tüte zu nahe zu kommen, und holte meine gelbe Regenjacke und eine kleine, lederne Handtasche aus dem Fach über der Sitzreihe.

Schließlich konnte ich endlich das Flugzeug verlassen und die frische Luft Neuseelands einatmen. Obwohl ich mich direkt auf dem Flughafen befand, roch es kaum nach Diesel, sondern nach frisch gemähtem Gras mit einer leichten Vanillenote.

Die Wolken, die aus der Höhe noch wie kuschelige Wattebällchen ausgesehen hatten, wirkten vom Boden aus deutlich dunkler. Als hätten sich Gesteinslawinen zu einer großen Kuppel verbunden, die nun drauf und dran war über meinem Kopf einzustürzen.

Als ich die metallene Treppe herunterstieg, spürte ich bereits die ersten Tropfen auf dem Kopf.

Der Regensturz begann.

Ein paar Sekunden später wurde aus einzelnen Tropfen eine ganze Sintflut, die die Erde mit Wasser tränkte. Obwohl ich Regen aus Hamburg mehr als gut kannte, war nichts mit diesen Massen vergleichbar, die gerade auf mich herunterstürzten. Mein Unglück hatte mich offenbar bereits am anderen Ende der Welt eingeholt. Perfekt.

Schnell lief ich zu dem Transportbus, der uns dann vom Flugzeug bis vor die Eingangshalle des Flughafens fuhr. Unermüdlich prasselte der Regen gegen die Scheiben und machte es schwer, weitere Details meiner neuen Wahlheimat zu erkennen.

Ich betrat den Flughafen, in dem emsiges Treiben herrschte, und lauschte den Durchsagen. Zuerst wurde mein Pass kontrolliert, während mich die Dame von der Sicherheitskontrolle skeptisch betrachtete. Ich konnte es ihr nicht verdenken, denn während ich auf dem Foto noch blond war und perfekt sitzendes Make-up trug, stand jetzt eine Frau mit weißen Haaren und einem Septum-Piercing vor ihr. Zudem war mein Gesicht mit Sicherheit von den fast vierundzwanzig Stunden Reisezeit geprägt. Als hätte sich Barbie in einen ungepflegten Zombie verwandelt.

Die Menschenschlange, die wegen mir warten musste, wuchs innerhalb von Minuten und ich verlagerte nervös mein Gewicht von einem Bein auf das andere.

Nachdem sie sich scheinbar sicher war, dass ich kein Sicherheitsproblem darstellte, winkte sie mich durch und reichte mir mit einem Lächeln den Reisepass.

Zu meinem Glück war der Flughafen in Queenstown recht übersichtlich, sodass ich rasch die richtige Stelle fand, an der die Gepäckstücke herausgegeben wurden.

Während die meisten Passagiere bereits ihre Sachen erhalten hatten, entdeckte ich meinen Rucksack erst, als kaum noch Koffer auf dem Rollband lagen.

Wenig elegant setzte ich mir das schwere Monstrum, welches ich Kurt getauft hatte, auf die Schultern. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich geglaubt, dass jemand meine Kleidung durch Backsteine ersetzt hatte. Vielleicht lag es aber auch am Schlafentzug, dass es schon eine Anstrengung war die Beine zu bewegen.

Jetzt, da die Anspannung der Flugreise vorbei war, sehnte sich mein Körper nach Ruhe. Im Schneckentempo erreichte ich den Ausgang des Flughafens, wo eine Frau mich in Empfang nahm, die ein Schild mit meinem Namen schwang wie eine Werbetafel. Ihr kunterbuntes Outfit hatte Ähnlichkeit mit dem von Molly Weasley. Eine Tatsache, die ihr sofort Sympathiepunkte einbrachte.

»Hi, ich bin Charlotte Wagner«, begrüßte ich die Dame mittleren Alters höflich, deren weiße Haare große Ähnlichkeit mit meinen eigenen hatten.

Mit dem Zeigefinger gebot sie mir kurz still zu stehen. Als ob ich jetzt noch in der Lage gewesen wäre, einen Sprint hinzulegen.

Sie holte ihr Handy aus einer weiten Manteltasche hervor und schaute zwischen mir und dem Display hin und her.

Ein flüchtiger Blick genügte, um zu sehen, dass sie das Foto betrachtete, mit dem ich mich für das freiwillige ökologische Jahr beworben hatte.

Unglücklicherweise hatte sie jetzt dasselbe Problem wie die Dame bei der Sicherheitskontrolle. Weil ich ja unbedingt mein Aussehen in den letzten Wochen vor der Abreise etwas verändern wollte, hatte ich vergessen, neue Bilder beim Fotografen machen zu lassen.

Sie trat einen Schritt dichter an mich heran und schob ihre schwarze Brille hoch, um mich aus zusammengekniffenen Augen zu betrachten. Ich wusste nicht, ob dieser Umstand die Situation für uns beide wirklich besser machte, aber gerade, als ich ihr meinen Personalausweis zeigen wollte, lächelte sie mich zufrieden an.

Die Fremde zog mich überraschend in eine innige Umarmung, aus der sie mich erst nach ein paar Sekunden entließ. Ich war so perplex darüber, dass ich die nette Geste gar nicht erwidern konnte.

»Freut mich, Charlotte. Ich bin Loreley«, sagte sie mit einem leichten französischen Akzent.

Nur meine Mutter nannte mich bei meinem vollen Namen. Für alle anderen war ich meist Charlie.

»Kind, du musst ja vollkommen erschöpft sein. Wir fahren jetzt erst einmal nach Hause und dort mache ich dir einen schönen, warmen Kakao. Später zeige ich dir dann unsere Auffangstation.«

Ich unterdrückte den Impuls, sie um eine große Tasse randvoll mit Kaffee zu bitten, denn ich wollte sie nicht bei der ersten Begegnung vor den Kopf stoßen.

