Nach dem großen Feuer - Wolfgang Hohlbein - E-Book
SONDERANGEBOT

Nach dem großen Feuer E-Book

Wolfgang Hohlbein

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn deine Welt verbrennt: Der spannende Science-Fiction-Roman „Nach dem großen Feuer“ von Kult-Autor Wolfgang Hohlbein jetzt als eBook bei dotbooks. Es fühlt sich an wie ein böser Traum … Gerade noch war der 14-jährige Tom in seinem Zimmer, jetzt findet er sich auf der Kommandobrücke des Raumschiffes HEDONIA wieder. Tom erfährt: Er ist einer von 20 auserwählten Jugendlichen, die auf eine geheime Mission vorbereitet werden sollen. Doch dann wird das Raumschiff plötzlich attackiert und die Jugendlichen stranden auf einem unbekannten Planeten, der von einer furchtbaren Katastrophe verwüstet wurde. Ein Kampf auf Leben und Tod beginnt – und Tom und seine neuen Freunde ahnen, dass sie nur eine Chance haben, hier zu überleben: Sie müssen das Rätsel dieses Planeten lösen. Doch die Zeit wird knapp … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der spannende Science-Fiction-Roman „Nach dem großen Feuer“ von Kult-Autor Wolfgang Hohlbein für Leser ab 12 Jahren. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 445

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Es fühlt sich an wie ein böser Traum … Gerade noch war der 14-jährige Tom in seinem Zimmer, jetzt findet er sich auf der Kommandobrücke des Raumschiffes HEDONIA wieder. Tom erfährt: Er ist einer von 20 auserwählten Jugendlichen, die auf eine geheime Mission vorbereitet werden sollen. Doch dann wird das Raumschiff plötzlich attackiert und die Jugendlichen stranden auf einem unbekannten Planeten, der von einer furchtbaren Katastrophe verwüstet wurde. Ein Kampf auf Leben und Tod beginnt – und Tom und seine neuen Freunde ahnen, dass sie nur eine Chance haben, hier zu überleben: Sie müssen das Rätsel dieses Planeten lösen. Doch die Zeit wird knapp …

Über den Autor:

Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, ist Deutschlands erfolgreichster Fantasy-Autor. Der Durchbruch gelang ihm 1983 mit dem preisgekrönten Jugendbuch Märchenmond. Inzwischen hat er 150 Bestseller mit einer Gesamtauflage von über 40 Millionen Büchern verfasst. 2012 erhielt er den internationalen Literaturpreis NUX. 

Der Autor im Internet: www.hohlbein.de

Bei dotbooks erscheint von Wolfgang Hohlbeins Jugendbücher: Der weiße Ritter - Erster Roman: Wolfsnebel Der weiße Ritter - Zweiter Roman: Schattentanz Nach dem großen Feuer Ithaka Drachentöter

***

eBook-Neuausgabe Oktober 2016

Copyright © der Originalausgabe 1996 by Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co., Stuttgart

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs, unter Verwendung von © Ig0rZh (fotolia.com) © andreiuc88 (fotolia.com)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-719-2

***

Damit der Lesespaß sofort weitergeht, empfehlen wir dir gern weitere Bücher aus unserem Programm. Schick einfach eine eMail mit dem Stichwort Nach dem großen Feuer an: [email protected]

Gerne informieren wir dich über unsere aktuellen Neuerscheinungen – melde dich einfach für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html

Besuch uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.twitter.com/dotbooks_verlag

instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Wolfgang Hohlbein

Nach dem großen Feuer

Roman

dotbooks.

1. Kapitel

Der Bus hielt unter dem weitgeschwungenen, gläsernen Vordach der Abfertigungshalle, und die Passagiere begannen beinahe augenblicklich, auf die Ausgänge zuzudrängen. Die gläsernen Türen des Flughafengebäudes glitten lautlos auf, und eine Anzahl rot und blau uniformierter Stewardessen eilte den Reisenden entgegen, um ihnen den Weg zu zeigen und ihnen mit dem Gepäck behilflich zu sein. Irgendwo sehr weit entfernt, sicher am anderen Ende des Flughafengeländes, begannen die Motoren eines Flugzeuges zu dröhnen, und als Thomas dicht neben seinem Vater in das Gebäude trat, erscholl ein hallender Gong, und eine Lautsprecherstimme sagte: »We welcome you to the United States of America!«

Thomas blieb stehen und hob den Kopf, als könne er den unsichtbaren Sprecher irgendwo ausmachen. Aber natürlich sah er nichts außer der hohen, mit farbigen Kunststoffplatten verkleideten Decke und der riesigen Digitaluhr über dem Ausgang, auf der man ablesen konnte, wie spät es jetzt in einem Dutzend anderer Millionenstädte der Welt war. Er fühlte sich ein bißchen müde, obwohl er vor Antritt der Reise gründlich ausgeschlafen hatte. Aber sie waren mehr als neun Stunden ununterbrochen geflogen, und die lange Reise und das stundenlange Herumstehen und -sitzen auf dem Frankfurter Flughafen forderten ihren Preis.

»Na«, fragte sein Vater, »wie fühlt man sich in Amerika?«

Thomas wußte nicht so recht, was er antworten sollte. Er hatte sich seit Monaten auf diese Reise gefreut und während der letzten zwei Wochen sowohl zu Hause als auch in der Schule eigentlich über nichts anderes mehr geredet – aber im Moment fühlte er sich nur müde, hungrig und zerschlagen.

»Prima«, antwortete er mit einiger Verspätung. »Nur …«

»Ein bißchen müde, wie?« lächelte sein Vater. »Das ist verständlich. Immerhin ist es jetzt zu Hause in München beinahe vier Uhr morgens, und ein vierzehnjähriger Junge wie du gehörte eigentlich schon längst ins Bett.«

»Fünfzehn«, korrigierte Thomas und sah auf die Uhr. Die Zeiger standen noch immer auf halb acht, aber der Jumbo war dem Tag ein gutes Stück davongeflogen. Er hatte die Uhr irgendwo über dem Meer verstellt, um sich der amerikanischen Ortszeit anzupassen, aber sein Körper war an einen anderen Tagesrhythmus gewöhnt und ließ sich nicht so rasch überlisten.

»Fünfzehn«, sagte sein Vater betont, »wirst du in genau zwei Wochen, Thomas. Und als Sohn eines Mathematikers solltest du wissen, daß auch vierzehn plus dreiundzwanzig Vierundzwanzigstel noch lange nicht fünfzehn ergeben.«

Thomas seufzte und verzichtete sicherheitshalber auf eine Antwort. Nicht einmal er wußte immer so genau, wann sein Vater nun einen Scherz machte und wann er es ernst meinte. Sein Vater war nicht nur einfach Mathematiker, sondern sogar Professor für Mathematik, und er konnte sich manchmal mit wahrer Begeisterung Stunde um Stunde über Zahlen unterhalten. Thomas teilte diese Begeisterung nicht so vollständig.

Er seufzte, packte seinen Koffer fester und ging neben seinem Vater her auf die Zollkontrolle zu. Es gab weder einen Schalter noch eine Schranke, wie sie sie in Frankfurt passiert hatten, sondern nur eine rote, auf den Fußboden gemalte Linie, vor der zwei Männer in den graugrünen Uniformen der Zollbeamten standen. Trotzdem überschritt keiner der Neuankömmlinge diese – fast – unsichtbare Grenze. So etwas wäre zu Hause in Deutschland schwer vorstellbar gewesen. Vielleicht war das schon einer der kleinen Unterschiede, von denen sein Vater gesprochen hatte.

Sie reihten sich geduldig in die langsam vorrückende Schlange ein, ließen ihr Reisegepäck kontrollieren und standen wenig später in einer zweiten Halle, die der, durch die sie zuvor gekommen waren, bis aufs Haar glich, nur daß sie mindestens doppelt so groß war. Hunderte von Menschen eilten geschäftig hin und her oder standen einzeln oder in kleinen Gruppen herum und warteten. Von irgendwoher kam Musik, und vor den deckenhohen Fenstern an der Westseite fuhren unablässig Autos an und ab. Sein Vater blieb stehen, setzte seinen Handkoffer ab und sah sich unschlüssig um.

»Wie sieht denn dieser Mister Dickkopf aus, auf den du wartest?« fragte Thomas.

