Nesthäkchen und ihre Puppen - Else Ury - E-Book

Nesthäkchen und ihre Puppen E-Book

Else Ury

0,0
0,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

vollständige und illustrierte Originalfassung Lesen Sie die bekannteste Kinderbuchreihe der wilhelminischen Zeit hier erstmalig wiederveröffentlicht. Mit Aufsatz zu Leben und Werk der Autorin Über mehrere Bände hinweg wird die Lebensgeschichte der Annemarie Braun erzählt. Insgesamt gibt es zehn Bände, die von Annemaries Kindheit, ihrer Jugend bis zur eigenen Eltern- und schließlich sogar Großelternschaft berichten. In Band 1, »Nesthäkchen und ihre Puppen«, ist die sechsjährige Annemarie ein temperamentvolles Kind, das aber mit ihrer Lebhaftigkeit und ihrem häufigen Ungehorsam die Nerven der Erwachsenen oft überstrapaziert. Aber zum Glück ist sie ja ganz der Liebling ihres Vaters, des Herrn Doktor Braun. Nesthäkchen ist zurecht der Klassiker der »Backfischliteratur«. Im Jahre 1983 wurde die Handlung der ersten drei Bände als Weihnachtsserie im ZDF gezeigt. Die jüdische Autorin Else Ury, zeitlebens eine deutsch-konservative und unpolitische Person, wurde von den Nazis in Auschwitz ermordet. Mit den Originalzeichnungen der Erstveröffentlichung Null Papier Verlag

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 218

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Else Ury

Nesthäkchen und ihre Puppen

Band 1 der Nesthäkchen-Reihe

Else Ury

Nesthäkchen und ihre Puppen

Band 1 der Nesthäkchen-Reihe

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: Franz Kuderna EV: Meidinger’s Jugendschriften Verlag G.m.b.H., Berlin, 1913/18 3. Auflage, ISBN 978-3-954184-10-1

null-papier.de/newsletter

Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

Zur Au­to­rin

1. Ka­pi­tel. Pup­pen­müt­ter­chen

2. Ka­pi­tel. Was der Os­ter­ha­se bringt.

3. Ka­pi­tel. Wie es Pup­pe Ger­da bei Nest­häk­chen ge­fiel.

4. Ka­pi­tel. Wir rei­sen nach Ame­ri­ka – hur­ra!

5. Ka­pi­tel. Nest­häk­chen macht schlech­tes Wet­ter.

6. Ka­pi­tel. Mai­kä­fer, flie­ge …

7. Ka­pi­tel. »Herr Dok­tor, mein Kind ist so krank!«

8. Ka­pi­tel. Du­del-Du­del-Lei­er­kas­ten

9. Ka­pi­tel. »Mor­gen wird ge­fegt!«

10. Ka­pi­tel. Der Moh­ren­kopf

11. Ka­pi­tel. Knab­ber – knab­ber – Mäu­schen

12. Ka­pi­tel. Schif­fer-Len­chen

13. Ka­pi­tel. Nest­häk­chen geht auf Rei­sen.

14. Ka­pi­tel. Ki­ke­ri­ki – der Hahn ist schon wach.

15. Ka­pi­tel. »Kommt ein Vo­gel ge­flo­gen.«

16. Ka­pi­tel. Im Kin­der­gar­ten

17. Ka­pi­tel. Tap – tap – Knecht Ru­precht kommt.

18. Ka­pi­tel. Pup­pen­weih­nach­ten

19. Ka­pi­tel. Die neue Schul­map­pe

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

die Neu­er­schei­nun­gen aus dem Pro­gramm

Neu­ig­kei­ten über un­se­re Au­to­ren

Vi­deos, Lese- und Hör­pro­ben

at­trak­ti­ve Ge­winn­spie­le, Ak­tio­nen und vie­les mehr

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Zum Buch

Über meh­re­re Bän­de hin­weg wird die Le­bens­ge­schich­te der An­ne­ma­rie Braun er­zählt. Ins­ge­samt gibt es zehn Bän­de, die von An­ne­ma­ri­es Kind­heit, ih­rer Ju­gend bis zur ei­ge­nen El­tern- und schließ­lich so­gar Gro­ß­el­tern­schaft be­rich­ten.

In Band 1, »Nest­häk­chen und ihre Pup­pen«, ist die sechs­jäh­ri­ge An­ne­ma­rie ein tem­pe­ra­ment­vol­les Kind, das aber mit ih­rer Leb­haf­tig­keit und ih­rem häu­fi­gen Un­ge­hor­sam die Ner­ven der Er­wach­se­nen oft über­stra­pa­ziert. Aber zum Glück ist sie ja ganz der Lieb­ling ih­res Va­ters, des Herrn Dok­tor Braun.

Nest­häk­chen ist zu­recht der Klas­si­ker der »Back­fischli­te­ra­tur«. Im Jah­re 1983 wur­de die Hand­lung der ers­ten drei Bän­de als Weih­nachts­se­rie im ZDF ge­zeigt.

Die jü­di­sche Au­to­rin Else Ury, zeit­le­bens eine deutsch-kon­ser­va­ti­ve und un­po­li­ti­sche Per­son, wur­de von den Na­zis in Ausch­witz er­mor­det.

*

In­for­ma­tio­nen über Gra­ti­s­an­ge­bo­te und Neu­ver­öf­fent­li­chun­gen un­ter:

www.null-papier.de/newsletter

Zur Autorin

Else Ury ken­nen vie­le als Au­to­rin der »Nest­häk­chen«-Rei­he, die seit Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts als Lek­tü­re für Mäd­chen in den Buch­lä­den zu fin­den ist. In den 1980er Jah­ren sa­hen vie­le Kin­der und Er­wach­se­ne zu­dem die Ver­fil­mung als Fern­seh­se­rie im öf­fent­lich-recht­li­chen Fern­se­hen. Doch wer war Else Ury? Wer einen Blick auf ihre Bio­gra­fie wirft, ent­deckt eine tra­gi­sche Ge­schich­te jen­seits der kind­li­chen Welt, die sie für ihre Bü­cher er­schuf.