»Das klingt sehr verlockend«, sagte ich stattdessen, während jede Zelle meines Körpers abwechselnd nach Schlaf und nach Kaffee schrie.

»Sehr schön.« Sie klatschte freudig in die Hände und der Knall war derart laut, dass sich einige Menschen zu uns umdrehten.

Loreley lotste mich bei strömendem Regen zu einem roten Honda Civic, den es wahrscheinlich schon vor der Jahrtausendwende gegeben hatte. Ich verstaute Kurt im Kofferraum und stellte dabei erschrocken fest, dass das Auto bei dem Gewicht etwas absank.

Loreley saß bereits auf dem Fahrersitz und ich nahm neben ihr Platz. Die gepolsterten Sitze verströmten einen leichten Lavendelduft, der mich an diese kleinen Säckchen erinnerte, die man in den Kleiderschrank legt.

Mit einem leichten Stottern startete der Motor und die ältere Dame fuhr selbstsicher los.

»Und, Charlotte, was verschlägt dich in dieses abgelegene Fleckchen Erde?«, fragte Loreley, während ihre grauen Augen fest auf die Straße gerichtet waren.

»Ich wollte mir eine Auszeit nehmen vom Studium und etwas Sinnvolles für die Umwelt tun«, sagte ich vage. Ich musste ja nicht direkt bei der ersten Begegnung alle Informationen hinausposaunen. Denn die Wahrheit war, dass es nur eine fixe Idee gewesen war, einen Neustart in einem fremden Land zu wagen. Doch ich wollte so schnell und weit wie möglich weg von zu Hause.

Weg von dem Studium, das einfach gar nicht meinen Vorstellungen entsprach.

Weg von der Stadt, in der mich jede Ecke an meine gescheiterte Beziehung erinnerte.

Weg von den falschen Freunden, die mein Vertrauen missbraucht hatten.

»Und warum gerade Neuseeland?«, bohrte sie nach und holte mich damit aus den düsteren Erinnerungen.

»Ich habe bisher so viel von diesem Land gehört und wollte es endlich mit eigenen Augen sehen«, erklärte ich wahrheitsgemäß.

»Es wird dir mit Sicherheit hier gefallen. Ich kenne niemanden, der sich nicht in die Insel verliebt«, sagte sie und ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Da bin ich mir sicher.« Ich wollte meinen eigenen Worten so sehr glauben, dass ich daran zerbrechen würde, wenn es nicht so war.

Loreleys Fahrstil war wirklich rasant und die hupenden Autos, die unseren Weg beinahe kreuzten, verstärkten mein Unwohlsein um ein Vielfaches.

»Gibt es hier eigentlich keine Geschwindigkeitsbegrenzung?« traute ich mich zu fragen.

»Doch, natürlich, warum fragst du?«, sagte sie und beugte sich etwas weiter über das Lenkrad, als müsste sie sich vergewissern, dass ihre Aussage auch stimmte.

»Ach, nur so. Ist es eigentlich schwer, auf der linken Seite zu fahren?«

»Man gewöhnt sich schnell daran, aber ich fahre sehr selten mit dem Auto. An manchen Tagen sind einfach zu viele Chaoten unterwegs.«

Witzig, wie manche Menschen die Tatsachen verdrehen konnten.

Keine Ahnung, wie viele Minuten wir jetzt schon »Fast and Furious Senior Edition« spielten, aber sehr lange würde ich das nicht mehr aushalten.

Meine Finger umklammerten so fest den Haltegriff über dem Sitz, dass es wehtat. Eine Geste, die meiner Gastgeberin nicht entging und sie sogar zum Schmunzeln brachte.

»Falls dir schlecht wird, habe ich im Handschuhfach ein paar Tüten«, sagte sie beiläufig, als wäre ich nicht die erste Beifahrerin, deren Magen bei diesem Fahrstil rebellierte.

»Wie lange dauert denn die Fahrt zum Park?«, fragte ich und hoffte inständig, dass sie die eigentliche Botschaft dahinter nicht verstand.

»Wenn wir weiter so gut durchkommen, dann sind wir in ungefähr zehn Minuten da.«

Bei all der Anspannung hatte ich bisher kaum die Gelegenheit gehabt, die Landschaft genauer zu betrachten. Natürlich kannte ich dank der Googlesuche Bilder von Queenstown und dem Kiwi Birdlife Park, aber das war dennoch etwas vollkommen anderes.

Die Stadt lag malerisch an einem See und selbst von hier aus konnte man die Sonnenstrahlen sehen, die sich auf der Wasseroberfläche spiegelten. Als würde zu den Füßen der Stadt flüssiges Gold liegen.

»Wie lange lebst du schon hier, Loreley?«, fragte ich, ohne den Blick von dieser fantastischen Landschaft abwenden zu können.

Für einen Moment war nur die Radiomusik zu hören, die fröhlich einen der neuesten Charthits von sich gab.

»In diesem Sommer sind es schon vierzig Jahre. Ich habe einfach meinen Job bei der Bank gekündigt, die Wohnung in Paris aufgegeben und bin hierhergekommen. Tja, und was soll ich sagen, wer motu einmal betritt, muss sich in sie verlieben. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz.«

»Motu?«, fragte ich verwundert.

»Verzeihung. Manchmal schleichen sich Begriffe aus der Sprache der Maori in meinen Wortschatz. Motu bedeutet Insel«, erklärte sie.

Jetzt sah ich Loreley an. Kleine Lachfalten hatten sich auf ihrem sonnengebräunten Gesicht gebildet und in ihrem Blick lag eine Wärme, die ihre Liebe zu Neuseeland widerspiegelte.

Ich war kurz davor, sie zu fragen, warum sie ihr altes Leben aufgegeben hatte, aber ließ es dann. Es ging mich schließlich nichts an.

