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Das Jahrbuch der NachDenkSeiten fasst die wichtigsten politischen Themen des Jahres 2016 zusammen mit Nachrichten, Analysen und Hintergrundinformationen, die im Medienmainstream sonst nicht zu hören oder zu sehen sind. Das Jahrbuch soll anregen zum Nachdenken mit dem Ziel, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger immer weniger bereit sind, sich von skrupelloser Manipulation und willfähriger Meinungsmache bevormunden zu lassen.
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Seitenzahl: 324
Ebook Edition
Albrecht MüllerJens Berger
Nachdenken über Deutschland
Das kritische Jahrbuch 2016/2017
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ISBN 978-3-86489-656-9
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2016
Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich
Wirklich? Darüber aufzuklären ist heute eines der tragenden Motive unserer Arbeit – mit diesem Buch wie auch seiner Basis, der kritischen Internetseite www.nachdenkseiten.de. Seit fast 13 Jahren versuchen wir aufzuklären. Seit etwa zwei Jahren hat sich der Akzent von der wirtschaftspolitischen Seite des Geschehens etwas in Richtung Krieg und Frieden verlagert. Das ist nicht mutwillig so geschehen. Es folgt der aktuellen Bedrohung.
Warum ist das Thema leider aktuell?
Die Kriegsgefahr ist größer geworden. Auf den Seiten 47–49 dieses Buches wird in zehn Punkten erläutert, warum das Kriegsrisiko gestiegen ist. An der Spirale der Kriegshetze und Kriegsvorbereitung wird ständig weitergedreht. »Die Bevölkerung wird angehalten, einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln von zehn Tagen vorzuhalten«, heißt es in der »Konzeption zivile Verteidigung«, die das Bundesinnenministerium erarbeitet hat.
Den meisten von uns kommt diese Art von Kriegsvorbereitung lächerlich vor. Das ist es wohl auch, angesichts der drohenden Gefahr eines Atomkriegs in Europa. Aber sehr viele Menschen in Deutschland halten diese Gefahr entweder für nicht gegeben, oder sie haben sich an Kriege schon gewöhnt. Für jemanden wie mich, der den Zweiten Weltkrieg mit all seinem Elend als Kind noch miterlebt hat, ist es atemberaubend, jetzt zu beobachten, mit welcher Leichtigkeit Kriege als führbar und als hilfreich für die Lösung politischer Probleme und Konflikte betrachtet werden.
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zumindest einen Hoffnungsschimmer. Unter dem Eindruck der großen Zerstörung und angesichts der systematischen Vernichtung von Millionen Menschen im Krieg und aus rassistischer Verblendung haben zumindest einige politisch engagierte Personen in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts begonnen, für Verständigung und Versöhnung zu arbeiten. Andere haben schon damals und bis weit hinein in die sechziger Jahre die Feindschaft gegenüber dem Osten gepflegt und den Kalten Krieg angeheizt.
Plakate der abgebildeten Art entstanden damals in den Reihen dieser auf Konfrontation und auf rassistischen Vorurteilen aufbauenden Politik des Westens. CDU, CSU und NPD haben sich des Motivs eines drohenden Sowjetsoldaten bedient.
Glücklicherweise haben sich dann Ende der sechziger Jahre jene Kräfte durchgesetzt, die auf Versöhnung und Zusammenarbeit setzten. Sie haben systematisch Vertrauen aufgebaut und die Versöhnung mit allen Völkern des Ostens erreicht. Auf westlicher Seite waren das neben einigen US-Amerikanern, dem Schweden Olof Palme und dem Österreicher Bruno Kreisky vor allem Deutsche: Willy Brandt, Egon Bahr, Walter Scheel, Helmut Schmidt, und auch Helmut Kohl. Oppositionelle in der damaligen DDR haben mitgewirkt und dann sogar der Generalsekretär der sowjetischen KP, Gorbatschow. 1989 haben wir dann alle aufgeatmet und waren froh über den Erfolg einer strategisch angelegten Politik: der Entspannungspolitik.
Darauf, auf Versöhnung und Zusammenarbeit, auf Strukturen gemeinsamer Sicherheit hofften wir auch unsere Sicherheit aufbauen zu können – nicht auf Militär und Rüstung. Auf gemeinsamen Verabredungen zwischen West und Ost, wie sie dann auch mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und der nachfolgenden OSZE geschaffen worden sind.
Unsere Partner in Russland, auch Präsident Putin, haben zu dieser Politik des Sichvertragens und der Zusammenarbeit auch noch zu einem Zeitpunkt gestanden, als der Westen unter Führung der USA schon lange auf Konfrontation umgeschaltet hatte. Anders als bei der Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands vereinbart, wurde die NATO nicht nur auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgedehnt, sondern weiter bis an die Grenze Russlands herangeschoben. 1999führte die NATO mit Beteiligung Deutschlands, trotz der Warnungen aus Moskau und bei Bruch des Völkerrechts, Krieg gegen das Restjugoslawien.