Ge­bo­ren wur­de Else Ury 1877 in Ber­lin. Sie wuchs als Toch­ter ei­nes Ta­bak­fa­bri­kan­ten in ei­ner bür­ger­li­chen Fa­mi­lie auf, in der viel Wert auf Bil­dung - auch der Mäd­chen - ge­legt wur­de. Wäh­rend die äl­te­ren Brü­der das Gym­na­si­um be­such­ten und spä­ter Ju­rist und Arzt wur­den, blieb für Else und die Schwes­ter der Be­such ei­ner pri­va­ten Mäd­chen­schu­le. Wäh­rend die Schwes­ter eine Aus­bil­dung zur Leh­re­rin ab­sol­vier­te, blieb Else Ury im Haus der El­tern - die dem jü­di­schen Glau­ben an­ge­hör­ten, je­doch auch christ­li­che Fes­te fei­er­ten - und schrieb dort mit 20 Jah­ren ihr ers­tes Werk: »Im Bahn­hofs­re­stau­rant Dan­zi­ger Röss’l«.

Else Urys ers­tes ver­öf­fent­lich­tes Buch ist »Was das Sonn­tags­kind er­lauscht« (1905), eine Mär­chen­samm­lung, wie sie in der Wei­ma­rer Re­pu­blik sehr be­liebt war.

Da­nach brach­te Ury bei­spiels­wei­se das Werk »Stu­dier­te Mä­del« her­aus, in dem sie Bil­dung für Mäd­chen be­für­wor­te­te. Es folg­te un­ter an­de­rem das Buch »Gold­blond­chen«, wel­ches als ein­zi­ges von Urys Bü­chern eine Aus­zeich­nung für Ju­gend­bü­cher er­hielt. Dies war in je­ner Zeit durch­aus un­ge­wöhn­lich, da meist Mäd­chen-Li­te­ra­tur als zu kit­schig und oben­drein manch­mal so­gar als »schäd­lich« be­trach­tet wur­de. Den ers­ten Band der be­rühm­ten »Nest­häk­chen«-Rei­he rund um die Arzt­toch­ter An­ne­ma­rie Braun brach­te Else Ury 1913 her­aus. Durch den Ers­ten Welt­krieg ver­zö­ger­te sich die Her­aus­ga­be et­li­cher Bän­de der Se­rie. In ers­ter Li­nie wird eine idyl­li­sche Kind­heit ge­zeigt, bis die­se durch den Kriegs­ein­satz des Va­ters Ris­se be­kommt. Die Nest­häk­chen-Ge­schich­te er­streck­te sich über das ge­sam­te Le­ben der An­ne­ma­rie Braun. Auch Else Ury ver­brach­te einen Groß­teil ih­res Le­bens mit der Buch­rei­he. Sie ver­fass­te den letz­ten Band im Jah­re 1925.

Nach dem Krieg folg­te in den 20er Jah­ren die In­fla­ti­on in Deutsch­land, doch die­se konn­te Ury kaum et­was an­ha­ben. Sie be­kam ih­ren Lohn in Gold aus­ge­zahlt und konn­te sich wei­ter­hin einen groß­bür­ger­li­chen Le­bens­stil leis­ten. Mitt­ler­wei­le war sie der­art ge­fragt, dass ihr 50. Ge­burts­tag so­gar öf­fent­lich im Ho­tel Ad­lon ge­fei­ert wur­de.

Das Grau­en brach erst mit der Ver­fol­gung der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten über Else Ury her­ein. Da­bei war Else Ury zu­nächst dem na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ge­dan­ken­gut nicht ab­ge­neigt ge­we­sen und hat­te die­ses so­gar in ei­ni­gen ih­rer Wer­ke an­klin­gen las­sen.

Ihre Ent­rech­tung er­leb­te die Frau ge­ho­be­nen Al­ters zu­nächst schlei­chend. Doch die Ver­bo­te ih­rer Bü­cher so­wie der Aus­schluss aus der Reichs­schrift­tums­kam­mer lie­ßen die Au­to­rin am Re­gime zwei­feln. Sie ver­such­te ei­ni­ge ih­rer Bü­cher aus­län­di­schen Ver­la­gen zu ver­kau­fen, was je­doch letzt­lich schei­ter­te, da die Welt, die sie in ih­rem Bü­chern ent­warf, nicht mehr so recht in die Rea­li­tät pas­sen woll­te.

Vie­le Fa­mi­li­en­mit­glie­der wa­ren aus­ge­wan­dert, doch Ury blieb bei ih­rer kran­ken Mut­ter, die 1940 verstarb. Da­nach be­müh­te man sich, die Au­to­rin au­ßer Lan­des zu schaf­fen und ihr ein Vi­sum zu be­schaf­fen - doch dies war zum Schei­tern ver­ur­teilt.

Else Ury starb 1942 nach der De­por­ta­ti­on durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten im Ver­nich­tungs­la­ger Ausch­witz.

Nest­häk­chen

»Nest­häk­chen« war si­cher­lich das be­rühm­tes­te Werk von Else Ury. Ne­ben der be­kann­ten Buch­rei­he für Mäd­chen ver­fass­te sie wei­te­re Bü­cher, die vor al­lem an jun­ge Mäd­chen, aber auch Kin­der im All­ge­mei­nen ge­rich­tet wa­ren. Sie galt als eine der be­rühm­tes­ten Kin­der­buch-Au­to­rin­nen der Wei­ma­rer Re­pu­blik, doch kein ein­zi­ges ih­rer wei­te­ren Bü­cher konn­te an »Nest­häk­chen« in sei­ner Po­pu­la­ri­tät her­an­rei­chen.

