Mythos Fliegen - Edeltraud Lioba Miller - E-Book

Mythos Fliegen E-Book

Edeltraud Lioba Miller

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Beschreibung

"Sechs Jahrzehnte lang galt sie als die führende Airline der Welt: die Pan American Airways, kurz Pan Am. Ein Symbol für den American Way of Life, eine Airline mit einem weltumspannenden Netz. Mit ihr flogen Prominente und Mächtige, Wirtschaftsbosse und Showbiz-Größen. Pan Am ist eine Luftfahrt-Ikone, der auch heute immer noch Tausende huldigen. Pan Ams Stewardessen waren in den 60er und 70er Jahren Sinnbilder kultivierter Weiblichkeit. Ein diskreter Hauch von Sexyness gehörte immer zur weiten Pan-Am-Welt. Wer bei Pan Am arbeitete, ist heute noch stolz. ,Wir waren eine Elite', erinnert sich die Münchnerin Edeltraud Miller, die in den 60er-Jahren als Pan-Am-Girl auf Südamerika-Linien unterwegs war." (07.07.2022: Arte zum Dokumentarfilm "Pan Am - Aufstieg und Absturz einer Luftfahrt-Ikone") In lebendiger Form erzählt Edeltraud Miller von Ihren Erinnerungen und Erlebnissen in den 60er- und 70er-Jahren, den Gepflogenheiten und den strengen Vorschriften bei der "Glamour Airline". Sie erzählt von ihren Begegnungen mit Persönlichkeiten, die in die Geschichte eingingen, Erlebnissen an Bord, vom Crewleben und ihrer damaligen Wahlheimat New York und Miami. Sie nimmt sie mit auf eine Reise um den Globus und zu den damals noch nicht touristisch erschlossenen Orten. "Stewardess war mein Traumberuf. Damals hatte der Beruf Stewardess noch nichts mit Flugbegleitung zu tun", sagt sie heute.

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Für die Kolleginnen und Kollegen, die über viele Jahre meine große Familie waren

Prolog

Stewardess war mein Traumberuf. 1968 wurde ich unter vielen Bewerberinnen von der US-amerikanischen Glamour-Airline Pan Am ausgewählt. Ich flog um die Welt, und ich durfte mich in die Schar der eleganten Stewardessen in ihren azurblauen Uniformen einreihen. Pan-Am-Stewardessen waren Avantgarde. Damals hatte der Beruf Stewardess noch nichts mit Flugbegleitung zu tun.

Pan Am war die berühmteste Airline der Welt, Ikone der Luftfahrt, setzte internationale Maßstäbe und war Aushängeschild der USA. Ihr Markenzeichen war der blaue Globus, und noch heute schwärmen Fluggäste, die in den Sechziger oder Siebziger Jahren mit Pan Am geflogen sind, »it was like flying on cloud nine«.

Während der mehr als drei Jahrzehnte meiner beruflichen Tätigkeit habe ich oft von meinen Erlebnissen erzählt. Immer wieder hieß es: »Schreib doch mal ein Buch.«

Aktuelle Interviews in Rundfunk und Fernsehen haben mich nun veranlasst, aus meinem Leben als Stewardess zu berichten. Letzter Anstoß war mein Beitrag zu dem Dokumentarfilm »Pan Am – Aufstieg und Absturz einer Luftfahrtikone«, der auf Arte ausgestrahlt wurde.

Anhand von Tagebucheintragungen, Briefen an meine Eltern und vor allem anhand der von mir aufbewahrten vollständigen Originaldokumente aus meiner gesamten Zeit bei Pan Am war es mir möglich, meine Erinnerungen an die Zeit als Pan-Am-Stewardess wieder zum Leben zu erwecken.

Inhalt

Prolog

Teil 1: Kindheit und Jugend

Kindheit

Schulzeit

Jugendjahre in München

Jugendjahre in den USA

Teil 2: Drei zu eins – das Vorstellungsgespräch

Teil 3: Amerika – da bin ich wieder

»Welcome to the Miami International Stewardess College!«

Teil 4: Pan Am verpflichtet – die Geschichte von Pan Am

Teil 5: THE SIXTIES – meine Pan-Am-Jahre in Miami 1968, 1969

Amerika – ich entdecke einen Kontinent voller

Gegensätze

Apartmentsuche in Miami

Eine Woche mit der B-727 und der B-707 durch Zentral- und Südamerika

San Salvador, El Salvador

El Salvador im Fußballkrieg

Panama City – Buenos Aires

Buenos Aires, Argentinien

Kingston, Jamaica – ein unvorhergesehenes Layover

Schwanger, was nun?

Panama City, Panama

São Paulo und der Vorort Campinas. Brasilien

Port of Spain, Trinidad und Tobago

»›Cuba!‹ They yelled, with gun in her back«

Mexico City, Mexiko

Weihnachten in Miami

Der schreckliche Vietnamkrieg – Mikes Schicksalsschlag

Purser-Schulung

Chefstewardess – ab jetzt mehr Verantwortung

Montego Bay, Jamaika

Rio de Janeiro, Brasilien

»If I get married, I marry a Pan Am Stewardess«

Aus dem Standby-Block ins Doctors’ Hospital

Im Fokus

Die Mondlandung – wie ich sie erlebt habe

Telefongespräch mit Neil Armstrong?

Pan Ams »First Moon Flights Club«

Teil 6: THE SEVENTIES – meine Pan-Am-Jahre in New York

Meine ersten Tage in New York

Cuba – sorry my dear!

Ihr »reichen Amerikaner«

Haiti – erster Wandschmuck für das neue Apartment

Und jetzt um die ganze Welt mit Pan Am Clipper PA 01 und PA 02

Beirut, Libanon

Teheran, Iran

Begegnung mit Bundeskanzler Willy Brandt

Weißer Kaviar – die teuerste Delikatesse der Welt

New Delhi, Indien

Hongkong

Bangkok, Thailand

Weihnachten in New York

»1970 starts with a bang! President Halaby liberalizes Employee Travel«

Mein neuer »Playboy Honorary Key«

Guatemala City, Guatemala

Kinder in Guatemala – Kinder in dieser Welt

Mein blinder Passagier

Apartment Hunting in Manhattan

Afrika

In Panik

Im Sinkflug über die Victoriafälle

New York–Fairbanks–Tokyo–Guam–Saigon

Einladung in den Officer’s Club auf Guam

Saigon während des Vietnamkriegs (1970)

Als die Welt den Atem anhielt

Mein Leben im Big Apple

Teil 7: Pan Ams 747: »The Plain with all the Room in the World«

Die Taufe: »First Lady Names B-747«

Der erste Passagierflug mit dem Superjet B 747-100

Intensive Emergency-Schulungen

Meine neue Uniform

Pan Ams Upstairs Lounge

Pan Ams »Round the world Service« mit der B-747

Die »Königin der Lüfte«

Teil 8: Meine prominenten Gäste

Charles A. Lindbergh

Jaqueline L. Bouvier Kennedy

Die Kennedy-Kinder Caroline and John-John

Ray Conniff

Muhammad Ali alias Cassius Clay: »I am the greatest.«

Victor Bergeron – Vater der Restaurants »Trader Vic’s«

… and other stories – 20 Jahre später

Teil 9: Vier Sekunden zwischen Leben und Tod

Teil 10: Geburt an Bord. Tod an Bord

Teil 11: Marriage to go

Stewardessen dürfen jetzt heiraten

Trauung auf einem Layover in Frankfurt

Abschied von Pan Am und New York

Teil 12: Zurück in Deutschland

Zurück zum Fliegen – zurück nach München

Teil 13: Walking on Memory Lane

Teil 14: Fliegen – ein Mythos und eine Herausforderung für ein Gelingen des Lebens

Teil 15: Epilog

Glossar

Quellennachweis

»Stewardess wanted. Must be an angel.«

– Pan Am Stellenangebot 1969 –

PanAm Streckennetz 1969

Teil 1:Kindheit und Jugend

Kindheit

Nach einer Bombennacht im Zweiten Weltkrieg kam ich am 31. Januar 1944 im Münchner Stadtteil Nymphenburg zur Welt und wurde auf den Namen Edeltraud Lioba katholisch getauft. In jenem Jahr verloren in München 200.000 Menschen bei Angriffen ihre Wohnungen, etliche Gebäude, Kulturstätten und Denkmäler wurden ganz oder teilweise zerstört. Tausende flohen aus der Stadt. Mutti erzählte oft von dem Heulton, dem Signal des Fliegeralarms, der durch die Stadt ging und die Bevölkerung aufforderte, schnellstmöglich den Luftschutzkeller aufzusuchen, bis endlich Entwarnung kam. Mit Nachbarn saßen wir da unten, zitterten, andere beteten. Ich hingegen fand sichtlich Gefallen unter den Menschen, wurde von Schoß zu Schoß gereicht, hatte Spaß und lachte.