Sein Vater lächelte. »Dirkhoff, Thomas. Er heißt Dirkhoff. Professor Dirkhoff, um genau zu sein. Und ich muß gestehen, ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie er aussieht. Ich habe bisher nur ein paarmal mit ihm telefoniert, das war alles. Eigentlich wollte er hier auf mich warten.«

Als wären seine Worte ein Stichwort gewesen, knackte in diesem Augenblick ein unsichtbarer Lautsprecher, und eine Frauenstimme sagte: »Professor Edmund Bender, please come to the information! Professor Bender, please!«

Thomas nahm seine Tasche und deutete auf den chromblitzenden Informationsstand neben dem Ausgang. »Das ist für dich«, sagte er. »Sieht aus, als wäre Professor Dickkopf was dazwischengekommen.«

»Dirkhoff«, seufzte sein Vater. »Er heißt Dirkhoff. Merk dir das bitte. Er spricht nämlich ausgezeichnet Deutsch.«

Thomas unterdrückte ein Grinsen und folgte seinem Vater zum Informationsstand, der aussah wie das Cockpit eines Raumschiffes: eine in zwei Hälften geschnittene und auseinandergezogene Kugel aus blankpoliertem Stahl, in deren innerem zwei junge Frauen in dunkelblauen Uniformen vor einem verwirrenden Durcheinander von Schaltern, Knöpfen, Mikrophonen und Telefonhörern saßen. Vater setzte seinen Koffer ab, stützte sich mit den Ellbogen auf die blankpolierte Theke und begann leise auf Englisch mit einer der Frauen zu sprechen. Thomas versuchte, ihre Antwort mitzubekommen, aber sie sprach so schnell, daß er kein Wort verstand. Nun ja – Vater hatte ihn gewarnt, daß er mit seinem Schulenglisch hier nicht allzuviel würde anfangen können. Er schien recht zu haben.

»Professor Dirkhoff kommt nicht«, sagte Vater, nachdem er sich bedankt und wieder herumgedreht hatte. »Irgend etwas ist ihm dazwischengekommen.«

»Und jetzt?« fragte Thomas.

Sein Vater schwenkte einen kleinen Zettel, den ihm die Frau hinter der Information gegeben hatte. »Wir nehmen ein Taxi«, sagte er. »Ich habe die Adresse des Hotels, in dem Dirkhoff auf uns wartet.« Plötzlich lächelte er. »Vielleicht ist das nicht das Schlimmste«, sagte er. »Wir haben noch genug Zeit. Was hältst du von einer kleinen Stadtrundfahrt?«

Der Gedanke begeisterte Thomas nicht sonderlich. Er hatte nie viel von Sehenswürdigkeiten und deren Besichtigung gehalten. Aber er wollte seinen Vater auch nicht vor den Kopf stoßen. Immerhin würde er während der nächsten zwei Wochen ohnehin nicht sehr viel Zeit für ihn haben. Thomas betrachtete die elf Tage in Amerika zwar als eine Art unerwartete Zusatzferien, aber für seinen Vater bedeutete die Tagung harte Arbeit, neben der nicht allzu viel Zeit zur Erholung bleiben würde. Thomas versuchte sich vorzustellen, wie es sein mußte, elf Tage lang mit einer Horde Mathematiker in einem Konferenzzimmer eingesperrt zu sein und über Zahlen zu reden. Der Gedanke verursachte bei ihm beinahe so etwas wie Übelkeit.

Sie verließen das Flughafengebäude und traten in den warmen Sonnenschein hinaus. Thomas hatte jetzt erst das Gefühl, amerikanischen Boden zu betreten, und plötzlich empfand er die Erregung, die er vorhin nach dem Verlassen der Maschine vermißt hatte. Aber der Aufenthalt auf dem Flughafen war noch so etwas wie die Verlängerung des Fluges gewesen. Jetzt – jetzt erst – waren sie in Amerika. Es war ein erhebendes Gefühl.

Vater winkte ein Taxi heran und gab dem Fahrer den Zettel, den er in der Information erhalten hatte. Der Mann warf einen flüchtigen Blick darauf, nickte und ging dann um den Wagen herum, um den Kofferraum zu öffnen und ihr Gepäck zu verstauen. Sie stiegen ein, und Vater wechselte noch ein paar Worte mit dem Fahrer, ehe sie losfuhren.

»Wir fahren am Weißen Haus vorbei«, sagte Vater. »Das interessiert dich doch sicher, nicht?«

Thomas hätte das ›nicht‹ am liebsten laut und ohne das Fragezeichen dahinter wiederholt, aber er beherrschte sich, lächelte tapfer und nickte.

»Sehr gut«, sagte Vater. »Das ist kein großer Umweg zu unserem Hotel. Und den Rest nehmen wir uns morgen oder am Wochenende vor.«

»Wenn du Zeit dazu hast«, sagte Thomas. »Mach bloß keine Umstände wegen mir. Ich bin alt genug, um auch mal ein paar Tage allein zurechtzukommen.«

Sein Vater schien etwas antworten zu wollen, beließ es aber dann bei einem undeutbaren Seufzer und lehnte sich mit geschlossenen Augen in die Polster zurück. Auch er war müde, und als Thomas daran dachte, welche Anstrengungen ihm in den nächsten Tagen noch bevorstanden, tat er ihm beinahe leid. Aber die Konferenz war wichtig, nicht nur für seinen Vater. Thomas hatte sich bisher niemals für Politik interessiert, aber er hatte im Laufe der letzten Wochen zwangsläufig genug mitbekommen, um zu wissen, daß es um große Dinge ging. Worte wie Weltsicherheit und Zukunftskrise waren mehr als einmal gefallen, und soviel er wußte, trafen sich in dem Hotel nicht nur Mathematiker, sondern auch Biologen, Physiker, Chemiker, Soziologen – kurz, fast alles, was in der Welt der Wissenschaft Rang und Namen hatte. Eigentlich nicht der richtige Ort für einen vierzehnjährigen Jungen, um Ferien zu machen. Aber zu Hause wäre er auch allein gewesen, und seit dem Tod seiner Mutter vor fünf Jahren hatte sich Vater angewöhnt, ihn, wo immer möglich, mitzunehmen, wenn er auf Reisen ging. Und er ging oft auf Reisen. Öfter, als man es im allgemeinen von einem Mathematikprofessor erwartet hätte.

Sie fuhren auf dem breit ausgebauten Highway in Richtung Stadtmitte, überquerten den Potomac-River und bogen auf eine Art Stadtautobahn ein. Nach einer Weile berührte ihn Vater an der Schulter und deutete nach rechts.

»Das Weiße Haus«, sagte er.

Thomas setzte sich auf und blickte aus dem Fenster. Natürlich hatte er schon oft Bilder des Weißen Hauses gesehen – im Fernsehen und in Illustrierten, manchmal auch in den Fachzeitschriften, die sein Vater zu Dutzenden las, aber irgendwie enttäuschte ihn der Anblick beinahe. Es war ein gewaltiges, schneeweißes Gebäude, das irgend etwas Ehrfürchtiges und Altes auszustrahlen schien, aber es war doch nicht mehr als ein Haus, wenn auch ein großes. Und dort drüben wurde also über das Schicksal der Welt entschieden. Irgendwie hatte er es sich – nun ja, majestätischer vorgestellt. Aber es war vielleicht nicht das Haus, das zählte, sondern die Leute, die darin lebten.

Das Taxi wurde schneller, als sie das Weiße Haus passiert hatten, und nach einer Weile tauchten rechts und links der Straße die Hochhäuser auf, die er beim Klang des Namens Washington D. C. erwartet hatte. Sie waren nicht ganz so groß und nicht annähernd so beeindruckend wie auf den Bildern, aber noch immer beeindruckend genug. Sie durchquerten das Stadtzentrum, fuhren noch eine Weile in östlicher Richtung und hielten schließlich vor einem gewaltigen Turm aus schimmerndem Glas und Chrom.

»Unser Hotel«, erklärte Vater. Sie stiegen aus. Der Taxifahrer stellte ihr Gepäck auf den Bürgersteig und fuhr wieder ab, nachdem Vater ihn bezahlt hatte. Aus dem Hotel kamen zwei uniformierte Pagen, um ihre Koffer zu holen.

Vater lächelte aufmunternd, nahm einen tiefen Atemzug, als müsse er sich an die amerikanische Luft gewöhnen, und ging dann mit schnellen Schritten die Treppe empor.