»Nest­häk­chen« er­zählt die Le­bens­ge­schich­te der An­ne­ma­rie Braun. Es gibt meh­re­re Fas­sun­gen der Ge­schich­ten, da die­se im­mer wie­der den Zu­stän­den in der Ge­gen­wart an­ge­passt wur­den. So über­ar­bei­te­te man bei­spiels­wei­se die Rei­he auch nach dem Zwei­ten Welt­krieg noch ein­mal grund­le­gend. Das Frau­en­bild, wel­ches die »Nest­häk­chen«-Rei­he ver­mit­telt, blieb je­doch wei­test­ge­hend er­hal­ten. Zwar wird An­ne­ma­rie als durch­aus mu­ti­ges und in­tel­li­gen­tes Mäd­chen ge­zeigt, je­doch bleibt sie dem Bild der Frau in ih­rer Zeit ver­haf­tet, die sich nach der Schul­zeit als bra­ve Haus­frau um den ge­lieb­ten Ehe­mann und die Kin­der küm­mert.

Heu­te wer­den meist nur die ers­ten drei Bän­de als Kin­der­klas­si­ker ge­se­hen. Die Ge­schich­te ab Band vier ist we­ni­ger be­kannt, was auch dar­an liegt, dass der vier­te Band, der im Ers­ten Welt­krieg spielt und die­sen teil­wei­se ver­herr­licht, nicht mehr her­aus­ge­ge­ben wird.

Die Ge­schich­te be­ginnt noch vor Nest­häk­chens Ein­schu­lung und schil­dert zu­nächst eine un­schul­di­ge Kind­heit, in der Pup­pen die Haup­trol­le spie­len. An­ne­ma­rie wächst wohl­be­hü­tet ne­ben ih­ren Brü­dern in ei­ner über­aus wohl­ha­ben­den bür­ger­li­chen Arzt­fa­mi­lie auf. In Band 2 be­ginnt die Schul­zeit von An­ne­ma­rie, die wie in der da­ma­li­gen Zeit üb­lich, häu­fig von Stra­fen be­herrscht wird.

Band 3 setzt vier Jah­re spä­ter an, als An­ne­ma­rie schwer an Schar­lach er­krankt, auch dies spie­gelt ein Pro­blem je­ner Zeit wie­der, als Krank­hei­ten noch weitaus schwe­rer zu be­herr­schen wa­ren. Zur Er­ho­lung kommt sie, wie da­mals eben­falls üb­lich, in ein Kin­der­heim am Meer, ge­nau­er ge­sagt, auf Am­rum. Der Band en­det - nach vie­len Er­leb­nis­sen, die An­ne­ma­rie zu ei­ner jun­gen Frau rei­fen las­sen, mit dem Be­ginn des Ers­ten Welt­kriegs. Ihre ge­lieb­te Pup­pe ver­liert Nest­häk­chen beim über­stürz­ten Auf­bruch nach Hau­se. Mit die­sen Sze­nen en­det auch die Ver­fil­mung von »Nest­häk­chen« aus den 1980er Jah­ren, die nur noch den Aus­bruch des Welt­kriegs zeigt.

In der Buch­rei­he geht es wei­ter mit der Welt­kriegs­zeit. In die­sem Band wird auch das The­ma Aus­län­der im Spie­gel der da­ma­li­gen Zeit be­han­delt. Im fünf­ten Band wird die »Bach­fisch­zeit« von Nest­häk­chen be­schrie­ben. Er­staun­lich dar­an ist, dass das jun­ge Mäd­chen und ei­ni­ge Freun­din­nen am Ende das Abi­tur be­ste­hen - ein Plä­doy­er für die Bil­dung der Frau in je­ner Zeit. Auch im sechs­ten Band zieht Nest­häk­chen zu­nächst zum Stu­di­um nach Tü­bin­gen, doch die Hoch­zeit und Ge­burt des ers­ten Kin­des ma­chen sie dann doch zur »bra­ven Haus­frau«.

Die fol­gen­den drei Bän­de dre­hen sich um An­ne­ma­rie und ihre Kin­der, de­ren Heran­wach­sen, bis hin zu de­ren En­keln.

Zeit­lich wa­ren die »Nest­häk­chen«-Bü­cher ab dem 6. Band der ei­gent­li­chen Ge­gen­wart vor­aus, was teils aus der heu­ti­gen Per­spek­ti­ve et­was für Ver­wir­rung sorgt.

Ne­ben »Nest­häk­chen« schuf Else Ury wei­te­re Kin­der­bü­cher. Am be­kann­tes­ten dar­un­ter ist die Se­rie »Die Zwil­lin­ge«. Else Ury schuf stets eine recht hei­le Welt, die we­nig über­ra­schen­de Wen­dun­gen zu bie­ten hat­te, doch bei der Ju­gend, auch nach dem Zwei­ten Welt­krieg, über­aus be­liebt war.

1. Kapitel. Puppenmütterchen

Habt ihr schon mal un­ser Nest­häk­chen ge­se­hen?

Es heißt An­ne­ma­rie, Va­ter und Mut­ti aber ru­fen es meis­tens »Lot­te«. Ein lus­ti­ges Stubs­näs­chen hat un­ser Nest­häk­chen und zwei win­zi­ge Blond­zöpf­chen mit großen, hell­blau­en Schlei­fen. »Rat­ten­schwänz­chen« nennt Bru­der Hans An­ne­ma­ri­es Zöp­fe, aber die Klei­ne ist un­ge­heu­er stolz auf sie. Manch­mal trägt Nest­häk­chen auch rosa Haarschlei­fen, und die Rat­ten­schwänz­chen als nied­li­che, klei­ne Schne­cken über je­des Ohr ge­steckt. Doch das kann es nicht lei­den, denn die al­ten Haar­na­deln pie­ken. Sechs Jah­re ist An­ne­ma­rie vor kur­z­em ge­wor­den, ihre bei­den Bein­chen ste­cken in Wa­den­st­rümp­fen und hop­sen meis­tens. Kei­nen Au­gen­blick ste­hen sie still, ge­ra­de­so wie ihr kirsch­ro­tes Mäul­chen. Das schwatzt und fragt den gan­zen lie­ben Tag, das lacht und singt, und nur ganz sel­ten mal ver­zieht es sich zum Wei­nen.