Wir bogen von der Hauptstraße ab und fuhren eine leichte Anhöhe hinauf, bis ich die Stadt im Rückspiegel sehen konnte.

»Der Park liegt etwas abseits von Queenstown, aber offiziell gehören wir noch zur Stadt. Es gibt von hier aus dreimal am Tag eine Busverbindung oder du kannst auch ein Taxi nehmen«, erklärte Loreley routiniert und ich nickte stumm. Das sollte ich mir leicht merken können.

»Arbeitest du schon lange für den Park?«

»Ich war dabei, als er gegründet wurde, und gehöre quasi zum Inventar«, witzelte sie.

»Es muss schön sein, wenn man seine Berufung gefunden hat«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu ihr, aber dennoch verstand Loreley meine Worte.

»Wenn du mich fragst, ist es eines der wichtigsten Dinge im Leben. Unsere Zeit ist begrenzt, also sollte man doch das lieben, was man tut.«

»Das ist wahr«, war alles, was ich dazu sagen konnte und wollte. Wenn man etwas gefunden hat, was einen wirklich erfüllt, dann ist das großartig. Allerdings hat nicht jeder von uns dieses Glück.

»Da wären wir, Liebes«, sagte Loreley und ein stolzes Funkeln glomm in ihren grauen Augen, die mich an einen wolkenverhangenen Himmel erinnerten. Sie stieg aus und ich folgte ihr, nachdem ich Kurt aus dem dunklen Kofferraum befreit hatte. »Der Park wird mittlerweile von der Familie Wilson geführt und besteht bereits seit fünfunddreißig Jahren. Es gibt viele Freiwillige, die aushelfen, aber in den letzten Jahren sind es immer weniger geworden. Wir sind daher sehr dankbar, dass sich junge Leute wie du in diesem Bereich engagieren wollen.«

Loreley machte eine kurze Pause und drückte mich dann sanft an der Schulter. Eine stumme Geste der Dankbarkeit.

Als sie mich losließ, zog ein Vogelschwarm meine Aufmerksamkeit auf sich, der sich aus dem nahe gelegenen Wald erhob.

Ich ließ vor Schreck meine Handtasche fallen und betete, dass mein Handy noch ganz war.

»An die Geräusche wirst du dich mit Sicherheit gewöhnen. Dennoch eine kleine Warnung von mir: Geh nicht alleine in den Wald. Wenn man tief genug drin ist, ist es schwer, alleine wieder hinauszufinden.«

Das mulmige Gefühl, das ich während der Autofahrt verspürt hatte, war wieder da. Jetzt lag es allerdings nicht an Loreleys Fahrstil, sondern an den riesigen Bäumen, die so dicht beieinanderstanden, dass man nur wenige Meter weit sehen konnte. Hier würde ich mit Sicherheit keinen Fuß hineinsetzen.

»Keine Sorge, ich bin kein großer Fan von Wanderungen durch Wälder«, sagte ich und hoffte, dass man das Zittern in meiner Stimme nicht heraushören konnte.

»Ich wollte dir damit keine Angst machen. Hier ist es sehr sicher, aber manchmal übernehmen sich Touristen und denken, sie kennen alle Ecken dieser Gegend.«

»Alles klar, also niemals alleine im Wald herumlaufen.«

»So ungefähr, aber jetzt lass uns hinein gehen. Du hast die nächsten Monate noch reichlich Zeit, um dir alles anzusehen.«

Loreley ging voraus und ich bestaunte das große zweistöckige Gebäude, dessen Wände mit Holz verkleidet waren. Es erinnerte mich an eine riesige Scheune, die wahrscheinlich dutzende von Zimmern hatte. Kaum zu glauben, dass hier normalerweise nur eine Familie wohnen sollte.

»Wow«, war alles, was ich in diesem Moment dazu sagen konnte. In Hamburg ist eine große Wohnung in der richtigen Lage ein absolutes Luxusgut und ich war es gewohnt, auf kleinem Raum zu leben. Dementsprechend hatten all meine Sachen auch in einer kleinen Garage Platz gefunden, als ich auszog.

Nur mein gebrochenes Herz konnte ich nicht so einfach zu Hause lassen. Es war ein ständiger Begleiter, der mich daran erinnerte, dass Liebe machtvoll ist. In den falschen Händen kann sie das größte Chaos anrichten.

Loreleys Räuspern erinnerte mich daran, sie nicht länger warten zu lassen und augenblicklich fühlte ich mich schlecht. Ich wollte doch einen guten Eindruck hinterlassen. Sie führte mich durch eine lindgrüne, doppelflügelige Tür hinein in das Haus. Die Wände hingen voll mit Bildern von verschiedenen einheimischen Vogelarten und Echsen. Hinzu kamen Bleistiftzeichnungen von dem Haus und dem Park.

»Es ist eine Tradition, dass die Helfer, die hier gearbeitet haben, etwas hierlassen, das sie an den Park erinnert. Manche zeichnen, andere fotografieren und wieder andere erstellen unglaublich hässliche Statuen.«

Sie deutete mit der Hand auf etwas, das aussah wie ein Schneemann, der langsam in der Sonne schmolz.

»Was soll das darstellen?«, fragte ich neugierig und ging einmal um das gute Stück herum.

»Tja, das weiß niemand so genau, aber Vorschläge werden gern entgegengenommen. Eines Tages stand sie einfach hier und wir wissen nicht, welcher Helfer uns dieses Prachtstück dagelassen hat.«

Ich schaute hinunter auf das Podest, auf dem Frosty stand, doch auf der kleinen, hölzernen Plakette war lediglich ein Wort eingeritzt: »DANKE«.

Ich sah mich weiter um und erkannte Zeichnungen von den Kiwis, die es nur in Neuseeland gab. Die Tiere sahen einzigartig aus und ich freute mich schon darauf, sie in Natura zu sehen.

