Nenn es Schicksal - Mick Schulz - E-Book

Nenn es Schicksal E-Book

Mick Schulz

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Beschreibung

Nach Vertreibung und Jugend im Thüringen der Nachkriegszeit findet Sonja in Hanno die große Liebe. Beide wollen im Westen eine gemeinsame Zukunft aufbauen. Doch ihre Familie bindet Sonja an den Osten, sie heiratet einen Stasioffizier. Hanno kehrt der DDR den Rücken und macht Karriere als Banker im Westen. Jeder für sich erlebt Illusion und Enttäuschung in den beiden deutschen Welten. Als sie sich im März 1990 - nach über 30 Jahren - in Berlin wieder begegnen, stehen auch sie vor einer Wende ihres Lebens.

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Mick Schulz

Nenn es Schicksal

Roman

Zum Buch

Zwischen Hoffnung und Angst Krieg und Vertreibung liegen hinter ihr, als Sonja Anfang der 50er-Jahre Hanno kennenlernt. Beide verlieben sich ineinander und wollen gemeinsam in eine verheißungsvolle Zukunft starten. Doch dann trennt sie das Leben. Hanno geht in den Westen und macht Karriere als Banker, droht jedoch schon bald an seinem Lebensentwurf zu scheitern. Sonja bindet die Familie an den Osten. Sie heiratet einen Stasioffizier, der nach der Hochzeit sein wahres Gesicht zeigt. Die Enttäuschung über das Leben im Sozialismus und ihre Ehe ist groß. Doch Sonja kämpft sich frei. 30 Jahre später – die Mauer ist gefallen und Deutschland wiedervereint – treffen sich Sonja und Hanno zufällig in Berlin wieder. Hält das Schicksal für beide noch eine Chance bereit?

Mick Schulz, geboren 1959 als Sohn eines Redakteurs und einer Lehrerin im rheinischen Bonn, brennt bereits früh für Literatur, Philosophie und Musik. Er entscheidet sich dann für die Musik und studiert Dirigieren am „Mozarteum“ in Salzburg. Sein Weg führt ihn zunächst in die Oper, doch bleibt er der Literatur treu. Als er das Schreiben für sich entdeckt, lässt es ihn nicht mehr los: Kurzgeschichten, Erzählungen und Romane folgen. Der Roman »Nenn es Schicksal« ist dem Autor ein absolutes Herzensprojekt, zeichnet er darin doch einen Teil seiner eigenen, bewegten Familiengeschichte nach. Schulz kennt Erfurt seit Kindestagen. Er lebt und arbeitet im Harz bei Goslar. www.mickschulz.de

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

MS Mord (2018)

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2018

Lektorat: Sven Lang

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © miket/Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5820-0

Widmung und Zitat

Für meine Mutter

 

Für Erfurt und seine Menschen

 

 

Schicksal ist nicht mehr als wir.

Rainer Maria Rilke

Erster Teil

Prolog

Berlin, März 1990

Das Signal der Tram schrillte bei jeder Straßenbiegung. Am hintersten Fenster verlor sich Sonjas Blick im grauen Dunst des morgendlichen Panoramas, vorbei an ausgebrannten Autowracks und heruntergekommenen Häuserzeilen. Unweit vom Niemandsland stieg sie aus, folgte der breiten Straße, während sie sich vorstellte, wieder bei einer Demonstration mitzulaufen, links und rechts untergehakt bei Leuten, die auch Angst hatten. Zusammen waren sie stärker als die Angst und die Trostlosigkeit. Im Dezember erst hatten ihre Freunde vom Bürgerforum das Unglaubliche wahrgemacht, die Festung der Stasi in Erfurt gestürmt, während sie selbst eine Gefangene war in ihrer Wohnung in der Rubensstraße mit all dem Bangen und Hoffen …

Jetzt war Sonja nach Berlin gekommen, um die Mauer im Staub zu sehen, sich ihren Teil von dem Hochgefühl abzuholen, als Volk gewonnen zu haben. Sie wusste nicht, wie sie sich in dem Augenblick verhalten würde, wenn sie diesem Bau leibhaftig gegenüberstünde. Vielleicht durchdrehen wie die Berliner, die im November besoffen vor Glück auf ihr herumgetrampelt hatten und sie seither in Kandiszuckergröße in die ganze Welt verschickten …?

An der nächsten Ecke tauchte sie plötzlich auf. Nicht so hoch, wie Sonja sich vorgestellt hatte, sie verschlug ihr auch nicht den Atem. Das Stück Mauer vor ihr machte lediglich eine Gasse zur Sackgasse. Sonja näherte sich, bis ihr ein Gefühl sagte, Abstand zu halten. Die untere Hälfte der Betonwand war bedeckt mit kleinen Bildern in der Art, wie Kinder die Wände ihrer Zimmer bemalten. Wahrscheinlich hatten sie sogar ihre bunten Plastikbälle dagegen gekickt, als wäre die Mauer ein Spielkamerad, ein Kumpel und kein eiskalter Mörder. Es war das Hinterhältige, das so viele nicht erkannt hatten oder von dem sie nichts wissen wollten. Beide Augen hatten sie zugedrückt und ihren Verstand ausgeschaltet. Sie selbst hatte viel zu lange zu denen gehört.

Jetzt hinderte sie niemand daran, auf die Mauer zu spucken. Aber darum ging es nicht. Länger als die Hälfte ihres Lebens hatte sie geduldet, dass dieses Schandmal existierte, darum ging es. Viel zu spät war sie dagegen aufgestanden. Vielleicht sollte sie besser beten, um Vergebung bitten …

Der kalte Märzwind biss sie in den Hals. Sie zog die Schultern hoch und versuchte, in den kindlichen Bildern auf dem unteren Teil der Mauer etwas zu erkennen, das mit ihr zu tun haben könnte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite öffnete sich ein Fenster. Eine Frau gaffte sie daraus misstrauisch an. Nach einer Weile schloss sich das Fenster wieder. Sonja wandte sich ab und ging.

Wieder rüttelte die Tram Bilder in ihr wach: Sie hatte sich dem Bürgerforum angeschlossen, ohne dass Claus davon wusste, zumindest glaubte sie damals, dass er nichts davon wusste …

Unter den Linden stieg sie aus und lief dem Berliner Dom entgegen, dabei dachte sie an die Gebete und Versammlungen in der Erfurter Andreaskirche, einen Steinwurf von der Stasi entfernt. Sie hatte sich verkleidet, um nicht erkannt zu werden …

Jemand rempelte sie an, entschuldigte sich umständlich und entfernte sich dann mit schnellen Schritten. Als sie der Gestalt nachblickte, spürte sie, dass ihre Hände ganz steif waren vor Kälte, und sie beschloss, sich im nächstbesten Café aufzuwärmen.