So sieht un­ser Nest­häk­chen aus, und wenn ihr in Ber­lin lebt, könnt ihr es je­den Tag mit Fräu­lein in den Tier­gar­ten ge­hen se­hen.

In ei­nem schö­nen, großen Hau­se wohnt Klein-An­ne­ma­rie, in ei­ner lan­gen Stra­ße, durch die elek­tri­sche Bah­nen bim­meln. Ein Gärt­chen ist vor dem Hau­se, aber kei­ner darf hin­ein, das er­laubt der Por­tier nicht. Er selbst aber kann so­oft dar­in her­umspa­zie­ren, wie er nur Lust hat, das Gras schnei­den, die Bee­te be­gie­ßen und so­gar das Git­ter mit schö­ner neu­er Öl­far­be an­strei­chen. Da­rum glaubt An­ne­ma­rie, dass der Por­tier bei­na­he so viel ist wie der Kai­ser. Und wenn sie nicht Mut­tis Nest­häk­chen wäre, dann wür­de sie am al­ler­liebs­ten Por­tier sein. Manch­mal aber auch Kon­di­tor.

Zwei grö­ße­re Brü­der hat An­ne­ma­rie, den wil­den Klaus, der nur zwei Jah­re äl­ter ist als sie, und den großen Quar­ta­ner Hans, der so­gar schon La­tein kann. Ihr Häns­chen liebt die Klei­ne über al­les, wenn er sie auch öf­ters mal neckt, wäh­rend es mit Kläus­chen nur all­zu oft Krieg gibt.

Ach, was ist das für ein schö­nes, war­mes Nest, in dem das Nest­häk­chen da­heim ist. Wenn der Va­ter ab­ge­spannt von der Pra­xis nach Hau­se kommt, denn An­ne­ma­ri­es Papa ist ein viel be­schäf­tig­ter Arzt, und sein klei­nes Mäd­chen springt ihm ju­belnd an den Hals, dann hat er alle Mü­dig­keit ver­ges­sen. Er lacht und scherzt mit ihr, ja, er setzt sie so­gar auf sei­ne Schul­tern und rei­tet mit dem jauch­zen­den Ding durch sämt­li­che Zim­mer. Sagt Mut­ti dann: »Du ver­wöhnst un­se­re Lot­te zu sehr, Va­ter, sie ist schon viel zu groß dazu«, dann drückt er sei­nen Lieb­ling nur umso fes­ter ans Herz und meint lä­chelnd: »Es ist doch un­ser Kleins­tes!«

Wenn aber der Va­ter mal da­von an­fängt, dass es nun auch für An­ne­ma­rie bald Zeit sei, in die Schu­le zu ge­hen, dann brei­tet Mut­ti ihre Arme um das Töch­ter­chen und bit­tet: »Lass sie mir doch noch ein Weil­chen zu Hau­se, sie ist ja so zart und doch un­ser Nest­häk­chen!«

Ja, Nest­häk­chen wird von al­len Sei­ten ein we­nig ver­wöhnt. Wenn Fräu­lein auch noch so viel zu tun hat, sie wird nicht müde, An­ne­mies tau­send Fra­gen zu be­ant­wor­ten. Da­für hat die Klei­ne aber auch ihr Fräu­lein ganz schreck­lich lieb.

Han­ne, die Kö­chin, schmun­zelt über das brei­te, rote Ge­sicht, wenn An­ne­mie ein biss­chen zu ihr in die Kü­che her­aus­kommt, weil sich die Han­ne so ganz al­lein am Ende lang­wei­len könn­te. Ob das klei­ne Fräu­lein ihr auch noch so zwi­schen ih­ren Töp­fen, Löf­feln und Quir­len kramt, Han­ne wirft An­ne­ma­rie nicht raus. Da­bei macht sie doch mit den bei­den Jun­gen nicht viel Um­stän­de und bringt sie öf­ters mal auf den Trab.

Auch Fri­da, das Stu­ben­mäd­chen, lässt sich die Ge­sell­schaft der Klei­nen beim Plät­ten, Ma­schi­nenä­hen und Stu­ben­boh­nern gern ge­fal­len.

Der gute Bru­der Hans fin­det trotz sei­ner vie­len Schul­ar­bei­ten noch Zeit, dem Schwes­ter­chen Schiff­chen zu ma­chen und Krei­sel­stö­cke zu fa­bri­zie­ren.

Nur Klaus meint, dass An­ne­mie zu sehr ver­wöhnt wird und ist für stren­ge­re Er­zie­hung. Aber meis­tens en­digt die­se mit ei­ner Bal­ge­rei.

Puck, das nied­li­che Zwerg­hünd­chen, und Mätz­chen, das zi­tro­nen­gel­be Vö­gel­chen, zei­gen eben­falls eine be­son­de­re Vor­lie­be fürs Nest­häk­chen. Puck lässt sich ge­dul­dig von ihm Ohren und Schwänz­chen zau­sen und ist stets zu al­len Spie­len be­reit. Mätz­chen aber singt ju­belnd mit der Klei­nen um die Wet­te.

Wer aber, glaubt ihr wohl, hat Klein-An­ne­ma­rie am liebs­ten im gan­zen Hau­se? Va­ter und Mut­ti na­tür­lich, und dann – alle ihre Pup­pen.

Die zie­hen den Mund vor Freu­de von ei­nem Ohr zum an­de­ren, so­bald das klei­ne Mäd­chen in die Kin­der­stu­be tritt. Was ist An­ne­mie aber auch für ein gu­tes Pup­pen­müt­ter­chen! Je­des Kind ih­rer zahl­rei­chen Pup­pen­fa­mi­lie hat sie in ihr zärt­li­ches Herz ge­schlos­sen.

