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Der Jahresrückblick mit den besten kritischen Analysen zum politischen Geschehen. Für kritische Geister sind die NachDenkSeiten schon lange kein Geheimtipp mehr. Bekannt sind sie für ihre differenzierte Auseinandersetzungen mit wirtschaftlichen und tagespolitischen Geschehnissen, die meist aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und hinterfragt werden. Das von Albrecht Müller und Jens Berger herausgegebene Jahrbuch der NachDenkSeiten ist chronologisch nach Themenfeldern zusammengestellt und bietet brillante wie treffsichere Analysen zu wichtigen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen des Jahres.
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Ebook Edition
Albrecht Müller, Jens Berger
Nachdenken über Deutschland
Das kritische Jahrbuch 2020/2021
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ISBN 978-3-86489-805-1
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2020
Umschlag: Maximilian David, Westend Verlag GmbH
Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich
© Liesa Johannsen
© privat
Albrecht Müller, 1938 in Heidelberg geboren, ist Diplom-Volkswirt, Bestsellerautor und Publizist. Er ist Herausgeber der NachDenkSeiten. Müller leitete Willy Brandts Wahlkampf 1972 und die Planungsabteilung unter Brandt und Schmidt. Von 1987 bis 1994 war er für die SPD Mitglied des Deutschen Bundestages. Zu seinen veröffentlichten Büchern zählen »Mut zur Wende!«, »Die Reformlüge« und zuletzt »Die Revolution ist fällig« (2020).
Jens Berger ist Journalist und politischer Blogger der ersten Stunde und Redakteur der NachDenkSeiten. Er befasst sich mit und kommentiert sozial-, wirtschafts- und finanzpolitische Themen. Berger ist Autor mehrerer Sachbücher, etwa »Wer schützt die Welt vor den Finanzkonzernen?« (2020) und des Spiegel-Bestsellers »Wem gehört Deutschland?« (2014).
Siebzehn Jahre ist unser Projekt jetzt schon alt – und die Besucherzahlen steigen weiter. Über 150 000 Menschen sind es im Durchschnitt täglich, die unser Angebot wahrnehmen, mit uns gegen den Meinungs- und Medien-Mainstream zu schwimmen. Für viele Leser sind die NachDenkSeiten zu einer festen Konstanten geworden. Sogar auf Facebook haben wir inzwischen über 95 000 Freunde. Diese große Zustimmung treibt uns weiter an. Mit unseren »Hinweisen des Tages« bieten wir einen Informationsservice, der auf interessante Links, Sendungen und Artikel verweist und diese auch kommentiert. Unser Kernstück, das »Kritische Tagebuch«, ordnet die Zeitläufe ein und versucht, aktuelle Themen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Natürlich sind Meinungsmanipulationen unser »täglich Brot«. Zahlreiche Gastbeiträge und das Feedback unserer Leser ergänzen unser Angebot, dass wir ohne ökonomische Interessen betreiben. Danke dem Westend Verlag, der es wieder möglich gemacht hat, in einem Jahrbuch – es ist nun schon das vierzehnte – die wichtigsten Artikel von Albrecht Müller und Jens Berger zusammenzustellen.
»Wir müssen zweifeln und widersprechen. Das wird leichter, wenn wir uns mit anderen verbinden. Wenn wir ein eigenes Milieu einer lebendigen Gegenöffentlichkeit schaffen, wenn wir uns austauschen, wenn wir kommunizieren. Wenn Sie Freunde, Gesprächspartner in der Familie oder Kolleginnen und Kollegen haben, die auch daran interessiert sind, ihren Kopf vom Zugriff Dritter zu befreien, dann ist es sinnvoll, sich regelmäßig auszutauschen. Man entdeckt mehr, man versteht mehr, man kann zweifelhafte Vorgänge leichter einordnen. Und das Gespräch über die ständigen Manipulationen bereitet häufig auch noch Vergnügen. Jedenfalls ist es interessant.«
Dieser Aufruf von Albrecht Müller aus seinem Buch Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst ist Hilfe zur Selbsthilfe in einer Zeit, in der die Verunsicherung vieler Menschen so groß ist, wie nie zuvor. Die Methoden der Meinungsmache sind bekannt und folgen den immergleichen Mustern. Wer sie erkennen will, liest die NachDenkSeiten.
Jens Berger am 9. Oktober 2019
Ein dreiviertel Jahr nach der Ankündigung1 eines Truppenabzugs aus Syrien machen die USA nun Ernst. Was folgte, war ein gewaltiger Aufschrei in den deutschen Redaktionen. Unisono spricht man dort von einem »Verrat«2 und echauffiert sich, dass die USA »nach Eigeninteressen handeln«3, Trump »die amerikanische Außenpolitik zertrümmert«4 und der Abzug »für den Nahen Osten zum Albtraum werden«5 kann. Gerade so, als hätten die USA in der Vergangenheit nach moralischen Leitlinien gehandelt und den Nahen Osten zu einem Paradies gemacht. Was geht nur in den Köpfen dieser Journalisten vor?
