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Entlastend, erhellend und ermutigend!
Der Mutterinstinkt klingt wahnsinnig plausibel, nach einem Bild inniger Liebe gepaart mit irrer Kompetenz.
Der einzige Haken: Es gibt ihn nicht.
Und das ist eigentlich ein Grund zum Jubeln! Denn die Erzählung vom Instinkt produziert unglaublich hohe Ansprüche an Mütter – und spart all jene aus, die Sorge für ein Kind tragen, ohne es geboren zu haben.
Dieses Buch erzählt von bahnbrechenden Forschungsergebnissen, die Elternschaft in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen. Dabei räumt es mit einem historischen Mythos auf: Es zeigt, wie es zur Erfindung des Mutterinstinkts kam. Wem es nützt, wenn wir an ihn glauben. Und welche Freiheit wir gewinnen, wenn wir uns endlich von ihm verabschieden.
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Seitenzahl: 245
Entlastend, erhellend und ermutigend!
Der Mutterinstinkt klingt wahnsinnig plausibel, nach einem Bild inniger Liebe gepaart mit irrer Kompetenz. Der einzige Haken: Es gibt ihn nicht. Und das ist eigentlich ein Grund zum Jubeln! Denn die Erzählung vom Instinkt produziert unglaublich hohe Ansprüche an Mütter – und spart all jene aus, die Sorge für ein Kind tragen, ohne es geboren zu haben.
Dieses Buch erzählt von bahnbrechenden Forschungsergebnissen, die Elternschaft in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen. Dabei räumt es mit einem historischen Mythos auf: Es zeigt, wie es zur Erfindung des Mutterinstinkts kam. Wem es nützt, wenn wir an ihn glauben. Und welche Freiheit wir gewinnen, wenn wir uns endlich von ihm verabschieden.
EVELYNHÖLLRIGLTSCHAIKNER ist freie Journalistin und Autorin und lebt mi Mann und ihren drei Kindern in Wien. Die gebürtige Südtirolerin studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaften, arbeitete als Redakteurin und bloggt seit 2016 auf Little Paper Plane über das Muttersein und Fraubleiben: engagiert, humorvoll und mitfühlend.
ANNIKARÖSLER ist freie Journalistin, Buchautorin und Mutter von drei Kindern. Mit ihren ehrlichen Texten on- und offline möchte sie zum Lachen und Loslassen einladen, Mut machen und ein authentisches Bild von Mutterschaft zeichnen. Sie lebt mit ihrer Familie in München.
Ihr erstes gemeinsames Buch »Nachwehen« erschien 2021 im Kösel-Verlag.
Dieses Buch packt das Narrativ der »guten Mutter« am Nackenfell und schüttelt alle Mythen, Unwahrheiten und falschen Erwartungen aus ihm heraus.
Marlene Hellene, Bestseller-Autorin und Kolumnistin
Mythos Mutterinstinkt ist ein wunderbarer Appell an uns alle, Elternschaft neu zu denken. Wer dieses Buch gelesen hat, wird nicht mehr verzweifelt nach der großen Liebe auf Knopfdruck suchen. Wir werden verstehen, dass Elternwerden eine großartige Entwicklung ist, die Zeit und vor allem Unterstützung braucht.
Sissi Rasche, Hebamme
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Copyright © 2023 Kösel-Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Dr. Katharina Theml, Büro Z, Wiesbaden
Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
Covermotiv: middlegray/Shutterstock.com
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-30152-1V005
www.koesel.de
In einer Gesellschaft, in der wir noch immer so tun, als wäre Mutterschaft unsere Bestimmung und der Mutterinstinkt unsere Superkraft, schenkt dieses Buch Aha-Momente und Wow-Erlebnisse. Auf charmante und eindrückliche Weise bestätigt es empirisch, was viele Eltern längst ahnen – und verwandelt so das häufige Gefühl der Unzulänglichkeit in die entlastende Gewissheit, dass Elternschaft keine angeborene Fähigkeit, sondern eine erlernte Kompetenz ist. Danke für diesen wichtigen Beitrag zur Entmystifizierung des Mutterinstinkts und die Einladung zu einer Zukunft ohne Glorifizierung und Rollenkorsett.
Romy Winter, Paar- & Familientherapeutin und Autorin (»Krisenfest«)
Ich will dieses Buch nochmal lesen. Und nochmal. Wenn wir erkennen, wie wichtig und bereichernd gerecht geteilte Familienarbeit für alle ist, Frauen, Männer und Kinder, dann sind wir auf dem richtigen Weg, endlich Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen zu ermöglichen. ›Mythos Mutterinstinkt‹ ist kein Buch nur für Frauen, es ist auch eins für Männer. Und am Ende ist es ein Geschenk für unsere Kinder.
Florian Hacke, Schauspieler, Kabarettist und zweifacher Vater
Dieses Buch würde ich gern allen werdenden Eltern als Pflichtlektüre empfehlen! Vielleicht gibt es dann mehr glücklichere Familien – auf jeden Fall aber freiere.
