Net Force. Im Auge der Drohne - Jerome Preisler - E-Book

Net Force. Im Auge der Drohne E-Book

Jerome Preisler

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Beschreibung

Jägerin oder Gejagte?

München. Ein renommierter IT-Spezialist kommt zu Tode, seine Tochter verschwindet unter mysteriösen Umständen. Die Hackerin Kali Alcazar will wissen, warum. Immer tiefer dringt sie in gefährliche Gefilde vor, als sie realisiert, dass sie selbst observiert wird: eine seltene, hochentwickelte Drohne folgt ihr überallhin.

Denn das Geheimnis, dem sie auf der Spur ist, hat das Potenzial, die Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern. Eine Gruppe von Kopfgeldjägern macht gnadenlos Jagd auf Kali, und sie sind nicht die einzigen: Mike Carmody und sein Eliteteam der CIA sind ihr ebenfalls auf den Fersen.

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DASBUCH

München. Ein renommierter IT-Spezialist kommt zu Tode, seine Tochter verschwindet unter mysteriösen Umständen. Die Hackerin Kali Alcazar will wissen, warum. Immer tiefer dringt sie in gefährliche Gefilde vor, als sie realisiert, dass sie selbst observiert wird: eine seltene, hochentwickelte Drohne folgt ihr überallhin.

Denn das Geheimnis, dem sie auf der Spur ist, hat das Potenzial, die Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern. Eine Gruppe von Kopfgeldjägern macht gnadenlos Jagd auf Kali, und sie sind nicht die Einzigen: Mike Carmody und sein Eliteteam der CIA sind ihr ebenfalls auf den Fersen.

Diese Novelle ist das Prequel zum Thriller Net Force. Angriff im Dark Web, der im Oktober 2021 im Wilhelm Heyne Verlag erschienen ist.

DERAUTOR

Jerome Preisler ist der Autor von Tom Clancys New York Times-Bestsellerreihe Power Play. Er hat bisher mehr als dreißig Bücher veröffentlicht und als Experte für Militärgeschichte zahlreiche Vorträge an Schulen, in Museen und Militärstützpunkten gehalten. Preisler lebt in New York.

JEROME PREISLER

NACH EINER IDEE VON

TOM CLANCY

UND

STEVE PIECZENIK

Net

Force

Im Auge der Drohne

Aus dem Amerikanischen

von Karlheinz Dürr

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe EYEOFTHEDRONE

erschien erstmals 2020 bei Hanover Square Press

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition is published by arrangement with Harlequin Books S.A.

This is a work of fiction. Names, characters, places and incidents are either the product of the author’s imagination or are used fictitiously, and any resemblance to actual persons, living or dead, business establishments, events or locales is entirely coincidental.

Deutsche Erstausgabe 03/2022

Copyright © 2020 by Netco Partners

Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Werner Wahls

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design

unter Verwendung von Shutterstock.com

(Jantsarik, Syda Productions)

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-26925-8V001

www.heyne.de

Erfüllt der Vogelkönig nicht eilig dein Geheiß? Oder scheint ihm die Entfernung, vom Himmel bis zur Erde, allzu bedrohlich?

NAGUMOMUKANALENI, Karnatischer Gesang, komponiert von Tyagaraja, 18. Jahrhundert

Sie blinzelte und die Sterne wurden zerschmettert.

Winifred Boggs, SALLYONTHEROCKS (1915)

In liebevoller Erinnerung an Charlotte »Lotte« Kleinberg

Vorbemerkung des Autors:

Die Ereignisse dieser Geschichte gehen den Geschehnissen in Net Force: Angriff im Dark Web voraus.

PROLOG

Tessin, Mecklenburg-Vorpommern

April 2023

Königs Blick folgte Munsey Bergmann, die eine Dose Ostfriesentee zur Arbeitsplatte der kleinen Küche trug. Die zierliche weiße Teekanne mit der handgemalten roten Rose und den verschlungenen Blättern stammte aus Königs Heimatdorf in Ostfriesland. Auch Munseys Hände waren zart und bewegten sich so anmutig wie die Schwingen eines fliegenden Schwans.

