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Ein Mann für Mama! Die elfjährige Nele lebt allein mit ihrer Mama. Eines Tages fasst sie einen Entschluss: Es muss ein Mann ins Haus! Ihr neuer Freund Timmi hat einen wunderbaren Papa, aber keine Mama. Also beginnt Nele zusammen mit ihrer besten Freundin Sara eifrig Pläne zu schmieden. Doch es ist gar nicht so einfach, zwei Erwachsene zusammenzubringen ... Erfrischend frech und herrlich komisch: Die pfiffige Nele schmiedet Liebespläne! Jetzt als eBook: „Das Papa-Projekt“ von Sabine Neuffer. dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 283
Über dieses Buch:
Die elfjährige Nele lebt allein mit ihrer Mama. Eines Tages fasst sie einen Entschluss: Es muss ein Mann ins Haus! Ihr neuer Freund Timmi hat einen wunderbaren Papa, aber keine Mama. Also beginnt Nele zusammen mit ihrer besten Freundin Sara eifrig Pläne zu schmieden. Doch es ist gar nicht so einfach, zwei Erwachsene zusammenzubringen ...
Erfrischend frech und herrlich komisch: Die pfiffige Nele schmiedet Liebespläne!
Über die Autorin:
Sabine Neuffer wurde 1953 in Hannover geboren. Nach dem Studium arbeitete sie unter anderem für eine PR-Agentur, bevor sie ihre Leidenschaft für das Schreiben entdeckte. Heute lebt sie in Wolfenbüttel und arbeitet an einer Realschule in Braunschweig.
Sabine Neuffer veröffentlichte bei dotbooks bereits die Kinderbücher Das Oma-Projekt und Das Geschwister-Projekt, außerdem ihre Romane Herr Bofrost, der Apotheker und ich, Das Glück ist eine Baustelle und Eine Liebe zwischen den Zeiten.
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Neuausgabe März 2014
Copyright © der Originalausgabe 2006 Cecilie Dressler Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung und Titelbildabbildung: Tanja Winkler, Weichs
ISBN 978-3-95520-486-0
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Sabine Neuffer
Das Papa-Projekt
dotbooks.
Nele hüpfte auf einem Bein. Das tat sie immer auf dem Nachhauseweg – gutes Training für eine Fußballspielerin. Vom Bäcker bis zum Blumenladen auf dem rechten, vom Fleischer bis zum Zeitungsfuzzi auf dem linken Bein.
Normalerweise achtete sie peinlich darauf, mit dem Fuß genau auf einem der kleinen roten Pflastersteine zu landen. Heute nicht. Sie war viel zu wütend. So eine beknackte Hausaufgabe! –»Wie teilen wir die Familienarbeit?« Vier Spalten: Vater, Mutter, Sohn, Tochter. Nele war nicht ganz klar, was ihre Lehrerin hören wollte, aber eins war klar: So wie Mama und sie das machten, fand es die Schmalbach bestimmt blöd. Die lebte nämlich auf dem Mond, vor hundert Jahren!
Und überhaupt – Vater, Mutter, Sohn und Tochter, wo gab es denn so was? Sohn und Tochter, das kam ja schon mal vor, aber Vater und Mutter? Mensch, Schmalbach, du fette Schnecke, träum weiter!
Nele kickte wütend eine leere Getränkedose vom Gehweg. Sie kollerte scheppernd auf die Straße, genau vor die breiten Reifen eines herannahenden Lieferwagens, wurde platt gewalzt. Wie eine Flunder. Nele grinste. Volltreffer! Wenn das die Schmalbach gewesen wäre. Mann, das hätte gespritzt!
Nele hüpfte weiter, bis zur Gemüsefrau. Mama hatte gesagt, sie solle Kartoffeln mitbringen, drei Pfund, von den ganz jungen, die man mit der Pelle essen konnte – lecker!
»Hier, ich gebe dir noch ein Bund Schnittlauch dazu.« Frau Meyerlink reichte ihr die Tüte. Sie strahlte über das ganze breite, rote Gesicht. Sie war noch dicker als die olle Schmalbach, aber viel netter. »Junge Kartoffeln mit Salz und Schnittlauch ...«, sie rundete die rosigen Finger und warf ein Küsschen in die Luft, »etwas Besseres gibt es nicht. Und viel Butter!«
»Und Ihr Cholesterinspiegel?«, erkundigte sich Nele besorgt. Sie persönlich hatte nicht das Geringste gegen viel Butter, doch Mama machte sich ständig Sorgen um ihren Cholesterinspiegel. Frau Meyerlink aber lachte nur. »Alles eine Erfindung der Amerikaner. Genau wie die Raumfahrt. So was braucht kein Mensch!«
Da hatte sie mal Recht. Nele verstand auch nicht, warum es so wichtig war, in den Weltraum zu fliegen, solange hier unten auf der Erde noch so vieles nicht in Ordnung war. Man musste nur an die hungernden Kinder in Afrika denken. Oder an bescheuerte Hausaufgaben! Oder an die Sache mit Jessicas Vater ...
Gerade als sie in ihre Straße einbog, hörte sie es hinter sich krachen. Erschrocken drehte sie sich um, ließ Rucksack und Einkaufstüte fallen, rannte.
»Hast du dir wehgetan?« Blöde Frage! Natürlich hatte der Kleine sich wehgetan. Er war mit Karacho gegen die Bordsteinkante gefahren und unsanft auf dem Pflaster gelandet. Das blaue Fahrrad hatte eine Doppelacht und dem kleinen Jungen lief das Blut von beiden Knien.