Die aktuelle Kommentierung des US-Truppenabzugs aus Syrien ist ein Musterbeispiel für das, was Albrecht Müller in seinem neuen Buch6 als Methode, Geschichten verkürzt zu erzählen, beschreibt. Liest man sich die jüngsten Kommentare in den großen deutschen Medien durch, so wird die Vorgeschichte zur jetzigen Situation im Nahen Osten durchgängig konsequent ausgeblendet. Doch wer die Vorgeschichte nicht kennt, muss zwangsläufig zu einem falschen Urteil kommen. Wie Robert F. Kennedy, Jr. in einem sehr empfehlenswerten Beitrag auf den NachDenkSeiten7ausführlich dargelegt hat, beginnt die Geschichte der amerikanischen Interventionspolitik im Nahen Osten – und speziell in Syrien – vor vielen Jahrzehnten, war nie von moralischen Leitlinien geprägt und folgte stets dem Eigeninteresse.
Ohne diese lange Kette von Eingriffen, bei denen es nie um Demokratie, Menschenrechte oder Moral, sondern stets um die machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen der USA und ihrer Eliten ging, wäre der Nahe Osten heute höchstwahrscheinlich nicht die Krisen- und Kriegsregion, über die wir aktuell sprechen.
Ohne den Sturz Mossadeghs wäre Iran heute womöglich eine säkulare Demokratie. Ohne die Unterstützung der absolutistischen Saud-Dynastie hätte es womöglich nie einen derart erfolgreichen radikalen Islamismus gegeben. Ohne die US-Unterstützung für die »Gotteskrieger« im Afghanistan-Krieg hätte es nie die Al-Qaida und ohne das aus dem US-Krieg im Irak resultierende Machtvakuum nie den IS gegeben. Ja, ohne die aktive Unterstützung einer ideologisch höchst fragwürdigen »Opposition« hätte es auch den Syrien-Krieg wohl nie gegeben. Die aktuellen Geschehnisse finden in keinem Vakuum statt, sondern sind direkte Folge der Außenpolitik der USA. Der Nahe Osten ist heute schon ein Albtraum … ein Albtraum made in America.
Wer davon ausgeht, dass es zu den Leitlinien amerikanischer Außenpolitik gehört, für Stabilität zu sorgen, hat offenbar die letzten Jahrzehnte verschlafen. Afghanistan, Irak und Syrien sind nicht deshalb so instabil, weil die USA ihre Truppen abziehen oder deren Abzug zumindest prüfen. Diese Länder sind deshalb so instabil, weil die USA diese Länder mit Kriegen überzogen haben und ihre Truppen dorthin entsandt haben. Das Chaos ist dabei durchaus im Interesse einiger Akteure hinter der US-Politik. Der ewige Krieg sorgt dafür, dass der militärisch-industrielle Komplex fette schwarze Zahlen schreibt und die USA einen Hebel auf ihre »Bündnispartner« haben. Als »Krieg gegen den Terror« sorgte er dafür, dass der Sicherheitsapparat der USA im In- sowie im Ausland Befugnisse bekommen hat, die man vor Jahrzehnten noch für undenkbar hielt. Auch Chaos kann ein Mittel sein, um seine Ziele zu erreichen. Trump zertrümmert diese Maxime der jüngeren US-Politik nicht; er setzt sie vielmehr konsequent fort.
Natürlich stellt der Abzug der Truppen aus Syrien auch einen Verrat an den Kurden dar. Doch dieser Verrat ist durchaus im Interesse der USA. Man darf nicht vergessen, dass der IS momentan kurz vor dem Aus steht und die syrische Regierung große Teile des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht hat. Aus Chaos hätte Stabilität werden können – eine Stabilität, die vor allem den geostrategischen Konkurrenten der USA zu verdanken ist und ihnen nützt. Wenn nun über eine erneute Destabilisierung der Region gemutmaßt wird, ein Wiederaufflammen des Krieges befürchtet oder gar eine neue Flüchtlingswelle mit Ziel Europa prophezeit wird, sollte man sich doch auch einmal fragen, wem diese Entwicklung nützt und wem sie vor allem schadet.
