Nachhaltigkeit und Recht - Matthias Amort - E-Book

Nachhaltigkeit und Recht E-Book

Matthias Amort

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Beschreibung

Nachhaltigkeit (Sustainability) ist in aller Munde. Nicht nur Klimawandel und Energiekrise und deren Auswirkungen auf unser tägliches Leben führen uns deutlich vor Augen, dass wir uns dringend mit der Frage beschäftigen müssen: Wie können wir unser Verhalten stärker an der Zukunft und nicht nur an der Gegenwart ausrichten? Welchen Beitrag kann das Recht zur Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft leisten? Der Sammelband spannt den Bogen weit, um die Gesamtheit der Zukunftsaufgabe Nachhaltigkeit in ihren breit gefächerten Facetten aufzuzeigen und praxistaugliche Lösungsansätze aus unterschiedlichen juristischen Subdisziplinen zu bieten: - Asset lock als Mittel der Nachhaltigkeit - Business Judgement Rule - Nachhaltigkeit durch Aufsichtsrecht - Förderung der Nachhaltigkeit durch Steuerrecht - Soziale Nachhaltigkeit beim Datamining - Datenschutz und Nachhaltigkeit - Anreize zur Nachhaltigkeit durch Verbraucherrecht - Klimaschutzgesetz Mit Beiträgen von: Professor Matthias Amort, Stephan Arens, Jan-Friedrich Bruckmann, Hans-Jörg Fischer, Franz-Alois Fischer, Professor Marcus Helfrich, Professor Jens M. Schmittmann und Marcel Supernok-Kolbe

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Seitenzahl: 396

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Nachhaltigkeit und Recht

Herausgegeben von

Prof. Dr. Hans-Jörg Fischer, FOM Hochschule, Mannheim und Karlsruhe

und

Prof. Dr. habil. Matthias Amort, FOM Hochschule, Düsseldorf und Essen

Bearbeitet von

Prof. Dr. habil. Matthias Amort; Prof. Dr. Stephan Arens, Rechtsanwalt in Bonn/Koblenz; Prof. Dr. Jan-Friedrich Bruckermann, Rechtsanwalt in Köln; Prof. Dr. Franz-Alois Fischer, M.A., Rechtsanwalt in München; Prof. Dr. Hans-Jörg Fischer, Rechtsanwalt in Mannheim/München; Prof. Dr. Marcus Helfrich, Rechtsanwalt in München; Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, Rechtsanwalt in Essen; Marcel Supernok-Kolbe, LL.M., Euwax AG, Stuttgart

Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main

Alle im Buch verwendeten Begriffe verstehen sich geschlechterneutral. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung verzichtet – entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat lediglich redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN ISBN 978-3-8005-1831-9

© 2023 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Mainwww.ruw.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Druck: Druckerei Hachenburg – PMS GmbH, 57627 Hachenburg

Printed in Germany

Vorwort der Herausgeber

Die Entwicklung zur Nachhaltigkeit als signifikanter Aspekt wirtschaftlichen Handelns – Grundlage für mehr Nachhaltigkeit im deutschen Recht

A.Entwicklungen seit 1972

1

In Zeiten globaler Ressourcenverknappung hat sich gezeigt, dass es nicht mehr ausreicht, Nachhaltigkeit für die rein gewinnorientierte Betätigung als Voraussetzung für eine „ernsthafte“ gewerbliche Betätigung zu postulieren. Vielmehr sollte jedes wirtschaftliche Handeln nachhaltig sein, d.h. schonend mit sämtlichen betroffenen Ressourcen umgehen. Dieser Wandel im Denken manifestierte sich erstmals mit dem Bericht der gemeinnützigen Organisation „Club of Rome“ von 1972: „Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“.1

2

Ausgangspunkt für eine zeitgemäße, konkrete Definition der Nachhaltigkeit war der Brundtland-Bericht von 1987.2 Hier wurde Nachhaltigkeit als eine Entwicklung definiert, die gewährt, dass künftige Generationen nicht schlechter gestellt sind, ihre Bedürfnisse zu befriedigen als gegenwärtig Lebende. Eine andere, eher wirtschaftlich ausgerichtete Definition der Nachhaltigkeit bestimmt, dass Nachhaltigkeit „[...] nicht bedeutet, Gewinne zu erwirtschaften, die dann in Umwelt- und Sozialprojekte fließen, sondern Gewinne bereits umwelt- und sozialverträglich zu erwirtschaften.“3

3

Aus diesen unterschiedlichen Definitionsansätzen hat sich die Einordnung der Nachhaltigkeit in einem Zieldreieck zwischen wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit entwickelt.4

4

Der Begriff der Nachhaltigkeit prägt die wissenschaftliche Literatur in vielen Gebieten. Auch im Bereich der rechtlichen und steuerlichen Gestaltung ist diese Begrifflichkeit inzwischen präsent. Bereits 1994 wurde in Deutschland in Art. 20a GG als Staatszielbestimmung der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Verantwortung für die künftigen Generationen eingeführt,5 das Staatsziel Umweltschutz ist somit ein wichtiger Aspekt für nachhaltiges Staatshandeln.

B.Die UN-Nachhaltigkeitsziele von 2015

5

Konkret und diversifiziert in 17 Einzelziele wurden 2015 die von der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung6 propagierten Nachhaltigkeitskriterien („Sustainable Development Goals, SDG“)7 eingeführt, wobei vorliegend insbesondere, aber nicht abschließend, Ziel 8: „gute Arbeitsplätze und wirtschaftliches Wachstum“ („Decent Work and Economic Growth“) relevant sein dürfte. Ergänzend können auch die Nachhaltigkeitsziele 4 („Quality Education“), 7 („Affordable and Clean Energy“), 9 („Industry, Innovation and Infrastructure“), 12 („Responsible Consumption and Production“) und 13 („Climate Action“) Einfluss auf wirtschaftliches Handeln haben. Mit diesen 2015 verabschiedeten 17 UN-Nachhaltigkeitszielen wurde ein starker Impuls zur Umsetzung von Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen für das Jahr 2030 gesetzt. Im Bereich der Wirtschaft ist hier insbesondere die wirtschaftliche Nachhaltigkeit bestimmend, also die Frage des wirtschaftlichen Handelns durch Gestaltung von Rahmenbedingungen.

6

Die wirtschaftliche Nachhaltigkeit, verstanden als Teil der Trias aus ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit, hat Potenzial zur Implementierung in vielen Rechtsgebieten. So stellen sich Nachhaltigkeitsfragen im Spannungsfeld mit Haftungsrisiken bei Kapitalgesellschaften. Hier stellt sich die Frage, inwieweit Defizite beim nachhaltigen Handeln ggf. bereits zur Entstehung von Haftungsansprüchen führen können. Die bereits vor einiger Zeit entwickelte Business Judgement Rule würde in diesem Fall der Korrektur durch Grundsätze der Nachhaltigkeit bedürfen.

7

Ein weiteres Thema bei Kapitalgesellschaften ist die Frage der Schaffung einer Gesellschaftsform für nachhaltiges Unternehmertum, die durch eingeschränkten Zugriff auf Vermögen und Gewinne durch Gesellschafter einerseits und Unternehmensnachfolge durch eine Wertefamilie andererseits geprägt ist – zusammengefasst mit dem umstrittenen Begriff des Verantwortungseigentums sowie dem Begriff der Vermögensbindung umschrieben.

8

Ein anderer Aspekt ist die Frage, inwieweit auch Aufsichtsrecht als Korrektiv bei der Aufsichtstätigkeit die Nachhaltigkeit verfolgen sollte oder gar muss.

9

Im Steuerrecht wiederum wurden bereits durch das Klimaschutzgesetz und ergänzende steuerliche Vorschriften aus Sicht der ökologischen Nachhaltigkeit gesetzliche Regelungen erlassen, die nachhaltiges Handeln des Bürgers durch Lenkungsinstrumentarien des Steuerrechts sanktionieren bzw. fördern.

10

Zudem stellt sich die Frage, inwieweit die immer stärkere digitale Transformation, insbesondere die Verlagerung von Rechtsgeschäften, Recherchen, Entscheidungen und Zusammenkünften bis hin zu Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften (eine Entwicklung, die mit dem Begriff des Datamining nicht vollständig erfasst wird), mit ökologischer Nachhaltigkeit vereinbar ist. Inzwischen ist allgemein bekannt, dass der Energieverbrauch und damit auch der Verbrauch von Ressourcen an nicht erneuerbaren Energien durch die Nutzung des Internet jährlich signifikant steigen.

