Ein Mord im Oberharz - Mick Schulz - E-Book
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Ein Mord im Oberharz E-Book

Mick Schulz

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Beschreibung

Eine tödliche Schuld: Der fesselnde Kriminalroman »Mord im Oberharz« von Mick Schulz jetzt als eBook bei dotbooks. Als der Hotelbesitzer Ewald Lattinger erhängt im »Oberharzer Hof« gefunden wird, scheint alles auf Selbstmord hinzudeuten. Goslarer Oberkommissarin Sina Kramer und ihr Kollege Jens Niebuhr haben jedoch Zweifel: Warum scheinen weder die Söhne noch die Ehefrau Lattingers sonderlich betroffen von dessen Tod zu sein? Und welche Geheimnisse verbergen sich in der undurchsichtigen Familiengeschichte des Patriarchen? Je tiefer die Ermittler graben, desto klarer scheint es, dass Lattingers Tod eng mit der Vergangenheit der kleinen Gemeinde verbunden sein muss. Welcher dunkle Abgrund aus Schuld, Habgier und Verrat liegt hinter den idyllischen Dorffassaden verborgen? »Voll überraschender Wendungen und spannend zu lesen.« Harz Kurier Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Regio-Krimi »Mord im Oberharz« von Mick Schulz wird alle Fans von Wolfgang Burger und Andreas Föhr begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Als der Hotelbesitzer Ewald Lattinger erhängt im »Oberharzer Hof« gefunden wird, scheint alles auf Selbstmord hinzudeuten. Goslarer Oberkommissarin Sina Kramer und ihr Kollege Jens Niebuhr haben jedoch Zweifel: Warum scheinen weder die Söhne noch die Ehefrau Lattingers sonderlich betroffen von dessen Tod zu sein? Und welche Geheimnisse verbergen sich in der undurchsichtigen Familiengeschichte des Patriarchen? Je tiefer die Ermittler graben, desto klarer scheint es, dass Lattingers Tod eng mit der Vergangenheit der kleinen Gemeinde verbunden sein muss. Welcher dunkle Abgrund aus Schuld, Habgier und Verrat liegt hinter den idyllischen Dorffassaden verborgen?

Über den Autor:

Mick Schulz, geboren in Bonn, begeisterte sich schon früh für Musik und Literatur. Nach einem Musikstudium am »Mozarteum« in Salzburg ging er zunächst als Kapellmeister zur Bühne, bis ihn schließlich das Schreiben packte. Seine Wahlheimat, der Oberharz bei Goslar, inspirierte ihn zu seinen unverwechselbaren Krimis, die in der Region spielen.

Die Website des Autors: www.mickschulz.de

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Kriminalromane »Ein Mord im Oberharz« und »Ein Grab im Oberharz«.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2023

Dieses Buch erschien bereits 2011 unter dem Titel »Sauerfleisch« bei Emons, Köln.

Copyright © der Originalausgabe 2011 Hermann-Josef Emons Verlag

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Samoli, K I Photography, Andrea Cirillo Lopes

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98690-885-0

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Mick Schulz

Ein Mord im Oberharz

Kramer & Niebuhr ermitteln

dotbooks.

Für Gesine

Prolog

Wie der hereinstürzende Berg donnert mir die Stimme entgegen, doch ich schwöre, daß sie meinen Widerstand nicht brechen wird. Die Wut macht mich standhaft und verschließt mir den Mund. Du wirst meine Lippen nicht lösen, meine Ehre machst du mir nicht streitig. Bis zum letzten Atemzug werde ich für sie kämpfen und mit reinem Herzen vor den Heiland treten, sollte es so weit kommen müssen. Denn ich weiß, es geht nicht nur um mein Leben, sondern um unser aller Leben. Das, was wir jetzt haben, ist schon lange keines mehr, das ist längst die Hölle.

»Ein rechtschaffener Bergmann will er sein?«, schreit mir der Richter höhnisch entgegen, und der Geifer aus seinem empörten Maul sprüht mir ins Gesicht. »Unserem allergütigsten Kurfürsten von Gottes Gnaden will er dienen? Und er wagt es, hier zu sitzen und zu schweigen und Vaterland und die Früchte unserer Hände Arbeit an einen Haufen toller Rebellen zu verraten?«

Seit mindestens einer Stunde versucht dieser Teufel in gepuderter Perücke mit seinen falschen Worten in mich einzudringen, unablässig bemüht, einen Keil zwischen mich und die Anführer der Knappschaft zu treiben.

Noch haben sie Langenberger und Müller nicht verhaftet. Wahrscheinlich haben sie zu wenig gegen die beiden in der Hand. Deshalb verhören sie zuerst alle anderen, die am 14. Juni dabei waren, um sie einzuschüchtern und zu bedrohen, in der Hoffnung, daß einer aufgibt und umfällt. Dann haben sie es mit den Anführern leichter.

Aber niemals werde ich einen der Unsrigen verraten, nie werden sie mehr aus mir herauspressen als die Worte, die ohnehin in der Petition der Bergbruderschaft stehen und um die allein es geht, das schwöre ich. Dafür sollen sie mich einsperren, wenn sie können, denn um Brot darf jeder flehen, das wird uns keiner verbieten.

»Es geht um unsere Familien, um unsere Kinder, Hochwohlgeboren! Wir können sie mit unserem schmalen Lohn nicht mehr ernähren.«

Ich werde dabei nicht laut, versuche arglos zu erscheinen, denn es hat keinen Sinn, den Richter herauszufordern. Er ist stärker als ich, viel stärker. Aber er muß doch einsehen, daß wir keine Rebellen sind, daß der Kampf um unsere Sache keine Rebellion ist, sondern das letzte Aufbäumen vor dem Verrecken. Unsere Lage kann niemand mehr ernsthaft leugnen. Dabei bleibe ich, auch wenn sie mich bis in die Nacht hinein traktieren.