»Komm, ich zeige dir dein Zimmer. Den Rest des Hauses können wir uns ansehen, wenn du dich etwas ausgeruht hast.«

Wir gingen eine knarrende Holztreppe hinauf, von der die rote Farbe an manchen Stellen abgeplatzt war. Von dem breiten Flur gingen insgesamt sechs Zimmer ab und ich betrachtete ehrfürchtig die geschnitzten Figuren, die an den Wänden hingen.

»Wahnsinn, hier kommt man sich vor wie in einem Museum«, sagte ich und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

»Sind das hier auch Kunstwerke von ehemaligen Helfern?«, fragte ich Loreley.

»Nein, die hier sind seit Jahrzehnten im Familienbesitz. Ich habe einmal den Versuch gewagt, ein neues Design vorzuschlagen, aber erntete dafür nur empörte Blicke. Ich finde ja besonders die Masken furchteinflößend«, sagte sie und rieb sich die Arme, als wäre ihr plötzlich kalt.

Bei näherer Betrachtung musste ich ihr allerdings recht geben.

»Geh nicht zu dicht ran, auf den Masken liegt ein Fluch«, sagte sie etwas lauter, so als wäre ich ein kleines Kind, das gerade den heißen Ofen anfassen wollte.

Demonstrativ ging ich ein Stück zurück, obwohl ich keine Sekunde an so etwas wie Flüche glaubte.

»Okay, ich glaube, mein Bedarf an Geistern, Flüchen und gruseligen Laubwäldern ist für heute erst einmal gedeckt.«

Loreley ging jedoch nicht weiter auf meine Worte ein, sondern schritt den Flur hinunter, bis sie schließlich vor einer weißen Tür stehen blieb.

»Dieses Zimmer ist in den nächsten Monaten deins. Du kannst es einrichten und dekorieren, wie du möchtest. Hauptsache, du fühlst dich wohl. Wenn du dich ausgeruht hast, dann komm gerne zum Nachmittagstee herunter. Er findet jeden Tag pünktlich um vier Uhr statt und jeder ist herzlich eingeladen. Den Kakao bringe ich dir gleich aufs Zimmer.«

Damit verabschiedete sich Loreley und schlenderte gemächlich den Flur entlang. Ein rascher Blick auf das Display meines Handys verriet mir, dass ich drei Stunden hatte, um mich auszuruhen.

Das war eigentlich zu wenig, würde aber vermutlich den verzweifelten Schrei meines Körpers nach Schlaf zumindest leiser werden lassen.

Voller Vorfreude auf mein neues Zuhause und die Aussicht, Kurt endlich abstellen zu können, öffnete ich die Holztür. Dann schlugen mir der absolute Mädchentraum und mein persönlicher Nachtschreck gleichzeitig entgegen. Die Wände waren mit einer kitschigen Blumentapete überzogen, deren rosa Knospen mich förmlich anzugrinsen schienen.

»Heilige Scheiße«, sagte ich. Kaum hatten die Worte meinen Mund verlassen, betete ich, dass Loreley schon außerhalb der Hörweite war.

Ich trat hinein, obwohl mich meine Augen davor warnten, mich diesem Anblick auszusetzen. Ich schloss die Tür zu, um weitere verbale Eskapaden zu vermeiden.

»Das ist ja wie ein Autounfall. Ich kann einfach nicht wegsehen«, sagte ich leise, während meine Finger über die Tapete glitten.

Ob ich die Blumen alle einzeln mit einem Edding schwarz anmalen konnte? Nur was sollte ich mit der Bettwäsche machen, die das gleiche Motiv hatte? Verbrennen war wahrscheinlich keine Option.

Wenigstens waren die Möbel in einem ruhigen Weißton gehalten und wiesen keinerlei Blumen auf. Ich stellte Kurt in die Zimmerecke, ging ins Bad und wäre beinahe wieder rückwärts raus gestolpert.

Vielleicht sollte ich ernsthaft in Erwähnung ziehen, draußen im Flur zu schlafen, dachte ich.

Im Badezimmer war Rosa die vorherrschende Farbe. Angefangen beim Duschvorhang bis hin zu den flauschigen Handtüchern.

Notiz an mich selbst: Farbe, Handtücher, Bettwäsche und einen Duschvorhang besorgen.

Obwohl ich dringend schlafen musste, hatte eine heiße Dusche Vorrang.

Also zog ich mich aus, legte die Sachen in den Wäschekorb, der zu meiner Erleichterung aus Holz war, und stellte mich in die Dusche. Das warme Wasser kombiniert mit dem einstellbaren Wasserdruck führten dazu, dass sich meine Muskeln etwas entspannten und ich wohlig seufzte.

Einige Minuten später fühlte ich mich nicht mehr ganz so schmutzig wie zuvor, aber noch viel erschöpfter. Ich schaffte es gerade so, mir Unterwäsche anzuziehen, und schlüpfte dann unter die Bettdecke.

2. KAPITEL

Charlotte

Das penetrante Klingeln des Handyalarms, den ich geistesgegenwärtig noch eingestellt hatte, weckte mich unsanft aus dem Schlaf.

Es dauerte etwas, bis mein Verstand begriff, wo genau ich war.

Du hast es tatsächlich getan und lebst jetzt in Neuseeland. Hier wird alles besser, sagte ich mir selbst vor wie ein Mantra. Das beruhigte mich etwas, denn die Angst, dass das alles nur eine gigantische Seifenblase war, die bald platzt, schwebte ständig über mir.

Als der Wecker einen erneuten Versuch wagte, mich an die baldige Teestunde zu erinnern, schaltete ich ihn endgültig aus.

Ich ging ins Bad, um dann erschrocken festzustellen, dass meine schulterlangen Haare in alle Richtungen abstanden. Erst mit einem schwarzen Haarband war ich in der Lage, die Aufständischen zu bezwingen. Als das erledigt war, zog ich mir noch ein paar Sachen an und verließ dann die pinke Kammer des Schreckens.