Die Hotelhalle war gewaltig. Die Decke wurde von einer Anzahl mannsdicker marmorner Säulen getragen und war so hoch, daß ihr kleines Einfamilienhaus am Rande Münchens bequem Platz darunter gefunden hätte, und obwohl sich an die hundert Menschen in der Halle aufhielten, wirkte sie keineswegs überfüllt. Thomas ging neben seinem Vater zum Empfang hinüber und wartete geduldig, bis dieser die Anmeldeformalitäten hinter sich gebracht und den Zimmerschlüssel in Empfang genommen hatte. Dann fuhren sie mit dem Lift in die einundzwanzigste Etage hinauf, in der ihr Zimmer lag. Ihr Gepäck war bereits hinaufgeschafft worden.

Das Zimmer war genauso, wie Thomas es erwartet hatte – sehr groß, sehr modern und nach jenem typisch amerikanischen Geschmack eingerichtet, der nicht unbedingt die Zustimmung eines Europäers fand. Aber es war riesig; eigentlich schon eher eine kleine Wohnung als ein Hotelzimmer. Während Vater dem Hotelboy ein Trinkgeld gab und die Tür schloß, lief Thomas auf den Balkon hinaus. Er war sehr groß, wie alles in diesem Hotel, und gewährte einen phantastischen Blick über die Stadt. In der Ferne glitzerte der Potomac-River wie ein schmales, vielfach gewundenes Silberband, und tief unter ihm, in der Stadt, begannen die ersten Lichter anzugehen. Über dem Horizont erschien der erste Streifen grauer Dämmerung.

Thomas sah erneut auf die Uhr. Es war fast neun, aber die Zeit von der Landung bis jetzt war wie im Fluge vergangen. Er blieb noch einen Moment auf dem Balkon stehen und ging dann gemächlich ins Zimmer zurück. Sein Vater hatte die Koffer auf das Bett geworfen und war damit beschäftigt, ihren Inhalt auf die Frisierkommode und die drei Wandschränke zu verteilen. Natürlich hatte das Hotel genügend Personal, das diese Aufgaben hätte erledigen können, aber sein Vater war ganz das Gegenteil dessen, was man sich normalerweise unter einem zerstreuten Professor vorstellte. Er war sehr selbständig und haßte es, Arbeiten, die er selbst erledigen konnte, von jemand anderem tun zu lassen.

Thomas trat neben ihn und begann ihm zu helfen.

Das Telefon schrillte. Vater nahm den Hörer ab, meldete sich und hörte einen Moment schweigend zu. Dann sagte er »Okay«, nickte überflüssigerweise und hängte wieder ein. »Das war Prof. Dirkhoff«, sagte er. »Er wartet unten in der Halle auf mich. Zusammen mit ein paar Kollegen.« Er stockte einen Moment, sah sich im Zimmer um, als suche er etwas Bestimmtes, und fragte dann: »Willst du mitkommen, oder bleibst du hier? Ich glaube nicht, daß es sehr lange dauern wird. Die übliche Vorstellung und der ganze Kram. Später gehen wir dann zusammen essen.«

Thomas schüttelte den Kopf. Er hatte gewiß keine Lust, jetzt hinunterzugehen und einem Haufen verknöcherter Mathematikprofessoren die Hand zu schütteln. »Geh nur«, sagte er. »Ich sehe mich inzwischen hier um und versuche, mich einzuleben.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den Fernseher. »Stimmt das, daß die Amerikaner siebzig Fernsehprogramme haben?«

Vater lächelte und zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung«, gestand er. »Aber ich denke schon, daß sie ein paar mehr haben als wir.«

Thomas hatte halbwegs damit gerechnet, jetzt wieder einen Vortrag über die Schädlichkeit von Fernsehen zu hören, aber sein Vater schien ganz froh darüber zu sein, ihn für die nächste Zeit beschäftigt zu wissen. Er nickte, trat noch einmal vor den Spiegel, um seine Krawatte zurechtzurücken, und verließ dann mit raschen Schritten das Zimmer.

Thomas ging zum Fernseher hinüber, schaltete ihn ein und drehte eine Zeitlang lustlos am Programmwählknopf. Er kam nicht annähernd auf siebzig Programme, aber es mußten trotzdem mehr als zwei Dutzend sein – er hörte bei zehn auf zu zählen und beschränkte sich darauf, den Schalter weiterzudrehen und den ständig wechselnden bunten Bildern auf der Mattscheibe zu folgen. Es schien für jeden Geschmack etwas zu geben, aber Thomas stand der Sinn an diesem Abend nicht nach fernsehen. Den ersten Tag in einer neuen Welt wollte er nun doch nicht vor dem Bildschirm verbringen.

Nach einer Weile schaltete er den Apparat wieder aus, drehte sich um und ging unschlüssig zur Balkontür hinüber. Es war dunkel geworden, während er mit dem Apparat beschäftigt gewesen war, und draußen wetteiferten die Lichter Washingtons mit dem Glanz des Sternenhimmels. Vom Fluß her wehte ein kühler Wind herauf, und als er die Gardine zurückschlug und auf den Balkon hinaustrat, konnte er ein leises Geräusch wahrnehmen, etwas wie das ferne Rauschen einer Meeresbrandung; die Geräusche der Stadt, einzeln nicht mehr wahrnehmbar, aber zusammengenommen etwas, das fast wie ein riesiges, ruhig schlagendes Herz klang, als wäre diese Stadt da unter ihm in Wirklichkeit ein gewaltiges lebendes Wesen.

Thomas mußte selbst über den Gedanken lächeln. Er war müde, und da kam man schon einmal auf die sonderbarsten Ideen. Vielleicht wäre es das beste, wenn er ins Zimmer zurückging und sich eine halbe Stunde ausruhte, ehe Vater heraufkam und ihn zum Essen abholte.

Er wollte sich umdrehen und ins Zimmer zurückgehen, als ihm etwas auffiel. Er blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken und sah stirnrunzelnd in den Himmel hinauf. Einer der winzigen hellglänzenden Sterne hatte begonnen, sich zu bewegen.

Thomas fuhr sich verwirrt mit der Hand über die Augen und sah noch einmal hin. Aber es war keine Täuschung. Einer der Sterne war kein Stern, sondern … irgend etwas eben. Und dieses Etwas schoß in steilem Winkel über den Himmel. Es war zu schnell für ein Flugzeug, viel zu schnell. Vielleicht eine Sternschnuppe, dachte Thomas, oder ein Teil eines Satelliten oder einer ausgebrannten Raketenstufe, die zur Erde zurückstürzte. In letzter Zeit, das hatte er aus Gesprächsfetzen erfahren, die er manchmal von seinem Vater aufschnappte, kam so etwas öfter vor.

Aber noch während er dastand und in den Himmel hinaufstarrte, tat das Ding etwas, das weder eine Sternschnuppe noch eine ausgebrannte Rakete hätten tun können: Es bog plötzlich in nahezu rechtem Winkel von seinem Kurs ab, blieb einen Moment reglos auf der Stelle stehen und schoß dann mit phantastischer Geschwindigkeit davon.

Thomas stand wie gelähmt auf dem Balkon und starrte in den Himmel hinauf, auch, als die Erscheinung schon längst verschwunden war. Es dauerte lange, bis er begriff, was er da gesehen hatte. Und als er es begriff, weigerte er sich fast, es zu glauben.

Das Ding war ein UFO gewesen!

Ein unidentifiziertes Flugobjekt, eines von diesen Dingern, von denen man immer wieder einmal in Zeitungen las oder im Radio hörte und an die eigentlich niemand so recht glaubte.

Aber er hatte es gesehen!

Oder nicht? Ein paar Augenblicke überlegte er ernsthaft, ob die Erscheinung am Himmel nicht vielleicht nur ein Produkt seiner überreizten Nerven und seiner Phantasie gewesen sein konnte. Er war müde, und der lange Flug hatte ihn mehr angestrengt, als er bisher geglaubt hatte. Aber so müde, daß er bereits Halluzinationen hatte, war er nun doch noch nicht. Und er hatte das Ding (er weigerte sich auch jetzt noch, es UFO zu nennen) ganz deutlich gesehen. Nein, das war keine Halluzination gewesen.

Minutenlang blieb er noch reglos auf dem Balkon stehen und suchte den Himmel ab, aber die Erscheinung zeigte sich kein zweites Mal. Schließlich begann er zu frieren. Der Wind hatte aufgefrischt, nachdem die Sonne untergegangen war, und der plötzliche Temperatursturz erinnerte ihn nachhaltig daran, daß auch hier in Nordamerika erst April war und die Nächte noch empfindlich kalt werden konnten. Er schlang fröstelnd die Arme um den Oberkörper, sah noch einmal nach Westen, wohin der Lichtpunkt verschwunden war, und ging ins Zimmer zurück. Er schaltete den Fernseher ein, wählte ein Programm, auf dem – zwischen den regelmäßigen Reklameeinblendungen – Zeichentrickfilme gegeben wurden, und ließ sich in einen Sessel fallen.