*

»Bedauerlich, dass Ihr werter Herr Schwiegervater den Boom nicht mehr miterleben kann«, hatte der Hoteldirektor nicht ohne Stolz in der Stimme gesagt. Dass Hanno noch ein akzeptables Zimmer in Berlin gefunden hatte, war nur Arnulfs alten Beziehungen zu verdanken, der regelmäßig ins Westend gekommen war, sich jedoch nie entschließen konnte, eine Filiale auf der »Insel« zu eröffnen.

Aber das war gestern gewesen, nach dem Mauerfall blickte die ganze Welt auf den Berliner Wachstumsmarkt. Und bevor die Preise richtig ins Rollen kämen, hatten sie sich entschlossen, Räume für ein repräsentatives Kontaktbüro, möglichst im alten Bankenviertel in der nördlichen Friedrichstadt – also im Osten –, langfristig anzumieten oder wenn nötig zu kaufen. Diesbezüglich standen drei Termine bis zum Mittag an.

Hanno tupfte sich mit der Serviette die Lippen ab. Das Frühstück war leidlich gewesen, der Kaffee lasch, die Auswahl an Aufschnitt mäßig, zu wenig Frischobst. Die Schonzeit war vorbei. Sie würden sich hier anstrengen müssen, um an den internationalen Standard anknüpfen zu können, dachte er. 15 Minuten später teilte er der Brünetten an der Rezeption im Vorübergehen mit, dass er bis zum frühen Nachmittag nicht erreichbar sei. Dann setzte er sich in das Taxi, das bereits vor dem Haupteingang auf ihn wartete.

»Ich vertraue dir voll und ganz«, hatte Dietmar ihm Verhandlungsfreiheit und damit zu verstehen gegeben, dass ihm egal war, wie die Konditionen im Einzelnen ausfallen würden. Dietmar wusste, dass er, Hanno, das Budget niemals sprengen würde. Auf ihn war Verlass. Dietmar und Arnulf hatten ihn zwar oft genug als fantasielosen Sparfuchs verspottet, aber als beiden das Wasser bis zum Hals stand, war er für sie wieder unverzichtbar geworden, für die Herren Hansmann von der Hansmann Privatbank AG …

Der Fahrer hielt in der Behrenstraße unweit vom Brandenburger Tor vor einer der rußigen Bauten. Als Hanno die Wagentür hinter sich zuschlug, kam wieder der Ärger über das, was eigentlich ablief. Dietmar hatte ihn nicht nur nach Berlin geschickt, um eine Filiale einzurichten, vielmehr hatte er ihn abgeschoben. Sein Schwager wollte ihn endgültig loswerden. Hanno verhandelte ab heute sein eigenes Mausoleum, denn Berlin würde nur das repräsentative Vorzimmer abgeben, die wichtigen Entscheidungen fielen nach wie vor in Düsseldorf. Eine dreiste Herausforderung, die Dietmar meinte sich leisten zu können, weil er Arnulfs Nachfolger geworden war und weil er ihn für müde hielt, für ausgebrannt. Vielleicht hatte er sogar recht. Aber nach wie vor hielt Hanno die Beweise für die Betrugsaffäre und noch mehr in der Hand. Für ihn stellte sich nur die Frage, ob er sich befreien oder noch tiefer hineingeraten würde, wenn er den Skandal endlich aufdeckte …

Um 9.30 Uhr war das Meeting angesetzt. Die Herren waren pünktlich. Das Gelände sollte neu bebaut werden, aber erst später, wenn sich die Dinge vereinfacht hätten, denn noch existierte dieser Staat, der sich sozialistisch nannte, und wehrte sich verzweifelt gegen die Hyänen, die ihn umkreisten. Abschließend reichte man sich die Hand und versprach, sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten.

Hanno verzichtete auf ein Taxi, er stellte den Kragen seines Mantels hoch und schlug zu Fuß den Weg in die Gegend ein, wo vor einem Vierteljahr haltlos gejubelt wurde. In Düsseldorf hatten sie den Mauerfall zuerst für einen Witz gehalten. Selbst die enthusiastische Berichterstattung der Zeitungen am nächsten Morgen nach den Fernsehübertragungen hielten manche noch für einen schlechten Scherz. Denn wer wollte schon den Osten?

Das Brandenburger Tor lag vor ihm, wieder einmal Symbol für Untergang und Neuanfang. Er blieb stehen, doch der Wind blies ziemlich stark auf dem freien Gelände, also wandte er sich der nächsten Seitenstraße zu. Vor einem kleinen Café räumte ein eiliger Bäcker Kuchenpaletten aus seinem Lieferwagen. Bis zum nächsten Termin blieb ausreichend Zeit.

Hanno betrat das Café, einen dunklen staubigen Laden, und setzte sich an einen der kleinen runden Tische. Die Kellnerin kam und er gab seine Bestellung auf. Am Fenster saßen zwei Männer, dem Ansehen nach Geschäftsleute, zwei Tische vor ihm versuchte eine Frau, mit Handzeichen die Aufmerksamkeit der Kellnerin auf sich zu ziehen.

Wieder holten ihn Gedanken ein, die er inzwischen hasste. Spielte es noch eine Rolle, ob der Aufbau der Berlin-Filiale eine Chance für ihn bedeutete oder seinen endgültigen Abschied von der Macht in der Hansmann AG? Seit Monaten brachen ihm seine Ziele ab, jeden Tag ein Stück. Manchmal war er sich nicht mehr sicher, ob er jemals eigene Ziele verfolgt oder sein ganzes Leben lang nur mit Dieben zusammengearbeitet hatte und dabei selbst einer geworden war.

»Wollen Sie telefonieren?«, hörte er die Kellnerin fragen. Die Frau zwei Tische vor ihm wühlte verzweifelt in ihren Manteltaschen.

»Vorhin hatte ich sie noch …«

Er zögerte, sich einzumischen, er konnte Leute nicht ausstehen, die ihre Nase ungefragt in Angelegenheiten steckten, die sie nichts angingen. Aber offenbar befand sich die Frau in unangenehmer Lage, und er entschied zu fragen, ob er helfen könne. Sie war ungefähr in seinem Alter, Mitte 50. Man habe sie bestohlen, sie sei auf Besuch und wohne bei einer Freundin in Prenzlauer Berg, die erst nachmittags nach Hause käme.

Ihm fiel ihre übertriebene Nervosität auf, Schweiß glänzte auf ihrer Stirn, und warum vermied sie es, ihn anzusehen? Er hätte auf sein Vorurteil hören sollen, sich besser nicht einzumischen. Doch jetzt war es zu spät. »Ich erledige das gern für Sie.«

Ihr Gesicht lief rot an.

»Natürlich nur geliehen, ich lasse Ihnen meine Karte da. Sie können den Betrag auf mein Konto überweisen, wenn Sie wieder zu Hause sind.«

»Eine gute Idee«, ging die Kellnerin dazwischen und klimperte aufdringlich mit dem Wechselgeld. Hanno zahlte und legte seine Visitenkarte auf den Tisch. Die Frau sprach kein Wort mehr. Er fand, dass sie sich wenigstens hätte bedanken können, ging zurück an seinen Platz und trank den letzten Schluck Kaffee aus. Dann zog er seinen Mantel über und schritt, ohne sich noch einmal umzudrehen, in Richtung Ausgang, vorbei an der Frau, die reglos auf seine Karte starrte.