Wer geistig in der Welt einer unzerbrechlichen transatlantischen Partner- und Freundschaft zwischen den USA und Europa zu Hause ist, wird an dieser Stelle freilich von einer großen Verwirrung erfasst. Schließlich zählt neben dem Nahen Osten selbst vor allem Europa zu den potenziellen Verlierern einer derartigen Destabilisierung mit all ihren Nebenwirkungen. Wer jedoch geistig ein wenig flexibler ist, der erkennt, dass dies von den USA durchaus so gewollt sein dürfte. Nicht erst seit Trumps »America first!« sehen die USA Europa vor allem als Konkurrenten; einen Konkurrenten, der außen- und sicherheitspolitisch zwar meist nach der amerikanischen Pfeife tanzt, aber dennoch ein Konkurrent ist und bleibt. Nur leider haben das die wenigsten Politiker und Leitartikler verstanden. So gesehen ist deren Verwirrung vielleicht sogar verständlich. Vielleicht hilft diese Verwirrung ja sogar, künftig die Dinge ein wenig klarer zu sehen und die geistige Flexibilität zu gewinnen, die nötig ist, um die US-Politik besser zu verstehen. Sehr wahrscheinlich ist das nicht. Aber man wird ja noch träumen dürfen.
Jens Berger am 25. November 2019
Adrian Zenz gehörte in den letzten Tagen zu den meistzitierten Quellen in den deutschen Medien. Angefangen bei der Tagesschau8, über den SPIEGEL9, die Süddeutsche Zeitung10, die ZEIT11 bis hin zu amerikanischen Propagandasendern wie Radio Free Asia12 ist Zenz ein gerngesehener Interviewpartner und Zitatgeber. Die FAZ nennt ihn in einem der wenigen etwas ausgewogeneren Artikel zum Thema »Der Mann mit der Million«13 (hinter einer Paywall) – dabei geht es um die Zahl von mehr als einer Million Uiguren, die angeblich in chinesischen Umerziehungslagern interniert sein sollen. Diese Zahl stammt von Zenz und wird als Steilvorlage in der aktuellen Kampagne gegen China oft und gerne aufgenommen. Über den Hintergrund von Adrian Zenz schweigt man lieber. Das ist verständlich, stammt der »Experte« doch aus einem höchst dubiosen Umfeld mit kalten Kriegern aus der amerikanischen Think-Tank- und Geheimdienstgemeinde. Das lässt an der Seriosität seiner Aussagen zweifeln.
Wer ist Adrian Zenz? Die Tagesschau gibt sich bei der Vorstellung ihres »China-Experten« recht wortkarg. Zenz »gilt weltweit als renommierter Experte für die Situation der Muslime in China. Zenz lebt und arbeitet in den Vereinigten Staaten von Amerika.« Das hört sich natürlich seriös an. Doch wo arbeitete der »weltweit renommierte Experte« eigentlich genau? Der Wissenschaftsdatenbank ORCID zufolge14 ist Zenz an der European School of Culture and Theology in Korntal, Baden-Württemberg, tätig. Von dieser Schule werden wohl die Allerwenigsten bislang etwas gehört haben und das ist verständlich. Die ESCT gehört zur Akademie für Weltmission, einer eher randseitigen evangelikalen Bildungseinrichtung, die eng mit der ebenfalls in Korntal niedergelassenen Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen assoziiert ist, zu der auch die evangelikale »Chinesische Missionsgemeinschaft« gehört. Der FAZ gegenüber beschreibt sich Zenz als »tief religiös« und spricht von einer »Berufung« und davon, dass Gott ihn dorthin geleitet habe, auf einem »vorbereiteten Weg«.
Seinem eigenen Eintrag bei »Academia«15 zufolge ist Zenz zudem an der Columbia International University tätig und betreut dort die Doktoranden der Korntaler ESCT. Doktoranden einer evangelikalen Privatschule an der Columbia University? Ja, denn die Columbia International University ist nicht mit der renommierten New Yorker Columbia University zu verwechseln, sondern eine dubiose evangelikale Bibelschule in Columbia, South Carolina. Deren online zu erreichenden »Doktortitel«16 sind wohl eher als Skurrilität denn als »renommierte Wissenschaft« zu bewerten. Gegenüber der FAZ hat Zenz übrigens angegeben, dass er sein Geld gar nicht als Wissenschaftler, sondern als »Freiberufler in der IT-Branche« verdient. Seine China-Studien sind demnach wohl eher ein Hobby, dem er in seiner Freizeit nachgeht. Sonderlich renommiert ist dieser wissenschaftliche Hintergrund nicht. Das klingt alles eher nach einem religiös geleiteten Hobbywissenschaftler.
Zenz’ vermeintliches Renommee kommt aus einer ganz anderen Quelle. Adrian Zenz ist nämlich zusätzlich17 »Senior Fellow« für China-Studien bei einem dubiosen Think Tank namens »Victims of Communism Memorial Foundation«. In dieser Funktion ist er dank seiner extremen Aussagen zur chinesischen Politik in ein Zitierkartell rechter und transatlantischer Think Tanks geraten.18 Das reicht für die Tagesschau dann offenbar aus, um als »weltweit renommierter Experte« zu gelten.