Mit neun Monaten konnte ich schon laufen, doch Schuhe gab es erst ab zwölf Monaten und dann auch nur auf »Bezugsschein«. Mutti strickte für mich behelfsmäßig kleine Schuhe aus aufgezogener alter Wolle und nahm mich schließlich mit zur Bezugsscheinstelle. Ohne dass mich Mutti an der Hand führte, lief ich allein strahlend auf den Beamten zu, und nach langem Zögern bekam Mutti einen Bezugsschein für mein erstes Paar Schuhe. Warme Kleidung nähte sie aus alten Soldatenuniformen, als Hauswirtschaftslehrerin war sie darin sehr geschickt. Vati war zum Glück nicht im Krieg, er hatte eine Sportverletzung, arbeitete im Flugzeugbau. 1936 war er in Berlin als Olympiateilnehmer im Turnen nominiert. Auch Lebensmittel gab es nur auf Bezugsscheine, und weil das nicht ausreichte, fuhr Mutti mit mir zu Bauern aufs Land nach Niederbayern und tauschte Bettwäsche und Silber gegen .1wenige Kartoffeln ein, wie sie erzählte. Die Züge waren stets überfüllt, und wenn Mutti nur auf der Plattform einen Stehplatz fand, wie es meist der Fall war, reichte sie mich durch in den Wagon. Dort durfte ich auf einem Schoß sitzen, und das gefiel mir. Ich war noch klein, aber ich erinnere ich mich an einen Herrn mit Hut, er saß am Fenster, und ich durfte auf seinem Schoß sitzen. Wie jeden Mann nannte ich auch ihn »Papa«. Und von diesem »Papa« bekam ich meine erste Schokolade. Zu Hause gab es Margarinebrot mit ein wenig Zucker drauf, wenn es überhaupt welchen gab, eine Tante besorgte illegal Trockenmilch, denn Milch gab es in der Stadt nicht.

Als ich drei Jahre alt war, wurde ich sehr krank und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden mit Verdacht auf Kinderlähmung, die damals in der Stadt grassierte. Glücklicherweise war es nicht diese folgenschwere Krankheit, man sprach von Scharlach und noch etwas anderem, ich erinnere mich nicht mehr genau, was Mutti sagte. Ich war fast vier Jahre alt und musste über Weihnachten drei Monate lang bis Ostern in der Klinik bleiben, meine Eltern durfte ich lange Zeit wegen der Schwere der Krankheit nur durch ein kleines Fenster sehen, sie standen draußen auf dem Flur. Das war bitter für mich kleines Wesen. Ostern durfte ich nach Hause, und die Freude war groß, als ich den Christbaum mit den vielen glänzenden Kugeln sah, den meine Eltern für mich stehen gelassen hatten, und ich meine bescheidenen Geschenke vom Christkind auspacken durfte. Vati hatte eine Puppenküche gebastelt. Mutti erzählte später, dass ich zu ihrer Überraschung als Erstes mein altes Spielzeug aus der »Sanella«-Schachtel unter dem Küchensofa hervorholte (»Sanella« war der Markenname der Margarine, Butter gab es nicht).

Mit Vati spielte ich Schaffnerin, dieser Beruf gefiel mir. Ich sammelte die Fahrscheine, die Mutti und ich bekamen, wenn wir in München mit der Trambahn fuhren. Vati machte dabei immer Witze, verlangte nach Haltestellen, die es gar nicht gab. Mutti war streng.

Gespielt haben wir Kinder zwischen Schuttbergen und Ruinen in einem nahegelegenen zerstörten Fabrikgebäude. In den Mauerresten hingen lose noch stromführende Kabel, und wir abenteuerlustigen Kinder hatten Spaß, wenn es kribbelte, die Gefahren kannten wir damals nicht. Meine Eltern waren entsetzt und hatten mir verboten, dort zu spielen. Für uns blieb es der Spielplatz, wo es etwas zu entdecken gab und wir auch »Verstecksterl« spielen konnten. Im Winter fuhren wir mit dem Schlitten die Schuttberge runter, es gab sie zuhauf. Nicht jedes Kind hatte einen Schlitten so wie ich, wir fuhren eben zu zweit, und ich durfte dann später mit dem Fahrrad von einem der Kinder fahren.

Die schönsten Tage meiner Kindheit verbrachte ich im Sommer auf dem Land bei meinen Großeltern in der badischen Weingegend. Opa hatte einen Weinberg und eine Landwirtschaft. Vati brachte mich mit der Eisenbahn dorthin und holte mich auch wieder ab. Es gab viele Tiere. Ich durfte auf dem Heuwagen sitzen und auf die Felder hinausfahren, fand tote Mäuse, die ich zum Entsetzen meiner Tante streichelte. Großmutter holte die besten süßen Birnen unter ihrer Schürze hervor, für ein Stadtkind wie mich war das damals etwas ganz Besonderes. Ich war Großvaters liebstes Enkelkind, mir schmeckte alles, ich sah, wie Kühe gemolken wurden, wollte unbedingt mitarbeiten und habe zum Entsetzen meines Großvaters versucht, ein Pferd zu melken. Mit der Katze tanzte ich durch die große Küche, durfte die Schweine füttern. Zum Dorfbrunnen aber durfte ich nicht allein gehen, das war mir verboten worden. Doch einmal schlich ich mich davon und ging zum Brunnen. Da wurde Großvater zum ersten Mal böse und hat mich mit seinem Gehstock nach Hause getrieben. Großvater war ein stattlicher Mann. Mit seinem stattlichen Maß von 180 cm war er Ende des 19. Jahrhunderts beim badischen Leibregiment, wie mir gesagt wurde, und Bürgermeister im Dorf. Unendlich traurig war ich, als ich wieder zurück nach München musste. Ich heulte tagelang und glaube, dass Mutti das nicht verstanden hat. Meine Cousinen und Cousins durften doch auch alle bei den Tieren sein, auf dem Land leben, auf die weiten Kornfelder hinausgehen, wo Mohn- und Kornblumen blühten, es Obstbäume mit saftigen Birnen gab, sie lebten in einer großen Familie, waren mit Oma und Opa zusammen, außerdem gab es dort keine Ruinen und Schuttberge.

Wir wohnten in einer kleinen Nachkriegswohnung im Westen von München. Die Wochenenden verbrachten wir auf dem »Bauplatz«, wo meine Eltern Obstbäume und Gemüse für den Hausbedarf angepflanzt hatten, was in der Nachkriegszeit ein Segen war, auch für den Geldbeutel. Gar nicht erfreut war Mutti, als ich ihr einmal mit einem selbstgepflückten Blumenstrauß eine Freude machen wollte: Die Blumen, die ich für Gänseblümchen hielt, waren Erdbeerblüten. Unweit des Grundstücks wohnten Nachbarn mit einem großen Schäferhund, den ich streicheln durfte, er war mein Freund, während meine Eltern im Garten arbeiteten.

Schulzeit

Auf unserem Bauplatz entstand langsam ein Haus. Mutti hatte alles im Griff. Mit Bauplänen in der Hand begab sie sich zur Münchner Lokalbaukommission, und was dem Architekten nicht genehmigt wurde, konnte sie durchsetzen. Ich durfte jedes Mal mitkommen und freute mich besonders auf den »Paternoster«, einen offenen Aufzug, der ohne anzuhalten auf- und abfuhr und in den man hineinspringen musste. Das machte mir Spaß, ich war ja bereits fünf Jahre alt und im Turnverein. 1950 zogen wir in unser eigenes Haus ein. Es war noch nicht verputzt, das geschah erst im Jahr danach, denn das Geld war knapp. In der neuen Nachbarschaft gab es nur Buben, und so spielte ich mit ihnen Fußball. Skifahren den Schuttberg hinunter konnte ich aber besser als sie. Manche waren frech, doch schnell hatte ich einen Freund: Bernd hielt immer zu mir, hatte schöne blonde Haare.