Da ist zu­erst Iren­chen, das ist ihre Äl­tes­te, denn sie be­sitzt schon eine Schul­map­pe mit Schie­fer­ta­fel und Hef­ten. Iren­chen macht ih­rer klei­nen Mama jetzt viel Sor­ge. Sie hat ihre schö­nen ro­ten Ba­cken ver­lo­ren, seit­dem Nest­häk­chen ihr neu­lich das Ge­sicht mit Bims­stein ab­ge­scheu­ert hat. Das Pup­pen­kind soll­te zum ers­ten Mal mit Tin­te schrei­ben, und hat­te da­bei die Nase zu tief in das Schul­heft ge­steckt, über und über hat­te sie sich mit Tin­te ein­ge­schmiert, das un­be­dacht­sa­me Iren­chen, und die wei­ße Schür­ze ih­rer klei­nen Mama dazu. An­ne­ma­rie schalt auf Iren­chen, und Fräu­lein schalt auf An­ne­mie. Fräu­lein be­gann An­ne­mies Tin­ten­schür­ze mit Zitro­ne zu be­ar­bei­ten, und An­ne­mie das Tin­ten­ge­sicht ih­res Iren­chens mit Bims­stein. Au – tat das weh! Iren­chen schrie wie am Spieß. Aber ener­gisch rub­bel­te Nest­häk­chen wei­ter, denn »wer nicht hö­ren will, muss füh­len«. Ganz blass ist das arme Pup­pen­kind noch da­von, und An­ne­mie meint be­küm­mert zu Fräu­lein: »Ich glau­be, die Schul­luft be­kommt dem Kin­de nicht!«

Auch um Ma­ri­ann­chen, das zwei­te Töch­ter­chen, sorgt sich Nest­häk­chen. Die Klei­ne hat seit ei­ni­gen Ta­gen eine schwe­re Au­gen­krank­heit und muss si­cher nächs­tens in eine Pup­pen­kli­nik. Die Schlaf­au­gen sind fest zu­ge­klebt und ge­hen nicht mehr auf. Und das schlimms­te ist, dass die klei­ne Mama selbst die Schuld an der Krank­heit trägt. Oder viel­mehr Klaus, denn der hat ihr ge­ra­ten, dem Kin­de rich­ti­ge Wim­pern mit flüs­si­gem Gum­mi an­zu­kle­ben. Und nun sind Ma­ri­ann­chens Au­gen ganz ver­kleis­tert, oder viel­mehr »ver­ei­tert«, wie der vier­bei­ni­ge Dok­tor Puck mit be­denk­li­chem Schwan­zwe­deln fest­stell­te.

Ja, solch klei­nes Pup­pen­müt­ter­chen hat schon sei­ne Sor­gen mit so viel Jö­ren! Der Pup­pen­jun­ge Kurt ist ein furcht­bar wil­der Strick, kein Tisch ist ihm zu hoch, um da­von her­un­ter­zu­sprin­gen. Bald zer­schlägt er sich die Nase, bald hat er ein tie­fes Loch im Kopf, und einen hal­b­en Fuß hat er sich auch schon ab­ge­schla­gen, der Sch­lin­gel.

Die schwar­ze Lolo, das Ne­ger­kind, muss wohl die Unsau­ber­keit und Unor­dent­lich­keit aus ih­rer Hei­mat Afri­ka mit­ge­bracht ha­ben. Wenn An­ne­ma­rie sie eben erst sau­ber an­ge­zo­gen hat, im nächs­ten Au­gen­blick hat sie sich schon wie­der schmut­zig ge­macht. Bald ver­liert sie einen Schuh, bald einen Strumpf. Neu­lich so­gar die Hö­schen! Mit­ten im Tier­gar­ten war’s, Klein-An­ne­ma­rie hat sich schreck­lich ge­schämt, denn sehr weiß wa­ren sie auch nicht mehr.

Am bravs­ten ist noch Baby. Das lässt sei­ne Mama die gan­ze Nacht ru­hig schla­fen, höchs­tens am Tage schreit es mal, aber auch nur, wenn es all­zu sehr auf den Bauch ge­drückt wird. An­ne­mie ver­zieht Baby ein biss­chen, na, da­für ist es ja auch ihr Nest­häk­chen.

Aber trotz al­ler ih­rer Feh­ler liebt An­ne­ma­rie ihre Kin­der wie eine rich­ti­ge klei­ne Mama. Den gan­zen Tag plagt sie sich für sie. Kaum hat sie mor­gens früh Iren­chen in die Schu­le ge­bracht und die an­de­ren an­ge­zo­gen, ver­langt Baby auch schon nach sei­nem Fläsch­chen. Dann sind die Bet­ten der Kin­der zu ma­chen, die bei­den Gro­ßen schla­fen in dem wei­ßen Him­mel­bett, die bei­den Klei­nen, Lolo und Baby, im Wa­gen, und Kurt in der um­ge­kipp­ten Fuß­bank. Die ist we­nigs­tens nicht so hoch, wenn er raus­fällt.

Beim Auf­räu­men der Kin­der­stu­be hilft Nest­häk­chen Fräu­lein flei­ßig; es hat einen klei­nen Be­sen mit Schau­fel und einen Schrub­ber nebst Ei­mer und Scheu­er­tuch. Aus­wi­schen tut An­ne­mie für ihr Le­ben gern. Aber Fräu­lein er­laubt es nicht oft, denn sie setzt die gan­ze Stu­be da­bei un­ter Was­ser, es gibt je­des Mal eine Über­schwem­mung. Bei­na­he wäre neu­lich ihr Kurt, der sich un­term Spiel­schrank ver­steckt hat­te, da­bei er­trun­ken.