»Werd er nicht unverschämt! Will er damit etwa sagen, daß unser allergnädigster Kurfürst und König Georg seine Kinder im Lande vergesse und gerade seine Untertanen im Harze, die er besonders liebt, schmählich im Stiche lasse?«

Es ist mir, als lache die Antwort auf diese Frage schallend von den Wänden der Amtsstube wider. Wie jeder weiß, sitzt der allergnädigste Kurfürst in London als König auf dem englischen Thron. Dem fällt nicht ein, an seine Kinder im Harze zu denken. Der wird sich erquicklichere Bilder machen als die, wie seine Untertanen in den Gruben, verschmiert und im Schweiße, nach dem Erze schießen, jeden Tag den schlimmen Wettern und Gefahren unter Tage begegnend. Wie die bleichen Knaben, bekleidet nur mit Leinenkitteln, in den Pochwerken vom frühen Morgen bis in den späten Tag das Silber vom tauben Steine scheiden und die Peitsche spüren, wenn sie lahm dabei werden. Wenn wir nach Hause kommen, gibt es kaum Brot, mit Glück ein Stück harten Käse. Am Ende holt uns alle die Bergsucht. – Und da hat jemand die Kühnheit zu sagen, daß das Herz des Tyrannen für seine Kinder in den Gruben schlage?

»Unser allergnädigster Vater im Himmel wird ihm flüstern, wie es seinem Volke im Harze geht, und wird ihm raten.«

Ich kämpfe die Erregung nieder, denn die Wut in mir brennt lichterloh.

Der Richter schäumt. Doch was bleibt ihm außer Drohungen? Schließlich kann er nicht die halbe Arbeiterschaft ins Gefängnis werfen. Wer außer uns sollte denn das Silber für die Taler, die später in den königlichen Schatullen klimpern, aus der Teufe ans Tageslicht heben?

»Werft den frechen Kerl hinaus! Mit dem ist nichts anzufangen. Er wird schon sehen, was er davon hat!«

Sie drängen mich aus der stickigen Amtsstube, stoßen mich mit den Kolben ihrer Gewehre in die Rippen und behandeln mich wie einen hergelaufenen Dieb.

Auf der Straße im hellen Tageslicht bin ich wieder frei und atme auf. Nein, sie haben mich nicht besiegt, aber sie haben mich an der Arbeit gehindert und mir den Tageslohn genommen. Frau und Kinder werden heute hungern müssen.

Oh, Du gütiger Jesus, der Du für die Menschen gestorben bist, erbarme Dich unser! 

j.l., zum Gedenken an Mittwoch, den 9. Julius im Jahre des Herrn 1738

Kapitel 1

Fast ein Jahr war Kriminaloberkommissarin Sina Kramer nicht mehr oben gewesen. Beruflich hatte es sich nicht ergeben, und ansonsten gab es kaum etwas, das sie in den Oberharz zog. Wandern vielleicht, aber dazu hatte sie allein keine Lust. Und Torsten zu fragen, ob sie sich zusammen den Goetheweg vornehmen sollten, hatte kaum Aussicht auf Erfolg. Der musste erst von seinem pc losgeeist werden.

Sina fuhr in ihrem gelben Honda auf der B 241 in Richtung Clausthal. Die Strecke war ihr immer wie ein Tunnel vorgekommen. Kurz hinter dem mittelalterlichen Bilderbuchstädtchen Goslar tauchte man ein und nach etwas mehr als zwanzig Kilometern schwarzgrüner Tannendüsternis am anderen Ende, meist im Nebel, wieder auf, vier bis fünf Grad kälter, graue Häuser, graue Menschen. Die Welt wurde enger, je tiefer man in den Oberharz vordrang.

Nicht weit hinter dem Campingplatz war die Stelle, wo das Wildschwein gelegen hatte, mitten auf der Fahrbahn, noch zuckend, ringsum alles mit Blut verschmiert. Jemand hatte es nachts im Schneegestöber auf die Hörner genommen und im Todeskampf liegen gelassen. Das war vor zwei oder drei Jahren gewesen, nach der Weihnachtsfeier. Sina war nichts anderes übrig geblieben, als den Förster anzurufen und hilflos abzuwarten, bis er kam, immer das zuckende Schwein vor Augen. So ein Bild hakt sich einem im Kopf fest, das vergisst man nicht.

Jetzt hatten sie endlich begonnen, an den Straßenrändern die Bäume zu roden, vermutlich auch wegen der Wildunfälle.

Sina drehte auf, der kleine Honda schraubte sich zügig die Serpentinen hoch.

Die in Clausthal hatten wieder mal Personalmangel. Rosenberg war krank, und einer von ihnen war auf Fortbildung, hatte Jens Niebuhr erzählt. Sina und Jens waren schon Kollegen gewesen, als sie noch oben gearbeitet hatte.

»Sina, wir brauchen dich!«, hatte Niebuhr am Telefon gesagt, als er das erste Mal wegen der Vertretung angerufen hatte. Sie fand das übertrieben. Was konnte da oben schon groß passieren?

Aber nach gerade mal zwei Tagen hing Kriminalrat Keilberth persönlich an der Strippe und faselte etwas von einer Mordsache. Kaum zu glauben. Und der neue Fall ließ auf eine umfassende Ermittlung hoffen, der eigentliche Grund, weswegen Sina Kramer zur Kripo gegangen war.

Niebuhr stand schon am blauen Dienstwagen und machte Zeichen, als Sina in den Hof des Kommissariats einbog. Sie parkte ihren Honda und stieg bei ihrem Kollegen ein.

»Schön, dich zu sehen, Sina!«

»Hallo, Jens.«

Ein Händedruck, und alles war wie immer, obwohl sie sich ein ganzes Jahr nicht gesehen hatten. Beim ersten Blick kam ihr Niebuhr allerdings dünner vor, doch das konnte täuschen.