Mit sechs Jahren kam ich in die Schule, in die katholische Mädchenklasse. Wir waren 42 Schülerinnen und waren abwechselnd in Vor- und Nachmittagsunterricht eingeteilt, die Räumlichkeiten waren angesichts der fehlenden Schulgebäude sehr knapp. Auf dem Klassenfoto trage ich Zöpfe, es fehlt mir ein Zahn, aber ich strahle übers ganze Gesicht. Oft musste mir ein Zahn gezogen werden, doch ich hatte einen lustigen Zahnarzt, der reimte: »Wer auf Gott vertraut, der heißt Edeltraud.« Mit Freunden ging ich im Sommer in der Würm schwimmen, einem kleinen schnellfließenden Flüsschen, an dem ich heute wohne. Oder wir fuhren Ski am »Gockelberg« im Münchner Vorort Gräfelfing, natürlich alles im Schuss den Hang hinunter, bauten da, wo der Hang am steilsten war, eine Sprungschanze. Mutti gab mir Brote mit, und manchmal wurde es schon dunkel, als ich mit meiner Freundin Bärbel auf dem schneebedeckten Bürgersteig auf Skiern nach Hause lief. Zweimal die Woche ging ich turnen, Vati war im Verein Übungsleiter für die Jugend. Ich turnte zwar bei Wettkämpfen mit, aber so weit wie Vati hätte ich es nicht gebracht, obwohl mir auch ein paar Mal im Bodenturnen ein Salto gelang. Vati brachte mir auch Schwimmen in einem kleinen Baggersee unweit unseres Hauses bei. Im Winter bin ich dort auch Schlittschuh gelaufen, habe mir einmal Schien- und Wadenbein gebrochen, unglücklicherweise kam ich am Uferrand auf einen Stein. Acht Wochen musste das ganze Bein im Gips sein, das war bitter, weil ich wochenlang nicht zur Schule laufen konnte; einen »Gehgips« bekam ich erst nach vier Wochen. Doch das war kein Problem für uns, denn meine Schulfreundinnen zogen mich mit dem Schlitten zur Schule, und wir hatten viel Spaß dabei. Bei Mutti gab es dann leckeren Kakao und Camembertsemmeln. Ein Auto hatten wir nicht.

Zum Fasching ging ich immer auf den Kinderball im Turnverein, natürlich verkleidet, mal als Schmetterling oder Sterntalermädchen. Und einmal war ich als »Negerin« verkleidet – heute undenkbar. Ich wirbelte im Baströckchen und schwarzer Strumpfhose umher, ich zwickte die anderen alle, das machte mir besonders Spaß, und keiner konnte mich unter der Maske erkennen. Dann kam es zur Preisverleihung. Alle warteten gespannt, und ich wurde aufgerufen. Ich wurde auf die Bühne geholt und bekam den ersten Preis verliehen: eine Schachtel Pralinen – ein toller Preis damals. In der Schule war ich Klassenbeste, doch Mutti wurde auch einmal zur Lehrerin einbestellt, weil ich den Unterricht gestört haben und vorlaut gewesen sein sollte. Den Stoff habe ich oft schneller als andere begriffen und habe dann halt geschwätzt oder Faxen gemacht. Die Lehrerin empfahl, mich fürs Gymnasium anzumelden. Doch Mutti war dagegen, denn ein Mädchen brauchte kein Studium, es würde ohnehin heiraten und wäre dann für Haushalt und Kinder zuständig, als Bub hätte ich eine Chance gehabt. Aber es sollte anders kommen.

Eines Tages kam mein Cousin Erich zu Besuch und erzählte, dass er im Bayerischen Rundfunk einen Job hätte und für den Kinderfunk bei einer Karl-May-Buch-Lesung die »Rote Hand« sprechen würde. Das gefiel mir, und ich dachte, das könnte ich doch auch. Bei nächster Gelegenheit hörte ich mir diese Kinder- oder Jugendsendung an und stellte mich kurzerhand im Bayerischen Rundfunk vor. Doch leider gab es zu dieser Zeit keinen Bedarf, aber die nette Dame wollte dann wissen, ob ich denn auch singen könnte. »Ja«, sagte ich, »ich habe einen Einser im Zeugnis.« Samstags war Vorsingen in einer Holzbaracke in der Hopfenstraße, und ich ging mit meiner besten Freundin Bärbel dorthin, andere Vorsängerinnen und Vorsänger hatten ihre Eltern dabei, ich aber fühlte mich mit elf Jahren selbstständig genug. Das bayerische Lied »Und jetzt geh i an Peters Brünnele, und da trink i an Wein …«, das ich bei unserem Fräulein Geiger gelernt hatte und dem Chorleiter vorsingen wollte, kannte er nicht, und so sang ich alle drei Strophen, a cappella. Die anderen Vorsängerinnen und einen Bub konnte er am Klavier begleiten. Bärbel wurde auch gefragt, wir mussten kichern, denn sie konnte gar nicht gut singen, wollte mich nur freundschaftlich begleiten – wir amüsieren uns heute noch darüber. Am Ende wurde ich in den Chor aufgenommen und sang ein paar Jahre die erste Stimme im Kinderchor des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Kurt Brüggemann. Im Studio eins wurden Lieder aufgenommen für das Betthupferl um 19 Uhr und in einem anderen Studio Lieder für Schallplatten und Werbesendungen. Mein Taschengeld wurde auch etwas aufgestockt.

Während dieser Zeit durfte ich mit meinen Eltern jedes Jahr tolle Urlaube verbringen. Wir fuhren nach Helgoland, an die Mosel, nach Südtirol, Venedig, an den Gardasee, an den Kalterer See in Südtirol oder an die italienische Riviera.

Die renommierteste Schule in München zur Ausbildung im kaufmännischen Bereich war zu dieser Zeit die Städtische Riemerschmid-Handelsschule. Sie war sehr begehrt, kostenfrei, und es gab Firmen, die nur Abiturientinnen oder Absolventinnen dieser Schule einstellten. Sie war auch die Schule, die von den Schülern am meisten abverlangte, das war stadtbekannt. Abitur und Studium waren nicht selbstverständlich. Man musste sich das alles während der Nachkriegszeit leisten können. Die Aufnahmeprüfung war entsprechend anspruchsvoll, und bei diesem Ansturm von Anmeldungen mussten alle Aufgaben fehlerfrei sein, wie sich später herausstellte. Ich hatte Glück und bestand die Prüfung. Neben den Fremdsprachen Englisch und Französisch erlernte ich auch die deutsche und als Wahlfach die englische Stenografie. Ich hatte die Absicht, Auslandskorrespondentin zu werden. Zum Spielen fand sich kaum noch Zeit, denn der Weg zur Schule war weit, und ich hatte manchmal am Vor- und am Nachmittag Unterricht.

Jugendjahre in München

Meine Jugendjahre waren die Jahre des Rock ‘n‘ Rolls, Elvis Presleys und Bill Haleys. Die Zeit von Bubble Gum, Viceroy-Zigaretten, Petticoat und Röhrenhosen mit Schlitz – und einer neuen Jugendbewegung. Samstags tanzten wir nach den neuesten Hits in den Schwabinger Diskotheken oder auf privaten Kellerpartys. Für meine Eltern war diese Musik grauenhaft, hatten sie mich doch in einen Tanzkurs geschickt, wo ich Walzer und Foxtrott lernte, und mahnten: »Mach doch mal die N….-Musik aus.« Dann stellte ich halt in meinem Zimmer das Kofferradio leiser und hörte die Musik trotzdem weiter, während der Moderator Gary Bautel die Hits im US-Radiosender AFN moderierte. Etliche Jahre danach, ich war Präsidentin im Deutsch-Amerikanischen Frauenclub München, traf ich Gary Bautel persönlich. Gary war Präsident im Dachverband VDAC der Deutsch-Amerikanischen Clubs, und ich hatte die Aufgabe, beim traditionellen Magnolienball im Hotel »Bayerischer Hof« und beim »Silbertee« in der Residenz München Spendenschecks zur Förderung des deutsch-amerikanischen Studentenaustauschs zu übergeben. Er hatte noch dieselbe rauchig dunkle sympathische Stimme und war auch sehr sympathisch.