Eine rei­zen­de Pup­pen­kü­che hat Klein-An­ne­ma­rie, mit Koh­len­kas­ten, Was­ser­lei­tung und Spi­ri­tus­herd, aber Mit­tag­brot ko­chen kann sie ih­ren Kin­dern nur, wenn’s reg­net. Die Pup­pen sind auch so ver­nünf­tig, bei schö­nem Wet­ter kei­nen Hun­ger zu ha­ben. Sie wis­sen, dass ihre klei­ne Mama, wenn die Son­ne scheint, in den Tier­gar­ten spa­zie­ren­ge­hen muss. Oft nimmt Nest­häk­chen eins oder zwei ih­rer Kin­der mit und fährt sie in dem fei­nen wei­ßen Pup­pen­wa­gen mit der rosa Sei­den­de­cke aus. Dann setzt sie ih­nen Spi­nat vor, frisch ge­pflückt vom Ra­sen. Auch Kie­sel­stein­bra­ten ver­tra­gen sie merk­wür­dig gut, wenn er auch noch so zäh ist.

Die ar­men Zu­hau­se­ge­las­se­nen aber wer­den in ihr Gärt­chen, aufs Blu­men­brett, ge­setzt, da­mit sie auch ein biss­chen Luft schnap­pen. Nur Kurt nicht, der Ben­gel ist zu wild und wür­de si­cher in den Hof her­un­ter Pur­zel­baum schie­ßen.

Auch wa­schen und plät­ten muss An­ne­mie für ihre Klei­nen, ja, sie ver­brennt sich so­gar die Händ­chen da­bei vor lau­ter Ei­fer. Denn das klei­ne Plätt­ei­sen wird auf dem Herd heiß ge­stellt, an­ders tut das Haus­müt­ter­chen es nicht.

Nächs­tens soll auch große Pup­pen­schnei­de­rei statt­fin­den, An­ne­ma­rie hat zu ih­rem Ge­burts­tag eine al­ler­liebs­te klei­ne Näh­ma­schi­ne be­kom­men. Fräu­lein will ihr zei­gen, wie man dar­auf näht. Da­bei hat sie auch noch den Kauf­manns­la­den und die Mehl­hand­lung zu be­die­nen, wenn Klaus ge­ra­de kei­ne Lust dazu hat, oder wenn sie sich bei­de ge­zankt ha­ben.

Und Mut­ti will ihr Nest­häk­chen doch auch ein biss­chen um sich ha­ben, wirk­lich, An­ne­ma­rie weiß oft gar nicht, was sie von all ih­ren vie­len Ar­bei­ten zu­erst ma­chen soll.

Sie kann sich gar nicht den­ken, dass es klei­ne Mäd­chen gibt, die sich manch­mal lang­wei­len.

2. Kapitel. Was der Osterhase bringt.

Es war am Os­ter­sonn­tag, ganz früh am Mor­gen. Gol­den schi­en die lie­be Son­ne vom Him­mel, ge­ra­de in Nest­häk­chens Kin­der­stu­be hin­ein.

Die Pup­pen la­gen alle noch in fes­tem Schlaf. Kurt schnarch­te wie ein Mur­mel­tier, und auch Lot­tis Fräu­lein schlief noch.

Nanu – die Son­ne be­gann er­staunt zu blin­zeln – was soll­te denn das be­deu­ten?

Aus dem wei­ßen Kin­der­bett in der Ecke sprang, vor­sich­tig nach dem schla­fen­den Fräu­lein her­über­schau­end, ein klei­ner Hem­den­matz mit zwei blon­den Rat­ten­schwänz­chen. Eins, zwei, drei, husch­te er lei­se durch das Zim­mer, ge­ra­des­wegs zum Fens­ter, und klet­ter­te dort be­hut­sam auf den Kin­der­stuhl.

Was hat­te denn Nest­häk­chen bloß in al­ler Herr­gotts­frü­he schon auf den Hof hin­un­ter­zu­gu­cken? Die Por­tier­kin­der, mit de­nen sie gut Freund war, schlie­fen doch noch alle.

Die Son­ne mach­te ein miss­bil­li­gen­des Ge­sicht. Den Tod konn­te sich das bar­fü­ßi­ge klei­ne Ding ja bei sei­ner Früh­par­tie ho­len oder doch we­nigs­tens einen tüch­ti­gen Schnup­fen.

Nein, das gab die lie­be Son­ne nicht zu, dass Klein-An­ne­ma­rie an den Os­ter­fei­er­ta­gen krank im Bet­te lie­gen muss­te.

Schnell nahm sie ein paar ih­rer spit­zen Gold­strah­len und be­gann Fräu­lein da­mit un­ter die Nase zu krab­beln, ein­mal und noch ein­mal.

»Hat­schi!« nies­te Fräu­lein und schlug die Au­gen auf. Da sah sie zu ih­rer Ver­wun­de­rung am Fens­ter auf dem Kin­der­stuhl ein aus­ge­knif­fe­nes Hem­den­mätz­chen thro­nen, das Stubs­näs­chen ge­gen die Schei­ben ge­presst.

»Kind – An­ne­mie – willst du wohl gleich wie­der ins Bett, es ist ja noch nicht mal sechs!« rief sie är­ger­lich.

»Ach, Fräu­lein«, An­ne­ma­rie fuhr er­schreckt zu­sam­men, »warum bist du bloß auf­ge­wacht! Ich woll­te doch so schreck­lich gern mal den Os­ter­ha­sen se­hen, ob er auch recht viel Eier für mich hat.«

»Wenn du so un­ar­tig bist und heim­lich aus dem Bett klet­terst, bringt dir der Os­ter­ha­se über­haupt kei­ne Eier. Der kommt nur zu ar­ti­gen Kin­dern. Flink zu­rück ins Bett­chen, An­ne­mie, dass du nicht etwa krank wirst«, mahn­te Fräu­lein.

»Wo­her weiß der Os­ter­ha­se denn, ob ich ar­tig bin?« er­kun­dig­te sich das Bar­füß­chen.