Er war aufgekratzt, mit sichtlich Spaß an der Sache. »Endlich mal was Neues: Crime and suspence im Oberharz. Die alte Lattinger wird nicht schlecht gestaunt haben, als ihr Mann ihr heute Morgen aus dem dritten Stock entgegenbaumelte.«

»Geht’s auch der Reihe nach?«, bremste Sina. Er tat gerade so, als wüsste sie schon Bescheid. Sie wusste nur, dass es sich um Mord in einem bekannten Hotel handelte.

»Ist alles noch taufrisch und wartet auf uns. Wir sind gleich beim ›Oberharzer Hof‹, dann sehen wir ja, was los ist.«

Wenigstens eine brauchbare Info, dachte Sina. Das Hotel kannte sie dem Namen nach, war aber nie da gewesen. »Außerhalb in Richtung Buntenbock?«

»Genau.«

Sie schwiegen eine Weile.

Irgendwie war Niebuhr doch anders als früher. Er wirkte so easy.

»Wie geht’s dir so?«, fragte Sina.

»Ganz gut, danke. Ich gehe jetzt andere Wege.«

Sie wusste sofort, was er meinte. »Aha, klingt interessant.«

Fragt sich nur, welche, dachte sie, denn die Wege, die er mit seinen Flammen bisher beschritten hatte, hatten meistens in einer Sackgasse geendet.

Niebuhrs Beziehungen hatten im Schnitt nie länger als drei Monate gedauert. Danach hatte er wie ein Gespenst ausgesehen und Sina die Ohren vollgeheult. Dabei war nie richtig rausgekommen, woran es eigentlich lag, dass bei ihm in Sachen Frauen immer alles den Bach runterging. Niebuhr war mit Mitte dreißig im besten Alter, sah nicht schlecht aus, und sein Lächeln konnte einen unter Umständen aus dem Konzept bringen.

»Ich hab mich damit abgefunden, allein zu sein«, sagte Niebuhr.

Sina schielte ungläubig zu ihm hin, doch er blieb ernst.

»Zuerst muss man mit sich selbst klarkommen, dann kommt man auch mit den anderen klar.«

Noch so ein Klops.

»Respekt, Kollege Niebuhr. Ausgesprochen weise. Klingt nach Gruppentherapie«, stichelte sie.

»Warum eigentlich nicht? Wenn’s hilft.«

Er schien sich wirklich völlig verändert zu haben, seitdem sie nach Goslar versetzt worden war. Ausgerechnet er, der von dem ganzen »Psycho-Quatsch« wie Persönlichkeitstests, Paarberatung und so weiter nichts hielt, ausgerechnet Jens hatte eine Gruppentherapie gemacht?

»Das glaubst du doch selbst nicht!«

Immer noch verzog er keine Miene. »Nach sorgfältigem Nachdenken habe ich mich für die kleinen Happen in puncto Beziehung entschieden. Das ganze Menü überlasse ich gerne anderen«, kam es in wohlgesetzten Worten.

Was sollte denn das heißen? Vielleicht eine Anspielung auf ihre geschiedene Ehe?

»Du meinst, du wärst fein raus im Gegensatz zu Typen wie mir, die sich auf das Menü eingelassen haben und zur Strafe anschließend die Küche aufräumen müssen?« Sina ärgerte sich, dass sie Niebuhr den Ball auch noch zugespielt hatte.

»Wenn du es so siehst …«

Der Punkt ging an den jüngeren Kollegen.

Sina überlegte noch, wie sie ihm passend herausgeben konnte, da fuhr Niebuhr schon in einen Seitenweg ab, die Auffahrt zum »Oberharzer Hof«.

Der Weg war breit, aber nicht geteert. Niebuhr fuhr Slalom um die randvoll mit brauner Brühe gefüllten Schlaglöcher. Nach etwa zweihundert Metern kreuzten sie einen unbesetzten Busparkplatz vom Ausmaß eines halben Fußballfeldes. Dahinter führte eine schmalere asphaltierte Straße durch ein mindestens zwei Hektar großes Wiesengrundstück, auf dem vereinzelt noch kahle Laubbäume ihre Äste ausbreiteten. Ein paar hartnäckige Schneehaufen scherten sich offenbar nicht im Geringsten darum, dass der Frühling längst begonnen hatte.

Das dreistöckige Hotel mit einer vorgelagerten ausgedehnten Kaffeeterrasse kam in Sicht. Alles im gediegenen Landhausstil der Siebziger, mit weit überhängendem ausgezimmertem Dach, symmetrisch über die Fassade verteilten Erkern und reichlich verzierten Holzbalkonen.

»Nicht übel«, sagte Sina, »fast wie in den Alpen.«

»Hat sogar Hallenbad, Wellness und so weiter. Und es scheint immer noch zu laufen. Jedenfalls haben die Lattingers durchgehalten im Gegensatz zu den meisten hier oben«, erklärte Niebuhr.

Sina nickte. Das Hotelsterben im Oberharz war auch für sie nichts Neues mehr. Dass es mit dem Tourismus nicht mehr so richtig klappte, seitdem der Osten dazugekommen war und die Gäste sozusagen geteilt werden mussten.

Die Auffahrt endete vor dem Eingang an der Rückseite des Hotels, umgeben von einem Pkw-Parkplatz und einer Anzahl Garagen. Von hinten wirkte der Bau weit weniger ansehnlich. Der schmutzige, ehemals weiße Anstrich und das graue, angefaulte Holz der Fassade, offenbar nur an der Vorderseite aufgebessert, machten einen mitgenommenen Eindruck. Auch der geschwungene Schriftzug »Oberharzer Hof« über dem Eingang hatte es dringend nötig, mit frischer Farbe nachgezogen zu werden.

Gegenüber dem Eingang standen neben der blauen Streife und dem Rettungswagen noch einige Autos mit Goslarer und Osteröder Kennzeichen, darunter der lange Audi von Kriminalrat Keilberth. Kein Mensch war zu sehen. Offenbar hatte die Presse noch nicht Wind von der Sache bekommen, jedenfalls schwänzelte niemand neugierig mit der Kamera in der Hand um das Haus herum.