Wer oder was ist »Victims of Communism Memorial Foundation«? Hierbei handelt es sich um ein Think Tank, dass es sich selbst zur Aufgabe gesetzt hat, die »freie Welt« von den »falschen Hoffnungen des Kommunismus« zu befreien. Hervorgegangen ist VOC aus den anti-kommunistischen Gruppierungen im Umfeld von McCarthys Komitee für unamerikanische Umtriebe und den darauf aufbauenden reaktionären Gruppierungen, die im Umfeld der Geheimdienste in der Ära des Kalten Kriegs installiert wurden. Gegründet wurde VOC 1993 von den kalten Kriegern Lev Dobriansky, Lee Ewards, Grover Norquist und Zbignew Brzezinski. Der heutige Chairman Lee Edwards war früher unter anderem beim Chiang Kai-shek nahestehenden Committee for a Free China19 und Gründer der amerikanischen Abteilung der World Anti-Communist League20, einer rechtsextremen internationalen – ebenfalls von Chiang Kai-shek initiierten – anti-kommunistischen Liga, der unter anderem auch so »illustre« Personen wie Otto Skorzeny (Waffen-SS, Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen), Ante Pavelić (Ustascha-Kroatien) und zahlreiche21 Befehlshaber der lateinamerikanischen Todesschwadronen angehörten.
Berater des VOC ist John K. Singlaub, ein 98-jähriger ehemaliger Generalmajor der US-Armee, der zu den Gründern der CIA gehört und die CIA-Operationen im chinesischen Bürgerkrieg geleitet hat. 1977 musste Singlaub zurücktreten, nachdem er öffentlich Präsident Carters angekündigten Abzug der US-Truppen aus Südkorea kritisiert hatte. Danach gründete er mit Gleichgesinnten die »Western Goals Foundation«, ein privater Geheimdienst, der bei der Iran-Contra-Affäre die Waffenlieferungen an die rechtsextremen Contras in Nicaragua organisiert hat. Die »Western Goals Foundation« wurde von einem ehemaligen Mitglied als eine »Sammlung von Nazis, Faschisten, Antisemiten, bösartigen Rassisten und korrupten Egoisten« bezeichnet.22 Singlaub war seinerzeit auch Chairman der World Anti-Communist League und deren US-Ableger United States Council for World Freedom. Das United States Council for World Freedom wurde übrigens mit finanzieller Starthilfe der reaktionären Regierung von Taiwan23 gegründet – mit an Bord war auch Lev Dobriansky, der Mitgründer des VOC.
Wer das VOC heute finanziert, bleibt im Dunklen. Das rechtsgerichtete Think Tank lebt von anonymen Millionenzuwendungen24 und tritt vor allem als Stichwortgeber für die dem militärisch-industriellen Komplex nahestehenden Think Tanks in Erscheinung, wenn diese mal wieder Munition gegen die linksgerichteten Regierungen in Südamerika oder eben gegen China benötigen. Ist aus diesem Umfeld eine seriöse, wissenschaftliche Analyse der chinesischen Politik zu erwarten?
Adrian Zenz war nach eigenen Angaben ein einziges Mal in der Provinz Xinjiang – 2007 als Tourist. Für seine Studien hat er frei zugängliche Internetquellen, wie beispielsweise Ausschreibungen und Jobangebote der chinesischen Regierung in der Provinz Xinjiang durchforstet und auf dieser Basis dann Schätzungen über den Umfang der in chinesischen Umerziehungslagern Internierten aufgestellt. Gegenüber der FAZ beschreibt er diese Schätzungen selbst als »spekulativ«.
All diese Hintergrundinformationen besagen natürlich nicht, dass es in der Provinz Xinjiang keine Umerziehungslager gibt.Die Zahl von »einer Million Inhaftierten«, die über den »Experten« Zenz durch unsere Medien gereicht wird, ist jedoch mehr als fraglich und wie ein Internetrechercheur wie Zenz, der seit zwölf Jahren nicht mehr in der Region war, belastbare Aussagen zu Details treffen will, ist ebenfalls ein Rätsel.
Natürlich sollen die Medien gerne auch kritisch über die Unterdrückung der Uiguren in der Provinz Xinjiang berichten. Ob es der Glaubwürdigkeit dient, sich dabei auf derart dubiose »Experten« zu verlassen, ist jedoch fragwürdig. Alles andere als fragwürdig ist indes das Verschweigen des Hintergrunds des »Experten« Zenz. Denn wenn die Zuschauer und Leser diesen Hintergrund nicht kennen, können sie sich auch nicht ihr eigenes Bild über die Seriosität der Aussagen und Informationen machen. Aber das sollen sie wohl auch gar nicht. So funktioniert Meinungsmache nun einmal.