Das hat die Führung Russlands nicht davon abgehalten, immer noch für friedliche Zusammenarbeit zu werben – so Putin zum Beispiel im Deutschen Bundestag am 25. September 2001 in einer auf Deutsch gehaltenen Rede. Dabei kam er an mehreren Stellen auf das Projekt der gemeinsamen Sicherheit zu sprechen. Ich zitiere:
»Die Welt befindet sich in einer neuen Etappe ihrer Entwicklung. Wir verstehen: Ohne eine moderne, dauerhafte und standfeste internationale Sicherheitsarchitektur schaffen wir auf diesem Kontinent nie ein Vertrauensklima und ohne dieses Vertrauensklima ist kein einheitliches Großeuropa möglich. Heute sind wir verpflichtet, zu sagen, dass wir uns von unseren Stereotypen und Ambitionen trennen sollten, um die Sicherheit der Bevölkerung Europas und die der ganzen Welt zusammen zu gewährleisten. …
Ich bin überzeugt: Wir schlagen heute eine neue Seite in der Geschichte unserer bilateralen Beziehungen auf und wir leisten damit unseren gemeinsamen Beitrag zum Aufbau des europäischen Hauses.«
Wer sich mit dem Verhältnis zwischen West und Ost beschäftigen will, wer verstehen will, welche gefährliche Entwicklung seit gut 20 Jahren eingeschlagen wird, sollte die zitierte Rede Präsident Putins im Deutschen Bundestag lesen oder anhören. Man versteht danach besser, wie sehr Russland und die Russen davon betroffen sind, wie leichtfertig von westlicher Seite die ausgestreckte Hand ausgeschlagen wird.
Als Putin 2001 im Deutschen Bundestag redete, hatten die westliche Führungsmacht USA und die NATO schon lange das Ziel und die Strategie ihrer Politik geändert. Von gemeinsamer Sicherheit war da keine Rede mehr. Die heute gültige Vorstellung entspricht der Idee eines Imperiums, dem sich andere unterzuordnen haben oder mit militärischer Gewalt dazu gezwungen werden.
Von Afghanistan bis Libyen und Mali brennt der Nahe und Mittlere Osten und Nordafrika. Wertvolles Kulturerbe ist zerstört worden, Millionen Menschen sind vertrieben, getötet und ermordet worden. Mit dem Konflikt in der Ukraine ist diese Politik in die Nähe Europas gerückt. Trotz der näher rückenden militärischen Gewalt sehen offensichtlich viele Menschen in unserem Land keine unmittelbare Kriegsgefahr. Und wenn schon, dann sind nicht wir, der Westen, verantwortlich für die gefährliche Entwicklung, verantwortlich ist Russland – so die öffentliche Wahrnehmung und vor allem die in den Medien veröffentlichte Meinung.
Nahezu alle wichtigen Medien in Deutschland machen mit beim Aufbau des neuen Feindbildes: FAZ und taz, Zeit und Bild, Süddeutsche Zeitung und Welt, ARD, ZDF und die privaten Sender ohnehin. Es ist erschreckend, dass innerhalb eines kurzen Zeitraums die tatsächliche Lage in der Welt und auch die Stimmungslage so verändert werden können.
Das deutsche Volk war lange Zeit resistent gegen den Aufbau eines neuen Feindbildes. »Nie wieder Krieg« war eine geläufige Parole. Ob das hält, ist sehr zu bezweifeln.
Die Reihe, in der dieses Buch erscheint, ist aufgelegt worden und die NachDenkSeiten sind 2003 gegründet worden, um aufklärend zu wirken; das heißt im konkreten Fall, um das kritische Bürgertum – vom Arbeiter bis zur leitenden Angestellten, von Schülern bis zu Rentnern – mit Informationen zu versorgen und zu einer kritischeren Begleitung des Geschehens zu raten.
Ob wir damit noch erfolgreich sind, ob es sich lohnt, diese Anstrengungen zur Aufklärung zu machen, das müssen wir uns täglich fragen. So ganz klar zu beantworten ist diese Frage nicht. Die Antwort wird sehr davon abhängen, ob wir Sie, unsere Leserinnen und Leser noch zum Zweifeln animieren können. »Mit dem Wissen wächst der Zweifel«, meinte Goethe. Sind wir noch bereit, uns gut zu informieren und dann zu zweifeln?
Außer Krieg und Frieden gibt es noch viel Anderes, was zu Recht als wichtig betrachtet wird: Arbeit, ein guter Lohn, eine gute Rente, Gerechtigkeit, Gesundheit, eine gute Ausbildung für Kinder und Enkel, der Umgang mit Flüchtlingen. Das alles ist ungeheuer wichtig und wird auf den folgenden Seiten in vielen Beiträgen beleuchtet. Mit diesem Buch stellen wir den Leserinnen und Lesern der NachDenkSeiten wie auch anderen neugierigen Menschen auf Papier gedruckt zur Verfügung, was sie im letzten Jahr auf den NachDenkSeiten lesen konnten.