Sina und Niebuhr stiegen aus. Der graue Morgen verzog sich allmählich. Vereinzelt blitzten Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke.

Niebuhr steckte die Autoschlüssel in die rechte Tasche seiner schwarzen Lederjacke, während Sina noch einen Blick auf die Uhr warf – acht Uhr zweiundzwanzig –, bevor sie sich von der Drehtür in die Hotellobby schubsen ließen.

Drinnen war die Luft überheizt und trocken, die Rezeption in gediegenem Holz rechts neben den Toiletten war unbesetzt. Auf der linken Seite umstanden drei feudale, aber nicht mehr ganz neue Ledersessel mit blank gerutschter Sitzfläche einen Ablagetisch, darauf, säuberlich Kante auf Kante gelegt, ein Stapel Magazine.

Die Kollegen von der Spurensicherung, die auf dem Marmorboden herumkrochen und behandschuht einsammelten, was ihnen in die Hände fiel, oder Fingerabdrücke nahmen, hatten sie noch nicht bemerkt. Im Hintergrund dudelte, wie in Watte gepackt, alte Schlagermusik. Alles machte einen beschaulichen Eindruck. Beängstigend beschaulich, dachte Sina.

Auf der anderen Seite mündete die Lobby in einen Saal mit großer Glastür, wahrscheinlich das Restaurant. Links davon begann das offene Treppenhaus. Dort stand Kriminalrat Keilberth im Gespräch mit einem Mann, der der Leichenbestatter hätte sein können. Ansgar Mörtenkötter – Dr. Ansgar Mörtenkötter –, ganz in Anthrazit mit unbewegtem Blick und milchweißem Teint, war aber der Staatsanwalt und besonders Niebuhr bestens bekannt, nachdem Mörtenkötter ihn einmal in Sinas Gegenwart belehrt hatte, dass der Doktortitel zum Namen gehöre und er Wert darauf lege, korrekt angesprochen zu werden.

»Da seid ihr ja!«, sagte Keilberth mit dem unterschwelligen Vorwurf in der Stimme, ohne den er nicht mehr auszukommen schien. Dabei hatte Sina, nachdem sie von dem Mord erfahren hatte, noch nicht mal ihren Kaffee ausgetrunken.

Er und Mörtenkötter passten auf unangenehme Weise zusammen. Der Staatsanwalt verzog während des dienstlichen Händeschüttelns sein Gesicht, als hätte er Schmerzen dabei.

Wenigstens musste nicht viel geredet werden. Der Tote lag mit zugedecktem Gesicht zu ihren Füßen. Doch Keilberth zeigte zuerst nach oben.

Die Köpfe in den Nacken gelegt, hatten sie freien Blick auf ein geschnitztes Holzgeländer, das sich von Stockwerk zu Stockwerk bis unter das Dach schraubte. Von oben hing ein rustikaler Kronleuchter – ein umfunktioniertes altes Wagenrad, mit drei schweren Ketten und mächtigen Schrauben an den Dachbalken befestigt und mit orangefarben beschirmten Lämpchen ausgestattet – etwa ein Stockwerk herunter. Daran baumelte bis ungefähr eineinhalb Meter über ihren Köpfen ein gedrehtes Seil alter Machart, das unten sauber abgeschnitten war.

»Ewald Lattinger, der Besitzer des Hotels, scheinbar Selbstmord durch Erhängen, tatsächlich aber Fremdeinwirken, soweit wir vor der Obduktion einschätzen können«, erläuterte Keilberth, jetzt auf den Toten deutend. »Näheres müsst ihr schon selbst herausfinden. Ich darf mich dann empfehlen. Den Bericht erhalte ich schnellstmöglich. Ich weiß, dass ich mich auf euch verlassen kann.«

Der Staatsanwalt schloss sich dem Kriminalrat an. »Wir werden uns im Laufe der Ermittlungen ja noch öfter über den Weg laufen«, sagte er mit der ihm eigenen Herablassung, wohl wissend, dass er alle Anliegen ausschließlich mit Keilberth besprechen würde.

Vor ihnen lag die Leiche eines fünfundsechzig bis siebzig Jahre alten Mannes, nicht größer als eins achtzig, schlank, mit einem Strick um den Hals. Bekleidet mit glatten schwarzen Lederschuhen, blauer Jeans und einem grüngrauen Sakko mit Ellenbogenschützern aus Wildleder. Das Gesicht blutunterlaufen und aufgedunsen.

Im Hintergrund plätscherte die Melodie aus »A Summer Place«.

»Irgendetwas Interessantes, was wir sofort erfahren sollten?«, schnitt Sinas Stimme in die schweigende Runde der Techniker.

In dem Augenblick kam ein Mann im Eilschritt auf sie zu. Freundlich schüttelte er Sina und Niebuhr die Hand.

»Klemke mein Name. Ich bin der Notarzt. Ich kann Ihnen kurz etwas sagen, wenn Sie möchten.«

»Gerne, nur zu«, antwortete Niebuhr.

Der Arzt beugte sich über den Toten und schlug das Tuch zurück. »Als wir hier eintrafen, hing der Mann im Treppenhaus. Wir haben ihn abgenommen und überprüft, ob noch was zu machen ist. Aber die Leichenstarre hatte schon eingesetzt. Am Hinterkopf klebte getrocknetes Blut. Eindeutig eine Schlagwunde, das könnte auch die Todesursache gewesen sein. Es sieht so aus, als wäre er erschlagen und erhängt worden. Aber das ist Sache der Gerichtsmedizin.«

»Könnte es nicht doch Selbstmord gewesen sein? Vielleicht ist er bei dem Versuch, sich zu erhängen, mit dem Hinterkopf gegen die harten Holzplanken des Treppengeländers geschlagen?«, sagte Sina.

Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Nicht mein Bier«, gab er zurück. »Der Totenschein ist jedenfalls ausgestellt.«

Sina seufzte. Das ging ihr immer so, wenn sie im Dienst Leichen sah. Sie konnte nichts mehr ändern, sie konnte nur noch aufräumen.

»Erst mal guten Morgen«, meldete sich eine Stimme von der Seite. »Kleiner Tipp von mir: Schauen Sie sich mal im dritten Stock um. Wie es da aussieht, spricht Bände.«

Sina nickte dem Kriminaltechniker, der sich gerade aus der Hocke in den Stand begab, dankbar zu. »Haben Sie noch etwas gefunden, was uns helfen könnte?«

»Leider nein. Natürlich eine Menge Fingerabdrücke. Aber das wird dauern, bis wir die alle zugeordnet haben, ist ja schließlich ein Hotel.«

»Ist denn keiner von der Familie da?«, fragte Niebuhr.

»Frau Lattinger ist im Hinterzimmer mit dem Kollegen Hasemann von der Streife. Der schlürft jetzt genüsslich seinen Kaffee. Eigentlich sollten wir auch einen kriegen.«

»Über Stock und über Stein …«, trällerte Rudi Schuricke im Hintergrund.

»Kann mal jemand das Gedudel abstellen? Immerhin liegt hier ein Toter!« Irgendwie kam Sina dieses seichte Gewimmer plötzlich respektlos vor. Niebuhr und der Mann von der Kriminaltechnik schauten sich verwundert an.

»Die Musik läuft immer hier, schon seit über dreißig Jahren, von morgens bis abends. Und es gibt keinen Grund, weshalb sie heute nicht laufen sollte.«

Die schnarrende Stimme gehörte einer kleinen Frau, die, ein Tablett mit Tassen, Untertassen und einer Kanne in den Händen, aus dem Hinterzimmer der Rezeption gekommen war und sich selbstbewusst vor Sina aufbaute.

»Wer sind denn Sie?«, fragte Sina. Es war schon länger her, dass ihr jemand so harsch über den Mund gefahren war.

»Ich bin Sieglinde Lattinger«, erwiderte die kleine Frau und ließ die Kriminaloberkommissarin stehen, um die Männer mit Kaffee zu versorgen.

Nachdem sie jedem von ihnen eine Portion verabreicht hatte, gab es auf dem Tablett keine Tassen mehr. Mit ungerührter Miene trippelte die Hotelchefin an Sina vorbei in Richtung Rezeption. Blieb dann plötzlich stehen, ohne sich umzudrehen.

»Möchten Sie auch einen?«

Klemke deckte das Gesicht des Toten wieder zu. »Übrigens, das ist ein echter Henkersknoten, aber das haben Sie bestimmt schon bemerkt. Mein Hobby ist das Segeln, und da habe ich mit jeder Menge Knoten zu tun. Geht mich ja eigentlich nichts an …«

»Ist der schwer zu machen?«, fragte Sina. »Sieht jedenfalls so aus.«

»Mit ein bisschen Übung kann das jeder, aber der hier ist bildschön, wenn man so sagen darf. Wer den gemacht hat, versteht etwas davon.«

»Und wer, außer Seglern, arbeitet noch mit Knoten?«

»Bergsteiger zum Beispiel«, antwortete Klemke.

Ein erster Anhaltspunkt, dachte Sina. »Danke, Doktor. Können Sie auch etwas über den Todeszeitpunkt sagen, auch wenn es Sie nichts angeht?«

»Nageln Sie mich nicht darauf fest, aber es wird wohl vor Mitternacht gewesen sein.«

»Sind alle Fotos gemacht?«, fragte Sina in Richtung der Kriminaltechniker, während sie dem Notarzt die Hand drückte. »Dann kann der Tote abtransportiert werden.«

Jetzt hatte sie Zeit, sich mit Niebuhr die obere Etage anzusehen.

»Glück auf, Frau Kommissarin, welche Ehre. Na, das freut mich jetzt aber wirklich!«

Der alte Hasemann war tatsächlich immer noch im Dienst. Wie ein Bär auf Hinterbeinen schaukelte er Sina mit geöffneten Pranken entgegen. Den langgedienten Streifenbeamten hatte sie schon fast vergessen. Die Kollegen hielten ihn zwar für ziemlich beschränkt, aber Sina mochte ihn. Allerdings hatte Hasemann eindeutig einen Fehler: sein überbordendes Mitgefühl. Und dafür hatte die Oberkommissarin jetzt definitiv keine Zeit.

Aber es war schon zu spät.

»Ist das nicht trostlos?«, jammerte Hasemann, packte Sinas Hände und schüttelte sie freundschaftlich, dass es ihr fast die Schultern herunterriss. »Direkt heulen könnte man, wenn man das so sieht.« In seinem Gesicht formte sich Verzweiflung, seine braunen Murmelaugen wurden feucht.

»Ja, Hasemann, Sie haben recht: Zum Heulen ist das alles.« Sina wollte ihn nicht gleich abwürgen, das hätte sie nicht übers Herz gebracht, aber sie fragte sich, wie sie den Kollegen abstellen sollte, ohne ihn zu kränken.

»Hier im Oberharz gibt es kein Glück, wissen Sie, Frau Oberkommissarin, hier gibt es nur Schweiß, Blut und Tränen. Und durch die Krise geht alles noch mehr den Bach runter …«

»Ja, leider«, bestätigte Sina.

»Da schlagen sie sich die Köpfe ein oder hängen sich auf, weil sie keine Hoffnung haben. Ein Elend jagt das nächste, und das Schlimmste ist: Man kann nichts dagegen tun.«

Resigniert schüttelte Hasemann sein massiges Haupt, das von einem Band grauweiß geringelter Löckchen bekränzt war und ihm etwas Rührendes verlieh. Als er den Mund wieder öffnete, um für seine Trauer weitere Worte zu finden, war Sina schneller.