Albrecht Müller am 3. Dezember 2019
Die SPD-Problematik mal beiseite gelassen: Die Reaktionen auf das Votum der SPD-Mitglieder zeigen schlaglichtartig, dass die etablierten Medien von Demokratie nichts halten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben sie sich zu politischen Akteuren hochgespielt, Partei ergriffen, Pluralität vermissen lassen – siehe diese Analyse25 auf den NachDenkSeiten und den weiteren Verlauf der Debatte. Es ist noch einmal sichtbar geworden, wie wichtig die kritischen Medien im Internet geworden sind. Wer sich allein auf die etablierten Medien verlässt, ist in seiner Meinungsbildung hoffnungslos verloren.
Die Agitation gegen das Votum der Mehrheit der SPD-Mitglieder läuft kampagnenmäßig. Mit Schaum vor dem Mund.
Es geht gegen alles Linke. Ja schon gegen den Hauch linker Ideen. Das ist die Grundmelodie, auf die sich die herrschenden Medien mit Unterstützung einiger Politiker verständigt haben. Vermutlich meist ohne Abrede. Innerlich gleichgeschaltet. Das reicht.
Sie schlagen sich für die Etablierten. Zum Beispiel einseitig für die Rechten in der SPD. Für Scholz! Alles vergessen, was man sich als aufmerksamer Zeitgenosse vom G-20-Gipfel in Hamburg 2017 und dem Versagen des damaligen Bürgermeisters Scholz hätte merken müssen.
Unerträglich auch die unkritische Bewunderung für die CDU/CSU, für die Ideologie der Neoliberalen, für die Privilegierten aus der Oberschicht und für die NATO. Unseren Hauptmedien ist die Pluralität abhandengekommen.
Vor allem die kritiklose Begleitung der CDU/CSU ist ein Zeichen für den Verlust demokratischer Qualität unserer Medien. Wolfgang Schäuble gilt den meisten Medien uneingeschränkt als Politiker von demokratischer Qualität. Trotz der Annahme einer 100 000-Mark-Barspende ungeklärter Herkunft.
Generell gilt offenbar ein Generalpardon für die Finanzierung der Union aus unklaren Quellen von Adenauer bis zu Kohl. Wer Kohls Millionen bezahlt hat, bleibt bis heute im Dunkeln. Und das schadet in den Augen der etablierten Medien der Union nicht. Das ist unglaublich. Diese »Bimbes« genannten Gelder sind übrigens Gegenstand eines gerade neu erschienenen Buches: Die Beichte meines Vaters über die Herkunft des Bimbes (Westend Verlag, 2019). Aber wetten, dass sich die etablierten Medien auch für diese Veröffentlichung nicht interessieren.
Alles was die Vorherrschaft der CDU/CSU stören könnte, interessiert die Mehrheit der etablierten Medien nicht. Nicht die Berater-Wirtschaft auf Steuerzahlerkosten im Verteidigungsministerium der Ursula von der Leyen. Nicht die auf Kosten von uns Steuerzahlern betriebene Schlamperei des CSU-Verkehrsministers Scheuer bei der Planung der Maut.
»Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst!« – Diese Aufforderung im Titel meines Buches ist voll berechtigt. Man kann den herrschenden Medien nur noch wenig glauben. Sie sind die Stützen des Establishments. Wenn es die kritischen Medien und kritische Bücher nicht gäbe, dann wäre die demokratische Debatte vollends verloren.
Die Spaltung zwischen den beiden Medientypen und auch zwischen den Nutzern der einen und Nutzern der andern ist inzwischen – leider – komplett.
Zwischen beiden Lagern gibt es Bewegung. In Mails an die NachDenkSeiten-Redaktion berichten uns neue Leserinnen und Leser, dass sie froh sind, auf die NachDenkSeiten und andere kritische Medien gestoßen zu sein. Die Mehrheit befindet sich nach wie vor im anderen Lager. Wegen der wachsenden Zahl der »Überläufer« und des Verlustes der Glaubwürdigkeit der etablierten Medien wächst ihre Aggressivität gegen die kritischen Begleiter im Internet. Wir von den NachDenkSeiten haben das hautnah beim Angriff der Süddeutschen Zeitung im »Streiflicht« vom 14./15. September erlebt. Wir haben darüber berichtet.26 Inzwischen ist sichtbar geworden, was die Süddeutsche mit dieser Polemik bewirkt hat: eine Blockade. Zugleich ist aber auch deutlich geworden, dass die etablierten Medien nicht mehr allein das Sagen haben. Darauf kommen wir heute noch zurück.
Jens Berger am 10. Dezember 2019
Die SPD bekennt sich zur Wiedereinführung der Vermögensteuer27 und Springers WELT bläst zur Gegenkampagne. Kristina Schröder und Ulf Poschardt erklären den Lesern dabei in einem Atemzug, warum es in Deutschland gar keine Ungleichheit gibt, diese nicht vorhandene Ungleichheit aber doch eigentlich etwas Positives und das Ergebnis einer freien und erfolgreichen Gesellschaft sei. Doch diese beiden Perlen der Meinungsmache sind nur die Spitze des Eisbergs einer in weiten Teilen hoch manipulativen Debatte.