Nele hob ihn auf, drückte ihn an sich. »Komm, komm, ich bin ja da«, sagte sie in diesem Singsang, den Mama immer anschlug, wenn die Welt aus den Angeln hing. »Es wird alles wieder gut.«
Der Kleine schniefte, legte den Kopf schwer an Neles Schulter und kuschelte sich in ihren Arm. Mann, war der süß! Sie streichelte seine kleinen, feisten Ärmchen. »Wo wohnst du denn? Ich bringe dich zu deiner Mami.«
Der Kleine schluchzte weiter. Wie alt mochte er sein? Fünf? Sechs? Erst vier? Nele hatte keine Ahnung, mit kleinen Jungs kannte sie sich nun wirklich nicht aus.
»Ich hab keine Mami!« Der Kleine drängte sich enger an sie. »Nur Frau Werner. Und die schimpft!« Er zog den Rotz hoch und umklammerte Neles Hals wie einen Rettungsring.
Sie löste sich behutsam aus dem Würgegriff. »Weißt du was? Du kommst erst mal mit zu mir. Ich habe ganz tolle Pflaster, mit Donald Duck drauf. – Kannst du laufen?«
Der Kleine schniefte ein letztes Mal und schaute Nele aus tränennassen Augen von unten an. »Du bist kein böser Mann, nicht?« Nele lachte. Aber sie verstand. »Nein. Ich bin Nele. Ich bin auch noch ein Kind, erst elf. Ich tu dir nichts, ganz bestimmt. Diese Frau Werner hat dir verboten, mit fremden Leuten mitzugehen, stimmt's?«
Der Kleine nickte. »Ganz doll verboten.«
»Da hat sie auch Recht«, sagte Nele. Sie betrachtete nachdenklich die verletzten Knie des Kleinen. Rechts sickerte das Blut schon auf das Ringelsöckchen. »Trotzdem, du brauchst Pflaster, und zwar schnell. Wo wohnst du denn? Und wie heißt du überhaupt?«
»Timmi.«
»Aha. Timmi ... und wie weiter?«
»Ich heiße Timmi Weferling und wohne im Ginsterweg drei«, leierte er herunter. Es klang wie auswendig gelernt, bestimmt hatte da jemand kräftig mit ihm geübt.
Nele überlegte. Der Ginsterweg war zwar nicht allzu weit entfernt, doch durfte sie Timmi mit seinen blutenden Beinchen überhaupt lange herumlaufen lassen? »Pass auf«, sagte sie entschlossen. »Ich wohne gleich da drüben. Wir gehen jetzt zu mir, du bekommst deine Pflaster und dann bringe ich dich nach Hause. Damit wird deine Frau Werner schon einverstanden sein.«
Timmi nickte wieder und griff vertrauensvoll nach Neles Hand. »Und mein Fahrrad?«
»Das nehme ich.« Nele warf sich ihren Rucksack über die Schulter und ergriff mit der freien Hand die Kartoffeltüte und das Kinderrad. Zum Glück waren es nur wenige Schritte bis zu ihrem kleinen Reihenhaus.
»Magst du Kakao?«, fragte sie, nachdem sie Timmi verarztet hatte. Seine Wunden hatten schlimmer ausgesehen, als sie waren, Timmi sah wieder ziemlich zivil aus.
»Fertigkakao oder welchen mit Haut?«, erkundigte er sich misstrauisch.
Nele lachte. »Keine Sorge! Kakao mit Haut ist das Ekligste, was es gibt. Den mag ich auch nicht.« Sie holte die Milch aus dem Kühlschrank. »Warm oder kalt?«
»Warm.« Timmi ruckelte sich zufrieden auf dem Küchenstuhl zurecht und betrachtete beeindruckt seine beiden Pflaster. »Ich hab 'nen ganz schönen Satz gebaut, was? Nur wegen der blöden Kante.«
Nele goss Milch in den Topf. »Wohin wolltest du eigentlich?«
Timmi schaute sie ratlos an. »Weiß nicht. Ich bin nur so rumgefahren.«
»Wie alt bist du denn?«, forschte Nele weiter, rührte das Kakaopulver in die warme Milch und stellte Timmi den Becher hin.
Er trank gierig. »Vier«, sagte er dann stolz. »Schon ganz lange. Bald werde ich fünf.«
Na, da hatte sie ja gar nicht so schief gelegen mit ihrer Schätzung. Aber dass ein Vierjähriger ganz allein mit seinem Rad durch die Gegend fahren durfte, fand sie ziemlich merkwürdig. Ihre Mama hatte ihr das erst erlaubt, als sie sechs geworden war.
»Und du hast keine Mami?«, fragte Nele.
Timmi schüttelte den Kopf. »Nee. Die is' im Himmel. Aber sie beschützt mich immer.« Er sah auf seine verpflasterten Knie. »Na ja, meistens. Vielleicht hat sie gerade Mittagsschlaf gemacht.«
»Und wer ist Frau Werner?«, fragte Nele. »Deine Kinderfrau?«
Timmi nickte. »Aber die is' doof.«
Nele setzte sich an den Tisch und sah dem Kleinen zu, wie er seinen Kakao trank. Er war wirklich niedlich. Ein pausbackiges Gesicht, kullerrunde Augen, Kakaobart. Blonde Locken, viel zu lang, fast wie bei einem Mädchen. Vielleicht hätte Lars so ähnlich ausgesehen? Aber der wäre ja – Mann, ja! – schon sechs. Doch an Lars wollte Nele nicht denken. Dann kriegte sie immer dieses enge Gefühl in der Brust und wurde den ganzen Tag nicht mehr froh.