*

Und das alles an einem Morgen. Der bedrückende Eindruck der Mauer, dann hatte sie sich mitten auf der Straße bestehlen lassen, um anschließend vor einer Kellnerin als Betrügerin dazustehen. Und jetzt die Begegnung mit … ihm. Sonja war sicher, nur er konnte es gewesen sein. Am liebsten wäre sie schreiend hinausgerannt. Hannohingegen hatte sich nichts anmerken lassen, vielleicht hatte er sie auch nicht erkannt. Seit er seine Karte vor sie auf die Tischplatte gelegt hatte, haftete ihr Blick an den Buchstaben seines Namens und die Erinnerungen an eine beinahe versunkene Welt kamen zurück, als Troppau noch deutsch war, die Stadt, in der sie beide geboren waren …

Die große Reise 1

Troppau, Mai 1945

»Lange kann es nicht mehr dauern, Frau Dreher«, hatte die Nachbarin gesagt, und Mutters Augen waren feucht geworden. Sonja wollte fragen, was nicht mehr lange dauern würde, aber Mutter hatte nur kurz ihre Hand gedrückt. Das bedeutete: Mund halten und brav sein. Immer sollte sie den Mund halten und brav sein. Vielleicht würden sie ja wieder eine eigene Wohnung haben, eine mit schneeweißen Wänden und Möbeln und einer Küche mit Töpfen und Pfannen, in der es nach Essen roch. Und Peppi, ihre Haushaltshilfe, würde Zwetschgenknödel machen. Die Bomben und das Feuer hatten alles zerstört, auch das Haus, in dem sie gewohnt hatten. »Wir werden wieder eine neue Wohnung finden, wir müssen nur Geduld haben«, hatte Mutter versprochen.

Jetzt saß Sonja still auf der alten Matratze und wartete. Nachts schliefen sie zu dritt darauf, Mutter, Oma und sie, Opa schlief in dem kleinen Zimmer, weil er krank war. Meistens fror Sonja, weil sie nur eine Zudecke hatten.

Am Morgen hatte Mutter von ihr verlangt, sie solle alles anziehen, was sie habe. Das war nicht mehr viel. Als sie nach Deutsch-Eisenberg mussten wegen der Bomben, hatte sie den kleinen Koffer mit all ihren Sachen verloren. Knuffi, ihr Stoffbär, ihre Strümpfe, Kleider und Spielsachen, alles war weg, auch ihre Freundinnen, die Lehrer und die Schule und die Geburtstagsfeiern mit Papa. Papa würde wiederkommen, da war Mutter ganz sicher, und immer wenn sie das sagte, glänzten ihre Augen.

Nach dem Gespräch mit der Nachbarin hatte Mutter angekündigt, sie würden bald auf eine große Reise gehen. Aber warum? Es war doch Schluss mit den Bomben. »Dort, wo wir hinfahren, wird es uns besser gehen, Sonja«, hatte Oma gesagt. Seit Opa nur noch auf seiner Matratze lag und immer dünner wurde, sprach Oma nicht mehr viel. Meistens sah sie Sonja mit müden Augen an und streichelte ihr tröstend den Kopf, auch wenn sie sich nicht die Knie aufgeschlagen hatte und getröstet werden musste.

Unten auf der Straße waren plötzlich Schritte zu hören, viele Schritte und harte Rufe. »Sonja, komm jetzt!« Mutter stand im Zimmer und klang aufgeregt, so wie beim Fliegeralarm. Aber die Sirenen heulten nicht. Was war nur los?

Ein Soldat kam zu ihnen herauf, er brüllte und drohte mit seinem Gewehr. Alle mussten tun, was er wollte, auch Opa. Sie mussten hinunter auf die Straße und sollten sich in eine lange Schlange von Leuten stellen, bestimmt die längste Schlange, die das Sudetenland je gesehen hatte. Doch es war keine bunte, jubelnde Schlange wie früher, wenn der Führer Geburtstag hatte, es war eine graue düstere Schlange, und alle hatten das große »N« auf ihren Kleidern. Dann brüllte wieder ein Soldat und alle bewegten sich, zogen langsam vorbei an den ausgebombten Häusern. Manche waren schon wieder bewohnt, hinter den Fenstern waren Gesichter zu erkennen.

Keiner in der Schlange traute sich zu reden. Nur manchmal stöhnte jemand auf, als wäre er von etwas getroffen worden. Mutter öffnete ihren weiten Wintermantel, zog Sonja ganz nahe an sich heran. Dann stöhnte ein Mann in der Reihe vor ihr, aber jetzt wusste sie warum. Sie hatte gesehen, wie ihn ein Stein getroffen hatte. Ein ziemlich großer. Der Mann war in die Knie gegangen. Wer warf mit Steinen nach ihnen? Ein paar Leute standen auf den Bürgersteigen und gafften, sie hatten kein »N« auf den Kleidern und mussten nicht auf der Straße in der Schlange gehen. Sie sprachen tschechisch. Hatten die mit Steinen nach ihnen geworfen? Sonja drückte sich ganz fest an Mutters Seite.

Gleich würden sie das Haus der Popelniks erreichen. Vielleicht würden die Popelniks auch mitkommen. Sie waren Tschechen, konnten jedoch fließend Deutsch, und Lenka und sie waren Freundinnen. Mit Lenka war es nie langweilig geworden, sie fand Zarah so schick und dermaßen kess und wollte später unbedingt werden wie sie. Vor allem wollte sie »Yes, Sir« singen können wie Zarah, sie hatte schon geübt, doch der Unterschied war noch ziemlich groß. »Die Stimme wird erst tiefer, wenn ich ungefähr 20 bin«, hatte Lenka gesagt, und man konnte ihr glauben.

Aber nur Lenkas Vater stand an der Hausecke, Sonja hatte ihn erkannt. Dann flog ein Stein. Mutter stöhnte auf. Es war Lenkas Vater gewesen, Sonja hatte es genau gesehen, er hatte den Stein auf Mutter geworfen, und er hatte es absichtlich getan …

Sie gingen schneller und duckten sich. Mutter fasste sich mit der Hand an den Kopf. Das Blut lief zwischen ihren Fingern hindurch, aber sie sagte nichts. Oma zog das große Taschentuch aus ihrer weiten Rocktasche und reichte es Mutter, die es auf die Wunde presste.

»Warum machen sie das? Warum werfen sie mit Steinen?«, fragte Sonja und diesmal wollte sie eine Antwort haben.

»Pst! Sie wollen, dass wir gehen, Sonja, und nie mehr zurückkommen«, antwortete Mutter leise.

*

Heide wünschte sich so sehr, dass Sonja das alles nicht sehen und ertragen müsste, aber es lag nicht in ihrer Hand. Nichts lag mehr in ihrer Hand. Als sie nach Wochen der Evakuierung in Deutsch-Eisenberg den langen Fußmarsch zurück nach Troppau antreten mussten, schwelte noch Hoffnung in ihr, hatte sie noch nicht Gewissheit, dass von ihrer Wohnung, in die sie all ihre Ersparnisse gesteckt hatten, nur noch ein verkohltes Gerippe übrig war.