Aber er hatte Mühe, der Handlung des Films zu folgen. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab, und die bunten Bilder auf der Mattscheibe weigerten sich einfach, einen Sinn zu ergeben. Was war das, was er da gesehen hatte? Eine Sternschnuppe? Ein neues Flugzeug, das die Amerikaner in aller Stille testeten – oder wirklich ein UFO, eine fliegende Untertasse, ein Raumschiff, das aus einem anderen Sternensystem hierhergekommen war?

Aber natürlich war das Unsinn. Einmal, nachdem er zusammen mit seinem Vater im Kino gewesen war und KRIEG DER STERNE gesehen hatte (unerlaubterweise, denn der Film war erst ab sechzehn frei, aber sein Vater hatte gemeint, ein so harmloses Märchen könne einem Jungen seines Alters und seiner Intelligenz kaum schaden), hatte er einen ganzen Abend dagesessen und mit seinem Vater darüber geredet. Über UFOs, Sternenschiffe und Besucher von anderen Welten. Es war eine schöne Vorstellung, aber es würde wohl niemals mehr werden als ein Traum, ein modernes Märchen, das war ihm im Laufe des Gespräches klargeworden. Das Reisen von Stern zu Stern war nicht möglich, nicht mit der Technik der Erde und auch nicht mit der einer Kultur, die ungleich weiter fortgeschritten war. Es gab ein paar ganz einfache wissenschaftliche Gründe, die dagegen sprachen, so einfach, daß selbst ein Junge von vierzehn Jahren, der Geschichten über galaktische Imperien und gewaltige Kriege zwischen den Milchstraßen verschlang, nicht die Augen davor verschließen konnte.

Aber er hatte das Ding gesehen, mit eigenen Augen!

Erst als sein Vater hereinkam und mit einem erstaunten: »Nanu?« das Licht einschaltete, merkte er, daß er länger als eine Stunde reglos vor dem Fernseher gehockt und gegrübelt haben mußte. Draußen war es mittlerweile vollkommen dunkel geworden, und im Fernseher lief irgendein Spielfilm. Er hatte nicht einmal gemerkt, wie er begonnen hatte.

»Entschuldigung«, sagte er hastig, als er dem besorgten Blick seines Vaters begegnete. »Ich muß eingeschlafen sein.«

»Ich dachte immer, erst in meinem Alter schläft man vor der Flimmerkiste ein«, sagte er mit einem flüchtigen Lächeln. »Aber du hast natürlich recht – es ist im Grunde das einzige, wozu das Ding überhaupt gut ist. Willst du mit hinunterkommen und essen, oder willst du lieber ins Bett gehen?«

»Ich komme mit«, sagte Thomas rasch. »Ich bin schon wieder ganz wach. Ehrenwort.«

»Na gut. Dann zieh dich um. Wir essen ganz groß; mit Smoking und Fliege und all dem Quatsch. Aber für dich wird es reichen, wenn du ein sauberes Hemd und frische Hosen anziehst. Und beeil dich. Die anderen Wissenschaftler haben zum Teil auch ihre Kinder mitgebracht. Du wirst dich also wahrscheinlich in den nächsten Wochen doch nicht so sehr langweilen.« Die letzten Worte rief er bereits aus dem Badezimmer, wohin er geeilt war, um sich ein frisches Hemd und seinen Smoking anzuziehen.

Thomas überlegte einen Moment, ob er seinem Vater von seiner Beobachtung erzählen sollte. Aber er tat es nicht. Wahrscheinlich würde Vater den Vorfall mit einer Handbewegung abtun und alles auf seine Müdigkeit schieben. Oder er hatte eine ganz einfache Erklärung dafür, und Thomas war sich noch nicht sicher, ob er die überhaupt hören wollte. Vielleicht war es gut, sich für eine Weile wenigstens noch an die Illusion klammem zu können, er hätte ein UFO gesehen. Auch wenn er ganz genau wußte, daß es keines gewesen sein konnte.

Er zog sich um, fuhr sich noch einmal mit dem Jackenärmel über die Schuhe, um den ärgsten Staub abzuwischen, und wartete dann, bis sein Vater aus dem Bad kam.

Sie verließen das Zimmer und fuhren mit dem Aufzug nach unten. Das Hotel kam Thomas jetzt wesentlich belebter vor als bei ihrer Ankunft; die Gänge und Flure schienen vor Menschen zu wimmeln, und vor dem Eingang zum Restaurant drängte sich eine dichte Menschentraube. Vater lächelte ermutigend, legte ihm die Hand auf die Schulter und stürzte sich todesmutig ins Gedränge. Thomas steckte eine Menge Knuffe und Stöße ein, und einmal trat ihm jemand so heftig auf den Fuß, daß er vor Schmerz aufstöhnte, aber schließlich hatten sie es geschafft und waren an ihrem Tisch vor dem großen Südfenster angelangt. Vater deutete auf zwei freie Stühle, setzte sich auf den einen und wartete, bis Thomas rechts neben ihm Platz genommen hatte.

»Mein Sohn«, sagte er mit einer übertriebenen Geste. »Thomas. Ich habe Ihnen ja bereits von ihm erzählt.«

Thomas sah neugierig in die Runde. Er wunderte sich ein bißchen, daß Vater deutsch sprach, aber die drei Männer, die außer ihnen noch am Tisch saßen, schienen sich nicht daran zu stören. Einer von ihnen – er erschien Thomas noch sehr jung für einen Wissenschaftler von Rang, noch keine dreißig – lächelte freundlich und nickte ihm zu.

»Hallo Tom«, sagte er. »Ich darf doch Tom sagen, oder?«

Thomas nickte.

»Das ist Professor Dirkhoff«, erklärte Vater.

Thomas begann gegen seinen Willen zu grinsen, und sein Vater warf ihm einen raschen, warnenden Blick zu und stieß ihn unter dem Tisch an.

Dirkhoffs Lächeln wurde um eine Spur breiter, und in seinen Augen blitzte es schalkhaft auf. »Nicht doch, Professor«, sagte er in tadellosem Deutsch. »Ich habe in Heidelberg studiert, vergessen Sie das nicht. Ich bin es gewohnt, meinen Namen in leicht veränderter Form zu hören.«

Thomas zuckte erstaunt zusammen und lief rot an. Konnte dieser Dirkhoff Gedanken lesen?

Ein Ober brachte die Speisekarten, und Thomas rettete sich über die nächsten Minuten, indem er intensiv auf die Karte starrte und so tat, als überlege er krampfhaft, was er nun auswählen sollte. Dabei konnte er kaum ein Drittel von dem, was da angeboten wurde, lesen, geschweige denn sagen, worum es sich handelte. Er wartete, bis sein Vater bestellt hatte, nickte dann kurz und bestellte der Einfachheit halber dasselbe. Sein Vater runzelte verwundert die Stirn, schwieg aber, und in Thomas stieg die bange Ahnung auf, daß er mit dem Essen vielleicht noch eine Überraschung erleben würde.

Der Ober bedankte sich höflich, sammelte die Karten wieder ein und verschwand. Vater begann, mit einem der anderen Männer am Tisch zu reden – diesmal in Englisch und so rasch, daß Thomas kein Wort verstand – und ein anderer Kellner kam und begann, Geschirr und goldglänzendes Besteck auf dem Tisch vor ihnen auszubreiten.

»Nun, Tom, wie gefällt es dir in Amerika?« fragte Dirkhoff plötzlich.

Thomas sah verwirrt auf. »Ahm … gut«, sagte er rasch. »Aber ich bin ja erst seit ein paar Stunden hier. Das heißt…«

»Eigentlich bist du noch gar nicht hier«, nickte Dirkhoff. »Ich weiß. Aber du wirst dich rasch eingewöhnen, verlaß dich darauf. Im Hotel sind an die fünfzig Kinder und Jugendliche. Du wirst sicher genug Gesellschaft für die nächsten Tage finden.«

Thomas lächelte verlegen. »Sicher«, sagte er.

»Washington ist eine hübsche Stadt, trotz allem«, fuhr Dirkhoff fort. »Ich bin sicher, sie wird dir gefallen.« Er seufzte und sah eine Sekunde lang fast traurig aus dem Fenster. »Ich fürchte, dein Vater und ich werden nicht allzuviel von der Stadt mitbekommen«, sagte er.