Marie Zeisler, Ethnologin und Gründerin von Little Years
Dieses Buch ist für alle Frauen. Und es ist für alle Menschen, die eine Mutter haben oder hatten.
Die Erfindung einer Superheldin
Teil 1 Mythos Mutterinstinkt –HIStory
Muttergefühl – Die große Liebe auf Knopfdruck?
Es war einmal die »Gute Mutter« – Wie der Mutterinstinkt erfunden wurde
Teil 2 Die Hirnforschung zum Thema Mutterinstinkt –HERstory
Die Muttertät – Mütter sind wir nicht. Mütter werden wir.
Mütterforschung ist Menschenforschung – Das Elternhirn
Das baby als Taktgeber – der Tanz zwischen Eltern und Kind
Teil 3 Leben in einer Gesellschaft ohne Mutterinstinkt –OURstory
Elternschaft neu denken
Plädoyer für ein neues Rollenverständnis
Dank
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Wie wir gesehen haben, wird die erfundene Wirklichkeit zur wirklichen Wirklichkeit nur dann, wenn die Erfindung geglaubt wird.
Paul Watzlawick
Bedingungslos, aufopfernd, selbstlos – das sind die Attribute einer guten Mutter. Eine Superheldin, die alles kann und die stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Die immer ein Feuchttuch aus der Tasche zaubert, wenn es nötig ist, und tröstende Worte, wenn die Welt bedrohlich wackelt. Ein Mensch, der unerschöpflich liebt und für alle verfügbar ist. Jemand, der sein Leben lang Halt schenkt, aber auch irgendwann wieder großmütig loslässt, wenn es an der Zeit dafür ist. Eine Frau, die sich trotz der Widrigkeiten des Mutterseins nie selbst verliert und für alle immer der Fels in der Brandung bleibt. Warum? Weil sie schon als kleines Mädchen zur Mutter geboren wurde, mit einem Mutterinstinkt, der ihr Superkräfte verleiht.
Doch diese Superheldin gibt es nur im Märchen. Eine Geschichte, die historisch über viele Jahrhunderte aus patriarchalen Überzeugungen, aber auch aus fehlenden wissenschaftlichen Alternativen fortgeschrieben wurde. Bisher galten Frauen laut Forschung als prädestiniert für die Fürsorge. Sie waren mit mütterlichen Instinkten ausgestattet, die es ihnen ermöglichten, sich aufopferungsvoll um Kinder oder auch andere pflegebedürftige Angehörige zu kümmern. Dieser tief in uns verwurzelte Mythos ist das Ergebnis eines jahrhundertelangen Kanons unterschiedlichster Wissenschaftsfelder. Die Naturwissenschaft biologisierte schlussendlich die zugeschriebene Mutterrolle und fixierte damit ein Bild, dem sich keine feministische Gegenbewegung so recht entziehen konnte, ohne dabei die Naturwissenschaft zu leugnen. Ein Dilemma.
Wir, die Autorinnen dieses Buchs, sind Journalistinnen und Mütter von jeweils drei Kindern. Nachdem wir die ersten Erfahrungen mit dem Muttersein gemacht und in unserem Buch Nachwehen niedergeschrieben hatten, war für uns schnell klar, dass wir noch einen Schritt weiter gehen wollten. Denn trotz all des Wissens rund um das Mutterwerden, das wir bis dato gesammelt hatten, verzweifelten auch wir oft am omnipräsenten Bild der guten, instinktiv handelnden Mutter. Wir verstummten in Gesprächen bei der Arbeit, mit dem Partner oder unserer Elterngeneration, aber auch vor uns selbst, weil oft die Argumente fehlten, wenn am Ende doch wieder nur die Hormone als Antwort auf alle Fragen dienten. Jene »typisch weiblichen« Botenstoffe, die Frauen eine natürliche Kompetenz und bedingungslose Liebe verleihen. Da fällt es unter Umständen leichter, zu schweigen oder etwas verlegen zu nicken bei vermeintlichen Fakten, warum wir, von der Venus stammend und nicht vom Mars, zwar besser zuhören, aber schlechter einparken können. Aber wenn die Natur uns Frauen doch mit einem unumstößlichen Mutterinstinkt versorgt haben soll, warum erging es uns dann genauso wie unseren Männern? Wir konnten beobachten, wie sie – wie wir – voller Liebe waren und manchmal verzweifelten. Wie sie oft intuitiv wussten, was zu tun ist, und in anderen Situationen mit uns gemeinsam unfassbar ratlos waren. Aufgrund unserer eigenen Erfahrung mit Elternschaft war es uns unmöglich, an diesen alten Überzeugungen und geschlechtsstereotypen Zuschreibungen weiter festzuhalten.