Dass die wirtschaftsliberalen Medien nicht viel von einer stärkeren Besteuerung höherer Einkommen und Vermögen halten, ist nicht neu. Die Speerspitze der »Besitzstandswahrer« im deutschen Medienbetrieb ist dabei seit geraumer Zeit die WELT aus dem Hause Springer. Kennzeichnend für deren einschlägige Artikel sind Verdrehungen und Manipulationen, mit denen Befürworter einer Vermögensbesteuerung das Wasser abgegraben werden soll. In fast allen Artikeln zum Thema tauchen dabei vier Elemente der Manipulation auf:
1.Wenn es um Vermögen geht, wird plötzlich nur noch vom Einkommen gesprochen.
2.Es wird mit ungeeignetem Zahlenmaterial gearbeitet.
3.Die Zusammenhänge werden verschleiert.
4.Wenn die Argumente ausgehen, wechselt man in die moralische Kategorie.
Der jüngste Meinungsbeitrag28 der WELT gegen eine Vermögensbesteuerung stammt von Kristina Schröder, die den meisten Lesern sicher besser unter ihrem Geburtsnamen Kristina Köhler bekannt ist. Schröder saß früher für die CDU im Bundestag, war zeitweise Bundesfamilienministerin und ist seit ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik im Jahr 2017 als Kolumnistin für die WELT tätig. Ihre Kolumnen glänzen dabei vor allem durch die intellektuelle Schlichtheit der Autorin. Umso erstaunlicher ist es, dass sie sich in ihrer aktuellen Kolumne mit dem vielsagenden Titel »Reiche sind nicht reich, weil Arme arm sind« ausgerechnet an einem bekannten Zitat von Bertolt Brecht zum Thema Ungleichheit abzuarbeiten versucht.
»Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.«
– Bertolt Brecht
»Es ist der alte Vorwurf von Bert Brecht, der Reiche habe sein Geld dem Armen weggenommen, zumindest könne der Arme deswegen nicht darüber verfügen, weil es der Reiche besitze. […] Es gibt eine feste Menge an Gütern, an Wohlstand. Und die Armen sind deshalb arm, weil die Reichen reich sind. Dieser Glaube, Wirtschaft sei ein Nullsummenspiel, ist intuitiv eingängig, aber ökonomisch ziemlicher Unsinn.«
– Kristina Schröder
Trotz der intellektuellen Schlichtheit ist Schröders Zitat auf den ersten Blick sogar einleuchtend. Das Problem: Es behauptet ja auch, die Wirtschaft sei ein »Nullsummenspiel«. An zwei einfachen Beispielen lässt sich aufzeigen, dass Brechts Zitat durchaus zutreffen kann.
Schauen wir uns als Erstes einmal die ökonomischen Folgen der Privatisierung eines Krankenhauses an. Organisch wachsen könnte ein solches »Unternehmen« nur, wenn mehr Menschen krank würden, mehr – vielleicht unnötige – Eingriffe unternommen werden oder die Preise steigen; all diese drei Punkte kann man trotz gegenläufiger Entwicklungen erst einmal vernachlässigen. Privatisierte Krankenhäuser erwirtschaften ihre Renditen vor allem über eine Senkung der Betriebskosten und die Personalkosten stehen da an erster Stelle. Gehälter werden gedrückt, der Personalschlüssel wird herunter- und die Arbeitszeiten werden heraufgefahren. Um es ein wenig zuzuspitzen: Die Rendite des Krankenhausbetreibers wird vor allem dadurch erwirtschaftet, dass die Krankenpfleger und Ärzte schlechter bezahlt werden. Dies ist eine Umverteilung von unten nach oben und dies ganz ohne Nullsummenspiel.
Ähnlich verhält es sich bei der klassischen Vermietung von Wohnraum. Die Renditen des Immobilieneigentümers sind auf der anderen Seite die Mieten der Bewohner. Je höher die Miete, desto »reicher« kann der Eigentümer werden und desto »ärmer« wird der Mieter. Auch hier braucht es kein Nullsummenspiel, um die Zusammenhänge zu erklären.
Um Brecht widerlegen zu wollen, nennt Schröder daher auch andere weit hergeholte Beispiele. So führt sie allen Ernstes einen Basketballstar an, der an den Verkäufen der Eintrittskarten beteiligt ist und dadurch über eine Umverteilung einen Teil des Vermögens der Zuschauer bekommt, was jedoch für alle Beteiligten eine tolle Sache sei, da sie ja freiwillig die Karten kaufen. Die Botschaft: »Möchte man unter diesen Bedingungen eine bestimmte ›gerechte‹ Verteilung durchsetzen, muss ein Staat permanent steuernd und maßregelnd in das Verhalten von Menschen eingreifen«; also im konkreten Kontext den Basketballfans verbieten, sich die Tickets zu kaufen. Das ist einerseits Unsinn, da der Staat über die Einkommensteuer selbstverständlich ohnehin »permanent steuernd« eingreift und führt andererseits in die Irre, da hier einmal mehr ein Schwenk vom Vermögen auf das Einkommen vorgenommen wird. Was beim Einkommen in bestimmten Fällen mit einer plausiblen Freiwilligkeit zu erklären ist, greift beim Vermögen eben nicht.