Dann hatte man ihre Eltern, Sonja und sie zusammen mit anderen Sudetendeutschen in einem vormals unbewohnten baufälligen Haus am Stadtrand untergebracht, das wenigstens ein Dach hatte. Aber sie durften es nicht verlassen, ihnen war nur erlaubt, abends nach fünf aus dem Haus zu gehen, um in den Geschäften einzuholen, was die Tschechen an Essbarem übrig gelassen hatten. Zu wenig, um satt zu werden.

Seitdem hatte Heide täglich darauf gewartet, dass sich etwas ändern würde. Doch das Gefühl der Erleichterung, dass der Krieg zu Ende war, und die Hoffnung, dass Robert bald zurückkommen würde, waren längst hinter der neuen Angst zurückgetreten: Sie waren Deutsche. Deutsche zwar, die schon seit Generationen hier lebten – nicht erst seit Hitler das Sudetenland zum Reichsgau erklärt hatte –, aber das machte jetzt keinen Unterschied mehr. Nach dem verlorenen Krieg waren sie für die Tschechen nur noch »Germanski Swinja«, die am Straßenrand laufen mussten, während sie selbst den Bürgersteig benutzen durften. Sie hatten sie auch gezwungen, ein »N« auf ihre Jacken und Mäntel zu nähen, N wie »Nemec«, Deutscher. Sie hatten sie gezeichnet, wie die Deutschen die Juden gezeichnet hatten. Es war die Stunde der Rache, und jetzt verstießen sie sie mit Schimpf und Schande, bewarfen sie mit Steinen, nicht nur um sie zu vertreiben, sondern um sie zu töten.

Heide deckte Sonja mit ihrem dicken Wintermantel zu. Sie sollte die Rufe nicht hören – »Germanenschweine« –, sie sollte auch nicht sehen, dass einige in der Schlange von den Steinen getroffen zusammenbrachen und am Straßenrand liegen blieben.

Jemand hatte sie aus dem Hinterhalt beworfen, aber es war nur Blut. Sie lebten und sie liefen weiter. Ihre Schläfe pochte, sie drückte das Taschentuch dagegen. Irgendwann hörte jede Wunde auf zu bluten, dachte sie. Doch ob Vater das durchstehen würde? Er war krank, wahrscheinlich Typhus. Sie hatten es verschwiegen, denn niemand wusste, was sie mit ihm machen würden, wenn es herauskäme …

Heide dachte an Robert. Vermutlich hatten ihn die Russen gefangen gesetzt, und es ging ihm noch schlechter als ihnen. Aber er war am Leben, sicher war er am Leben. Sie glaubte fest daran, durfte den Mut nicht sinken lassen.

Die Erinnerung an die Abende vor dem Krieg war ihr einziger Halt. Wenn sie die Schulhefte korrigiert hatte und Robert noch Zeit bis zum Beginn der Nachtschicht in der Druckerei blieb, saßen sie zusammen auf der gemütlichen Couch im Wohnzimmer. Er legte den rechten Arm um sie, und sie hörten klassische Klaviermusik aus dem Volksempfänger, während Sonja in ihrem Bettchen schlief. Dann waren sie ins Schlafzimmer geschlichen und hatten sich geliebt.

Sie sah Roberts Gesicht vor sich, sein feines, glatt rasiertes Kinn, das sie so erotisch fand. Für sie war es das Kinn eines Künstlers, drückte all das aus, was ihn charakterisierte: Empfindsamkeit und Fantasie, seinen leisen ironischen Humor. Robert rasierte sich nur mit dem Messer seines Vaters, das einen Griff aus echtem Schildpatt hatte. Immer wenn sie zusammen im Bett lagen, streichelte sie nachher Roberts glattes, weiches Kinn.

»Es war Lenkas Vater«, sagte Sonja mit großen, erschrockenen Augen.

»Wir sind bald am Bahnhof«, erwiderte Heide nur und strich Sonja zärtlich über den Kopf, während sie versuchte, sie mit einem Lächeln zu täuschen.

*

Sonja hatte geträumt, wie sich alles im Kreis dreht: Zuerst lebt es sich schön und die Leute sind froh, dann kommen die Bomben und zerstören alles, die Leute schreien und weinen, aber dann wird wieder alles gut und alles ist wie vorher. Jetzt war alles kaputt, es musste also wieder schön werden, wenn ihr Traum stimmte. Manchmal stimmen Träume.

Die Schlange war am Bahnhof angekommen. Auf dem Gleis stand ein langer Zug mit Waggons, Sonja konnte hören, wie die Lokomotive zischte. Der schwarze Rauch, der nach Kohle stank, wehte zu ihnen herüber und verklebte Augen und Mund. Jetzt öffneten Männer die Türen der Waggons und trieben die Leute hinein. Die Waggons hatten kein Dach und keine Sitzbänke. Als niemand mehr hineinpasste, krachte die Tür zu. »Wo sind Oma und Opa?«, rief Sonja, sie konnte sie nicht erkennen, denn alle Menschen waren nur grau. »Sie sind hier, mein Schatz«, beruhigte sie Mutter.

Immer noch das Gebrüll der Männerstimmen und das Krachen der Türen. Der breite Rücken der dicken Frau vor ihr drückte gegen Sonjas Brust, aber sie konnte den Himmel sehen. Er war blau und die Sonne schien. Alle warteten, was geschehen würde. Die dicke Frau roch nach Kümmel und saurer Milch. Ob Lenka wusste, dass ihr Vater Steine auf Mutter geworfen hatte? Würde Lenka auch Steine auf sie werfen, obwohl sie Freundinnen waren?

Der Zug ruckelte, einige Leute im Waggon konnten sich nicht halten, auch die dicke Frau kippte um, ihr schwerer Körper presste Sonja an die Wand. Sie bekam keine Luft mehr, nicht einmal schreien konnte sie. Auf einmal war wieder diese Schwärze vor ihren Augen wie damals im Luftschutzbunker … Ein Beben hatte das Licht ausgeschlagen. Ihre Ohren dröhnten von den Fliegern über ihnen. Bumm, bumm, bumm, bumm. Viel lauter als ihr Herz. Die Erde zitterte. Sie spürte, wie es feucht zwischen ihren Schenkeln wurde, aber sie konnte es nicht halten, es lief die Beine hinunter, und sie begann zu weinen. Niemand hörte sie, die Bomben waren viel lauter …

Wieder ruckelte der Zug. Die Dicke rollte zur Seite, es wurde hell. Mutter ergriff ihre Hand und hielt sie fest. Sonja blickte verschämt in ihre Augen, der Boden unter ihr war nass.