Also begaben wir uns zunächst auf die Suche in der Vergangenheit und recherchierten, wer diesen Mutterinstinkt in die Welt gesetzt hatte. Im ersten Teil, wir nennen ihn HIStory, möchten wir den Leser*innen zeigen, dass dieser Mythos das Ergebnis männlicher Geschichten ist, die man sich über Jahrhunderte hinweg erzählte ohne hinreichende Berücksichtigung der weiblichen Perspektive. Um von so einem konstruierten Bild loslassen zu können, bedarf es allerdings Fakten, die sich mit unserer Lebensrealität decken. Wir wissen bereits so viel über all die körperlichen Veränderungen in der Mutterschaft. Der Bauch mit den Schwangerschaftsstreifen, der leidende Beckenboden, die Wassereinlagerungen. Das alles ist bekannt. Aber bislang hatten wir keine Ahnung, was in dieser Zeit für faszinierende Veränderungen im Gehirn der werdenden Mutter passieren. Und auch im Gehirn des Vaters oder anderer Fürsorgepersonen. Einige Hirnforscher*innen haben sich in den letzten Jahren mit dieser Entwicklung befasst und bahnbrechende Ergebnisse veröffentlicht. Also beschlossen wir, aufzubrechen zu einer Reise in uns bisher noch recht unbekannte Gefilde: die Neurowissenschaft, die Wissenschaft rund um das Gehirn.
Im zweiten Teil dieses Buchs, HERstory, holen wir Mutterschaft endlich aus dem wissenschaftlichen toten Winkel und präsentieren die neuesten Erkenntnisse über die Entwicklung des elterlichen Gehirns. Denn Mütterforschung ist Menschenforschung. Wir durften inspirierende Gespräche mit renommierten Neurowissenschaftlerinnen führen und fanden wissenschaftliche Erklärungen für die verschiedenen Gefühle, die mit Elternschaft einhergehen. Die größte Liebe und der größte Schmerz. Tiefe Begeisterung und pulsierende Langeweile. Verzweiflung und Glück. Verlust und Wiederfinden.
Wir haben einige Eltern begleitet, die in diesem Buch eine Stimme bekommen, haben mit ihnen mitgelitten und waren gemeinsam wütend auf das Patriarchat, das die Mutterrolle aus vermeintlichen Tatsachen konstruierte. Dieses Buch soll jedoch keine Streitschrift sein gegen Männer, denn auch sie sind die Leidtragenden in einem patriarchal geprägten System. Vielmehr ist es ein Manifest für eine gesunde Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die Müttern den Superheldinnen-Umhang auszieht.
Mutterschaft ist die Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Familie, da, wo die Belange der Öffentlichkeit auf das Private treffen. Hier muss also angesetzt, hinterfragt und verändert werden, damit alle profitieren. Mythos Mutterinstinkt soll die Fäden für eine Geschichte spinnen, die nicht mehr auf althergebrachten Überzeugungen beruht, sondern auf wissenschaftlichen Fakten. Und es liegt in unserer Hand, daraus etwas Neues zu weben. Hierzu möchten wir im letzten Teil dieses Buchs, OURstory, anregen und Impulse schenken, Elternschaft neu zu denken.
Das Buch zeigt eindrücklich, dass es weder die Frauen noch die Männer gibt, sondern dass Geschlechtsidentitäten vielfältig und immer eine Zuschreibung biologischer, historischer und kultureller Aspekte sind. Immer wieder sind wir auch über unsere eigenen Vorurteile und selbstzerstörerischen Glaubenssätze gestolpert. Denn wir sind alle ein Teil des Systems. Es ist nachvollziehbar, die Welt voreingenommen zu sehen, wenn sie uns so lange eindimensional gezeigt wurde. Falsch wäre es aber, sich diesen einseitigen Blickwinkel nicht immer wieder bewusst zu machen. Selbst bei der Analyse einer Vielzahl von Forschungsbeiträgen stießen wir immer wieder an eine unbeabsichtigte Färbung der Ergebnisse, etwa wenn manche Studien nur an Müttern und nicht anderen engen Bezugspersonen durchgeführt wurden. Darauf weisen wir an den betreffenden Stellen hin und bieten Raum für persönliche Reflexion.
Wir haben uns als Mütter an dieser Erfindung der Superheldin zum Teil selbst wundgeliebt. Wir haben uns verloren und uns mit dem Schreiben dieses Buchs ein Stück weit neu gefunden. Denn wir haben erkannt, dass wir es selbst in der Hand haben, die Inszenierung von Mutterschaft immer wieder zu hinterfragen. Wir sind ihr nicht ausgeliefert, sondern können sie neu gestalten. Das aber geht nur gemeinsam.
Mir geht’s gut. Wirklich. Mama zu sein ist echt toll.
Das sagt Judith zu uns, als wir sie sechs Wochen nach der Geburt ihres ersten Kindes besuchen dürfen. Sie sitzt uns gegenüber auf ihrem beigen Sofa, nach langem Schreien hat sich der kleine Wurm in ihren Armen nun endlich beruhigt und trinkt an ihrer Brust. Wir schauen Judith an, unser Herz spürt es längst, jetzt zeigen es auch ihre Tränen. Es sind keine Tränen des Glücks, das wissen wir alle. Judith beginnt zu zittern.
Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich versuche, alles richtig zu machen. Emil ist wundervoll. Aber ich fühle mich manchmal so unfähig. Sogar bei meinem Mann beruhigt er sich viel schneller als bei mir. Dabei bin ich doch seine Mama. Ich will ihn oft schon gar nicht mehr aus seinem Bettchen nehmen, wenn er schreit. Natürlich mache ich es trotzdem!
Sie schaut uns erschrocken über sich selbst etwas zu eindringlich an. Dann bricht ihre Stimme, und sie fällt noch mehr in sich zusammen.
Manchmal will ich einfach nur weg sein. Ich habe mir das alles so anders vorgestellt … Ich liebe mein Kind, aber es fühlt sich gerade so an, als ob ich mein Leben verloren hätte. Dabei wollte ich das doch alles. Irgendetwas stimmt nicht mit mir, oder?
Sie streichelt Emil übers Köpfchen und schaut uns an. Ihre Worte hallen laut in diesem scheinbar friedlichen Moment des Stillens. Auf dem Sofa neben Judith türmen sich Kuscheltiere, Strampler und Grußkarten. »Herzlichen Glückwunsch zur Geburt, wir freuen uns mit euch für euer großes Glück.« Daneben eine Milchpumpe, eine geöffnete Tube Brustwarzen-Gel und zwei randvolle Tassen mit Tee. Kalt vermutlich. Die Situation in Judiths Wohnzimmer erdrückt uns förmlich. Auch wenn schon viele Jahre vergangen sind seit der Geburt unserer ersten Kinder, spüren wir sofort wieder diese Emotionen. Diesen stechenden Schmerz, eine nicht erklärbare Traurigkeit und das sich stets in den Vordergrund drängende Gefühl, nicht richtig zu sein. Nicht genug. Nicht genug zu wissen, nicht genug zu lieben und nicht genug zu schaffen.
Mit jedem Baby wird auch immer eine Mutter geboren. Wie oft haben wir diesen Satz schon gelesen und auch selbst geschrieben. Denn es ist wichtig zu verstehen, dass kleine Mädchen nicht schon zur Mutter bestimmt sind, nur weil sie über zwei X-Chromosomen verfügen. Erst Kinder machen Frauen zu Müttern. Allerdings ist diese Geburt einer Mutter ein Prozess über Jahre hinweg und benötigt weit mehr als neun Monate Schwangerschaft und ein paar Stunden Wehen. Mutterwerden ist die Entwicklung einer neuen Identität, die in der Schwangerschaft in Bewegung gesetzt wird und längst nicht mit dem Abnabeln des Säuglings abgeschlossen ist.
Bevor wir den Mutterinstinkt im zweiten Teil dieses Buches neurowissenschaftlich genauer auf den Prüfstand stellen, müssen wir uns zunächst fragen: Was bedeutet der Begriff eigentlich für uns? Schauen wir uns vorab das Wort »Instinkt« im Allgemeinen an. Im Duden existieren hierfür zwei Definitionen:
unbewusst gesteuerter, natürlicher Antrieb zu bestimmten Verhaltensweisen; ererbte Befähigung besonders der Tiere, in bestimmten Situationen in bestimmter, nicht bewusst gelenkter Weise zu reagieren, ein bestimmtes (besonders lebens- und arterhaltendes) Verhalten zu zeigensicheres Gefühl eines Menschen für etwasAls Beispiel für Punkt 1 nennt der Duden direkt nach den tierischen Instinkten den Mutterinstinkt. Ein natürlicher Antrieb zu bestimmten Verhaltensweisen? Und warum steht da nichts über Väter und ihre Gefühle? Nichts über nicht-biologische Mütter und auch nichts über freiwillig oder unfreiwillig kinderlose Frauen?