Er achtete stets darauf, sie nicht zu verunstalten oder gar zu verletzen.

Munsey stand an der Arbeitsplatte, die aus schwarzem Lavagestein gefertigt war. Ihre Hände waren ständig in Bewegung. König genoss es, ihr bei der Zubereitung des Tees zuzuschauen und redete nur selten mit ihr, um sie nicht von der genau geregelten Zeremonie abzulenken. Wie gebannt verfolgte er jede noch so kleine Bewegung und ließ sich für keine Sekunde ablenken, auch nicht durch den Anblick der Landschaft draußen, die über virtuelle Fenster in den Raum übertragen wurde – wo immer »draußen« König hätte sein mögen. Vielleicht an einer Kreuzung in einer europäischen Großstadt oder mitten auf dem Dorfplatz einer winzigen Ortschaft auf einem anderen Kontinent. Mit den Streams hätte er überall auf dem Planeten sein können, und sogar der Blick aus dem Weltall auf die Erde war möglich – ein solches Video könnte ihm von den Satelliten gestreamt werden, die ihm durch eine seiner vielen Tochtergesellschaften gehörten.

An diesem Abend hatte sich König entschieden, ein Fenster zu der unmittelbaren Oberflächenumgebung zu öffnen – dasselbe Bild würden seine Sicherheitsleute auf ihren Monitoren sehen, wenn sie die Sicherheitslage rund um den Bunker kontrollierten. Daher zeigten die virtuellen Fenster die ebene, gepflegte Rasenfläche vor dem Bunkereingang, etwas weiter entfernt ragten Espen und Kiefern aus dem Unterholz, übergossen vom goldenen Licht des Sonnenuntergangs, das den Horizont beherrschte. Am Himmel bemerkte er einen Habicht, der sich von den warmen Luftströmen über den Baumwipfeln langsam in die Höhe tragen ließ. Aber seine bewusste Wahrnehmung war Munsey Bergmann beim Zubereiten des Tees gewidmet.

Für ihn war sie einfach nur schön, sehr schön. Sie war schlank und schmalgliedrig und hatte ihr Make-up genauso aufgetragen, wie er es sich wünschte – roten Lippenstift, blauen Eyeliner und leichtes Rouge auf den Wangen. Ihr strohblondes Haar war fast geometrisch frisiert, mit einer geraden Fransenlinie über der Stirn und zwei Haarspangen an den Schläfen, die ihr Haar streng zurückfassten, es hinter den Spangen aber in Strähnen über den Rüschenkragen ihrer weißen Bluse fallen ließen.

Obwohl sie ihren 25. Geburtstag noch nicht hinter sich hatte, wirkte sie auf König sogar noch jünger, wenn sie ihr attraktives Dirndl trug, das traditionelle Kleid bayerischer Bäuerinnen, das er ihr gekauft hatte.

Er lauschte ihren Bewegungen in der Küche und empfand eine ganz eigene Freude an den kleinen Geräuschen, die sie beim Zubereiten des Tees verursachte. Der Teelöffel klickte leise an den Rand der Teekanne, als sie sorgfältig eine genau bemessene Menge Ostfriesentee hineingab, einen Löffel pro Tasse und einen dritten Löffel für die Kanne. Dann hörte er das leise Rascheln des langen, weiten Rocks um ihre Knie, als sie den Wasserkessel vom Keramikkochfeld nahm und ihn zum Tisch trug. Das fast kochende Wasser zischte scharf, als sie den Kessel über die Teekanne neigte.

Munsey Bergmann goss gerade so viel Wasser in die Kanne, dass die Teeblätter bedeckt waren, griff nach der Kristallschale mit den ostfriesischen Kluntjes und legte mit einer goldenen Zuckerzange ein großes Stück Kandis in jede Tasse.

»Püppchen«, sagte er mit sanfter Stimme.

Sie wandte sich zu ihm, die Zange noch in der Hand. Im Raum schien es still zu werden; nur die Luft strömte flüsternd durch den HEPA-Filter aus diskret verborgenen Düsen in den Bunker.

»Ja, Herr König?«, sagte sie.