Albrecht Müller
Herausgeber von www.NachDenkSeiten.de
Dieser Tage scheint es so, als sei der Welt der Wille zum Frieden verloren gegangen. Der Ost-West-Konflikt wird – auch im Interesse der USA – weiter angeheizt, im Nahen und Mittleren Osten herrscht ein erbarmungsloser Krieg mit unklaren Fronten und Allianzen und hierzulande wird die verfassungswidrige Kampfbeteiligung der Bundeswehr in Syrien schulterzuckend hingenommen. Entspannungspolitik war gestern und friedenssichernde Errungenschaften aus der Vergangenheit werden kopflos über Bord geworfen. Die Zeichen stehen heute wieder auf Krieg.
15. Januar 2016 / von Albrecht Müller
Den Jahreswechsel habe ich dazu genutzt, darüber nachzudenken, welche Korrekturen unserer Perspektive in den nächsten Jahren hilfreich sein könnten, um die grassierende Orientierungslosigkeit zu verlassen. Sie sind aus meiner Sicht auch notwendig, nicht nur hilfreich.
Die genannten und im Folgenden zu beschreibenden Themenfelder sind eine persönlich getroffene Auswahl ohne den Anspruch auf Vollständigkeit. Es wird beschrieben, was in den nächsten Monaten und Jahren der Korrektur und zu diesem Zweck auch der öffentlichen Debatte bedarf:
Die gesellschaftspolitische Debatte in unserem Land – und nicht nur hier – ist verengt. Die Behauptung der früheren Premierministerin von Großbritannien, Margaret Thatcher, es gebe keine Alternative zu der von ihr eingefädelten neoliberalen Politik, war und ist hochwirksam. Ihre Formel TINA – »there is no alternative« – hat sich wie Mehltau über die öffentliche Debatte gelegt und bestimmt auch die programmatische Debatte von Parteien, von denen man anderes erwarten könnte und müsste, und erklärt damit übrigens auch den Niedergang der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien.
Sie haben – zum Beispiel mit der Agenda 2010 von Bundeskanzler Schröder – den konservativen, neoliberal orientierten Kräften die Kastanien aus dem Feuer geholt und den Glauben verstärkt, es gäbe keine Alternative zur betriebenen Verschiebung der Einkommen und Vermögen nach oben, zum Aufbau von sogenannten Niedriglohnsektoren, zur Deregulierung und zur Privatisierung bisher öffentlich bereitgestellten Leistungen.
Das Ergebnis ist eine armselige gesellschaftspolitische Diskussion. Man kann deshalb ganz gut verstehen, dass Kritiker aus dem fortschrittlichen Lager »ausgehungert« nach »Systemänderung« rufen. In diesen Ruf einzustimmen wäre sinnvoll, wenn auch nur einigermaßen klar wäre, wie das andere System jenseits des »Kapitalismus« aussehen könnte und ob und wie es funktionieren würde.
Solange das nicht klar ist, bleibt nichts anderes übrig, als nach anderen Alternativen zu suchen. Aus meiner Sicht ist es der alte Dritte Weg, den zu verlassen es keinen sachlichen Anlass gab. Gemeint ist nicht der von Tony Blair, Gerhard Schröder und Anthony Giddens propagierte Dritte Weg des Schröder-Blair-Papiers. Die Nutzung des alten Begriffs durch diese Personen war ein propagandistischer Trick, um dieses etwas gefälliger aufbereitete Thatcher-Programm schmackhaft zu machen. Gemeint ist die ältere und immer noch aktuelle Vorstellung vom »Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus«.
Die Pflastersteine dieses Weges wären (in Stichworten):
Soziale Sicherung gegen die Risiken von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Älterwerden und Arbeitslosigkeit.
Insgesamt eine Rückbesinnung auf Sozialstaatlichkeit und damit auch auf das Grundgesetz.
Korrektur der originären Einkommensverteilung mithilfe der Steuerpolitik.
Korrektur der Vermögensverteilung mithilfe von Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer.
Aktive Beschäftigungspolitik.
Aktive Wettbewerbspolitik, das heißt keine Monopole, keine Oligopole und Kartelle, jedenfalls aktive und effizient angelegte Kontrolle.
Ein starker öffentlicher Sektor. Öffentliche Verantwortung für die Güter der Daseinsvorsorge, für Bildung und Erziehung, für Umweltschutz, für Energieversorgung, für Post und Telekommunikation und – heute – für das Internet.
Regulierung der Finanzmärkte, Bekämpfung der Spekulation statt der üblich gewordenen Belobigung und öffentlichen Rettung der Spekulanten.
Machtkontrolle, deshalb auch Beschränkung der Macht einzelner Medien und Medienkonzerne.
Wiederherstellung der öffentlichen beziehungsweise öffentlich-rechtlichen Verantwortung für die elektronischen Medien.
Was hier als Elemente eines Dritten Weges aufgelistet ist, sind meist alte Bekannte. Das spricht weder gegen ihre Aktualität noch gegen ihre Effizienz und sachliche Richtigkeit. So hat sich beispielsweise die in Ziffer 1 genannte Soziale Sicherung der Altersvorsorge als fairer, gerechter und effizienter erwiesen als die propagierte und eingeführte Privatvorsorge.