Obwohl ich vielen Aktivitäten mit Freude nachging, einem Skiclub beigetreten war und einen sehr netten Freundeskreis hatte, hatte ich stets meine berufliche Weiterbildung im Auge. Ich hatte im Sinn, auf die Sorbonne nach Frankreich zu wechseln, um mein Französisch zu perfektionieren, doch Mutti lehnte das strikt ab, ich war für sie schlichtweg zu jung für einen Auslandsaufenthalt. Ich arbeitete als Assistentin des Werbeleiters in einem größeren Unternehmen mit Filialen in den USA, vorher in einem Touristikunternehmen. Als ich mit 20 noch einmal den Wunsch äußerte, ins Ausland zu gehen, war Mutti nicht mehr abgeneigt, und ich plante, wenn schon, dann gleich in die USA. Amerika war für mich das Land des unbeschwerten Lebens, der Freiheit, des modernen Lebensstils, Reichtums und natürlich das Land des Rock ‘n‘ Rolls und Elvis Presleys. Glücklicherweise hatten wir entfernte Verwandte in Amerika, die in den 1920er Jahren ausgewandert waren und in St. Louis, Missouri, lebten. Und so ergab es sich, dass Onkel und Tante, die kinderlos waren, mich zu sich einluden und mir dort ein Studium anboten. Ich freute mich riesig, und es war wie Weihnachten und Ostern zusammen. Sogar mein damaliger Arbeitgeber schrieb mir ohne mein Zutun einen »Letter of Introduction«, mit dem er mir einen Arbeitsplatz in seiner Filiale in New Jersey anbot. Das freute mich sehr, mein Ziel war jedoch St. Louis, aber wer weiß, was noch kommt, dachte ich und hob den Brief sorgfältig auf. Um in den USA auch arbeiten zu können, beantragte ich ein Immigrationsvisum, eine »Alien Card«. Es gab etliche Formalitäten zu erledigen wie eine Unbedenklichkeitsbescheinigung, ein medizinisches Gutachten, eine Bürgschaft über 10.000 Dollar und die Kontaktadresse meiner Verwandten in den USA. Mehrere Male musste ich beim amerikanischen Konsulat lange Wartezeiten in Kauf nehmen, bis ich alles beisammenhatte. Damals hätte ich es mir nicht erträumen lassen, dass ich viele Jahre später, als ich Präsidentin des Deutsch-Amerikanischen Frauenclubs war, mit dem US-amerikanischen Generalkonsul Bill Moeller beim Magnolienball, einer Benefizveranstaltung im Hotel »Bayerischer Hof«, den Tanz eröffnen würde.

Meine Schiffsreise nach New York

Für die Reise über den Atlantik wählte ich eine Schiffspassage mit der T.S. Hanseatic. Flug- oder Schiffsreise waren preislich in etwa gleich, und so ging ich im September 1964 an Bord des Transatlantik-Liners mit meinem Traumziel: Amerika. Mutti und mein Freund Heinz begleiteten mich in Cuxhaven entlang der Gangway zum Schiff. Dann hieß es »Leinen los«, und jetzt liefen doch ein paar Tränen, als ich an der Reling stand und das Lied gespielt wurde »Muß i denn zum Städtele hinaus«, das mich immer weiter auf die See hinaustrug. Ich winkte den beiden lange nach, bis ich sie nicht mehr sehen konnte. Wir dockten in Southampton und Cherbourg an und erreichten nach acht Tagen auf hoher See New York. Auf dieser Reise, auf der hauptsächlich ältere Herrschaften an Bord waren, freundete ich mich mit zwei jungen Herren an, mit dem Amerikaner Dick und Günter aus Hamburg. Ich lernte Canasta spielen, wir besuchten Tanzabende und verbrachten eine wunderbare Zeit bei den vielen Veranstaltungen, die angeboten wurden. Dick nannte mich »Edelweiß«. Gleich zu Beginn hatte sich eine Stewardess persönlich bei mir vorgestellt, sie gab auf mich acht, denn ich war mit meinen 20 Jahren damals noch nicht volljährig. In meinem Album habe ich eine Widmung von Dick aufbewahrt: »Edelweiß. Machen Sie viel Spaß, aber erinnern Sie die Dame bei dem Schiff. Bewahren Sie von den bösen Männern, Dick (…)«

Nach acht Tagen auf See mit zeitweise sehr hohem Wellengang erspähten wir am Horizont weit draußen Land, hatten jedoch immer wieder Zweifel. Doch jetzt waren wir sicher: Immer noch sehr weit entfernt, dennoch langsam näherkommend, konnte ich die Skyline von Manhattan erkennen. Einige nahmen ihr Fernglas in die Hand, suchten wie ich angespannt das Auftauchen der Freiheitsstatue. Mit meinen beiden Freunden stand ich an der Reling. Da endlich, langsam trat die »Lady Liberty«, die »Göttin der Freiheit« aus dem Nebel hervor, kam immer näher, langsam öffnete sich das »Tor zur neuen Welt«. Zum Greifen nah fuhren wir an sie heran. Ich verspürte ein eigenartiges Kribbeln im Bauch. Jetzt war ich angekommen in Amerika, im Land der Freiheit. Noch konnte ich es kaum glauben, mein Traum »Amerika« war wahr geworden! Diese unbeschreiblichen, emotionalen Minuten meines Lebens werde ich nie vergessen, und ich war stolz. Es wurde mir aber auch bewusst, dass für mich ein neuer Lebensabschnitt begann. Weit weg von meinen Eltern ein Leben mit Eigenverantwortung.

Noch an Bord hatten Bill und Günter den Vorschlag gemacht, mir New York zu zeigen. Die Idee gefiel mir, und nach einem Anruf bei meinen Verwandten in St. Louis nahm ich ihr Angebot an. Wir fuhren nach Manhattan. Jetzt befand ich mich inmitten hochaufragender, gewaltiger Wolkenkratzer, die ich nur von Bildern in Zeitungen kannte, begegnete elegant gekleideten, kräftig geschminkten Ladies mit rasierten Beinen, und bei all diesem Luxus und unheimlicher Fortschrittlichkeit kam ich mir nicht nur wie in einer anderen Welt, sondern plötzlich wie die »Unschuld vom Lande« vor. Ich war überwältigt von dem pulsierenden Leben in den Straßen dieser Mega-City, bestaunte die zu Hause in Deutschland viel umschwärmten Straßenkreuzer, die die Fifth Avenue entlangfuhren, die großen Kaufhäuser mit den vergleichsweise breiten Rolltreppen aus Stahl, war begeistert von der eleganten Atmosphäre beim Hi Tea im »Plaza« Hotel und dessen nobler Ausstattung, wie man sie bei uns nur in Hollywood-Filmen sah. Ich machte beim Besuch des renommierten Clubs Jack & Charlies 21 die Erfahrung, unter 21 Jahren keinen alkoholischen Drink serviert zu bekommen; doch mit Zutun von Dick und einem Augenzwinkern des Barkeepers durfte ich dann zumindest zu meiner Cola an der Bar sitzen, denn auch das war nicht gestattet.

Jugendjahre in den USA

St. Louis, Missouri

Einen Tag später holten mich Tante und Onkel in St. Louis am Flughafen ab. Ich sah die beiden zum ersten Mal, doch wir begegneten uns mit großer Freude, die sich für mich noch steigerte, als ich ihren tollen »Straßenkreuzer« sah, einen gelben Ford Thunderbird. Ich war beinahe sprachlos, aber am liebsten hätte ich laut »hurra« gerufen. Genau diese Autos kannte ich bisher nur aus Zeitschriften, und nun das – überwältigend! Ganz andächtig stieg ich ein. Zu dritt saßen wir vorn auf der langen »Bank«. Wenn mich nur jetzt alle zu Hause in Deutschland sehen könnten: Bärbel, Freddy, Stephan und all die anderen! War ich stolz! Nach einer längeren Fahrt erreichten wir ihr reizendes Haus im eleganten Stadtteil Ladue, erbaut im viktorianischen Stil aus rotem Sandstein.