Thomas' Blick glitt durch die glasklare Scheibe wieder zum Himmel. Es war nicht eine Wolke zu sehen, und der Mond war von einem Kranz hellglitzernder Sterne eingefaßt. Aber diesmal waren es nur Sterne. Nichts anderes.

»Suchst du etwas Bestimmtes?« fragte Dirkhoff, als er seinen forschenden Blick bemerkte.

Thomas fühlte sich auf seltsame Weise ertappt. »Äh … nein«, sagte er. »Das heißt – ich dachte vorhin, ich hätte etwas gesehen. Aber es ist fort.«

»Und was?« erkundigte sich Dirkhoff.

»Ein UFO«, antwortete Thomas.

Sein Vater hielt abrupt in seiner Unterhaltung inne, drehte den Kopf und sah ihn lange und strafend an. Thomas hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, aber die beiden Worte waren ihm einfach so herausgerutscht, zu schnell, als daß er sie noch hätte zurückhalten können.

»Thomas!« sagte sein Vater streng. »Was soll dieser Unsinn? Du weißt, was –«

»Aber ich bitte Sie, Professor«, unterbrach ihn Dirkhoff sanft. »Ich habe diese Antwort erwartet. Es hätte mich erstaunt, wenn ich sie nicht erhalten hätte.«

Vater sah für einen Moment sehr verdutzt drein. »Was … soll das heißen?« fragte er verwirrt.

Dirkhoff lachte leise. »Lesen Sie keine Zeitungen, Professor? Jedermann sieht dieses UFO, jedenfalls hier in Washington. Es ist schon so eine Art Maskottchen geworden.«

»Aha«, machte Vater.

Thomas wurde hellhörig. »Soll das heißen, daß es wirklich ein UFO hier gibt?« fragte er.

Dirkhoff nickte. »Wenn du das Wort so meinst, wie es irgendwann einmal gemeint war, bevor die Leute anfingen, Raumschiffe vom Planeten Epsilon Eridiani darin zu vermuten, ja«, sagte er. »UFO bedeutet nämlich nichts anderes als unidentifiziertes Flugobjekt. Und so etwas haben wir hier wirklich, nämlich etwas, das sich anscheinend über unseren Köpfen herumtreibt und sich stur weigert, sich identifizieren zu lassen.« Er lachte wieder und begann, mit seiner Gabel zu spielen. »Ich schätze, unsere braven Jungs von der Air Force sind in den ersten Tagen halb wahnsinnig geworden. Was immer es ist – es führt sie an der Nase herum.«

Thomas blickte erstaunt auf seinen Vater. Aber auf dessen Gesicht stand nur Ratlosigkeit geschrieben. Und Mißtrauen. Sehr viel Mißtrauen.

»Das ist nicht Ihr Ernst«, sagte er nach einer Weile. »Sie wollen mir erzählen, ein unidentifiziertes Flugobjekt könne sich wochenlang über der Hauptstadt der Vereinigten Staaten herumtreiben, ohne daß die halbe Welt Kopf stünde?«

Aber Dirkhoff nickte bloß. »Sie hat Kopf gestanden, Professor«, sagte er. »Während der ersten beiden Tage haben sie alles aufgeboten, was sie hatten. Ich glaube fast, es gab schon Evakuierungspläne für die Regierung. Aber es war alles zwecklos. Dieses Ding ist weder auf einem Radarschirm auszumachen, noch kommt ein Flugzeug nahe genug heran, um Einzelheiten zu erkennen. Mittlerweile hat man sich wohl darauf geeinigt, daß es sich um eine Luftspiegelung handeln muß. So eine Art Nordlicht.«

»Und davon erfährt die Welt nichts?« fragte Vater mißtrauisch.

»Sie hat davon erfahren, Professor«, sagte Dirkhoff. »In den ersten Tagen. Mittlerweile ist man wohl zu dem Schluß gekommen, daß es das Vernünftigste ist, die Sache einfach totzuschweigen. Wer macht sich schon gerne selbst lächerlich?«

Thomas sah erneut aus dem Fenster. Er wußte nicht so recht, was er von Dirkhoffs Eröffnung halten sollte. Sollte er nun froh sein, daß es das Ding, das er zu sehen geglaubt hatte, wirklich gab – oder enttäuscht? Er dachte eine Weile über diese Frage nach, kam aber zu keinem befriedigenden Ergebnis.

»Jedenfalls ist es kein Raumschiff von der Wega«, sagte Dirkhoff augenzwinkernd.

Thomas rang sich ein halbherziges Lächeln ab und sah zu Boden. Er war sich noch nicht ganz darüber im klaren, ob ihm dieser Professor nun sympathisch war oder nicht. Auf der einen Seite hatte er eine herzerfrischende, nette Art, aber Thomas mochte es auch nicht, wenn jemand in seinen Gedanken scheinbar wie in einem offenen Buch lesen konnte.

Das Essen wurde gebracht, und für eine Weile schlief das Gespräch am Tisch ein. Thomas stellte bestürzt fest, daß er – ebenso wie sein Vater – gebackenen Hummer in einer hellen, salzig schmeckenden Sauce bestellt hatte. Aber als er Vaters Blick begegnete, zog er es vor, die Zähne zusammenzubeißen und das Schalentier, dessen aufgestellte Stielaugen ihn spöttisch zu mustern schienen, tapfer herunterzuwürgen. Es schmeckte nicht einmal sonderlich gut.

Das Essen schien endlos anzudauern. Nach dem Hummer gab es eine unidentifizierbare gelbe Pampe, die er ebenso tapfer hinunterschlang, dann Pudding und schließlich noch Erdbeeren mit Schlagsahne, das einzige, was er mit Appetit aß. Aber auch danach machten weder sein Vater noch die anderen irgendwelche Anstalten, vom Tisch aufzustehen. Im Gegenteil: Sie bestellten Wein und begannen fast sofort wieder, miteinander zu diskutieren.

Thomas fühlte sich zunehmend von Müdigkeit gepackt. Er gähnte hinter vorgehaltener Hand, sah auf die Uhr und dann seinen Vater sehnsüchtig an. Aber der war so in seine Fachsimpeleien vertieft, daß er seinen Sohn vollkommen vergessen zu haben schien.

Nicht so Dirkhoff. Er bemerkte Thomas' Blick und räusperte sich so lautstark, daß sein Vater die Unterhaltung unterbrach und fragend aufsah.

»Es ist spät«, sagte Dirkhoff. »Ich schlage vor, wir verlegen den Rest unserer kleinen Diskussion in die Hotelbar und unseren jungen Freund hier« – und damit deutete er lächelnd auf Thomas – »ins Bett.«

Thomas gönnte ihm einen dankbaren Blick, und sein Vater sah mit einem Male ganz schuldbewußt aus. »Natürlich«, sagte er. »Es ist ja schon fast elf! Du mußt hundemüde sein, Thomas.« Er stand auf. »Ich bringe dich nach oben.«

Thomas schüttelte schwach den Kopf und unterdrückte mit letzter Kraft ein Gähnen. Hundemüde war gar kein Ausdruck. Er mußte sich zusammenreißen, um nicht gleich hier am Tisch einzuschlafen.

»Laß nur«, sagte er. »Ich finde den Weg schon allein. Bleib ruhig bei deinen Kollegen.« Er erhob sich ebenfalls, nickte noch einmal zum Abschied und ging dann rasch zum Ausgang hinüber. Sein Vater sah ihm stirnrunzelnd nach. Aber immerhin war Thomas kein Säugling mehr, den man auf Schritt und Tritt bemuttern mußte.

Er betrat die Liftkabine, drückte auf den obersten Knopf und wartete, bis die Türen zugeglitten und der Aufzug losgefahren war. Seine Augen brannten, und er fühlte sich mit einem Male so müde, daß er sich gegen die Kabinenwand lehnen mußte. Was war nur mit ihm los? Er hatte eine anstrengende Reise hinter sich und hatte ein Recht, müde zu sein. Aber das …

Er wußte hinterher kaum mehr, wie er sein Hotelzimmer erreicht hatte. Mit letzter Kraft öffnete er die Tür, wankte zum Bett und ließ sich der Länge nach darauf fallen.

Aber seltsamerweise schlief er nicht ein. Er fiel in eine Art Trance, etwas, das dem Schlaf sehr, sehr nahekam und in dem sich Wirklichkeit und Traum bereits sacht zu vermischen begannen, aber er schlief nicht wirklich ein. Sein Kopf begann zu dröhnen. Er warf sich unruhig auf dem Bett hin und her, und ein paarmal war ihm, als huschten Schatten durch das Zimmer.