»Sie wissen ja, wie wichtig Ihr Bericht für mich ist, Hasemann«, sagte sie im Ton der schwachen Frau, die ohne starke Männer nicht zurechtkommt, »ob Sie das wohl bis Mittag schaffen können?«

»Natürlich, Frau Oberkommissarin, natürlich. Ich gebe mein Bestes.«

Sina lächelte sanft und streckte ihm schnell ihre Hand hin. Hasemann blieb nichts anderes übrig, als sie zu nehmen, sie nochmals zu schütteln und sich danach zu trollen.

»Hat mich wirklich gefreut, Sie wiederzusehen, Frau Oberkommissarin«, sagte er leutselig und etwas verlegen, verbeugte sich kurz und schob dann seinen imponierenden Polizistenkörper dem Ausgang entgegen, bis er in der Drehtür verschwand.

»Eine empfindsame Seele, unser aller Hasemann«, seufzte Niebuhr übertrieben.

Als Sina ihn strafend ansah, platzte das Lachen aus ihm heraus.

In dem schmalen Treppenaufgang, der am Ende des Flurs im dritten Stock unter das Dach führte und kaum breiter als eine Leiter war, blieb Sina fast stecken, und der lange Niebuhr zog mit einem schmerzerfüllten »Scheiße!« ruckartig den Kopf ein, nachdem er gegen die Oberkante der niedrigen Decke geknallt war.

Die Tür zu den Räumen stand nur einen Spalt offen, aber dass hier ein starker Raucher gehaust hatte, war offenkundig. Dahinter versteckte sich eine kleine Mansardenwohnung. Von dem engen Flur gingen zwei niedrige Türen ab, die eine ins Bad, die andere ins Wohnzimmer mit vergilbten, raufasertapezierten Dachschrägen.

»Ein richtiger Waschbärenbau. Passt gar nicht zu dem Luxusambiente des Hotels«, stellte Niebuhr fest, während er sich immer noch die Stelle an seinem Schädel rieb, die mit der Decke kollidiert war.

Die Einrichtung bestand aus schäbigen Möbeln der letzten hundert Jahre. Auf dem Couchtisch, inmitten einer verschlissenen Sitzgruppe in undefinierbarem Braun, stand ein Whiskeyglas mit einem Fingerbreit Flüssigkeit, ein anderes lag in Scherben. Die Flasche Jim Beam war umgefallen und zu drei Vierteln ausgelaufen. Niebuhr rümpfte die Nase, der kalte Zigarrengestank vermischt mit dem süßlichen Whiskeygeruch war unerträglich. Auf dem bis zum Gerippe abgewetzten Orientteppich breitete sich eine schon angetrocknete Blutlache bis unter den Tisch aus. Etwas weiter entfernt war ein massiver Aschenbecher aus bernsteinfarbenem Glas vor einer staubigen Stehlampe mit eingedrücktem Schirm liegen geblieben.

»Das Ganze scheint friedlich angefangen zu haben«, kommentierte Niebuhr.

»… aber so ist es nicht geblieben«, murmelte Sina, während sie den Teppich genauer untersuchte.

Die Blutspuren zwischen der Sitzgruppe und dem Schreibtisch und der Zustand des Raumes ließen ohne viel Phantasie auf eine Auseinandersetzung schließen. Sina warf einen Blick auf den Aschenbecher. Es klebte Blut daran. Ihre Selbstmordtheorie war damit begraben.

Ihr Blick wanderte über den klobigen Schreibtisch, der mit einem wilden Durcheinander von Unterlagen bedeckt war. Drum herum, auf dem Boden verstreut, lagen herausgerissene und zerknüllte Papierseiten. Es schienen Rechnungen, Bestellungen, Bankauszüge und Ähnliches zu sein. Den Aktenschrank aus Metall hatte jemand vollständig ausgeräumt, Ordner in der Mitte durchgerissen und in die Ecke geschmissen.

»Das müssen wir alles checken«, grummelte Sina und kramte in ihrer Jackentasche nach einem Paar Latexhandschuhe, »daran kommen wir nicht vorbei.« Als sie die Handschuhe endlich gefunden und über ihre Hände gepellt hatte, tappte sie, ohne die Beweisstücke am Boden mit den Schuhen zu berühren, zu der alten Anrichte am anderen Ende des Raumes und zog die Schubladen auf.

Fotos, Einladungen, Postkarten, Glückwünsche.

»Konnte sich wohl von nichts trennen, der alte Lattinger.«

Sie warfen noch einen Blick in die Schlafhöhle des Toten, die nur durch einen verwaschenen Vorhang vom Wohnzimmer getrennt war. Dann krochen sie die schmale Treppe wieder hinunter.

Das, was sie gesehen hatten, ließ Konturen erkennen. Mit den Ergebnissen der Kriminaltechnik, der Spurensicherung und der ersten Befragung der Witwe konnten sie schon auf Anfangsergebnisse hoffen.

Der Speisesaal war hoch und weitläufig. Die holzverkleidete Decke trugen gigantische palisanderfarben lasierte Balken, kontrastierend zu dem strahlend weißen Landhausputz an den Wänden.

»Nicht übel«, wäre Sina beinahe wieder herausgerutscht.

Entlang der Fensterfront mit Blick in den Park reihten sich fünf oder sechs Tische, einer davon gedeckt, während sich die übrigen unregelmäßig im Raum verteilten, umgeben von poliertem und gepolstertem Gestühl. Über die ganze Fläche leuchteten gelbe Narzissen auf blauen Tischläufern, und das Büfett umrahmten knospende Zweige in Vasen aus Keramik. Der Saal strahlte eine so geschmackvolle Atmosphäre aus, dass Sina Lattingers jämmerliche Dachwohnung wie eine Halluzination vorkam.

»Haben Sie nur vier Gäste?«, fragte Sina.