11

Hiermit im Zusammenhang steht auch die Frage, ob verbraucherschützende Widerrufsrechte im E-Commerce einen Fehlanreiz setzen und Retouren von online bestellten Produkten das Ziel der Nachhaltigkeit torpedieren. Wie kann dem gesetzgeberisch wirksam begegnet werden? Ein weiterer nachhaltigkeitsrelevanter Bereich ist das Datenschutzrecht und die Frage, inwieweit die Vorgaben zur Aufsicht und Sicherung allgemeinen Nachhaltigkeitserwägungen entsprechen.

12

Schließlich stellt sich bei rechtlichen Erörterungen zur Nachhaltigkeit nicht zuletzt auch die Frage, inwieweit die gesetzgeberischen Regelungen, z.B. das Klimaschutzgesetz, in Grundrechte des Bürgers eingreifen. Inwieweit sind Grundrechte betroffen und halten sich ggf. erfolgte Eingriffe in den verfassungsmäßigen Schranken? Hier ist der verfassungsrechtliche Blick auf die Abwägung der Rechtsgüter, die durch nachhaltiges Handeln geschützt werden, und die Individualgrundrechte lohnend.

13

Im Rahmen der nachfolgenden Beiträge werden die beteiligten Autoren Fragen der Nachhaltigkeit im Recht jeweils aus den genannten, unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Die Herausgeber erhoffen sich, durch die Beschäftigung mit dieser Thematik innovative und zukunftsweisende Denkanstöße zur Rechtsfortbildung in einer immer stärker durch Nachhaltigkeitsaspekte geprägten Gesellschaft zu geben.

Mannheim/Düsseldorf, 12.10.2022

Die Herausgeber

Hans-Jörg Fischer

Matthias Amort

1

Meadows/Meadows/Randers/Behrens

, The Limits to Growth, A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind, 1972, https://www.library.dartmouth.edu/digital/digital-collections/limits-growth (Abruf vom 18.7.2022).

2

Report of the World Commission on Environment and Development, „Brundtland-Report“, vom 4.8.1987, Rn. 24, https://en.wikisource.org/wiki/Brundtland_Report (Abruf vom 9.4.2022).

3

Pufé

, Nachhaltigkeit, 2. Aufl. 2014, S. 16.

4

So der Abschlussbericht der Enquête-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt – Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung, BT-Drs. 13/11200, 26.6.1998, S. 18, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/112/1311200.pdf (Abruf vom 4.4.2022).

5

Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, BGBl. I 1994, S. 3146.

6

Hierzu im Überblick: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V., https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/agenda-2030/ziele-fuer-nachhaltige-entwicklung/ (Abruf vom 26.4.2022).

7

Sustainable Development Goals, vgl. https://sdgs.un.org/goals (Abruf vom 9.4.2022).

Bearbeiterverzeichnis

Prof. Dr. habil. Matthias Amort

Professor für Wirtschaftsrecht, FOM Hochschule, Düsseldorf und Essen.

Prof. Dr. Stephan Arens

Professor für Unternehmens- und Wirtschaftsrecht, FOM Hochschule, Bonn und Köln. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht in Koblenz und Bonn.

Prof. Dr. Jan-Friedrich Bruckermann

Professor für Sozial- und Gesundheitsrecht, FOM Hochschule, Köln. Rechtsanwalt in Köln.

Prof. Dr. Franz-Alois Fischer, M. A.

Professor für Öffentliches Recht, FOM Hochschule, München. Rechtsanwalt in München, Dozent für Rechtsphilosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Prof. Dr. Hans-Jörg Fischer

Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht, FOM Hochschule, Mannheim und Karlsruhe. Wissenschaftlicher Leiter des KompetenzCentrums für Wirtschaftsrecht (KcW) und Sprecher des Hochschulbereichs Wirtschaft&Recht der FOM Hochschule. Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und für Steuerrecht in München und Mannheim. Mitherausgeber eines Kommentars zum neuen Hinweisgeberschutzgesetz.

Prof. Dr. Marcus Helfrich

Professor für Wirtschaftsrecht, FOM Hochschule, München. Rechtsanwalt in München. Mitherausgeber eines Handbuches zum betrieblichen Datenschutz, Co-Autor eines Kommentars zu DS-GVO und BDSG. Herausgeber einer Textausgabe zum Datenschutzrecht mit ausführlicher Einführung.

Prof. Dr. Jens M. Schmittmann

Professor für ABWL, Wirtschaft- und Steuerrecht, FOM Hochschule, Essen. Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, für Handels- und Gesellschaftsrecht und für Steuerrecht, Essen. Mitglied des Senats für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofes.

Marcel Supernok-Kolbe, LL.M.

Dozent für Compliance, FOM Hochschule, Stuttgart und Karlsruhe. Senior Referent Regulatory Compliance, Euwax AG, Stuttgart.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Herausgeber

Bearbeiterverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Kapitel 1 Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung einer Aktiengesellschaft – Rechtliche Pflicht oder nur „Soft Law“

A. Einleitung

B. Definition der „Nachhaltigkeit“

I. Das Bürgerliche Gesetzbuch

II. Die Verfassung

III. Der Duden

IV. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie

V. Das Unternehmensrecht

VI. Zwischenergebnis

C. Nachhaltigkeit und Corporate Governance Kodex

I. DCGK 2002

II. DCGK 2009

III. Weitere Entwicklung

IV. DCGK 2022

V. Verstoß gegen DCGK

VI. Ergebnis

D. Aktienrechtliche Vorgaben

I. Gesellschaftsinteresse und Gemeinwohlbindung

II. Pflicht aus der „Leitungsverantwortung“ des § 93 Abs. 1 AktG

III. Ergebnis

IV. Nachhaltigkeitsausschuss

E. Ergebnis

Literaturverzeichnis

Kapitel 2 Die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen als Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitskriterien im deutschen Gesellschaftsrecht

A. Nachhaltigkeit als Petitum bei wirtschaftlichem Handeln – Ursprünge und Entwicklungen

B. Nachhaltigkeitsdefizite der bisherigen Gesellschaftsformen bei Unternehmen

I. Gewinnausschüttungen vs. Asset-Lock

II. Unternehmensnachfolge und freie Übertragbarkeit vs. Shareholder-Lock

C. Lösungen zur Sicherstellung von Nachhaltigkeit nach bisheriger Rechtslage

I. Veto-Anteils-Modell

II. Einzelstiftungsmodell

III. Doppelstiftungsmodell

D. Der Gesetzesentwurf zur Gesellschaft mit Vermögensbindung von 2020

I. Allgemeines

II. Gründung, Firmierung, geeignete Gesellschafter

III. Übertragung unter Lebenden und durch Erbfolge

IV. Ergebnisverwendung und Kapitalerhaltung

V. Kaduzierung, Abandon und Amortisation

VI. Liquidation der Gesellschaft

VII. Umwandlung

VIII. Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge

IX. Anpassungen des ErbStG und des KStG, Unternehmensbewertung bei Erbschaft- und Schenkungsteuer

E. Kritik am Gesetzesentwurf vom 12.6.2020

I. Allgemeines

II. Bezeichnung als Gesellschaft in Verantwortungseigentum

III. Absicherung der Vermögensbindung

IV. Schwächen beim Gläubigerschutz

V. Zwingende Firmierung

VI. Umgehungsrisiken bei Anteilsübertragung an natürliche Personen

VII. Doppelter Ausschluss des § 29 Abs. 1 GmbHG in § 77e Entwurf VE-GmbH

VIII. Inhalte des §§ 77f, 77g Entwurf VE-GmbH besser in 30 und 31 GmbHG regeln?

IX. Regelungen zum Umwandlungsrecht systematisch korrekt im Umwandlungsgesetz zu regeln

F. Der überarbeitete Gesetzesentwurf zur Gesellschaft mit gebundenem Vermögen 2021

I. Allgemeines

II. Regelungen zu Rechtsformzusatz und Gesellschaftszweck

III. Handelsregister als Kontrollinstanz für Vermögensbindung im Gesellschaftsvertrag

IV. Voraussetzungen für die Herstellung der Vermögensbindung gem. § 77b Entwurf GmbH-gebV

V. Schutz der Gläubiger der Gesellschaft

VI. Keine Anteilsveräußerung über Nominalwert

VII. Unternehmensverträge, insbesondere Gewinnabführung

VIII. Weitere Maßnahmen zur Sicherstellung der Vermögensbindung

IX. Umwandlung und Vermögensverteilung nach Liquidation

G. Kritik am überarbeiteten Gesetzesentwurf von 2021

I. Fragen der Vereinbarkeit mit der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV

II. Unabdingbarkeit der Vermögensbindung als unzulässige Beschränkung der Verbandssouveränität?

III. Weiterhin Erfordernis einer zwingenden Firmierung

IV. Umgehungsmöglichkeiten bei der Vermögensbindung, insbesondere durch stille Beteiligungen

V. Regelungen zur Kapitalerhaltung und Umwandlungen sachnäher regeln

VI. Gläubigerschutz

VII. Ausgestaltung der „unabhängigen Einrichtung“

VIII. Das reformierte Stiftungsrecht als Alternative zur Gesellschaft mit gebundenem Vermögen?

IX. Niedrigere Bewertung der Anteile bei Erbschaft- und Schenkungsteuer wie bei gemeinnützigen Gesellschaften

H. Überlegungen für ergänzende Regelungen beim Entwurf GmbH-gebV

I. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Kapitel 3 Impulse zur Nachhaltigkeit durch das Aufsichtsrecht für Finanzdienstleistungen