»Gehst du schon in den Kindergarten?«, fragte sie schnell.
Timmi hob die Nase aus dem Becher und sah Nele verdutzt an. »Na klar. Ich bin in der Marienkäfergruppe«, erklärte er und senkte sein Näschen wieder in den Kakaobecher.
Als er ihn schließlich abstellte, wischte Nele ihm den Kakaobart ab. Wie eine kleine Mami kam sie sich dabei vor. Oder nein, eher wie eine große Schwester. Ein schönes Gefühl, fand sie. Sie hätte so gern ein Brüderchen gehabt. »Komm«, sagte sie, »ich bringe dich jetzt nach Hause.«
Timmi sah sich um. »Kann ich nicht hier bleiben?«
»Nein, Timmi, das geht nicht. Frau Werner macht sich bestimmt Sorgen um dich.«
Er nickte bedrückt. »Ja. Und sie schimpft.«
»Das glaube ich nicht. Du kannst doch nichts dafür, dass du hingefallen bist. Ich erkläre ihr das schon.«
»Aber ... aber«, Timmi schniefelte wieder, »ich bin ausgebüxt. Sie hat gesagt, wenn ich das noch einmal mache, wird sie ganz doll böse.«
Nele verkniff sich ein Grinsen. »Du bist ausgebüxt? Warum das denn?«
»Weil ... weil«, das Schniefeln wurde heftiger, »weil Radfahren im Garten langweilig ist. Immer nur den Weg rauf und runter, rauf und runter ... Straße ist viel besser.«
»Weißt du was?«, sagte Nele und stand auf. »Wenn dein Rad wieder heile ist, fahren wir zwei mal zusammen los. Im Park, da ist es auch nicht so gefährlich. Das erlaubt Frau Werner bestimmt.«
Timmi rutschte vom Stuhl und sah zu Nele auf. Seine kullerrunden Augen leuchteten. »Echt?«
»Echt! – Und nun komm!« Nele reichte ihm die Hand. Er ergriff sie und marschierte brav mit Nele in den Ginsterweg. Das kleine Fahrrad zog sie auf dem Hinterrad hinter sich her.
Besonders freundlich sah Frau Werner wirklich nicht aus. Sie war groß und hager, und was Nele am meisten irritierte, war ein riesiger Leberfleck auf dem Kinn, aus dem borstige, schwarze Haare sprossen. Hexenhaare, ganz klar. Himmel, wer hatte diese Frau für den kleinen Timmi ausgesucht? Sein Vater etwa? Das musste ja ein Typ sein!
Nele stellte sich vor und berichtete kurz, was geschehen war. »Darf ich noch ein bisschen bleiben und mit Timmi im Garten spielen?«, fragte sie dann mutig. Vielleicht vergaß Frau Werner ja, mit ihm zu schimpfen, wenn sie noch ein Weilchen blieb.
»Meinetwegen. Aber kein Fußball, hört ihr? Timmi hat schon die Margeriten auf dem Gewissen, das reicht!«
Timmi zog den Kopf ein, als sie an Frau Werner vorbei in den Garten gingen.
»Spielst du gern Fußball?«, fragte Nele, als sie sich in den Sandkasten hockten.
»Hm.« Timmi malte mit einem Stöckchen im Sand. »Aber das darf ich meistens auch nicht.«
»Heute darfst du, pass auf!« Nele hatte einen Tischtennisball in einem der Sandeimer entdeckt. Sie nahm eine Schaufel, glättete eine rechteckige Fläche in dem feuchten Sand und zeichnete die Linien eines Fußballfeldes mit dem Finger. Dann legte sie zwei Eimerchen als Tore an die Enden, suchte sich auch ein Stöckchen und ließ es vor dem Tor auf ihrer Seite auf und ab hüpfen. »Ich bin Michael Ballack. Und du?«
Timmi betrachtete sein Stöckchen. Es war schwarz, kurz und dick. »Asamoah«, sagte er und stupste den Tischtennisball direkt in Neles Tor. Jauchzte.
Nach einer halben Stunde stand es fünfzehn zu zwölf. Für Timmi. »Na, ihr zwei scheint euch ja gut zu amüsieren!«
Nele fuhr erschrocken herum.
»Papi!« Timmi krabbelte aus dem Sand und flog seinem Vater in die Arme. Der stemmte ihn über seinen Kopf, drehte sich mit ihm, lachte, dass man seine blitzweißen Zähne sah. Dann setzte er Timmi ab und wandte sich Nele zu. »Du bist also Timmis Retterin! Wie lieb, dass du dich um ihn gekümmert hast, danke!«
Nele lächelte verlegen. »Nicht der Rede wert«, murmelte sie. Teufel auch, dieser Mann sah fast aus wie ein Filmstar, ziemlich gut. Nur seine Haare waren zu lang, wie die von Timmi. Ob sich die beiden keinen Friseur leisten konnten?
»Papi, spielst du mit?« Timmi fuchtelte schon wieder mit seinem Asamoah-Stöckchen.