Ich gähnte herzhaft beim Hinausgehen und bereute es sogleich, als jemand direkt vor mir stand.

»Hey, du bist bestimmt die neue Aushilfe. Ich bin Victoria, aber alle nennen mich nur Vicky.«

Ich starrte die junge Frau an, die kaum älter als ich selbst sein konnte. Als sie mich erwartungsvoll ansah, kam mir endlich in den Sinn, dass ich mich auch vorstellen sollte.

»Hey, ich bin Charlie«, antwortete ich wortkarg, während mein Gehirn erst einmal aus dem Energiesparmodus hochfuhr.

»Das ist die Abkürzung für Charlotte, richtig?« fragte sie neugierig nach und zwirbelte dabei eine ihrer braunen Haarsträhnen mit dem Zeigefinger.

»Richtig.« Ich rang mir das schönste Lächeln ab, das mir gerade möglich war. Vicky sah mich verdutzt an und blinzelte mehrfach, als hätte ich etwas zwischen den Zähnen.

»Freut mich sehr, dass du hier bist.« Sie ließ die Haarsträhne wieder in Ruhe und zupfte dann einen losen Faden von ihrem dunkelblauen Pullover. »Gerade wollte ich zum Nachmittagstee gehen. Loreley brüht immer die tollsten Sorten auf. Möchtest du vielleicht auch mitkommen?«, fragte sie und deutete in die Richtung, aus der ein herrlicher Kamillegeruch kam.

»Sehr gerne.«

Komm Charlie, streng dich an und finde neue Freunde. So schwer kann das ja wohl nicht sein.

Gemeinsam gingen wir die Treppe hinunter und folgten dem Duft nach Kamille, der sachte in der Luft hing. Auf den wenigen Metern schaffte es Vicky, mir ihre komplette Lebensgeschichte zu erzählen. Angefangen bei dem engen Zusammenhalt ihrer Familie über ihre hervorragenden Noten in der Schule bis hin zu ihrem Wunsch, etwas Gutes für Tiere zu tun. Sie endete ihre Erzählung damit, dass sie seit etwa einem Monat hier war und sich diese Zeit als Praktikum für das Veterinärstudium anrechnen lassen konnte.

»Das nenne ich mal ein durchgetaktetes Leben«, witzelte ich unbesonnen.

»O ja, es ist perfekt. Außerdem habe ich gerade einen tollen Mann kennengelernt und ich hoffe, dass bald mehr daraus wird.«

Sie pikste mich mit dem Ellenbogen in die Seite, als wären wir Kinder, die gerade einen Plan ausgeheckt hatten. Irgendwie bewunderte ich sie für diese offene Art. Vicky wirkte auf mich wie ein Mensch, dem noch nie etwas Schlechtes widerfahren war oder sie ließ es zumindest nicht so an sich heran wie andere.

»Ach, Vicky, du hast ja schon unseren neuen Gast gefunden«, begrüßte uns Loreley in der geräumigen Küche. Der Kessel auf dem Herd stieß einen schrillen Pfeifton aus und Loreley nahm ihn rasch herunter, um weiteren Tee aufzugießen.

Wie auch im restlichen Haus war hier alles eher rustikal eingerichtet und schon etwas in die Jahre gekommen.

Vicky schnappte sich sogleich die weiße Kanne.

»Liebes, möchtest du jetzt einen Kakao? Als ich dir vorhin einen bringen wollte, hast du mir leider die Tür nicht aufgemacht. Ich nehme an, du hast schon geschlafen«, erklärte Loreley entschuldigend.

»Um ehrlich zu sein, würde ich gerne einen Kaffee trinken.«

»Natürlich. Nach so einer langen Reise tut etwas Koffein sicherlich gut.«

Ich nickte dankbar und Loreley gab mir einen Teller mit Käsekuchen, meinem absoluten Lieblingskuchen. Eigentlich konnte man mich immer mit Kuchen begeistern, solange keine Rosinen oder Kirschen darin waren.

Ich folgte Vicky in den angrenzenden Wintergarten, wo bereits ein gedeckter Tisch stand. Die Fenster boten einen freien Blick auf den Eingang des Parks, der sich ungefähr zweihundert Meter entfernt befand. Ansonsten konnte ich in der Nähe kein weiteres Haus erkennen.

»Das ist wirklich eine schöne Aussicht«, sagte ich, ohne eine Antwort zu erwarten.

»Warte mal ab, bis du den Park gesehen hast. Der wird dich mit Sicherheit umhauen.« Vicky lächelte mich an und sah ebenfalls hinüber zum Park.

»Leider ist das Glas zu dick, sonst könnte man von hier aus bestimmt auch schon den Gesang der Vögel hören. Das hat immer etwas Magisches, besonders bei Sonnenaufgang.«

Sie faltete die Hände ineinander.

»Magisch? Ich bezweifle, dass du wirklich Interesse daran hast, die Vögel nach deiner Schicht zu hören. Dein Porzellangesicht könnte sonst ein paar Risse bekommen«, ertönte eine männliche Stimme hinter uns.

Ein Mann mit einem Dreitagebart schlenderte über den Fliesenboden und ließ sich dann wenig elegant auf einen Stuhl mir gegenüber fallen. Er trug genau wie Vicky ein dunkelblaues T-Shirt mit dem gestickten Emblem des Parks. Unverhohlen starrte er mich mit seinen azurblauen Augen an und tippte ungeduldig mit den Fingern auf den Holztisch.

»Theo, darf ich dir Charlotte vorstellen?«, begann Vicky und überging dabei seine offenkundige Beleidigung.

»Darfst du, wenn sie nicht für sich selbst sprechen kann.«

Sieh an, da hatte ja jemand genau meinen Humor.

»Schön, dass du uns auch Gesellschaft leistest. Die Wilsons haben leider keine Zeit, also sind wir jetzt vollzählig«, begrüßte ihn Loreley.