A. Einleitung

I. Aufsichtsrechtliche Vorgaben in herausfordernden Zeiten

II. Problemstellung, Zielsetzung und Methodik

B. Regulatorische Vorgaben im Nachhaltigkeitsmanagement

I. Gesetzliche und aufsichtsrechtliche Einordnung des Nachhaltigkeitsmanagements

II. Der Nachhaltigkeitsbegriff im Finanz- und Versicherungsdienstleistungssektor

III. Strukturmodell eines aufsichtsrechtlichen Nachhaltigkeitsmanagements

C. Organisatorische Handlungsfelder im Nachhaltigkeitsmanagement

I. Identifikationsprozess

D. Bewertung des Implementierungsprozesses im Nachhaltigkeitsmanagement

I. Organisationale Umsetzungsmaßnahmen

E. Fazit

F. Ausblick

Literaturverzeichnis

Kapitel 4 Förderung der Nachhhaltigkeit durch das Steuerrecht

A. Einleitung

B. Nachhaltigkeit

C. Maßnahmen im Steuerrecht zur Förderung der Nachhaltigkeit

I. Finanzmarktrechtliche Aspekte

II. Verfahrensrecht

III. Steuern vom Einkommen und Ertrag

IV. Steuern auf die Verwendung von Einkommen und Vermögen

D. Grenzen der Maßnahmen im Steuerrecht im Lichte der Verfassung

I. Lenkungssteuern

II. Übermaßverbot

III. Vollzugsdefizit

IV. Erdrosselung

E. Fazit

Literaturverzeichnis

Kapitel 5 Datamining im Spannungsfeld von Bürgerrechten und sozialer Nachhaltigkeit

A. Einleitung

B. Bürgerrechte

I. „Objektformel“

II. Cookienutzung

C. Kommerzielle Interessen: Datamining

I. Begriff

II. Transparenzvorgaben

D. Soziale Nachhaltigkeit

I. Begriff der sozialen Nachhaltigkeit

II. Diskriminierungsanfälligkeiten von Algorithmen bei Auswertungen

E. Lösungsansätze

I. International

II. Nationale Absicherungen

III. Ergebnis

Literaturverzeichnis

Kapitel 6 Nachhaltigkeit bei Verbraucherwiderrufsrechten und Retourenpraxis

A. Einleitung

B. Verbraucherwiderruf im deutschen Zivilrecht

I. Widerruf bei Fernabsatzverträgen

II. Weitere zentrale Widerrufsrechte

C. Unionsrechtlicher Hintergrund der Verbraucherwiderrufsrechte

I. Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Union (EU)

II. Verbandskompetenz der EU für den Verbraucherschutz

III. Art. 169 AEUV

IV. Art. 12 AEUV und Art. 38 GRCh

D. Nachhaltigkeit als Ziel der EU

I. Verankerung der Nachhaltigkeit im Zielkatalog

II. Fehlende Legaldefinition der Nachhaltigkeit

III. Ansätze einer Begriffsbestimmung

IV. Managementregeln

E. Inhaltliche Ausgestaltung der Nachhaltigkeit

I. Keine konkreten Vorgaben durch das Primärrecht

II. Konkretisierungsansätze der Literatur

F. Historische Entwicklung des Nachhaltigkeitsziels

I. Umweltschutz als Ausgangspunkt

II. Nachhaltigkeit als globales Thema

III. Einheitliche Europäische Akte (EEA)

IV. Konferenz von Rio

V. Vertrag von Maastricht

VI. Verträge von Amsterdam und Nizza

VII. Vertrag von Lissabon

VIII. Sogenannte Europäische Nachhaltigkeitsstrategie

G. Nachhaltigkeit versus Retourenpraxis

I. Steigende Befürwortung der Nachhaltigkeit durch Verbraucher

II. Widerspruch zur Retourenpraxis

III. Fehlanreiz durch Widerrufsrecht?

H. Lösungsansätze

I. Kostentragungspflicht für Verbraucher bei Retouren von mangelfreien Produkten

II. Ausschluss des Widerrufsrechts bei übermäßiger Warennutzung

III. Verbrauchersensibilisierung und -aufklärung

IV. Nachhaltigkeit durch neue Technologien

I. Fazit und Plädoyer

Literaturverzeichnis

Kapitel 7 Nachhaltiger Datenschutz?

A. Nachhaltigkeit als Generalthema

B. Grundsätze für die Datenverarbeitung

I. Rechtmäßigkeit, Transparenz, Treu und Glaube

II. Zweckbindung

III. Datenminimierung

IV. Speicherbegrenzung

C. Datenschutzmanagement als Nachhaltigkeitsmanagement

D. Fazit

Literaturverzeichnis

Kapitel 8 Freiheit durch Klimaschutz – zum intertemporalen Freiheitsbegriff des Bundesverfassungsgerichts

A. Euphorie über einen Beschluss aus Karlsruhe

B. Freiheit und Klimaschutz

I. Das Klimaschutzgesetz

II. Der Klimaschutz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

III. Grundgesetzliche Dimensionen

IV. Dimensionen des Freiheitsbegriffs

V. Kritik

C. Fazit: Freiheit durch Klimaschutz

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a.a.O.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift)

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

a.E.

am Ende

a.F.

alte Fassung

AG

Aktiengesellschaft

AktG

Aktiengesetz

AO

Abgabenordnung

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

BDSG

Bundesdatenschutzgesetz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BaFin

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

BCBS

Basel Commitee on Banking Supervision

B2C

Business to Consumer

Buchst.

Buchstabe

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz

bzw.

beziehungsweise

C

Celsius

CSD

Commission on Sustainable Development

CSR

Corporate Social Responsibility

DCGK

Deutsche Corporate Governance Kodex

ders.

derselbe

DGRV

Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband

dies.

dieselbe

DNK

Deutscher Nachhaltigkeitskodex

DSGVO

Datenschutzgrundverordnung

EBA

European Banking Authority

EC

European Communities

ECB

Europäische Zentralbank (European Central Bank)

E-Commerce

Electronic Commerce

EEA

Einheitliche Europäische Akte

EEG

Erneuerbare-Energien-Gesetz

EG

Erwägungsgrund zur DS-GVO

EGBGB

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EIOPA

European Insurance and Occupational Pensions Authority

EnEV

Energieeinsparverordnung

ErbStG

Erbschaftsteuergesetz

ESG

Environmental, Social, Governance

ESMA

European Securities and Markets Authority

EU

Europäische Union (European Union)

EuGH

Europäischer Gerichtshof (Gerichtshof der Europäischen Union)

EuR

Europarecht (Zeitschrift)

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWGV

Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

FNG

Forum Nachhaltige Geldanlagen e.V.

FSB

Financial Stability Board

GdW

Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen

GG

Grundgesetz

GmbHG

GmbH-Gesetz

GmbH-gebV

GmbH mit gebundenem Vermögen

GMS

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten

GPR

Grundlinien der Philosophie des Rechts

GRCh

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

grds.

grundsätzlich

HGB

Handelsgesetzbuch

h.M.

herrschende Meinung

IFRS

International Financial Reporting Standards

IKS

Internes Kontrollsystem

ISO

International Organization for Standardization

ISSB

International Sustainability Standards Boards

i.v.M.

in Verbindung mit

JEnvL

Journal of Environmental Law (Zeitschrift)

K&R

Kommunikation & Recht (Zeitschrift)

KPI

Key Performance Indicator

KpV

Kritik der praktischen Vernunft

KrV

Kritik der reinen Vernunft

KSG

Klimaschutzgesetz

KStG

Körperschaftsteuergesetz

KWG

Kreditwesengesetz

lit.

litera

MMR

Zeitschrift für IT-Recht und Recht der Digitalisierung

NE

Nikomachische Ethik

NGFS

Network of Greening the Financial System

NGO

Non-governmental organization

NJOZ

Neue Juristische Online-Zeitschrift

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

NuR

Natur und Recht (Zeitschrift)

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

Rn.