»Nein, mein Schatz, wir gehen jetzt ein Eis essen! Schließlich müssen wir uns angemessen bei Nele bedanken, meinst du nicht?« Er pflückte seinen Sohn aus dem Sandkasten und klopfte ihm die Hose ab. »Du darfst mitkommen, obwohl du es nicht verdient hast. Über deine Ausbüxerei reden wir später!«
Nele zögerte. Sie durfte auch nicht mit Fremden mitgehen, genau wie Timmi. Und von ihnen etwas anzunehmen, und sei es nur ein klitzekleines Bonbon, hatte Mama ihr so streng verboten wie nichts anderes. Aber ... war Timmis Vater ein Fremder? Eigentlich nicht, oder? Sie kannte seinen Namen, wusste, wo er wohnte, und wenn Timmi, sein eigener Sohn, dabei war, dann führte er bestimmt nichts Schlimmes im Schilde. Und Eis essen konnte man nur bei Giulio. Da brauchte sie keine Angst zu haben. Dort kannten sie alle.
Es war ein komisches Gefühl, mit diesem fremden Mann und Timmi in der Eisdiele zu sitzen. Nele kam manchmal mit ihren Freundinnen hierher. Dann saßen sie immer ganz hinten in der Ecke neben dem Spielautomaten und quatschten und kicherten, was das Zeug hielt. Herr Weferling aber hatte einen Tisch vorn am Fenster ausgesucht, und Nele musste sich mit ihm unterhalten wie eine Erwachsene. Er fragte, wo sie wohnte und was ihre Eltern machten, und erzählte, dass er Computerfachmann sei und oft zu Hause arbeiten könne; sodass Timmi nicht so viel allein sei.
»Aber wenn Sie arbeiten, ist er doch auch allein!«, rutschte es Nele heraus. Wie peinlich! Das hatte ja richtig pampig geklungen.
Doch Herr Weferling schien das nicht zu bemerken. »Ja«, sagte er traurig, »ich wünschte, ich hätte mehr Zeit für Timmi. Frau Werner ist nicht gerade die Ideallösung.« Er zwinkerte Nele zu.
»Und warum haben Sie sie dann eingestellt?« Die Frage war ja wohl zulässig unter Erwachsenen. Jessicas Mutter unterhielt sich mit ihren Freundinnen auch immer über Putzfrauen und Gärtner, »das Personal«, wie sie es nannten. Klang ganz schön angeberisch. Na ja, aber wenn das stimmte, was man sich jetzt über Jessicas Vater erzählte, dann war Jessicas Mutter ihr Personal wohl bald los.
»Weißt du, wie schwer es ist, eine gute Haushälterin und Kinderfrau zu finden?«, fragte Herr Weferling. »Wenigstens ist Frau Werner zuverlässig; und sie kocht anständig.«
»Aber Timmi hat Angst vor ihr!«, sagte Nele.
Herr Weferling guckte erst sie, dann Timmi an. »Stimmt das?«
»Hmhm.« Timmi löffelte hingegeben sein Eis. Frau Werner schien ihn im Moment nicht im Geringsten zu interessieren.
»Wenn ich darf, würde ich Timmi gern manchmal nachmittags abholen und mit ihm in den Park gehen. Da können wir wenigstens richtig Fußball spielen. Oder Rad fahren.«
Herr Weferling sah sie überrascht an. »Das würdest du tun? Was nimmst du denn für die Stunde Babysitten?«
Nele richtete sich empört auf. »Ich will doch kein Geld!« Mann, der kapierte aber auch gar nichts! Sie würde eher ihm noch was bezahlen, wenn sie sich Timmi ausleihen und große Schwester spielen durfte. Das war doch wie ...
Und da kam plötzlich die Idee! – Mensch, wenn das klappte!
Nele betrachtete Herrn Weferling genauer. Er sah wirklich gut aus, und – noch wichtiger – er schien richtig nett zu sein. Ob er wohl eine Freundin hatte?
»Warum kümmert sich Ihre Freundin eigentlich nicht um Timmi?« Nele nahm ein winziges, sehr erwachsenes Häppchen von ihrem Eis. »Arbeitet sie auch?«
»Meine Freundin?« Herr Weferling sah verblüfft auf. »Wer soll das denn sein? Hat Timmi das erzählt?«
»Nein, nein, ich dachte nur ...«, stammelte Nele. Sie griff sich eine Serviette und wischte Timmi das Schokoeis vom Kinn. Herr Weferling lächelte belustigt. Nele wurde rot. Auch das noch! Also, langsam reichte es ihr mit diesem Erwachsenen-Eisessen. Mit Sara und Jessica war es viel gemütlicher. Was die wohl zu ihrer Idee sagen würden? Sara würde sie bestimmt auslachen und Jessica ... Die hatte im Moment wahrscheinlich andere Sorgen. Egal, die Idee war gut! Sie war sogar supergut! Herr Weferling und Timmi begleiteten sie nach Hause.
»Hier wohnst du also!« Herr Weferling betrachtete das kleine Haus, den winzigen Vorgarten, die Blumenkübel neben der Eingangstür. »Hübsch! Sieht man gleich, dass deine Mutter Gärtnerin ist.«
Nele nickte stolz. Sie fand auch immer, dass ihr Vorgarten schöner aussah als alle anderen in der Straße.
Timmi wollte ein Küsschen zum Abschied. Er war wirklich ein sehr liebebedürftiger kleiner Junge. Herr Weferling gab ihr die Hand. Na, so steif würde er sich nicht mehr von ihr verabschieden, wenn er erst ihr Vater war!
»Mama, du musst mir bei den Hausaufgaben helfen!«, sagte Nele, als sie den Küchentisch deckte. Bei ihnen gab es immer abends Mittagessen, denn mittags arbeitete Mama ja. Und eine anständige Mahlzeit am Tag musste sein, sagte sie immer, wegen der Vitamine und so.