In St. Louis unterstützten mich meine Verwandten bei der Anmeldung in der Business School, wo ich bis zur Weiterreise in meine nächste Wahlheimat San Francisco studierte. Anfangs war das nicht ganz einfach, denn ich musste sehr oft mein Wörterbuch zu Hilfe nehmen, abends besuchte ich das International Institute. Zu Hause hatte ich Oxford-Schulenglisch gelernt, in Missouri sprach man amerikanisches Englisch mit »Southern Accent«. Bei meiner Tante und meinem Onkel ging es mir sehr gut, es fehlte an nichts, und ich bin ihnen noch heute dankbar, auch wenn sie inzwischen leider verstorben sind, mich so liebevoll aufgenommen zu haben. Schnell hatte ich mich eingewöhnt, lernte nette Menschen kennen, unternahm Ausflüge zu den »Meramec Caverns«, wo sich der Legende nach der berüchtigte Jesse James versteckt gehalten haben soll. Ich verbrachte Abende mit meinen neuen Freunden in einem der Taverns oder Blues-Clubs bei Outdoor-Ragtime-Musik und Dixieland Jazz am »Gaslight Square«, dem damaligen Entertainmentviertel. Besonders beeindruckt war ich von der schwarzen Jazz-Musik mit ihrem unheimlichen Beat, wie sie in den Blues-Clubs dargeboten wurde, und »nur so von Schwarzen gespielt werden kann« – das ist ihre Musik und ein Teil von St. Louis. Chuck Berry wurde hier geboren und trat am »Gaslight Square« auf. Große Entertainer wie Miles Davis, Barbra Streisand und viele andere begannen hier ihre Karriere. Grace Bumbry, die »Schwarze Venus von Bayreuth«, ist in St. Louis aufgewachsen. (Missouri gehörte zu den sklavenhaltenden US-Staaten. Erst im Juli 1964 war die Rassentrennung von US-Präsident Johnson endgültig abgeschafft worden.)

Der Kontakt zu Dick und Günter, die jetzt in Chicago wohnten, war nicht abgebrochen, mit ihren Grüßen zum Jahreswechsel luden sie mich ein, meinen bevorstehenden 21. Geburtstag am 31. Januar, also meine Volljährigkeit, mit ihnen in Chicago zu feiern. Super, dachte ich, das passt – eine tolle Idee, und ich fuhr mit der Bahn, dem »Amtrac«, nach Chicago. Um Mitternacht an diesem eiskalten und windigen Tag, wie ich mich sehr gut erinnere (in Chicago ist es immer windig, es heißt ja auch »the windy city«), saßen wir in einer originellen Jazz-Kneipe, wo es um diese Zeit auf dem Fußboden nur so knirschte, denn die Schalen der Erdnüsse, die es zu den Getränken gab, lagen alle auf der Erde, so war es der Brauch. Wir saßen an der langen Bar im Western Style. Auch im Staat Illinois durfte erst ab 21 Jahren in der Öffentlichkeit Alkoholisches ausgeschenkt werden. Doch ich hatte meine Alien Card vorgezeigt, und um Mitternacht wurde ein großes »Happy Birthday« angestimmt, alle sangen mit und erhoben ihr Glas.

Going West auf der Route 66

In St. Louis lernte ich Ursula kennen, auch sie plante, sich in San Francisco niederzulassen, und wir beschlossen, uns mit einem VW Käfer auf diese lange Reise zu begeben. Gut vier Wochen planten wir ein, um genügend Zeit für all die vielen Sehenswürdigkeiten zu haben. Der einzige Weg westwärts war für uns die Route 66, ein einspuriger Highway, ziemlich holprig und teilweise sehr einsam und abenteuerlich. Damals war der Highway 66 noch kein Touristenmagnet. Es war noch winterlich, und die Straße war teilweise schlecht geräumt. Der Weg führte uns über Oklahoma City, Amarillo/Texas, Albuquerque/New Mexico, Flagstaff/ Arizona. Manchmal begegneten uns an Tankstellen seltsame Gestalten, wenig vertrauenswürdig. Texas war ohnehin bekannt als »nothing but miles«, einmal begegnete uns nur ein einziges Auto am Tag, vielleicht mal ein Lkw. Und wir trällerten »King of the Road«. Hinter Flagstaff bogen wir ab und fuhren zum Grand Canyon – ein unvergessliches Naturwunder, bogen ab zum Petrified Forest, Painted Desert und blieben einen Tag im »fabulous« Las Vegas, das mit heute nicht zu vergleichen ist. Damals befanden sich alle Casinos entlang des »Strips«, wie es meine aufbewahrten Ansichtskarten zeigen. Wir fuhren weiter nach Los Angeles, amüsierten uns im Disneyland, wanderten entlang am Strand von Santa Monica und waren etwas enttäuscht von Hollywood, denn es gab für uns nichts zu sehen. Doch der Glamour begegnete uns im »Beverley Hills« Hotel, in das wir, als wir in Las Vegas waren, eingeladen wurden. Entlang der Pazifikküste ging es weiter nach Reno/Nevada, Tahoe City und Squaw Valley (heute »Palisades Tahoe«). Fünf Jahre zuvor hatten dort die Olympischen Winterspiele stattgefunden. Es lag noch Schnee, wir blieben und wedelten mit Leihausrüstung die Hänge hinunter. Über Sacramento, der Hauptstadt von Kalifornien, fuhren wir mit großer Spannung und Neugier unserem Ziel entgegen: San Francisco. Zunächst ging es auf der Oakland Bay Bridge über die Bucht von San Francisco auf den Highway 101, und endlich sahen wir die Golden Gate Bridge vor uns, und es hieß: »Open your Golden Gate.« Was für ein atemberaubender Anblick und Erlebnis das nach vier Wochen durch die USA war! Unser Ziel war erreicht!

Meine neue Wahlheimat San Francisco

In San Carlos, im heutigen Silicon Valley, ließen wir uns nieder und konnten gleich in unsere Wohnung einziehen, die uns Freunde in St. Louis besorgt hatten. Später zog ich in die City, besuchte in San Francisco die Business School, setzte mein Studium für Business und Marketing fort und wohnte in einer WG mit drei Amerikanerinnen in den Marinas an der Laguna und Chestnut Street. Morgens, wenn ich auf den Bus wartete, konnte ich auf die Golden Gate sehen, die sehr oft im Nebel lag. Ich hatte nette Freunde in San Francisco kennengelernt, machte Ausflüge und erkundete die Gegend. Birgit hatte ein tolles Auto, einen Ford Mustang Cabriolet. In San Francisco nahm in der damals billigsten Wohngegend Haight-Ashbury die Flower-Power- und Aufbruchsstimmung der Hippiekultur ihren Anfang, der passive friedliche Widerstand gegen den Krieg in Vietnam. Zwischendurch arbeitete ich in einem Reisebüro am Union Square oder schrieb Mahnungen für das Restaurant »Trader Vics« auf einer Schreibmaschine, die mir zur Verfügung gestellt wurde. Damals war es allgemein nicht üblich, seine Rechnung mit Kreditkarte zu begleichen (vereinzelte Lokale an der Ostküste akzeptierten die »Diners Card«). Stammkunden ließen anschreiben, oder man bezahlte bar. Überrascht war ich, als ich ein paar Jahre später den Eigentümer dieser edlen Restaurantkette, Mr. Victor Bergeron, als Gast und VIP an Bord eines Pan-Am-Flugs in der ersten Klasse begrüßen durfte.