Der Mutterinstinkt bedeutet laut Definition also in erster Linie etwas ganz Natürliches, etwas Ursprüngliches. In den letzten Jahren beobachten wir in der privilegierten Mittelschicht das immer stärker werdende Bedürfnis nach ebendieser »Natürlichkeit«. Wir kaufen stolz krumme Karotten, möchten unsere Babys immer öfter in weniger klinischem Ambiente gebären und greifen bei der Schminke beherzt auf Nude-Töne, um frisch und doch ungeschminkt auszusehen. Natürlichkeit scheint das Maß aller Dinge zu sein.1 Und das Bild des natürlichen Mutterinstinkts nährt dieses gesellschaftliche Narrativ auf eindrucksvolle Art und Weise. Aber tut uns dieser Glaubenssatz wirklich gut? Unsere natürliche Welt, die wir uns wünschen, ist in Wahrheit nämlich eine ziemlich künstliche. Kaum ein Wald, in dem unsere Kinder mit ihren schönen Merinowolljacken spielen, ist natürlich gewachsen, viele Flüsse, in die sie Steine werfen, sind angelegt.2 Und teure Produkte aus dem Bio-Laden fallen bei Stiftung Warentest aufgrund zu vieler künstlicher Zusatzstoffe durch. Wir schicken unseren Freunden tagtäglich zig Sprachnachrichten, anstelle sie in natura zu treffen. Anstatt in einer fremden Umgebung ortskundige Menschen nach dem Weg zu fragen, laufen wir mit gesenktem Blick auf das Smartphone durch die Straßen. In den Krankenhäusern wird jede fünfte Geburt eingeleitet, und wir blicken auf eine Kaiserschnittrate von über 30 Prozent. Bei den »natürlichen« Geburten werden Frauen dazu angehalten, in Rückenlage zu gebären, was kaum unnatürlicher und unphysiologischer sein könnte.3 Und doch soll Mutterschaft die natürlichste Sache der Welt sein? Manchmal erweckt es den Eindruck, dass diese natürliche Mütterlichkeit für alle eine Art Trost spendet, Zuflucht bietet in Zeiten der Angst und Unsicherheit. Wer sollte sich nach den Kriegen um den Wiederaufbau und die traumatisierten Männer kümmern? Wer hatte sofort beruhigend zur Stelle zu sein, als die WHO 2020 eine weltweite Pandemie ausrief, und unterrichtete neben der Erwerbstätigkeit plötzlich den schulpflichtigen Nachwuchs? Wem oblag es, Ängste zu mildern, nach Bastelideen für die jüngeren Geschwister und irgendwann auch nach guten Therapeut*innen für sich selbst oder die eigenen Kinder zu googeln? Wer hat immer da zu sein, wenn die innere oder äußere Welt zusammenzubrechen droht? Es sind die Mütter.
Und warum ist das so? Weil Mütter – so lautet das noch immer bestehende gesellschaftliche Narrativ – instinktiv wissen, was zu tun ist, und obendrein bedingungslos lieben. Bis zum Jahr 2016 war im Duden noch die folgende Definition von Mutterliebe angeführt: »fürsorgliche, opferbereite Liebe einer Mutter zu ihrem Kind«. Dies wurde glücklicherweise vor ein paar Jahren an die Definition von Vaterliebe angepasst. Denn bei den Vätern stand schon seit jeher recht pragmatisch: »Liebe eines Vaters zu seinem Kind«.4 Kein Wunder also, dass Frauen und auch Männer bislang immer davon ausgegangen sind, Mütter verfügten aufgrund ihres Geschlechtes über eine Art Mutter-Kompetenz und im Verlauf der Schwangerschaft, spätestens aber mit der Geburt ihres Kindes würde sich ein sicheres Gespür dafür einstellen, wie das Muttersein funktioniere. Und auch die versprochene Mutterliebe wäre dann allgegenwärtig. Wenn unsere Gesellschaft von Mutterinstinkt spricht, dann ist damit nicht nur ein lebens- und arterhaltendes Verhalten gemeint, was einen Instinkt laut Definition ja ausmacht. Sondern der Mutterinstinkt wird neben aufopfernder, nahezu heroischer Fürsorge auch mit grenzenloser Mutterliebe gleichgesetzt.
An diesem Punkt wird es jedoch gefährlich für Frauen, denn der Begriff »Mutterliebe« wird dabei schnell zum Kampfbegriff.5 Diese »Ur-Liebe« einer Mutter zu ihrem Kind wird nicht nur mit Gefühlen aufgeladen, sondern auch mit zahlreichen Verbindlichkeiten.6 Mit einem einzigen Lächeln des Kindes vergessen Mütter jeden Schmerz, jede schlaflose Nacht, jeden ungerechten Mental Load. So die gängige Erzählung. Die meisten Menschen wissen und fast alle Frauen spüren, dass es nicht so ist. Dennoch halten sich Idealisierungen wie diese hartnäckig in vielen Köpfen, und damit auch in unserem Sprachgebrauch. Wir wissen alle, dass es nicht die Liebe auf den ersten Blick ist, die uns Krisen überstehen, Durststrecken gehen und Verletzungen verzeihen lässt. Liebe in jeder erdenklichen Form muss sich immer entwickeln. Sie ist ein Gefühl, sie lässt sich nicht erzwingen, und wir können keine Bedingungen an sie stellen. In der Mutterliebe wird das allerdings gesellschaftlich getan. Die Frau wird von Natur aus mit einer instinktiven fürsorglichen Kompetenz sowie einer unerschöpflichen Quelle an aufopfernder Liebe ausgestattet – so das Credo. Wir glauben nicht nur an dieses Bild der »geborenen« Mutter, nein, wir leben in einer Umgebung, die dieser Vorstellung den Rang einer unumstößlichen Wahrheit verliehen hat. Die instinktiv mütterlich handelnde, hingebungsvolle, die gütige, die bedingungslos liebende Mutter. Stets fürsorglich und opferbereit. Ein Bild, das omnipräsent ist, das uns ganz selbstverständlich umgibt und uns in Werbung und Verfilmungen, in Büchern und Zeitschriften Tag für Tag entgegenlächelt.