»Gunther«, sagte er und ergriff ihre Hand. »Heute wollen wir nicht so förmlich sein.«

Sie schaute ihn an. »Gunther.«

»Ich will dir noch ein paar Fragen über deinen Vater stellen«, fuhr er fort und schaute sie mit seinen hellblauen Augen ernst an. »Wo er die Informationen gespeichert hat. Aber zuerst kommt der Tee. Er darf nicht zu lange ziehen.«

Munsey nickte, entzog ihm sanft die Hand, nahm die Zange in die andere Hand und holte den Kessel wieder von der Arbeitsfläche. Sie füllte die Kanne bis knapp unter den Rand mit dampfendem Wasser. Schließlich goss sie den Tee durch ein kleines Sieb über die Kluntjes in den Tassen.

Zuerst in seine Tasse, dann in ihre eigene.

König beobachtete sie unablässig, als sie die Kanne hinstellte und einen kleinen Klecks Sahne in jede Tasse tat. Er hatte ihr die strikte Anweisung gegeben, dass die Sahne erst hinzugefügt werden dürfe, wenn sie Zimmertemperatur erreicht hatte. Er mochte es nicht, wenn sie direkt aus dem Kühlschrank kam, denn dann würde sie den Tee zu schnell abkühlen und die höchst empfindliche Mischung der Aromen zunichtemachen.

Sie kam um den Tisch und stellte seine Tasse mit der Untertasse vor ihn hin auf das Tischtuch. Das Porzellan klirrte leise in ihrer Hand. Danach sank sie auf ihren Stuhl und starrte ihn über den Rand ihrer Tasse erwartungsvoll an.

König nahm sich Zeit, bis er die Tasse vom Tisch nahm. Er sah die Angst in ihrem Blick und hielt kurz inne, bevor er die Tasse an die Lippen hob, um noch einen letzten Blick auf die kleine weiße Sahnewolke zu werfen, die mitten im Tee schwamm. Dann schaute er ihr wieder in die Augen.

Sein Blick bohrte sich förmlich in ihre Augen, während er auf das leise Summen der sterilen, klimatisierten Luft lauschte.

»Sag mir, wo er seine Daten speicherte«, sagte König schließlich. Er schenkte ihr noch einmal ein halb trauriges, halb mitleidiges Lächeln, wobei sich sein Mund ein wenig öffnete, sodass eine Reihe perfekt weißer Zähne kurz aufblitzte. »Sag es mir.«

Sie starrte ihn noch einen kurzen Moment mit bebenden Lippen an. Dann schüttelte sie langsam den Kopf.

»Ich weiß es nicht. Ich schwöre, ich weiß …«

»Nein«, fiel er ihr ins Wort, »ich glaube dir nicht. Du sagst mir jetzt die Wahrheit, sonst muss ich dich wieder bestrafen.«

Munsey blinzelte zweimal; ihre Augen leuchteten feucht und hell. Dann begann sie zu weinen, schließlich tief zu schluchzen. König sah eine blauschwarze Verfärbung auf ihren blassen weißen Wangen, wo die Tränen das Wangenrot weggewaschen hatten.

»Hör auf.« Er wollte die blauschwarzen Blutergüsse und Schwellungen nicht sehen, die nun durch das Make-up schimmerten. »Hör sofort auf.«

Aber sie hörte nicht auf. Sie weinte weiter, Brust und Schultern bebten und zuckten, als sie zwischen den Schluchzern mit kurzen, feuchten Atemzügen nach Luft schnappte.

In Königs Brust ballte sich eiskalte Wut zusammen. Er stellte die Tasse hart auf die Untertasse zurück und streckte sich über den Tisch. Seine Hand schoss vor und packte ihr Handgelenk. Die Tasse kippte mit lautem Klappern um und die Untertasse zersprang in zwei große Stücke. Sein Tee ergoss sich über das Tischtuch und verfärbte es dunkelbraun.

Er hörte das Getränk vom Tisch auf den Boden tropfen; das Geräusch mischte sich mit dem Schluchzen, das nun unkontrollierbar aus ihr hervorbrach, und zerstörte endgültig die Stille im Raum.