»Wie bitte? Hast du sie noch nicht gemacht?« Neles Mutter setzte Kartoffelwasser auf und holte Quark aus dem Kühlschrank, Magerquark natürlich. »Warum denn nicht?«
»Weil sie bescheuert sind! Außerdem hatte ich heute Nachmittag etwas anderes zu tun.« Nele erzählte, wie sie Timmi aufgegabelt hatte. »Die wohnen in einem alten Haus am Ginsterweg. Mit einem riesigen Garten, aber der ist ziemlich langweilig. Das wäre was für dich! Da könntest du richtig was draus machen!«
Ihre Mutter lachte. »Na, vielen Dank, ich hab genug zu tun! Komm, die Waschmaschine ist fertig, du kannst mir eben helfen. Um deine Hausaufgaben kümmern wir uns nach dem Essen.« Nele folgte ihrer Mutter stöhnend in den Keller. Kalte, verknüllte Wäsche fand sie fast so widerlich wie Haut auf Kakao.
Nach dem Essen trödelte Nele so lange herum, bis ihre Mutter ungeduldig wurde. »Nun komm schon, Nele, um acht will ich die Nachrichten sehen und dann den Spielfilm. Außerdem weißt du, was ich davon halte, wenn du erst abends anfängst.«
»Ja, ja, ist ja schon gut«, maulte Nele. »Ich hätte es ja auch schon gemacht, wenn ich gekonnt hätte! Aber woher soll ich denn wissen, was so ein Vater im Haushalt tut?«
Neles Mutter wuchtete die Bügelwäsche auf den Tisch. »Meistens nicht viel«, sagte sie grimmig.
»Mama! Ich meine ja nicht meinen Vater, sondern einen normalen!« Neles Papa war, auch als ihre Eltern noch nicht geschieden waren, kaum zu Hause gewesen. Er war Journalist und meistens im Ausland unterwegs. Vor zwei Jahren hatte er eine Japanerin geheiratet, und jetzt lebte er in Tokio und schrieb Artikel für eine langweilige Finanzzeitung.
»Also gut, fangen wir an«, sagte Neles Mutter. »Was willst du –eine moderne Familie oder eine altmodische?«
»Eine altmodische«, sagte Nele überzeugt. »Ist doch für die Schmalbach.«
Ihre Mama seufzte. »Okay. Dann schreib alles, was mit Auto, Garten und Computer zu tun hat, zum Vater, der Sohn bringt den Müll raus, Mutter und Tochter machen den Rest.« Neles Mutter schüttelte wütend eine Bluse aus.
»Das ist doch Quatsch!«, sagte Nele. »Das mit dem Auto und dem Garten machst du doch alles. Und mit dem Computer kommst du auch klar. Sag mal«, sie spielte nachdenklich mit ihrem Füller, »machen Jungs echt so wenig?«
Na ja, wenn sie so klein waren wie Timmi, überlegte sie. Der stolperte bestimmt noch über die Mülltüte, wenn er sie rausbringen sollte. – Nee, sie würden das anders machen. Wenn Mami Herrn Weferling heiratete, sollte sie das mit dem Garten ruhig weitermachen, das konnte sie bestimmt besser als er. Um sein Auto würde sich jeder selbst kümmern. Vielleicht konnte Herr Weferling ja kochen. Mist, das hätte sie ihn fragen sollen! Mit Mamas Kochkünsten war es nämlich nicht weit her.
Eifrig griff Nele nun zum Füller. Sie stellte sich das alles so schön vor, dass sie die Schmalbach ganz vergaß. Neles Zungenspitze wanderte mit, während sie schrieb. Alles, was Mama gut konnte, sortierte sie in deren Spalte: gärtnern, Blumensträuße stecken, das Haus schön machen, Möbel anmalen, nähen. Von den Sachen, die Mama nicht mochte, kriegte sie nur ganz wenig: bügeln und Fenster putzen. Den Rest konnte Herr Weferling machen: Garage fegen, kochen, Kuchen backen, das Bad putzen, die Küche wischen. Und sie selbst würde Staub wischen und saugen, ihr Zimmer aufräumen, die Spülmaschine ausräumen und Wäsche aufhängen. Man musste auch Opfer bringen. Für Timmi fiel ihr gar nichts ein. In seine Spalte schrieb sie: »Zu klein.«
»Na, fertig?« Neles Mutter legte das letzte T-Shirt zusammen. »Lies mal vor.«
Nele schraubte ihren Füller zu, lehnte sich zurück und las schön laut und deutlich, spaltenweise.
»Wär ja traumhaft!«, sagte ihre Mutter, nachdem sie geendet hatte. »Eine echte Bilderbuchfamilie.«
»Ja, nicht?« Nele lächelte sie an. Wenn die wüsste! Das konnte sie alles haben! Sie musste nur ihren albernen Männerhass überwinden.
Am nächsten Morgen konnte Nele die große Pause kaum erwarten. Sie musste Sara unbedingt von ihrer Idee erzählen. Aber nicht so zwischen Tür und Angel, wenn es jeden Moment wieder klingeln konnte. Jessica war nicht da, aber die hatte gestern schon rumgeschnupft. Bestimmt war sie krank.