Über dieses Mutterbild und die Urangst, keine gute Mutter zu sein, haben wir mit der Ethnologin und Journalistin Marie Zeisler gesprochen. Sie ist dreifache Mutter und Gründerin von LittleYears, einem digitalen Magazin für Eltern, das monatlich tausende Leser*innen erreicht.
Für mich war das Mutterwerden vor allem erstmal hart. Weil ich so tief verankerte Vorstellungen davon hatte, wie ich sein sollte. Aufopfernd, glücklich, gelassen, dabei aber stets um Harmonie bemüht. Mein Baby sollte immer an erster Stelle kommen. Wie es mir ging, wie müde, verwirrt oder allein ich mich fühlte, spielte keine Rolle – auch in meiner eigenen Vorstellung von Mutterschaft nicht. Erst Jahre später habe ich verstanden, dass das, was wir unter dem Muttersein verstehen, eine soziale Konstruktion ist, die sich über Jahrhunderte etabliert hat und die wir alle verinnerlicht haben. Dieses Mutterbild zu erfüllen, ist unmöglich.
Als wir zum ersten Mal Mama wurden, erging es uns wie Marie. Wir waren auf eine Art und Weise überwältigt und glücklich, aber gleichzeitig auch so unglücklich wie nie zuvor in unserem Leben. Wir empfanden ein wildes Potpourri der Gefühle und fühlten uns zu Beginn oft sehr allein. Allein in einer Welt, in der Frauen aufgrund ihres Geschlechts doch genau wissen mussten, was zu tun sei. Wir wussten es nicht. Wir wussten zu Beginn nicht, wie viel wir dem kleinen Bündel anziehen sollten, wann es schlafen sollte, ob es jetzt Hunger hatte oder nur ein Pups schief saß. Mit älteren Kindern erübrigen sich manche Fragen, weil die Antworten uns zum Teil lautstark entgegengebrüllt oder wegdiskutiert werden, je nach Alter des Sprösslings. Aber im Grunde genommen haben wir auch mit größeren Kindern, oft bei den Erstgeborenen, immer wieder diese Momente, in denen wir denken: »Ich habe absolut keine Ahnung, was jetzt zu tun ist.«
Neben dem fehlenden Wissen ließ unser Bild von Mutterschaft aber auch keinerlei Platz für ambivalente Emotionen. War es okay, nicht zu jeder Zeit bedingungslos zu lieben? Das alte Leben schmerzlich zu vermissen? Zeit für sich selbst einzufordern? Mutterschaft scheint aufgeladen mit einer Liebe, die zu jeder Zeit und unter allen Bedingungen verfügbar ist. Ähnlich wie bei Mutter Natur sehen wir die Ressourcen als unerschöpflich an. Egal ob der Säugling uns den letzten Nerv raubt, weil er ausschließlich auf unserer Brust schläft, es sich dabei aber ziemlich schlecht essen, die Waschmaschine starten oder auf Toilette gehen lässt. Egal ob das Kleinkind in seiner ziemlich lauten Autonomiephase morgens um 6.30 Uhr liebevoll begleitet werden möchte, wir aber schon nach 30 Sekunden absolut keine Energiereserve mehr haben. Mutter schafft das schon.
Dieses Bild der bedingungslos liebenden Mutter lastet schwer auf allen Frauen. Auf Müttern, auf Frauen, denen Mutterschaft tragischerweise verwehrt bleibt, aber auch auf jenen, die sich bewusst gegen Mutterschaft entscheiden. Frauen ohne Kinder wird oft unterstellt, dass ihnen etwas fehlt. Wir haben Carmen, eine gute Freundin von uns, gefragt, wie sie sich als kinderlose Frau in unserer Gesellschaft fühlt.
Ich habe mich nie bewusst gegen Kinder entschieden. Tatsächlich hat es sich einfach nicht ergeben und mit Anfang 40 ist dieses Thema für mich nun auch so langsam vom Tisch. Für mein Umfeld aber offenbar nicht, im Arbeitskontext merke ich das zum Beispiel. Wenn ich an einer Schulung teilnehme, finden am Anfang in der Regel kleine Vorstellungsrunden statt. Hier sagt natürlich jeder auch etwas Privates, und sehr häufig werden die eigenen Kinder genannt. Wenn ich diesbezüglich dann einfach nichts sage, meine ich bei anderen oft so ein Unbehagen zu spüren, was dann auch wiederum mich irritiert. Ich habe aber auch beobachtet, dass manche Frauen einen ganz anderen Weg gehen. Sie schlagen sozusagen die Flucht nach vorn ein und offenbaren direkt bei der Vorstellung, dass sie keine Kinder haben. Auch in meiner Familie spüre ich immer wieder so eine unausgesprochene Erwartungshaltung. Allein der Begriff kinderlos steht ja auch schon irgendwie für etwas Defizitäres, oder? Und ja, manchmal habe ich tatsächlich das Gefühl, nicht vollständig zu sein, den falschen Werten nachzuhängen oder nicht erkannt zu haben, worauf es im Leben ankommt. Das macht mich dann aber ehrlich gesagt viel trauriger als die Tatsache, keine Kinder zu haben.