»Er lässt es sich von al­len Mut­tis und Fräu­leins er­zäh­len«, gähn­te Fräu­lein.

»Hat er dich auch schon da­nach ge­fragt?«

»Ja–a–a–u–uh«, Fräu­lein gähn­te herz­bre­chend.

»Wann denn?« Nest­häk­chen spitz­te die Ohren.

»Hör’ jetzt end­lich mit dem ewi­gen Ge­fra­ge auf und gehe in dein Bett, An­ne­mie, oder soll ich erst böse wer­den?«

»Nein, nein, aber mein liebs­tes, bes­tes, al­ler­sü­ßes­tes Zucker­fräu­lein, sag’ mir doch bloß noch, wann der Os­ter­ha­se da­ge­we­sen ist, dann gehe ich auch gleich wie­der ar­tig ins Bett«, schmei­chel­te die Klei­ne.

»Heu­te Nacht.« Fräu­lein konn­te den Bit­ten der klei­nen Schmei­chel­kat­ze nicht wi­der­ste­hen.

»Heu­te Nacht, da hast du wohl mit ihm aus dem Schlaf ge­spro­chen, Fräu­lein?« ver­wun­der­te sich die Klei­ne.

Aber als An­ne­mie jetzt end­lich den Rück­zug in ihr Bett­chen an­tre­ten woll­te, da jauchz­te sie plötz­lich laut auf, dass sämt­li­che Pup­pen ent­setzt aus dem Schlaf hoch­fuh­ren, und Kurt vor Schreck fast aus sei­ner Fuß­bank ge­ke­gelt wäre.

»Fräu­lein, der Os­ter­ha­se, da ist er, ganz deut­lich habe ich ihn ge­se­hen.« Die Klei­ne wies auf­ge­regt aus dem Fens­ter. »Schwarz war er, und einen lan­gen Schwanz hat er ge­habt, und mit ei­nem Satz ist er drü­ben über das Dach ge­sprun­gen.«

»Du Schäf­chen, das war si­cher der schwar­ze Ka­ter von un­serm Por­tier.« Jetzt muss­te Fräu­lein doch la­chen.

»Der Ka­ter – be­wah­re – das war der Os­ter­ha­se!« An­ne­mie ließ sich so leicht nicht et­was aus­re­den. Auch als sie wie­der im Bett lag und ihre Blau­au­gen ge­ra­de müde zu­klap­pen woll­ten, mur­mel­te sie noch im Ein­schla­fen: »Und es war doch der Os­ter­ha­se!«

Ein Weil­chen dar­auf späh­te die lie­be Son­ne aufs neue in die Kin­der­stu­be hin­ein, ob dort nun end­lich Ruhe herrsch­te. Da schlief die gan­ze Ge­sell­schaft wie­der, und der rich­ti­ge Os­ter­ha­se konn­te, un­be­ob­ach­tet von neu­gie­ri­gen Kin­derau­gen, all sei­ne Scho­ko­la­den- und Mar­zi­pa­nei­er ver­ste­cken.

Das war eine schwie­ri­ge Sa­che für Fräu­lein, heu­te Nest­häk­chen an­zu­klei­den. Sehr still hielt der klei­ne Wild­fang ja nie­mals, aber heu­te war die An­ne­ma­rie in al­len vier Ecken der Kin­der­stu­be zu glei­cher Zeit. Am Ende hat­te Fräu­lein bloß nicht auf­ge­passt, und der Os­ter­ha­se hat­te doch ein paar Eier ins Kin­der­zim­mer ge­legt.

Wäh­rend Fräu­lein ihr die blon­den Kraus­här­chen ent­wirr­te, was nie­mals eine sehr an­ge­neh­me Auf­ga­be war, ent­wisch­te sie ihr drei­mal.

Wutsch – war sie in dem Schuh­schrank drin, wo sie sämt­li­che Schu­he und Stie­fel nach Os­terei­ern durch­stö­ber­te. Fräu­lein mit Kamm und Bürs­te hin­ter­drein.

Dann, als das ers­te Zöpf­chen halb ge­floch­ten war, fiel es An­ne­mie plötz­lich ein, si­cher wür­de sich et­was in der Pup­pen­kü­che fin­den. Hei­di – kram­te sie auch schon dort das Un­ters­te zu oberst, Fräu­lein mit Kamm und Bürs­te hin­ter­drein.

Aber als die Klei­ne plötz­lich, ge­ra­de da die große, hell­blaue Schlei­fe das zwei­te Zöpf­chen schmücken soll­te, hast du nicht ge­se­hen, auf den großen Tisch klet­ter­te, um auf den Ofen nach Os­terei­ern zu spä­hen, da konn­te Fräu­lein mit Kamm und Bürs­te nicht hin­ter­drein. Auf den Tisch konn­te sie un­mög­lich klet­tern. Sie mach­te ein un­zu­frie­de­nes Ge­sicht, bis An­ne­mie sich ih­rem Fräu­lein mit Küs­sen und Strei­cheln an den Hals häng­te und ver­sprach, sich nun aber wirk­lich ganz ar­tig an­zie­hen zu las­sen. Das tat sie auch, denn so klein sie auch war, das wuss­te die An­ne­ma­rie: Was man ver­spricht, muss man hal­ten!

»Na, end­lich aus­ge­schla­fen, Lot­te?« be­grüß­te sie der Va­ter, als Nest­häk­chen am Kaf­fee­tisch er­schi­en.

»Ach, Vat­chen, ich habe heu­te Mor­gen schon den Os­ter­ha­sen übers Dach sprin­gen se­hen«, er­zähl­te An­ne­ma­rie eif­rig.

»So?« frag­te der Va­ter ernst­haft.

Der vor­lau­te Klaus aber rief: »Es gibt ja gar kei­nen Os­ter­ha­sen, bist du noch ein däm­li­ches Ding, nur ganz ge­wöhn­li­che Ha­sen gibt es.«

»Das ist nicht wahr, du lügst!« be­gehr­te das Schwes­ter­chen auf.