Sie stellte mir eine große, dampfende Tasse hin, die randvoll mit Kaffee gefüllt war, und goss den anderen Tee ein. Ich wippte unruhig mit dem Fuß und überlegte, wann ich das letzte Mal mit jemandem eine Teestunde veranstaltet hatte.

Tatsächlich noch nie. Vor allem nicht mit fremden Menschen, von denen einer offensichtlich schlechte Laune hatte.

Unschlüssig darüber, wie genau ich mich verhalten sollte, begann ich zu essen. Mit vollem Mund konnte man schließlich nichts Dummes sagen.

Der Kuchen schmeckte himmlisch und ich unterdrückte das Verlangen, lauthals zu schmatzen, damit auch wirklich jeder verstand, dass dieser Käsekuchen verdammt lecker war.

Theo grinste mich die ganze Zeit an. Nachdem ich sicher sein konnte, keine Kuchenkrümel beim Sprechen zu verlieren, öffnete ich den Mund.

»Ist etwas?«, fragte ich leicht gereizt, aber leise genug, damit nur er mich verstehen konnte.

»Nein, nein. Ich habe nur selten Frauen gesehen, die solch einen Appetit haben. Das ist erfrischend anders.«

Ich sah kurz zu Vicky, deren Stück nur ein Viertel von der Größe meiner Portion hatte. Ganz genügsam aß sie den Kuchen, als wäre sie bereits gesättigt und würde nur anstandshalber am Tisch sitzen. Diese Selbstbeherrschung war ja gruselig.

Als Theo meine Reaktion verfolgte, wurde sein Grinsen noch breiter.

»Ich liebe eben alles, was süß ist, und was oder wie andere essen, ist mir herzlich egal.« Ich lächelte ihn zuckersüß an und steckte mir ein großes Stück Kuchen in den Mund, sodass meine Wangen an einen Hamster erinnerten. Das genügte, um sein Grinsen verschwinden zu lassen.

»Also Charlotte, was möchtest du denn als Erstes sehen? Dein erster Dienst beginnt bereits morgen und er dauert jeden Tag ungefähr sechs Stunden. Am Wochenende kümmern die Familie und ich uns um all die Tiere. Da habt ihr dann frei«, erklärte Loreley geduldig.

»Ich glaube, die Anlage zu besichtigen wäre ganz interessant, und zu erfahren, was genau meine Aufgaben sind.«

Loreley nickte verständig.

»Ich selbst habe in dreißig Minuten einen Termin in der Stadt, aber ich denke, Vicky führt dich liebend gerne herum und zeigt dir alles.«

»Na klar, das mache ich«, verkündete diese fröhlich, nachdem sie einen großen Schluck Tee getrunken hatte.

Loreley klatschte in die Hände.

»Perfekt. Ich hoffe sehr, dass du dich schnell einlebst.«

»Ich bin mir sicher, dass das bei diesem herzlichen Empfang kein Problem sein wird«, erwiderte ich und blickte dabei Theo an.

Es war keine Lüge, aber dennoch nicht ganz die Wahrheit. Allerdings wollte ich ihnen ungern auf die Nase binden, dass ich froh war, so weit von zu Hause weg zu sein, wie ich konnte. Immerhin ging hier niemanden meine Vergangenheit etwas an.

»Ich lass euch jetzt mal alleine. Wir sehen uns sicherlich heute Abend oder morgen.«

Damit verabschiedete sich Loreley. Einen Moment herrschte eine unangenehme Stille, die schließlich durch Theo gebrochen wurde.

»Heute Abend wollte ich mit ein paar Leuten etwas trinken gehen, habt ihr Lust mitzukommen?«

Er sah abwechselnd Vicky und mich an.

»Ich wollte mich später mit meinem Freund treffen«, sagte Vicky und begutachtete verdächtig lange ihre rot lackierten Fingernägel.

»Okay, und was ist mit dir, Granny?«

Die Anspielung auf mein gefärbtes Haar ließ mich kalt. Früher hatte ich meine Haare aufgrund einer Pigmentstörung blond gefärbt, um den großen kreisrunden, weißen Fleck zu verdecken. Doch nach der Trennung wollte ich einen Neustart und meine langen Haare auf Schulterlänge schneiden und umfärben zu lassen, schien mir eine gute Idee zu sein. Schließlich gab es Millionen von Frauen, die einen Friseurbesuch als Neuanfang sahen und wir konnten uns doch nicht alle irren.

»Ich weiß nicht, ob ich es ohne Rollator aus dem Haus schaffe, aber wenn doch, dann komme ich gerne mit.« Meine Worte trieften vor Sarkasmus, aber offensichtlich fand Theo genau das interessant.

»Gut, dann sehen wir uns gegen neun vor dem Haus. Vergiss nicht, dein Gebiss mitzunehmen, sonst versteht man dich schlecht.«

Als Theo aus dem Wintergarten verschwand, schüttelte Vicky nur den Kopf.

»Es tut mir so leid. Eigentlich ist er ganz nett, aber seitdem seine Freundin vor zwei Wochen mit ihm Schluss gemacht hat, ist seine Laune im Keller.«

Ich verkniff mir die Aussage, dass ich ihn gut verstehen konnte und dass mir seine direkte und sarkastische Art deutlich lieber war als die Speichelleckerei manch anderer.

»Wollen wir jetzt los?«, sagte ich um einen Themenwechsel bemüht.

»Wie du möchtest.« Vielleicht irrte ich mich, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie noch etwas sagen wollte.

Doch sie schwieg. Ich gönnte mir noch ein zweites Stück des herrlichen Käsekuchens. Vicky nippte währenddessen nur noch ab und zu an ihrem Tee und ließ den restlichen Kuchen stehen.

»Esst ihr hier immer zusammen?«, fragte ich neugierig und schaute mich um.