Unsere Gesellschaft hat Weiblichkeit so sehr mit Mutterschaft verknüpft, dass es für viele zum einen absurd ist, keine Kinder zu wollen, aber auch genauso unvorstellbar, Kinder zu bekommen und nicht permanent beseelt und glücklich zu sein. Vielleicht sogar enttäuscht, traurig, verzweifelt und ohne Vorstellung, was genau das Kind jetzt eigentlich braucht. Aber von wem kommt dann der Gedanke, dass jede Frau aufgrund ihres Geschlechts einen Mutterinstinkt in sich trägt? Wir haben uns auf die Suche gemacht.
Wir alle leben in einer androzentrisch geprägten Welt. Androzentrismus beschreibt eine Weltanschauung, in welcher der Mann (auf Griechisch andrós) im Zentrum steht. Wir bemerken das in kleinen und großen Momenten. Wenn Politiker (wir lassen das Sternchen hier weg – aus Gründen) es noch heute für unwichtig erachten, eine gendergerechte Sprache einzuführen, aber auch dann, wenn wir selbst in unseren Kalender schreiben: Nächsten Dienstag 8.30 Uhr Frauenarzt. Obwohl wir kognitiv durchaus in der Lage sind anzuerkennen, dass wir bei einer Gynäkologin in Behandlung sind. Wir merken es, wenn wir in Büros frieren, weil die empfohlene Temperatur für Büroräume in den 1960er-Jahren anhand des Stoffwechsels eines durchschnittlichen 40-jährigen Mannes von 70 Kilogramm Gewicht erstellt wurde – und damit um fünf Grad zu kalt für Frauen.7 Wir sehen es an den Unfallstatistiken, die belegen, dass Autounfälle zwar eher von Männern verursacht werden, aber Frauen häufiger sterben oder schwerere Verletzungen davontragen. Denn die Sicherheit im Fahrzeug wird an einem männlichen Crash-Test-Dummy getestet. Er ist 1,75 Meter groß und 80 Kilo schwer. Wenn Automobilhersteller ihre Autos testen, wird (außer in Schweden) der männliche Dummy lediglich auf Frauen- oder Kindergröße heruntergerechnet, obwohl es seit 2010 bereits den weiblichen Crash-Test-Dummy E. V. A. gibt, bei dem auch »typisch weibliche Merkmale«, wie eine schwächere Nackenmuskulatur, die Existenz von Brüsten etc. berücksichtigt wurden. Auch in der Medizin hat der Androzentrismus gravierende Folgen. Eine großangelegte Studie aus den USA von 1998 mit fast 400000 Patient*innen fand heraus, dass die Sterblichkeit von jungen Frauen bei einem Herzinfarkt mehr als doppelt so hoch ist wie bei altersgleichen Männern.8 Warum? Weil ein Herzinfarkt bei Frauen viel seltener diagnostiziert oder auch schlichtweg nicht schnell genug behandelt wird. So denken wir beispielsweise bis heute, dass diese lebensbedrohliche Erkrankung etwas »typisch Männliches« ist. Einem Mann fällt das Atmen schwer, sein Blick wird starr, vielleicht fasst er sich noch an die linke Brust. So haben es uns unzählige Filmmomente im Laufe unseres Lebens gelehrt. Frauen erleiden aber auch Herzinfarkte, sie haben oft nur andere Symptome, wie beispielsweise Übelkeit, Schwäche, Unwohlsein, Rücken- oder Nackenschmerzen sowie Schmerzen sogar eher im rechten Teil des Brustkorbs.9 Und diese verzerrte Wirklichkeit betrifft weitere Bereiche der Medizin. US-Forscher*innen veröffentlichten im Dezember 2021 eine Studie, die aufzeigt, dass weibliche Patientinnen, die von einem männlichen Chirurgen behandelt wurden, ein deutlich erhöhtes Risiko für Komplikationen und sogar ein signifikant höheres Sterberisiko haben als bei einer Behandlung durch eine Ärztin. Dagegen scheint es bei männlichen Patienten irrelevant zu sein, ob sie von einem Arzt oder einer Ärztin behandelt werden.10 Der Mechanismus dahinter ist derzeit noch nicht gänzlich geklärt. Die Forschenden gehen aber davon aus, dass männliche Ärzte die Beschwerden der Patientinnen häufiger als nicht so schwerwiegend einschätzen.11 Was laut Wissenschaftler*innen daran liegt, dass Frauen ihre Symptome oft anders wahrnehmen und diese auch in einer anderen Sprache schildern, manchmal blumiger oder facettenreicher. Männliche Ärzte sind in einer androzentrischen Welt aber eher trainiert auf die Schlagworte, die sie von männlichen Patienten bekommen, nehmen die Probleme der Frauen also anders wahr.12
Hier gäbe es noch unzählige weitere Bespiele, die zeigen, wie Frauen in unserer Gesellschaft betrachtet werden. Der Mann ist die Norm, die Frau die Abweichung. Insofern ist nachvollziehbar, warum noch immer so viele Datenlücken in Bezug auf das Leben von Frauen inklusive Mutterschaft existieren.