Randnummer

S.

Satz/Seite

SDG

Sustainable Development Goals

SREP

Supervisory Review and Evaluation Process

StuB

Unternehmenssteuer und Bilanzen (Zeitschrift)

TVO

Taxonomieverordnung

UAbs.

Unterabsatz

UmwG

Umwandlungsgesetz

UNCED

United Nations Conference on Environment and Development

UStG

Umsatzsteuergesetz

VAG

Versicherungsaufsichtsgesetz

VE-GmbH

GmbH in Verantwortungseigentum

vgl.

vergleiche

VuR

Verbraucher und Recht (Zeitschrift)

WRV

Weimarer Verfassung

WTO

World Trade Organization

z.B.

zum Beispiel

ZD

Zeitschrift für Datenschutz

ZEuP

Zeitschrift für Europäisches Privatrecht

ZPO

Zivilprozessordnung

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZUR

Zeitschrift für Umweltrecht

Kapitel 1 Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung einer Aktiengesellschaft – Rechtliche Pflicht oder nur „Soft Law“

Übersicht

A. Einleitung

1

B. Definition der „Nachhaltigkeit“

2

I. Das Bürgerliche Gesetzbuch

3

II. Die Verfassung

5

III. Der Duden

8

IV. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie

9

V. Das Unternehmensrecht

12

VI. Zwischenergebnis

14

C. Nachhaltigkeit und Corporate Governance Kodex

21

I. DCGK 2002

23

II. DCGK 2009

27

III. Weitere Entwicklung

30

IV. DCGK 2022

35

V. Verstoß gegen DCGK

41

VI. Ergebnis

50

D. Aktienrechtliche Vorgaben

53

I. Gesellschaftsinteresse und Gemeinwohlbindung

54

II. Pflicht aus der „Leitungsverantwortung“ des § 93 Abs. 1 AktG

58

1. Legalitätspflicht

60

2. Business Judgement Rule

66

III. Ergebnis

81

IV. Nachhaltigkeitsausschuss

83

E. Ergebnis

85

A. Einleitung

1

Themen wie Nachhaltigkeit, Corporate Social Responsibility (CSR), Environmental Social Governance (ESG) und Verantwortungseigentum „geistern“ in den letzten Jahren vermehrt durch die juristische Literatur. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach nachhaltigen Investitionen (Sustainable Investments) an den Kapitalmärkten. Der Beitrag untersucht, inwiefern für Vorstände einer Aktiengesellschaft eine rechtliche Pflicht besteht, für eine „nachhaltige“ Unternehmensführung zu sorgen oder, ob dies lediglich unverbindliche Leitlinien sind.

B. Definition der „Nachhaltigkeit“

2

Sofern eine „nachhaltige“ Unternehmensführung gefordert wird, muss zunächst einmal der Begriff der Nachhaltigkeit definiert werden.

I.Das Bürgerliche Gesetzbuch

3

Bereits das Bürgerliche Gesetzbuch kannte bereits bei seinem Inkrafttreten den Terminus des „ordnungsmäßigen Wirtschaftens“ (§ 1036 Abs. 2 Hs. 2 BGB). Was hierunter zu verstehen ist, ist aber selbst bei ausführlicher Lektüre der einschlägigen Kommentierungen nicht klar. So sei die „Ordnungsmäßigkeit der Bewirtschaftung an einem objektiven Maßstab zu messen“.1 Weiter wird darin ausgeführt, dass „zum Teil angenommen [werde], dass sich die Ordnungsmäßigkeit der Bewirtschaftung wiederum nach der wirtschaftlichen Bestimmung richtet, während nach der Gegenauffassung der Gesichtspunkt der ordnungsmäßigen Wirtschaft den Vorzug verdient.“

4

Angesichts einer fehlenden praktischen Konsequenz verläuft die Diskussion dann im Sande. Eine taugliche Definition des Begriffs der Nachhaltigkeit ergibt sich daraus jedenfalls nicht.

II.Die Verfassung

5

Bereits nach Art. 150 WRV genossen die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und die Natur sowie die Landschaft den Schutz und die Pflege des Staates.2

6

Im Jahr 1994 wurde dann Art. 20a in das GG aufgenommen, wonach der Staat „die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ schützt.

7

Damit wurde das Prinzip der Nachhaltigkeit in das Verfassungsrecht inkorporiert, nach dem die (wirtschaftliche) Entwicklung und die Nutzung der natürlichen Ressourcen darauf angelegt sein sollen, den Bedürfnissen der heutigen Generation zu entsprechen, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Daher müssen auch langfristige Auswirkungen in die Abwägungsvorgänge eingestellt werden, was vom Bundesverfassungsgericht3 als „objektivrechtlicher Schutzauftrag“ dahin konkretisiert wurde, „mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren können“.

III.Der Duden

8

Laut dem Duden versteht man unter dem Begriff der Nachhaltigkeit (1) eine längere Zeit anhaltende Wirkung (2) a. forstwirtschaftliches Prinzip, nach dem nicht mehr Holz gefällt werden darf, als jeweils nachwachsen kann (Forstwirtschaft); b. Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann (Ökologie).

IV.Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie

9

Die Bundesregierung hat eine „Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Weiterentwicklung 2021“ entwickelt. Dies bedeute für die Bundesregierung, darauf hinzuarbeiten, mit ihrer Politik gleichermaßen den Bedürfnissen der heutigen sowie künftiger Generationen gerecht zu werden – in Deutschland sowie in allen Teilen der Welt – und ihnen ein Leben in voller Entfaltung ihrer Würde zu ermöglichen. Dafür bedürfe es – so die Strategie – einer wirtschaftlich leistungsfähigen, sozial ausgewogenen und ökologisch verträglichen Entwicklung, wobei die planetaren Grenzen zusammen mit der Orientierung an einem Leben in Würde für alle (ein Leben ohne Armut und Hunger; ein Leben, in dem alle Menschen ihr Potenzial in Würde und Gleichheit voll entfalten können) die absolute äußere Beschränkung vorgeben.4

10

Ausgehend von dem Konzept der drei Dimensionen – Wirtschaft, Soziales, Umwelt – solle dies nach der Agenda 2030 aus dem Jahr 2015 an insgesamt 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) ausgerichtet sein.

11

Damit hat die Agenda auch den Nachhaltigkeitsbegriff im Unternehmensrecht deutlich konturiert.5 Sie zielt explizit darauf ab, „die nachhaltige Entwicklung in ihren drei Dimensionen – der wirtschaftlichen, der sozialen und der ökologischen – in ausgewogener und integrierter Weise herbeizuführen“, und unterstreicht die gemeinsame Verantwortung aller Akteure hierfür – Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

V.Das Unternehmensrecht

12

Im Gefolge der Finanzkrise 2007/08 konnte erstmals eine vertiefte Diskussion über eine nachhaltige Führung von Finanzinstitutionen festgestellt werden, wobei diese offensichtlich darauf angelegt war, vor allem der Kurzfristigkeit („short-termism“) unternehmerischer Strategien und der Übernahme exzessiver finanzieller Risiken entgegenzuwirken und damit das einzelne Unternehmen im Interesse seiner Gesellschafter, seiner Gläubiger und – jedenfalls bei systemrelevanten Akteuren – der Stabilität des Finanzsystems zu erhalten.6

13

Dies ist in den letzten Jahren vor allem durch das Ziel der Eindämmung des globalen Temperaturanstiegs abgelöst worden, welches zunehmend andere Ziele verantwortlicher Unternehmensführung in den Hintergrund drängen.7

VI.Zwischenergebnis

14

Es lässt sich daher festhalten, dass es „die“ Definition der Nachhaltigkeit nicht gibt und dieser Begriff dem Zeitgeist unterworfen ist. In letzter Zeit hat sich (fast) ein Buzzword-Bingo entwickelt.8

15

So finden sich in der (wirtschafts-)rechtlichen Literatur nunmehr vor allem zwei Schlagwörter: die „Corporate Social Responsibility (CSR)“, womit die gesellschaftliche Verantwortung zu einer nachhaltigen Entwicklung eines Unternehmens beschrieben wird und Environment, Social and Governance (ESG), womit nicht (nur) durch finanzielle Kennzahlen messbare, ökologische und gesellschaftliche Bereiche der Unternehmensführung umschrieben werden. Ins Deutsche übersetzt bedeutet Environment Social Governance (ESG) Umwelt, Soziales und Unternehmensführung.9