»Du hast meinen Tee verschüttet«, sagte er, nahm ihre Lippen zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte sie. »Durch deine Lügen ruinierst du alles. Du weißt, was das bedeutet.«

Vor Schmerzen und Todesangst riss sie die Augen weit auf. Er drehte ihre Lippen noch weiter, bis sie sich mit kaum unterdrücktem Wimmern zusammenkrümmte.

König packte ihr Handgelenk mit eisernem Griff und stand auf, ohne sie loszulassen, bis er in voller Höhe seiner Einsachtzig über dem kindlichen Mädchen aufragte. Mit seinem massigen Nacken, dem breiten Brustkorb und den muskulösen Armen hatte er die typische Statur eines Mannes, der das Bankdrücken als Kraftsport mit großem Eifer betrieb.

Mit zwei weiten, gleitenden Schritten kam er um den Tisch, ohne ihr Handgelenk loszulassen. Er trat hinter ihren Stuhl, nutzte seinen muskulösen Körper als Gegengewicht, als er sie mühelos aus dem Stuhl hob und auf die Füße stellte. Er spürte ihre warmen Tränen, die ihm über die mit Lippenstift beschmierten Finger rannen, und fühlte die Luftströme ihrer hektischen Atemzüge, die über seine Handknöchel strichen.

Ruiniert, dachte er. Die Teezeremonie, der ganze Abend. Alles ruiniert und zerstört. Und noch immer keine Informationen. Aber damit wollte er sich nicht abfinden. Das konnte er nicht.

Er beugte sich vor, bis sein Mund auf ihrem Ohr lag, hing über ihr, bog ihren Arm hinter ihren Rücken.

»Du wirst mir jetzt sagen, wo ich die Information finde«, sagte er. »Früher oder später wirst du es mir verraten.«

Munsey Bergmann wehrte sich, versuchte sich aus seinem Griff zu befreien.

Aber König ließ sie nicht los.

I

München, Deutschland

Mai 2023

Kali Alcazar blickte kurz zum Himmel, als sie zu ihrem Motorrad zurückging, wobei sie sorgfältig darauf achtete, nicht zu erkennen zu geben, dass sie das Objekt bemerkt hatte, das sich am Himmel bewegte. Ein schwarzer, stecknadelkopfgroßer Punkt, der sich kaum sichtbar vor dem blauen Himmel abzeichnete. Er war ihr von ihrem Airbnb-Apartment in der Ruppertstraße gefolgt und hatte sie auch noch weiter begleitet, nachdem sie ihr Bike am Sendlinger Tor geparkt hatte, dem südlichen Stadttor der historischen Münchener Altstadt.

Sie hatte das Objekt vor drei Tagen zum ersten Mal bemerkt.

Kali senkte sofort wieder den Blick und überquerte den Platz, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Ihr dunkles Haar mit den violetten Strähnen war lose über dem Nacken zusammengebunden. Sie trug eng anliegende schwarze Biker-Lederbekleidung, einen roten Biker-Schlauchschal, einen gerippten Pullover unter der Lederjacke und Leder-Schnürstiefeletten. Ein Bluetooth-Helm hing an ihrem Ultraleicht-Nylonrucksack, den sie über eine Schulter gehängt hatte. In ihrer Einkaufstasche lag ein frisch gebackenes, noch warmes Krustenbrot aus einer Bäckerei am Platz.

Im Rucksack befanden sich ihr Laptop, ihr Tablet und zwei Postpakete – ein sehr kleines und ein mittelgroßes; ferner ragte eine dreißig Zentimeter lange rohrförmige Versandhülse aus dem Rucksack hervor. Mit einer Alias-Kreditkarte und einem Käuferkonto auf denselben Namen hatte sie die Käufe online getätigt, die Pakete durch einen Postweiterleitungsdienst im Fürstentum Liechtenstein über Nacht liefern lassen und sie kurz zuvor vom Postamt am Bahnhofsplatz abgeholt.