Dann, übergangslos, war er wieder hellwach.

Er fuhr hoch, blinzelte verwirrt und sah auf die Leuchtziffern der Uhr, die neben der Tür hing. Es war lange nach Mitternacht. Unwillkürlich drehte er den Kopf, aber das Bett neben ihm war leer. Vater saß wohl noch mit seinen Kollegen unten an der Bar und diskutierte darüber, warum zwei und zwei vier und auf keinen Fall fünf ergaben, und wahrscheinlich würde es auch noch Stunden dauern, ehe er endlich heraufkam.

Thomas setzte sich vollends auf, schwang die Beine vom Bett und gähnte ausgiebig. Seine Müdigkeit war verflogen, so übergangslos, wie sie gekommen war. Ihm fiel auf, daß er noch vollständig angezogen war, einschließlich Schuhe und Jackett. Er stand auf, ging zum Schrank und nahm einen Schlafanzug vom Regal. Dann schlurfte er ins Bad, um sich umzuziehen.

Das Licht funktionierte nicht. Er betätigte ein paarmal den Schalter, sah mißmutig zur Decke hinauf und ging in den Wohnraum zurück. Als er am Fenster vorbeikam, sah er unwillkürlich nach draußen. Der Himmel war leer; natürlich. Vermutlich würde er das ominöse UFO weder an diesem noch an einem der folgenden Tage noch einmal zu Gesicht bekommen. Und wenn doch – nun, wahrscheinlich hatte Dirkhoff recht, und es handelte sich wirklich um eine Luftspiegelung oder ein harmloses Nordlicht.

Er zog sich um, hängte seine Kleider ordentlich über einen Stuhl und legte sich wieder aufs Bett.

Aus dem Badezimmer ertönte ein Geräusch.

Thomas hob verwundert den Kopf, lauschte einen Moment angestrengt und ließ sich dann wieder zurücksinken. Er mußte sich getäuscht haben.

Das Geräusch wiederholte sich, und diesmal war er sicher, es sich nicht bloß eingebildet zu haben. Er setzte sich auf, sah eine halbe Sekunde nach dem Telefon auf dem Nachtschränkchen und entschied dann, daß es vermutlich ratsamer war, zuerst selbst nach dem Rechten zu sehen, als wegen einer klopfenden Wasserleitung oder eines tropfenden Hahns das halbe Hotel zu alarmieren und sich womöglich bis auf die Knochen zu blamieren.

Als er aus dem Bett stieg, sah er das Licht. Es drang aus dem Schlüsselloch und unter der Badezimmertür hervor, ein grünlicher, flackernder Schein, der langsam wie träge fließendes Wasser über den Teppich und auf ihn und das Bett zukroch.

Thomas war vor Schrecken wie gelähmt. Er wollte herumfahren und davonstürzen, aber er konnte es nicht. Das grüne Licht erreichte das Bett, zeichnete seine Umrisse mit flirrenden hellen Linien nach und kroch weiter, erreichte seine Zehen, seine Füße und begann langsam an seinen Waden emporzukriechen. Ein kribbelndes, nicht einmal unangenehmes Gefühl machte sich in Thomas' Beinen breit.

Wieder ertönte aus dem Bad ein leises Poltern. Und dann senkte sich ganz, ganz langsam die Türklinke.

Thomas' Herz machte einen schmerzhaften Sprung. Das grüne Licht füllte das Zimmer nun vollständig aus und legte flimmernde Heiligenscheine um jeden Gegenstand. Aber dafür hatte er kaum noch einen Blick. Wie gebannt starrte er vielmehr auf die Badezimmertür, die sich langsam, Zentimeter für Zentimeter öffnete und den Blick in den dahinter liegenden Raum freigab. Er wollte schreien, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Und irgendwie schien von dem grünen Licht nicht nur eine lähmende, sondern zugleich eine beruhigende Wirkung auszugehen. Er hatte Angst, aber ohne daß er einen logischen Grund dafür hätte angeben können, wußte er, daß er nicht in Gefahr war.

Die Badezimmertür hatte sich mittlerweile ganz geöffnet, und Thomas konnte erkennen, daß der Raum von brodelndem Licht und hellen Nebelschwaden erfüllt war. Etwas Dunkles, Großes begann sich in seinem Zentrum zu bilden, ein langgestreckter, schimmernder Umriß, ein … ein Mensch!

Thomas wußte nicht, wie lange es gedauert hatte, bis die Umrisse klar erkennbar waren. Sein Zeitgefühl war vollkommen erloschen. Aber er ahnte, daß es nur wenige Augenblicke gewesen sein konnten, obwohl es ihm wie Stunden vorkam. Der Mann blieb noch einen Moment reglos im Bad stehen und trat dann mit ruhigen Schritten ins Zimmer.

Thomas betrachtete ihn ohne Furcht. Der Mann – wenn es ein Mann war – war nur wenig größer als er selbst, aber viel breitschultriger und massiger. Er trug einen einteiligen Anzug aus weichem, silbrig schimmerndem Stoff, der seinen Körper vollkommen einhüllte und scheinbar nahtlos mit Handschuhen und Stiefeln aus dem gleichen Material verschmolz. Sein Kopf verbarg sich unter einem runden, ebenfalls silberfarbigen Helm, dessen Visier aus verspiegeltem Glas zu bestehen schien, so daß sein Gesicht nicht zu erkennen war. Ein wuchtiger, viereckiger Tornister auf dem Rücken und ein breiter Gürtel, in dem eine Unzahl verschiedener Dinge – darunter auch so etwas wie eine Waffe – steckten, vervollständigten die Ausrüstung.

Thomas begriff erst nach einer Weile, daß die Gestalt genau das trug, was man sich im allgemeinen unter einem Raumanzug vorstellte.

Minutenlang standen sie sich reglos gegenüber und starrten sich an, und Thomas hatte plötzlich das unbehagliche Gefühl, daß ihn die Augen hinter dem blitzenden Visier spöttisch musterten. Obwohl er das Gesicht des Fremden nicht sehen konnte, spürte er einfach, daß dieser Mann ihn mit einem einzigen Blick durchschaute, bis in die tiefsten Winkel seiner Seele sah und selbst seine allergeheimsten Gedanken und Wünsche erriet.

Dann, nach einer Ewigkeit, hob der Fremde die Hand und deutete zum Fenster. Thomas wandte sich gehorsam um, öffnete die Tür und trat auf den Balkon hinaus. Der eisige Wind schlug ihm ins Gesicht, aber er spürte die Kälte kaum. Auch davor schien ihn das grüne Licht zu schützen.

Er war nicht einmal überrascht, als es geschah.

Die Luft vor dem Balkon begann zu flimmern. Ein großer, unglaublich großer Schatten bildete sich, verschwamm für einen kurzen Moment und nahm dann immer rascher Form an. Wo Sekunden zuvor noch leere Luft gewesen war, hing plötzlich eine gewaltige, silberfarbige Scheibe.

Das UFO!

Thomas betrachtete es ein paar Sekunden lang mit fast wissenschaftlicher Neugier, ehe er, einem stärkeren als seinem eigenen Willen gehorchend, auf die Balkonbrüstung zuschritt. Das Schiff war riesig: ein flacher Diskus mit einem Durchmesser von sicherlich fünfzig Metern und mehr als zehn Metern Höhe. Obenauf saß eine halbrunde, glänzende Kuppel, hinter der er vage Schatten wahrzunehmen glaubte. Rings um den äußeren Rand der Scheibe verlief eine Kette kleiner runder Öffnungen, durch die milchiges Licht herausschimmerte; Fenster wahrscheinlich.

Er kletterte auf die Balkonbrüstung und blieb stehen. Unter ihm lagen einundzwanzig Stockwerke Nichts und dann der Beton der Straße, aber er fühlte auch jetzt keine Furcht. Ohne zu zögern, trat er ins Nichts hinaus. Ein Band flirrenden grünen Lichts schoß aus dem UFO heraus und bildete unter seinen Füßen eine Brücke, über die er sicher über den Abgrund gehen konnte. Thomas konnte keinerlei Risse oder Fugen in der glänzenden Außenhaut des UFOs erkennen, aber als er näher kam, war plötzlich vor ihm ein ovaler Eingang. Er senkte den Kopf, trat hindurch und blieb stehen. Hinter ihm schloß sich die Wand so lautlos, wie sie sich geöffnet hatte. Der Boden unter seinen Füßen bebte sacht, und Thomas wußte plötzlich, daß das Schiff nicht mehr reglos vor dem Hotel schwebte, sondern mit phantastischer Geschwindigkeit dorthin zurückjagte, wo es hergekommen war.