16

Die Differenzierung der Begriffe ist alles andere als trennscharf. Festgehalten werden kann schon einmal, dass der Begriff der Nachhaltigkeit weiter gefasst ist, als der der Corporate Social Responsibility. Letzterer beinhaltet eine Fokussierung nach einem verantwortungsvollen Handeln von Unternehmen, während das Konzept der Nachhaltigkeit ein überragendes Gemeinwohlanliegen zum Inhalt hat, welche in unterschiedlichen Rechtsbereichen zur Anwendung kommt.10

17

Die Corporate Social Responsibility setzt im Gesellschaftsrecht, d.h. bei der rechtlichen Verfasstheit der einzelnen Unternehmen, an und unternimmt es, die spezifische Pflichtenlage der Gesellschaft und ihrer Geschäftsleitung über den Kernbereich der Gesellschafterinteressen hinaus zu erstrecken und weitere soziale Gruppen in deren Schutzbereich einzubeziehen. Dies beginnt mit unmittelbaren oder mittelbaren Vertragspartnern des Unternehmens – der Arbeitnehmerschaft, der Gläubigergesamtheit, dem Kreis der Konsumenten – und reicht nach modernem Verständnis sehr viel weiter – tief in die Vorstufen der globalen Wertschöpfungsketten oder auch in das Netz staatlich verfasster oder weltweit verstandener Solidargemeinschaften.11 Damit wird die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung aufgenommen.

18

Derjenige Teilbereich der Nachhaltigkeit, der in die Verantwortung der Wirtschaft fällt, wird mit dem Begriff CSR umschrieben. Es geht um die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen, zu einer nachhaltigen, d.h. wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte zum Ausgleich bringenden Entwicklung beizutragen. Mit den Worten der EU-Kommission können Unternehmen dieser gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen, indem sie (i) das geltende Recht einhalten und (ii) soziale, ökologische, ethische, Verbraucher- und Menschenrechtsbelange in ihre Unternehmensstrategie und Geschäftstätigkeit integrieren.12

19

Im Folgenden soll auf die „Corporate Social Responsibility“ (CSR) eingegangen werden, und zwar in dem Sinne, dass diese – aus Unternehmenssicht – die Einhaltung der Menschenrechte oder den Umwelt- und Arbeitsschutz ebenso umfasst, wie die freiwilligen Verbesserungen und ethischen Selbstverpflichtungen sowie Maßnahmen der Unternehmen im Hinblick auf Menschenrechte oder soziale Belange.13 In der Praxis werden die Begriffe CSR und Nachhaltigkeit häufig synonym verwendet.14

20

Es wird im Folgenden zu untersuchen sein, wo (und wie) eine CSR normiert ist und, ob daraus eine „Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder“ im Sinne einer Rechts- bzw. Einstandspflicht folgt oder, ob dies reines Soft Law ist. Zusammenfassend lässt sich dies auf den Nenner bringen: Ist bei der CSR der Begriff der Verantwortung (Responsibility) in einem rechtlichen Sinne zu verstehen?

1

MüKO-BGB/

Pohlmann

, § 1036 Rn. 16.

2

Näher dazu Dürig/Herzog/Scholz/

Scholz

, 96. EL November 2021, GG Art. 20a Rn. 4.

3

BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NJW 2021, 1723.

4

https://www.bundesregierung.de/resource/blob/998194/1875176/3d3b15cd92d0261e7a0bcdc8f43b7839/deutsche-nachhaltigkeitsstrategie-2021-langfassung-download-bpadata.pdf (Abruf vom 6.9.2022).

5

Näher zur Agenda 2030

Huck/Kurkin

, ZaöRV 2018, 375.

6

Schön

, ZfPW 2022, 207, 209;

Marsch-Barner

, ZHR 175 (2011), 737ff.

7

Schön

, ZfPW 2022, 207, 209.

8

Was verbirgt sich hinter CSR und ESG und welche Relevanz haben sie für Investoren? (boerse-muenchen.de).

9

Bartz/Schenkel/Reda

, CCZ 2021, 189, 190.

10

Schön

, ZfPW 2022, 207, 210.

11

Schön

, ZfPW 2022, 207, 210;

Walden

, NZG 2020, 50, 52.

12

Walden

, NZG 2020, 50, 52.

13

MüKo-AktG/

Spindler

, § 76 Rn. 84.

14

Walden

, Corporate Social Responsibility: Rechte, Pflichten und Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat.

C. Nachhaltigkeit und Corporate Governance Kodex

21

Der Deutsche Corporate Governance Kodex stellt wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften dar und enthält in Form von Empfehlungen und Anregungen international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung.

22

Der Deutsche Corporate Governance Kodex besteht aus drei verschiedenen Elementen. Zum einen beschreibt er gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften (Unternehmensführung), die im Wesentlichen im Aktiengesetz geregelt sind. Als weitere Elemente enthält er international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung, in Form von Empfehlungen und Anregungen. Die Empfehlungen werden im Text des Kodex mit

„soll“ und die Anregungen mit „sollte“ gekennzeichnet. Aus diesem könnte sich eine Rechts- bzw. Einstandspflicht des Vorstands ergeben.

I.DCGK 2002

23

Bereits der erste DCGK griff den Begriff der „Nachhaltigkeit“ in Nr. 4.1.1 DCGK 2002 auf. Der Vorstand sollte „der Steigerung des nachhaltigen Unternehmenswertes“ verpflichtet sein. Hiermit wurde die langfristige Rentabilität als Ziel guter Unternehmensführung ausgewiesen.15

24

Adressiert wurde dabei die Qualität der Unternehmensleitung, namentlich eine nachhaltige und im umfassenden Sinne des Wortes rechtmäßige Wertschöpfung im Interesse der Aktionäre, als Teilnehmer des Kapitalmarkts, aber auch der Gläubiger, der Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit. Daher standen neben eigentlichen Führungsgrundsätzen Rechte der Aktionäre und Transparenzerwägungen im Vordergrund. Auch die Außenwahrnehmung der Gesellschaft und ihres Unternehmens war Gegenstand der (damaligen) Corporate Governance; der Kapitalmarkt soll von der Unternehmensleistung überzeugt werden. Darin zeigte sich der Zusammenhang der Corporate Governance-Regeln mit Anlagekriterien marktmächtiger institutioneller Investoren oder aus der Gegenperspektive mit Pflege von Investor Relations.16

25

In Umsetzung der vorgenannten allgemeinen Erwägungen spiegelte sich der Begriff der Nachhaltigkeit in zwei (größeren) Bereichen:

– Die Vergütung der Vorstandsmitglieder und der leitenden Mitarbeiter des Unternehmens soll in ausreichendem Maße Leistungsanreize zur langfristigen Steigerung des Unternehmenswertes vorsehen. Dazu sollen Aktienoptionsprogramme und leistungsbezogene Anreize, auf die Kursentwicklung der Aktie und auf die Nachhaltigkeit des Erfolgs des Unternehmens ausgerichtet sein;17

– eine „Offenlegung und Transparenz“ soll hergestellt werden; was insbesondere durch regelmäßige und unter Beachtung der gebotenen Gleichbehandlung aller Aktionäre (Fair Disclosure) Berichte des Vorstandes über alle Angelegenheiten des Unternehmens in Geschäfts- und Zwischenberichten, Ad-hoc-Meldungen, Analystenkonferenzen sowie Presseveranstaltungen sichergestellt werden sollte.18

26

Bereits Claussen/Bröcker merkten im Jahr 2000 an, dass eine betriebliche Mitarbeiterbeteiligung – trotz gelebter aktienrechtlicher Praxis und „gesellschaftlichem Zentralanliegen“ nicht erwähnt werde und mahnt damit eine Sensibilisierung der „Sozialen Gerechtigkeit“ an.19

II.DCGK 2009

27

Viel tat sich in dem nachfolgenden Jahrzehnt nicht. Erst in der Präambel DCGK 2009 wurde die Führung des Unternehmens „im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft“ und die Verantwortung für „seine [des Unternehmens] nachhaltige Wertschöpfung“ betont. Nach Nr. 4.1.1 des DCGK 2009 leitet der Vorstand das Unternehmen mit dem Ziel „nachhaltiger Wertschöpfung in eigener Verantwortung und im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen beibehalten“.

28

Bei der Bemessung, ob die Gesamtvergütung des Vorstands „angemessen“ ist, soll der Aufsichtsrat sowohl die Aufgaben des einzelnen Vorstandsmitglieds, seine persönliche Leistung, die wirtschaftliche Lage, den Erfolg und die Zukunftsaussichten des Unternehmens als auch die Üblichkeit der Vergütung unter Berücksichtigung des Vergleichsumfelds und der Vergütungsstruktur, die ansonsten in der Gesellschaft gilt, berücksichtigen (4.2.2).

