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Mit Galileo-Moderator und Jerusalem-Kenner Stefan Gödde Lieblingsorte entdecken Zwischen schwitzenden Touristen mit Selfiesticks vor der Klagemauer? Eine Dornenkrone als Souvenir? – Jerusalem bietet so viel mehr als das! Wer den Puls dieser faszinierenden Stadt spüren will, sollte sie jenseits der allzu bekannten Pfade kennenlernen und dafür vor allem eines tun: ihren Menschen begegnen. Stefan Gödde, Moderator des ProSieben-Wissensmagazins Galileo und passionierter Jerusalem-Reisender, stellt ausgewählte Orte in seiner Lieblingsstadt vor. Er verrät, an welche Türen es sich zu klopfen lohnt und mit wem man ins Gespräch kommen kann, um Jerusalem auf ungewöhnliche Weise zu erleben – vom rituellen Shabbat-Dinner mit der Familie eines Rabbis bis zur ältesten Tattoo-Tradition der Welt.
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Seitenzahl: 210
© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2019
© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2019
Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.
Verlagsleitung Reise: Grit Müller
Verlagsredaktion: Caro Kania
Autor: Stefan Gödde
Lektorat und Redaktion: Martin Waller
Bildredaktion: Caro Kania
Mini-Dolmetscher: Langenscheidt
Layoutkonzept/Titeldesign: Independent Medien Design, München Horst Moser (Artdirection)
Kartografie: Theiss Heidolph und Kunth Verlag GmbH & Co. KG
eBook-Herstellung: Gloria Schlayer
ISBN 978-3-8464-0770-7
1. Auflage 2019
GuU 0770 09_2019_02
Bildnachweis
Coverfoto aufgenommen auf der Dachterrasse des Paulus-Hauses © Maximilian Halbe
Fotos: Alle Fotos © Stefan Gödde, außer: >, >, >, >, > (Gerald Hänel/GARP); >, >, >, >, >, >, > (Maximilian Halbe); > (Markus Stephan Bugnyár); > (Moshe Basson); > (ullstein bild/TopFoto); >, >, >, > (Josh Weisberg); > (Walter Schmitz)
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© Stefan Gödde
Stefan Gödde, Fernsehjournalist und weit gereister Reporter, moderiert das beliebte ProSieben-Wissensmagazin Galileo. Seine Arbeit führte ihn in zahlreiche Länder dieser Erde – doch sein Herz gehört Israel, und ganz besonders Jerusalem. Bereits als Jugendlicher entdeckte er seine Liebe zu dieser außergewöhnlichen Stadt. Seitdem reist er mehrmals im Jahr dorthin. Und obwohl er Jerusalem inzwischen sehr gut kennt, entdeckt er dort immer wieder neue, überraschende Facetten und begegnet Menschen, die ihn zutiefst beeindrucken.
Stefan Gödde spendet seinen Anteil an den Verkaufserlösen dieses Buches zugunsten karitativer Projekte an die Dormitio-Abtei in Jerusalem.
Sehnsuchtsort für Menschen aus aller Welt, pulsierendes Herz dreier Weltreligionen, aber auch Heimat einer jungen, urbanen Subkultur – Jerusalem hat viele Gesichter.
Stefan Gödde ist seit vielen Jahren passionierter Jerusalem-Reisender. In diesem Buch nimmt er Sie mit zu seinen Lieblingsorten und zeigt, wie und mit wem Sie die Stadt auf ungewöhnliche Art entdecken können – jenseits der Touristenströme. Sie werden einer Nonne begegnen, die über den Sarg einer ganz besonderen Toten wacht. Sie erfahren, wo man gleichzeitig den Ruf der Muezzine hört, auf die Via Dolorosa blickt und ein Stück Sachertorte genießt. Was hat der größte Lebensmittelmarkt Israels mit einem jungen Street-Art-Künstler zu tun? Wie kommt man als Reisender dazu, ein traditionelles Shabbat-Dinner mit einem Rabbi und seiner Familie zu verbringen? Und was erlebt man bei einem nächtlichen Ausflug in die Grabeskirche? Die Antworten darauf verrät Stefan Gödde ebenso wie seine Lieblingshotels, -restaurants und -cafés.