Und langsam, ganz langsam nur, begann er zu begreifen, daß sein Abenteuer nicht beendet war, sondern gerade erst angefangen hatte.

2. Kapitel

Lange Zeit stand er reglos in der winzigen Kammer. Das grüne Leuchten umfloß seinen Körper wie ein Mantel aus Licht, und der Boden unter seinen Füßen begann stärker zu beben. Ein heller, singender Ton lag in der Luft, ein Geräusch, das eigentlich in den Ohren hätte schmerzen müssen, es aber nicht tat. Nach einer Weile begann das Grüne Licht, zu verblassen, erlosch jedoch nicht vollständig, sondern blieb weiter als sanfter Schimmer in der Lufthängen.

In der Wand vor ihm bildete sich ein Spalt. Mildes, blaues Licht schien in die Kammer. Die Tür glitt vollends auf und gab den Blick auf einen niedrigen, sanft gekrümmten Gang frei, der tiefer in das Raumschiff hineinführte. Als Thomas zögerte, der stummen Einladung Folge zu leisten, leuchtete vor ihm in der Luft ein gelber Pfeil auf, der sich langsam in Bewegung setzte. Thomas folgte dem Pfeil.

Er hatte noch immer keine Angst, und er wunderte sich fast selbst darüber. Aber in seinem Innern war noch immer dieses seltsame, vollkommen unbegründete Gefühl der Sicherheit.

Der Pfeil glitt lautlos vor ihm her und paßte seine Geschwindigkeit der seiner Schritte an. Thomas ging absichtlich langsam, um jede noch so winzige Kleinigkeit in seiner Umgebung genau in Augenschein nehmen zu können. Viel gab es allerdings nicht zu sehen: Die Wände des Ganges waren vollkommen glatt und bestanden aus dem gleichen, mattblau schimmernden Material, aus dem das ganze Schiff gefertigt zu sein schien. Es gab keine sichtbaren Türen oder andere Öffnungen, auch keine Schalttafeln und Computerkonsolen, wie er halbwegs erwartet hatte.

Nach einer Weile hielt der Pfeil an, drehte sich langsam um neunzig Grad, so daß seine Spitze genau auf die linke Seitenwand des Ganges deutete, und erlosch. Eine weitere Tür öffnete sich, und Thomas trat ohne weitere Aufforderung hindurch. Der Raum, in den er kam, unterschied sich in Größe und Form kaum von der Kammer, in der er zu Anfang gewesen war. Nur an der gegenüberliegenden Wand gab es etwas, das Thomas vage an eine Schalttafel erinnerte. Darüber hing etwas an der Wand, das wie ein leerer Bilderrahmen aussah.

Der ›Bilderrahmen‹ begann, sich plötzlich mit grauem Nebel zu füllen, und dann hatte er den Eindruck, in einen weiteren, viel größeren Raum zu blicken. Der ›Bilderrahmen‹ war in Wirklichkeit ein Bildschirm, und die bunten Farbflecke darunter stellten wohl so etwas wie Schalter dar.

Aber Thomas kam nicht mehr dazu, weiter darüber nachzudenken. Seine Aufmerksamkeit wurde ganz von dem in Anspruch genommen, was sich auf dem Bildschirm abspielte. Der Raum, in den er blickte, mußte die Kommandozentrale des Raumschiffes sein – ein gewaltiger runder Dom, dessen Wände ganz aus Glas oder einem anderen durchsichtigen Material zu bestehen schienen, so daß man durch sie hindurch in den freien Weltraum sehen konnte. Gestalten in silbernen Anzügen huschten geschäftig durch das Bild. Nach einer Weile blieb eine von ihnen stehen, wechselte ein paar Worte mit jemandem, den Thomas nicht sehen konnte, und kam dann so weit auf die Kamera zu, daß sein Helm fast den gesamten Bildausschnitt in Anspruch nahm.

Thomas fühlte eine leichte Enttäuschung, daß er das Gesicht des Fremden nicht erkennen konnte. Er trug die gleiche Art von Helm wie der Mann, dem er in seinem Hotelzimmer begegnet war, und wieder hatte Thomas das Gefühl, von einem Paar alles durchdringender Augen gemustert zu werden.

»Sei gegrüßt, Thomas«, sagte der Mann. Seine Stimme klang weich, aber gleichzeitig auch etwas künstlich, so, als spräche dort nicht ein Mensch, sondern eine Maschine. Trotzdem war sie nicht unangenehm.

Thomas nickte zaghaft und suchte nach einer passenden Antwort, fand aber keine. Doch der Fremde schien auch nicht damit gerechnet zu haben.

»Ich hoffe, du verzeihst uns die Unannehmlichkeiten, die wir dir bereiten mußten«, fuhr er nach einer Pause fort. »Aber es war unumgänglich, um dich unauffällig an Bord nehmen zu können.«

»Was … was wollen Sie von mir?« fragte Thomas stockend. »Wo bin ich, und wer sind Sie?« Die Worte kamen ihm selbst albern vor, aber es waren die besten, die ihm im Moment einfielen.

»Du bist an Bord des Raumschiffes HEDONIA«, antwortete der Mann. »Und mein Name ist Xertal. Ich bin das, was du einen Kommandanten nennen würdest.«

Thomas nickte. Irgend etwas begann sich in seinem Inneren zu regen, eine leise, warnende Stimme, die ihm zuflüsterte, daß hier irgend etwas nicht stimmte, aber sie verstummte fast augenblicklich wieder. Das grüne Leuchten war stärker.

»Deine erste Frage ist nicht ganz so einfach zu beantworten«, fuhr Xertal fort. »Aber wir haben Zeit genug, um über alles zu reden, ehe wir auf Eridiani aufsetzen. Vorerst versichere ich dir, daß du nichts zu befürchten hast. Du bist bei Freunden.«

Thomas nickte erneut. »Das glaube ich«, sagte er verwirrt. »Aber ich …«

Xertal schnitt ihm mit einer raschen Handbewegung das Wort ab. »Ich werde gebraucht, Thomas«, sagte er. »Das Schiff wird in wenigen Augenblicken die Erdumlaufbahn verlassen und in den Hyperraum gehen. Nach dem Übertritt werde ich dich persönlich aufsuchen und dir alles erklären. Bis dahin bitte ich dich um Geduld. In wenigen Augenblicken wird einer unserer Roboter bei dir erscheinen und dich in deine Unterkunft bringen. Du brauchst keine Furcht vor ihm zu haben.«

Der Bildschirm erlosch, noch bevor Thomas Gelegenheit zu weiteren Fragen hatte, und vor ihm hing plötzlich wieder nur der leere Rahmen. Einen Moment lang sah er, verwirrt, aber auch ein bißchen wütend, auf die mattschimmernde Wand, dann streckte er die Hand nach den Farbflecken unterhalb des Schirmes aus.

Die Tür hinter seinem Rücken glitt auf, und ein mächtiger dunkler Schatten fiel in die Kammer. Thomas drehte sich herum und fuhr unwillkürlich zurück, als er den Roboter sah.

Die Maschine war gewaltig. Ihr Körper hatte die Form einer schlanken, an die zwei Meter hohen Tonne und bestand aus dem gleichen, bläulichen Material wie das Schiff. Zwei lange, fast schon lächerlich dünne Arme hingen bis fast auf den Boden herab, und oben auf der Tonne saß ein winziger Kopf mit einem einzigen, in sanftem Gelb leuchtenden Auge. Das Ding hatte keine Beine, sondern schwebte schwerelos zwei Handbreit über dem Boden.

»Folge mir, Thomas«, sagte der Roboter. Er sprach mit der gleichen sanften und ein wenig synthetisch klingenden Stimme wie zuvor Xertal, und sein einziges Auge flackerte wie eine Lichtorgel im Rhythmus seiner Worte.

Thomas rührte sich nicht. Nervös sah er von der Maschine zum ›Bilderrahmen‹, aber der Schirm leuchtete nicht wieder auf.

»Ich bringe dich in dein Quartier«, fuhr die Maschine nach einer Weile fort. »Es besteht kein Grund zur Furcht. Mein Äußeres mag erschreckend auf dich wirken, aber ich bin nur eine Maschine und darauf programmiert, dir und den anderen zu Diensten zu sein.«

Thomas rührte sich noch immer nicht. »Wer … wer bist du?« fragte er stockend.