29

Hintergrund war, die damalige Finanzmarktkrise und, dass der deutsche Gesetzgeber und die EU-Kommission in kurzfristig ausgerichteten Vergütungsinstrumenten und den dadurch geschaffenen Verhaltensanreizen eine Ursache für diese gefunden hatten – oder dies glaubten. In Zukunft sollte die Vergütung Anreize für eine nachhaltige und auf Langfristigkeit ausgerichtete Unternehmensführung schaffen.20 Weitere Ausführungen zur Nachhaltigkeit finden sich ansonsten nicht.21

III.Weitere Entwicklung

30

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Begriff der Nachhaltigkeit im DCGK knapp zwei Jahrzehnte (ab seiner ersten Version aus dem Jahr 2002) vor allem ein „monetäres“ Verständnis aufwies.

31

Erst ab dem Jahr 2017 setzte ein langsames Umdenken ein. So wurde im Rahmen der Kodexrevision 2017 in der Präambel von institutionellen Investoren explizit erwartet, dass sie ihre Eigentumsrechte „aktiv und verantwortungsvoll auf der Grundlage von transparenten und die Nachhaltigkeit berücksichtigenden Grundsätzen“ ausüben sollen. Bereits die Stellungnahme des DAV zum Entwurf eines geänderten Corporate Governance Kodex der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex vom 25.10.201822 fragt daraufhin, welche Grundsätze gemeint sind und stellt mit den UN Principles for Responsible Investment; Dow Jones Sustainability Index-Kriterien; GRI; branchenspezifische ESG-Richtlinien eine Vielzahl von Begrifflichkeiten in den Raum. Zudem wurde in der vorgenannten Stellungnahme angemerkt, dass „Nachhaltigkeit“ kein definierter Begriff ist, sondern ein Schlagwort, das in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Aspekte umfassen kann, was aufgrund der inhaltsoffenen Begriffe zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen könne. Unterschiedliche Investoren, NGOs und sonstige Stakeholder könnten diese mit sehr verschiedenen Inhalten ausfüllen, die als Forderungen „guter Unternehmensführung“ in Hauptversammlungen, aber auch in Klagen, bspw. im zunehmenden Bereich der „climate litigation“, geltend gemacht werden. Wenn die Kommission derartige Forderungen einführt, sollte sie sie inhaltlich definieren und die möglichen Konsequenzen transparent abgewogen haben.23

32

Der DCGK 2020 nahm dann zumindest die (allgemeinen) Verpflichtungen von Vorstand und Aufsichtsrat auf, im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, der Belegschaft und der sonstigen mit dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen (Unternehmensinteresse). Diese Prinzipien verlangen nicht nur Legalität, sondern auch ethisch fundiertes, eigenverantwortliches Verhalten (Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns). Weiter hätten sich die Gesellschaft und ihre Organe in ihrem Handeln der Rolle des Unternehmens in der Gesellschaft und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst zu sein. Dies deshalb, da „Sozial- und Umweltfaktoren“ den Unternehmenserfolg beeinflussen würden. Vorstand und Aufsichtsrat sollten im „Interesse des Unternehmens“ sicherstellen, dass die potenziellen Auswirkungen dieser Faktoren auf die Unternehmensstrategie und operative Entscheidungen erkannt und adressiert werden.

33

Weiter enthielt der DCGK 2020 eine Reihe zusätzlicher spezifischer Transparenzempfehlungen, welche die Information der Stakeholder verbessert, es aber kaum zukunftsweisende Impulse für die weitere Governancedebatte gab. Neue Implikationen für die Corporate Governance, die sich aus Trends wie der Digitalisierung oder dem Klimawandel ergeben, wurden nicht adressiert. Begriffe wie Nachhaltigkeit waren zwar in der Präambel zu finden, nicht jedoch in den Kodexempfehlungen. Zudem richtete sich der Kodex ausschließlich auf das Interesse des Unternehmens und nicht der „Allgemeinheit“.24

34

Dennoch lässt sich rückblickend feststellen, dass durch den Deutschen Corporate Governance Kodex 2020 eine Zäsur eintrat. So wurde ein Kodex veröffentlicht, der sich das Ziel setzte, wieder stärkere Standards zu setzen, auf die es aus der Sicht möglichst vieler Stakeholder ankommt. Ein wesentliches Element des Entwurfs war der Verzicht auf die Wiedergabe von Gesetzestexten zugunsten von sogenannten Grundsätzen, die in wenigen Worten die Essenz der wichtigsten gesetzlichen Regeln nebst elementaren Standards guter Unternehmensführung wiedergeben und zu denen die Unternehmen dann in einer neuen „Apply and Explain“-Erklärung erläutern, wie sie diese Grundsätze umsetzen.

IV.DCGK 2022

35

Mit der Neufassung des DCGK 2022 werden auch inhaltlich erstmals Auswirkungen der Gesellschaftstätigkeit auf Menschen und Umwelt durch den Vorstand berücksichtigt. Die Empfehlung A.1 DCGK 2022 sieht vor, dass der Vorstand bei der Leitung soziale und ökologische Risiken sowie die Auswirkungen der Gesellschaftstätigkeit in seine Abwägung einfließen lassen soll. In der Unternehmensstrategie sollen wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele in Ausgleich gebracht werden; die Unternehmensplanung soll neben finanziellen, ausdrücklich „nachhaltigkeitsbezogene Ziele enthalten“.

36

Der DCGK 2022 legt damit für die Bestimmung des Unternehmensinteresses ausdrücklich einen weiten Stakeholder-Ansatz zugrunde und erwartet als best practice nicht nur die Abwägung, sondern (auch) die Verfolgung nachhaltiger Ziele.25 Darüber hinaus sollen Nachhaltigkeitsbelange im Rahmen des nach § 93 Abs. 3 AktG einzurichtenden internen Kontroll- und Risikomanagementsystems erfasst werden, Empf.A.3 DCGK 2022.

37

Der Aufsichtsrat soll gemäß Empfehlung A.6 DCGK 2022 die Befolgung der vorgenannten nachhaltigkeitsbezogenen Anforderungen überwachen. Um dies qualitativ zu gewährleisten, sieht Empfehlung C.1 Satz 3 DCGK

2022 vor, dass bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats die persönliche Kompetenz für Nachhaltigkeitsfragen berücksichtigt werden soll. Die Begründung zum DCGK 2022 merkt an, dass auch die Einrichtung eines Nachhaltigkeitsausschusses im Aufsichtsrat in Betracht kommt. Der Vorsitzende sowie mindestens ein weiteres Mitglied des – im Anwendungsbereich des § 161 Abs. 1 AktG nunmehr obligatorischen (§ 107 Abs. 4 AktG, §§ 316a Satz 2 Nr. 1, 264d HGB) – Prüfungsausschusses sollen nach Empfehlung D.4 DCGK 2022 gemeinsam über besondere Kenntnisse in der Nachhaltigkeitsberichterstattung und deren Prüfung verfügen.

38

Weitere Änderungen betrafen die Einrichtung des internen Kontroll- und Risikomanagementsystems (IKS/RMS) für die börsennotierte AG nach dem FISG (§ 91 Abs. 3 AktG) sowie den Bericht hierüber (Grundsatz 4, Empf.A.3-A.5 DCGK 2022). Grundsatz 5 DCGK 2020, der die Compliance-Verantwortung des Vorstands behandelt, wurde gestrichen. Vielmehr soll das IKS/RMS ein Compliance Managementsystem (CMS) enthalten (Grundsatz 4 DCGK 2022). Im Lagebericht sollen die wesentlichen Merkmale des IKS/RMS offengelegt und zur Angemessenheit und Wirksamkeit Stellung genommen werden (Empf.A.5 DCGK 2022).

39

Wie bereits geschildert, werden erstmalig Auswirkungen eines unternehmerischen Handelns auf Mensch und Umwelt im DCGK skizziert. Dennoch ist der Kodex „auf halber Strecke“ stehen geblieben.

40

Daran anknüpfend ist eine Vielzahl von Vorschlägen gemacht worden. So sollten die CSR-bezogenen Vorgaben verschlankt und auf die Leitbegriffe „Nachhaltigkeit“ und „Integrität“ fokussiert werden. Die althergebrachten Grundsätze des „Ehrbaren Kaufmanns“ seien antiquiert und könnten die Herausforderungen einer modernen Unternehmensführung nicht angemessen reflektieren. Dieses Leitbild sei durch den ebenfalls die Individualtugenden ansprechenden moderneren und in der Unternehmenswirklichkeit zunehmend verwandten Begriff der „Integrität“ zu ersetzen.26

V.Verstoß gegen DCGK

41

Auch wenn sich nun erstmal im Kodex Erwägungen zu Mensch und Umwelt finden, stellt sich die Frage nach den Rechtsfolgen einer Verletzung des Kodex.