Sara lachte tatsächlich. »Den Tag, an dem deine Mutter wieder heiratet, möchte ich erleben! Die sagt doch immer, dass Männer zu gar nichts taugen und dass sie ohne viel besser dran ist. Und das stimmt ja auch, sie kann doch alles. Wenn meine Mutter so fit wäre wie deine, bräuchten wir Carsten auch nicht.« Carsten war der Lebensgefährte von Saras Mutter. Er war ganz nett, aber Sara hätte lieber ihren richtigen Papa behalten. »Ich hänge ja doch an ihm«, sagte sie immer, »auch wenn er ein Muffkopp ist.«
»Du siehst das völlig falsch«, sagte Nele jetzt. »Es geht doch nicht darum, dass man wen zum Rasenmäher-Reparieren braucht oder so. Es geht um Liebe, verstehst du? Liebe, Geborgenheit, Kuscheln, so was alles! 'nen ollen Rasenmäher kannst du auch in die Werkstatt bringen!«
»Ja, aber wenn deine Mutter das alles nicht braucht?«, wandte Sara ein.
»Mann, das braucht jeder! Du doch auch! Oder warum bist du so in diesen blöden Sänger verknallt?«
Sara schwieg beleidigt. »Aber deine Mutter hat doch dich«, sagte sie schließlich.
Nele verdrehte die Augen. »Ja, toll! Ich bin ein Kind! Eine Frau braucht doch auch einen Mann. Also, ehrlich, manchmal bist du aber auch zu naiv!«
»Aber du kennst das Leben, was?«, giftete Sara. »Die erfahrene, reife Nele, ha, ha!«
»Ach, komm, lass uns nicht streiten«, sagte Nele. Sie hasste Streit, mit Sara besonders. »Willst du eine Waffel?«
Gemeinsam schlenderten sie zum Schulkiosk. »Na, wo ist denn eure Busenfreundin?«, rief Sven, der in der Nähe Fußball spielte. Er ging in ihre Klasse und glaubte fest daran, dass er demnächst für die Fußballnationalmannschaft entdeckt werden würde. »Hat sie sich schon ins Ausland abgesetzt, oder was?«
»Du spinnst ja!« Nele stürzte sich zwischen die Fußball spielenden Jungen und kickte Sven den Ball vor der Nase weg. Dann musterte sie ihn verächtlich. »Warst auch schon mal besser in Form!« Zufrieden kehrte sie zu Sara zurück, hakte sich unter und fragte: »Was meint der denn?«
Sara zuckte bedrückt mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Vielleicht ist ja wirklich was dran an dem, was alle sagen. Meine Mama und Carsten haben sich gestern Abend auch darüber unterhalten. Mann, wenn das alles stimmt, ich sage dir ...«
»Ja, was denn? Nun erzähl doch schon!« Nele stupste ihre Freundin ungeduldig an.
Die sah sich um und presste die Lippen zusammen. »Nicht hier«, zischelte sie. »Darüber reden wir unter vier Augen. Hast du Zeit heute Nachmittag?«
Nele dachte kurz nach. »Ich muss erst meine Hausaufgaben machen, sonst krieg ich Stress. Aber danach.« Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, heute Nachmittag Timmi abzuholen, aber zum Glück hatte sie ihm nichts versprochen. Bestimmt freute er sich auch noch, wenn sie morgen kam. Das hier war wichtiger. Sara jedenfalls sah so ernst aus, dass es Nele ganz unheimlich wurde.
Sie hatten Glück, die letzte Stunde fiel aus. Ausgerechnet Textilarbeit, das war echtes Schweineglück, fand Nele. Alles, was mit Nadeln und Fäden zu tun hatte, gehörte unbedingt in die Kakaohaut-nasse-Wäsche-Abteilung.
Heute verzichtete Nele sogar auf ihr Mittagsgehopse, sondern rannte so schnell sie konnte nach Haus. Sie aß die restlichen Kartoffeln von gestern mit Salz und Margarine gleich kalt aus dem Topf. Butter war nicht im Haus. Typisch!
Dann setzte sie sich an ihre Hausaufgaben. Ohne den Fernseher anzumachen! Ging schneller so. Als sie fertig war, sah sie auf die Uhr. Genau drei – perfekt! Vor drei durfte man nämlich sowieso nicht bei Sara auftauchen, da war Saras Mutter total eigen. »Keine Besuche während der Mittagszeit, das gehört sich nicht!«
Sara wartete schon vor der Garage. »Los, komm!« Sie kraxelte die Leiter hinauf, Nele hinterher. Sie hatten sich auf dem kleinen Dachboden über der Garage von Saras Mutter aus alten Matratzen und Decken ein erstklassiges Lager gebaut, richtig gemütlich. Im Winter fror man sich hier zwar den Hintern ab und im Hochsommer konnte man es manchmal vor Hitze kaum aushalten, doch heute war es perfekt. Vor allem, weil sie hier vor Saras Schwester sicher waren. Die war fünfzehn und total ätzend. Tat immer, als sei sie wer weiß wie erwachsen, hockte den halben Tag vorm Spiegel und den Rest der Zeit gab sie an wie ein Sack Mücken – wer alles in sie verliebt sei und wie viele SMS sie kriegte und so was. Als ob das irgendjemanden interessiert hätte! Und obwohl sie so wahnsinnig erwachsen war, wollte sie doch immer genau wissen, worüber Nele und Sara redeten. Aber hierher kam sie nicht, weil sie dachte, dass es hier Spinnen gäbe, die dumme Pute!