Die Hotelchefin zog die Schiebetür hinter sich zu und stellte den Kaffee für die Oberkommissarin auf die gestärkte blitzweiße Damasttischdecke eines der ersten Tische. »Im Augenblick ja. Ist noch Vorsaison, wissen Sie, da ist nie mehr los.«

Sie setzten sich.

»Und wo sind die Gäste jetzt?«

»Noch in ihren Zimmern, zweielf und zweizwölf im zweiten Stock. Es sind Stammgäste, zwei befreundete ältere Ehepaare. Ich habe sie über Haustelefon informiert. Sie bleiben freiwillig bis neun Uhr dreißig im Zimmer. Aber dann wollen sie frühstücken, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Nein, natürlich nicht.«

Sina überlegte, wie sie am besten anfangen sollte. Nach dem missglückten Auftakt in der Lobby wollte sie die alte Frau auf keinen Fall verschrecken, schließlich war sie gerade erst Witwe geworden.

»Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen. Vermutlich bricht jetzt eine schwere Zeit für Sie an«, begann sie förmlich. »Wir Ermittler haben natürlich auch Gefühle, aber auf der anderen Seite sind solche Ereignisse unser Job, und den müssen wir gut machen. Ich bitte also um Verständnis.«

Die Witwe nickte kurz und ernst. Abwartend, die Hände über der Tischplatte gefaltet und in der Haltung, als wäre ein entfernter Verwandter, den sie ihr Leben lang nicht gesehen hatte, zu Tode gekommen, ließ sie in stoischer Gefasstheit die Belehrung über ihre Rechte als Zeugin über sich ergehen.

Die Gefasstheit der Lattinger war Sina direkt unheimlich. Aber jeder Mensch reagiert anders auf einen Schock.

»Ich habe Übung in schweren Zeiten, wissen Sie, Frau Kramer.«

Sieglinde Lattinger sah der Kriminalbeamtin offen ins Gesicht. Sie nötigt einem Respekt ab, dachte Sina.

Dagegen wirkte die äußere Erscheinung der Witwe fast grotesk. Allein die Art, wie sie ihre Haare trug: aufgetürmt zu einem Berg braungrauer Zuckerwatte. Make-up schien auch nicht ihre Stärke zu sein. Die Augenbrauen waren dicke Balken, die Lippen viel zu rot, und der Lidschatten erinnerte an den ersten Schminkversuch eines Teenies.

Der wunderliche Eindruck verstärkte sich durch die Kluft, in der die Hotelchefin steckte. Unter dem wie eingelaufen wirkenden dunkelblauen Kostüm, auf dem eine altmodische Brosche mit Perle klebte, trug sie eine weiße Bluse mit Rüschen, die bis zum Hals hinaufwucherten. Unweigerlich fiel Sina ihre Konfirmation ein. Beinahe hätte sie an dem Tag auch so eine grausame Bluse tragen müssen, Tante Marga hätte sich so gefreut.

Die ganze Aufmachung Sieglinde Lattingers hatte einerseits etwas Lächerliches, andererseits erregte es fast Mitleid. Aber es war die Unverfälschtheit dieser Frau, die den äußeren Eindruck schnell vergessen machte. Sie hatte das, was man Persönlichkeit nennt.

»Ich will Sie fürs Erste nicht lange aufhalten, Frau Lattinger. Es ist alles zu schrecklich …«

»Fragen Sie nur. Ich werde es schon aushalten.«

Hasemann hatte ihre Personalien aufgenommen, das war seine Aufgabe, und Sina würde den Bericht spätestens heute Mittag haben. Damit brauchte sie also keine Zeit zu verschwenden.

»Mich interessiert vor allem der Ablauf des gestrigen Abends. Wann haben Sie Ihren Mann zuletzt gesehen?«

»Ich habe meinen Mann nur selten zu Gesicht bekommen. Er war den ganzen Tag unterwegs. Was hier im Hotel ablief, war meine Sache. Mit Ausnahme von großen Veranstaltungen oder wenn Busse kamen, da hat er auch mitgeholfen. Ewald hat sich fast nur um seine Vereine gekümmert: Schützenverein, Fremdenverkehrsverein, Hotelverein, Heimatverein, die Jäger, und im Ortsrat hat er auch noch mitgemischt.«

»Und wie war das gestern?«

»Ewald ist nachmittags gegen drei aus dem Haus gegangen, danach hab ich ihn nicht mehr gesehen.«

»Wann ist er abends zurückgekommen?«

»Ich weiß nie, wann er nach Hause kommt. Wir wohnen sozusagen getrennt. Er hat die Zimmer unter dem Dach, und ich schlafe im Souterrain, in einem der Privaträume neben der Heizung und der Schwimmbadtechnik. Vor Jahren haben wir uns entschlossen, unsere Wohnung im dritten Stock als Ferienwohnung zu vermieten.«

»War da Ihre Ehe noch intakt?«

Die Frage war eine glatte Unterstellung, die unweigerliche Antwort deshalb auch mehr als ein misstrauischer Blick.

»Was heißt hier intakt?« Der Oberkörper der kleinen Frau straffte sich und machte sie deutlich größer. »Wir haben vor über vierzig Jahren geheiratet und sind zusammengeblieben, über einige Krisen hinweg. Das genügt doch wohl! Sind Sie verheiratet?«

»Ich war verheiratet, aber wir haben uns getrennt«, antwortete Sina wahrheitsgemäß. Das Tor, das sie aufgestoßen hatte, ließ sich jetzt nicht einfach wieder schließen. Wenn sie dieser Person nicht ehrlich gegenübertrat, hatte sie nichts mehr von ihr zu erwarten, das spürte sie deutlich.

»Also geschieden? Das ist einfach. Sehr einfach. Man sagt, es geht nicht mehr, und dann ist Feierabend. Jeder geht seiner Wege. Das ist unsere Zeit. Und was kommt danach? Der nächste geplatzte Traum, weil da auch wieder was nicht so ist, wie man es sich gewünscht hat? – Haben Sie Kinder?«

Wie alt war diese Frau, siebzig? Kaum zu glauben, wie sie abging, wenn ihr etwas nicht passte.