42

Nach § 161 AktG hat eine Erklärung der Gesellschaftsorgane über die Befolgung oder Nichtbefolgung der empfehlenden Teile („Entsprechungs-Erklärung“) des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) zu erfolgen. Weiter sind der Inhalt der Erklärung (§ 161 Abs. 1) und ihre Verfügbarkeit für Aktionäre geregelt. Die Entsprechungs-Erklärung muss ihnen dauerhaft

zugänglich sein (§ 161 Abs. 2). Neben den gegenwärtigen Aktionären sind auch int. Kapitalmarktteilnehmer einschließlich Anlageaspiranten Adressaten der Erklärung. Durch die Publizität soll die Befolgung oder Nichtbefolgung der Empfehlungen des DCGK diesen zur grds. Beachtung verhelfen.27

43

Damit soll ein Befolgungsdruck über Marktkräfte in der Weise ausgeübt werden, dass Abweichung bei Investoren auf Ablehnung stößt und damit Kapitalkosten langfristig erhöht.28 Ziel des Kodex ist es daher, das Vertrauen der internationalen und nationalen Anleger, der Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften zu fördern.

44

Vor der Abgabe der Entsprechens-Erklärung hat der Vorstand die Pflicht, die Einhaltung der akzeptierten Kodex-Empfehlungen sorgfältig zu prüfen und, soweit eine Nichterfüllung einer übernommenen Empfehlung festgestellt werden sollte oder die Absicht zur Beachtung einer anerkannten Kodex-Empfehlung aufgegeben wird, umgehend – ggf. durch eine Ad-hoc-Mitteilung – eine entsprechende Korrektur der Entsprechens-Erklärung vorzunehmen.29

45

Verletzt der Vorstand Prüf- oder Korrekturpflichten, scheidet eine Außenhaftung des Vorstands regelmäßig aus. Eine Haftung der Organmitglieder aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Eingriffs in das Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre als sonstiges Recht kommt nicht in Betracht.30 Etwaige Kursverluste stellen als mittelbare Beeinträchtigung keine Verletzung des Mitgliedschaftsrechts als absolutes Recht dar.31

46

Eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB scheidet ebenfalls aus. § 161 ist kein Schutzgesetz.32 Vielmehr zielt § 161 auf den Schutz des Kapitalmarktes als Institution ab, nicht aber auf den Schutz der Anleger als einem abgegrenzten Personenkreis.33

47

Da die Entsprechens-Erklärung keine marktbezogene, auf die konkrete Anlegerentscheidung ausgerichtete Erklärung ist, wird im Regelfall auch eine zivilrechtliche Prospekthaftung ausscheiden. Etwas anderes könnte dann gelten, wenn die Entsprechens-Erklärung bewusst als Instrument der Irreführung in der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt würde.34

48

Auch eine Innenhaftung der Organmitglieder dürfte regelmäßig ausscheiden. Zwar liegt unzweifelhaft eine Sorgfaltspflichtverletzung nach §§ 93, 116 AktG vor, wenn keine oder unrichtige Entsprechens-Erklärungen abgegeben werden, die Aktualisierungspflicht missachtet oder die Erklärung nicht dauerhaft zugänglich ist. Allerdings dürfte es regelmäßig an einem Schaden der Gesellschaft fehlen. Eine Haftung kann gleichfalls begründet sein, wenn die Organmitglieder die Verhaltensempfehlungen des Kodex, die in gesellschaftsinterne Pflichten transformiert worden sind, missachten oder, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig dazu beitragen, dass eine falsche Entsprechens-Erklärung abgeben wird.35

49

Für andere Konsequenzen, wie z.B. eine Abberufung bzw. außerordentliche Kündigung, bleibt die Frage der Pflichtwidrigkeit jedoch stets relevant.

VI.Ergebnis

50

Die Neufassung des DCGK 2022 hat nun erstmals – im Sinne des klassischen Drei-Säulen-Modells (Triple Bottom Line) mit den Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales – Aspekte einer Nachhaltigen Unternehmensführung aufgenommen.

51

Damit wird der unter CSR (Corporate Social Responsibility) und ESG (Environment, Social, Governance) mit zunehmender Dynamik geführte, gesellschaftspolitische vom Kapitalmarkt absorbierte Diskurs aufgenommen und übersetzt ihn in elementare Vorgaben für Vorstand und Aufsichtsrat.36

52

Dies dürfte ein erster Schritt sein und es bleibt abzuwarten, ob die nächste Version des DCGK weitere Aspekte der Nachhaltigkeit aufgreift. Eine Schwäche des DCGK aber bleibt die wenig unklare Rechtsfolge der „Nicht“-Beachtung.

15

Timmel

, ZRP 2022, 70, 70.

16

Hüffer/Uwe Hüffer

, § 76 Rn. 15a mit Hinweis auf Brammer Corporate Governance als Element wertorientierter Unternehmensführung, in: Kirchhoff/Piwinger (Hrsg.), Die Praxis der Investor Relations, 2. Aufl 2001, S. 96;

Peltzer/v. Werder

, AG 2001, 1;

U. H. Schneider/Strenger

, AG 2000, 106;

Teichmann

, ZGR 2001, 645.

17

Schneider/Strenger

, AG 2000, 106, 111

; Louven

/

Ingwersen

, BB 2013, 1219, 1220.

18

Schneider/Strenger

, AG 2000, 106, 106 und 110.

19

Claussen/Bröcker

, AG 2000, 481, 487.

20

Empfehlungen der Kommission KOM 2009/384/EG v. 30.4.2009, ABl. EG Nr. L 120 v. 15.5.2009, S. 22; KOM 2009/385/EG v. 30.4.2009, ABl. EG Nr. L 120 v. 15.5.2009, S. 28, jeweils Erwägungsgrund 2; BT-Drs. 16/12278, 1 auch

Bauer/Arnold

, AG 2009, 717, 718; u.a. auch zur politischen Motivation

Wagner/Wittgens

, BB 2009, 906ff.

21

Timmel

, ZRP 2022, 70, 70.

22

Stellungnahme des DAV zum Entwurf eines geänderten Corporate Governance Kodex der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex vom 25.10.2018, NZG 2019, 252ff.

23

Zu allem: Stellungnahme des DAV zum Entwurf eines geänderten Corporate Governance Kodex der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex vom 25.10.2018, NZG 2019, 252ff.

24

v. Werder

, DB 2019, 1721.

25

Timmel

, ZRP 2022, 70, 71 mit Verweis auf die Begr. DCGK 2022-E S.

26

Spießhofer

, NZG 2022, 435, 436.

27

RegBegr. BT-Drs. 14/8769.

28

Leyens

, in: GK-AktG, § 161 Rn. 36ff.;

Tröger,

ZHR 175 (2011), 746, 752ff.

29

Goette,

FS Hüffer, 225, 235;

Lutter,

ZHR 166 (2002), 523, 541.

30

Henssler/Strohn/

Vetter

, GesR, § 161 AktG Rn. 28;

Seibt,

AG 2002, 249, 256.

31

LG Bonn 15.5.2001, AG 2001, 484, 485;

Hopt

, in: GK-AktG, § 93 Rn. 471;

Kort,

FS Raiser, 203, 206;

E. Vetter,

DNotZ 2003, 748, 762.

32

Bachmann,

WM 2002, 2137, 2142;

Ulmer,

ZHR 166 (2002), 150, 168.

33

Henssler/Strohn/

Vetter

, GesR, § 161 AktG Rn. 28.

34

Hüffer/Koch/

Koch, § 161

Rn. 30;

Kort,

FS Raiser, 203, 219;

Radke,

AktG, 2004, 254;

E. Vetter,

DNotZ 2003, 748, 763.

35

Bachmann,

WM 2002, 2137, 2142;

Schüppen,

ZIP 2002, 1269, 1272;

Seibert,

BB 2002, 581, 584.

36

Spießhofer

, NZG 2022, 435, 435.

D. Aktienrechtliche Vorgaben

53

Die Verpflichtung zur Beachtung von Aspekten der „Nachhaltigkeit“ kann sich für Vorstand und Aufsichtsrat aus den aktienrechtlichen Pflichten ergeben. So hat dieser gem. §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG die Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu leiten. Dieser allgemeine Verhaltensstandard kann die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten mit einschließen. Für den Aufsichtsrat gilt das in seinem Aufgabengebiet entsprechend §§ 111, 116 AktG.