Aber wie soll Kristina Schröder das verstehen? Für sie entsteht Vermögen auch folgendermaßen: »Die einen investieren ihr Geld in Aktien, andere in Urlaube, wieder andere in die Bildung ihrer Kinder.« Getreu Äsops Fabel von der Ameise und der Heuschrecke ist der Vermögende also moralisch überlegen, da er sein Geld nicht verjubelt, sondern angelegt hat. Geht es auch noch schlichter? Natürlich.
Immer wenn man meint, dümmer geht es nicht mehr, kommt von irgendwo Ulf Poschardt her. Der Chef der WELT-Gruppe und bekennende Porsche-Fan sieht einen zwingenden Zusammenhang zwischen Freiheit und Ungleichheit und rückt in seinem Artikel »Lob der Ungleichheit«29 gleich im zweiten Absatz den Wunsch nach einer gerechteren Verteilung der Vermögen in die Nähe der Nazis, deren Antisemitismus »auch ein Hass auf die jüdischen Eliten der Weimarer Republik« war und »den Volksgenossen eine Einebnung des Wohlstands auf gehobenem Niveau [versprach], wenn erst mal die vermeintlichen Parasiten des deutschen Volkes entfernt wären«. Das ist wohl die größtmögliche argumentative Moralkeule, die jedoch im Kontext zur heutigen Debatte so absurd ist, dass es Poschardt nicht bei diesem Scheinargument belassen will.
Stattdessen greift er ganz tief in den deutschen Mythenschatz und rekurriert auf die »Währungsreform als Ursprung [der angeblichen Gleichheit], in dem für einen kurzen, unwirklichen Augenblick alle gleich wenig Geld hatten«. Das ist gleich doppelter Unsinn, da selbstverständlich weder die Geld- noch die Sachvermögen nach der Währungsreform »gleich« waren und die berühmt-berüchtigten 40 Mark nur die Startausstattung mit Bargeld betrafen; eine vollkommen unwichtige Kategorie.
Aber warum sollte man sich darüber überhaupt echauffieren? »Eine freie Gesellschaft produziert« laut Poschardt nun einmal »Ungleichheit«. Und »eine erfolgreiche Gesellschaft toleriert soziale Unterschiede und besteht auf Chancengleichheit, die besonders vielen fleißigen Menschen den Aufstieg zu Wohlstand und Reichtum ermöglicht«. Demnach müsste jede Besteuerung von Vermögen eine Bestrafung der »fleißigen Menschen« sein. Das hören die fleißigen Erben von Millionenvermögen in ihren Villen am Tegernsee und Sommerresidenzen in Kampen sicherlich gerne. Für eine ernsthafte Debatte disqualifiziert sich Poschardt mit derlei FDP-Schenkelklopfern jedoch.
Besonders amüsant ist, dass Poschardt zwei Absätze zuvor noch festgesellt hat, dass diese Beobachtungen ohnehin nur ein »Narrativ der Ungleichheits-Dämonisierer« seien und der Gini-Index, der die soziale Ungleichheit misst, »in den vergangenen zehn Jahren gar nicht gestiegen« sei. Das ist einerseits schlicht falsch und andererseits höchst manipulativ, da es sich hierbei nicht um den Gini-Index der Vermögensverteilung, sondern um den Wert für die Einkommensverteilung handelt. Edelfeder Poschardt verweist hierbei auf einen Artikel seines Kollegen Daniel Eckert30, der als Finanzredakteur der WELT ein steter Garant für vollkommene ökonomische Ahnungslosigkeit ist.