Die Debatte des skizzierten Dritten Weges müsste begleitet sein von einer Diskussion der geistigen und ethischen Grundlagen unseres Zusammenlebens.
Mit diesem Weg verbunden ist eine klare Absage an die Kommerzialisierung aller Lebensverhältnisseund der ideologischen Vorstellung, jeder sei seines Glückes Schmied und Egoismus sei das einzig sinnvolle Leitmotiv des Zusammenlebens.
Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl sprach gelegentlich von der »geistig moralischen Erneuerung«. Weil er seine Parole nicht ernst nahm und in der praktischen Politik sogar dagegen anging, wurde nie getestet, ob eine solche Neuorientierung Mehrheiten hinter sich scharen könnte. Heute scheint mir die Orientierungslosigkeit so groß, dass Parteien, Verbände, Medien und auch Blogs, die sich die Neuorientierung weg von TINA zu eigen machen würden, durchaus Chancen hätten.
Darum geht es beim Vorschlag, den Dritten Weg in den nächsten Monaten und Jahren neu zu skizzieren, zu besprechen und zu debattieren. Wir müssen die bornierte Position der Alternativlosigkeit verlassen.
Sind die Vereinigten Staaten von Amerika der Freund und Partner? Oder eher der Imperator, und wir Europäer sind Vasallen mit einem großen Freilauf? Und wir können gar nicht anders, als uns in diese Herrschaft einzufügen?
Es scheint mir an der Zeit, unter uns Europäern offen über diese Fragen zu sprechen und dabei auch abzuwägen, ob wir uns künftig besser aus dem Bündnis mit den USA lösen sollten.
Ein bemerkenswert großer Teil der Verantwortlichen in Politik und Medien wird die aufgeworfenen Fragen eindeutig beantworten: die USA sind unser Partner, unser Freund, sogar unser Sicherheitsgarant. Und so soll es auch künftig bleiben.
Andere sehen das anders. Manche nicht erst jetzt.
Es gibt unter uns Menschen, die beim Vietnamkrieg oder schon lange vorher bei der Debatte um die Wiederbewaffnung und die von Adenauer betriebene Westbindung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg die Politik der USA kritisch sahen.
Meine eigene Perspektive war wie die von vielen meiner Altersgenossen geprägt von guten Erfahrungen und von Dankbarkeit: Befreiung von der Herrschaft des Nationalsozialismus, Schulspeisung, Jazz, Carepakete, freundliche Soldaten und dann die Chance, mit dem American Field Service für ein Jahr in die USA zu reisen und dort in einer Familie zu leben – das prägte unser Bild nach 1945.
Im Kalten Krieg der Nachkriegszeit waren wir gespalten. In der DDR noch einmal anders als im Westen. Bei der Entspannungspolitik machten die USA mit und stützten die deutsche Ostpolitik, jedenfalls zum größeren Teil und wirksam genug. Wir konnten mit ihrer Unterstützung die Vorstellung pflegen, dass es in Europa eine gemeinsame Sicherheit geben könne, dass der Konflikt mit dem Osten einschließlich Russlands beendet sei, dass wir abrüsten könnten und – wie es so schön hieß – die Friedensdividende genießen und beide Blöcke, den Warschauer Pakt und die NATO, beenden könnten. Das war vermutlich schon eine gravierende Täuschung.
Der erwähnte Vietnamkrieg, die vielen Interventionen der USA in Mittel- und Südamerika, die Mitverantwortung für den Tod des gewählten chilenischen Präsidenten Allende und an der Machtübernahme durch Pinochet in Chile, die Unterstützung des Putsches des Schahs in Persien gegen den gewählten Ministerpräsidenten Mossadegh und die Sympathie für die Obristen in Griechenland, vorher schon für Franco in Spanien und Salazar in Portugal. Die USA waren Freunde von Diktatoren, wenn es ihnen in den Kram passte.
Also, ambivalent waren die USA immer, aber man konnte sich – genauer gesagt – man hat sich darauf verlassen, dass im Umgang mit Europa demokratische und auch friedliebende Kräfte am Wirken sind.
Das Bild hat sich wesentlich verändert. Da erscheint eine neue »Qualität«:
Das Streben nach der Weltherrschaft, das offen propagiert und »wissenschaftlich« untermauert wird. Siehe die Arbeiten von Zbigniew Brzezi´nski.
Die Militärpräsenz auf Stützpunkten überall in der Welt, insgesamt ca. 1 000.
Die Fortsetzung des Konfliktes mit Russland und damit die Beseitigung unserer Hoffnungen auf gemeinsame Sicherheit in Europa.
Der Zugriff auf die Ressourcen anderer Völker.
Sanktionen gegen andere Völker und gegen Unternehmen, die mit diesen Völkern zusammenarbeiten.
Der Anspruch, die Regierungen anderer Völker beseitigen zu können, wenn es den USA gefällt. Stichwort: Regime Change.