So et­was woll­te sich der Klaus nun wie­der nicht sa­gen las­sen, er griff nach An­ne­mies frisch ge­floch­te­nen Zöpf­chen, und es wäre an dem schö­nen Os­ter­sonn­tag wohl zu ei­ner re­gel­rech­ten Schlacht ge­kom­men, wenn Mut­ti nicht ge­ra­de das Zim­mer be­tre­ten hät­te.

»Ei, Kin­der, ist das un­ser Fei­er­tags­frie­den?« frag­te sie vor­wurfs­voll.

Da lie­ßen die klei­nen Kampf­häh­ne be­schämt von­ein­an­der ab, und Nest­häk­chen sprang zu Mut­ti, um sich ih­ren Gu­ten­mor­gen­kuss zu ho­len.

Gibt es wohl noch et­was Schwe­re­res im Le­ben, als zwei große Tas­sen Ka­kao aus­trin­ken zu müs­sen, wäh­rend man ganz ge­nau weiß, dass im Ne­ben­zim­mer die schöns­ten Os­terei­er auf einen war­ten?

End­lich – end­lich war die Tas­se leer, und nun war Klein-An­ne­ma­rie auch nicht mehr zu hal­ten.

»Mut­ti, dür­fen wir jetzt – bit­te, bit­te, lass uns gleich Os­terei­er su­chen!«

Und kaum hat­te Mut­ti der klei­nen Un­ge­duld nur ein ganz klein we­nig zu­ge­nickt, bautz – da lag Nest­häk­chen auch schon der Län­ge nach drin im Wohn­zim­mer un­term Sofa und stram­pel­te vor Auf­re­gung mit bei­den Bei­nen.

»Hur­ra – hur­ra, drei Stück, halt, dort un­term No­ten­schrank ein ganz großes, da – un­ter der Blu­men­trep­pe wie­der eins!« An­ne­ma­rie blieb in ei­nem Ju­bel. »Nein, Klaus, das hier habe ich zu­erst ge­se­hen, das ge­hört mir!« Dies­mal ging es ohne Kampf zwi­schen den bei­den ab, aber nur, weil der große Hans in­zwi­schen eif­rig wei­ter­such­te, und dem woll­ten die zwei doch nicht alle an­de­ren Eier über­las­sen.

Gera­de als An­ne­mie ein wun­der­hüb­sches grü­nes Nest mit klei­nen Mar­zi­pan­kü­ken be­wun­der­te, bei des­sen Auf­fin­den der gute Va­ter ein we­nig ge­hol­fen hat­te, und als er ihr vor­las, dass auf dem an­ge­hef­te­ten Zet­tel­chen stand: »Für un­ser Nest­häk­chen«, hör­te man ne­ben­an einen lau­ten Krach.

Klirr – da lag Mut­tis schö­ne Vase in Scher­ben. Der un­ge­stü­me Klaus war mit dem Kopf da­ge­gen­ge­sto­ßen. Zur Stra­fe wur­de er vom Os­terei­er­su­chen aus­ge­schlos­sen und in sein Zim­mer ge­schickt.

Nest­häk­chen aber dach­te heim­lich: »Si­cher hat der Os­ter­ha­se das so ein­ge­rich­tet, weil Klaus ge­sagt hat, dass es gar kei­nen gibt.«

Doch An­ne­mie hat­te jetzt lan­ge nicht mehr die Freu­de an dem lus­ti­gen Su­chen wie vor­her, ob­gleich sie noch so vie­le schö­ne Eier fand, so­gar eins mit Mur­meln und eins mit Pup­pen­täß­chen ge­füllt. Sie muss­te im­mer­fort dar­an den­ken, wie trau­rig der arme Klaus jetzt wohl im Jun­gen­zim­mer sit­zen moch­te. Er tat ihr ganz schreck­lich leid, trotz­dem er doch stets mit ihr Streit an­fing.

Als kein Win­kel­chen mehr un­durch­stö­bert war, und An­ne­ma­rie in ih­rem Körb­chen fünf­zehn Os­terei­er zähl­te, eine gan­ze Man­del, wie Fräu­lein sag­te, schlich sie sich heim­lich in das Jun­gen­zim­mer.

Klaus saß an sei­nem Ar­beitspult und hat­te die Fäus­te in bei­de Au­gen ge­bohrt.

»Kläus­chen«, die Klei­ne kam schüch­tern nä­her, »sieh mal, wie viel Os­terei­er ich habe, da, su­che dir wel­che da­von aus, weil ich doch sol­che Men­ge ge­fun­den habe.«

Der Jun­ge sah er­staunt auf. Zu­erst glaub­te er, An­ne­mie ma­che nur Spaß, aber als das gute Schwes­ter­chen ihm wirk­lich ihr Körb­chen hin­hielt, nahm er sich das Ei mit den Mur­meln her­aus und strei­chel­te An­ne­mies run­des Ge­sicht­chen.

»Du bist ein gu­ter Kerl!« sag­te er da­bei.

Nun erst hat­te Nest­häk­chen vol­le Freu­de an den Ga­ben des Os­ter­ha­sen, weil auch Klaus sich freu­en konn­te. Ju­belnd tanz­te das klei­ne Mäd­chen durch die gan­ze Woh­nung.

»Han­ne, ich habe eine gan­ze Man­del Os­terei­er ge­fun­den!« so klang es zur Kü­chen­tür hin­ein, und im nächs­ten Au­gen­blick sprang An­ne­mie der mit dem Be­sen vor­über­fe­gen­den Fri­da hucke­pack auf den Rücken: »Fri­da­chen, wenn Sie mich ein biss­chen mit der Tep­pich­ma­schi­ne aus­keh­ren las­sen, schen­ke ich Ih­nen eins von mei­nen fünf­zehn Os­terei­ern.«