Sara und Nele ließen sich auf die Matratzen fallen. Schön schummrig war es hier oben. Nur ein paar dünne Sonnenstrahlen fielen durch das altersschwache Dach. Darin tanzten Staubkörnchen, wie Goldglimmer.
»Also los, jetzt erzähl endlich!« Nele hielt es kaum noch aus. Sie riss Sara ungeduldig die Kekspackung aus der Hand, an der sie herumpruckelte. »Die kannst du später essen.«
»Okay, okay.« Sara setzte sich in den Schneidersitz, rutschte dicht an Nele heran und fing mit leiser Verschwörerstimme an: »Ich weiß ja gar nicht, ob's wirklich stimmt. Aber Carsten hat gestern erzählt, dass Jessicas Vater richtig kriminelle Sachen gemacht hat. Ich hab nicht so richtig verstanden, was. Irgendwas mit Geld. Er hat es von alten Omas geklaut.«
»Quatsch! Jessicas Vater raubt doch keine Omas aus, dazu ist er viel zu vornehm!«
»Nicht so laut!«, zischte Sara. Dann fuhr sie leise fort: »Nee, so direkt ja auch nicht. Irgendwie hat er sie wohl mehr so überredet, ihm ihr Erspartes zu geben. Er hat ihnen versprochen, dass er es vermehrt. Aber das hat er nicht.«
»Wie kann man denn Geld vermehren? Das geht doch gar nicht. So was glaubt ja nicht mal die blödeste alte Oma.« Nele tippte sich an die Stirn. Sie hatte es geahnt, das waren alles bloß lächerliche Gerüchte. Dass sie allerdings so albern waren, hätte sie nun doch nicht für möglich gehalten.
»Natürlich kann man Geld vermehren«, flüsterte Sara. »Denk doch mal an dein Sparbuch. Da kommen doch jedes Jahr Zinsen dazu.«
»Na, die paar Euro!« Nele winkte ab. »Dafür würde ich doch nicht das ganze Sparbuch hergeben.«
Sara spielte geistesabwesend mit Neles Haaren und wickelte sich eine dicke braune Strähne um den Finger. »Ach, so genau versteh ich das ja auch alles nicht. Jedenfalls, Carsten hat gesagt, wenn das stimmt, dann sind die Bertrams mal reich gewesen. Und wenn's ganz dicke kommt, dann ... dann muss Jessicas Vater in den Knast«, hauchte sie.
Nele starrte ihre Freundin an. »Ins Gefängnis?«
Sara nickte. Ihre Augen waren so tellerrund wie die von dem kleinen Timmi.
Nele wurde der Mund ganz trocken vor Schreck. Ins Gefängnis, das gab's doch gar nicht. So was passierte im Film, aber doch nicht mit Jessicas Vater. Der war doch kein Verbrecher! Okay, sie mochte ihn nicht besonders, weil er so dick und bollerig war und immer so dröhnend lachte, aber deswegen war er doch noch lange kein Krimineller. Wenn man alle dicken, bollerigen Typen ins Gefängnis sperrte, wäre das ja längst wegen Überfüllung geschlossen.
»Glaubst du das?«, brachte Nele schließlich hervor. Ihre Stimme klang ganz krächzig.
Sara hob hilflos die Schultern. »Ich weiß nicht. – Aber ich mach mir Sorgen um Jessi. Vielleicht war sie ja deswegen heute nicht in der Schule.«
»O Gott!« Nele bekam plötzlich eine Gänsehaut, auf beiden Armen. Und an den Beinen.
»Sollen wir ... nicht mal hingehen?«, fragte Sara zaghaft.
»Zu den Bertrams? Ehrlich, meinst du?« Nele war sich nicht sicher, ob sie das wollte. Wenn Jessicas Vater nun wirklich ein Verbrecher war? Vielleicht schoss er dann aus dem kleinen Klofenster neben der Tür auf jeden, der sich dem Haus näherte? »Und wenn Jessica uns nun gar nicht sehen will?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Mensch, Nele, wir sind ihre besten Freundinnen. Wenn sie uns nicht sehen will, wen denn dann?«
Nele riss sich zusammen. Natürlich mussten sie ihrer Freundin beistehen in der Stunde der Not. Auch unter Gefahr für Leib und Leben, war doch klar! Außerdem – das war sowieso alles bloß dummes Geschwätz. Neun Zehntel von dem, was die Leute erzählten, durfte man sowieso nicht glauben, sagte Mama immer. Wahrscheinlich hatte Jessicas Vater irgendjemanden ein bisschen betuppt und deswegen Ärger. Aber Gefängnis? – So 'n Blödsinn!
»Also los, komm!« Nele stand auf. Sie kicherte. »Meine Füße sind eingeschlafen, alle beide!« Sie hielt sich an einem Dachbalken fest und machte ein komisches Gesicht. »Verdammt, das kribbelt! So komme ich nie die Leiter runter!«
»Oder schneller, als du denkst!«, gluckste Sara und erhob sich ebenfalls, fiel aber gleich wieder auf ihr Hinterteil. »Verdammt, meine auch!«, schrie sie. Sie ließ sich rücklings auf die Matratze fallen und wackelte mit den Füßen in der Luft.
Nele, die sich immer noch an den Dachbalken klammerte, prustete los. »Weißt du, wie du aussiehst? Wie ... wie ein besoffener Maikäfer!«
Sara richtete sich abrupt auf und starrte erschrocken an sich herab. »O Gott! Wachsen mir etwa schon Beine an den Seiten?« Sie warf sich zurück auf den Rücken, kreischte vor Lachen. Nele brauchte beide Arme, um sich den Bauch zu halten. Sie ließ den Dachbalken los, plumpste neben Sara auf die Matratze und strampelte in die Luft. Die Glimmerkörnchen tanzten wie verrückt.