Die Lösung von Konflikten mit militärischer Gewalt. Kriegseinsätze ohne Rücksicht auf menschliche und kulturelle Verluste. Von Afghanistan bis Libyen. Die Erfindung von Kriegsgründen wie im Falle Iraks durch Manipulation.
Der Kampf gegen den Terrorismus. Das klingt schön, eskaliert jedoch die Auseinandersetzungen und schafft neuen Terrorismus.
Die USA selbst terrorisieren andere Völker beziehungsweise dulden den von ihrem Boden ausgehenden Terror. Kuba zum Beispiel hat auf diese Weise schon den Tod von über 3 000 Menschen zu beklagen.
Die tödlichen Drohneneinsätze einschließlich des Rückgriffs auf das Territorium anderer Völker, im konkreten Fall Deutschlands.
Die Gängelung durch Abhören und durch Geheimdienste und die Verfolgung von Dissidenten in ihren eigenen Reihen.
Die offensichtliche Förderung wirtschaftlichen Einflusses auf viele Unternehmen in den Vasallenstaaten. Blackrock zum Beispiel ist Eigentümer von Anteilen in allen Dax-Gesellschaften.
Der gezielte Einsatz des US-amerikanischen Finanzministeriums auf die Entwicklung der Finanzmärkte weltweit.
Der Verfall der Werte in den USA. Das Reden von der Wertegemeinschaft ist nur noch hohles Geschwätz, übrigens auch wegen der parallelen Entwicklung hier bei uns.
Das Ende der Demokratie in den USA. Herrschaft weniger Medien. Staatseinfluss auf diese Medien. Und umgekehrt. Das ist eine kritische Entwicklung, auch dann, wenn man die Entwicklung bei uns und anderen Ländern Europas nicht sehr viel positiver sehen kann.
Das alles ist nicht gänzlich neu. Aber die Kräfteverhältnisse in den USA haben sich so verschoben, dass man von einer neuen Qualität sprechen muss. Und einige wenige der genannten Punkte reichen ja schon aus, um darüber nachdenken zu müssen, ob man ein solches Land für einen Freund halten will.
Europa muss sich aus dem Einflussbereich der USA entfernen. Das wäre das Thema, das mit all seinen Facetten in den nächsten Jahren debattiert werden müsste. Das wäre der Perspektivenwechsel, den eine sachliche öffentliche Debatte bei uns herbeizwingen müsste.
Im Falle unseres Landes ist zu befürchten, dass unsere Entscheidungsfreiheit über die Einbindung in der NATO hinaus eingeschränkt ist. Außerdem sind führende deutsche Medienschaffende direkt im Einflussbereich der USA. Aber diese Einsicht und diese Bedenken können nicht davon abhalten, die Debatte zu führen und das Ziel »Freiheit von Amerika« anzusteuern.
Das waren die Anmerkungen zu zwei aus meiner Sicht wichtigen Fragenkomplexen, die einen Perspektivenwechsel verlangen würden. Ähnlich brisant sind die beiden folgenden Themen:
C. Der gedankenlose Griff zur militärischen Lösung von Konflikten – dringend korrekturbedürftig.
D. Politische Entscheidungen müssen wieder mehr an Fakten und am Wohl der Menschen und weniger an den Kräfteverhältnissen der Meinungsmacher orientiert werden.
Dazu später mehr.
10. Februar 2016 / von Jens Berger
»Der Westen verliert seine militärische Überlegenheit« – es ist schon starker Tobak, der einem da von der Startseite des Portals Spiegel Online entgegenspringt. Um diese fragwürdige These zu untermauern, zitiert Spiegel Online-Autor Christoph Sydow eine einzige Quelle und die ist in diesem Kontext mehr als fragwürdig – das laut Sydow »renommierte« Internationale Institut für Strategische Studien (IISS), das seit Jahrzehnten vor allem dafür bekannt ist, eine »militärische Überlegenheit« des jeweiligen globalstrategischen Kontrahenten zu »belegen«, um höhere Rüstungsausgaben zu fordern. In dieses Konzept passt auch die aktuelle Meldung.
Was ist von den Kernthesen dieses Artikels zu halten?
Die asiatischen Länder geben jährlich fast 90 Milliarden Euro mehr für Verteidigung aus als die europäischen NATO-Mitglieder.
Das ist richtig, nur dass viele »asiatische Länder« mit hohen Rüstungsausgaben (zum Beispiel Japan, Südkorea) langjährige und enge Verbündete der NATO sind, ein gegeneinander »Aufrechnen« also gar keinen Sinn macht. Hinzu kommt, dass »Asien« mehr als 4,4 Milliarden Einwohner hat, während die europäischen NATO-Staaten nur auf rund 570 Millionen Einwohner kommen. Warum reduziert das IISS hier eigentlich die Basis auf die europäischen NATO-Staaten und nimmt die NATO nicht als Block? Die Antwort sollte klar sein: Die Rüstungsausgaben des NATO-Partners USA stellen selbst den bevölkerungsreichen Kontinent Asien mühelos in den Schatten:
Verteilung der Rüstungsausgaben der 15 Staaten mit den weltweit höchsten Ausgaben 2015
Quelle: Dr. Sam Perlo-Freeman et al.: Trends in World Military Expenditure 2015, SIPRI 2016
Und warum wählt man Asien als Konterpart? Streng genommen zählt hier doch ohnehin nur China zu den Staaten, die von NATO-Strategen als Konkurrenten gesehen werden. Auch hier ist die Antwort nicht eben komplex: Die Rüstungsausgaben der »Schurkenstaaten« Russland und Iran sind nun einmal so gering, dass man damit dem Deutschen keine Angst machen kann. Da muss man schon China aus dem Hut zaubern und die Zahl mit unlauteren Mitteln zusätzlich aufblähen.