I.Gesellschaftsinteresse und Gemeinwohlbindung

54

Das frühere Recht (§ 70 Abs. 1 AktG 1937) normierte, dass der Vorstand unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten hat, „wie das Wohl des Betriebes und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern“.37

55

Nach § 77 Abs. 3 AktG 1937 konnte der Staatsanwalt eingreifen, wenn die Gewinnbeteiligungen der Vorstandsmitglieder nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den sozialen Aufwendungen der Gesellschaft standen, und die Einhaltung des Gebots der Angemessenheit in einem besonderen Spruchverfahren erzwingen.38 Ferner konnte eine AG vom Reichswirtschaftsgericht auf Antrag des Wirtschaftsministers bei Gefährdung des Gemeinwohls aufgelöst werden (§ 288 AktG 1937).

56

Im Referentenentwurf 1958 (§ 71 Abs. 1) wurde die Gemeinwohlklausel dahin präzisiert, dass der Vorstand unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten habe, „wie das Wohl des Unternehmens, seiner Arbeitnehmer und der Aktionäre sowie das Wohl der Allgemeinheit es fordern“. Dagegen haben der Regierungsentwurf und das Gesetz von der Aufnahme einer derartigen Gemeinwohlklausel Abstand genommen. In der Begründung zum Regierungsentwurf wird hervorgehoben, es verstehe sich von selbst und brauche deshalb nicht ausdrücklich im Gesetz bestimmt werden, dass der Vorstand bei seinen Maßnahmen die Belange der Aktionäre und der Arbeitnehmer sowie auch die der Allgemeinheit zu berücksichtigen habe.39

57

Eine Gemeinwohlklausel, die für den Vorstand eine allgemeine Richtlinie für die Leitung der Gesellschaft oder für diese eine Richtlinie für das Betreiben des Unternehmens aufstellt, existiert mithin nicht.40

II.Pflicht aus der „Leitungsverantwortung“ des § 93 Abs. 1 AktG

58

Gemäß §§ 76 I, 93 I 1 AktG hat der Vorstand die Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu leiten. Für den Aufsichtsrat gilt das in seinem Aufgabengebiet entsprechend, §§ 111, 116 AktG.

59

Es stellt sich dann die Frage, ob der Vorstand CSR berücksichtigen darf. Zu trennen ist dies von der Frage, ob er Gemeinwohlinteressen berücksichtigen muss.41

1.Legalitätspflicht

60

Unzweifelhaft und unabhängig von dem Vorgesagten ist der Vorstand an die Legalitätspflicht gebunden. Von Legalitätspflicht erfasst sind organspezifische Vorschriften des AktG, die über § 82 AktG auch die Beachtung der Kompetenzen anderer Organe und des Unternehmensgegenstands der Pflichtbindung des Vorstands unterwerfen.42 Daneben hat der Vorstand als Handlungsorgan der AG aber auch sämtliche sonstigen Vorschriften der Rechtsordnung zu beachten, die die AG als Rechtssubjekt treffen.43 Darunter fallen nach ganz h.M. auch Vorschriften des Ordnungswidrigkeitenrechts.44

61

Der Vorstand hat damit grundsätzlich alle, und ohne Ausnahme, alle Gesetze zu befolgen. Diese können hier nicht abschließend aufgeführt werden, da es eine fast unüberschaubare Anzahl an weiteren Regelungen gibt, welche versuchen, die CSR zu präzisieren. Seien es:

– interne Richtlinien und Policies, Supplier Codes of Conduct, Allgemeine Geschäftsbedingungen und Compliance-Management-Systeme, welche durch „non-state-actors“ zur Voraussetzung der Auftragsvergabe gemacht und durch Audits, Zertifizierungen und Reporting kontrolliert werden;

– private Standardisierungs- und Normungsorganisationen, die Vorgaben nachhaltiger Unternehmensführung entwickeln. So hat ISO mit dem Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung ISO 26000 einen internationalen Rahmen geschaffen, der durch eine Fülle spezifischer ISO-Standards zu einem eigenen Nachhaltigkeitssystem verdichtet

– internationale und europäische Ansätze, insbesondere des Sustainable Finance Package und die jüngsten Entwürfe der Corporate Sustainability Reporting Richtlinie (CSRD-E) und der Corporate Sustainability Due Diligence Richtlinie (CSDD-RLE);

– europäisches und nationales Hard Law. So hat die EU bspw. Menschenrechte

sowie Umwelt- und Klimaschutz zu Querschnittsmaterien erklärt, die in allen EU-Politiken berücksichtigt werden sollen, was sich in einer Reihe von Richtlinien und

62

Verordnungen spiegelt, welche CSR-Themen aufgreifen und diesbezügliche Sorgfaltspflichten statuieren (u.a. Holzhandelsverordnung und Konfliktmineralienverordnung). Auf nationaler Ebene sei das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu nennen.45

63

Eine Verletzung der vorgenannten Rechtsnormen führt zu einer persönlichen Schadensersatzpflicht des Vorstands, § 93 Abs. 2 AktG. Offen ist allerdings, ob auch Vertragspflichtverletzungen eine Legalitätspflichtverletzung darstellen und, ob hier zwischen der Verletzung von Haupt- und Nebenpflichten zu unterscheiden ist. Die Nichteinhaltung von selbst aufgestellten internen Verhaltenskodizes dürfte wohl keine Legalitätspflichtverletzung begründen.46

64

Abzulehnen ist die CSR aber als allgemeiner Haftungsmaßstab. Diese ist viel zu unbestimmt, als dass sich daraus ein solcher ableiten lässt. Es ist unmöglich, der CSR irgendwelche im Hinblick auf § 93 AktG haftungsrechtlich relevante Maximen für das Vorstandshandeln im Einzelnen zu entnehmen, die über den gegenwärtigen Stand der Diskussion eines Einfließens von Gemeinwohlinteressen in den Begriff des Unternehmensinteresses hinausgehen würden.47

65

Festzuhalten ist, dass sich der Vorstand jedenfalls aufgrund seiner allgemeinen Legalitätspflicht an die CSR halten muss.

2.Business Judgement Rule

66

Zu Fragen ist aber, ob der Vorstand bei seinen Entscheidungen über die gesetzlichen (einzelnen) Vorgaben hinausgehen kann (und darf). In Betracht zu nehmen ist insofern die sog. Business Judgement Rule.

67

Jenseits des durch die Legalitätspflicht zwingend vorgegebenen Handelns steht dem Vorstand (und gegebenenfalls dem Aufsichtsrat) grundsätzlich ein weites unternehmerisches Ermessen zu. Eine Pflichtverletzung liegt insoweit grundsätzlich erst dann vor, wenn die Grenzen eines verantwortungsbewussten, am Unternehmenswohl orientierten und auf sorgfältig ermittelter Entscheidungsgrundlage beruhenden Handelns deutlich überschritten sind bzw. die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird. Ohne einen solchen weiten Handlungsspielraum wäre eine unternehmerische Tätigkeit nicht denkbar, da sie gerade

auch durch das bewusste Eingehen von geschäftlichen Risiken und das Risiko von Fehleinschätzungen geprägt ist.48

68

Normiert ist dies bekanntlich in der sog. Business Judgement Rule, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Ein pflichtgemäßes Handeln des Vorstands wird unwiderleglich vermutet, wenn er bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.

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Zu diskutieren ist hier, in erster Linie, was unter dem „Wohl der Gesellschaft“ zu verstehen ist. Muss der Vorstand letztlich dem (vermuteten) wirtschaftlichen Interesse der Anteilseigner Vorrang einräumen oder darf er soziale und ökologische Aspekte im Zweifel auch zum wirtschaftlichen Nachteil der Anteilseigner verfolgen, solange hierdurch der Bestand und die Rentabilität des Unternehmens nicht infrage gestellt wird?

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Grundsätzlich wird das „Wohl der Gesellschaft“ in dem Sinn verstanden, dass Entscheidungen der langfristigen Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens dienen müssen. Maßgeblich ist im Ausgangspunkt subjektive Perspektive, die sodann am Maßstab des „vernünftigerweise“ noch zulässigen Handelns gemessen wird. Diese Grenze ist erst dann überschritten, wenn das mit der unternehmerischen Entscheidung verbundene Risiko in völlig unverantwortlicher Weise falsch beurteilt worden ist.49

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Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Vorstand unmittelbar nur der Gesellschaft verpflichtet ist, nicht den Aktionären oder bestimmten Aktionärsgruppen oder der Allgemeinheit „als solcher“.50

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