»Ich habe keinen Namen«, antwortete der Roboter. »Aber die anderen nennen mich Max. Du kannst dabei bleiben, wenn er dir gefällt.«

Max … ein seltsamer Name für einen Roboter, fand Thomas. Er machte einen Schritt auf den Ausgang zu, blieb plötzlich abermals stehen und sah den schwebenden Koloß nachdenklich an. Es war jetzt schon das zweite Mal, daß Max die ›anderen‹ erwähnt hatte.

»Von welchen anderen sprichst du?« fragte er. »Soll das heißen, daß ich nicht der einzige bin, den ihr entführt habt?«

»Es sind noch mehr Erdenmenschen an Bord, ja«, bestätigte Max. »Fünf Gruppen zu jeweils vier, dich mitgerechnet. Und nun komm. Das Schiff wird in wenigen Minuten die Lichtmauer durchbrechen. Es ist sicherer, wenn du dann in deiner Unterkunft bist.« Der Roboter glitt lautlos zurück, drehte sich um und schwebte vor Thomas den Gang hinunter. Das helle Summen, das ihn seit Betreten des Schiffes begleitet hatte, schien sich zu verstärken, und er konnte spüren, wie irgendwo tief unter seinen Füßen gewaltige Maschinen anliefen.

»Lichtmauer …«, murmelte er verwirrt. Wenn das sein Vater miterleben könnte!

»Der Ausdruck ›Lichtmauer‹, erklärte Max, der über ein ausgesprochen scharfes Gehör zu verfügen schien, »ist irreführend. Aber die physikalischen Vorgänge beim Überschreiten der Lichtgeschwindigkeit sind äußerst kompliziert. Es würde zu weit führen, sie jetzt erklären zu wollen. Deshalb ist es am besten, du begnügst dich vorerst mit diesem Wort. Später ist Zeit, alles genauer zu erklären.«

Der Roboter hielt an und deutete mit einem seiner dünnen biegsamen Arme auf die Wand. Eine Tür öffnete sich, und Thomas trat zögernd hindurch. Max machte keine Anstalten, ihm zu folgen. Hinter ihm verschwand die Öffnung wieder.

Der Raum, in den er kam, ähnelte mehr einem gemütlichen Spiel- und Wohnzimmer als der Kabine eines Raumschiffes. Er war vielleicht vier mal fünf Meter groß und hatte eine niedrige, sanft gekrümmte Decke. Farbige Kunststoffmöbel standen in einer Art geordnetem Chaos auf dem Boden herum. An der gegenüberliegenden Wand war eine riesige Schalttafel und ein weiterer, größerer ›Bilderrahmen‹.

Und außerdem waren noch drei Menschen im Zimmer.

Thomas blieb unmittelbar hinter der Tür stehen und sah die drei forschend an. Es waren zwei Jungen und ein Mädchen, alle drei etwa genauso alt wie er. Sie schienen nicht im mindesten erstaunt zu sein, ihn zu sehen, sondern wirkten im Gegenteil wie Menschen, die ungeduldig auf etwas gewartet hatten.

»Hallo«, sagte Thomas schüchtern.

Einer der beiden Jungen – der größere – winkte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung zu sich heran und deutete auf einen freien Stuhl. »Setz dich«, sagte er. »Gleich wird's ein bißchen wackelig.«

Thomas gehorchte und nahm auf einem der bunten Kunststoffstühle Platz. Sie sahen unbequem aus, waren aber wunderbar weich und schienen sich seinem Körper wie eine zweite Haut anzupassen.

Der Junge, der ihn aufgefordert hatte, sich zu setzen, lächelte flüchtig, als er den verwunderten Ausdruck auf seinen Zügen registrierte. »Toll, die Dinger, nicht?« sagte er. »Aber du wirst noch mehr Sachen kennenlernen, von denen du vor einer halben Stunde noch nicht einmal geträumt hast.«

Thomas nickte zaghaft. Der Boden begann stärker zu zittern, und das helle Singen wurde für einen Moment so laut, daß eine Unterhaltung nicht mehr möglich war. Thomas nutzte die Zeit, um seine drei ›Mitgefangenen‹ etwas eingehender zu betrachten. Der Junge, mit dem er bereits gesprochen hatte, war etwas größer als er, dunkelhaarig und so schlank, daß man schon fast von dürr sprechen konnte. Er hatte ein schmales, fast mädchenhaft geschnittenes Gesicht, in dem die Sommersprossen irgendwie fehl am Platze wirkten. Er trug Jeans und ein dunkelrot kariertes Baumwollhemd, das nicht so recht zu seiner Erscheinung paßte.

Der andere war etwas kleiner, blond und von kräftiger Statur. Seine Augen blinzelten ununterbrochen, und sein Gesicht war etwas zu breitflächig, um noch gut auszusehen. Auch er trug Jeans und Hemd, dazu ein Paar rote Cowboystiefel und ein schreiend buntes Halstuch.

Am meisten staunte Thomas über das Mädchen. Es war eine Asiatin – Chinesin oder Japanerin vielleicht –, hatte langes, schwarzes, in Zöpfe geflochtenes Haar und wache Augen, die ihn die ganze Zeit amüsiert zu mustern schienen. Auch sie trug Jeanshosen und ein buntgemustertes Wollhemd.

Thomas fiel plötzlich ein, daß er noch immer den hellblauen Pyjama trug, den er angezogen hatte, bevor ihn das grüne Licht überfiel. Er sah an sich herab und spürte, wie er rot anlief.

Nach einer Weile verklang das Singen, und der Boden hörte auf zu beben.

»Kein Grund, rote Ohren zu bekommen«, sagte der schwarzhaarige Junge lächelnd. »Wir waren auch nicht wesentlich eleganter gekleidet, als wir an Bord kamen. Unser Freund Max wird dir sicher nachher andere Sachen bringen. Es gibt aber nur Jeans und karierte Hemden. Muß der letzte Schrei in der Galaxis sein.«

Thomas sah den Jungen mit wachsender Verwirrung an. Sie befanden sich auf einem Raumschiff und rasten jetzt vermutlich schon mit zigfacher Lichtgeschwindigkeit durch den Weltraum, und sie saßen hier und unterhielten sich über Kleider! Aber schließlich verspürte auch er diese vollkommen unbegründete Ruhe, eine Gelassenheit, die der Situation ganz und gar nicht angemessen schien.

»Mein Name ist übrigens Boris«, fuhr der Junge fort »Das da« – er deutete zuerst auf den anderen Jungen, dann auf das Mädchen – »sind Stephen und Tai Lin. Und du?«

»Thomas«, sagte Thomas. »Die meisten sagen nur Tom zu mir.« Das war glatt gelogen, aber Dirkhoffs Abkürzung hatte ihm gefallen, und außerdem erschien ihm der Name in ihrer Lage irgendwie passender.

»Woher kommst du?« fragte Boris. »Ich meine – aus welchem Land?«

»Deutschland«, antwortete Thomas. »Mein Vater hat mich mitgenommen, als er zu diesem Kongreß …«

Boris winkte ab. »Geschenkt, Tom. Wir stammen aus dem gleichen Stall. Dieser Xertal muß das ganze Hotel abgegrast haben. Ich komme aus Minsk. Stephens Vater ist aus New York angereist, und Tai Lins Eltern sind gerade gestern aus Peking gekommen.«

»Minsk?« wiederholte Thomas ungläubig. »Aus Rußland?«

Boris nickte. »Eine gute Mischung, nicht?«

»Wieso sprichst du so gut Deutsch?« erkundigte sich Thomas.

Boris begann zu lachen, und ohne daß Thomas einen logischen Grund dafür sah, stimmten auch Stephen und Tai Lin für einen Moment ein.

»Was ist daran so komisch?« fragte Thomas beleidigt.

»Nichts«, sagte Boris. »Aber genauso gut könnte ich dich fragen, wieso du so gut Russisch sprichst. Oder Chinesisch.«

Thomas verstand immer weniger. »Wie … wie meinst du das?« fragte er.

»Ich spreche kein Wort deutsch«, erklärte Boris. »Auch jetzt nicht. Ich weiß nicht, wie sie es machen, aber jeder von uns redet in seiner Heimatsprache, und trotzdem können ihn die anderen verstehen. Und er sie. Diese Galaktiker haben schon was auf dem Kasten.«

»Galaktiker?« wiederholte Thomas stirnrunzelnd.