Die Zahl der in Europa stationierten Soldaten der NATO-Staaten und die Zahl der Kampfjets der Franzosen und Briten ist seit Ende des Kalten Krieges gesunken.
Alles andere wäre ja auch bedenklich. Die entscheidende Frage ist aber doch, ob dadurch das »Gleichgewicht« durcheinander gebracht wurde. Das ist aber nicht der Fall. Russlands Streitkräfte umfassen heute rund 750 000 Soldaten. Zu Hochzeiten des Kalten Kriegs hatte die Sowjetarmee mehr als 3,1 Millionen Soldaten unter Waffen. Auch die US-Armee hatte im Kalten Krieg mal mehr als drei Millionen Soldaten unter Waffen. Heute sind es noch über 1,5 Millionen, mithin also doppelt so viel wie Russland. Und hier geht es erst einmal nur um die Quantität und noch nicht einmal um die Qualität. Von einem aus der Waage gekommenen Gleichgewicht kann also nicht die Rede sein. Die NATO ist nach wie vor haushoch überlegen und dies bei allen Waffengattungen.
Der technologische Vorsprung sinkt, da auch China und Co. Zugriff auf »neue Technologien« haben.
In einer Zeit, in der selbst Amazon und DHL bereits die ersten Päckchen mit Drohnen ausliefern, ist es wohl wenig überraschend, dass auch Staaten, die zu den »Feinden« des Westens gezählt werden, Drohnen für ihre Zwecke nutzen. Solange die USA für ihr Militär pro Jahr fast 600 Milliarden Dollar ausgeben, ist die Technologieführerschaft lange nicht in Gefahr. Technologisch fortschrittliche Staaten wie China oder Russland davon abhalten zu wollen, selbst »neue Technologien« wehrtechnisch einzusetzen, ist eine Wunschvorstellung, über die man nicht ernsthaft debattieren muss.
Die NATO schafft es nicht mehr, ihre »östlichen Mitglieder« zu schützen.
Spiegel Online zitiert den IISS-Bericht mit der Aussage, dass die Funktion der NATO davon abhängig sei, die Landesverteidigung ihrer östlichen Mitglieder schnell zu verstärken. Dies sei heute aber nicht möglich, da Russland den Zugang zum baltischen Raum verhindere. Die ganze Analyse ist natürlich unsinnig. Russland kontrolliert weder den Luft- noch den Seeweg ins Baltikum. Wenn die NATO es für notwendig hält, kann sie also Millionen GIs samt schwerem Gerät in Estland, Lettland und Litauen stationieren. Zumindest in Friedenszeiten. In Kriegszeiten wird dies wohl nicht gelingen. Aber in Kriegszeiten hätte dies auch in der Vergangenheit nicht gelingen können.
Es ist ohnehin Unsinn, sich in diesem Kontext über die Verteilung konventioneller Streitkräfte zu unterhalten. Die osteuropäischen Staaten stehen unter dem Schutz der gesamten NATO und damit auch dem nuklearen Schutzschirm der USA, Großbritanniens und Frankreichs und es gibt überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass Russland einen Atomkrieg gegen die NATO anzetteln will; ja, es gibt noch nicht einmal einen Grund anzunehmen, dass Russland die Sicherheitsinteressen der osteuropäischen NATO-Staaten in welcher Form auch immer bedroht. Es geht hier nicht um eine »Bedrohung«, sondern – so wie Spiegel Online es formuliert – um »das Gefühl einer Bedrohung«.
Rational betrachtet geht es also darum, dieses »Gefühl« aus der Welt zu schaffen, so dass auch die Osteuropäer sich sicher und zufrieden fühlen. Dafür gibt es natürlich verschiedene Mittel und Wege. Eine gnadenlose Aufrüstung in den europäischen NATO-Staaten ist jedoch der denkbar schlechteste Weg, um eine »gefühlte Bedrohung« aus dem Weg zu schaffen. Wie wäre es stattdessen mit einer ernst gemeinten Annäherungspolitik? Das ist naiv? Illusorisch? Schließlich sei der Russe ja bekanntermaßen böse und stellt eine Gefahr für den Weltfrieden dar? Wenn man sich die jüngere europäische Geschichte einmal anschaut, gibt es genau einen einzigen Staat, der Europa in Schutt und Asche gelegt hat: Deutschland!