Es war kurz nach acht Uhr an einem frischen, sonnigen Frühlingsmorgen. Nur wenige Frühaufsteher schlenderten an diesem Samstagmorgen über das Kopfsteinpflaster des breiten Platzes. Auch auf den am Platz vorbeiführenden Straßen herrschte um diese Zeit nur geringer Verkehr. In der leichten Brise konnte Kali den Duft der Bäckerei riechen, in der sie das Holzofenbrot gekauft hatte.

Sie genoss den Duft, als sie unter dem verwitterten Backsteintor hindurchging.

Ihr Bike stand in einer Reihe von ansonst leeren, markierten Parkflächen, eine schlanke Ducati Diavel Carbon mit rotem Chassis, schwarzer Gabel, schwarzem Sitz, schwarzen Kotflügeln und rotem Glasfibertank – die in der Welt der Motorradfans heißgeliebte Version Baujahr 2014, die einfach nur Teufel genannt wurde, hier allerdings in der Zusatz-Ausstattung mit dem Ducati Quick Shift, der das Einlegen der Gänge ohne Betätigung der Kupplung und somit eine schnellere Beschleunigung ermöglichte. Als Kali bei ihrem Bike ankam, zog sie ihr Smartphone aus der Tasche am Oberarm, die mit kaum sichtbarem Reißverschluss versehen und innen mit einer mikrodünnen Aluminiumlegierung ausgekleidet war, um GPS-Tracker zu blocken. Eine einfache, von ihr selbst entwickelte App nutzte die Near-Field-Antenne und den Magnetometer des Mobiltelefons, um aktive Wanzen aufzuspüren, die während ihrer Abwesenheit möglicherweise am Chassis des Bikes angebracht worden waren.

Sie blieb fast eine Minute lang neben dem Bike stehen, als wollte sie nur kurz ihre E-Mails auf dem Telefon abrufen. Als die elektromagnetischen Emissionen nichts Ungewöhnliches anzeigten, schob sie das Phone wieder in die Oberarmtasche, verstaute die Einkaufstüte und das Brot in der Satteltasche, setzte den Helm auf und stieg auf das Bike. Sie stand aufrecht, das Bike zwischen den Schenkeln, und drückte auf den Schalter an der rechten Lenkerseite, um die LED-Anzeigen und anderen Bordsysteme zu aktivieren. Dann kickte sie den Seitenständer zurück, drückte den Schalter herab, um den Startknopf freizulegen, und hielt diesen für zwei oder drei Sekunden gedrückt.

Die Dukati schüttelte sich wie eine Wildkatze, die aus dem Schlaf erwacht. Auf der Lindwurmstraße waren keine Autos zu sehen; Kali gab ein wenig mehr Gas als nötig, jagte in westlicher Richtung auf die breite Alleenstraße hinaus und ließ das Sendlinger Tor und die Altstadt hinter sich zurück.

Sie glitt schnell am Südeingang des Nussbaumparks vorbei, einem öffentlichen grünen Park, der teilweise noch immer im langen Schatten der St. Matthäuskirche lag. Auf den großen Rasenflächen wurden gerade Stände, Buden, Zelte und überdachte Tische für eine Wochenendausstellung aufgebaut. Ein großes, handgemaltes Banner, das quer über den Eingang gespannt war, verkündete:

Mini-Selbermacher-Messe München

6.-7. Mai

Kali warf einen Blick über die Schulter zurück auf die Ecke der Ziemssenstraße, einer Querstraße, die an der Westseite des Parks vorbeiführte. Dort waren die Aussteller dabei, ihre auf den Stellplätzen geparkten Vans und Transporter zu entladen.

In den Jahren zuvor war sie meist frühzeitig zur Messe gekommen, um mit den Tüftlern und Erfindern zu reden, in den vielen Retro Games und selbstgemachten Videospielen zu stöbern, die auf den Tischen hoch aufgestapelt waren, und vielleicht auch den einen oder anderen alten Freund wieder mal zu treffen. Doch jetzt war sie aus anderen Gründen in München. Zu diesen Gründen zählte auch der Tod ihres alten Freunds Eric Bergmann und – kurz danach – das spurlose Verschwinden seiner Stieftochter Munsey.