Wunderbares Mexiko – Mexico lindo

Kurz vor meiner Abreise nach San Francisco hatte ich auf einer Party von zwei Stewardessen von Ozark Airlines einen jungen Mann kennengelernt. Robert war Arzt, kam aus Deutschland, und wir beschlossen, über die Jahreswende 1966 Mexiko zu bereisen. Wir trafen uns in Mexico City, besichtigten die vielen interessanten Sehenswürdigkeiten in dieser geschichtsträchtigen Stadt und unternahmen Ausflüge nach Tenochtitlán, zu den Tempelanlagen der Azteken, besuchten Guadaloupe, einen bekannten Wallfahrtsort, und die von den Azteken angelegten schwimmenden Gärten von Xochimilco. Unsere Reise setzten wir nach Guadalajara fort, der zweitgrößten und einer der reichsten Städte des Landes. Mit dem Bus fuhren wir auf unwegsamen Straßen zu dem idyllischen Ort Puerto Vallarta, wo wir eine Woche phantastischen Urlaub mit Wasserskilaufen und Wanderungen entlang der Bahia de Banderas machten, einem 40 km langen Strand, schlossen Bekanntschaft mit der einheimischen Bevölkerung und den vielen Kindern, besuchten die örtliche Kirche, in der Liz Taylor und Richard Burton sich das Ja-Wort gegeben hatten. Damals war es noch ein kleines Fischerdorf, das durch die Filmaufnahmen für »Die Nacht des Leguan« bekannt wurde und später das Interesse des Jetsets weckte. Bevor es wieder zurück nach Mexiko-City ging, Robert nach St. Louis flog, ich nach San Francisco, besuchten wir noch, weil wir neugierig waren, Acapulco, damals in Deutschland bekannt als Hotspot der Society. Heute noch bin ich begeistert von der Lebensfreude und Freundlichkeit der Mexikanerinnen und Mexikaner, der Mariachi-Musik, der Vielfalt der interessanten Sehenswürdigkeiten und nicht zuletzt den köstlichen mexikanischen Speisen.

Zurück in Deutschland

Im Laufe des Jahres 1966 beendete ich in San Francisco die Business School und flog mit der Swiss Air über den Atlantik zurück nach Deutschland, besuchte auf der Durchreise Robert in St. Louis. In München wohnte ich bei meinen Eltern, dort wehte wieder ein anderer Wind, Mutter führte streng Regie. Eine eigene Wohnung zu nehmen, wurde mir damals nicht erlaubt und hätte zu Unstimmigkeiten geführt. Eine Tochter verlässt erst dann das Elternhaus, wenn sie heiratet. So war ihre Meinung, und damit war sie zur damaligen Zeit nicht allein. Mein Flugticket hatte ich von San Francisco über Zürich und München bis nach Rom gebucht, um später Italien zu bereisen. Ich besuchte und besichtigte ein paar Wochen später die »ewige Stadt«, fuhr mit der Bahn weiter nach Neapel, verbrachte eine tolle Woche auf der wunderschönen Insel Ischia und einen Tag auf der traumhaften Insel Capri, damals noch nicht vom Tourismus überlaufen. Schon kurz nach meiner Rückkehr aus den USA hatte ich in einem Industrieunternehmen in München einen interessanten und ausbaufähigen Job angenommen, den ich nach meinem Italienurlaub antrat. Leider kam es zu einer unangenehmen Me-too-Geschichte, sodass ich mich anderweitig umsehen wollte. Eines Morgens beim Frühstück machte mich Mutti auf eine Anzeige in der Süddeutschen Zeitung aufmerksam: Pan Am sucht Stewardessen. Eigentlich hatte ich nicht vor, jetzt nach meiner fundierten Ausbildung im Business- und Marketingbereich den Beruf zu wechseln, konnte mich dann allerdings mit der Idee anfreunden und beschloss kurzerhand, mich zu bewerben.

Teil 2:Drei zu eins – das Vorstellungsgespräch

»Pan American

requires Stewardesses to fly on International Routes must be single, age 20 through 26,

height 1.60 to 1.75 meters, weight 100 to 126 German pounds,

well proportioned and attractive with excellent health, and good vision

must have the mittlere Reife preferably the Abitur, and be fluent in English.«

Das war der Text der Anzeige, auf die ich mich schriftlich bewarb, ordentlich mit handgeschriebenem, lückenlosem Lebenslauf und Begleitschreiben, wie ich es während meiner Ausbildung gelernt hatte.

Stewardess war in den Sechziger Jahren der Traumberuf schlechthin, entsprechend anspruchsvoll waren die Auswahlkriterien. Zu einem Vorstellungsgespräch erst einmal eingeladen zu werden, war schon ein Erfolg, und ich habe mich riesig gefreut, fühlte mich ein wenig geehrt, als ich auf meine Bewerbung eine Einladung zum Vorstellungsgespräch bekam. Das Interview fand in einer Suite im damaligen renommierten Hotel »Regina« in München statt. Das Hotel war eine der bekannten Hochburgen im Münchener Fasching, dort wohnte die Faschingsprinzessin der Münchner Faschingsgesellschaft »Narrhalla«, der Prinz residierte im Hotel »Bayerischer Hof«, so war es damals der Brauch. Im 75. Jubiläumsjahr der »Narrhalla« trat ich 1968 als Gardistin auf, und so war mir das Hotel »Regina« durch Auftritte bei Faschingsbällen gut vertraut.

Es war kalt an diesem Wintertag 1968. Ich überlegte, was ich für dieses Interview anziehen sollte. Dann wählte ich ein schickes hellbeiges Kleid, knieumspielt, zog meinen neuen gerade geschnittenen schwarzen Persianermantel mit Stehkrägelchen und breiten Manschetten aus weißem Nerz an und setzte den passenden, rund geformten Nerzhut auf, ähnlich einer größeren Pillbox, wie es damals Mode war. Dazu trug ich schwarze bis zu den Knien reichende Stiefel, schwarze halblange Lederhandschuhe und eine kleine schwarze Handtasche. Schnell prüfte ich nochmal kritisch Frisur und Make-up und machte mich zeitig auf den Weg, nahm einen Zug früher, denn ich wollte pünktlich sein. Damals fuhr noch nicht die S-Bahn, man fuhr mit dem Vorortzug der Eisenbahn in die Stadt. An der Hotelrezeption meldete ich mich an und wartete in der Hotelhalle, bis es an der Zeit war, die Hotelsuite aufzusuchen, in der das Interview stattfand.

Ich stellte mich vor, wurde von drei Prüfern freundlich mit Handschlag begrüßt, man half mir aus dem Mantel, es wurde mir ein Platz angeboten, ich nahm meinen Hut ab. Dabei entging mir nicht, dass jede Bewegung genau beobachtet wurde. Jetzt durfte ich keinen Fehler machen, dachte ich, nur nicht nervös werden. Ich saß den Interviewern gegenüber: eine Dame kam aus Miami, »Grooming Supervisor«, zuständig für das äußere Erscheinungsbild, ein Supervisor aus der Pan-Am-Zentrale New York und ein Herr von der Pan-Am-Basis IGS Berlin. Die Unterhaltung fand zweisprachig in freundlicher, ungezwungener Atmosphäre statt, einmal Englisch, dann wieder Deutsch. Ich wurde nach meiner bisherigen Tätigkeit gefragt, nach meiner Ausbildung, wie ich mir meinen Beruf als Stewardess vorstellen würde, und ich erzählte von meinen Reisen, meiner Zeit in den USA. Das Gespräch dauerte ziemlich lange, war sehr unterhaltsam. Ich war zwar angespannt und konzentriert, aber nicht nervös, hatte ja eigentlich nichts zu verlieren. Als Nächstes wurde ich gebeten, meine kniehohen Winterstiefel abzulegen, und ich musste in der Suite auf- und abgehen, mich umdrehen, wieder hinsetzen. Also, so hatte ich mir das nicht vorgestellt, ich kam mir vor wie ein Model, man wollte wohl meine Beine und meine Gangart begutachten.