Heute haben aber weder die Franzosen noch die Polen, die Niederländer oder die Dänen ernsthaft Angst davor, dass morgen deutsche Panzer ihre Grenzen überrollen. Franzosen, Polen, Niederländer und Dänen müssen daher zum Glück auch keine Panzerabwehrbataillone unterhalten und an ihren Grenzen zu Deutschland stationieren. So funktioniert Europa, so funktioniert die europäische Friedensordnung.
Ob Osteuropa wirklich einen Grund hat, den Russen zu misstrauen und sich vor Russland zu schützen, ist eine schwere Frage, die sich wohl kaum sachlich, sondern eher auf der Emotionsebene beantworten lässt. Wie haben es beispielsweise die Franzosen und die Deutschen in den 1950ern gelernt, sich nicht mehr als Erbfeinde zu betrachten und miteinander anstatt gegeneinander zu handeln? Was Franzosen und Deutsche gelernt haben, können Esten, Letten, Litauer und Russen auch lernen; gar kein Frage. Man muss die Völker nur lernen lassen. Und momentan passiert das genaue Gegenteil: Durch die Spannungspolitik werden die vorhandenen Gräben nicht überwunden, sondern es werden neue Gräben gezogen. Die ständigen Forderungen nach Aufrüstung und dem angeblichen Verlust unserer militärischen Überlegenheit tun ihr Übriges dazu bei. Schade vor allem, dass Spiegel Online-Redakteur Sydow es noch nicht einmal schafft, die reaktionären Argumente des IISS einzuordnen. Solche Artikel haben vor allem ein Ziel: Jegliche Annäherung an Russland zu unterbinden und die Öffentlichkeit auf höhere Rüstungsausgaben einzuschwören. Manipulation. Und dies noch nicht einmal subtil.
17. März 2016 / von Albrecht Müller
Am 15. Januar hatte ich in einem Beitrag einen Perspektivenwechsel vorgeschlagen. Das betraf die gesellschaftspolitische Ausrichtung und das Verhältnis zu den USA. Das Thema Krieg und Frieden und die Krise der Demokratie hatte ich auf später vertagt. Gedanken zur Kriegsgefahr und den notwendigen Perspektivwechsel folgen heute und morgen in zwei Teilen. Im ersten Teil beschäftige ich mich mit der erkennbaren Lust vieler Medien auf Konflikt, auch solcher Medien, die die Verantwortlichen für die Entspannungspolitik und den Abbau der Konflikte zwischen West und Ost in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts noch als Partner betrachten konnten. Spiegel, Stern, ARD, ZDF, Die Zeit, die Süddeutsche Zeitung und andere gießen heute Öl ins Feuer.
Nach dem Kriegsende von 1945 kam es zum Konflikt zwischen den Partnern des Zweiten Weltkrieges, dem Westen und der Sowjetunion, der dann gegründeten NATO und dem Warschauer Pakt. Die Deutsche Einheit gab es nicht, stattdessen die Integration der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Allianz und der DDR in den Warschauer Pakt. Die »geistige« Aufrüstung gegen die andere Seite wurde auf beiden Seiten Deutschlands intensiv betrieben. Der Kalte Krieg erschlug in den fünfziger Jahren jeden Gedanken für ein friedliches Zusammenleben. Der Mauerbau war das Symbol der Unfruchtbarkeit dieser Konfrontation. Für umsichtige Politiker und viele Menschen außerhalb der aktiven Politik hatte diese Konfrontation keine Zukunft, zumal es durchaus Situationen gab, in denen der Kalte Krieg zu einem heißen werden konnte, bis hin zum Atomkrieg. Schon in den fünfziger Jahren und dann offen gelegt anfangs der sechziger Jahre gab es Überlegungen, die Konfrontation abzubauen.
Die Idee war relativ einfach. Uns passt das System, das Wirtschaftssystem und der Umgang mit Menschen in der Sowjetunion und bei ihren Satelliten, wie es hieß, zwar nicht. Aber ein Krieg lohnt nicht und führt auch nicht zum Ziel. Wenn wir schon Einfluss nehmen wollen auf die innere Entwicklung der Gegenseite, dann nicht durch Konfrontation, sondern durch Zusammenarbeit. Die Formel, die in einem Zirkel um Willy Brandt entwickelt wurde und von Egon Bahr 1963 verkündet wurde, hieß: Wandel durch Annäherung. Darauf baute die Entspannungspolitik – oder die Vertragspolitik, wie man auch sagte – auf. Wir erreichen dann eine Veränderung, so der Grundgedanke, wenn wir uns vertragen. Diese Strategie, die wie wenig anderes in der Politik langfristig angelegt war, war erfolgreich.
Es gab ein wichtiges Beiwerk, ein paar Denk- und Handlungsanweisungen:
Wichtig, so die Überlegung, ist es, sich in die Lage des Gegenübers zu versetzen. Wenige Deutsche hatten bis dahin realisiert und in ihre Überlegungen und Grundeinstellung aufgenommen, dass die Völker Osteuropas im Zweiten Weltkrieg unglaublich viele Opfer erleiden mussten. Allein in der Sowjetunion kamen etwa 20 Millionen Menschen um. Die Verfechter und Anheizer des Kalten Krieges hatten davon nicht Notiz genommen.