Sie gab Gas, um noch vor Rot über eine Kreuzung zu kommen.

Ein kurzes Stück weiter unten in der Ziemssenstraße erbebte ein auf einer Parkfläche schräg geparkter weißer Lieferwagen, als die Ducati vorbeiröhrte. Er stand unter einer Reihe schattiger Bäume direkt neben den Transportern der Aussteller, aber seine Türen und die Heckklappe waren geschlossen. Es war ein völlig neutraler Kastenwagen, ohne Fenster im Laderaum und ohne Firmenaufschrift.

Drei Männer saßen darin, zwei im hinteren Teil, hinter einer dünnen Metalltrennwand mit offenem Durchgang zur Fahrerkabine. Dort saß der dritte Mann; er hielt einen Becher mit schwarzem Kaffee in der Hand und schmatzte genießerisch. Gerade hatte er sein zweites Schokocroissant an diesem Morgen verzehrt.

»Noch nie bessere gegessen«, erklärte er den beiden anderen, während er sich nach dem Motorenlärm umschaute und gerade noch einen Blick auf die Ducati erhaschte. »Wie der Kuss eines Engels.«

Seine beiden Kollegen im Laderaum waren zu sehr beschäftigt, um auf sein Geplauder einzugehen. Mike Carmody war ein großer, muskulöser Mann mit breitem Brustkorb, kurzem blondem Bürstenhaarschnitt und unauffälligen Gesichtszügen. Er trug ein langärmeliges olivgrünes T-Shirt, eine schwarze Chinohose und eine SIG Sauer P226-Pistole Kaliber 9mm in einem Holster. Rechts und links neben dem Schlüsselbein ragten die oberen Ränder von Tätowierungen hervor, die man, wären sie vollständig sichtbar gewesen, als äußerst präzise ausgeführte Längen- und Breitengrad-Koordinaten erkannt hätte. Die Daten auf der rechten Seite gaben die Koordinaten der Chephren- und der Menkaure-Pyramiden an, die auf der linken Seite die der Cheops-Pyramide, die sich in der Nähe der Großen Sphinx von Gizeh befand. Die Tätowierungen gehörten zu einem Körper-Gesamtkunstwerk, das vermutlich eine Geschichte erzählte, welche Carmody allerdings noch niemandem in voller Länge erzählt hatte.

Der andere Mann hinten im Transporter hieß Dixon, war dunkelhaarig und sogar noch etwas muskulöser als Carmody, aber ähnlich gut durchtrainiert. Er trug ein weißes T-Shirt und Levis und hatte eine Virtual-Reality-Brille aufgesetzt. An einer Halskette hing ein großes goldenes Medaillon, auf dem das Special-Warfare-Logo der U.S. Navy SEALs, ein Adler mit einem Dreizack in den Klauen, eingraviert war.

Beide Männer saßen vor einer Workstation, die sich über die gesamte Seitenwand erstreckte. An der Wand über ihren Computerkonsolen waren mehrere Flachbild-Monitore installiert. Einer der Screens zeigte die Videoaufnahmen, die von der Drohne zunächst zu einem Satelliten in der Erdumlaufbahn gesendet wurden, der sie zu einer haifischflossenförmigen Antenne auf dem Dach des Transporters zurückwarf.

Die VR-kompatible Kamera der Drohne folgte der Frau, die auf ihrer Ducati die Lindwurmstraße entlangröhrte.

»Was meinst du, hat sie unseren Vogel bemerkt?«, fragte Dixon, der sie durch seine VR-Brille beobachtete.

Carmody studierte dasselbe Bild auf seinem Monitor, das er allerdings zweidimensional eingestellt hatte. Er hatte heterochromatische Augen – ein Auge war dunkelbraun, das andere ein helles Haselnussbraun mit feinen gelbbraunen Linien, die von der Pupille ausstrahlten. Das hellbraune Auge ermüdete recht schnell.

»Möglich«, meinte er nach kurzem Zögern.

»Bauchgefühl?«

»Unser Mädchen hat jedenfalls einen guten Brotgeschmack.«

»Sie sollte mal die Croissants probieren«, warf der Mann in der Fahrerkabine ein, der Schultz hieß.