Im Verlauf des Gesprächs wurde deutlich, dass ich, sollte ich in die nähere Auswahl kommen, auf internationalen Strecken eingesetzt würde. Insgeheim hatte ich mir vorgestellt, von der Basis Berlin international fliegen zu können. Die USA waren ja schon mal für zwei Jahre meine Wahlheimat gewesen, und in Deutschland hatte ich mich inzwischen wieder eingelebt, einen neuen Freundeskreis aufgebaut. Wie man mir allerdings zu verstehen gab, wurden damals von der Basis Berlin ausschließlich westdeutsche Städte angeflogen. Ich nahm das freundlich zur Kenntnis und willigte kurzerhand ein. Die Basis Pan Am Berlin, »I.G.S.« Internal German Services, war in der alten Bundesrepublik die wichtigste Verbindung nach Westdeutschland. Nun folgten Tage in angespannter Erwartung auf Post von Pan Am. Ich hatte zwar einen interessanten Job mit guter Bezahlung, hatte vorgehabt, eine Karriere im Businessbereich zu starten, doch jetzt wollte ich keine Absage. Nach diesem Interview war ich begeistert, und mein Plan war, zwei Jahre als Stewardess um die Welt zu fliegen und dann wieder »normal« zu arbeiten. Endlich kam ein Brief – noch keine Zusage, aber ein Formular mit etlichen Fragen, die zu beantworten waren. Postwendend schickte ich das Formular ausgefüllt zurück und wartete abermals. Wieder ein paar Tage Spannung. Dann endlich kam der ersehnte Brief mit einer Einladung zur Ausbildung im Pan Am International Stewardess College nach Miami. Am liebsten hätte ich die ganze Welt umarmt, ein unbeschreibliches Glücksgefühl war das, ein Privileg! Ich hatte es geschafft! Wie ich später hörte, gingen auf diese Anzeige um die tausend Bewerbungen ein, zwei Kandidatinnen wurden ausgewählt.

Nun stand noch die medizinische Untersuchung an, und die brachte mich ziemlich auf Trab. Man musste wirklich kerngesund sein. Also daran sollte es doch nicht scheitern, dachte ich, ich war immer gesund gewesen, hatte vielleicht mal eine Erkältung. Die medizinische Untersuchung fand beim damaligen Pan-Am-Vertragsarzt Dr. Frühwein (sr.) am Maximiliansplatz statt. So weit war alles in Ordnung, nur mit meinen Blutsenkungswerten war der Arzt gar nicht zufrieden. Ich war in Sorge, dass das doch nicht sein könne, dachte ich, denn ich hatte ja keine Beschwerden. Dr. Frühwein schickte mich von einem Facharzt zum anderen. Jedes Mal kam ich mit einem einwandfreien Befund zurück, doch wie erklärten sich meine schlechten Blutsenkungswerte? Diese blieben hartnäckig bestehen. Eines Tages kam ich wieder mit einem neuen ärztlichen Befund in der Hand bei Dr. Frühwein an. Er begrüßte mich mit »Na, wie geht’s uns denn, Fräulein Stadler?«, das war mein Mädchenname, wir waren uns ja bereits gut bekannt. »Ja, mir geht’s gut, mir fehlt nix.« Darauf antwortete er auf Münchnerisch: »Des glaub i scho, i hab eahna ja am Sonntag rumhupfa g‘seh’n.« Übersetzt: »Das glaub ich schon, ich hab Sie ja am Sonntag herumhüpfen gesehen.« Ich war etwas verdutzt, was wollte er mir damit sagen? Er lachte und erzählte, dass er am Sonntagnachmittag mit der Familie eine Vorstellung im Zirkus Krone besucht und mich mit der Prinzengarde »rumhupfa« gesehen hatte. Da hatte er aber genau hingesehen, sonntagnachmittags trat ich mit der Prinzengarde im Zirkus auf. Ich konsultierte noch einige Fachärzte, bis endlich festgestellt wurde, dass meine Mandeln entfernt werden mussten. Dafür war jetzt nur noch wenig Zeit bis zur geplanten Anreise nach Miami ins Stewardess College. In der Kürze der Zeit war kein Klinikbett zu bekommen, meine Eltern hatten ihren geplanten Urlaub vor sich und waren nicht damit einverstanden, mich während ihrer Abwesenheit ambulant operieren zu lassen und mich dann allein zu Hause selbst zu versorgen. Doch um größere Umstände zu vermeiden, beschloss ich, mir auf eigene Verantwortung ambulant die Mandeln entfernen zu lassen, fuhr mit dem Taxi nach Hause und legte mich mit viel Medizin und Telefon in Reichweite auf die Couch. Aus jetziger Sicht war das natürlich eine leichtsinnige und gefährliche Aktion. Bald darauf kamen meine Eltern aus dem Urlaub zurück, und schon im Flur roch Mutti die Medizin, sie waren entsetzt über meinen »unverzeihlichen« Leichtsinn. Ich aber war zuversichtlich wie immer, hatte keine Bedenken, es ging ja auch alles gut, und die Blutsenkungswerte waren endlich in Ordnung.

Kurz darauf wurde mir das ersehnte Ticket für den Pan-Am-Flug nach Miami zugestellt, all die Aufregung war vergessen, und es blieb kaum noch Zeit, mich von meinen Freunden zu verabschieden. Noch einmal lud ich zu einer Abschiedsparty mit Erdbeerbowle ein, und wieder einmal packte ich meinen bewährten grünen Überseekoffer und machte mich auf den Weg über den Atlantik – dieses Mal mit einem Pan-Am-Flug.

Teil 3:Amerika – da bin ich wieder

1968 – »The Summer of ‘68«. Tausende Studenten lehnen sich gegen die herrschenden Verhältnisse auf. Der »Prager Frühling« verlangt nach Reformen. Auf den linken Revoluzzer Rudi Dutschke wird geschossen. Die linksextremistische Baader-Meinhof-Gruppe terrorisiert Deutschland. Der Bürgerrechtler Martin Luther King wird erschossen. Mit Apollo 8 startet der erste bemannte Flug zum Mond. Die Olympischen Sommerspiele finden in Mexiko statt.

Pan Am hatte mir ein Ticket zugeschickt, das mich zunächst von München nach New York über San Juan, Puerto Rico, nach Miami führte. Ein ganz schöner Umweg, dachte ich, das wäre doch auch anders gegangen, aber was der Grund dafür war, stellte sich erst später heraus. Es war Juni 1968. Ein drittes Mal hatte ich meinen grünen Überseekoffer gepackt, checkte mit samt meinem normalen Reisegepäck ein und ging am Flughafen »München-Riem« an Bord des Pan-Am-Clippers Flight PA 73 mit Ziel New York. Ich hatte einen Fensterplatz und genoss das herrliche Flugwetter, hatte einen phantastischen Blick auf Grönland, die Eisberge, aber noch mehr beobachtete ich die Pan-Am-Stewardessen an Bord der B-707 in ihren schicken Uniformen und hohen Pumps, fühlte mich insgeheim schon als eine von ihnen. Sie sahen alle sehr elegant aus. Ich outete mich aber nicht, beobachtete lieber.

Pünktlich kam ich nachmittags in New York am JFK-Terminal an. Mein nicht bescheidenes Gepäck war durchgecheckt. Ich passierte Immigration und Customs und checkte am Abflugcounter nach San Juan ein. Dieser elegante Pan-Am-eigene Terminal am Flughafen »JFK« in New York beeindruckte mich gleich sehr – ein erster Hauch von Glanz und Glamour. Ich wartete am Gate auf meinen Aufruf und setzte mich auf eine der hellblau gepolsterten Bänke, in der Hand hielt ich den weißen Boarding Pass mit dem blauen Pan-Am-Globus. Jetzt hörte ich meinen Namen, meldete mich und bekam leider die Information, dass der Flug nach San Juan ausgebucht war. Für den nächsten Flug wurde ich auf die Warteliste gesetzt. Ich setzte mich wieder auf die hellblau gepolsterte Bank und traf Susan. Sie war auch aufgerufen worden und hatte wie ich ein Standby–Ticket nach Miami. Susan war New Yorkerin und war wie ich nach Miami zur Ausbildung ins Pan Am Stewardess College eingeladen. Wir verstanden uns gleich gut, hatten wir doch dasselbe Problem. Susan holte Kaffee für uns beide. Da war er wieder, der typische amerikanische Kaffee, den man literweise trinken kann, ohne Herzklopfen zu bekommen. Ich mag ihn gern. Er war mir ja bereits aus meiner Zeit in den USA bekannt. Und während wir warteten, fanden wir heraus, warum unsere Tickets über San Juan führten: Pan Am hatte keine inneramerikanischen Flugrechte, deshalb wurde der Flug mit unserem Pan-Am-Ticket über San Juan, Puerto Rico, nach Miami geleitet – Puerto Rico ist ein Außengebiet der USA, aber kein Bundesstaat und kann innerhalb der USA angeflogen werden. Der nächste Pan-Am-Flug nach San Juan ging in zwei Stunden. Wir waren in Sorge, denn was, wenn wir heute nicht mehr aus New York wegkämen? Susan wohnte in New York. Ich dachte an ein Hotelzimmer, vielleicht im Holiday Inn unweit des Terminals. So sehr wir uns auf Miami freuten, fanden wir es gar nicht gut, dass uns Pan Am kein gebuchtes Ticket zur Verfügung gestellt hatte, und dann noch dieser Umweg über Puerto Rico. Doch wir wollten nicht gleich sauer auf unseren neuen Arbeitgeber sein, aber gemeckert haben wir schon. Nach dem zweiten Kaffee und einer Coke kam der erlösende Aufruf, und wir gingen an Bord der Pan-Am-Maschine nach Puerto Rico. Der Flug dauerte dreieinhalb Stunden. In San Juan angekommen, checkten wir auf den nächsten Flug nach Miami ein. Dieses Mal klappte es sofort, wir waren erleichtert. Der Pan-Am-Flug mit einer B-727 von San Juan nach Miami dauerte gut zwei Stunden, und wir landeten um 23.05 Uhr in Miami. Wir nahmen unser Gepäck entgegen, meinen Überseekoffer deponierte ich bei Lost and Found. Er sollte am nächsten Tag ins Hotel gebracht werden. Der Airport war angenehm klimatisiert, aber als ich das Terminal verließ, schnürte es mir fast die Kehle zu. Subtropische Luft strömte mir entgegen, und ich erinnerte mich sofort an meine Zeit in Mexiko. Wir hielten Ausschau nach einem Taxi und fuhren ins »Miami Airways« Motel.