»Einen Sohn«, antwortete Sina.

»Ich habe zwei Söhne. Natürlich ging nicht immer alles glatt, aber sollte ich meine Existenz aufgeben und die zwei Kinder ohne Vater lassen?«

Als die Witwe von ihren Söhnen sprach, verlor ihre feste Stimme plötzlich den Halt.

»Brauchen Sie eine Pause?«, fragte Sina besorgt.

»Nein, nein, es geht schon, fragen Sie nur.«

Der Kaffee war schon fast kalt, aber Sina hatte einen trockenen Mund, und zum Anfeuchten taugte er noch. Während sie einen bitteren Schluck hinunterspülte, fing sich die Hotelchefin wieder.

»Hatte Ihr Mann Feinde?«

»Er war Oberharzer, wenn Sie das meinen«, antwortete Sieglinde Lattinger, und ein bittersüßes Lächeln schlich über ihr Gesicht.

»Man konnte also gut mit ihm streiten?«

»Ja, er konnte bösartig werden, wenn ihm jemand an den Karren fuhr. Aber er hat sich bedingungslos in der Sache für die Region eingesetzt. Bis nach Hannover zur Landesregierung ist er gezogen, hat den Herren den Kopf gewaschen, dass sie uns hier oben finanziell einfach hängen lassen und den Oberharz zum Armenhaus machen. Er hat gekämpft, wo es was zu kämpfen gab. Und an der Stelle wird er auch fehlen!«

»Zusammengefasst: Ihr Mann hatte nicht nur Freunde. Aber hatte er ausgesprochene Feinde?«

»Für die es zum Mord gereicht hätte, meinen Sie? – Nicht dass ich wüsste.«

Das bedeutete jede Menge kleinerer Befragungen und Telefonate. Jens wird sich freuen, dachte Sina.

»Sie werden verstehen, dass ich mir ein Bild vom gestrigen Tag machen muss. Schildern Sie mir bitte genau, was Sie gemacht haben, nachdem Ihr Mann das Haus verlassen hat. Wer war noch im Haus?«

»Am Nachmittag war ich allein im Hotel. Die Gäste waren nach Goslar gefahren. Das Zimmermädchen und die Küchenhilfe halten sich nur auf Abruf hier auf. Bis Mitte Mai ist nicht viel los, da brauche ich das Personal nur sporadisch.«

»Haben Sie nicht auch Gastronomie?«

»Ja, sonntags oder an Festtagen. Aber die Gäste melden sich vorher an. Natürlich bewirten wir auch Gesellschaften auf Bestellung. Laufkundschaft gibt es schon lange nicht mehr. Die Eintagstouristen nehmen sich heutzutage ihre Butterbrote mit und machen Picknick auf den öffentlichen Parkplätzen.« Das sagte sie nicht ohne Bitternis.

»Was haben Sie genau gemacht?«

»Sie brauchen sich nur umzusehen! Die Blumen hab ich auf die Tische gestellt. Das mache ich immer selbst. Frische Blumen gehören einfach auf die Tische, auch wenn kein Gast im Haus ist.«

Ihre Augen funkelten stolz. Das Hotel ist ihr Leben, dachte Sina.

»Dann habe ich in den Etagen Betten abgezogen und gelüftet. In so einem Haus gibt es immer was zu tun.«

»Und am Abend?«

»Um sechs ist die Fanny gekommen, die Küchenhilfe. Sie hat die Halbpension vorbereitet. Die Gäste kommen immer gegen sieben. Ich habe selbst bedient und ein bisschen mit ihnen geschwatzt. Das gehört dazu, die beiden Ehepaare kommen schon seit über fünfzehn Jahren zu uns.«

»Dann sind die Gäste vermutlich auf ihre Zimmer gegangen.«

»Ja.«

»Wann genau?«

»So gegen halb neun. Danach habe ich hier alles abgeräumt, noch für das Frühstück eingedeckt und hinterher den Saal abgeschlossen. Den mache ich aus Gewohnheit immer zu. Wenn viele Gäste im Haus sind, kommt schnell mal was weg, Sie verstehen, was ich meine. Die Fanny hat den Spül in die Maschine geräumt und die Küche sauber gemacht, dann ist sie gegangen, das war kurz vor neun. Ich habe noch die Beleuchtung ausgemacht und die Haustür abgeschlossen. Die Gäste sind schon an die achtzig, die gehen abends nicht mehr aus, wissen Sie. Dann bin ich runter in mein Zimmer und habe ferngesehen. Nach den Nachrichten um Viertel nach zehn hab ich mich hingelegt. Das war alles.«

»Ohne Schlüssel konnte also niemand mehr das Haus betreten?«, vergewisserte sich Sina.

Kopfschütteln.

»Wer hatte alles einen Schlüssel. Nur Sie und Ihr Mann?«

Nicken.

»Wie viele Türen hat das Gebäude?«

»Außer der Haustür gibt es noch die Seitentür, die führt vom Fahrradkeller in den Garten und ist gleichzeitig Notausgang. Und dann die Tür vom Speisesaal auf die Terrasse, aber der Speisesaal war ja zu.«

»Ist der Notausgang abgeschlossen?«

»Nein, aber von außen kommt da ohne Schlüssel keiner rein. Es sei denn mit Gewalt, und das hätte ich gehört.«

»Haben Sie denn etwas anderes gehört, ein wegfahrendes Auto oder so etwas?«

Sieglinde Lattinger überlegte kurz. »Doch, natürlich.«

Vielleicht endlich ein brauchbarer Hinweis.

»Das Brummen der Heizung im Keller nebenan und das Blubbern der Filteranlage im Schwimmbad. Die muss auch mal wieder kontrolliert werden, hab ich mir noch gedacht.«