»Und warum ist es wichtig, welches Brot sie mag?«, erkundigte sich Dixon.

»Das ist jetzt vielleicht nicht wichtig«, antwortete Carmody, »könnte aber irgendwann wichtig werden.«

Dixon ließ sich das durch den Kopf gehen. Sein Teamleader war nicht dafür bekannt, dass er unnützes Zeug redete.

»Ich glaube, sie hat etwas bemerkt«, sagte er, womit er wieder zu seiner ersten Frage zurückkehrte. »Kurz bevor sie auf das Bike stieg.«

Carmody erwiderte nichts darauf. Der Hexacopter war ihnen für diese Mission vom Bundesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt worden, Deutschlands wichtigstem Inland-Nachrichtendienst. Mit seinen sechs in alle Richtungen herausragenden Rotorarmen glich er ein wenig einem Krebs. Im Moment flog er in rund 600 Metern Höhe und war somit leichter zu bemerken, als es Carmody lieb gewesen wäre. Aber in München war, wie allgemein in Deutschland, die zulässige Flughöhe für Drohnen auf 100 Meter begrenzt; für die derzeitige Flughöhe der Drohne hatten die zuständigen Behörden eine Sondergenehmigung erteilen müssen. Carmody wollte ihre Geduld nicht noch mehr auf die Probe stellen, indem er die Drohne noch höher und damit in die Flugzone steigen ließ, die Flugzeugen und Hubschraubern vorbehalten war.

»Wenn sie unseren Vogel bemerkt hat, werden wir eben entsprechend reagieren müssen«, sagte er.

»Du klingst nicht besonders besorgt«, bemerkte Dixon. »Vor allem, wenn man bedenkt, wie oft sie uns schon entwischt ist.«

Carmody zuckte die Schultern. »Ich weiß, was ich weiß. Was ich nicht weiß, muss ich eben herausfinden. Jedenfalls hat sie irgendetwas vor. Etwas, das so wichtig ist, dass sie eigens dafür nach Deutschland reist. Und ich habe vor herauszufinden, worum es geht. Darauf kannst du dich verlassen.«

Die Airbnb-Wohnung, die Kali für 1300 Euro pro Monat gemietet hatte, lag in der Ruppertstraße, in einem renovierten fünfstöckigen Wohngebäude aus den 1980er-Jahren, zu dem eine Tiefgarage gehörte. Kali bog von der Lindwurmstraße nach links in die Ruppertstraße ein, fuhr zwei Gebäudeblocks weiter und bog dann in die Zufahrt der Tiefgarage ein. Sie parkte das Bike in der Nähe der Tür zum Treppenhaus, das auch als Notausgang diente. Sie nahm ihren Helm ab, holte den Brotlaib aus der Satteltasche und ging zum Lift.

Sie fuhr bis zum vierten Stock hoch und ging bis zum Ende des Flurs, an mehreren anderen Wohnungstüren vorbei. Ihre Wohnung war die letzte in der Reihe, eine Einzimmerwohnung mit offener Kochnische und Badezimmer. Das Hauptzimmer war Wohn-, Schlaf- und Esszimmer zugleich. Dem Eingang direkt gegenüber befanden sich zwei Fenster, die nach Südwesten auf die von Bäumen gesäumte Straße hinausgingen. Die Wohnung war mit einem großen Esstisch, einem Schreibtisch in einer Ecke, einem Sofa und ein paar bequemen Stühlen möbliert und verfügte über einen an der Wand montierten Fernseher. Sie war hell und makellos sauber; die Armaturen in Küche und Bad waren modern. An den Wänden hingen ein paar gerahmte Fotos von historischen Sehenswürdigkeiten der Stadt.

Kali war zufrieden; für ihre Zwecke war die Wohnung gut geeignet.