»Zum Nachmittagstee schon, aber die anderen Mahlzeiten macht sich meist jeder selbst und du kannst auch auf deinem Zimmer essen, wenn du magst. Falls du nicht selber kochen willst, gibt es in der Stadt auch ein paar gute und günstige Restaurants. Wir bekommen hier eine Art Taschengeld, das locker für Essen, Kleidung und Freizeitaktivitäten ausreicht. Das ist mehr, als man in anderen Einrichtungen erhalten würde.«

Geld war wirklich etwas, worüber ich mir vorher nicht allzu große Gedanken gemacht hatte. Ich hatte ein paar Nebenjobs im Studium gehabt und konnte mir so ein gutes Polster anlegen.

»Das ist gut zu wissen«, sagte ich unverfänglich.

»Nicht wahr? Da macht die Arbeit gleich noch viel mehr Spaß.«

»In erster Linie sollte es allerdings um das Tierwohl gehen und den Dienst an der Gemeinschaft«, sagte ich, ehe ich die Worte noch einmal in meinem Kopf überdenken konnte.

Vickys Lippen kräuselten sich pikiert und sie blickte von ihrem Display auf, um mich direkt anzusehen.

»Du hast ja so recht. Wir sollten dann jetzt keine Zeit verlieren und die Anlage besichtigen.«

Ohne auf meine Antwort zu warten, stand sie auf.

Gemeinsam verließen wir das Haus und gingen einige Minuten, bis wir zu einem kleinen oberirdischen Tunnel kamen. Während dieser Zeit schwieg Vicky und auf einmal glaubte ich, dass der Wald hier nicht das gruseligste war. Der Tunnel endete vor einem großen, hölzernen Gebäude, auf dem in Großbuchstaben »Kiwi Birdlife Park« stand. Den Eingangsbereich kannte ich von der Homepage, doch mir war nicht bewusst gewesen, dass sich das Wohngebäude derart nah am Park befand. Ich wusste nicht warum, aber meine Fingerspitzen fingen an zu kribbeln. Das passierte immer, wenn ich nervös wurde. Hier zu stehen, obwohl ich eigentlich jetzt in einer Vorlesung über Elektrotechnik sitzen müsste, war wie die ersten Sekunden nach einem Traum. Wie in dieser Zeit, in der man begriff, dass man nur geträumt hatte und jetzt in der Realität aufgewacht war. Es fühlte sich einfach richtig an hier zu sein.

»Es gibt hier ungefähr zwanzig verschiedene Vogel- und Reptilienarten, die entweder zur Arterhaltung aufgezogen werden oder weil sie verletzt sind. Wir füttern sie, halten die Anlage sauber und assistieren bei den medizinischen Untersuchungen. Du hast dich bestimmt schnell hier eingelebt«, sagte Vicky zuversichtlich und klopfte mir dabei auf die Schulter.

Gleich, nachdem wir die Eingangshalle verlassen hatten, konnten wir die zahlreichen Vogelstimmen hören. Es wirkte wie eine Sinfonie, in der jede Art ihren eigenen Part hatte. Hohe Bäume, die den Himmel zu berühren schienen und dutzende von Farnen flankierten den sandigen Weg. Vicky zeigte mir die verschiedenen Gehege und erklärte gleichzeitig, welches Tier wann und womit gefüttert wurde.

»Das sind wirklich viele Informationen«, sagte ich leicht überfordert.

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass du dir das alles merken wirst.«

Sie lächelte mich an, aber erzählte dann unbekümmert weiter.

Im Nachhinein hätte ich mir doch einen Notizblock einpacken sollen. Langsam, aber sicher schwirrte mir der Kopf von all den neuen Dingen. Ich würde mehr als diese eine Runde brauchen, um mir alles zu merken.

Aus der zentralen Futterstelle, in der die gesamte Nahrung für die Tiere zubereitet wurde, nahm Victoria einen großen Eimer mit. Bei einem kurzen Blick hinein konnte ich reife Früchte erkennen, die bereits einen süßlichen Duft verströmten. Schließlich gelangten wir zur Hauptattraktion für die Besucher: das Kiwi-Haus.

»Ich weiß ja nicht, inwiefern du dich bereits belesen hast. Kiwis sind vorwiegend nachtaktiv und daher ist es sehr dunkel in dem Haus.«

»Aber wenn es jetzt dunkel ist und Nacht, wird dann nicht ihr natürlicher Rhythmus gestört?«, fragte ich verwundert.

»Nein, denn der Raum wird nur zu den Fütterungszeiten abgedunkelt, damit sie entspannter die Nahrung zu sich nehmen. Es steht niemand von uns in der Nacht auf, um die Tiere zu füttern. Zudem gehören die Kiwis zu den Hauptattraktionen und können auf diese Weise wenigstens von den Besuchern gesehen werden.«

Mit einem Ruck öffnete sie die metallene Eingangstür, sodass wir uns in einem Zwischenflur befanden, der nur ganz schwach beleuchtet war. Dann betraten wir das Gehege. Meine Augen brauchten ein paar Sekunden, um sich an die vorherrschende Dunkelheit anzupassen. Ich konnte gerade einmal Umrisse erkennen und musste mich sehr anstrengen, um Vicky zu folgen.

»Ich öffne jetzt die Tür zum Gehege. Die Tiere sind sehr scheu, also verhalte dich bitte ruhig. Wir geben ihnen die reifen Früchte und Regenwürmer.«

Vickys Stimme war nur noch ein Flüstern. Ich wusste nicht, ob sie mein Nicken sehen konnte, aber sie schüttete den Eimer aus und sogleich hörte man seichtes Rascheln.