Die Lok stampfte jetzt laut. Sonja war öfter mit Papa nach Mährisch-Ostrau gefahren, deshalb wusste sie, dass es bald losging, wenn die Lok laut stampfte und zischte. »Sie sammelt Kraft«, hatte Papa ihr erklärt, »die meiste Kraft braucht sie, um den Zug ins Rollen zu bringen.«

Und dann fuhr der Zug endlich los. Die Wände hatten keine Fenster, aber der Blick in den Himmel war frei. Sonja fror nicht und hatte nur ein bisschen Hunger, es war nicht so schlimm.

*

Anfangs war es fast angenehm, dass der Waggon kein Dach hatte. Der offene Himmel befreite sie von ihrem eigenen Gestank. Aber dann durchnässten Regengüsse sie bis auf die Haut und die Sonne stach ungehindert stundenlang auf sie ein. Schon am dritten Tag bedeckte eine eitrige Brandblase die Hälfte von Vaters Glatze. Es ging ihm immer schlechter, er sprach nicht mehr und reagierte auf kaum etwas. Vater war ein stolzer Mann, es musste ihn quälen, den anderen zur Last zu fallen. Heide ahnte, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als sterben zu können. »Geht es dir gut, Karl?«, fragte ihn ihre Mutter immer wieder und wartete voller Unruhe auf ein Zeichen von ihm. Manchmal zuckte er nur mit einem Finger, selbst das genügte ihr. Sie hatten sich zu einem Platz in der rechten Ecke gegenüber der Schiebetür vorgearbeitet. Dort konnte Vater Kopf und Rücken besser abstützen.

Gegen Mittag hatte die Dicke vor ihnen Sonja ein Stückchen von ihrem Speckrand gegeben, den sie unter ihrem verschwitzten Mantel versteckt hielt. Ihre Eltern und sie hatten gehungert. Die Fahrt verlief ohne Unterbrechung. Erst als die Sonne den Tag verloren gab, hielt der Zug. Die Türen wurden aufgeschoben, die Leute kletterten so schnell wie möglich hinaus, suchten Plätze im Grünen auf, um sich zu entleeren, im Waggon mussten sie einen Stahlhelm unter sich halten. Ein rostiger Stahlhelm für 50 Menschen.

Endlich gab es zu trinken, abgestandenes Wasser aus einer Zinkwanne, aber wer hatte schon eine Tasse? Sie mussten aus der hohlen Hand trinken. Vater hatten sie im Waggon zurückgelassen, er war zu schwach, um aufzustehen. Heide füllte Wasser in die Kapuze ihres Mantels und lief zurück. Doch da war Vater bereits tot. Sie beugte sich über ihn und schloss ihm die Augen. Noch einmal berührte sie zärtlich seine linke Wange. Sie würden ihn an den Bahndamm legen, wie die anderen Toten, die sie aus den Wagen holten, ihren geliebten Vater abladen wie ein verendetes Tier. Ihr blieb nur zu hoffen, dass sich Menschen aus der Gegend erbarmen würden und den Leichnam beerdigten.

Hinter ihr stand schon ein Soldat, er schaute sie nicht einmal an. Sie wich zur Seite, er ergriff das zusammengesunkene Bündel und nahm es mit sich. Heide musste zurück zur Wasserstelle. Sie wusste nicht, wie sie es Mutter sagen sollte. Ihre Mutter war stark, aber seit Tagen hatte sie nichts gegessen. Sonja würde sie erzählen, dass sie Opa ins Krankenhaus gebracht hätten, weil sie ihn dort besser pflegen könnten.

*

Immer wenn die Bremsen quietschten und die Waggons aneinanderschlugen, dachte Sonja, dass sie angekommen wären, dort, wo sie bleiben durften, wo man keine Steine nach ihnen werfen würde. Aber oft hielt der Zug nur an und blieb stundenlang stehen, ohne dass die Tür geöffnet wurde und sie trinken oder ihr Geschäft machen durften. Dann mussten sie endlos warten, das Stöhnen der Leute im Waggon war zu hören, die Sonne brütete über ihnen, und der Gestank würgte Sonja im Hals. Das Gefühl verging erst wieder, als die Lok stampfte und der schwarze Dampf in den Himmel quoll.

Unablässig rumorten das Rattern des Zugs und das Kreischen der Bremsen in Sonjas Kopf, während sich ein Etwas mit scharfen, spitzen Zähnen durch ihren Bauch fraß. Manchmal tat es höllisch weh, dass sie weinen musste. Als sie letztens aus dem Waggon durften, hatte ein Mann Brot in die Menschenmenge geworfen. Mutter hatte ein Stück aufgeschnappt, daraufhin schlug ihr jemand seinen Ellenbogen ins Gesicht und riss es ihr aus der Hand. Wieder hatten sie nichts zu essen. Später hatte eine Frau Sonja ein kleines Stück von ihrem Brot abgegeben, und sie hatte das Etwas mit den scharfen Zähnen damit gefüttert. Aber es hatte nicht lange Ruhe gegeben.

Sonja hatte aufgehört zu zählen, wie oft es hell und dunkel wurde, sie war nur immer froh, wenn der Morgen wieder kam. Dann schrie niemand mehr, dann stöhnten sie nur noch oder weinten leise, und das Stampfen und Rattern übertönte sie. Nachts schlug ihr Herz laut, wenn der Zug irgendwo stehen blieb und plötzlich die Waggontür aufgeschoben wurde. Man sah nicht, wie sie sich öffnete, man hörte nur das schleifende Geräusch. Dann verbreitete sich Unruhe und vereinzelt schrien Frauen und stöhnten. Etwas Unheimliches ging um, ein Gespenst. Mutter zog sie ganz dicht an sich heran. Sie waren beide steif vor Angst. Aber das Gespenst hatte sie bisher nicht gefunden.

Doch eines Nachts packten Sonja plötzlich zwei große Hände und schoben sie beiseite. Jemand drängte sich ganz nahe an Mutter heran, bestimmt tat er ihr weh. Doch Mutter wehrte sich nicht und sie schrie nicht wie die anderen. Dann war das Gespenst auf einmal verschwunden. Mutter weinte leise. Sonja war froh, sie hatte es sich viel schlimmer vorgestellt, wenn das Gespenst sie finden würde.

Sonja hatte eine Ritze in der Holzwand entdeckt, und tagsüber, wenn der Zug nicht so schnell fuhr, konnte sie etwas von dem erkennen, was an ihnen vorbeiflog: ein Stück grüne Wiese, Bäume, rote Dächer. Die Reise ging immer weiter. »Wann sind wir endlich da?«, fragte sie Mutter. »Wenn alle tot sind?« Das Etwas in ihrem Bauch hatte wieder Hunger. Sie musste es füttern, sonst würde es sie von innen auffressen. Ihr wurde schon ganz schwindelig.

Als der Zug erneut hielt und sie ausstiegen, waren sie hinten in der Schlange, weil sie auf Oma warten mussten. Sicher würden sie wieder kein Brot fangen, denn nur die, die vorn standen und ihre Ellenbogen benutzten, bekamen etwas ab. Sonja riss sich von Mutters Hand los. »Sonja!«, rief Mutter, doch ihre Stimme klang matt.