Sie ließ den Rucksack von den Schultern gleiten und stellte ihn auf einen Stuhl, zog Jacke und Bikerstiefel aus, wusch die Hände in der Küchenspüle und bereitete ein leichtes Frühstück vor: eine Kanne Kaffee und zwei dicke Scheiben Holzofenbrot mit Butter und Erdbeermarmelade. Bevor sie sich an den Tisch setzte, zog sie die Jalousien hoch und öffnete beide Fenster, um die Sonne und frische Luft hineinzulassen. Die leichte Brise ließ die Baumwipfel draußen leise rauschen. Den dunklen Stecknadelkopf entdeckte sie sofort wieder, der ihr von der Altstadt gefolgt war und nun hoch über der Straße am Himmel hing. Eine gedachte Linie von der Mitte der Ruppertstraße würde schräg nach oben direkt zu dem schwebenden Punkt führen.

Kali aß langsam und blickte immer wieder kurz durch das Fenster. Das Brot und die Erdbeermarmelade schmeckten köstlich und der Kaffee war stark und schwarz. Der Punkt am Himmel schwebte immer genau an derselben Stelle. Sie schätzte die Flughöhe auf 300 bis 600 Meter.

Sie hatte ihr Frühstück fast beendet, als der Punkt plötzlich in nördlicher Richtung davonschoss.

Sie stellte eine kurze Berechnung an. Den Punkt hatte sie am Morgen bemerkt, als sie das Haus verließ. Die Fahrten zur Altstadt und zurück hatten jeweils fünf bis sieben Minuten gedauert, ihre Einkäufe eine gute halbe Stunde. Seit ungefähr einer Viertelstunde saß sie am Frühstückstisch. Das bedeutete, dass sich die Drohne seit ungefähr einer Stunde in der Luft befand.

Sie trug das Geschirr zur Spüle. Eine zivile Drohne konnte durchschnittlich 30 bis 40 Minuten in der Luft bleiben, bevor ihre Akkus aufgeladen werden mussten. Aber diese Drohne war weit höher geflogen, als es zulässig war, und Kali hatte keine Anzeichen für nachlassende Geschwindigkeit oder Höhe bemerkt. Das bedeutete, dass es eines der neueren, weiterentwickelten Modelle sein musste, dessen Akkuzellen im Flug aufgeladen werden konnten.

Derartige Drohnen waren sehr teuer. Und das galt auch für die Boden-Luft-Ladegeräte, die mit Laserstrahlen die Solarzellen an der Unterseite der Drohne zur Stromerzeugung anregten. Kali schätzte die Kosten eines solchen Systems auf ungefähr eine Million Dollar, ein Betrag, den nur wenige Polizeibehörden als Ausgabenposten verbuchen konnten. Aber die Bundeswehr konnte das sicherlich. Und auch ein Geheimdienst wie das BfV oder eine internationale Polizeibehörde wie Interpol. Und natürlich die CIA …

Oder vielleicht auch ein wohlhabender Privatmann wie Gunther König. Das Ungeheuer, das Kali für das verantwortlich machte, was Eric und Munsey Bergmann zugestoßen war – und noch für so viele andere Verbrechen, dass man sie gar nicht mehr aufzählen konnte.

Sie verdrängte diese Gedanken – es gab zu viel zu tun. Wem die Drohne gehörte und woher sie kam, war momentan nicht ihre größte Sorge. Die Luftaufladung der Akkus konnte natürlich nur in direktem Sichtkontakt erfolgen, die Drohne musste daher in relativ naher Flugdistanz zum Lasergerät bleiben, um sicherzustellen, dass sie in Sichtkontakt zurückkehren konnte, bevor sich die Akkus völlig leerten. Wenn Kali erst einmal die Energiequelle – das Lasergerät – ausfindig gemacht hatte, würde ihr wahrscheinlich auch ziemlich schnell klar werden, wer hinter dieser Observation steckte.

Zunächst einmal wandte sich Kali wieder ihrem Rucksack zu. Sie nahm verschiedene Päckchen heraus, breitete sie auf dem Tisch aus und machte sich an die Arbeit. Es musste alles fertig sein, bevor die Drohne zurückkehrte.

Sie holte ein Schweizer Armeemesser aus der Tasche, klappte eine der Klingen heraus und schlitzte die größere der beiden Schachteln auf, die auf dem Tisch lagen.