Wir gingen zum Rand des Geheges, sodass die Tiere ungestört essen konnten. Endlich hatten sich meine Augen so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass ich die kleinen Kerlchen mit dem grauen Gefieder erkennen konnte. Ihre langen, gebogenen Schnäbel pickten eifrig an der Stelle herum, an der wir zuvor das Futter ausgeschüttet hatten. Wenn mich mein Blick nicht täuschte, dann gab es hier sechs Kiwis, die pärchenweise beieinanderstanden und einträchtig fraßen. Die Tiere reichten mir gerade einmal bis zum Knie, was ihren Niedlichkeitsfaktor noch einmal erhöhte.

»Ist das nicht ein faszinierender Anblick? Früher kannte ich diese Tiere nur aus dem Fernsehen, aber sie in echt zu sehen ist, als würde man einem Fabelwesen begegnen«, flüsterte Vicky und ich musste ihr zustimmen. Es war unglaublich.

Auf einmal verspürte ich einen sanften Druck in der linken Wade. Als würde mir jemand mit einem Strohhalm zaghaft ins Bein piksen.

Ich unterdrückte einen Schreckensschrei und sah zu der Stelle, von der der leichte Schmerz ausging. Dunkle Knopfaugen, umrahmt von nachtschwarzem Gefieder, sahen unschuldig zu mir hoch.

Mich hatte tatsächlich ein Kiwi gezwickt.

Zum Glück hatte ich extra meine Tetanusimpfung aufgefrischt, bevor ich hierher geflogen war.

Das Tier starrte mich weiter an, als erwartete es eine Reaktion von mir. An dem Futter schien es zu meinem Bedauern keinerlei Interesse zu haben. Vicky hatte von all dem scheinbar nichts mitbekommen und schaute weiterhin begeistert den anderen Kiwis zu. Der schwarze Vogel legte den Kopf leicht schief und rührte sich nicht von seinem Platz. Offenbar hatte ich einen neuen Verehrer gefunden oder er hielt mich schlichtweg für einen überdimensionalen Regenwurm.

»Komm, Charly, ich zeige dir noch die restlichen Gehege.«

Vicky nahm mich an der Hand und verschloss dann den Käfig der Kiwis hinter uns.

»Ich dachte eigentlich immer, dass Kiwis scheue Tiere sind«, sagte ich, während ich über die schmerzhafte Stelle strich.

»Das sind sie auch, aber viele der Tiere wurden als Küken gefunden und von Menschen großgezogen. Sie sind also in einem gewissen Maße an uns gewöhnt. Zudem erkennen sie uns am Geruch wieder, da sie leider nicht besonders gut sehen können.«

Okay, dann roch ich wohl wie ein riesiger Regenwurm. Notiz an mich selbst: Dringend das Deo wechseln.

»Alles in Ordnung? Du siehst etwas blass aus«, fragte Vicky und sah mich jetzt besorgt an.

»Nein, alles gut. Wie viele Tiere leben denn in dem Häuschen?«, fragte ich.

»Momentan sieben, drei Pärchen und ein Kiwi-Männchen. Es gab hier zwar in den letzten Monaten immer mal wieder weibliche Kiwis, aber unser einsamer Wolf interessierte sich für keins von ihnen. Wir vermuten, dass er seine Partnerin verloren hat, bevor er gefunden wurde. Kiwis wählen einen Partner für ihr ganzes Leben. Wusstest du das?«, fragte Vicky nach ihrem Monolog.

»Ehrlich gesagt nein, aber das ist wirklich beeindruckend.«

»Finde ich auch«, pflichtete sie mir bei.

Diese Tiere waren in ihrer Partnerwahl so sicher, dass sie sich ein Leben lang aufeinander einließen, während manche Menschen bereits nach ein paar Monaten aufgaben. Das war faszinierend und enttäuschend zugleich.

Vicky führte mich im Eiltempo durch die restliche Anlage, aber das Bild von dem einsamen, dunklen Kiwi ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Später am Abend traf ich mich mit Theo, der gerade dabei war, eine Taxifahrt zu organisieren.

»Warum nehmen wir denn nicht den Bus oder gehen zu Fuß?«, fragte ich ihn, nachdem er beim Taxiunternehmen angerufen hatte.

»Der Bus fährt um diese Uhrzeit nicht mehr und zu Fuß ist mir die Strecke wirklich zu weit«, antwortet er. Theo hatte sich den Bart abrasiert und trug ein graues Hemd, dessen obere Knöpfe geöffnet waren. Nichts erinnerte mehr an den Griesgram von heute Nachmittag, abgesehen von seinem Mundwerk.

»Also Granny, erzähl mal. Wo kommst du her?«

»Aus dem Altersheim«, sagte ich knapp und stieß einen Kieselstein mit dem Fuß weg.

»Und wo genau lag dieses Heim mit den schlechten Sicherheitskontrollen?«, hakte er unermüdlich nach.

»In Hamburg.« Ich schloss den Reißverschluss an meiner Jacke. Die Sonne war gerade untergegangen und die Luft kühlte merklich ab.

»Schöne Stadt, aber die Leute sind etwas eigensinnig«, sagte Theo und kratzte sich am Kinn.

Gerade wollte ich etwas darauf erwidern, aber dann kündigten Scheinwerfer das Taxi an.

Nach einer kurzen Fahrt erreichten wir auch schon einen Irish Pub, der einen speziellen Charme verströmte. Alles in dem Laden war in Grüntönen gehalten und die Wände hingen voll mit metallenen Schildern, die für Guinness warben.

»Bist du öfter hier?«, fragte ich Theo.

»Ungefähr einmal in der Woche, manchmal auch mehr. Je nachdem, wie mir der Sinn nach Gesellschaft steht. Mittwochs kann man hier übrigens Karaoke singen.« Ich konnte mir kaum vorstellen, wie der blonde Hühne sich auf die Bühne stellte und My heart will go on zum Besten gab.

»Hätte nicht vermutet, dass du einen Fable fürs Singen hast«, gestand ich offen.

»Tja, Granny. Ich stecke voller Geheimnisse.«