Unterhaltsam, klug und mit großer Kennerschaft führt er durch sein persönliches Jerusalem und lädt dazu ein, sich auf seine Spuren zu begeben.
Ein Ort voller überraschender Kontraste – typisch Jerusalem
Weihrauch, Gebete und eine skurrile Begegnung
Frieden geht durch den Magen – wir essen, wie es in der Bibel steht
Die Grabstätte einer außergewöhnlichen Frau in der Maria-Magdalena-Kirche
Tief unter der Stadt – nichts für schwache Nerven
Zu Tisch bei der Familie eines orthodoxen Rabbis
Eine Harley Davidson, das Lamm Gottes und eine 700-jährige Familientradition
Das wohl weihnachtlichste Weihnachtsgeschenk der Welt
Eine erstaunliche Entdeckung auf dem Weg zur Krippe
Gemüse, DJs und die Meisterwerke eines jungen Künstlers
Ein winziger Laden, der das Gedächtnis der Stadt bewahrt
© Stefan Gödde
I love Jerusalem – diese Botschaft heißt Besucher vor der Stadtmauer willkommen
Kennen Sie dieses Gefühl? Dass tief in Ihnen etwas ins Schwingen gerät, wenn Sie den Boden eines bestimmten Landes betreten? Es ist wie Heimkommen, obwohl man in der Fremde ist. Immer wenn ich in Israel lande und das bunte Wirrwarr der Sprachen höre, wenn ich faszinierenden Menschen begegne, die den unterschiedlichsten Ethnien und Religionen angehören, und von ihnen mit großer Herzlichkeit empfangen werde, dann geht es mir so. Besonders deutlich spüre ich dieses Gefühl in Jerusalem – meinem Sehnsuchtsort, der das pulsierende Herz von drei Weltreligionen ist und ein Mikrokosmos, in dem sich Traditionen und Kulturen auf engstem Raum verdichten.
In den letzten 20 Jahren bin ich regelmäßig in die Heilige Stadt gereist, manchmal mehrmals im Jahr. »Warum bist du eigentlich so häufig in Jerusalem?«, werde ich oft gefragt. »Bist du Jude?« Nein, ich bin gläubiger Katholik. Aber als Jugendlicher habe ich in den USA in einem jüdischen Ferienlager als Kinderbetreuer gearbeitet. Dort habe ich viele Menschen aus Israel kennengelernt, Freunde gefunden und meine Begeisterung für das Land – insbesondere für Jerusalem – entdeckt.
Obwohl Sie in diesem Buch auch die berühmten Sehenswürdigkeiten Jerusalems finden, ist dies kein klassischer Reiseführer mit Anspruch auf Vollständigkeit – sondern etwas sehr Persönliches. Ich stelle Ihnen meine Lieblingsorte vor und zeige Ihnen, wo das einzigartige Lebensgefühl dieser Stadt besonders intensiv in der Luft liegt. Oftmals zeigen diese Orte unerwartete Seiten von Jerusalem oder machen die Kontraste spürbar, die die Stadt prägen.
© Maximilian Halbe
Frische Falafel im Muslimischen Viertel, angepriesen in neun verschiedenen Sprachen
Sie können Sachertorte essen, während der Muezzin vom Minarett ruft – oder sich das älteste Tattoo der Welt stechen lassen. Wie wäre es mit einer Wanderung durch einen 2700 Jahre alten, stockfinsteren Tunnel? Oder haben Sie eher Lust auf einen Gemüsemarkt, der sich abends in eine hippe DJ-Zone verwandelt?
Vor allem lernt man Jerusalem aber über die Menschen kennen, die dort leben. Viele von ihnen haben spannende Geschichten zu erzählen und bringen ihre ganz eigenen Perspektiven auf die Stadt mit. Mit wem es sich besonders lohnt, ins Gespräch zu kommen, verrate ich Ihnen ebenfalls in diesem Buch.
Machen Sie sich mit mir auf die Reise, und Sie werden sehen, dass Jerusalem unglaublich viel zu bieten hat – Traditionelles, Religiöses, Skurriles, eine sensationelle Küche, versteckte Schätze und eine unerwartet coole Subkultur.
Bevor es losgeht mitten hinein ins Herz der Stadt, möchte ich Sie aber noch auf eine Aktion hinweisen, die mir sehr wichtig ist: In Kapitel 8 wird Ihnen Bruder Natanael begegnen, ein Mönch der Jerusalemer Dormitio-Abtei. Gemeinsam mit seinen Mitbrüdern sammelt er Spenden für karitative Projekte in Jerusalem und Bethlehem, die sowohl Christen als auch Angehörigen anderer Religionen zugutekommen. Und in ebenjenen Spendentopf fließen auch meine Anteile an den Verkaufserlösen dieses Buches.
Aber nun genug der Vorrede. Lassen Sie uns unsere gemeinsame, unvergessliche Reise nach Jerusalem beginnen.
Ihr
© Gerald Hänel/GARP
Viele gläubige jüdische Männer und Jungen tragen seit dem dritten Lebensjahr die traditionellen Schläfenlocken, hebräisch »Peot«.
© Stefan Gödde
Willkommen im Österreichischen Hospiz. Diese Stufen schritt bereits Kaiser Franz Joseph I. hinauf
Übersichtskarte | Online-Karte
Sind Sie bereit für eine wilde Mischung aus Orient und Okzident? Aus Muezzin und Wiener Schmäh? Falafel und Apfelstrudel? Dann kann’s losgehen. In diesem Kapitel nehme ich Sie nämlich mit auf einen ganz besonderen Ausflug.
Ich werde Sie zu einem meiner absoluten Lieblingsorte in Jerusalem führen. Und ich verspreche Ihnen: Ihr Herz wird höher schlagen bei dem, was Sie heute sehen und erleben werden. Hier ist der Deal: Falls es Ihnen – entgegen aller Erwartung – nicht gefallen sollte, gebe ich Ihnen die fünf Schekel zurück, die Sie für diese Entdeckung zahlen müssen. Mein Tipp: Machen Sie diesen Ausflug eher zu Beginn Ihres Aufenthalts in Jerusalem. So können Sie sich einen Überblick verschaffen über das, was Ihnen die Heilige Stadt zu bieten hat. Womit Jerusalem Sie locken, begeistern – und wohl auch stellenweise überfordern wird.
© Stefan Gödde
Eines der acht großen Tore der Altstadtmauer: das prächtige Damaskustor
Wir treffen uns direkt vor dem beeindruckenden Damaskustor (Damascus Gate). Es wurde 1535–1538 unter Sultan Süleyman dem Prächtigen gebaut. Das größte Tor in der Altstadtmauer ist gleichzeitig der Haupteingang zum Muslimischen Viertel. Und wenn es in Jerusalem kracht – zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern –, dann ziemlich sicher auch hier. Deshalb stehen auf dem Vorplatz zwei Wachhäuschen mit bewaffneten Soldatinnen und Soldaten. Aber heute ist alles ruhig, und wir treffen uns am besten am späten Nachmittag, wenn die Sonne schon tiefer steht und nicht mehr ganz so gnadenlos auf die Erde feuert.
Wir betreten die Altstadt. Durch den Torbogen hindurch, dann direkt nach links – und sofort wieder scharf nach rechts. Diese versetzte Form des Eingangs sollte es Angreifern schwerer machen, einfach so schnurstracks in die Stadt einzufallen mit Gebrüll.
Heute will man am Tor niemanden mehr abhalten, im Gegenteil. Man heißt die Menschen willkommen, damit sie auf dem Markt ihr Geld lassen. Und gebrüllt wird nicht mehr vor, sondern hinter dem Tor.
© Stefan Gödde
In den Gassen hinter dem Damaskustor wird lautstark gefeilscht und gehandelt
Áschara! Áschara! Arabisch für Zehn. Áschara! So schreien die Händler. Zehn Schekel für Zigaretten, Plastikspielzeug oder Schokolade. Am Boden kauern alte muslimische Frauen, die saftig-grüne Weinblätter, Salat und selbst gepflückte Kräuter verkaufen.
Einen bunteren Warenmix als auf diesem Markt kann man sich kaum vorstellen: Berge von plastikverpackten Süßigkeiten und Polyesterpullis, knallrote Reisekoffer, gerupfte Hühnchen, Bananen, Orangen und natürlich die typisch lang gezogenen Jerusalem-Bagels. Áschara! Dieser Markt ist eine große Bühne.
Eigentlich könnten wir den ganzen Tag hier stehen bleiben und mit all unseren Sinnen die verschiedenen Eindrücke aufnehmen: Den Duft der frisch gebackenen Pitabrote einatmen. Zuhören, wie die Händler schreiend um Kundschaft buhlen, und uns darüber wundern, dass das »Áschara« manchmal sogar aus scheppernden Lautsprechern kommt, als Aufzeichnung in Dauerschleife. Manchen Händlern ist das stundenlange Schreien wohl doch zu anstrengend.
Oder wir schauen einfach nur zu, wie arabische Jungs mit ihren klapprigen Lebensmittelkarren die Steinrampen herunterrumpeln. Wie sich schwedische Touristinnen fotografierend an ihnen vorbeidrängeln, immer darauf bedacht, nicht auf die alten Frauen am Boden zu treten oder auf deren knackig-grünen Salat. Daneben: schwer bewaffnete junge Soldatinnen und Soldaten. Und nicht zu vergessen die ultraorthodoxen Juden in ihren schwarzen Anzügen, mit langen Schläfenlocken und beeindruckenden, schwarz schimmernden Zobelpelz-Hüten. Sie kommen aus ihrem orthodoxen Wohnviertel Mea Shearim und wollen zur Klagemauer, um zu beten. Und eigentlich empfinden sie es als absolute Zumutung, durch diesen arabischen Markt gehen zu müssen. Aber so ist es nun einmal: Hier, durch das Damaskustor, führt der kürzeste Weg zur Klagemauer. Also schreiten sie so schnell wie möglich, rennen beinahe. Manche von ihnen halten sich dabei die Hände wie Scheuklappen neben die Augen, abwehrend, abschottend. Nichts sehen, am besten auch nicht gesehen werden, nur schnell wieder raus aus dieser seltsamen anderen Welt. Und neben den orthodoxen Juden gehen langsam drei alte, russisch-orthodoxe Nonnen – komplett in schwarze Schleier eingehüllt – mit Einkaufstüten in den Händen.
All diese Menschen drängen sich durch das Nadelöhr am Damaskustor. Religionen, Nationen, Traditionen und Weltanschauungen treffen hier aufeinander. Und auch wenn sich Israelis und Palästinenser am Gazastreifen seit Jahrzehnten feindselig gegenüberstehen und sich – nicht nur im übertragenen Sinne – die Köpfe einschlagen, so müssen sie hier in der Altstadt von Jerusalem jeden Tag miteinander klarkommen. Zwangsläufig. Irgendwie. Denn eins ist offensichtlich: Die unterschiedlichen Lebenswelten wollen sich zwar eigentlich aus dem Weg gehen, doch irgendwann kommen sie unweigerlich miteinander in Berührung. Wie hier am Damaskustor. Was für ein Schauspiel.
Wir gehen weiter die Steinstufen hinab – geradeaus im Laden gibt’s super Falafel –, nehmen an der Abzweigung dann den linken Weg, folgen dem Souk, also dem arabischen Markt, und kommen nach wenigen Minuten an unserem Ziel an, dem Österreichischen Hospiz – einer Institution in dieser Stadt.
Wenn Sie jetzt nach oben schauen, bekommen Sie schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf den extremen Kontrast, der Sie gleich erwarten wird. Auf der einen Seite der exotische Orient: das Minarett einer Moschee, wir sind ja mitten im Muslimischen Viertel. Und auf der anderen Seite weht uns das vertraute Abendland entgegen: die gelb-weiße Flagge des Vatikans und das Rot-Weiß-Rot Österreichs. Aber bevor wir hineingehen, bleiben wir noch kurz an der Straßenecke stehen. Denn von links hören wir Gesänge.
Die Straße hinunter kommt eine rund 30-köpfige philippinische Pilgergruppe. An ihrer Spitze eine Frau mit Dornenkrone im Haar, ein schweres Holzkreuz auf der Schulter tragend. Ja, auch das ist Jerusalem: Der Ort, an dem der Kreuzweg Christi verehrt wird, also jener Weg, den Jesus am letzten Tag seines irdischen Lebens gegangen sein soll. Die Gläubigen gedenken in 14 Stationen seines Leidensweges, von der Verurteilung durch Pontius Pilatus bis zum Kreuzestod auf Golgatha – und zwar rund um den Globus.
© Stefan Gödde
Via Dolorosa: Mit Dornenkrone und Kreuz auf den Spuren Jesu
Hier in Jerusalem gibt es den Originalkreuzweg. Sozusagen. Denn ja: Der historische Jesus wurde in Jerusalem verurteilt und ans Kreuz geschlagen. Ob er vor gut 2000 Jahren aber genau denselben Weg nahm wie die andächtige Philippinerin heute Nachmittag, ist fraglich. Die Route wechselte nämlich im Lauf der Jahrhunderte mehrfach die Richtung, außerdem bewegt man sich heutzutage meist vier oder fünf Meter über dem Straßenniveau von damals. Klar ist aber auch: Der jetzige Verlauf des Kreuzweges wird seit der Kreuzfahrerzeit, also bereits seit etlichen Jahrhunderten, verehrt. Und vielen Gläubigen ist es ohnehin wichtiger, im Gebet an Christus zu erinnern, als dass jeder Ort streng authentisch sein müsste.
Orte, die von Historikern als »vermutlich authentisch« eingestuft werden, gibt es natürlich trotzdem. Der Tempelberg, die Grotte Gethsemane am Ölberg, die Treppenstufen bei St. Peter in Gallicantu, der Bethesda-Teich und Golgatha zum Beispiel: Dort hat sich Jesus nach derzeitigem Stand der Forschung mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit aufgehalten.
Doch zurück zur Via Dolorosa. Bei aller Skepsis kann man festhalten, dass man auf dem heutigen Kreuzweg den Fußspuren von Millionen von Gläubigen folgt, die seit vielen Jahrhunderten dem historischen Jesus hier so nahegekommen sind wie nirgendwo sonst auf der Welt. Falls Sie selbst Interesse haben: An jedem Freitagnachmittag um 15 Uhr (während der Sommerzeit um 16 Uhr) gehen Franziskanerbrüder mit den Gläubigen entlang dem Kreuzweg betend durch die Altstadt. Treffpunkt ist bei der Geißelungskapelle in der Nähe des Löwentores. Besonderer Bonus: Die erste Kreuzwegstation ist nur auf diese Weise zugänglich. Und falls Sie – wie die Philippinerin – das volle Programm möchten: Die muslimischen Händler an der ersten und zweiten Station vermieten Kreuze und verkaufen auch Dornenkronen. Ja, wer zum ersten Mal zum Kreuzweg kommt, wird sich ziemlich wundern. Dieser Schmerzensweg Jesu in Jerusalem ist vermutlich recht anders, als Sie ihn sich bislang vorgestellt haben.
Und genau hier stehen wir nun. Am Schmerzensweg – lateinisch: Via Dolorosa – Nummer 37, beim Österreichischen Hospiz, dem ältesten und für viele auch schönsten christlichen Pilgerhaus in Jerusalem. Seit Kurzem heißt es auch nicht mehr nur Hospiz, wegen der unschönen Assoziationen an ein Sterbehaus, sondern nun ganz eindeutig und offiziell: Pilger-Hospiz.
© Stefan Gödde
Das Flair der k.u.k.-Monarchie ist heute noch erlebbar im Wiener Kaffeehaus in Jerusalem
Wir klingeln, man öffnet uns die Tür. Wir gehen ein paar Stufen hoch ins Haus hinein, an der Rezeption vorbei, dann direkt nach links, und nun hören wir sie schon, die gute alte Donaumonarchie. Bereits im Flur schwingt uns sanfte klassische Musik entgegen, dazu das geschäftige Klappern von Kaffeetassen und Kuchentellern. Wir sind angekommen – in einem originalen Wiener Kaffeehaus. Gemütliche Polster, Marmortische, weinrote und dunkelgrüne Wände. Links an der Wand in einem braunen Holzrahmen mit goldener Zierleiste: ein Bild von Kaiserin Elisabeth – Sissi – hoch erhobenen Hauptes mit Fächer, Diadem und edlem Geschmeide. Im Rahmen rechts daneben: Kaiser Franz Joseph I., mit stolzem Bart, seine Brust schwer bestückt mit Orden aller Form und Größe. Und an der Theke ein freundliches »Grüß Gott« mit Wiener Färbung. Was hätten’s denn gern? Apfelstrudel mit Schlagobers, Sachertorte, einen Einspänner und einen Verlängerten? Kommt sofort. Nehmen’s derweil im Garten Platz, bittschön.
Ganz ehrlich: Wenn Sie jemandem in Wien die Augen verbinden, ihn schnarchend in ein Flugzeug setzen und ihn hier in diesem Kaffeehaus wieder aufwachen lassen – er wird keinen Unterschied bemerken. Er kann seinen gewohnten Kaffee genießen, sein original österreichisches Gösser-Bier trinken und mit Euro bezahlen. Aber wie Sie ihm dann erklären, dass er sich nicht im 1. Bezirk von Wien befindet, sondern nur zehn Gehminuten vom Felsendom in Jerusalem entfernt … das überlasse ich Ihrer Kreativität.
© Markus Stephan Bugnyár
Der Kaffee wird unter dem majestätischen Blick von Kaiserin Elisabeth serviert
Der Garten des Österreichischen Pilger-Hospizes ist ein kleines grünes Paradies, mit saftigen Pflanzen und schattenspendenden Bäumen. Hier treffe ich den Rektor des Hauses, Markus Stephan Bugnyár. Er ist österreichischer Priester und bereits seit 15 Jahren der Chef. Zusammen mit Ordensschwester Bernadette Schwarz, der Vizerektorin, leitet er das beliebte Pilgerhaus.
Das ist wirklich einer der schönsten Orte in Jerusalem. Wie reagieren Eure Besucher, wenn sie diesen Palmengarten zum ersten Mal sehen?
Sehr oft fällt das Stichwort »Oase«. Man kommt aus der quirligen Altstadt und kann für ein paar Momente einfach zur Ruhe kommen, vielleicht noch einmal Revue passieren lassen, was man gerade gesehen und erlebt hat. Für viele ist das hier ein Rückzugsort, ein Ort der Ruhe – eine Oase eben.
Kannst Du Dich noch an Deinen ersten Moment hier erinnern? Als Du zum ersten Mal dieses »Wien in Jerusalem« gesehen hast?
1994 war ich zum ersten Mal im Land. Damals gab es zwar bereits ein Wiener Kaffeehaus, aber nicht ganz mit dem Charme wie heute. Viele unserer Besucher sind vom fast schon klischeehaft Österreichischen überrascht, wie zum Beispiel von der Darstellung von Franz Joseph und Elisabeth.
Schwester Bernadette und Du, Ihr kommt beide aus Österreich, eure Zivildiener und Volontäre auch. Wie viel echtes Österreich hat Eure Küche zu bieten?
Es wäre eine Mär zu behaupten, dass jede Zutat für den Apfelstrudel und die Sachertorte aus Österreich käme – das könnten wir in der benötigten Menge auch gar nicht importieren. Was aber definitiv aus Österreich kommt, ist unser Kaffee: Julius-Meinl-Kaffee ist das Herzstück unseres Wiener Kaffeehauses.
© Stefan Gödde
Begegnungen im Palmengarten: das kleine Paradies im Österreichischen Hospiz
Dieses Kaffeehaus mit seinem Garten ist ein echter Magnet. Touristen aus aller Welt kommen hierher: Am Nebentisch sitzt eine amerikanische Pilgergruppe, daneben Franzosen, einen Tisch weiter wird Italienisch gesprochen, aber natürlich auch Arabisch und Hebräisch. Dieser Garten ist ein Ort, an dem die verschiedensten Nationen und Kulturen für einen Moment zur Ruhe kommen. Viele Gäste sind aus Deutschland angereist – und, na klar, auch aus Österreich. Genau das hatte der Gründervater dieses Hauses, Joseph Othmar von Rauscher, der ehemalige Erzbischof von Wien, ja auch im Sinn. Das Österreichische Hospiz sollte eine »Heimat fern der Heimat« werden. Und diese Heimat hat seit der Eröffnung im Jahr 1863 auch viele berühmte Persönlichkeiten angelockt.
Im ersten Stock gibt es eine beeindruckende Ausstellung mit den Unterschriften der berühmtesten Gäste Eures Hauses. Der Kaiser selbst war auch da …
Oh ja, das erste Highlight des Hauses war sicherlich der Besuch von Kaiser Franz Joseph im Jahr 1869, anlässlich der Eröffnung des Suezkanals. Franz Joseph war das erste gekrönte Haupt eines katholischen Landes, das seit dem Ende der Kreuzzüge wieder das Heilige Land besuchte. Das löste einen Pilgerboom aus. Es kam zu sogenannten Volkswallfahrten, weil die Pilgerfahrten für fast alle Einkommensschichten erschwinglich wurden.
Gibt es das Bett noch, in dem Kaiser Franz Joseph geschlafen hat?
In unserem Fundus findet man ein simples Bettgestell, das als sein Bett interpretiert wird. Franz Joseph war dafür bekannt, dass er nicht besonders luxuriös dachte, erst recht nicht auf Reisen. Ob er tatsächlich darin geschlafen hat, können wir nur vermuten. Im November 1869 war er für drei Nächte hier im Haus, ohne seine Gemahlin Elisabeth, aber mit großer Entourage.
Dieses Haus war ja ursprünglich als Pilgerherberge geplant. Aber ich habe gelesen, dass es lange Zeit völlig anders genutzt wurde.
Zeitweise war es Internierungslager, Offiziersschule, Polizeiquartier; es wurde als Kriegslazarett und dann jahrelang von den Jordaniern als Krankenhaus genutzt. Ein Krankenhaus, das übrigens einen äußerst prominenten Patienten hatte: Der jordanische König Abdallah I. wurde im Juli 1951 nach einem Besuch der Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg von einem palästinensischen Extremisten niedergeschossen. Hier im Österreichischen Hospiz erlag er seinen Verletzungen.
Erst seit 1988 ist dieser Ort wieder – wie ursprünglich geplant – ein Pilgerhaus. Wie würdest Du den Schwerpunkt Eurer täglichen Arbeit beschreiben?
Grundsätzlich bin ich ja der Meinung, dass es nicht die primäre Aufgabe der Kirche ist, ein Hotel zu betreiben. Hier in der Heiligen Stadt ist das sicherlich sehr sinnvoll, doch es darf sich nicht darin erschöpfen. Nein, wir schaffen durch das Kaffeehaus und den Hotelbetrieb Arbeitsplätze. Wir beschäftigen zurzeit neben unseren Volontären und Zivildienern 36 lokale Angestellte. Davon sind 50 Prozent Christen und 50 Prozent Muslime. Wir können Menschen also eine Lebensperspektive geben.
Wenn Du Perspektive sagst, dann klingt das nach einer Verantwortung, die über das Maß eines reinen Arbeitgebers hinausgeht …
Ja, wenn dies geboten ist. Zum Beispiel wenn es darum geht, den Kindern dieser Familien eine vernünftige Schulbildung angedeihen zu lassen, dann helfen wir bei den Schulgeldern. Oder möglicherweise gibt es Krankheitsfälle, sodass teure Medikamente gebraucht werden. Für all diese Sachen gibt es seit einiger Zeit einen Sozialfonds, der zum Teil aus den Einnahmen des Gästehauses gespeist wird. Wir unterstützen außerdem die rund 200 Katholiken im Gazastreifen.
Es kommen auch viele Politiker hierher. Hat das Haus eine politische Rolle?
Die österreichischen Politiker kommen natürlich aufgrund der Geschichte dieses Ortes. Wir sind nunmal die österreichische Anlaufstelle mit einer dauerpräsenten Österreichfahne auf dem Dach. Andere Politiker kommen, weil ihre Länder zur Zeit der Gründung unseres Hauses Teil der Monarchie waren, ich denke an Ungarn, aber auch Tschechen, Slowaken, Kroaten und Slowenen. Manchmal richten wir aber auch informelle Treffen aus – zwischen internationalen Politikern und israelischen oder palästinensischen Vertretern. Das wird nicht öffentlich, das läuft dann alles sehr subkutan. Aber es ist sicherlich von Vorteil, dass wir ein neutraler Ort sind, auch wenn der Begriff abgegriffen klingt. Also, man kommt sehr gerne zu uns, einerseits wegen der Geschichte, aber natürlich auch, weil man von unserem Dach einen sehr guten, sehr umfassenden Blick auf die Altstadt hat.
Und genau wegen dieses atemberaubenden Ausblickes sind wir heute hier. Wir gehen durch das Treppenhaus in Richtung Dach, staunen auf dem Weg dorthin über die imposanten Flure des Pilgerhauses und kommen auf der Dachterrasse an, die seit dem 70. Geburtstag der Vizerektorin nun »Schwester Bernadette Terrasse« heißt.
Mit dem Chef des Hauses ist der Zugang zur Dachterrasse heute gratis; normalerweise muss man an einem Drehkreuz fünf Schekel Eintritt zahlen. Aber wie am Anfang des Kapitels versprochen, gebe ich Ihnen dieses Geld gerne zurück, sollten Sie nicht auch begeistert sein vom Panoramablick hier oben. Ich habe den späten Nachmittag für unseren Ausflug vorgeschlagen, denn wenn die Sonne untergeht, ist dieser Ort für mich einer der schönsten der Welt. Mitten in der geschäftigen Altstadt und doch erhöht genug, um die Aussicht über Jerusalem in aller Ruhe genießen zu können. Und welchen Blick man von hier oben hat! An klaren Tagen kann man in der Ferne sogar die Berge Jordaniens sehen.
Aber lassen Sie uns in der Nähe bleiben, schauen Sie bitte mal nach links, da sehen Sie die lutherische Himmelfahrtkirche, daneben den Ölberg mit seinen abertausenden jüdischen Gräbern. Rechts daneben der Tempelberg mit der imposanten goldenen Kuppel des Felsendoms. Ganz in der Nähe davon die Al-Aqsa-Moschee, das drittwichtigste Heiligtum im Islam. Geradeaus sehen wir das Jüdische Viertel, wo sich auch die Klagemauer befindet, die heute heiligste Stätte des Judentums. Ein Stück weiter rechts erkennt man die Kuppel der erst kürzlich wieder aufgebauten Hurva-Synagoge.
© Stefan Gödde
Der Blick von der Dachterrasse des Hospizes auf die Stadt ist einfach spektakulär
Weiter geht der Blick hinüber zur deutschsprachigen Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg, die nach dem Vorbild des Aachener Doms gebaut wurde. Und zur Rechten: der wichtigste Ort der Christenheit, die Grabeskirche, wo Jesus Christus gekreuzigt, begraben und wieder auferstanden sein soll.
All diese wertvollen Schätze der drei großen Weltreligionen liegen so unerwartet nah beieinander. Und gleichzeitig weht die österreichische Fahne vor unseren Augen, während nur wenige Meter davon entfernt das Minarett einer Moschee in den Himmel wächst. Das muss das Auge erstmal in Ruhe wahrnehmen – und der Verstand später zu ordnen versuchen.
Die Dachterrasse ist leider nur bis 18 Uhr geöffnet, aber abhängig von der Jahreszeit Ihrer Reise haben Sie vielleicht das Glück, ein einmaliges Spektakel mitzuerleben: den Sonnenuntergang – untermalt von einer Rundum-Beschallung durch die Muezzine der Stadt. Denn sobald die Sonne untergeht, beginnen die Muezzine, alle muslimischen Gläubigen zum Gebet zu rufen.