Sonja drängte sich zwischen die Leute. Ein Mann warf große Stücke Brot in die Menge. Die Leute versuchten, sich gegenseitig die Brocken wegzuschnappen. Eine Frau hatte einen Schlag auf die Nase bekommen, ihr Gesicht und ihre Hände waren blutverschmiert. Plötzlich landete ein Stück direkt in Sonjas Armen, und sie konnte es festhalten. Die anderen wollten es ihr wegnehmen. Es gab nur dieses eine Stück Brot auf der ganzen Welt. Sonja machte, was sie sonst nie tun würde, denn Mutter fand es abscheulich: Sie trat, sie biss und sie spuckte. Ein Mann versuchte sie mit eisernem Griff am Arm festzuhalten, für einen kurzen Moment sah sie in seine entschlossenen Augen. Er würde ihr den Arm abreißen für dieses Stück Brot. Wieder packte er zu, doch Sonja trat gegen sein Knie, dass er aufheulte, und entwischte ihm. Der rechte Ärmel ihres Mantels war weg, aber das Brot hatte sie behalten.

2

Berlin, März 1990

»Machst ’n Jesicht, als wärste Erich Mielke am FKK-Strand bejegnet«, sagte Christa, als sie am frühen Nachmittag nach Hause kam und sie in der Küche fand.

Sonja schüttelte nur den Kopf. Der Name des Mannes, der ihr nach einem halben Leben plötzlich im Café gegenübergestanden hatte, kam ihr nicht über die Lippen. Das ging tiefer, darüber konnte sie nicht so einfach reden …

»Hast bestimmt Hunger, oder?«, fragte Christa. Doch erst als sie lautstark mit dem Geschirr klapperte, tauchte Sonja auf. In der letzten Stunde, die sie auf der Küchenbank verbracht hatte, war sie in einer Flut von Bildern versunken.

»Ick mach uns ’n paar Eier mit Speck. Bin noch nich einholen jewesen.« Das Fett knackte bereits in der Pfanne.

Hanno.

Neuerdings standen die Grenzen offen, auch die Vergangenheit. Dieses Bewusstsein hatte sie so aufgewühlt, dass sie das ganze Stück vom Brandenburger Tor bis ans Ende der Schönhauser Allee im Laufschritt zurückgelegt hatte.

»Hätte nich jedacht, det dir der Anblick der Mauer so beeindrucken könnte …«

Sonja hatte Christa nie von Hanno erzählt, um sie und sich zu schützen. Außerdem war es schmerzlich, über ihn zu reden. Warum alles wieder hervorkramen? Vielleicht würde es ein paar Tage dauern und sie würde unruhig schlafen, aber dann …

»Jemand hat mich angerempelt und 130 Mark mitgehen lassen«, sagte sie, damit Christa endlich Ruhe gab.

»Dich kann man nich alleene lassen«, war die Antwort, die sie von ihr erwartet hatte. Der Geruch von gebratenem Speck breitete sich in der Küche aus und weckte ein Gefühl von Gemütlichkeit.

Claus durfte auf keinen Fall von der Begegnung mit Hanno wissen, vor ein paar Tagen erst war er aus der Haut gefahren. Nachdem sie es gewagt hatte, ihn zu provozieren, hatte er sie fast am Hals gepackt, wie er wahrscheinlich mit den Opfern in seinen Verhören verfahren war.

»Finde dich damit ab, dass die Stasi am Ende ist!«, hatte sie ihm vorgehalten. Er schien die Wahrheit nicht akzeptieren zu wollen: Die Bezirksverwaltung in der Andreasstraße gab es nicht mehr. Er war so in Rage geraten, dass sie seinen ekelhaften Schweißgeruch riechen konnte, den sie anfangs sogar irgendwie anziehend gefunden hatte.

»Du glaubst doch nicht etwa, dass auch nur ein Scheißstaat auf dieser Welt auf uns verzichten kann?«, hatte er ihr vor Wut zitternd ins Gesicht geblasen. »Uns muss es geben und wird es immer geben. Ein paar Monate, dann ist alles beim Alten, nur unter neuem Namen, verlass dich drauf!«

Danach hatte sie es nicht mehr ausgehalten und bei Christa angerufen, die einzige Möglichkeit, Claus für ein paar Tage zu entkommen. Vor Jahren hatte er akzeptiert, dass sie eine Freundin hatte, die sie ab und zu besuchen durfte. Christa war die Schwester einer ehemaligen Kollegin in der Oberschule in Gispersleben, die sie bei einem Besuch in Erfurt kennengelernt hatte. Von Anfang an war so etwas wie Vertrauen zwischen ihnen gewesen.

Nach dem Essen zog sich Sonja in Katis Zimmer zurück, wo sie übernachtete. Ihre »Frau Tochter« habe die Fliege gemacht, wie sich Christa ausdrückte, im Januar, ohne Vorankündigung, ohne Diskussion sei sie nach Hannover umgezogen. Kati war Mitte 20, aber ihr Zimmer immer noch eingerichtet wie die Bude einer 16-Jährigen, nur säuberlich aufgeräumt. Fotos vom Ferienlager und von der Jugendweihe auf dem Hängeregal, an der Wand Poster von den Puhdys aus den späten 70ern und 80ern, sogar zwei komplette Jahrgänge »Neues Leben«, Honeckers Kampfblatt für die Jugend, fortlaufend nach Monaten sortiert. Wenn sie sich so umsah, konnte sie Kati verstehen. Der Mief von 40 Jahren DDR hing im Raum, mindestens 40 Jahre lang müsste man lüften, um ihn rauszukriegen. Da war sie lieber gegangen, die Kati, ohne Diskussion und kurz und bündig. Aber vielleicht hatte sie auch Christas Ordnungswut vertrieben. Wenn es nur das war, dann gab es noch Hoffnung für die beiden, während zwischen ihr und Sabine, ihrer eigenen Tochter, der verstörende Satz stand: »Du hast mich nie gewollt!« – Da gab es keine Brücke mehr …

Sonja legte sich aufs Bett, und an der rissigen Zimmerdecke lief wie auf einer Leinwand noch einmal die Szene im Café ab. Anscheinend hatte er sie nicht erkannt. Oder wollte er sie nicht kennen? Plötzlich lehnte sie es ab zu glauben, dass dieser aalglatte Typ Geschäftsmann, der Klassenfeind schlechthin, der ihr heute über den Weg gelaufen war, dass er Hanno Weigel sein sollte, den sie einmal gekannt hatte. Ihr Hanno wollte etwas erreichen, wollte frei sein und nicht seine Ideale verraten. Dieser Mann mit der Goldrandbrille war nicht der, den sie vor 30 Jahren geliebt hatte, mit dem sie ein Leben aufbauen wollte … Dass es dann anders gekommen war, war ihre Entscheidung gewesen. Heute würde sie wieder so entscheiden. Den unverzeihlichen Fehler hatte sie erst später begangen, als sie den falschen Mann in einem falschen System geheiratet hatte …

Am Abend saß sie mit Christa in der Wohnstube bei »Goldi« und Salzgebäck auf Möbeln aus den 70ern wie in besten DDR-Zeiten. Sie waren nie um Themen verlegen gewesen, auch wenn Sonja Christa aus guten Gründen nur wenig über ihre Ehe erzählt hatte. Diesmal gab es viel zu sagen, wenn auch nur wenig Worte, um es auszudrücken. Die Zeiten waren kompliziert.