Jedes Mal, wenn sie beide wieder etwas zu Atem gekommen waren, brauchten sie sich nur anzugucken, dann lachten sie von neuem los.
»Was ist denn so lustig da oben?«, rief Linda, Saras Schwester, von unten.
»Och, nichts weiter!« Sara zwinkerte Nele zu. »Hier sind nur ein paar junge Spinnen geschlüpft, die sind so putzig!«
»Iiiihhh!« Linda floh und Sara und Nele kugelten sich wieder.
»Mann, jetzt müssen wir aber los!«, japste Sara schließlich. »Um halb sechs muss ich zum Klavierüben antreten.«
Nele wischte sich die Lachtränen aus den Augen. »Okay, komm!« Sie schnappte sich die Kekspackung. »Die können wir bei Jessica essen, die schmecken auch mit Schnupfen.« Sie kletterte die Leiter hinab. Ihre Füße waren wieder vollkommen in Ordnung. Und ihr Kopf auch. Alle Angstgedanken weggelacht.
Als sie die Einfahrt zu Jessicas Haus hinaufgingen, wurde ihr allerdings doch wieder etwas schwummerig. Und Sara anscheinend auch. Sie drängte sich ganz dicht an Nele und tastete nach ihrer Hand.
»Das sieht aus wie 'ne Burg im Krieg«, raunte sie.
Nele nickte, mit Kloß im Hals. Sehr einladend sah das Haus der Bertrams nie aus mit seinen Gittern vor den unteren Fenstern und dem komischen Türmchen an der Ecke. Heute aber waren auch in den oberen Stockwerken die Rollläden herabgelassen. Was hatte Sven noch gefragt? Ob Jessica sich ins Ausland abgesetzt hatte. Au Mann!
Hand in Hand stiegen sie die Stufen zur Eingangstür hinauf. Neles Knie zitterten.
Sara drückte auf den Klingelknopf. Nichts. Sonst hörte man den Gong immer ganz deutlich. Sara versuchte es noch einmal. Aber die Klingel war tot. Und im Haus rührte sich nichts.
Die Mädchen sahen sich an. Nele machte eine winzige Kopfbewegung in Richtung Straße. Und schon stürzten sie los, rannten, als ginge es um ihr Leben.
Sie stoppten erst, als sie vor Frau Meyerlinks Laden angelangt waren, und brauchten eine ganze Weile, bevor sie wieder Luft bekamen.
»Eis?«, fragte Nele. »Ich hab noch ein bisschen Geld.«
Sara nickte.
Sie verkrochen sich in ihrer Ecke, neben dem Spielautomaten.
»Vielleicht ist Jessica ja richtig doll krank«, sagte Sara.
»Ich finde, wir sollten mal anrufen«, schlug Nele vor. Sie deutete mit dem Kopf zu dem Telefon, das hinter dem Tresen stand. »Meinst du, ich darf mal von hier aus?«
»Klar, frag doch einfach! Oder soll ich?«
»Nee, ich mach das schon.« In der vertrauten Umgebung fühlte Nele sich wieder viel sicherer. Und Giulio war nett. Den um etwas zu bitten war wirklich keine Mutprobe.
»Jessica krank? Ja klar, ruf sie an!« Er legte seine Eiszange aus der Hand und stellte das Telefon auf den Tresen. »Prego!«
»Grazie!« Nele lächelte ihr GiuliesLächeln. Extra für ihn.
Sie wählte und ließ es ewig klingeln. Niemand nahm ab.
»Kein Glück?«, fragte Giulio, als sie den Hörer wieder auflegte.
Nele schüttelte den Kopf. Diesmal fiel ihr Lächeln ziemlich kläglich aus.
»Na, war nichts, was?« Sara sah ihr enttäuscht entgegen.
»Nee«, sagte Nele und rutschte neben sie auf die Bank. »Ich hab's mindestens zwanzigmal klingeln lassen.«
»Mist.«
»Hm.«
»Prego, Signorine!« Giulio stellte zwei Eisbecher vor sie hin. Extragroß. Aber irgendwie schmeckte es heute fad. Sogar das Meloneneis, Neles Lieblingssorte.
»Mäuschen, was ist denn? Hast du keinen Hunger?«
Nele schob den Teller von sich. »Nee«, sagte sie. Spaghetti mit Tomatensauce, die konnte sie langsam nicht mehr sehen! Eigentlich liebte sie Nudeln, aber, Mann, da gab es doch Varianten! »Du solltest mal einen Kochkurs machen, Mama. Immer dieses Tütenzeug! Das schmeckt immer gleich.«
»Ich find's herrlich!« Neles Mutter schob sich eine Gabel in den Mund. »Das ist so zuverlässig! Wenn ich richtig koche, weiß man nie, was dabei herauskommt.«
»Hm. Stimmt auch wieder.« Nele zog den Teller wieder heran und wickelte lustlos ein paar Spaghetti auf.
»Weißt du was?« Ihre Mutter legte ihr die Hand auf den Arm. »Lern du doch kochen! Ich spendiere dir auch einen Kursus in der Volkshochschule!«
Nele starrte ihre Mutter so entgeistert an, als habe die ihr vorgeschlagen, sich einem Seniorensingkreis anzuschließen. »Da gehen nur alte Tucken hin!«