Pan Am hatte alle Auszubildenden im »Miami Airways« Motel untergebracht, in der Nähe des Flughafens und unweit des Pan Am Stewardess Colleges, an dem die Ausbildung stattfand. Wir waren spät dran, das Abendessen war vorüber, hatten jedoch an Bord ein gutes Pan-Am-Dinner genossen. An der Rezeption ging alles schnell, es sah nach Routine aus. Beim Einchecken wurde mir ein »Information Pamphlet« gegeben mit dem Titel: »Welcome to Miami and the International Stewardess College!« Die Zimmer für uns Stewardessen in spe waren vorbereitet. Durch den Zeitunterschied von sechs Stunden zeigte meine innere Uhr auf Sonntag fünf Uhr morgens. Kein Problem, das Training begann erst am Montag. Ich blätterte flüchtig in der zwölfseitigen Informationsdruckschrift, in der es gleich auf Seite eins hieß, dass sie vor Beginn des Trainings zu lesen sei. Unter »accomodation information« fand ich »proper attire«. Das musste ich schnell noch lesen:

»Whether in the Motel or down town, you will still represent Pan Am. Shorts and/or swim suits are not permitted in the lobby, cocktail lounge, Coffee Shop or Dining Room, Curlers are most unattractive, please refrain from setting your hair and entering these areas. Trainees must be well groomed at all times. When wearing the Stewardess Uniform, you must be in full uniform, with gloves. Remember – there may be Pan Am passengers registered at the Motel. Since the Motel represents a ‚Crew Layover Facility‘, the Motel Management has the authority to deny service to any person not properly attired for the occasion.«

In diesem Schreiben wurden etliche Verhaltensregeln aufgezeigt, die strikt einzuhalten waren. Aber mit Lockenwicklern im Haar würde ich ohnehin nicht herumlaufen. Man wusste jedenfalls sofort, dass hier strenge Disziplin angesagt war. Frühstück gab es von 7 bis 8 Uhr. Beim Frühstück lernten wir uns flüchtig kennen, und ich war neugierig, wie die anderen wohl so waren, die auch zu den Auserwählten gehörten. Es gab viel zu erzählen, Thema Nummer eins war das Vorstellungsgespräch und wie es jetzt wohl weitergehen würde. Wenn alles gut ging, mussten wir noch die sechsmonatige Probezeit bestehen. Das Miami Airways Motel war mit einem Pool ausgestattet, den wir gern in Anspruch nahmen, besonders wir Europäerinnen. Einige waren zum ersten Mal in Amerika. Unsere Klassenleiterin begrüßte uns am Montag in der Motel-Lobby um 8.15 Uhr, wie es deutlich auf der Broschüre stand, und führte uns direkt zum College. Es befand sich im Verwaltungsgebäude, gleich auf der gegenüberliegenden Straße.

»Welcome to the Miami International Stewardess College!« 1201 Stewardess Training Class 30 … scheduled to begin in Miami July 1, 1968

Mit der Informationsbroschüre in der Hand stand ich mit 20 jungen Damen im Alter zwischen 21 und 26 Jahren erwartungsvoll in einem imponierenden Verwaltungsgebäude und las noch einmal die Zeilen: »Welcome to Miami and the International Stewardess College!« Wir kamen aus verschiedenen Ländern: USA, Italien, Irland, Schweden, Frankreich, Schweiz und Deutschland. Die Ausbildung dauerte fünf Wochen und wurde im Verwaltungsgebäude in Flughafennähe abgehalten. Es war ein großes elegantes Gebäude mit hervortretenden blauen Pan-Am-Lettern, großzügig mit Wasserbecken und Palmen angelegt. Ein Rundgang führte uns zu den Klassenräumen mit den Namen: Africa Classroom, South Pacific Class Room, Asia Class Room, South America Class Room, Europe Class Room, Europe Class Room, Middle East Class Room, North America Class Room. In einem der Unterrichtsräume wurden uns unsere Lehrkräfte vorgestellt: Karen W. war unsere Klassenleiterin, Cindy S. war für das gepflegte Äußere, das Erscheinungsbild zuständig und Grooming Supervisor Bruno Clark war unser Dining Service Instructor und sollte uns für den bekannt exklusiven Pan Am Dining Service unterrichten. Unseren Emergency Instructor Mike Molan lernten wir später kennen. Es wurde uns ein Zeitplan für die kommenden Wochen ausgehändigt: Termine für Ausweisanträge, Uniformanproben für die erste, zweite, dritte Anprobe, Fototermine, Fingerabdrücke wurden gemacht. Am 22. Juli gab es eine Informationsführung durch den Flughafen von Miami. Der Termin für die Fremdsprachenqualifikation im Sprachlabor stand auch fest, ebenso der Fototermin für unser Gruppenfoto in Uniform. Meine Fremdsprachen waren Deutsch und Französisch. Wichtig waren auch die Termine für die Impfungen gegen Typhus, Tetanus, Pocken, Gelbfieber und Cholera, für die wir uns in Abständen im Pan Am Medical Department impfen lassen mussten. Dort wurde auch das Körpergewicht überprüft. Für den 1. August 1968 war im Unterrichtsraum »South America« der Erste-Hilfe-Kurs angegeben. Gleichzeitig bekamen wir ein umfangreiches Lehrbuch zu den einzelnen Unterrichtsthemen.

Es gab etliche Formulare auszufüllen. Alle mussten einen gültigen Reisepass haben. Falls nicht, gab es ausführliche Informationen dazu. Alle Ausländerinnen wie ich mussten im Besitz einer »Alien Registration Card« sein, das hatte innerhalb der ersten drei Wochen der Schulung zu erfolgen. Meine »Green Card« war abgelaufen, weil ich während des vergangenen Jahres in den USA keinen Wohnsitz nachweisen konnte. Also musste ich bei der Einwanderungsbehörde, Downtown Miami, eine neue beantragen. Diese Besorgungen waren außerhalb der Unterrichtsstunden zu erledigen. »Base Assignments«: Unsere künftigen Einsatzorte sollten uns so bald wie möglich mitgeteilt werden und waren abhängig von Informationen aus der Zentrale in New York. Die Standorte für Stewardessen waren: New York/N.Y., Washington/D.C., Chicago/Illinois, Miami/Florida, Seattle/Washington, San Francisco/California, Los Angeles/California, Honolulu/Hawaii. Außerdem gab es viele hilfreiche Informationen zu lesen: wie man in die Stadt kommt, Ausflüge usw. Meine Kolleginnen waren alle unternehmungslustig, hatten Ideen, doch es reichte die Zeit nicht, um alles, was uns interessierte, an den Wochenenden zu erkunden, denn lernen mussten wir auch, und der Lernstoff war sehr umfangreich.