»Am Ende hatten wa uns doch dran jewöhnt, det hier alles langsamer läuft und wat ma sagen darf und wat nich.« Sonja wusste, was Christa meinte. Sie verstand sie sogar. Warum sollte jemand mehr Vertrauen zu denen in Nadelstreifenanzügen haben als zu denen in Parteiuniformen, deren Schweinereien er kannte?

»Jetzt stoßen se allet um, und wir kleenen Leute ham keene Ahnung mehr, wo der Feind sitzt«, sagte Christa und kippte den Braunen mit einem Schluck runter. »Wenn der neue Wind weht, setzen sie mir vielleicht uff die Straße, und wat hab ick dann von der janzen Freiheit?«

Christa war bis zum Schluss in der SED geblieben. Vielleicht hatte Claus ihr erlaubt, sie zu besuchen, weil er im Stillen gehofft hatte, dass Christa sie überreden würde, endlich auch Parteimitglied zu werden. Doch Christa hatte sie nie gefragt und Sonja verstand, warum ihre Freundin das Parteiabzeichen brauchte. Als Erzieherin im Kinderhort war Christa sozialistisches Vorbild, und sie hatte eine Tochter, war nach dem Tod ihres Mannes allein geblieben.

»Lass jut sein. Schöner kann’s nich werden«, war ihr Spruch zum Thema Männer, und sie war stolz darauf, Kati allein durchgebracht zu haben.

Sonja beneidete sie deswegen. Christa hatte auf ihre Art Linie gezeigt. Das konnte sie von sich nicht sagen. Sie hatte sich auf einen Mann wie Claus eingelassen und die Vorteile ausgekostet, die seine Stellung mitbrachte. Während andere im Knast saßen und die Stasi ihnen ins Essen spuckte, hatte sie Stollwerkpralinen gegessen, war Stammkunde im Intershop gewesen und konnte sich die Aufführungen in der Oper aussuchen. Erst am Schluss war sie aufgewacht, da hatten andere schon zu lange gelitten. Vielleicht war es nur gerecht, dass sie jetzt auch litt …

»Soweit ick det sehe, wird der Patient nich überleben.«

»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte Sonja, um nicht nur zu schweigen. Die Wahl zur Volkskammer, die sie in den vergangenen Tagen veranstaltet hatten, kam ihr wie das letzte Zucken vor. Der Arbeiter-und-Bauern-Staat war endgültig zur Lachnummer verkommen. »Und das, obwohl wir die besseren Ideen hatten, damals in den 50ern«, sagte sie. »Denen im Westen ging es nur ums Geld.« Die Bürgerbewegung wollte auch nur, dass der SED-Staat unterging, die alten Ideale wollten sie behalten …

Gegen neun am nächsten Morgen hatte Sonja nur Grieß im Kopf, die Möbel in Katis Zimmer standen schief und die Puhdys rissen ihre Mäuler zu weit auf. Der »Goldi« war schuld. Christa war bestimmt schon im Hort und würde wie üblich vor dem Nachmittag nicht zurück sein. Sonja hatte sich von dem Besuch versprochen, frei nachdenken zu können. Doch alle Wege endeten in der Vergangenheit oder bei Claus. Sie lag an der Kette, auch wenn sie in Berlin war, er hatte sie in der Hand. Und es blieb nur ein Tag, dann musste sie zu ihm zurück in die Rubensstraße und seine zynischen Blicke ertragen …

Auf dem Küchentisch lagen 50 Mark, Christa war eine Seele. Aber nicht nur Bares, auch den Personalausweis und die Geldkarte hatte der Dieb mitgehen lassen. Sonja würde sie als gestohlen melden müssen. Vorher brauchte sie aber ein, zwei Tassen Kaffee. Wenn nur alles so einfach wäre wie mit dem Kaffee, dachte sie. Der Kaffee aus dem Westen war zweifellos besser.

Sie hätte Hanno direkt fragen sollen, ob er der Hanno Weigel sei, der nach der Vertreibung aus Troppau mit ihr im gleichen Zug nach Thüringen gesessen hatte. Denn das hatte sie zu Schicksalsgefährten gemacht. Immerhin hatte sie seine Visitenkarte und die Telefonnummer der Bank, in der er offenbar arbeitete. Ihn jetzt in Berlin ausfindig zu machen, war unmöglich, und mit einem Telefongespräch nach Düsseldorf durchzukommen ebenso. Sie könnte ihm in den nächsten Tagen schreiben, nur ein paar Zeilen, um nicht aufdringlich zu wirken. Schließlich war es nur höflich, sich für die Gefälligkeit zu bedanken. Es bliebe ihm überlassen, sich wieder zu melden …

Doch gegen zehn stand sie wieder vor dem Café nahe dem Brandenburger Tor mit dem Gefühl, sich lächerlich zu machen.

3

Thüringen auf dem Land, Ende Mai 1945

Wieder einmal stand der Zug, sie wussten nicht, ob auf freier Strecke oder an einer Station, während sich am Himmel dunkle Wolken zusammenballten und einen der Regengüsse ankündigten, der sie bis auf die Haut durchnässen würde. Am Tag zuvor waren sie auch öfter stehen geblieben, und beim letzten Mal war ein kleiner Aufruhr in dem Waggon neben ihnen entstanden. Die Dicke hatte die Ohren gespitzt. »Sie dürfen aussteigen«, hatte sie geflüstert, als wäre es verboten, so zu reden. »Vielleicht sind wir auch bald dran.«

Sie würden auf jeden Fall dran sein, dachte Heide. Sonjas Stirn fühlte sich heiß an, dagegen schien es ihrer Mutter besser zu gehen. Heide hatte ihr nicht in die Augen sehen können, als sie in den Waggon zurückgekehrt waren und Vater auf einmal verschwunden war. Nur einen Schrei hatte ihre Mutter von sich gegeben, einen Schrei, den Heide nie vergessen würde. Dann hatte sich ihre Mutter auf den Platz gesetzt, an dem ihr geliebter Karl sein Leben verloren hatte, und kein einziges Wort mehr gesprochen. Heide hatte mit dem Schlimmsten gerechnet …

Plötzlich das schleifende Geräusch und das Dröhnen der Tür. »Aussteigen! Endstation!«

Die Dicke vor ihnen wurde ganz ungeduldig. »Nun mach schon!«, fuhr sie ihren Mann an, der ihr auf die Beine helfen sollte.

»Sonja, wach auf!«

Sonja wimmerte benommen, das Fieber war gestiegen, noch nie hatte sie sie so elend gesehen. Sie brauchte dringend Hilfe.