Auch die Geschichte der Mutter beruht zu einem großen Teil nicht auf neutraler Wissenschaft, sondern auf den Überzeugungen Einzelner. Für die Dekonstruktion dieser gesellschaftlichen Überzeugungen müssen wir zunächst einen Blick in die Vergangenheit unserer westlichen Gesellschaft werfen, um zu verstehen, wo der Mutterinstinkt seinen Ursprung fand und warum wir nach wie vor an alten Erzählungen und an alten Bildern festhalten. Erst dann können wir die Geschichte über Mutterschaft neu schreiben.
Jede Epoche hatte ihre ganz eigene Version der »guten Mutter«. Die abendländische Variante vom Bild der angeborenen Mutterliebe hat uns allerdings seit Jahrhunderten fest im Griff. Fast jede Frau nimmt dieses Korsett mit ins Wochenbett und legt es manchmal ein Leben lang nicht mehr ab. Oder erst, wenn es an die eigene Tochter weitergereicht wird. Dieses Buch soll das Korsett wieder als das spürbar machen, was es ist. Ein Stück, das wir tragen, weil es uns aufgezwungen wurde. Mutterliebe ist zweifellos existent, und es gab sie schon seit jeher, aber nach einem kurzen Exkurs in die Geschichte werden wir verstehen, dass sie, gefangen in dem Konstrukt des Mutterinstinkts, zum kulturellen Imperativ wurde.13 Von einem ganz persönlichen Gefühl zur gesellschaftlichen Pflicht. Es folgt eine Geschichte von Männern. Für Männer. Über Frauen. Das ist HIStory.
Über Mutterschaft in der prähistorischen Phase der Menschheitsgeschichte wissen wir wenig. Die uns schon in der Schule vermittelte Rollenverteilung von männlichen Jägern und weiblichen Sammlerinnen ist in den letzten Jahren allerdings aufgrund neuer Entdeckungen in Steinzeitgräbern ordentlich ins Wanken geraten. Forschende gehen mittlerweile davon aus, dass 30 bis 50 Prozent der Großwildjäger Frauen gewesen sein könnten. Und nicht wenige von ihnen vermutlich Mütter.
Die erste historische Mutter, die wir alle vor Augen haben, ist die Mutter Gottes. Maria wurde im Laufe der Spätantike und dem Mittelalter zum weiblichen Ideal und schmückt noch heute viele Häuser und Einrichtungen. Sie verkörperte die perfekte Frau und Mutter. Einerseits ist es ihr auf überraschende Art und Weise geglückt, Mutterschaft mit Jungfräulichkeit zu verbinden, und andererseits murrte sie nicht im Geringsten, als der Vater ihres Kindes zurück in den Himmel fuhr.14 Damit wurde ein ideell stark aufgeladenes Bild der frommen, liebenden Mutter geschaffen. Ganz so romantisch war die Realität in den Familien allerdings nicht. Denn die Lebensbedingungen im Mittelalter waren hart, viele Kinder verstarben zu jener Zeit, und Mütter konnten es sich in der Regel gar nicht leisten, sich hingebungsvoll um ihre Kinder zu kümmern, da die meisten Menschen – völlig ungeachtet des Geschlechts – bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zum gemeinsamen Haushaltseinkommen beitragen mussten.15 Frauen waren Händlerinnen, Handwerkerinnen, Ärztinnen oder Wirtinnen, ob mit oder ohne Ehemann an ihrer Seite. Für Frankfurt am Main existieren Aufzeichnungen von 1300 bis 1500 über das Geschlechterverhältnis in verschiedenen Berufen. 65 Berufe waren ausschließlich Frauensache, dazu zählte zum Beispiel das Bierbrauen.16 Zuhause hatten Hausmutter und Hausvater das Sagen über alle im Haushalt lebenden Personen (Kinder, sonstige Verwandte, Knechte und Mägde). Wobei die Hausmutter in keiner Weise mit der heutigen Hausfrau verglichen werden kann. Denn zu jener Zeit war das Hausmutterdasein ein Beruf und Herrschaftsbegriff.17 Hausmutter und Hausvater teilten sich die Verantwortung.18