Um zu belegen, dass Deutschland nicht immer ungleicher, sondern stattdessen sogar immer gleicher wird, greift Eckert in seinem Artikel »Deutschland, Land der Ungleichheit? Im Gegenteil!« tief in die Trickkiste. Auch Eckert erwähnt die diesbezüglichen Zahlen zur Vermögensverteilung nicht, sondern greift stattdessen auf die Zahlen zur Einkommensverteilung zurück. Doch die passen hier nicht nur nicht, sondern haben auch noch einen entscheidenden Schönheitsfehler. Weder die offiziellen Zahlen der statistischen Ämter noch die Zahlen des SOEP des DIW, die dafür gerne verwendet werden, bilden hohe Einkommen ab. Bei den offiziellen Statistiken werden Einkommen über 18 000 Euro pro Monat als »statistische Ausreißer« aussortiert – das mag für bestimmte Analysen durchaus sinnvoll sein, disqualifiziert die komplette Datenbasis jedoch für jegliche Aussagen zum Thema »Einkommensverteilung«, sind es doch genau diese Spitzeneinkommen, die im Rahmen einer Umverteilungsdebatte von Belang sind. Die Zahlen des DIW sind da kaum verlässlicher. Am SOEP nehmen zwar 12 000 Privathaushalte auf freiwilliger Basis teil – darunter befinden sich jedoch nur 20 Personen mit einem Vermögen von mehr als fünf Millionen Euro und kein einziger Teilnehmer mit einem Vermögen von mehr als 50 Millionen Euro.31
Diese Zahlenreihen lassen also keine Aussagen zur Einkommensverteilung zu und eignen sich erst recht nicht für eine Analyse der Vermögensverteilung. Es ist schon fast tragikomisch. Eckert operiert hier mit einem Gini-Koeffizienten von 0,28. Bei einem Spektrum von 0 bis 1 ist dies ein sehr niedriger Wert. Der am ehesten korrekte Gini-Koeffizient für die Vermögensverteilung in Deutschland beträgt jedoch 0,816!32 Dies ist zumindest der Wert, den die Vermögensverwaltung der Credit Suisse in ihrem eigentlich sehr zuverlässigen Global Wealth Report nennt. Dieser Wert ist übrigens einer der höchsten Werte weltweit. Deutschland steht damit auf einem Niveau mit Ländern wie Brasilien, Südafrika, den Philippinen und der USA, die für ihre massive Ungleichverteilung der Vermögen bekannt sind. In Ländern wie Belgien (0,603), Italien (0,669), Japan (0,626) und der Slowakei (0,498) sind die Vermögen wesentlich gerechter verteilt. 2010 lag dieser Wert für Deutschland übrigens noch bei 0,684. Deutschland ist also eines der Länder, in denen sich die Vermögen im letzten Jahrzehnt sogar im globalen Maßstab am stärksten auseinanderentwickelt haben.
In allen Artikeln der WELT zum Thema sind diese Zahlen natürlich nicht zu finden. Stattdessen kapriziert man sich auf andere Zahlen, die selbst auf einer mehr als wackligen Basis stehen – gerade so, wie es ins Konzept passt.
Albrecht Müller am 7. November 2019
Gestern erschien in der Stuttgarter Zeitung ein Beitrag von Bundestagspräsident Schäuble im Rahmen der Kampagne Journalismus zeigt Gesicht.33 Er lobt den sogenannten Qualitätsjournalismus als tragende Säule der Demokratie. Diese Beschönigung schafft er vor allem dadurch, dass er die kritischen Stimmen im Netz diffamiert. Er beruft sich auf den Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Im Netz herrsche ein ungleicher und ungezügelter Wettbewerb um Aufmerksamkeit. »Journalistisch aufbereitete Informationen, unreflektierte, oberflächliche Wortmeldungen und gezielte Desinformation« würden miteinander konkurrieren und ein »Vexierbild von Wahrheiten, Halbwahrheiten und Unwahrheiten geschaffen«.
Den Medien werde auch heute wieder wie in der Weimarer Zeit Wahrheitsverdrehung unterstellt. »Von einer Gegenöffentlichkeit, die Meinungen und Fakten vermischt und ihre eigenen Wahrheiten absolut setzt, um sie in den Echokammern der sozialen Medien lautstark wiederhallen zu lassen.«
Hier werden von Schäuble die oft fragwürdigen und kritikwürdigen Einträge im Netz benutzt, um die Versuche zum Aufbau einer Gegenöffentlichkeit generell zu verurteilen, und dann wird dieses miese Bild benutzt, um die Qualitätsmedien außerhalb des Netzes in einem glanzvollen Licht erscheinen zu lassen. Das nenne ich in Kapitel III. 9. meines neuen Buches Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst den Wippschaukeleffekt. Ich zitiere die einschlägige Passage:
»In den letzten Jahren begannen die etablierten Medien und ihre Vertreter die heranwachsenden Medien im Internet kritisch bis herablassend zu beäugen. Diese Kritik und die damit eintretende negative Etikettierung wirkt ebenfalls nach dem Schaukelprinzip. Die etablierten Medien erscheinen als das Wahre; sie erscheinen zugleich immer mehr als Einheit. Das Boulevardblatt Bild-Zeitung auf der einen Seite und zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit auf der anderen Seite wirken als einvernehmliche Gruppierung der wahren Medien.« (Seite 44)
Die Realität sieht anders aus. Das Folgende ist der Aufmacher eines aktuellen Artikels der Bild-Zeitung34, laut Schäuble auch ein Qualitätsmedium: