NEU-SEH-LAND - Ulla Peffermann-Fincke - E-Book

NEU-SEH-LAND E-Book

Ulla Peffermann-Fincke

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Beschreibung

Die Augen sind ein Wunderwerk. Als Sehorgan bestimmen sie aber nicht nur, was wir wahrnehmen, sondern vor allem, wie wir etwas sehen. Denn oft ist uns nicht bewusst, dass jedes Sehen eigentlich schon eine Interpretation der Wirklichkeit ist. Für Ulla Peffermann-Fincke steht deshalb in diesem Buch das Auge nicht nur als Sinnesorgan im Vordergrund, sondern gerade auch als Vermittler von Eindrücken und deren Wirkung. Als Referentin in Kursen zur Persönlichkeitsentwicklung erlebt sie immer wieder, wie unterschiedlich die Sichtweisen sind, wie verschieden das Denken und Fühlen sein kann - manchmal so verschieden, dass man glaubt, der andere lebe "auf einem anderen Stern". In dieser Unterschiedlichkeit liegt Zündstoff - und ein enormer Reichtum, wenn man sich darauf einlässt, Lernender zu bleiben, immer wieder Neuland zu entdecken, indem man eine andere Perspektive wagt. Sich auf diesen Prozess einzulassen, bedeutet zuzugeben, dass man sich geirrt hat. Es bedeutet aber auch, lebendig zu sein und zu bleiben, offen zu sein für neue Bilder und Eindrücke und über sich hinauszuwachsen, indem man verkrustete und eingefahrene Sichtweisen überwindet - immer wieder!

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Seitenzahl: 130

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2023

ISBN 978-3-7365-0509-4

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024

ISBN 978-3-7365-0602-2

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher

Lektorat: Marlene Fritsch

Covergestaltung: Finken und Bumiller, Stuttgart

Covermotiv: Photobank.kiev.ua / shutterstock.com

www.vier-tuerme-verlag.de

Ulla Peffermann-Fincke

NEU SEH LAND

Was zu gewinnen ist, wenn man die Perspektive wechselt

Vier-Türme-Verlag

Inhalt
Aufbruch
Ansichtssache
Sehen und gesehen werden
Augenblicke
Die Kraft der Bilder
Hingucken oder weggucken?
Ich sehe was, was du nicht siehst
(Optische) Täuschungen und Enttäuschungen
Vorstellungen und Visionen – die inneren Bilder
Schönheit liegt im Auge des Betrachters
Stop – Look – Go
Blinde Flecken
Blind und doch sehend?
Das innere Auge
Eine kleine Philosophie des Sehens
Dank
Weiterführende Literatur

Aufbruch

Urlaub. Endlich wieder verreisen, ein neues Land sehen. Gespannte Vorfreude. Unterwegs zum Ziel ein Gefühl von Leichtigkeit und Freiheit, das Alte lasse ich hinter mir, mit jeder Reise beginnt ein neues Lebenskapitel. Wie wird es wohl werden?

Meine Augen nehmen alles Neue auf, mein Blick ist geschärft, schweift umher. Ich mache mir – im wahrsten Sinn des Wortes – ein Bild von meiner Umgebung. Hatte ich mir das so vorgestellt? Werden meine Erwartungen erfüllt oder sogar übertroffen oder bin ich enttäuscht? Ist der erste Eindruck angenehm oder eher verunsichernd, weil zu fremd, zu exotisch? Von allen Sinnesorganen geben mir die Augen die Haupt­information, um mich zurechtzufinden. Was sehe ich und was lösen die Bilder in mir aus?

Meine Freundin begleitet mich, und es wird schnell klar, dass sie vieles anders sieht als ich. Aber wir sehen doch das Gleiche, oder?! Doch was ich abstoßend finde, findet sie originell, was ich schön finde, findet sie kitschig, was ihr Angst einflößt, finde ich spannend.Außerdem sieht sie Dinge, die ich gar nicht im Blick habe, und umgekehrt. Gleiche Bilder – unterschiedliche Deutung. Offensichtlich haben wir verschiedene Sichtweisen.

Kann ich ihre Sichtweise einnehmen und sie meine? Das ist leichter gesagt als getan. Wir reden und begründen unsere Sichtweisen, sie scheinen tief in uns verwurzelt zu sein, basieren auf Erfahrungen und Überzeugungen – und die sind nun mal sehr unterschiedlich.

Auch ohne Freundin kann ich mich fragen, warumich die Dinge sehe, wie ich sie sehe, und mir somit selbst auf die Spur kommen. Ich mache auf der Reise die erstaunliche Entdeckung, dass ich neu sehen lernen kann – im genaueren Hinsehen, im Anders-Sehen, im Weiter- und Tiefer-Sehen. Ich habe die Freiheit, meine Augen, meine Aufmerksamkeit auszurichten, zu fokussieren, Dinge in den Blick zu nehmen und anderes großzügig zu übersehen. Ich habe die Wahl. Ich kann meinen Blick nach außen oder nach innen richten, nachspüren, was die Bilder in mir auslösen. So wie sich mein äußerer Horizont erweitert, weitet sich auch mein inneres Land. Die Reise lässt mich ahnen, wie reich mein Leben ist. Es ist schön, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen!

Jedes Leben ist einzigartig und somit auch jede Lebensreise. Immer wieder werden wir mit neuen Eindrücken konfrontiert. Was wir daraus machen, wie wir sehen (wollen), das hängt von unserer Sichtweise, von unserer Perspektive ab. Hierin sind wir nicht festgelegt, sondern wir können unseren Blick weiten, die Perspektive wechseln und uns öffnen für neue Erfahrungen.

Entdecken Sie das Sehen als ein wunderbares Instrument, Ihr Leben zu bereichern. Dazu möchte dieses Buch einladen.

Ansichtssache

Die Augen sind ein Wunderwerk, davon bin ich überzeugt. Deshalb habe ich den Beruf der Orthoptistin gewählt. Ich prüfe bei meinen meist kleinen Patienten nicht nur die Sehschärfe, sondern auch die Qualität der Zusammenarbeit beider Augen, ob sie schielen oder nicht und ob die Motorik der Augen, also der Bewegungsapparat beider Augen, in Ordnung ist. Es ist für die meisten von uns zum Glück ganz selbstverständlich, dass wir »normal«, also gut sehen. Erst wenn wir verschwommen sehen, unscharf und sogar doppelt, wird uns auf einmal bewusst, wie wichtig ein klares und scharfes Sehen ist.

Ich selbst kenne die Verunsicherung, nicht (mehr) gut zu sehen. Als Neunjährige kam ich am Gymnasium in eine große Klasse. Schüchtern wie ich war, blieb nur noch ein Platz in der letzten Reihe für mich frei – und ich sah überhaupt nicht mehr richtig, was sich vorne abspielte. Die neue Lehrerin schrieb ihren Namen an die Tafel und ich konnte nichts lesen. Das war ein großer Schreck, obwohl mir vorher schon klar war, dass andere Menschen besser sehen als ich. Nun musste ich meinen ahnungslosen Eltern erzählen, wie es um mein (Nicht-)Sehen stand, und bekam daraufhin wegen meiner Kurzsichtigkeit eine Brille. Ich mochte sie überhaupt nicht, dieses hässliche Kassengestell, und nun war ich mit drei anderen Kindern in der Klasse die »Besondere« mit Brille. So war das damals noch. Aber was für eine Offenbarung, nun alles scharf sehen zu können, jedes Detail, ohne nah herangehen zu müssen!

Nun, im fortgeschrittenen Alter, habe ich wieder das gleiche Problem. Die Sehschärfe lässt nach, ist aber nun durch Brillengläser nicht zu verbessern. Und obwohl ich ja »vom Fach« bin, war ich erstaunt, eine Linsentrübung, den sogenannten grauen Star, zu haben. Eigentlich bekommt man den doch erst im Alter, dachte ich. Aber offensichtlich war ich schon »in dem Alter«! So wurde ich operiert, bekam eine künstliche Augenlinse und sehe seitdem wieder glasklar. Erneut eine Offenbarung, verbunden mit großer Dankbarkeit für unsere Medizin und die Operateure.

Aber wir können heute nicht nur die Optik des menschlichen Auges verbessern. Dank neuer Technologien, Mikroskope und Teleskope erweitert sich das optische Spektrum unseres Sehens ständig. Wir können einerseits kleinste Teilchen erkennen und blicken andererseits immer weiter in das unendliche All.

Bei aller Begeisterung für das Sehen stellten sich mir die Fragen:

Was machen wir eigentlich mit den Eindrücken, die wir sehen?Wie interpretieren wir das, was wir sehen?Wie prägt uns das, was wir gesehen und erlebt haben?

Es interessiert mich, das Auge nicht nur als Sinnesorgan, sondern als Vermittler von Eindrücken und deren Auswirkung zu betrachten. Nicht nur, was ich sehe, ist von Bedeutung, sondern noch spannender, wie ich Bilder sehe und was sich daraus ergibt.

Als Referentin für Kurse zur Persönlichkeitsentwicklung erlebe ich, wie unterschiedlich unsere Sichtweisen sind, wie andersartig unser Denken und Fühlen sein kann. Oft so krass, dass wir glauben, der andere lebe »auf einem anderen Stern«. In dieser Verschiedenheit liegt Zündstoff, aber auch ein enormer Reichtum, der mich immer wieder staunen lässt.

Ich bin überzeugt, der Mensch bleibt ein Lernender – ein Leben lang. Sich diesem Prozess zu stellen, bedeutet, lebendig zu sein, offen zu sein für neue Bilder, Eindrücke und Sichtweisen, bedeutet auch, sich getäuscht zu haben, Fehler zu machen, immer wieder, aber auch, über sich hinauszuwachsen – immer wieder!

Faszination Auge

Wenn wir etwas in den Blick nehmen und fixieren, richten wir unsere Augen so aus, dass das Objekt, das wir anschauen, auf der Makula der Netzhaut abgebildet wird. Das ist die Stelle des schärfsten Sehens in unserem Auge. In der Makula drängen sich enorm viele Zapfenzellen – rund 6 Millionen auf nur wenigen Quadratmillimetern –, die für das zentrale Sehen zuständig sind. Nur aufgrund der Dichte dieser Zellen ist eine hundertprozentige Sehschärfe möglich. Insofern ist die These des Ophthalmologen Marc Amsler berechtigt, dass diese fünf Quadratmillimeter der Netzhaut mit die wertvollsten des ganzen menschlichen Organismus sind. Drei Millimeter von dieser zentralen Stelle entfernt, finden sich deutlich weniger Zapfenzellen pro Quadratmillimeter und die Sehschärfe sinkt auf dreißig Prozent, zehn Millimeter entfernt erreicht man nur noch eine zehnprozentige Sehschärfe.

Voraussetzung für ein scharfes Sehen ist, dass die sogenannten brechenden Medien (die durchsichtige Hornhaut und Linse sowie der Glaskörper, der den Augapfel ausfüllt) klar sind und die Optik stimmt, sodass ein Bild überhaupt scharf auf der Netzhaut abgebildet werden kann. Erst dann können die Zellen der Netzhaut ein gutes Bild mittels elektrischer Impulse an die Sehrinde im Hinterhaupthirn weitergeben.

Das Auge ist nicht nur ein Sinnesorgan, sondern die Netzhaut ist zudem ein Teil des zentralen Nervensystems. Untersucht man die Netzhaut, so schaut man praktisch ins Gehirn. Neueste Forschungen bestätigen, dass sich an der Netzhaut degenerative Erkrankungen des Gehirns ablesen lassen.

Sehen und gesehen werden

»Hier geht’s doch nur um Sehen und Gesehenwerden!«, so meinte meine Freundin kürzlich – sie sprach von der Hafenpromenade in Saint Tropez. Sehen und gesehen werden, so vermuten wir etwas abschätzig, sei nur das Bedürfnis der Reichen und Schönen, die eine Bühne brauchten, um sich dieser Welt zu präsentieren. Ist das so? Von wegen! Gesehen zu werden ist unser aller Wunsch, der mal mehr oder weniger kaschiert wird.