»Raus, raus!«, rief der Mann an der Tür. Sie befanden sich an einer kleinen Bahnstation irgendwo auf dem Land. Heide spürte die argwöhnischen Blicke der Gaffer von der Straße. Aber sie warfen wenigstens nicht mit Steinen.

Die graue Schlange war kurz geworden. Vorn sprach ein Mann mit Hut auf den Anführer ein. Der ließ sie anhalten, trat vor sie hin und fragte, ob ein Lehrer darunter sei. Was das wohl zu bedeuten hatte?

»Ich bin Lehrerin«, sagte Heide mit leiser Stimme und hob die rechte Hand nur ein Stück. Der Mann, der mit dem Anführer gesprochen hatte, kam auf sie zu, zog vor ihr seinen Hut und lächelte. »Täuber, mein Name«, sagte er und drückte ihr die Hand. »Bitte kommen Sie.«

Sein Blick verriet Mitleid, und Heide meinte noch etwas anderes darin zu erkennen, das ihr gegenüber lange niemand mehr gezeigt hatte: Respekt. »Ja«, sagte sie nur, als Antwort auf alle Fragen, die er ihr stellen würde. Sie war mit allem einverstanden, wenn er sich nur um Sonja kümmerte und ihnen zu essen und so etwas wie ein Bett zum Schlafen geben würde. Sie schämte sich, dass sie nichts bezahlen konnten, dass sie alles verloren hatten, ihre Wohnung und ihre Heimat, nichts gehörte mehr ihnen. Nicht einmal ihr Bauch gehörte noch ihr …

*

Sonja wachte auf. Ein Klopfen schallte zu ihr herüber. Sie musste lang geschlafen haben, so tief und so lang wie Dornröschen, und jetzt wusste sie nicht mehr, wo sie war, und sie war sich sicher, dass Dornröschen auch nicht sofort gewusst hatte, wo sie war, als sie aufwachte. Aber es klopfte und klopfte, und Sonja stand auf, um nachzusehen. Auf blanken Füßen lief sie aus dem Zimmer über einen kalten Steinboden in einem langen Flur dem Klopfen entgegen. Es kam von einer großen Holztür am Ende des Flurs, die Klinke ließ sich ganz leicht herunterdrücken.

Draußen stand ein großer Mann mit breitem Hut. Als er sie sah, staunte er.

»Sonja?«, sagte er mit Überraschung in der Stimme und ging vor ihr in die Knie. Seine Augen waren jetzt ganz nahe bei ihren, sodass sie die vielen kleinen Falten in seinen Augenwinkeln erkennen konnte.

»Opa?«

Er strich ihr sanft über den Kopf, während er lächelte.

»Hast du das schon vergessen? Ich bin Dr. Täuber. Aber du musst zurück ins Bett!« Er nahm sie auf den Arm und brachte sie in das Zimmer, in dem sie gelegen hatte. Es war groß und kühl und außer ihrem Bett standen dort nur ein alter Schrank und ein Stuhl.

»Frau Dreher?«, rief Dr. Täuber und seine Stimme hallte durch den Flur.

Ja, wo war sie? Wo war Mutter? Sonja erinnerte sich nur an das Rattern der Räder auf den Gleisen und das Pfeifen und den rußigen Dampf der Lokomotive, das Zischen und Stampfen, den Gestank im Waggon und an das Brot, für das sie gekämpft hatte, für das einzige Brot auf der Welt.

Auf einmal stand Mutter in der Tür, Freude im Gesicht, obwohl es mager aussah und die Augen sich tief in ihre Höhlen verkrochen hatten. Sie nahm sie in die Arme, drückte und küsste sie. »Entschuldigen Sie, Herr Dr. Täuber. Ich war im Garten und hab Sie nicht gehört.«

»Das Fieber muss schlagartig gefallen sein«, sagte Dr. Täuber. »Sie hat mich gehört und mir die Tür geöffnet. Das Schlimmste ist überstanden. Doch sie braucht noch Bettruhe … Und nicht auf nackten Füßen über die kalten Steine laufen, hörst du?«

Sonja kroch wieder ins Bett, es piekte und knisterte, wenn sie sich bewegte, und sie musste sich kratzen, denn es juckte sie plötzlich überall.

»Bald wirst du ein Federbett haben, dann hört das Jucken auf«, sagte Mutter. Sonja erinnerte sich an die Sätze, die mit bald anfingen. Hoffentlich mussten sie nie mehr so lange mit dem Zug fahren.

Als Mutter und der Mann gegangen waren, schaute sie sich um. Es war ein langweiliges Zimmer ohne Spielsachen, nicht so wie in ihrer alten Wohnung in Troppau, immerhin war es sauber und roch nicht so übel wie im Zug.

Als sie auf das Kissen in ihrem Bett blickte, fiel ihr etwas auf. Da lagen Haare, lange blonde Haare wie ihre. Sie fasste sich an den Kopf, und als sie an ihren Haaren zog, fielen sie einfach aus. Ganze Büschel konnte sie herausziehen, es tat nicht einmal weh. Sie wollte Mutter rufen, um sie zu fragen, was passiert war, aber dann legte sie sich nur hin und weinte.

*

Heide saß an dem großen alten Schreibtisch, der schon dastand, als sie eingezogen waren, und ihr auch als Frisiertisch diente. Sie kämmte sich die Haare glatt nach hinten und steckte sie zu einem Knoten fest. Damit hatte sie angefangen, um die Läuse schneller loszuwerden, und war dabei geblieben, denn es sah ordentlich aus, wenn auch etwas streng. Dann betrachtete sie kritisch ihre Hände, die vom Spülen und Waschen im kalten Wasser schrundig geworden waren, mit den Fingernägeln war sie eher zufrieden. Frau Täuber hatte ihr für den ersten Schultag ein Kleid von sich geschenkt, zufällig hatten sie die gleiche Größe. Das Kleid gefiel Heide nicht besonders, obwohl es aus gutem Stoff war und gepflegt aussah, gerade richtig, um einen ordentlichen Eindruck auf die Kinder zu machen.

Der Anfang war nicht leicht, und als sie Mitte August schon fast drei Monate in dem kleinen Dorf lebten, mieden die Leute sie immer noch. Dabei lag es nicht an ihnen, dass sie hier waren, sie hatten eine eigene Heimat, in die sie nicht zurückdurften. Troppau war eine schöne Stadt gewesen, eigenes Theater und Museum, Rathaus mit stolzem Turm und eine Lehrerbildungsanstalt. Nie wären sie freiwillig dort weggegangen. Alles hatte es gegeben, was sich der Mensch wünschte, eine angesehene Familie waren sie dort gewesen, hatten sich eine moderne Wohnung, sogar eine Haushälterin leisten können. Aber hier wollte niemand wissen, wer sie vorher gewesen waren. Für die Leute waren sie Habenichtse, die für jede Brotkante dankbar sein durften, und die Bauersfrauen hatten kaum mehr als abfällige Blicke für sie.