Wichtig war, bei den bisherigen Gegnern Vertrauen zu schaffen. Deshalb wurde zumindest in die deutsche Politik der Begriff »vertrauensbildende Maßnahmen« eingeführt. Das hatte praktische Bedeutung: Wer sich als Politiker, als Medienschaffender oder wichtige Person des öffentlichen Lebens über die Gegenseite und ihre Politik äußerte, bedachte die Notwendigkeit, nach 20 Jahren Kalten Kriegs Vertrauen aufzubauen.
So ist es gelungen, vorhandene Feindbilder abzubauen und Mehrheiten im Volk auch für schwierige Entscheidungen wie etwa die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zu bekommen.
Die Unterstützung der Entspannungspolitik durch die Kirchen, die Gewerkschaften, einen Teil der Wirtschaft und einen einflussreichen Teil der Medien war sehr wichtig.
Die evangelische Kirche hat mehrheitlich die Entspannungspolitik mitgetragen, zum Teil sogar vorgedacht. Ähnlich Teile der katholischen Kirche. Gewerkschaften unterstützten die neue Linie und Teile der Wirtschaft erkannten, wie wichtig für sie die Zusammenarbeit mit dem Osten sein wird.
Der Springer-Konzern mit seinen Blättern war mehrheitlich skeptisch bis aggressiv. Aber bei anderen Medien fand die neue Ostpolitik aktive Unterstützer. Das galt für überregionale Blätter wie Frankfurter Rundschau und Süddeutsche Zeitung, die Zeit und vor allem auch für den Stern und den Spiegel. Und es galt zumindest für Teile der ARD und des ZDF. Wer etwas auf sich hielt, hetzte nicht mehr gegen den Osten.
Das ist heute ziemlich anders.
Heute nutzen diese Medien auch noch die albernste Gelegenheit zum Anheizen des Konfliktes
Ein Musterbeispiel dafür war die Berichterstattung von ZDF und ARD vom 15.3.2016 über den Teilabzug russischer Streitkräfte aus Syrien. Da wurde die Information über den Teilabzug genutzt, um den Eindruck zu erwecken, dass Russland und Putin die eigentlich Verantwortlichen für das ganze Elend in Syrien seien. Mir fiel das auf und ich hätte eigentlich sofort etwas schreiben sollen, ließ es aber sein, weil ich nicht schon wieder unsere Hauptmedien kritisieren wollte. Dann kam jedoch eine Mail von einem Freund der NachDenkSeiten. Er hatte das genauso empfunden wie ich. Der letzte Satz fasst zusammen, was typisch ist für unsere ehedem einmal seriösen Medien:
»Die Nachrichtensendung bildete einen Eindruck ab, als führe Russland den Krieg dort in Syrien, habe ihn verursacht und so weiter.«
Sie personalisieren den Konflikt – insbesondere Spiegel und Stern sind nicht mehr wiederzuerkennen.
Spiegel und Stern waren von großer Bedeutung für das Meinungsbild zur Entspannungspolitik. Sie haben, verbunden mit Namen wie Günter Gaus als Chefredakteur des Spiegel und Henri Nannen als Herausgeber und Chefredakteur des Stern, viel für die Verständigung zwischen West und Ost und ihre Verankerung in Deutschland getan.
Wie sich die Zeiten geändert haben, kann man symbolisch und faktisch daran festmachen, was wir heute von den führenden Leuten dieser Blätter in diesen Blättern finden.
So hat der Vizechef des Ressorts Außenpolitik des Spiegel, Mathieu von Rohr, in der Spiegel-Ausgabe 8/2016 einen Leitartikel geschrieben unter der Überschrift: »Putins Aggressionen. Russland ist nur so stark, wie der Westen schwach ist.«
Von Rohr wendet sich gegen jene, die die falsche Vorstellung hegen, »man müsse mehr miteinander reden und weniger kritisieren«. Wörtlich heißt es dann:
»Die Lehre aus Syrien und der Ukraine muss im Gegenteil lauten: Alle Versuche, Russland durch Annäherung und Umschmeichelung zum Einlenken zu bewegen, sind gescheitert. Putin würde sich nur von einem glaubwürdigen Drohszenario des Westens beeindrucken und zur Kooperation bewegen lassen.«
Was der Vizechef des Ressorts Außenpolitik des Spiegel hier formuliert, nannte man im Kalten Krieg der fünfziger und sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts »Politik der Stärke«. So wie hier und heute im Spiegel haben sich damals die fanatischen Springer-Journalisten und Gerhard Löwenthal im ZDF-Magazin geäußert.
So haben sich die Zeiten geändert. Nicht zum Guten. Die oben zitierten positiven und wirkungsvollen Regeln der Verständigung – sich in die Rolle des anderen versetzen, Vertrauen bilden – werden missachtet, ja quasi auf den Kopf gestellt.
Wie der Spiegel gießt auch der Stern