Ein Säugling muss sich in den ersten Lebensmonaten im »Glanz der Augen der Eltern« spiegeln, um sich gut zu entwickeln. Das Kind braucht die freundlich-stolze Aufmerksamkeit der Eltern, um seelisch gesund zu sein, so der Psychoanalytiker Heinz Kohut. Da fängt es also schon an mit dem Sehen und dem Gesehenwerden, diesem Wechselspiel, das offensichtlich von klein an Bedeutung hat.

Als Orthoptistin untersuche ich Lisa, sechs Monate alt, auf dem Schoß ihrer Mutter. Lisa soll zu meiner Taschenlampe sehen, aber weder das Licht noch der Fixierstab mit den netten Bildchen interessiert sie – sie schaut gebannt auf mich, nimmt Blickkontakt auf. Lebendige Gesichter sind spannender als tote Gegenstände. Ich genieße die Intensität, als würden wir uns gegenseitig erkennen und staunen, dass es uns gibt. Wir brauchen den Blickkontakt, diese Verbindung über die Augen, ein Leben lang, immer wieder neu. Nicht gesehen, übersehen zu werden, tut weh, vermittelt es doch das Gefühl, bedeutungslos zu sein, nicht dazuzugehören.

In der Bibel gibt es eine interessante Geschichte dazu: Hagar, eine ägyptische Frau, arbeitet als Sklavin für Abraham und seine Frau Sara. Da Sara nicht schwanger wird, zeugt Abraham mit Hagar einen Sohn. Doch kaum ist er auf der Welt, wird sie verstoßen, weil Sara eifersüchtig ist. Hagar flieht mit ihrem Sohn Ismael in die Wüste. Dort wird sie von einem Engel mit ihrem Namen angesprochen. Hagar spürt, dass sie nicht allein ist. Sie preist Gott, weil er sie sieht, nach ihr schaut. Danach geht sie mutig ihren Weg. Gesehen zu werden macht stark! Wenn wir also meinen, von allen Menschen verlassen zu sein, nicht mehr gesehen zu werden, dann kann es tröstlich sein, mir bewusst zu machen, dass ich nicht ganz und gar übersehen werde. Die Bibel erzählt von einem Gott, der an mir interessiert ist. Das kann mir neues Selbstbewusstsein und neue Kraft geben.

Das Bedürfnis, zu sehen und gesehen zu werden, reicht über den Tod hinaus. Wenn wir an unseren eigenen Tod denken und das, was womöglich danach kommt, ist die Sehnsucht groß, dann unsere Liebsten, die vor uns gegangen sind, in irgendeiner Form wiederzusehen. Wie genau das Sehen dann sein wird, können wir uns nicht vorstellen, aber der Wunsch ist einfach da. Als gläubiger Mensch möchte ich auch endlich Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Nicht nur, dass er mich sieht, sondern ich ihn! Meinem Onkel hat diese Hoffnung bzw. die Freude darauf so viel Kraft gegeben, dass er loslassen und in Frieden sterben konnte. Der US-amerikanische Franziskanerpater Richard Rohr meint: »Healing means being connected« – Verbundenheit macht gesund, heil, und das kann wortlos über einen wohlwollenden Blick geschehen. Deshalb sehnen wir uns danach.

Eine Freundin von mir hat die Angewohnheit, im Gespräch den Blick schweifen zu lassen. Wir sitzen uns im Café gegenüber und sie schaut rechts und links an mir vorbei. Es scheint offensichtlich viel Interessantes in meinem Umfeld zu geben. Das irritiert mich total. Ich habe dann das Gefühl: Ich bin nicht mehr gemeint, die Verbindung zu ihr ist unterbrochen.

Sehen, Blickkontakt bedeutet, Beziehung herzustellen, bedeutet Kommunikation. Mimik und Körpersprache sind nonverbale Ausdrucksformen. Die Pantomime lebt davon. Manchmal möchten wir etwas nicht am Telefon erzählen, sondern von Angesicht zu Angesicht, weil wir nicht nur hören möchten, was der andere dazu sagt, sondern sehen wollen, wie unser Gegenüber reagiert – mit seinem ganzen Körper. Was drückt sein Gesicht aus? Freude, Zustimmung und Akzeptanz oder Kritik, Zurückhaltung, Ablehnung?

Ein freundlicher, liebevoller Blick kann ausdrücken: Ich sehe dich, ich verstehe dich, ich akzeptiere dich so, wie du bist. Aber Blicke können auch töten, so der Volksmund. Ein abwertender Blick ist schwer zu ertragen, trennt, isoliert. Daran habe ich ganz eigene Erinnerungen: Ich bin neun Jahre, wir sitzen im Garten und sprechen über die Schule und ob ich wohl ans Gymnasium gehen soll. Ich war davon ausgegangen, warum auch nicht? Ich habe gute Noten. Da sehe ich den zweifelnden Blick meiner Mutter. Ich erstarre innerlich, bin zutiefst getroffen, sage nichts.

Viele Jahre später: Ich nehme an einem Theaterworkshop teil. Der Regisseur betont, wie wichtig ein intensiver Blickkontakt zwischen den Schauspielern sei, wird doch dadurch die Spannung gehalten. Und dann stehe ich selbst auf der Bühne und spüre, wie wahr das ist. Ich spiele in dem Klassiker von Tennessee Williams, »Die Glasmenagerie«, eine schüchterne, weltfremde Person, die vor dem fordernden Blick der Mutter flieht. Der Blick des Bruders ist meist abwesend, in die Ferne gerichtet, er will weg von zu Hause. Da nimmt sie doch lieber die kleinen Glasfiguren in den Blick, die im Licht glitzern und funkeln, und denkt sich Geschichten aus. Das intensive Spielen verbindet uns Schauspieler auch über die Aufführungen hinaus. Wir treffen uns noch immer, auch wenn wir schon lange nicht mehr zusammen auf der Bühne stehen. Wir haben uns weiterhin im Blick, und das tut gut.

Weitere Jahre später: Ich gebe einen Wochenendkurs. Es ist Freitagabend, die Teilnehmer sitzen im Kreis, schauen mich erwartungsvoll an, sind gespannt auf das, was kommt. Und ich? Bin nicht minder gespannt. Ich lese in den Gesichtern. Da sind Interesse und Offenheit, aber auch Skepsis und Verschlossenheit, die ganze Palette. Am Ende des Abends zufriedene Gesichter, nachdenklich vielleicht, aber positiv gestimmt. Ich freue mich. Die Blicke bauen mich auf, machen mir Mut.

Vermutlich sind wir uns nicht über die Macht der Blicke bewusst. Blicke treffen uns ungefiltert und lösen ganz spontan, im wahrsten Sinn des Wortes, »augenblicklich« Positives wie Negatives aus. Ein Blickkontakt ist wie ein durchsichtiges Band zwischen mir und dem anderen, zwischen Sender und Empfänger.

Atempause

Welche Blicke sind mir in Erinnerung geblieben – aus der Kindheit, aus meinem späteren Leben?

Wie bin ich angesehen worden?

Welche Menschen möchte ich im Blick behalten?

Augenblicke

Wohin blicken meine Augen? Was zieht meinen Blick an? Wohin geht meine Aufmerksamkeit? Es gibt einen interessanten Reflex: Die Augen werden von dem Besonderen angezogen, der Blick wird automatisch auf das Objekt gerichtet, an dem es mehr Kontraste oder Bewegung zu beobachten gibt. Dieses Phänomen macht man sich zunutze, um die Sehschärfe von Babys zu prüfen. Man hält dem Kind zwei Platten hin, eine graue und eine schwarz-weiß gestreifte. Es schaut automatisch zu dem »lebendigeren« Streifenmuster. Die Streifentafeln gibt es in Abstufungen von sehr breit bis ganz fein. Je enger die Streifen aneinanderliegen, umso mehr ähnelt das Muster der Graufläche, das heißt, irgendwann wird nicht mehr zwischen Streifen und der grauen Fläche unterschieden, die Augen des Babys schweifen ab, es ist uninteressant geworden. Aufschlussreich ist, ab welcher Streifendichte das Baby das Muster nicht mehr von der Graufläche unterscheiden kann. »Preferential looking« wird dieser Test genannt. Übersetzt: vorzugsweises Sehen.